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Kitabı oku: «Die Heirath im Omnibus», sayfa 15
Achtes Kapitel
Wenn man die Blinden operiert, um ihnen das Gesicht wiederzugeben, schließt dieselbe hilfreiche Hand, welche ihnen das Schauspiel der Welt wieder öffnet, sofort, wenigstens auf einige Zeit, die magische Perspective. Die Augen müssen sich noch verbinden lassen, damit nicht bei der Empfindlichkeit des wiedergewonnenen Sinnes der plötzliche Uebergang aus dem Dunkel zum Lichte eine verderbliche Einwirkung aus sie äußere.
Zwischen diesem furchtbaren Nichts aber, welches der gänzliche Mangel des Gesichts erzeugt, und diesem zeitweiligen Mangel der Sehkraft, der nur durch den Schleier verursacht wird, liegt ein ungeheurer Unterschied.
Das Auge des Blinden hat in demselben Augenblicke, wo die Operation gelingt, einen Lichtstrahl erfaßt, und dieser helle Schein offenbart sich ihm noch auch unter dem dichtesten Schleier, so sehr durchdringt und beherrscht er Alles. Das neue Dunkel, in welches er versenkt ist, gleicht nicht mehr jener leeren Finsterniß. Es ist erfüllt von raschen wechselnden Visionen, von prismatischen Farben, von kaleidoskopischen Formen, welche sich jede Secunde nach allen Richtungen hin durch einander bewegen. Und so sind die vor Kurzem noch der Sehkraft beraubten Augen, obschon sie wieder dicht verbunden sind, dennoch nicht mehr die eines Blinden.
So war es auch mit meinem geistigen Gesichte. Nach der vollständigen Vergessenheit und der Nacht, in welche meine Ohnmacht mich versenkt, sprang das Bewußtsein in meinem Geiste empor wie ein Lichtstrahl, als ich mich meinem Vater gegenüber und in meinem eigenen Hause sah.
Beinahe in demselben Augenblicke aber, wo ich wieder zur Wahrnehmung dieses verhängnißvollen Lichtes geboren ward, breitete sich eine, neue Finsterniß über meinen Geist – eine Finsterniß, die aber dies Mal nicht mehr die des vollständigen Vergessens war.
Ich hatte jetzt Gefühle, ich hatte Gedanken, ich hatte Visionen aber Alles ertrank und adsorbirte sich in furchtbarem Delirium.
Der Gang der Zeit, die Aufeinanderfolge der Ereignisse, selbst die des Tages und der Nacht, die Personen, welche sich um mich herum bewegten, die Worte, welche sie sprachen, die liebevollen Dienste, welche sie mir leisteten – Alles entschlüpfte mir wieder von dem Moment an, wo ich die Augen wieder schloß, nachdem ich sie eine Secunde lang auf meinen Vater in seinem Cabinet geheftet.
Ich war zu schwach, um mich zu bewegen, um zu sprechen, um die Augen zu öffnen oder um auch nur in geringem Grade Gebrauch von einem meiner körperlichen Organe oder einer meiner Geistesfähigkeiten zu machen.
Das Gehör war der erste Sinn, dessen Gebrauch ich wieder erlangte, und der erste Ton, welchen ich erkannte, war der eines leichten, behutsamen Trittes, welcher sich geheimnißvoll näherte, stehen blieb und sich dann leise wieder aus dem Zimmer entfernte. Dieses leichte Geräusch zu hören, war meine erste Freude. Ich erwartete, daß es sich wiederholen würde, und in diesem Warten lag mein erstes Glück, seitdem ich krank gewesen war.
Ein Mal näherte sich dieser leichte Tritt, machte einen Augenblick lang Halt, schien sich wieder zu entfernen und näherte sich dann abermals. Ich hörte einen schwachen, aber deutlichen Seufzer – ein Murmeln, welches ich mir nicht erklären konnte, drang bis zu meinem Ohre, dann ward Alles wieder still. Ich wartete – aber in welcher wonnigen Ruhe – wieder, daß dieses Murmeln sich wiederholen sollte, und nahm mir vor, besser darauf zu hören. Es dauerte auch nicht lange, so näherte sich der Schritt zum dritten Male, und dieselben Worte wurden gemurmelt. Ich hörte meinen Namen nennen – ein, zwei, drei Mal – auf sehr sanfte Weise und in bittendem Tone, als ob man um die Antwort bäte, welche meine Schwäche mich noch hinderte zu geben.
