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Kitabı oku: «Die Heirath im Omnibus», sayfa 3

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Ich besonders, ich, der ich das Verbrechen begangen, dieses reine Herz, welches mich liebte, mit den bittersten Schmerzen erfüllt zu haben, ich muß dies besser wissen als irgend Jemand.

Ich würde niemals fertig werden, wenn ich Alles auszählen wollte, was ich ihr verdanke.

So wie ich diese Zeilen schreibe und mich denen nähere, in welchen ich meine verhängnißvolle Geschichte erzählen muß, fühle ich mich immer mehr versucht, bei den besten und reinsten Erinnerungen zu verweilen, welche jetzt meinen Geist beschäftigen.

Die ersten kleinen Geschenk, welche sie mir heimlich zusteckte, als ich noch auf der Schule war, das Glück der ersten Tage unseres Wiedersehens, als ich meine Studien beendet hatte und in das väterliche Haus zurückkehrte, um mich nicht wieder von ihr zu trennen, jene ersten unschätzbaren Ermuthigungen, welche sie den ersten Erzeugnissen meiner Feder zollte, alle diese Erinnerungen und noch so viele andere erwachen in meinem Gedächtnisse und überfluthen mich, während ich schreibe.

Ich muß jedoch diese Memoiren mit Ruhe und systematisch abfassen. Ich muß mich überwachen, meine Urtheile mäßigen, nicht unterdrücken, was gesagt werden muß, aber mich auch nicht allzu ausführlich über irgend Etwas verbreiten.

Uebrigens wird meine Erzählung auch schon an und für sich Alles zeigen, was ich meiner Schwester zu« danken hatte.

Ich sollte aber nicht bloß Alles sagen, was ich meiner Schwester zu verdanken gehabt, sondern auch Alles, was ich ihr jetzt noch verdanke. Obschon ich nicht erwarten kann, sie jemals anders als im Geiste wiederzusehen, so umschwebt mich doch ihr wohlwollender Einfluß. Er folgt mir, stärkt mich und ermuthigt mich zur Hoffnung, als ob sie der Schutzengel der Hütte wäre, in welcher ich wohne.

Selbst in meinen furchtbarsten Augenblicken der Verzweiflung, wenn mein Glaube an Gott wankend wird, erinnere ich mich immer, daß Clara an mich denkt und sich für mich betrübt.

Diese Erinnerung ist für mich immer wie eine stützende Hand, die mir geboten wird. Sie hält mich, wenn ich strauchle– sie richtet mich auf, wenn ich falle. Sie kann mich noch sicher und sanft leiten bis an das Ende meiner mühevollen Pilgerfahrt

Sechstes Kapitel

Ich habe nun die vorläufige Skizze vollendet, die ich von dem Charakter meiner nächsten Verwandten entwerfen mußte. Ihr Portrait mußte nothwendig in diesen Blättern einen Platz finden, und ich kann nun unmittelbar auf den Gegenstand meiner Erzählung eingehen.

Der Leser denke sich, daß mein Vater und meine Schwester seit einigen Monaten ihr Haus in London bewohnen und daß ich mich ganz kürzlich ebenfalls bei ihnen eingefunden, nachdem ich das Vergnügen einer raschen Reise auf dem Continente genossen.

Mein Vater widmet sich ganz seinen parlamentarischen Arbeiten. Die Comitesitzungen nehmen seine Vormittage in Anspruch, die Debatten seine Abende Wenn er zufällig einen Tag frei hat, so bringt er ihn, mit seinen persönlichen Angelegenheiten beschäftigt, in seinem Cabinette zu. In Gesellschaft zeigt er sich sehr wenig. Ein Diner, zu welchem die Politik die Gäste vereinigt – oder eine wissenschaftliche Conferenz – dies sind die einzigen Zerstreuungen, die etwas Verlockendes für ihn haben.

Meine Schwester führt ein Leben, welches ihren einfachen Geschmacksrichtungen durchaus nicht entspricht. Sie wird von Bällen, Opernbesuch, Blumenausstellungen, mit Einem Worte, allen Vergnügungen, welche London bietet, aus ermüdende Weise in Anspruch genommen. Im Grunde ihres Herzens seufzt sie nach der Zeit, wo sie auf ihrem Pony über die grünen Wiesen galoppirt und unter die besten Schüler der Elementarschule des guten Pfarrers Kuchen und andere Geschenke austheilt.

