Kitabı oku: «Die Heirath im Omnibus», sayfa 19
Zweites Kapitel
Mannion! Nicht einen einzigen Augenblick lang hatte ich vermuthet, daß der Brief, den man mir in der Nordvilla gezeigt, von ihm kommen könne. Und dennoch – die Vorsicht, mit welcher er abgegeben worden, die Person, an welche er adressiert war, das verdächtige Geheimniß, welches sich sogar in den Augen der Dienerin daran knüpfte – alles Dies führte deutlich auf die Entdeckung, die ich unbegreiflicher Weise nicht sofort gemacht. Umstände, die in meinem Gemüthe eine sofortige Ueberzeugung hätten herbeiführen sollen, hatten mir nicht einmal einen vorübergehenden Argwohn eingeflößt Ich hatte nicht vermuthet, daß ein Brief, welcher den schriftlichen Beweis ihres Verbrechens enthielt, vor meinen Augen abgegeben und dann an Margarethe Sherwin weiter befördert ward.
In welcher seltsamen Verblendung war ich doch befangen! Die Unruhe meines Gemüthes, die Lähmung aller meiner Geisteskräfte beantworteten diese Frage bald genug von selbst.
Robert Mannion! Ich konnte die Augen nicht abwenden von dieser Unterschrift, und dennoch hatte ich diese eng beschriebenen Blätter immer noch in der Hand und beeilte mich nicht, sie zu lesen.
Ein gewisser Grad von Entsetzen, welches mir die persönliche Nähe dieses Menschen eingeflößt haben würde, ward in mir schon durch den Anblick seines Briefes, seines an mich adressierten Briefes erzeugt. Es war mir, als würdigte. ich mich durch das Lesen desselben nicht weniger herab, als wenn ich den Schurken selbst gesehen und wieder ein Gespräch mit ihm angeknüpft hätte.
Sollte ich mich mit Dem beschäftigen, was er sagte, während die Worte der sterbenden Mistreß Sherwin noch so traurig und, feierlich in meinem Herzen widerhallten?
Was enthielt der Brief? Ich hatte mich allerdings durch mich selbst an diesem Menschen gerächt – er wollte sich nun auch rächen.
Vielleicht war in diesen Zeilen schon die düstere Zukunft angedeutet in welcher wir – dieser Mann und ich – uns einen Weg bahnen sollen.«
Und Margarethe, sollte er so viel Zeilen geschrieben haben, ohne von ihr zu sprechen, ohne einen Zipfel des Schleiers zu heben, hinter welchem sich die Beweggründe ihres Verbrechens verbargen? Von welcher Art also auch der Inhalt dieses Briefes sein mochte, so verlangte meine Pflicht eben so wie mein Interesse, ihn zu lesen.
Ich nahm den Brief mechanisch wieder auf und las ihn anfangs mit einem gewissen Grade von Abspannung, wie ein Mensch, der zu viel leidet, um noch mehr leiden zu können.
Plötzlich aber fühlte. Ich eine Bewegung. Es war, als wenn ein Blitz mich durchzuckte. Endlich hatte ich das Geheimniß Mannion’s und das meines Schicksals begriffen.
»Sie haben mir meine Geliebte geraubt,« sagte dieser Elende, »und Ihr Vater hat mir meine Ehre und das Leben meines Vaters geraubt. Durch Sie entstellt und beinahe getödtet, lebe ich nur noch, um Sie zu zwingen, den Rest Ihres Lebens in Schande und Schmach hinzubringen.«
Ihr Vater hat mir meine Ehre, die Ehre und das Leben meines Vaters geraubt.»
Ich erinnerte mich einer düsteren Geschichte, welche meine Kindheit erschreckt hatte, einer Geschichte von einem Edelmann den mein Vater protegirt und bei sich aufgenommen, der ruiniert und in Schulden gestürzt, und zuletzt, weil er mit allen seinen Hilfsquellen fertig war, die Unterschrift meines Vaters nachgemacht hatte, um sich Geld zu verschaffen. Das Falsum war entdeckt worden, mein Vater war unerbittlich gewesen, und die Strafe der Fälscher war damals der Strang. Der Edelmann ward gehängt, und Robert Mannion rächte sich an meinem Vater durch das Unglück seines Sohnes und durch die Beschimpfung seines Namens. Dieser Verstümmelte, dieser Sohn des Gehängten, dieser Geliebte des Weibes, welches ich geheirathet, ward durch alle Wuth und Verzweiflung der Seele gegen mich getrieben.
