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Kitabı oku: «Herz und Wissen», sayfa 3

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Capitel VI

Mrs. Gallilee war ebenso gewandt in der Praxis »der Häuslichkeit als in der Theorie« der Akustik und Ohnmachtsanfälle. Wenn es sich darum handelte, sich geschmackvoll zu kleiden, Diners erfindungsreich anzuordnen, der Tafel mit Grazie zu präsidieren und die Gäste sich behaglich fühlen zu lassen, widerspenstige Domestiken zur Raison zu bringen und unehrliche Lieferanten zu entlarven, so suchte sie unter den am wenigsten intellectuellen Frauen ihres Gleichen. Die von ihr angeordneten Vorbereitungen für die Aufnahme ihrer Nichte waren schon vorher bis in’s kleinste Detail vollendet. Ein einladendes Schlafzimmer in Blau öffnete sich auf Carmina’s unwiderstehliches Wohnzimmer in Braun. Die Ventilation war in Ordnung, Licht und Schatten waren vertheilt und die Blumen unter Mrs. Gallilee’s unfehlbarer Aussicht reizvoll placirt. Ehe sich noch Carmina von ihrer Ohnmacht erholt, hatte sie schon eine zweite Mutter gefunden, die diese Rolle zur Vollkommenheit spielte.

Aber dennoch befanden sich die gegenwärtig in diesem reizenden Wohnzimmer anwesenden vier Personen einander gegenüber in unerträglicher Verlegenheit.

Nachdem Ovid kurz vorher erst seiner Mutter erklärt hatte, daß er Musik hasse, hatte dieselbe ihn in einem Concerte getroffen, wo er sich beeilt, einer ohnmächtig gewordenen jungen Dame Beistand zu leisten und zwar mit einer Aengstlichkeit und Besorgniß, als ob es sich um eine nahe, theure Freundin handele. Und dennoch hatte er, als es sich herausstellte, daß die Fremde eine Verwandte seiner Mutter sei, darüber ein nicht minder großes Erstaunen bekundet als Mrs. Gallilee selbst. Wie waren diese Widersprüche zu erklären?

Dabei trug Carmina’s Betragen dazu bei, die Sache noch mysteriöser zu machen. Weshalb ging dieselbe zu einem Concerte, anstatt ihre Tante aufzusuchen? Und wenn sie ohnmächtig wurde, während doch die Hitze im Saale sonst niemanden überwältigt hatte, warum hatte sie sich nicht in der gewöhnlichen Weise zu erholen vermocht? Da lag sie auf dem Sopha und wurde, wenn sie angeredet wurde, abwechselnd roth und blaß, fühlte sich unbehaglich in dem comfortablesten Hause Londons, scheu und verwirrt in der Obhut ihrer besten Freunde. Selbst wenn man einem sensitiven Temperamente alle Zugeständnisse machen wollte, konnten eine lange Reise von Italien nach England und das kindische Entsetzen beim Anblick des Ueberfahrens eines Hundes einen solchen Zustand allein erklären?

Aber trotz ihrer Verstimmung hierüber war Mrs. Gallilee eine viel zu kluge Frau, um Fragen zu stellen, die vielleicht in Zukunft Unannehmlichkeiten nach sich ziehen könnten; sie versuchte nur durch arglose Plaudereien sich ein wenig Licht zu verschaffen.

Die runzelige Duenna, die in größtem Unbehagen auf dem Atlasstuhle mit den gebrechlich zarten vergoldeten Beinen saß, schien von ihrer jungen Herrin auch den Gefühlston anzunehmen, genau so wie ihre Befehle. Vergeblich sprach Mrs. Gallilee erst Englisch und dann Französisch mit ihr; das eine Experiment mißlang ebenso wie das andere – die Alte schien sich zu fürchten, sie nur anzusehen.