Diese Stimme aber erkannte ich nun – es war die Clara’s. Lange nachher, nachdem sie noch aufgehört hatte, sich hören zu lassen, hallte sie in meinem Ohre. Es war ein süßes Murmeln, welches mich bald sanft einschläferte wie ein Kind in der Wiege, bald einen Ton annahm, der mich zum Erwachen aufzufordern schien.
Es war mir, als wenn der Ton dieser schmeichelnden Stimme einen seltsamen Einfluß auf mein Wesen ausübte, welches davon ganz durchdrungen ward und so zu sagen wieder auflebte. – Es war derselbe Einfluß, den die Sonne mehrere Wochen später auf mich ausübte, als ich das erste Mal wieder ins Freie ging.
Das erste Geräusch, welches ich hierauf hörte, kam aus meinem Zimmer. Zuweilen hörte ich es ganz nahe an meinem Kopfkissen Es war der leiseste Ton, den man sich denken konnte, und bestand in Nichts als in dem weichen, eintönigen Rauschen eines Frauengewandes Und dennoch hörte ich darin unzählige Harmonien und entzückende Modulationen. Ich besaß nur erst die Kraft, die Augen auf eine Minute zu öffnen, und konnte sie noch nicht fest auf einen Gegenstand heften. Ich begriff jedoch, daß dieses Rauschen von Clara’s Gewande herrühre, und neue Gefühle erwachten in mir, als ich dieses Geräusch hörte, welches mir verkündeten, daß sie in dem Zimmer war.
Aus meinem Gesichte fühlte ich die weiche, warme Luft des Sommers. Der milde Duft der Blumen, welcher diese Luft sättigte, ergötzte mich, und ein Mal, als meine Thür einen Augenblick offen stehen geblieben war, schlug das Gezwitscher der Vögel in dem am Fuße der Treppe befindlichen Vogelhause ganz deutlich an mein Ohr und bereitete mir den herrlichsten Genuß.
Auf diese Weise kräftigten meine Fähigkeiten sich Stunde um Stunde und immer gemessen und allmählich von dem Augenblicke an, wo ich das Geräusch von Tritten und das leise Murmeln vor der Thür meines Zimmers zum ersten Male hörte.
Eines Abends erwachte ich aus einem langen, von jeder Vision freien Schlafe, und als ich Clara neben meinem Bette sitzen sah, nannte ich mit matter Stimme ihren Namen und bewegte meine abgemagerten Hände, um die ihrigen zu ergreifen.
In dem Augenblicke, wo ich ihr sanftes, Güte athmendes Gesicht sich über mich neigen sah, während ihre Augen aufmerksam auf die meinen geheftet waren, der letzte Schimmer der scheidenden Sonne auf mein Bett fiel und die Luft mild und weich zu dem geöffneten Fenster hereindrang; in diesem wonnigen Augenblicke, wo meine Schwester mich in ihre Arme schloß und mich ermahnte, aus Liebe zu ihr mich noch ruhig zu verhalten und mich zu gedulden, erwachte die Erinnerung an meinen Ruin und an die Schmach, welche mich überfluthet, in meinem Herzen.
Ich dachte an meine Liebe, welche eine Infamie geworden, und an die kurzen Hoffnungen eines Jahres, welches mir Nichts zurückließ als eine von der Verzweiflung zerstörte Existenz.
Der Schimmer des Abendrothes fiel in diesem Augenblicke auf mein Gesicht. Clara kniete neben mein Bett nieder und Hob ihr Tuch, um meine Augen vor diesem Lichtscheine zu schirmen.
»Gott hat Dich uns wiedergegeben, Sidney,« murmelte sie leise, »Um uns glücklicher zu machen als je.« –
Diese Worte öffneten die Schleusen des so lange in mich selbst verschlossenen Schmerzes. Heiße Thränen entströmten meinen Augen und ich weinte zum ersten Male nach jener Schreckensnacht, ich weinte in den Armen meiner Schwester in dieser stillen Abendstunde über den Verlust meiner Ehre, über das Scheitern meiner theuersten Hoffnungen und über das Entschwinden des Glückes, welches schon jetzt in meiner Jugend mir auf ewig entflohen war.
Neuntes Kapitel
Eine außerordentliche Mattigkeit und tiefe Melancholie verschleierte Das, was ich während der langen Tage meiner Wiedergenesung empfand. Nach dem ersten Ausbruck des Kummers an jenem Abende, an welchem ich meine Schwester wieder erkannt und ihren Namen gemurmelt, während sie neben mir saß, fühlte ich mich in einem Zustande, den ich mit Worten nicht beschreiben kann. Ich will nicht sagen, welche Erinnerungen an die Verbrecherin, durch welche ich verrathen und dem Unglücke geweiht worden, sich jetzt unaufhörlich und verrätherisch in mein Herz schlichen.