Der Brief schloß mit den Worten:
»Bald werden wir uns wieder begegnen.«
Dieses ganze Chaos von Schrecknissen, unter weichen ich von dem Morgen dieses Tages an lebte, machte mich so betäubt, daß ich keines klaren Blickes mehr fähig war. Ein zermalmendes Gewicht, ein namenloser Schmerz lasteten auf mir, aber ohne mir Kraft genug zu lassen, um mir Rechenschaft von mir selbst zu geben. Die Lethargie aller Geisteskräfte, in welche ich versenkt war, glich der Letharagie des Todes selbst.
Ich versuchte meine Gedanken aufzuklären und zu concentriren, indem ich an andere Dinge dachte, aber ohne Erfolg. Alles, was ich seitdem Morgen gehört und gesehen, schwebte mir nur auf immer verworrener Weise vor den Augen. Die letzten Worte meines Vaters, als ich ihn auf immer verlassen, mischten sich auf die widersinnigste Weise mit den gemeinen Worten Mr. Sherwin’s, mit denen, welche seine sterbende Gattin gesprochen, ja sogar mit gewissen Ausdrücken des Briefes Mannion’s, deren Erinnerung mein Gedächtniß unwillkürlich bewahrte.
Ich konnte keinen Plan fassen, weder für die Zukunft noch für die Gegenwart.
Ich wußte nicht mehr, wie ich der, letzten Drohung, die Mr. Sherwin gegen mich ausgesprochen, die Spitze bieten sollte, der Drohung, daß er mich zwingen werde, seine verbrecherische Tochter als mein Weib anzuerkennen und zu behalten. Eben so wenig wußte ich, wie es mir gelingen würde, mich gegen die Feindseligkeiten zu vertheidigen, mit welchen Mannion mir drohte.
Endlich ward ich mir der Verwirrung bewußt, die in meinen Gedanken herrschte – meiner gänzlichen Verlassenheit und der furchtbaren Nothwendigkeit, die mich zu sofortiger Thätigkeit zwang, eben so wie der Unfähigkeit in der ich mich befand, ihnen, was die Gegenwart betraf, mich entgegen zu stellen.
Alles Dies begann auf seltsame Weise meine Einbildungskraft zu afficiren. Ein Gefühl von Furcht und Bangigkeit, dessen Ursache ich nicht vollkommen erkannte, beschlich mich in geheimnißvoller, unwiderstehlicher Weise. Der Glanz des Tages erschien mir zu lebhaft, der Ort, an welchem ich mich befand, zu einsam; diese Vereinsamung berührte mich schmerzlich.
Ich empfand den sehnlichen Wunsch, mich wieder unter dem wimmelnden Treiben Londons zu sehen. Ich kehrte mit raschen Schritten nach der Vorstadt zurück, indem ich, ich weiß selbst nicht warum, alle abgelegenen Orte mied und instinctartig die geräuschvollsten Straßen aufsuchte, ohne irgend einen festen Entschluß zu haben.
Der Abend brach schon ein, als ich eine der Hauptstraßen der Stadt erreichte. Als ich einige Bewohner an ihren geöffneten Fenstern sitzen sah, um frische Luft zu schöpfen, fragte ich mich zum ersten Male an diesem Tage, wo ich diese Nacht mein Haupt zur Ruhe niederlegen würde Ich hatte keine Heimath mehr.
Allerdings fehlte es mir nicht an Freunden, welche mich gern bei sich aufgenommen hätten, aber hätte ich diese aufsuchen wollen, so hätte ich mich auch in die Nothwendigkeit versetzt gesehen, ihnen wenigstens zum Theil das Geheimniß meines Unglücks mitzutheilen, und dieses Geheimniß war ich entschlossen, streng zu bewahren, wie ich meinem Vater versprochen.
Mein einziger und letzter Trost war, daß ich den Willen, es lieber auf alle möglichen Gefahren ankommen zu lassen als diesem heiligen Versprechen untreu zu werden, stark und unerschütterlich in mir fühlte.
Ich dachte daher nicht weiter daran, einen meiner Freunde um Hilfe oder Sympathie anzugehen. Ich war wie ein Fremdling aus dem Hause meines Vaters verbannt worden und entschlossen, fern von meiner Familie zu leben, bis ich gelernt hätte, durch Energie und Ausdauer mein Unglück zu, besiegen.
Nachdem ich einmal diesen Entschluß gefaßt, ließ ich meine Augen umherschweifen, um das Obdach zu entdecken, für welches ich zum ersten Male fremde Menschen bezahlen; würde. Je bescheidener dieses Obdach war, desto mehr mußte es mir zusagen.