Ovid selbst war ebenso schwierig zu ergründen. Er antwortete natürlich, wenn seine Mutter ihn anredete, aber immer kurz und in demselben abwesenden Tone; stellte selbst keine Fragen und ließ sich zu keinen Erklärungen herbei. Das Gefühl der Verlegenheit hatte bei ihm unerklärliche Veränderungen bewirkt. Die ruhige Milde, mit der er Carmina die nöthige Aufmerksamkeit erwies, zeigte ihn in einem ganz neuen Lichte; denn während sein Benehmen gegen Patienten, einerlei ob Frauen oder Männer, sonst gewöhnlich ein ziemlich abruptes war, da er bei seiner schnellen Fassungskraft den Leuten, wenn sie ihre Symptome beschrieben, die Worte aus dem Munde zu nehmen pflegte, saß er jetzt da und betrachtete seine blasse kleine Cousine mit einer wunderbar anzusehenden Aufmerksamkeit und Geduld und lauschte den ganz gewöhnlichen conventionellen Worten, die in Zwischenräumen über ihre Lippen kamen, als ob es bei seinem Gesundheitszustand und der damit verbundenen zweifelhaften Aussicht in die Zukunft kein ernsteres Interesse gäbe, das seinen Geist beschäftigen könnte.

Mrs. Gallilee konnte es nicht länger ertragen. Hätte sie nicht absichtlich ihre Phantasie verkommen lassen und jedes zärtlichere Gefühl, das ihr Herz einst empfunden haben mochte, aus diesem verwiesen, so würde das sonderbare Benehmen ihres Sohnes sie interessiert haben, anstatt sie zu verwirren. So aber ließ ihre wissenschaftliche Bildung sie bei Fragen, bei denen es sich um Empfinden handelte, so vollständig im Dunkeln, als ob sie ihre Erfahrungen von der Menschheit in ihrem Verhältniß zur Liebe auf den Cannibaleninseln gesammelt hätte. Sie entschied sich dafür, ihre Nichte zu verlassen, damit dieselbe sich ausruhen könne, und ihren Sohn mit aus dem Zimmer zu nehmen.

»Bei Deinem gegenwärtigen Gesundheitszustande Ovid«, begann sie, »darf Carmina Deinen ärztlichen Rath nicht annehmen.«

Etwas in diesen Worten fiel Ovid auf und er antwortete etwas heftig. »Du sprichst, als ob sie ernstlich krank wäre!«

Carmina’s anmuthiges Lächeln ließ ihn hier innehalten. »Wer weiß, was geschehen kann«, bemerkte sie scherzhaft.

»Das verhüte Gott!« erwiderte er mit solcher Wärme daß ihn alle Drei überrascht ansahen.

»Ovid ist so furchtbar überarbeitet, liebe Nichte«, sagte Mrs. Gallilee ruhig, »daß ich mich wirklich freue, daß er seine Praxis aufgegeben hat und morgen abreist. Wir wollen Dich jetzt mit Deiner alten Freundin allein lassen. Wenn Du etwas bedarfst, so klingele, bitte.« Dann warf sie Carmina eine Kußhand zu, winkte ihren Sohn und ging nach der Thür.

Teresa sah sie an und dann plötzlich wieder weg. Gallilee blieb bei einer Chiffoniere stehen und änderte etwas in dem Arrangement des Porzellans auf derselben. Die Duenna folgte ihr auf den Zehenspitzen und tupfte sie mit dem Zeigefinger und dem kleinen Finger auf den Rücken, aber so leise, daß sie es nicht merkte. Dann stahl die Alte sich wieder auf ihren Platz zurück und flüsterte auf Italienisch vor sich hin: »Der böse Blick.«

Weder Ovid noch seine Cousine hatten das Thun der Alten bemerkt. Ersterer erhob sich widerstrebend von seinem Platze an Carmina’s Seite, die ihn in dankbarer Empfänglichkeit für seine kleinen Aufmerksamkeiten mit unschuldiger Vertraulichkeit zurückhielt. »Ich muß Ihnen danken«, sagte sie einfach; »es kommt einem wirklich hart vor, daß Sie, der Sie andere heilen, selbst unter Krankheit leiden.«