Die Körperkräfte kehrten allmählich zurück; aber meine moralische Energie deutete durch Nichts an, daß sie sich auch wieder emporzurichten gedachte.
Ueber die Ursache meiner langen Krankheit, über die seltsamen Worte, die mir in meinem Delirium entschlüpft waren, beobachtete mein Vater. ein so vollkommenes Schweigen und meine Schwester eine solche Zurückhaltung, daß mir dadurch auf zarte Weise zu verstehen gegeben ward, daß nun der Augenblick gekommen sei, wo ich meiner Familie das späte verhängnißvolle Geständniß meines Fehltritts zu machen hätte. Dennoch aber hatte ich nicht den Muth, zu sprechen, und nicht Entschlossenheit genug, um mich auf Alles gefaßt zu machen.
Die so schreckliche Vergangenheit verrammelte mir die Gegenwart eben so wie die Zukunft. Die Spannkraft meines Geistes schien erschlafft zu sein, und ich glaubte, meine Thätigkeit sei für immer erstorben.
Es gab Augenblicke – besonders in den ersten Morgenstunden, wenn ich, obschon wach, doch mich noch nicht vollständig ermuntern konnte – wo ich mir die Wirklichkeit des Unglücks, in welches ich versenkt worden, nur mit Mühe zu denken vermochte, wo es mir schien, als wenn während der Nacht meine Träume mir Scenen von Verbrechen und grausame Situationen vorgeführt hätten, in welche ich niemals wirklich versetzt gewesen.
Und in der That war Margarethens Verbrechen auch von der Art, daß man nur mit Mühe daran glauben konnte.
Ich hatte ihr alle Opfer gebracht, welche ein Mann bringen kann.
Ein ganzes Jahr lang hatte ich ihr unausgesetzt Beweise von meiner glühenden und aufrichtigen Liebe gegeben – ich hatte mich zu Allem verstanden. Wo sollte ich daher die Gründe finden, welche mir erklärten, weßhalb sie eine so treue Hingebung und Anhänglichkeit auf so nichtswürdige, verworfene Weise gelohnt? Worin bestand das Geheimniß jener furchtbaren Gewalt, welche Mannion, selbst wenn sie die verworfenste der Frauen war, über Margarethe Sherwin ausgeübt hatte, um sie zu diesem Verrathe an mir zu bewegen?
Mannion! – Eins der seltsamen Resultate der Geisteskrankheit, welche mich heimgesucht, war, daß ich mir seit den Tagen des Beginns meiner Genesung, und obschon meine Gedanken Margarethen nicht von Mannion trennten, mich doch nicht gefragt hatte, von welcher Art der Ausgang unseres Kampfes wohl für ihn gewesen sei. Nun sollte jedoch bald der Augenblick kommen, wo der Wunsch, mich nach dem, Schicksale Mannion’s zu erkundigen, mich mehr als jeder andere Gedanke beherrschen und meinem Geiste seine Wachsamkeit, meinem Herzen seine Mannhaftigkeit wiedergeben sollte.
Eines Abends saß ich allein in meinem Zimmer. Mein Vater war mit Clara ausgegangen, damit sie sich ein wenig Bewegung machen und freie Luft schöpfen möchte, und der Diener, welcher gewöhnlich bei mir war, hatte sich auf meinen ausdrücklichen Wunsch ebenfalls entfernt. In dieser Stunde der Ruhe und Einsamkeit und während das Abend dunkel hereinbrach und ich am Fenster saß und das Scheiden des Tages beobachtete, erwachte jener Gedanke plötzlich in meinem Herzen, und ich fragte mich:
»Ist Mannion todt oder lebendig von den Steinen aufgehoben worden, auf welche ich ihn nieder geschleudert hatte?«
Unwillkürlich sprang ich mit einem Grade der Kraft, welcher mir bei guter Gesundheit eigen war, auf die Füße. Ich wiederholte diese Frage mir immer wieder – ich murmelte sie leise vor mich hin – ich fühlte, daß mein Leben noch kein ganz zweckloses war – daß ich noch Absichten zu verwirklichen und Pläne auszuführen hatte. Wie konnte ich den Zweifel, der über eine so ernste Thatsache in meinem Gemüthe erwacht war sofort aufhellen?