Die junge Miß, ihre Gesellschafterin aber, welche sich auf Besuch bei ihr befindet, ist für die Feste und Soireen leidenschaftlich eingenommen. Mein Vater zählt auf seine Tochter, daß sie die Einladungen honorire, welche er für seine Person genöthigt ist, abzulehnen.

deshalb thut sie ihren eignen Neigungen und Geschmacksrichtungen Gewalt an. Sie opfert sich wie immer und entschließt sich, in die von, der schönen Welt angeführten, erstickend heißen Salons zu gehen, immer wieder dieselben mit ans Wunderbare grenzender Zungenfertigkeit ausgesprochenen Komplimente anzuhören, jeden Abend wie den vorherigen auf dieselben Höflichkeitsfragen zu antworten, bis sie, so geduldig sie auch ist, wünscht, daß alle ihre fashionablen Freunde in einem dem ihrigen entgegengesetzten Winkel des Erdballs, und so fern von ihr als möglich wohnen möchten.

Meine Rückkehr vom Continente entspricht ihren Wünschen, denn ihr Leben in London erhält dadurch eine neue Richtung, ein neues Ziel.

Ich habe angefangen, einen historischen Roman zu schreiben. Eigentlich und hauptsächlich habe ich es in der Absicht gethan, das Land zu studiren, in welches ich den Schauplatz des Romans verlege. Clara hat die ersten fünf oder sechs Kapitel meines Manuscripts gelesen und prophezeiht einen großen Erfolg für mein Werk, wenn ich es herausgeben werde. Sie selbst hat die Einrichtungen in meinem Arbeitscabinet getroffen, meine Bücher abgestäubt und meine Papiere geordnet.

Sie weiß, daß ich in Bezug auf meine geliebten Scharteken und« kostbaren Sammlungen schon ziemlich zornmüthig geworden bin, und daß die Dazwischenkunft eines Stubenmädchens oder Flederwisches mich eben so argwöhnisch und reizbar macht, als wenn ich ein Autor wäre, der schon seit zwanzig Jahren die Lesewelt in Entzücken setzt.

Sie ist entschlossen, mir jede Befürchtung in dieser Beziehung zu benehmen, indem sie es selbst übernimmt, in meinem Cabinet aufzuräumen, und sie behält den Schlüssel dazu bei sich, wenn ich desselben nicht bedarf.

Ihre Aufmerksamkeiten gehen noch weiter. Ueberall, wo ich in den Büchern sich auf meinen Gegenstand beziehende zu extrahirende Stellen eingezeichnet habe, öffnet sie selbst den Band und schreibt die Zeilen ab, deren ich bedarf, um mir meine ganze Zeit für die Kopfarbeit frei zu lassen.

Ich bitte sie, sich nicht so viel Mühe zu machen, aber sie antwortet mir lachend, daß sie entschlossen ist, mit mir zugleich der Nachwelt bekannt zu werden, daß sie nach der Ehre trachtet, der Secretär des berühmten Autors gewesen zu sein, wenn seine Biographie für die künftigen Generationen geschrieben werden wird.

Unsere Zeit theilt sich zwischen die Vergnügungen und die Beschäftigungen der Stadt.

Unsere Pferde verschaffen uns jedoch die angenehmsten Zerstreuungen.

Jeden Tag machen wir einen Spazierritt, – bald mit Freunden, bald allein.

In diesem letztern Falle schlagen wir meistentheils eine Richtung ein, welche der der Parks entgegengesetzt ist, und suchen ländliche Ansichten auf, so wie man sie eben in der Umgegend von London haben kann.

Die Straßen, welche nach Norden führen, sind unsre Lieblingsrichtungen. Zuweilen reiten wir so weit, daß wir uns gezwungen sehen, unsre Pferde vor einem kleinen Wirthshause zu erfrischen, welches mich an die Dorfschenken erinnert, die man in der Nähe unseres Landsitzes antrifft. Ich sehe hier dieselbe mit seinem Sand bestreute Diele des Gastzimmers, dieselben alten Jagdgemälde an der Wand, dieselben Tische und Stühle von dunklem Eichenholze, die ich in dem Wirthshause des Dorfes gesehen zu haben mich entsinne.

Clara findet auch an gewissen Leuten, welche auf den Schwellen ihrer Thüren stehen, das Ansehen der Leute bei uns, und gewisse Bäume kommen ihr vor, als wären sie ausdrücklich für sie aus unseren Parks hierher verpflanzt worden.

Diese Ausflüge halten wir geheim. Wenn mein Vater wüßte, daß seine Tochter frische Milch und sein Sohn altes Bier in dem gewöhnlichen Gastzimmer eines Wirthshauses an der Landstraße trinkt!