Teresa hatte beide mit Interesse beobachtet und kam jetzt ein wenig näher, wobei ihre glänzenden Augen forschend und eifersüchtig auf Ovid’s Gesichte ruhten. Mr. Gallilee erinnerte ihren Sohn, daß sie auf ihn warte; er hatte aber noch einige letzte Worte zu sagen. »Heilige Teresa, meine Schutzpatronin, zeige mir die Seele dieses Mannes in seinem Gesichte«, murmelte die Duenna vor sich hin, als sie sich vom Sopha zurückzog, ohne die Augen von Ovid abzuwenden. Endlich nahm derselbe Abschied. »Ich werde morgen kommen und nachsehen, wie es Ihnen geht, ehe ich fortgehe«, sagte er und nickte dann Teresa freundlich zu. Diese war aber damit nicht zufrieden, sondern wollte mehr haben und fragte ihn, ob sie ihm die Hand schütteln dürfe. Mrs. Gallilee gehörte in der Politik zu den Liberalen, aber nie waren ihre Grundsätze so auf die Probe gestellt worden, als jetzt bei dieser Frage der Alten. Als Teresa dann Ovid’s Hand mit fühlbarer Energie zusammenpresste, dabei sich bemühend, ihm seinen Charakter aus dem Gesicht zu lesen, fragte er lächelnd, was sie sähe, das sie interessiere. »Einen braven Mann, hoffe ich«, antwortete sie so ernst, daß Carmina und Ovid sich des Lachens nicht enthalten konnten. »Lacht, wenn es besser am Platze ist«, verwies Teresa sie wie ein paar Kinder, »jetzt paßt es sich nicht.« Als Ovid seiner Mutter die Thür öffnete, stand die Duenna aufgerichtet in der Mitte des Zimmers und sah ihr nach, dabei wieder vor sich hin flüsternd: »Der böse Blick!«

Beim Hinabsteigen der Treppe meldete der Bediente Mrs. Gallilee, daß »Mr. Mool« in der Bibliothek sei.

»Hast Du für die nächste halbe Stunde etwas vor, Ovid?« fragte Mrs. Gallilee.

»Du wünschst, daß ich Mr. Mool sehe? Wenn es sich um eine Rechtssache handelt, werde ich, fürchte ich, nicht eben nützlich sein können.«

»Der Anwalt ist mit einer Copie des Testamentes des seligen Onkels hier«, antwortete Mrs. Gallilee. »Es ist vielleicht von einigem Interesse für Dich, und ich dächte, Du solltest es Dir anhören.«

Ohne besondere Neigung dazu zu bekunden, stellte Ovid die müßige Frage: »Ich habe von dem Auffinden des Testaments gehört – sind romantische Umstände damit verbunden?«

»Was für ein Kind bist Du doch noch in manchen Dingen!« entgegnete seine Mutter, ihn mit einem Ausdruck launiger Verachtung betrachtend. »Hast Du etwa kürzlich einen Roman gelesen? Sie fanden das Testament in Italien, als sie sich endlich entschlossen hatten, die Möbel in Onkels Zimmer zu zerschlagen. Es war in einem alten, wurmstichigen Secretair, der ganz mit unnützen Papieren vollgestopft war, hinter einen Auszug gequetscht. Gott sei Dank! es ist nichts Romantisches und, wie Mr. Mool’s Brief besagt, nichts dabei, das zu Mißverständnissen oder Streitigkeiten Anlaß geben könnte.«

Ovid zeigte sich noch vollständig gleichgültig und stellte es seiner Mutter anheim, ihn durch ein Wort zu benachrichtigen, falls er mit einem Legate bedacht sein sollte. »Ah bin nicht so sehr dabei interessiert, als Du«, erklärte er.

»Das sollte man denken!« meinte Mrs. Gallilee, die seine Einfalt amüsierte.

»Natürlich ist Dir ein ganzer Berg Geld zugeschrieben?« bemerkte er, augenscheinlich die ganze Zeit über an etwas Anderes denkend.

»Dein Kopf ist in einer schrecklichen Verfassung«, sagte seine Mutter. »Hast Du wirklich vergessen, was ich Dir erst gestern gesagt habe? Ich bin in dem Testamente zu Carmina’s Vormund ernannt.«

Er stutzte, als seine Mutter ihn an diesen Umstand erinnerte. »Sonderbar«, sagte er zu sich selbst, »daß ich nicht daran dachte, als ich die Zimmer für Carmina in Stand setzen sah.« Seine Mutter, die ihn sorgfältig betrachtete, bemerkte das Aufhellen seines Gesichtes. Ein neues Interesse war erweckt, das ihn plötzlich seine Ansicht ändern ließ.