Einen Augenblick lang versank ich in Berechnung aller Arten von Wahrscheinlichkeiten, und kurz nachher ging ich in die Bibliothek hinunter.
Hier wurden die Nummern einer täglich erscheinenden Zeitung, nachdem mein Vater sie gelesen, aufbewahrt. Wenn ich dieselben nachlas, so konnte ich die verhängnißvolle Frage vielleicht in wenigen Minuten entscheiden. Meine Unruhe und Ungeduld war so groß, daß ich kaum die Blätter umwenden und deutlich die Buchstaben lesen konnte, indem ich die Nummer von dem Tage suchte, an welchem ich Margarethen hatte laut als mein Weib anerkennen sollen.
Endlich fand ich die gesuchte Nummer; aber die mit sehr kleiner Schrift gedruckten Colonnen tanzten vor einen Augen. Ich ergriff ein nicht weit von mir stehendes Glas Wasser, tauchte mein Taschentuch hinein und erfrischte mir die brennend heißen Augen. Von der Entdeckung, die, ich im Begriffe stand zu machen, hing das Schicksal meines künftigen Lebens ab.
Ich verschloß sorgfältig die Thür, um von Niemandem gestört zu werden, kehrte dann zu meiner Aufgabe zurück und suchte weiter. Langsam fuhr ich mit meinen Fingern auf allen Seiten des Blattes Colonne für Colonne und Artikel für Artikel herab.
Als ich beinahe bis an den Fuß der letzten Seite gekommen war, las ich Folgendes:
»Räthselhafter Vorfall.«
»Heute Morgen Ein Uhr hat der im ***Square Dienst habende Polizeimann mitten auf der öffentlichen Fahrstraße einen Mann, der einer distinguirten Klasse der Gesellschaft anzugehören scheint, mit dem Gesichte auf dem Boden liegend gefunden. Allem Anscheine nach hatte der Unglückliche das Leben verloren. Er war auf einen Theil der seit kurzer Zeit macadamisirten Straße gefallen und hatte sich, wie man uns versichert, durch das Aufschlagen auf den frisch aufgefahrenen spitzen Granit das Gesicht fürchterlich verstümmelt. Der Polizeimann hat ihn sofort in das Hospital *** bringen lassen, wo man ihm sofortige Pflege angedeihen ließ und bemerkte, daß er noch athmete. Man versichert uns, daß der Wundarzt es als unbedingt unmöglich betrachtet, daß ein einfacher Fall so schwere Verletzungen habe herbeiführen können, wenn er nicht vielleicht durch den Zusammenstoß mit einem mit voller Schnelligkeit fahrenden Wagen oder durch eine von einem Unbekannten ausgeübte Gewalt veranlaßt worden wäre. Wenn jedoch dies Letztere stattgefunden hat, so ist die Absicht, zu stehlen, nicht der Beweggrund dazu gewesen, denn die Uhr dieses Unglücklichen, seine Börse, ja sogar seine Ringe, haben sich noch bei ihm vorgefunden. Dagegen fand man in seinen Taschen weder eine Visitenkarte noch Briefe irgend welcher Art, und seine Wäsche war bloß mit einem M. gezeichnet. Er trug ein durchgängig schwarzes Abendgesellschaftscostüm. Nach Dem, was man über die Art und Weise sagt, auf welche sein Sturz ihn entstellt hat, kann man bis jetzt kein besonderes Zeichen der Wiedererkennung verlangen. Wir erwarten mit Spannung die Aufschlüsse, welche uns erlauben werden, etwas Näheres über diese räthselhafte Angelegenheit zu erfahren, sobald der Verwundetes im Stande sein wird, sich selbst zu erklären. Der letzte Umstand, den unser Nachrichtgeber im Stande gewesen ist, in dem Hospitale zu erfahren, ist der, daß der Chirurg das Lebens des Patienten zu retten und ihm ein Auge zu erhalten hoffe – das andere ist dagegen rettungslos verloren.«
Ein Abscheu vor mir selbst, durch Gefühle herbeigeführt, die ich damals eben so wenig analysiren konnte als jetzt, bemächtigte sich meiner beim Lesen des soeben mitgetheilten Artikels Ich beeilte mich mit fieberhafter Ungeduld, die nächstfolgende Nummer durchzublättern, fand aber in dieser Nichts, was auf den Gegenstand meiner Nachforschung Bezug gehabt hätte.