Von dieser Art war meine Lebensweise und von dieser Art die Regelmäßigkeit meiner Arbeiten und meiner Vergnügungen, als ein rein zufälliges Ereigniß meine Existenz über den Haufen warf und den Menschen, der ich damals war, in den verwandelte, der ich jetzt bin.

Es geschah dies auf folgende Weise.

Siebentes Kapitel

Ich hatte eben einen vierteljährigen Betrag des mir ausgesetzten Taschengeldes erhalten und war in die City gegangen, um die Anweisung darauf bei dem Bankier meines Vaters umzusetzen.

Nachdem ich mein Geld eingestrichen, überlegte ich einen Augenblick, auf welche Weise ich den Rückweg machen sollte.

Anfangs wollte ich zu Fuße gehen und dann eine Droschke nehmen.

Während ich über diesen ernsten Gegenstand nachdachte, fuhr ein Omnibus an mir in westlicher Richtung vorbei. Einem ganz mechanischen Impulse gehorchend, winkte ich dem Conducteur, Halt zu machen, und stieg ein.

Diese Bewegung war indessen nicht rein mechanisch, wie ich so eben sagte. Wenn ich auch zu jener Zeit noch in keiner andern Beziehung Anspruch auf den Namen eines Schriftstellers gehabt hätte, so besaß ich doch wenigstens einen natürlichen Hang, bei Andern die hervorspringenden Züge ihres Charakters zu entdecken, und – was die Folge davon ist – ich fand ein wirkliches Vergnügen darin, Charaktere von allen Arten überall zu studiren, wo der Zufall sie mir entgegenführte.

Schon früher war ich mehr als ein Mal in einen Omnibus gestiegen, um mir durch Beobachtung der Passagiere ein Vergnügen zu bereiten. Ein Omnibus ist mir immer vorgekommen wie ein ambulantes Ausstellezimmer, welches allen Excentricitäten der menschlichen Natur gewidmet ist.

Ich kenne kein anderes Terrain, auf welchem der Zufall mit größerer Bizarrerie in wenig Augenblicken Personen aus allen Klassen und von jedem Temperamente zusammenführt und gruppiert, und wo diese Annäherung die schneidendsten Gegensätze zur Folge hat.

Schon durch Beobachtung der Art und Weise, auf welche die verschiedenen Leute in das Fuhrwerk steigen und darin Platz nehmen, bekommt man einen Ueberblick über die mannigfachen Varietäten des menschlichen Charakters, der nicht weniger verschieden ist als das menschliche Gesicht.

In einem Omnibus zu fahren, ist für mich immer ein Vergnügen gewesen, welches ich mit dem vergleichen möchte, welches mir die erste Lectüre eines amüsanten Buches verursacht.

Ich stieg daher in diesen Omnibus und begann die Originale zu studiren, die sich darin fanden.

Es dauerte nicht lange, so machte der Omnibus abermals Halt, um zwei Damen einsteigen zu lassen.

Die, welche zuerst einstieg, war eine Person von reifem Alter, mit blassen, sanften Zügen und von augenscheinlich sehr schwächlicher Gesundheit.

Die zweite war ein junges Mädchen.

Kaum hatte sich dieses junge Mädchen mit ihrer Begleiterin auf die mir gegenüber befindliche Bank niedergesetzt, so fühlte ich ihre unmittelbare Einwirkung auf mich – eine Einwirkung, die ich nicht beschreiben kann – eine Einwirkung, wie ich in meinem Leben noch nie eine ähnliche empfunden und wie ich niemals wieder eine empfinden werde. Ich hatte den Arm ausgestreckt, um sie zu stützen, als sie an mir vorbeiging. Ich berührte ihre Hand nur einen Augenblick lang, aber wie lange dauerte das Gefühl dieser Berührung! Es war, als durchrieselte es meinen ganzen Körper, als ließe es alle meine Nerven erbeben und vervielfältigte sich mit den schnelleren Schlägen meines Herzens.

Es war, als wenn ich sie schon in einem früheren Leben gekannt hätte, als ob ich für sie, oder sie für mich gestorben wäre, nachdem wir in einer entschwundenen Welt mit einander gelebt, und als ob wir jetzt wieder erwachten und uns zu einem neuen Dasein auf einer neuen Erde wieder vereinigt sähen.