Zufällig,befand ich mich in diesem Augenblicke in der längsten Straße eines der ärmsten Stadttheile, wo die Häuser sehr wenig Etagen hatten und die Kaufläden einen erbärmlichen Anblick darboten. An solchen Orten ein zur Vermiethung stehendes Zimmer zu finden, war nicht schwer. Ich nahm das erste, was ich sah, umging die Fragen nach meinem Namen und Stande, indem ich meine Miethe auf eine Woche vorausbezahlte, und trat hierauf in den Besitz des einzigen kleinen Zimmers welches ich mich entschloß, für die Zukunft, vielleicht auf lange Zeit, als meine Heimath zu betrachten.
Als meine Heimath! Eine theure, schmerzliche Erinnerung erwachte bei den Gedanken, welche dieses einfache Wort in mir erregte. Durch meine unruhigen, verworrenen Gedanken hindurch, durch meine düstersten Ahnungen des Unglücks, welches die Zukunft mir noch bringen mußte, der verborgenen Gefahren, die meiner harrten, durch die schwarze Nacht hindurch, welche sich vor meinem Geiste immer dichter und dichter herabsenkte, fiel jetzt zum ersten Male ein reiner Lichtstrahl, die Vorbedeutung des Morgens, das heitere, sanfte Licht des Antlitzes, auf welchem mein letzter Blick geweilt, als es bewußtlos in den Armen meines Vaters ruhete.
Clara! Das Lebewohl, welches ich ihr zugeflüstert, als ich ihre weichen Arme, die mich für immer an den häuslichen Herd fesseln zu wollen schienen, von meinem Halse losmachte, dieses Lebewohl, sage ich, enthielt ein Versprechen, welches ich noch nicht erfüllt.
Eine furchtbare Qual bereitete mir der Gedanke an die Unruhe, deren Beute meine Schwester nothwendig sein mußte. Da sie nicht wußte, nach welcher Richtung hin ich, als ich das Haus verlassen, meine Schritte gelenkt, so dachte sie ohne Zweifel auch an die Extreme, zu welchen die Verzweiflung mich treiben konnte. War sie wohl überzeugt, mich jemals wieder zu sehen.
Vor allen Dinge mußte ich daher mein Versprechen halten, ihr zu schreiben.
Mein Brief war sehr kurz? Ich gab ihr die Adresse meiner gegenwärtigen Wohnung, denn ich war überzeugt, daß nur eine positive Mittheilung in dieser Beziehung ihre Unruhe beschwichtigen könne. Ich bat sie, mir zu antworten und mir, wo möglich, über sich die besten Nachrichten zu geben, die ich wünschen konnte. Ich bat sie ferner, uneingeschränktes und volles Vertrauen zu meiner Geduld und zu meinem Muthe unter allen Drangsalen und Prüfungen zu haben, und überzeugt zu sein, daß ich, was auch geschehen möchte, die Hoffnung, sie bald wiederzusehen, niemals aufgeben würde. Von den Gefahren, die sich im Dunkel vorbereiteten, von dem Unglücke, welches noch über mich hereinbrechen konnte, sprach ich kein Wort, denn ich hatte mir vorgenommen, ihr die entsetzliche Wirklichkeit meiner Situation so lange als möglich zu verbergen. Sie hatte für mich und um meinetwillen schon so Viel gelitten, daß ich nicht, ohne zu schaudern, daran denken konnte.
Ich sendete meinen Brief durch einen Commissionär ab, um überzeugt zu sein, daß er sofort abgegeben würde. Indem ich diese einfachen Zeilen schrieb, war ich weit entfernt, die wichtigen Resultate zu ahnen, welche sie bestimmt waren hervorzubringen. Indem ich an den folgenden Tag und an alle Ereignisse dachte, welche dieser herbeiführen sollte, dachte ich doch nicht an die Ueberraschung, welche mir für diesen selben Morgen vorbehalten«war, und während dieser Nacht, die nur eine lange Schlaflosigkeit war, ließ ich mir nicht träumen, welche Stimme mir guten Morgen wünschen und welche Hand mit dem Gefühle der ächten Theilnahme und Freundschaft die meine drücken, würde.
Drittes Kapitel
Es war nach sehr früh, als ich den Klopfer an der Hausthür und die Stimme der Wirtin vernahm, welche ihre Dienerin rief.
»Führe den Herrn zu dem Herrn, der gestern Abend eingezogen ist.«
Als ich diese Worte hörte, fiel mir zuerst der Brief von gestern ein. Hatte man mein Asyl entdeckt?