In der zweitfolgenden jedoch kam man mit folgenden Worten darauf wieder zurück:
»Das Geheimnis welches den traurigen Vorfall von *** Square umgiebt, wird immer dichter. Der Verwundete ist wieder zur Besinnung gekommen. Er ist vollkommen im Stande, Alles, was man zu ihm sagt, zu hören und zu verstehen. Er vermag sogar zu sprechen, obschon sehr schwach und nur ganz kurze Zeit. Die Inspectoren des Hospitals hofften, eben so wie wir, daß der Unglückliche sobald er wieder zur Besinnung käme, einige Erklärungen über die Art und Weise geben würde, auf welche der furchtbare Unfall, der ihn in einen solchen Zustand versetzt hat, herbeigeführt worden ist. Zum großen Erstaunen Aller aber weigert der Kranke sich hartnäckig, irgend eine der Fragen zu beantworten, die man an ihn über die Umstände gethan hat, durch welche sein Leben auf diese Weise in Gefahr gekommen ist. Es scheint vollkommen vergeblich zu sein, ihn bestimmen zu wollen, auf vernünftige Weise das Schweigen zu erklären, hinter welches er sich verschanzt. Er scheint ein Mann von ungewöhnlicher Festigkeit des Charakters zu sein, und augenscheinlich liegt in diesem systematischen Widerstande gegen alle an ihn gerichteten Aufforderungen etwas Anderes als augenblicklicher Eigensinn. Man möchte daraus fast den Schluß ziehen, daß das ganze unglückliche Ereigniß das Werk persönlicher Rache sei, nur daß der Verwundete den Urheber derselben nicht der Entrüstung des Publikums Preisgeben wolle – aber aus welchem Grunde? Dies weiß man nicht. Wir hören, daß Alle, welche Zutritt zu dem Verwundeten haben, über die Standhaftigkeit erstaunen, mit der er seine schweren Leiden erträgt. Der Schmerz vermag ihm weder ein Wort noch einen Seufzer auszupressen. Er hat keine Miene gezuckt, als der Arzt ihm mittheilte, daß eins seiner Augen hoffnungslos verloren sei, und auf die Andeutung, daß das andere ihm erhalten werden würde, hat er verlangt, daß man ihm, sobald er sich desselben wieder bedienen könne, Schreibmaterialien bringe. Er hat hinzugefügt, daß er in der Lage sei, das Hospital für die ihm geschenkte Pflege durch ein angemessenes Geschenk, sobald er wiederhergestellt sein würde, zu entschädigen. Seine unerschrockene Kaltblütigkeit unter grausamen Leiden, welche die Mehrzahl anderer Menschen der Fähigkeit des Denkens oder des Sprechens berauben würden, ist eben so bemerkenswerth als sein unbeugsamer Entschluß, das Geheimniß zu wahren, ein Geheimniß welches wir, wenigstens für den Augenblick, nicht hoffen können zu durchdringen.«
Ich legte das Journal wieder an seinen Ort.
Eine unbestimmte Ahnung Dessen, was diese unerklärliche Zurückhaltung Mannion's für mich bedeutete, durchzuckte mich.
Nach meiner eigenen Erfahrung die teuflische Schlauheit und geduldige Verstellung beurtheilend, welche in diesem verruchten Herzen wohnte, betrachtete ich es, nachdem ich diese Artikel gelesen, als gewiß, daß ich in Zukunft noch mehr Gefahren und Hindernissen zu trotzen haben würde als in der Vergangenheit. Die größten Gefahren harrten meiner auf dem Boden des Abgrundes, in welchen ich gestürzt war.
So wie diese Ueberzeugung mich durchdrang, fühlte ich die entnervende Erinnerung an die Liebe, welcher ich mich geopfert, schwächer werden. Die bitteren Thränen, welche ich« während so vieler vergangener Tage im Stillen vergossen, versiegten Mit dem Gefühle des bevorstehenden Kampfes fühlte ich die Kraft des Duldens und des Widerstandes wieder in mir erwachen.
Als ich die Bibliothek verließ, ging ich wieder in mein Zimmer hinauf. Ehe ich mir weitere Auskunft im Bezug auf Mannion verschaffte, wünschte ich Etwas über seine Mitschuldige zu erfahren, über das Weib, welches vor den Menschen noch das Recht hatte, sich meine Gattin zu nennen.
Mehrere während meiner Krankheit eingegangene Briefe waren in einen auf dem Tische stehenden Korb geworfen worden.