Jedoch, ich sage es nochmals, ich kann nur durch halb sinnlose Phrasen die geheimnisvolle Gewalt beschreiben, welche mich mit Leib und Seele in dem Augenblicke zu ihr hinzog wo sie vor meinen Augen erschien.

Uebte auch ich denselben Einfluß auf sie? Oder ging diese magnetische Strömung bloß von ihr zu mir, ohne wieder zu mir zurückzukehren? Ohne Zweifel mußte ich es bald erfahren – doch nein, dazu bedurfte es Zeit, viel Zeit.

Ihr Schleier war herabgezogen, als ich sie zum ersten Male sah. Ihre Züge, der Ausdruck ihres Gesichtz waren mir nicht deutlich sichtbar.

Ich erkannte bloß, daß sie jung und schön war; wenn ich mir aber außerdem auch viel dachte, so sah ich doch wenig.

Von dem Augenblicke an, wo sie in den Omnibus stieg, habe ich keine Erinnerung mehr von dem, was darin vorging. Ich weiß nicht mehr, welche neue Passagiere man aufnahm oder welche ausstiegen.

Ich weiß auch nicht, ob die durch das Einsteigen der beiden Damen unterbrochene Conversation wieder aufgenommen ward oder nicht.

Meine bis dahin sehr thätige Beobachtungsgabe war wie vernichtet.

Wie seltsam, daß der launenhafte Einfluß des Zufalls die Thätigkeit unsrer Geisteskräfte bestimmen, daß ein Nichts die geheimnißvollen und complicirten Triebfedern unsrer Intelligenz in Bewegung setzen und daß abermals ein Nichts ihren Gebrauch wiederum hemmen kann!

Achtes Kapitel

Wir waren einige Zeit lang ohne Aufenthalt weiter gerollt, als die Begleiterin der jungen Dame eine Bemerkung an sie richtete. Sie verstand das Gesagte nicht recht und hob den Schleier, während ihr dieselben Worte wiederholt wurden.

Wie pochte mein Herz in diesem Augenblicke!

Ich hörte beinahe die Schläge desselben, als ihr Gesicht sich enthüllte und mir in die Augen strahlte.

Sie war brünett, ihr Haar, ihre Augen und ihr Teint waren brauner als dies bei Engländerinnen der Fall zu sein pflegt. So viel ich nach ihrer Physiognomie und ihren sichtbaren Formen urtheilen konnte, zählte sie ungefähr zwanzig Jahre.

Ihre Züge trugen schon das Gepräge einer gewissen Reife, der Ausdruck des Gesichts aber war noch der eines jungen Mädchens, denn es war darin nichts Ausgesprochenes oder scharf Markirtes zu bemerken. Wenn sie sprach, so schlummerte das Feuer ihrer großen schwarzen Augen. Wenn sie schwieg, so war dieses wollüstige Schmachten der schwarzen Augen nur vorübergehend und ungewiß.

Das Lächeln, welches ihre vollen Lippen – Andern wären sie vielleicht zu voll erschienen – umspielte, besaß, so zu sagen, Gelüste von Beredsamkeit, hielt sich aber in Schranken.

Bei den Frauen giebt es stets Etwas, was gleichsam unvollendet geblieben zu sein scheint. Man sollte meinen, ihre physische Natur stehe in der Erwartung einer zweiten moralischen Schöpfung. Die Keime künden sich schon an, aber es ist der Liebe vorbehalten, sie zu entwickeln – die Mutterschaft, wenn sie kommt, erfüllt diese Aufgabe noch besser.

Während ich sie so ansah, dachte ich an den lebhaften« Glanz, der ihre runde, zartbraune Wange bekleiden würde, wenn dieses unbestimmte Colorit sich hier festsetzte. Ich bedachte, daß, wenn dieser noch unbestimmte und schwankende Ausdruck ihrer Physiognomie sich ein wenig mehr accentuirte, sie dann strahlend schön werden würde. Ich fühlte mit Einem Worte, daß ihre Schönheit vollkommen erblühen würde, wenn sie die ersten Worte des Mannes, den sie liebte, hören, und den ersten Kuß von ihm empfangen würde.

Da ich fortwährend die Augen auf sie geheftet hielt, während sie mir gegenüber sitzend mit ihrer Begleiterin sprach, so begegneten sich unsere Augen.

Es war der rasche Austausch eines Blickes, aber das Gefühl, welches man in einem raschen Augenblicke empfindet, macht oft den Gedanken eines ganzen Lebens aus, und diese Minute schuf das neue Leben meines Herzens.