Während diese Vermuthung mich beschäftigte, öffnete sich die Thür und der Besucher trat ein.
Ich sah ihn an und verstummte vor Erstaunen. Es war mein ältester Bruder – es war Ralph selbst, der in mein Zimmer trat!
»Nun, Sidney, wie geht Dir’s.?« fragte er noch in demselben cordialen, freimüthigen Tone, der ihm sonst eigen war.
»Ralph? Du in Englands? Du hier?«
»Gestern Abend bin ich aus Italien angelangt. Aber ich finde Dich ja schrecklich verändert, Sidney. Ich erkenne Dich kaum wieder.«
Ein plötzliche Aenderung gab sich in seinen Manieren kund, als er diese Worte sprach. Der wehmüthige, theilnehmende Blick, den er auf mich heftete ging mir durchs Herz. Ich dachte an die schöne Zeit, als wir noch Knaben waren, an die sorglose lärmende Vertraulichkeit, die Ralph mir gegenüber zeigte, an seine tollen Schüler- und Studentenstreiche an unsere ununterbrochene Einigkeit, weil seine Kraft und meine Schwäche, sein thätiger Charakter und mein passives Temperament so gut zusammenpaßten.
Ich bemerkte, daß er sich seit jener Zeit in der That wenig verändert hatte, und zum ersten Male überzeugte ich mich von der traurigen Veränderung, die dagegen mit mir vorgegangen war. Die ganze Schmach und der ganze Schmerz meiner Verbannung aus dem Vaterhause erwachten in mir bei dem Anblicke seiner vertrauten offenen Züge.
»Ich bot Alles auf, um keine Schwäche zu zeigen und um ihm freudig entgegenzukommen; aber es gelang mir doch nicht so, wie ich wünschte. Ich wendete das Gesicht ab, als ich ihm die Hand reichte; denn der alte Schülerinstinct, welcher mir rieth, den glücklichen Ralph, den unerschrockenen Ralph nicht sehen zu lassen, daß ich weinte, erwachte wieder in mir und beherrschte mich.
»Nun, Sidney was fehlt Dir? Muth gefaßt! Ich weiß, in welcher Schlinge Du Dich gefangen hast. Allerdings ist es eine schlimme Geschichte, aber deswegen rennt man sich nicht den Schädel ein. Verwünschte Geschichte! Clara hatte sehr Recht – sie hat immer Recht – als sie mich bat, sogleich zu Dir zu gehen. Ich habe ihr versprochen, Dich aus dieser schlimmen Patsche zu ziehen, und ich werde es thun. Setz Dich und höre mich an. Ich will mich auf Dein Bett setzen und mir eine Cigarre anzünden – dann können wir ganz behaglich mit einander plaudern.«
Während er seine Cigarre anzündete betrachtete ich ihn aufmerksamer als anfangs.
Obschon seine Manieren dieselben, geblieben waren, obschon sein Gesicht noch dieselbe Sorglosigkeit und den unerschütterlichen Leichtsinn seiner ersten Jugendjahre verrieth so entdeckte ich doch, daß unter gewissen andern Beziehungen sein Aeußeres sich ein wenig verändert hatte.
Seine Züge waren schärfer geworden; die Ausschweifungen hatten ihre Spuren deutlicher zu Tage treten lassen. Dabei war in seiner, Kleidung eine gewisse Nachlässigkeit zu bemerken, und er trug keine von jenen kostbaren Tändeleien mehr an sich, für welche er früher eine so große Vorliebe zeigte. Seitdem ich ihn zum letzten Male gesehen, schien er ganz die Manieren und die äußere Erscheinung eines Mannes von mittleren Jahren angenommen zu haben.