Ich hatte sie noch nicht geöffnet. Bis jetzt hatte mir der Muth gefehlt, sie zu lesen, oder vielmehr, ich hatte mich nicht darum gekümmert. ich zu dieser Aufgabe bereit.
Indem ich die Adressen der Briefe durchsah bemerkte ich darunter zwei, die mir vielleicht Aufschlüsse geben konnten. Ich erkannte nämlich Mr. Sherwin’s Handschrift.
Der erste, den ich öffnete, war vor ungefähr einem Monate geschrieben und enthielt Folgendes:
»Nordvilla, Hollyoake Square.
»Geehrter Herr!
»Nur ein Vater, und zwar ein sein Kind zärtlich liebender Vater, kann sich einen Begriff von dem Gefühlen des bittern Kummers machen, welcher mich erfüllt, indem ich von dem fluchwürdigen Verbrechen spreche, welches jener Heuchler, der verworfene Mannion, an uns begangen. Sie werden sehen, daß meine unschuldige und unglückliche Tochter eben so wie ich und wie Sie das Opfer des teuflischsten Betruges gewesen ist, durch welchen man jemals achtbare, harmlose Leute zu hintergehen versucht hat. Ich überlasse Ihnen, sich selbst vorzustellen, was ich empfand, als in jener verhängnißvollen Nacht meine geliebte Tochter, anstatt ruhig wie gewöhnlich nach Hause zurückzukommen, plötzlich in einem an Wahnsinn grenzenden Zustande ins Zimmer gestürzt kam, um mir die entsetzlichste Mittheilung zu machen, welche jemals dem Ohre eines Vaters beschieden gewesen ist Dieser nichtswürdige Mannion hat, ihre Unschuld und ihr Vertrauen – ich kann sagen, unser Aller Unschuld und unser Aller Vertrauen – benutzend, meine Tochter, die nichts Arges ahnte, in eine Spelunke gelockt, und hier, während sie sich in seiner Gewalt befand, die Unverschämtheit gehabt, ihr die verworfensten Anträge zu machen. Meine Margarethe hat einen tugendhaften Muth gezeigt, wie man ihn von ihrem Alter kaum erwarten sollte. Sie ist dem Nichtswürdigen mit einer Entrüstung und Kühnheit entgegengetreten, vor der er zurückbeben mußte, und die das natürliche Resultat der frommen und streng moralischen Grundsätze ist, welche ich ihr von ihrer Kindheit an eingeprägt habe. Brauche ich noch zu sagen, wie die Sache endete? Die Tugend siegte, wie sie stets siegt. Der feige Verbrecher suchte das Weite und überließ meine Tochter sich selbst. In dem Augenblicke, wo sie sich der Schwelle der Thür näherte, um die Flucht zu ergreifen und sich in die Arme ihrer Eltern zu««werfen, ist sie, wie sie sagt, in Folge eines höchst merkwürdigen Zufalls Ihnen begegnet. In Ihrer Eigenschaft als Mann von Welt begreifen Sie leicht, wie groß unter so unerwarteten und fürchterlichen Umständen die Bestürzung einer jungen Frau sein mußte. Ueberdies zeigten Sie, wie es scheint, eine so abschreckende und außerordentliche Miene, und meine arme Margarethe fühlte so lebhaft, wie sehr der trügerische Anschein gegen sie war, daß der Muth ihr entsank und sie, wie ich schon gesagt habe, die Flucht ergriff, um sich in die Arme ihrer-Eltern« zu werfen. Sie besitzt noch die ganze Reinheit und Unschuld eines Kindes, und hat bei diesem beklagenswerthen Vorfalle auch wie ein solches gehandelt. Sie hat sich von dieser Erschütterung noch nicht wieder erholt. Der gereizte Zustand ihrer Nerven herrscht noch auf sehr beunruhigende Weise vor. Sie fürchtet, daß Sie nur zu geneigt sein werden dem Scheine zu glauben; aber ich kenne Sie besser. Ihre Erklärung wird Ihnen genügen, eben so wie sie mir genügt hat. Wir können in unserer Anschauungsweise hinsichtlich gewisser Einzelheiten aus einander gehen; aber in der Hauptsache sind wir Beide von einem und demselben Vertrauen beseelt – Sie auf Ihre Gattin und ich auf meine Tochter.