Die junge Dame zog ihren Schleier sofort wieder herab. Ihre Lippen bewegten sich wie unwillkürlich, während sie diese Bewegung machte. Trotz ihres Schleiers glaubte ich zu sehen, daß dieses leichte Zucken der Lippen in, ein Lächeln ausging.

Aber wenn auch ihr Schleier herabgezogen war, so gab es doch noch eine Menge andere Dinge, welche meinen Blick gefesselt hielten.

Ich bewunderte den kleinen gestickten Spitzenkragen, welcher ihren anbetungswürdigen Hals umschloß, ihre da, wo ihr Shawl herabgefallen war, sichtbare schlanke, aber schon gut entwickelte Büste verrieth ein bewunderungswürdiges Ebenmaß des Baues. Ihr Wuchs war anmuthig und die kleinen Schmucksachen, die sie trug und die an und für sich sehr gewöhnlich waren, erhielten doch eben durch ihren Besitz die Bedeutung werthvoller Schätze.

Alles Dies konnte ich trotz des Schleiers betrachten, alles Dies konnte ich mit den Augen verschlingen.

Der Schleier! Gelingt es ihm wohl, dem Manne, der ein weibliches Wesen wirklich liebt, viel von diesem zu verbergen?

Wir waren beinahe an der äußersten Grenze der Omnibuslinie angelangt, als die beiden Damen halten ließen und ausstiegen. Ich folgte ihnen klüglich, indem ich mich in einiger Entfernung hinter ihnen hielt.

Der Weg, den wir eingeschlagen, war nicht sehr besucht; aber wenn er es auch in höherem Grade gewesen wäre, so würde ich doch trotz der Entfernung, in welcher ich mich hielt, sie niemals aus den Augen verloren haben und nicht in Gefahr gewesen sein, eine andere Person für sie zu halten. Schon fühlte ich, so fremd sie für mich auch noch war, daß ich selbst von Weitem im Stande sein würde, sie bloß an ihrem Gange zu erkennen.

Die beiden Damen gingen immer weiter, bis wir eine Vorstadt erreichten, die aus noch ganz neuen Häusern bestand, zwischen welchen sich hier und da noch wüste Stellen mit aufgehäuften Baumaterialien befanden. Wir sahen um uns herum Nichts als Entwürfe zu Straßen, zu Rundtheilen, zu freien Plätzen, zu Kaufläden, zu Gärten.

Endlich blieben die beiden Damen auf einem dieser neuen Plätze stehen und zogen an der Thür eines der neuesten dieser neuen Häuser die Klingel.

Die Thür öffnete sich und meine Angebetete verschwand mit ihrer Begleiterin. Dieses Haus stand beinahe ganz allein. Es hatte keine Nummer, trüg aber die Inschrift: »Nordvilla«. Der Platz, der unvollendet war, wie alles Uebrige in dieser Gegend, hieß Hollyoak Square.

Dies war Alles, was sich für dieses Mal wahrnahm. Der öde, wüste Anblick in dieser Umgebung berührte mich unangenehm. Ich war sicher, das Haus wiederzufinden, und wußte, daß es ihre Wohnung war; denn als die Thür sich öffnete, hatte ich mich genugsam genähert, um sie fragen zu hören, ob Jemand in ihrer Abwesenheit dagewesen wäre.

Für den Augenblick mußte mir dies genügen. Ich fühlte das Bedürfniß mich von meiner Aufregung zu erholen und meine Gedanken zu sammeln. Ich verließ daher Hollyoak Square sofort und ging, einen Spaziergang in Regents Park zu machen, dessen nördlicher Theil sehr nahe war.

War ich verliebt? Wirklich und aufrichtig verliebt in ein junges Mädchen, dem ich zufällig in einem Omnibus begegnet war? Oder gehorchte ich bloß einer augenblicklichen Laune? War es nur jugendliches Feuer und übereilte Bewunderung eines schönen Gesichts?

Dies waren die Fragen, welche ich damals nicht beantworten konnte, denn ich fühlte, daß meine Ideen verworren und meine Geisteskräfte in ihrer Ausübung gestört waren. Ich begann weiter zu gehen und träumte am hellen Tage, denn ich hatte keine deutliche Wahrnehmung außer der Erinnerung an die schöne Unbekannte.

Je mehr ich mich bemühen, zu überlegen, jene Gleichheit des Temperaments, jene Freiheit des Geistes wiederzugewinnen, die ich besaß, als ich an diesem Morgen unser Haus verlassen, desto weniger erlangte ich meine Selbstbeherrschung wieder.