»Wohlan,« sagte er, »erst muß ich Dir von meiner Rückkehr erzählen. Du weißt, daß Madame ***« – damit meinte er seine frühere Geliebte – »den Wunsch hegte, England zu sehen, und ich war des Anstandes ebenfalls vollkommen überdrüssig. Demzufolge brachte ich sie mit nach London, und wir nahmen uns vor, uns in irgend einem stillen Hause von Brompton gemüthlich und behaglich einzurichten. Diese Frau ist mein Schutzengel. Du mußt sie kennen lernen. Von der Leidenschaft des Spiels hat sie mich vollkommen geheilt. Ich war aus dem besten Wege, in unrettbares Verderben zu rennen, als sie mich bei der Hand faßte und zurückriß. Dies Alles weißt Du aber ohne Zweifel schon. Gestern Nachmittag also sind wir hier in London angekommen. Abends ließ ich sie in ihrem Hotel und präsentierte mich im väterlichen Hause. Hier erfuhr ich sogleich, daß Du mich um meinen alten Ruf gebracht hast, das tollköpfige Subject der Familie zu sein. Du mußt das nicht übelnehmen, Sidney. Ich will Dich durchaus nicht verspotten – in dieser Absicht bin ich nicht gekommen. Du mußt nicht so sehr aus die Art und Weise achten, wie ich Etwas sage. Für mich hat es einmal nie etwas Ernsthaftes gegeben und wird es auch Nichts geben.«
Er schwieg, um die Asche von seiner Cigarre zu streichen und sich auf meinem Bette bequemer zu setzen. Dann fuhr er fort:
»Ich habe das Unglück gehabt, meinen Vater bei mehr als Einer Gelegenheit sehr ernstlich gegen mich ausgebracht zu sehen; aber niemals habe ich ihn so vollkommen ruhig und folglich so gefährlich und so erbittert gesehen, als gestern Abend während der Unterredung, die er mit mir über Dich pflog. Ich entsinne mich noch sehr wohl des Tones und der Miene, mit denen er mich anredete, als er mich dabei ertappte, wie ich gesammelte Käfer und Schmetterlinge zwischen die Blätter jenes Buches legte, in weichem er unsere Familie verherrlicht und, wie er glaubt, verewigt hat. Aber Dies war Nichts im Vergleiche zu der Stimmung, in welcher er sich jetzt befindet. Ich kann Dir es sagen, Sidney. Wenn ich an Das glaubte, was sentimentale Menschen ein gebrochenes Herz nennen, so würde ich beinahe fürchten, daß er selbst an diesem Uebel leide. Er denkt an weiter Nichts als an Deinen höllisch dummen Streich – wie zum Teufel hast Du nur auch so thörigt sein können, Deine Kleine zu heirathen? – und an Deine Verbannung aus der Familie, welche ziemlich lange dauern kann. Ich habe bemerkt, daß es jetzt durchaus nicht gerathen sein würde, nur ein Wort zu Deiner Entschuldigung zu wagen. deshalb bin ich ruhig auf meinem Stuhle sitzen geblieben und habe ihm zugehört, bis er mir zu verstehen gab, daß es Zeit sei, zu Bette zu gehen. Was ich in meiner Niedergeschlagenheit dann that, kannst Du Dir leicht denken. Ich mußte mir von dem Kellermeister ein großes Glas Cognac geben lassen, ehe ich hinaufging zu Clara. Bei dieser war es noch schlimmer als bei unserem Alten, denn sie hatte, eben Deinen Brief erhalten und lief damit wie wahnsinnig im Zimmer umher. Gieb mir einmal, die Schwefelhölzchen her – meine Cigarre ist ausgegangen. Manche Leute wissen das Sprechen und das Rauchen in ganz gleichen Quantitäten mit einander zu verschmelzen mir aber will dies nie gelingen.
»Du weißt eben so gut als ich,« fuhr er fort, nachdem er seine Cigarre wieder angezündet hatte, »daß Clara sich sehr in der Gewalt hat. Ich hatte ihr Temperament Stets für ein kaltes, Lymphatisches wie die Aerzte in ihrem Kauderwelsch sagen, gehalten; in dem Augenblicke aber, wo ich den Kopf durch die ein wenig geöffnete Thür hineinsteckte, fand ich, daß ich mich in dieser Beziehung geirrt hatte, wie in so vielen andern. Ich sage Dir, Sidney, ich erschrak förmlich über sie, weit mehr als über jene gelehrte Polin, die mir ihr Buch gegen die Ehe gewidmet hat und mir ein Dessertmesser an den Kopf warf, weil ich, während ich ein Mal allein bei ihr speiste, sie in einer sehr hitzigen Argumentation geschlagen hatte. Ich sage Dir, damals erschrak ich nicht halb so sehr als gestern Abend bei dem durchbohrenden Schrei, welchen Clara ausstieß, als sie mich sah, und bei dem Feuer ihrer Augen, während sie mit mir von Dir sprach. Ich habe kein Talent zur Schilderung und hasse – wahrscheinlich aus demselben Grunde – die Schilderungen, welche Andere mir machen. deshalb will ich Dir auch nicht Alles ausführlich erzählen, was sie that oder sagte. Es genüge Dir, zu