»Du mußt einem Ueberarbeiteten schon etwas zugute halten«, sagte er. »Du hast Recht, ich sollte das Verlesen des Testamentes anhören – ich stehe Dir also zu Diensten.«

Jetzt endlich zog Mrs. Gallilee die richtige Folgerung, machte aber weiter keine Bemerkung; nur unter dem Puder und der Farbe schien sich etwas schwach zu regen. Sollte sich eine weichere Bewegung an die Oberfläche arbeiten wollen? Unmöglich!

Hätten sie, ehe sie die Bibliothek betraten, ein zufälliges Geräusch auf der Treppe beachtet, so hätten sie vielleicht Miß Minerva bemerkt, die forschend über die Balustrade des oberen Treppenabsatzes lugte, und wären dann möglicherweise auf den Argwohn gekommen, daß die Gouvernante durch die offenstehende Thür des Schulzimmers ihre Unterhaltung belauscht hätte.

Capitel VII

Die Bibliothek in Fairfield Gardens besaß außer den Büchern noch zwei besondere Reize: sie öffnete sich auf ein Gewächshaus und war mit einem wundervollen, von ihrem Bruder gemalten Portrait Mrs. Gallilee’s geschmückt.

Während Mr. Mool das Erscheinen des schönen Originals erwartete, sah er das Portrait an und ließ dann die Geschichte der Familie Mrs. Gallilee’s an seinem Geiste vorüberziehen, und – wird man es von einem Rechtsanwalt glauben? – Mr. Mool erröthete. Mr. Mool hatte einen Fehlgriff in der Wahl seines Berufes gemacht und das Resultat war nun – ein schüchterner Anwalt.

Um die Vorgänge beim Vorlesen des Testamentes verständlicher zu machen, wollen wir in die Geschichte der Familie zurückgreifen, die ja unter diesen Umständen – da sie nämlich mit dem Erröthen eines Rechtsanwaltes zusammenhängt – für den Augenblick eine gewisse Wichtigkeit hat und im Voraus einer günstigen Aufnahme sicher ist – denn es dreht sich dabei Alles um Geld.

Der alte Robert Graywell begann sein Leben als Sohn eines kleinen Farmers; man hielt ihn allgemein für ziemlich exzentrisch, trotzdem machte er als Kaufmann in der City von London sein Glück und besaß, als er sich vom Geschäfte zurückzog, ein Haus und ein Landgut und dazu ein hübsches Vermögen, das in sicheren Fonds angelegt war.

Seine Frau hatte ihm drei Kinder geschenkt: einen Sohn, Robert, und zwei Töchter, Maria und Susanne. Der Tod der Mutter, die er innig liebte, war der erste ernste Schlag seines Lebens und er zog sich nach demselben als ein mürrischer, gebrochener Mann auf sein Landgut zurück. Liebende Gatten sind nicht nothwendig auch zärtliche Väter, und dem alten Robert boten seine Töchter beim Tode ihrer Mutter keinen Trost, ja, ihre ängstliche Besorgniß wegen der Trauerkleider ekelte ihn so an, daß er ihnen aus dem Wege ging. Mit ihren Aussichten im Leben war kein außergewöhnliches Interesse verknüpft: sie würden sich verheirathen – und dann würde es mit ihnen aus sein. Was den Sohn anbetraf, so war derselbe längst außerhalb des beschränkten Bereichs der väterlichen Sympathie getreten. Einmal hatte es seine Unbrauchbarkeit für den kaufmännischen Beruf nöthig gemacht, das Geschäft in fremde Hände zu geben, und zweitens stellte es sich heraus, daß der junge Robert, ohne daß ein Erbeinfluß vorlag und trotzdem Alles dagegen gethan wurde, ein geborener Maler war. Einer der größten Künstler jener Zeit sah die ersten Versuche des Knaben und drückte sein Urtheil in den Worten aus: »Schade, daß er mit dem Pinsel nicht sein Brod zu verdienen braucht!«

Beim Tode des alten Roberts sahen sich seine Töchter, um ihren eigenen Ausdruck zu gebrauchen, aus ein elendes Legat von zehntausend Pfund für jede angewiesen. Die Besitzung und das Hauptvermögen erbte ihr Bruder – indeß nicht etwa, weil dem Alten daran lag, eine Familie zu gründen, sondern weil der Junge immer der Liebling der Mutter gewesen war.