Es giebt zwei Umstände, in welchen der klügste und weiseste Mann sich von seinen ersten Regungen hinreißen läßt, ehe er überlegt.

Der eine dieser Umstände ist, wenn er sich zum ersten Male von einem Weibe beherrscht fühlt, und der andere, wenn zum ersten Male ein Weib ihn beleidigt hat.

Ich weiß nicht, seit wie lange ich in dem Park umher spazierte und meinen Träumen nachhing, als es endlich auf der Uhr einer benachbarten Kirche Drei schlug.

Nun fiel mir ein, daß ich meiner Schwester versprochen hatte, sie um zwei Uhr zu unserem Spazierritte abzuholen; ich brauchte aber wenigstens eine halbe Stunde, um unser Haus zu erreichen.

Zum ersten Male war ich einem meiner Schwester gegebenen Versprechen untreu geworden.

Die Liebe hatte mich noch nicht egoistisch gemacht, wie sie mehr oder weniger mit allen Männern und Frauen thut. Aergerlich über die Nachlässigkeit, deren ich mich so nach schuldig gemacht, beschleunigte ich doch meinen Schritt. Der Groom führte mißlaunig und mürrisch mein Pferd noch vor dem Hause hin und her. Clara’s Pferd war wieder in den Stall zurückgeführt worden.

Ich trat in das Haus und erfuhr, daß Clara, nachdem sie eine Stunde auf mich gewartet, mit einer Freundin ausgegangen sei und erst zur Stunde des Diners zurückkehren werde.

Es war kein Mensch weiter im Hause als die Dienerin. Alles erschien mir öde, leer und abschreckend. Das ferne Rollen der Wagen in den benachbarten Straßen schlug düster und unheimlich an mein Ohr. Ich fuhr zusammen und ward ärgerlich über eine Thür, die in den Dienerstuben unter mir mehrmals nach einander geöffnet und wieder zugeschlagen ward.

Niemals war mir die Luft von London so schwer zu athmen erschienen als an diesem Tage.

Krampfhaft aufgeregt ging ich im Zimmer auf und ab.

Ein Mal lenkte ich meine Schritte nach meinem Arbeitscabinet, kehrte aber wieder um, noch ehe ich es betreten hatte.

An Lesen oder Schreiben war für den Augenblick nicht zu denken. Der Wunsch, nach Hollyoak Square zurückzukehren, erwachte jede Minute mit neuer Kraft in mir. Warum? Ich wollte versuchen, die junge Dame wiederzusehen oder wenigstens zu erfahren, wer sie wäre. Ich kämpfte – ja ich gestehe es offen und redlich – ich kämpfte gegen diesen Wunsch.

Ich versuchte, mich selbst zu verhöhnen, mich einfältig und lächerlich zu finden. Dann bemühte ich mich, an meine Schwester zu denken, an das Buch, welches ich schrieb – mit Einem Worte, an alles Andere, nur nicht an meine Begegnung von diesem Nachmittage.«

Je mehr ich aber diese Erinnerung entfernen wollte, desto mehr beherrschte sie mich und verknüpfte alle meine anderen Ideen. Die Sirene lockte mich; jeder Kampf war vergeblich.

Ich verließ das Haus, indem ich mich heuchlerischer Weise selbst überredete, ich wolle bloß eine phantastische Neugier befriedigen, einen launenhaften Wunsch, den Namen der jungen Dame zu erfahren, und daß ich sodann, anstatt mir den« Kopf zu zerbrechen, wie ich seit einigen Stunden that, über meinen Leichtsinn und diese frivole Idee lachend wieder nach Hause zurückkommen würde.

Ich kam vor dem Hause wieder an. Die Marquisen waren der großen Hitze wegen vor allen Fenstern der Facade herabgelassen. Der erst halb angelegte Garten war enge und die Sonne versengte ihn.

Auf dem Square herrschte dieselbe Einsamkeit, aber jene schwere, lastende Einsamkeit, wie man sie nur aus dem Square oder freien Platze einer Vorstadt findet.

Ich ging den Platz hinauf und hinab und fühlte mich entschlossen, ihn nicht zu verlassen, bevor ich ihren Namen erfahren hatte.

Während ich mir den Kopf– zersann, um ein Mittel zur Befriedigung dieses Wunsches zu finden, bewog ein gellender Pfiff, der in dem Schweigen dieser Umgegend doppelt hell klang, mich, die Augen aufzuheben.