wissen, daß sie mir das Versprechen abnahm, Dich vor allen Dingen gleich heute Morgen hier aufzusuchen und Dich aus Deiner schlimmen Lage zu befreien. Kurz, ich versprach ihr Alles, was sie wollte, Demgemäß siehst Du mich nun auch entschlossen, mich mit Deinen Angelegenheiten eher zu beschäftigen als, mit den, meinigen. Madame *** ist in ihrem Hotel und wahrscheinlich schon im Begriffe, Nervenanfälle zu bekommen, weil ich mit ihr nicht sofort auf die Jagd nach einer Wohnung gegangen bin, aber Clara geht Allem vor. Clara ist mein erster Gedanke. Man muß sich als guter Bruder zeigen, und nun, da Du ein wenig heiterer geworden zu sein scheinst, werde ich versuchen, Dir einige Erklärungen abzulocken und dann sehen, auf welche Weise ich Dir nützlich sein kann.«
»Ralph, Ralph, wie kannst Du in Einem Athem den Namen Clara's und den dieser Frau nennen? War Clara ruhiger, als Du sie verließest? befand sie sich wohler? Ins Himmels Namen, sei wenigstens hierin ernsthaft, wenn Du es auch in allen Andern Dingen nicht bist.«
»Na, nur gelassen, lieber Sidney! Sie war weit ruhiger geworden, als ich fortging. Mein Versprechen hatte die Wirkung, daß ihre Züge fast wieder ganz den gewohnten Ausdruck annahmen. Was den Umstand betrifft, daß ich Clara und Madame *** in einem und demselben Athem genannt, so kann ich Deine Bemerkung darüber nur belächeln. Verwünschte Cigarre – sie ist schon wieder ausgegangen! Ich muß eine andere versuchen. Gieb mir noch ein Mal die Schwefelhölzchen her. So! – Nun bin ich bereit, das Gespräch auf die ernsthafteste Weise von der Welt fortzusetzen und mir den Kopf zu zerbrechen, um zu ermitteln, was sich für meinen armen Sidney, diesen guten, unschuldigen Neuling in der Welt, thun läßt»
Er setzte sich wieder und qualmte einige Minuten lang, ohne zu sprechen Seine Augen hefteten wieder auf mich, und seine sorglose Miene, die jugendliche Leichtfertigkeit seiner Manieren verschwanden fast gänzlich.
Als er wieder anfing zu sprechen, glänzte das Feuer einer wirklichen Energie in seinen Augen, und der Ton, in dem er sprach, war fester und entschlossener.
»Jetzt, alter Kamerad,« hob er an, »glaube nicht, daß ich Dich langweilen will, wenn ich Dich bitte, die Schule, welche Du durchgemacht, von Anfang bis zu Ende zu erzählen. Dennoch aber muß ich überzeugt sein, daß Du Dich gegen mich ohne Rückhalt und vollkommen klar aussprichst, denn sonst könnte ich Dir von keinem Nutzen sein. Ueber gewisse Punkte hat unser Vater sich nur sehr dunkel ausgesprochen.
»Er sprach allerdings viel, ja zu viel von den Folgen, die es für die Familie hätte, von dem Kummer, der ihm dadurch bereitet worden, von seinem Entschlusse Dich nie wieder als seinen Sohn. anzuerkennen – kurz, er sprach von Allem, nur nicht von der Sache selbst. so wie sie aufzufassen ist. Das ist aber nun gerade das Nöthigste. Du wirst es, mir daher nicht übel nehmen, wenn ich Dir mit einigen Worten wiederhole, was gestern Abend gesagt ward, und wenn ich einige Fragen im Bezug auf Das an Dich stelle, was ich heute Morgen zu wissen wünsche, nicht wahr?«
»Fahre fort, Ralph. Sprich ganz, wie es Dir beliebt. Meine Leiden haben mich gegen Prüfungen aller Art bereits unempfindlich gemacht«
»Nun denn, so werde ich damit beginnen, daß ich gehört habe, wie Du Gefallen an einer hübschen Ladenmamsell gefunden hast. Wohlgemerkt, ich tadle Dich deswegen durchaus nicht, denn ich habe mir´selbst mit dergleichen Dämchen die Zeit oft auf sehr angenehme Weise vertrieben. Zweitens aber höre ich, daß Du das Mädchen auch wirklich geheirathet hast. Es ist nicht meine Absicht, Dir etwas Unangenehmes zu sagen, aber Das, was Du da gethan, ist ein unverantwortlich wahnsinniger Streich, von welchem man in ganz Bedlam nicht so leicht ein zweites Beispiel finden wird. Ueber diesen schlimmsten Punkt Deiner Angelegenheit war unser Vater nicht im Stande, sich ausführlich zu erklären, oder er wollte es vielleicht nicht thun. Du kennst ihn gut genug, um zu wissen, warum. Dennoch muß Jemand ausführlich hierüber mit mir sprechen, denn sonst kann ich Nichts in der Sache thun. Um also zunächst auf jenen Schurken zu kommen – hast Du ihn vielleicht erwischt? Sprich Dich frei aus, lieber Bruder. – Wenn Du ihn erwischt hast, so hoffe ich wenigstens, daß Du ihn auch nicht so leicht wieder losgelassen hast.«
Ich erzählte meinen Kampf mit Mannion und das Ende desselben.