»Ich bin in dem Hause Ihres würdigen Vaters gewesen, um mit Ihnen mich vollständiger auszusprechen als es auf dem Papiere geschehen kann. Es geschah dies gleich an dem Morgen nach jenem für uns Alle so betrübenden Abenteuer. Man sagte mir aber, daß Sie sehr krank seien, und ich bitte Sie, sich in dieser Beziehung meines aufrichtigen Bedauerns versichert zu halten. Das Erste, woran ich sodann dachte. war, an Ihren geachteten Vater zu schreiben und ihn um eine Unterredung unter vier Augen zu bitten. Ich überlegte mir jedoch die Sache reiflicher und dachte, es gezieme mir vielleicht nicht, einen solchen Schritt auf mich allein zu nehmen, so lange Sie noch das Bett hüten müßten und nicht im Stande – wären, mit Ihrer Erklärung voranzugehen oder mich dann bei der meinigen zu unterstützen. Es war in der That möglich, daß, wenn ich als einfacher Fremdling unser kleines Geheimniß hinsichtlich Ihrer Vermählung offenbarte, dadurch eine für beide Seiten peinliche Uneinigkeit herbeigeführt worden wäre, auf welche man später wieder hätte zurückkommen müssen, besonders nach Dem, was Sie mir bei mehreren Gelegenheiten über die Ansichten und Gesinnungen Ihres geehrten Vaters mitgetheilt haben. Sie werden dem nach begreifen, daß ich Bedenken trug, Etwas zu unternehmen, was gegen Ihr Interesse oder gegen das Interesse meiner lieben Tochter gewesen wäre, um so mehr, als ich wußte, daß ich das Certificat über die rechtmäßig vollzogene Vermählung in der Tasche habe und es im Nothfalle als Beweis produzieren kann, wenn ich vielleicht aufs Aeußerste getrieben und genöthigt werden sollte, in dieser Angelegenheit auf eigne Faust zu handeln. Jedoch, wie ich schon gesagt habe, ich hege zu der Biederheit Ihrer Gesinnungen das väterlichste und freundschaftlichste Vertrauen, und weiß, daß Sie von der vollkommenen Unschuld meiner lieben Tochter eben so fest überzeugt sind als ich. Aus diesem Grunde werde ich über diesen Gegenstand Nichts weiter sagen.
»Da ich auf alle Fälle entschlossen bin, Ihre vollständige Wiederherstellung abzuwarten, so behalte ich meine liebe Tochter Margarethe zu Hause, wo sie ganz eingezogen lebt, bis Sie die Güte haben werden, uns zu besuchen und sie in Gegenwart ihrer Familie und der Ihrigen als Ihre Gattin anzuerkennen. Ich habe nicht verfehlt, mich beinahe alle Tage, bis zu dem Augenblicke, wo ich Ihnen schreibe, nach Ihrem Befinden erkundigen zu lassen und werde damit fortfahren bis zu Ihrer Wiederherstellung welche, hoffe ich, nicht lange mehr auf sich warten lassen wird. Sobald Sie daher im Stande sein werden, meine Tochrer und mich wiederzusehen, werden Sie die Güte haben, uns zu unsrer ersten Zusammenkunft irgend einen Ort zu bestimmen, denn in der Nordvilla kann sie unglücklicher Weise nicht stattfinden. Meine Frau, deren fortwährende Kränklichkeit uns schon seit mehreren Jahren Nichts als Unruhe und Beschwerde gemacht, hat nämlich in Folge jenes verhängnisvollen nächtlichen Auftrittes den Verstand ganz verloren und spricht sich über die Nichtswürdigkeit Mannion’s und über die muthige Weise, auf welche Margarethe ihm entronnen ist, in Worten aus, welche das Gefühl eines jeden verständigen Menschen verletzen müssen. Sie wäre daher auch im Stande, uns bei unsrer Unterredung ans höchst störende Weise zu unterbrechen, und ich ersuche Sie daher, unsre erste Zusammenkunft nicht in meinem Hause stattfinden zu lassen.
»Ich hoffe, daß dieser Brief jede unangenehme Idee aus Ihrem Gemüthe verbannen wird, und indem ich baldige Nachricht von Ihrer vollständigen Genesung zu erhalten hoffe, verbleibe ich Ihr gehorsamer Diener
»Stephen Sherwin.«
»N. S. – Ich bin noch nicht im Staude gewesen, zu erfahren, wohin dieser Schurke von Mannion geflohen ist. Mögen Sie dies nun aber eher als ich erfahren oder nicht, so muß ich Ihnen sagen, um Ihnen zu beweisen, daß meine Entrüstung gegen seine Nichtswürdigkeit eben so groß ist als die Ihrige, daß ich bereit bin, ihn mit der ganzen Strenge des Gesetzes zu verfolgen, wenn nämlich das Gesetz ihn erreichen kann, indem ich mir vorbehalte, aus meiner Tasche alle Kosten zu bezahlen, welche vielleicht aufgewendet werden müssen, um ihn zu züchtigen und für sein ganzes noch übriges Leben unschädlich zu machen.«
Troß der Eile, mit der ich dieses fade, widerliche Schreiben durchlief, entdeckte ich jedoch sofort, welche neue Machination angezettelt worden, um mich in meinem Irrthume zu erhalten und um mit derselben Frechheit gegen mich Unrecht auf Unrecht zu häufen.