Ein Laufbursche, eine jener Verkörperungen der frühreifen Schlauheit, der eingefleischten Unverschämtheit und witzigen Frechheit, welche nur in großen Städten heranwachsen können, kam mit einem leeren Korbe am Arme auf mich zu.

Ich sagte ihm, er solle sich nähern und mit mir sprechen. Augenscheinlich war er aus der Nachbarschaft und konnte mir vielleicht von Nutzen sein.

Seine ersten Antworten, die er in ziemlich schleppendem, zögerndem Tone gab, unterrichteten mich, daß sein Herr einer der Lieferanten für die »Nordvilla« war.

Jetzt gab ihm nun einen Schilling, um ihn zu bestimmen, auf die wichtigeren Fragen zu antworten, die ich ihm zu stellen hatte.

Er sagte mir, der Herr des Hauses heiße Sherwin und die Familie bestünde bloß aus Mr. und Mistreß Sherwin und dem jungen Fräulein, ihrer Tochter.

Zuletzt verlangte ich von diesem Burschen Auskunft über Das, was ich vor allen Dingen zu erfahren wünschte, und fragte ihn daher, ob er wisse, welchem Stande oder welcher gesellschaftlichen Stellung Mr. Sherwin angehöre.

Seine Antwort verschloß mir den Mund und die Lust zu weiteren Fragen verging mir! Mr. Sherwin hatte ein großes Modewaarengewölbe in – street! Der Bursche nannte mir die Nummer ebenso wie die Seite der Straße, wo dieses Gewölbe sich befand.

Dann fragte er mich, ob dies Alles wäre, was ich wissen wolle.

Ich besaß nicht mehr Kraft genug, auch nur vier Worte zu sprechen. Ich gab ihm bloß durch einen Wink zu verstehen, daß er gehen könne und daß er mir genug gesagt habe.

Genug? Wenn er mich nicht belogen hatte so war es mehr als zu viel– ein Modewaarengewölbe – die Tochter eines Modewaarenhändlers! War ich noch verliebt? Ich dachte an meinen Vater, an den Namen, den ich trug, und dies Mal, obschon ich die Frage hätte beantworten können, wagte ich es doch nicht.

Wenn aber dieser Bursche sich geirrt hatte? Ich beschloß, die mir von ihm gegebene Adresse aufzusuchen und mich durch mich selbst von der Wahrheit zu überzeugen. Als ich an dem bezeichneten Orte angelangt war, sah ich richtig das Kaufgewölbe Der Name Sherwin stand über der Thür Es blieb mir nun nur noch eine Möglichkeit Dieser Sherwin und der Sherwin von Hollyoak Square konnten ganz verschiedene Individuen sein.

Ich trat in das Modewaarenmagazin, um Etwas zu kaufen. Während der Commis, an welchen ich mich wendete, seine Waaren vor mir ausbreitete, fragte ich ihn, ob sein Principal in Hollhoak Square wohne.

Er schien über diese Frage ein wenig zu erstaunen, dann antwortete er mir bejahend.

»Ich kannte früher einen Mr. Sherwin,« sagte ich und schmiedete mit diesen Worten die ersten Glieder einer langen Kette von Lügen, die mich später knechten und herabwürdigen sollten; »einen Mr. Sherwin, der gegenwärtig, wie ich gehört habe, in der Umgegend von Hollyoak Sauare wohnen soll. Er war unverheirathet und ich weiß nicht, ob mein Freund und Ihr Principal eine und dieselbe Person sind« –

»Das ist wohl nicht möglich, Sir. Unser Pricipal ist »verheirathet und hat eine Tochter, die in dem Rufe« steht, ein sehr schönes junges Mädchen zu sein, Sir.«

Und der Commis schmunzelte, indem er diese letzten Worte sprach. Niemals war mir ein Schmunzeln widerwärtiger und verletzender gewesen.

Endlich hatte ich so nach die so sehr begehrte Auskunft erlangt. Margarethe! ich wußte sogar ihren Namen! Margarethe! Bis jetzt war dies ein Name, den ich nicht sonderlich liebte. Gegenwärtig empfand ich eine Art Schrecken, als ich mich auf der Wiederholung desselben ertappte, und fand in dem Klange dieser Buchstaben eine neue Poesie, von der ich noch keine Idee gehabt hatte.

War es denn Liebe? Eine reine, eine ernste Liebe? Liebte ich in so hohem Grade, daß ich die Tochter eines Modewaarenhändlers zu heirathen wünschte, die ich eine Viertelstunde lang im Omnibus gesehen und der ich während einer zweiten viertel stunde bis an ihre Wohnung nachgeschlichen war?