Mein Bruder sprang mit einem Satze von meinem Bette in die Höhe und ergriff mich, während sein Gesicht vor Freude strahlte und seine Augen funkelten, bei beiden Händen.
»Laß mich Dir die Hand drücken wie ich sie Dir lange nicht gedrückt habe. Das macht alles Uebrige wieder gut! Das entschuldigt alle die dummen Streiche, die Du von dem Augenblicke an begangen, wo Du jenem Mädchen begegnetest. Aber wo ist der Bursche jetzt?«
»Im Spital.«
Ralph lachte aus vollem Halse und warf sich wieder auf das Bett nieder.
Ich dachte an den Brief welchen Mannion mir geschrieben, und schauderte bei dieser Erinnerung.
»Die zweite Person in Bezug auf welche ich Dich fragen muß, ist Deine Frau,« hob mein Bruder wieder an. »Was ist aus dieser geworden? Wo war sie während der ganzen Zeit Deiner Krankheit?«
»Bei ihrem Vater. Sie ist noch dort«
»Ah, ich errathe! Unschuldig – die alte Leier – das versieht sich. Und ihr Vater tritt ihr die Brücke, nicht wahr? Das ist keinem Zweifel unterworfen, und ebenfalls die alte Leier. Ich beginne die Sache zu durchschauen. Man droht uns mit einem Scandal, wenn Du sie nicht als Dein Weib anerkennst. Watte einen Augenblick. Hast Du, abgesehen von Deiner Ueberzeugung, einen augenscheinlichen Beweis gegen sie vorzubringen?«
»Ich habe einen sehr langen Brief von ihrem Mitschuldigen erhalten, welcher das Geständniß ihres doppelten Verbrechens enthält.«
Dieses Geständniß wird sie jedenfalls für etwas Abgekartetes erklären, und es könnte uns Nichts nützen, wenn wir nicht wagen wollen, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, und dies wollen wir nicht. Wir müssen die Sache um jeden Preis zu vertuschen suchen, oder mein Vater grämt sich darüber zu Tode. In diesem Falle zieht man den Beutel, wie ich schon vorausgesehen. Der Herr, Krämer und seine Tochter haben ein ziemlich großes Assortiment Stillschweigen zu verkaufen, und wir müssen ihnen die Elle um so und so Viel abhandeln. Bist Du noch nicht wieder in diesem Hause gewesen, Sidney, um Dich nach dem Preise zu erkundigen und den Handel abzuschließen?.
»Ich war gestern dort.«
»Ah, zum Teufel! Du warst dort? Und wen hast Du gesehen? Den Vater, wie? Und hast Du ihn zu einem Vergleiche bewogen? Hast Du das Geschäft mit ihm gemacht?«
»Er war grob und unverschämt, und gebärdete sich wie ein Besessener.«
»Um so besser! Mit solchen Leuten wird man am leichtesten fertig. Wenn Jemand gegen mich in Zorn geräth, sobald ich ihn antaste, so bin ich im Voraus meines Erfolges sicher. Aber wie war denn das Ende.«
»Das Ende entsprach dem Anfange. Er hat mir Viel gedroht und ich habe mir Viel gefallen lassen.«
»Na, wir werden sehen, ob er mit mir auch so wegkommt. Aber sage mir, Sidney, welche Summe hast Du ihm geboten?«
»Ich habe ihm kein Geldanerbieten gemacht. Meine Umstände sind von der Art, daß ich nicht daran denken kann, ihm eins zu machen. Ich hatte den Plan, noch heute in jenes Haus zurückzukehren und wenn man mit Geld ihn zum Schweigen bringen und meine Familie vor der Schande bewahren könnte, die mich ereilt hat, so wollte ich ihm Alles geben, was ich besitze – das kleine Kapital, welches mir von unserer Mutter hinterlassen worden.«
»Willst Du mir sagen, daß Deine Hilfsquellen einzig und allein in dieser Kleinigkeit bestehen und daß Du wirklich die Absicht hast, Dich ihrer zu entäußern, um dann keinen rothen Heller mehr in der Tasche zu haben? Willst Du mir sagen, daß unser Vater sich von Dir getrennt hat, ohne Deine Zukunft zu sichern? Nein, nein, sei gerecht gegen ihn. Er ist sehr hart gegen Dich gewesen, das gebe ich zu; aber es ist unmöglich, daß er Dich kaltblütig der Noth und dem Mangel preisgegeben habe.«