Margarethe wußte nicht, daß ich ihr in das Innere des Hauses gefolgt war, daß ich von ihrer Stimme und von der Mannion’s Alles gehört. Sie glaubte, daß ich nicht wüßte, was vor dem Augenblicke, wo ich ihr an der Hausthür begegnete, geschehen sei, und in dieser Ueberzeugung hatte sie die erbärmliche Lüge erfunden, welche ihr Vater mit seiner Hand aus das Papier übertragen.
War er wirklich von seiner Tochter getäuscht worden oder war er nicht vielmehr ihr Mitschuldiger? Diese Frage verdiente indessen nicht, daß ich mich damit beschäftigte. – Die schwärzeste und traurigste Entdeckung, die ich machen konnte, hatte sich bereits herausgestellt – Margarethe war eine Heuchlerin und Verrätherin durch und durch.
Und dies war das Wesen, welches mir gleich bei der ersten raschen Bewegung erschienen war wie der Stern, auf welchen ich mein ganzes Leben lang meine Blicke heften müßte; um dieses Weibes willen hatte ich meiner Familie gegenüber mich ein ein Trugsystem verwickelt, an welches ich jetzt nicht denken durfte, ohne mich vor mir selbst zu entsetzen! Um dieses Weibes willen hatte ich allen Folgen des Zornes meines Vaters getrotzt und mich muthwillig dem Verluste aller Vortheile ausgesetzt, welche Geburt und Vermögen mir bieten konnten!
Wenn ich dies überlegte, gährte der Zorn in mir und Verzweiflung nagte an meinem Herzen. Warum war ich wieder aufgestanden von dem Bette, auf welches jene schwere Krankheit mich geworfen? Besser, weit besser für mich wäre es gewesen, wenn ich gestorben wäre.
Da aber das Leben mir noch lieb war, so brachte es auch seine Prüfungen und Kämpfe mit sich, vor welchen zurückzuweichen nicht bloß vergeblich, sondern auch verbrecherisch gewesen wäre.
Es blieb mir demzufolge Nichts weiter übrig, als auch noch von Mr. Sherwins zweitem Briefe Kenntniß zu nehmen. Ich mußte seine ganze Bosheit kennen lernen, um sie vollständig besiegen zu können.
Dieser zweite Brief war weit kürzer als der erste und allem Anscheine nach vor höchstens zwei oder drei— Tagen geschrieben. Der Ton, welchen Mr. Sherwin darin anschlug, war ein anderer. Er schmeichelte mir nicht mehr, sondern begann mir zu drohen.
Gestützt auf die Nachricht von meiner Genesung, welche mein Diener seit einigen Tagen gemeldet, fragte er mich, warum ich ihm bis jetzt noch nicht die mindeste Antwort hätte zu Theil werden lassen. Er deutete mir an, daß mein Schweigen völlig zu meinem Nachtheile gedeutet werden müsse, und wenn ich dabei beharrte, so würde er die gerechte Sache seiner Tochter laut und öffentlich zur Kenntniß, nicht bloß meines Vaters, sondern auch der ganzen Welt bringen.
Der Brief endete damit, daß mir insolenter Weise drei Tage Frist gegeben wurden.
Einen Augenblick lang vermochte ich meine Entrüstung nicht zu bemeistern. Ich erhob mich, um mich sofort nach der Nordvilla zu begeben und dort die Elenden zu entlarven, welche mit mir noch immer so leichtes Spiel zu haben glaubten wie in der Vergangenheit.
Noch ehe ich aber die Thür geöffnet hatte, besann ich mich. Ich bedachte, daß meine erste Pflicht, die größere Verbindlichkeit, die ich mir geschaffen, darin bestehe, sofort Alles meinem Vater zu bekennen. Ich mußte vor allen Dingen die Situation kennen lernen, in welcher ich künftig meiner Familie gegenüber stehen würde.