Dies war etwas Unvernünftiges und Unmögliches. Ich empfand, ich weiß nicht welchen seltsamen Widerwillen, nach Hause zurückzukehren und in diesem Augenblicke meinen Vater und meine Schwester wiederzusehen.

Ich ging daher langsam wieder fort, aber nicht in der Richtung nach unserem Hause, als ich einem alten Universitätsfreunde meines Bruders begegnete, mit dem ich auch bekannt war – einem stets heitern jungen Manne, der fortwährend seinem Vergnügen nachging.

Er redete mich sofort mit geräuschvoller Herzlichkeit an. Ich sollte ihn begleiten und mit ihm in seinem Club dinieren, wo er mir delikaten Burgunder und von einem Koch ersten Ranges bereitete Gerichte vorsetzen wollte.

Er wünschte sich mit mir ein wenig über Ralph lustig zu machen, eben so wie über dessen neue Geliebte, diese Frau von reifem Alter, welche es unternommen hatte, einen ordentlichen Mann aus ihm zu machen!

Ganz gewiß war dies Stoff genug zu einer heiteren Unterhaltung! War es nicht sogar ein Süjet zu einer neuen Pantomime, wie Harlekin Don Juan, sich, wie gewöhnlich, in alle Arten Händel verwickelte und Madame Colombine Moralität ihm fortwährend auf den Fersen folgte und ein großes Pasde decorum tanzte, um ihm schlimme Geschichten zu ersparen?

Ja wohl, ich mußte mitgehen! Ich sollte nur an den Burgunder und an die lustige Unterhaltung über Ralph denken! Rasch, rasch! – warum wollte ich so lange zaudern?

Wenn die Gedanken, die noch schwer auf meinem Gemüthe lasteten, von einer vorübergehenden und ich weiß nicht wie lange dauernden bizarren Melancholie erzeugt waren, so sah ich mich jetzt dem Manne gegenüber, dessen Gesellschaft sie am sichersten zerstreuen mußte.

Ich beschloß daher, den Versuch zu machen, und nahm seine Einladung an.

Beim Diner bemühte ich mich, mich auf dasselbe Niveau mit ihm zu erheben und eben so viel Heiterkeit und Laune zu entwickeln.

Ich trank viel mehr Wein als gewöhnlich, aber es war vergebens. Die lustigen Worte erstarben mir auf den Lippen. Der Burgunder überreizte mich, hauchte mir aber keine fröhliche Laune ein.

Das Bild der braunen Schönheit, welche ich am Morgen gesehen, behauptete die Oberherrschaft über meine Gedanken. Ich stand fortwährend unter der Macht der gleichzeitig unheilvollen und bestrickenden Eindrücke des Morgens. Ich verzichtete auf den Kampf. Ich wünschte allein zu sein.

Mein Freund bemerkte bald, daß meine erzwungene Heiterkeit erschlaffte. Er that Alles, was er konnte, um mich wieder zu ermuntern, bemühte sich, für Zwei zu sprechen, ließ noch mehr Wein bringen, aber Alles war vergebens.

Endlich machte er gähnend und seine getäuschte Erwartung kaum verhehlend mir den Vorschlag, in’s Theater zu gehen. Ich entschuldigte mich, indem ich Unwohlsein vorschützte, und gab ihm zu verstehen, daß ich für meine Gewohnheit zu viel getrunken hätte. Er lachte, ließ aber dabei ein wenig Verachtung hindurch schimmern und verließ mich, um allein ins Theater zu gehen, indem er ohne Zweifel bei sich selbst sagte, daß er mich noch eben so unzugänglich und ungesellschaftlich fände, als er mich einige Jahre auf der Universität gekannt.

Sobald wir uns trennten, fühlte ich Erleichterung und beinahe Freude. Meine Unentschlossenheit bemächtigte sich meiner wieder.

Ich that einige Schritte auf der Straße vorwärts und eben so viele rückwärts, dann gebot ich allen meinen Bedenklichkeiten Schweigen, überließ meinen Neigungen die Sorge, mich zu führen, wie sie wollten, und nahm zum dritten Male an diesem Tage den Weg nach Hollyoak Square.

Der schöne Sommerabend neigte sich zur Dämmerung. Die glühende Sonne stand tief an dem wolkenlosen Horizonte, und als ich den Square betrat, überzog die wonnige Stunde, welche der Nacht vorangeht, den Himmel mit ihrem violetten Schimmer.