»Als wir uns trennten, bot er mir Geld; aber, er begleitete diesen Antrag mit so verächtlichen Worten und Beleidigungen, daß ich lieber gestorben wäre als seine Geschenke genommen hätte. Ich sagte ihm, daß ich ohne Unterstützung von ihm ihn und seine Familie vor den Folgen meines Unglücks bewahren wolle, selbst wenn ich zu diesem Zwecke mein Glück und meine eigene Ehre opfern müßte. Und dieses Opfer werde ich heute noch bringen. Er soll später einsehen, wie ungerecht er war, indem er an mir zweifelte. Obschon er mich nicht mehr als seinen Sohn anerkennt, so soll er doch sehen, was ich um seines guten Namens willen Alles zu ertragen weiß.«
»Du nimmst mir’s nicht übel, Sidney, aber dies ist eine eben so große Thorheit als Deine Heirath. Ich ehre die Unabhängigkeit Deiner Grundsätze, lieber Bruder; aber ich werde darüber wachen, daß Du Dich nicht ohne Noth ins Verderben stürzest. Höre mich also ruhig an. Erstens erinnere Dich, daß Alles, was Dein Vater gesagt.hat, in einem Augenblicke heftiger Aufwallung und Erbitterung gesprochen worden ist. Sein empfindlichster Stolz ist durch Dich mit Füßen getreten worden. Das läßt sich Niemand gern gefallen, und unser Vater weniger als irgend ein Anderer. Was zweitens diese Leute betrifft, so frage ich, was ist für sie das Wenige, welches Du besitzest? Sie wissen, daß unsere Familie reich ist, und werden demzufolge ihre Forderung stellen. Jedes andere Opfer, selbst das, welches Du dadurch brachtest, daß Du ihre Tochter wieder nähmst, – vorausgesetzt, daß Du Dich dazu hergäbest – wäre vollkommen überflüssig. Ohne Geld ist Nichts zu machen, und wir müssen förmlich unsere Bedingungen stellen. Nun aber bin ich gerade der rechte Mann, um eine solche Angelegenheit zu arrangieren, und ich habe auch das nöthige Geld, oder vielmehr mein Vater hat es, was auf eins hinausläuft Schreib’ mir daher den Namen und die Adresse Deines famosen Schwiegervaters auf – wir haben keine Zeit zu verlieren und ich werde sofort zu ihm gehen.«
»Ich kann mich nicht entschließen, Ralph, durch Dich meinem Vater Etwas abverlangen zu lassen, was ich nicht selbst von ihm habe verlangen wollen.«
»Gieb mir seinen Namen und seine Adresse, oder Du wirst mein vortreffliches Gemüte; so erbittern, daß Du mich nicht wiedererkennen sollst. Bei mir hilft Dir Deine Hartnäckigkeit Nichts, lieber Sidney, jetzt eben so wenig als früher auf der Schule. Ich werde das Geld meines Vaters für mich verlangen und es ganz so verwenden, wie ich es für Deine Interessen nothwendig erachte, Seht, wo ich wieder ein solider junger Mann geworden bin, würde er mir Alles geben, was ich verlange. Seitdem meine letzten Schulden bezahlt sind, habe ich nicht fünfzig Guineen wieder geborgt. Ich habe dies Madame *** zu danken, denn diese ist die sparsamste Frau von der Welt. Da ich gerade von ihr spreche, so will ich erwähnen, daß Du, wenn Du sie siehst, Dich nicht wundern mußt, zu finden, daß sie älter ist als ich. Ah, das ist also die Adresse, nicht wahr? »Hollyoake-Square?« Wo zum Teufel ist denn das? – Doch gleichviel, ich werde eine Droschke nehmen und dem Kutscher die Sorge überlassen, den Ort zu finden. Also fasse frischen Muth und warte, bis ich wiederkomme. Du wirst die Nachrichten nicht ahnen, die ich Dir von Mr. Sherwin und seiner Tochter mitbringe. Also auf Wiedersehen, lieber Sidney, auf Wiedersehen!«