Von den drei Kindern verheirathete sich die älteste Schwester, Maria, zuerst, indem sie sich glücklich schätzte, Mr. Vere zu erobern, einen Mann aus alter Familie, der eine hohe Meinung von dem, was er seinem Namen schulde, besaß. Derselbe hatte ein genügendes Einkommen und brauchte nicht mehr, darum wurde die Mitgift seiner Frau dieser selbst zugeschrieben. Als er starb, hinterließ er ihr eine Leibrente von sechshundert Pfund jährlich, was mit den Zinsen ihres eigenen kleinen Vermögens ein jährliches Einkommen von eintausend Pfund machte. Der Rest von Mr. Vere’s Vermögen war seinem einzigen, ihn überlebenden Kinde Ovid zugeschrieben.

Mit einem Einkommen von jährlich eintausend Pfund für sich und zweitausend für ihren Sohn bei dessen Mündigwerden hätte die verwittwete Maria ganz zufrieden sein können – wenn nicht Susanne so anmaßend gewesen wäre, sich, trotzdem sie an Alter sowohl als an Schönheit hinter ihr rangierte, in dem Wettrennen um einen Gatten den ersten Preis zu holen.

Bald nach der Hochzeit der Aelteren hatte die Jüngere die Eroberung eines schottischen Edelmannes gemacht, der in London und in Schottland ein Palais besaß und dazu eine Rente von vierzigtausend Pfund hatte. Das konnte Maria, wie sie sich ausdrückte, nie überwinden, und seit dem Tage, an welchem Susanne Lady Northlake geworden war, wurde erstere eine ernste Frau, deren ganzes irdisches Interesse sich jetzt auf die Bildung ihres Geistes concentrirte. Sie betrat die erhabene Laufbahn, die sie mit dem Vormarsch der Wissenschaft verband, und war – ein Beispiel dessen, was eine entschlossene Frau zu leisten vermag – ein Jahr später mit den fossilen Zoophyten vertraut und hatte das Nervensystem der Biene secirt.

Hatte sie denn in ihrem ehelichen Leben keinen Gegenreiz?

Nur sehr wenig, denn Mr. Vere sympathisierte mit dem wissenschaftlichen Streben seiner Frau nicht. Und fand sie nach dem Tode des Gatten keinen Trost in ihrem Sohne? Wir wollen sie selbst sprechen lassen: »Mein Sohn füllt mein Herz, aber die Schule, die Universität und das Hospital haben mir nacheinander seine Erziehung aus der Hand genommen, und mein Geist muß ebenso gut einen Gegenstand haben, um ihn zu füllen, wie. mein Herz.« Damit nahm sie ihre ausgezeichneten Instrumente auf und wandte sich wieder der Untersuchung des Nervensystems der Biene zu.

Im Laufe der Zeit kreuzte Mr. John Gallilee den Pfad der Wissenschaft. Die verwitwete Mrs. Vere war noch eine schöne Frau, deren »Stil« es ihm angethan hatte; und Mr. Gallilee besaß fünfzigtausend Pfund. Wenn das nun auch nur um ein Geringes mehr war, als ein Jahreseinkommen des Schwagers und Mylady’s, ihrer Schwester, so vermehrte es doch, zu vier Procent angelegt, Mrs. Vere’s Einkommen um weitere zweitausend Pfund jährlich, so daß ihre Einnahme dann jährlich dreitausend Pfund betragen würde – mit der Zugabe Mr. Gallilee’s selbst. Sie überlegte und akzeptierte, und Susanne hatte nun nicht mehr länger dadurch eine Auszeichnung vor der Schwester, daß sie ihre Kleider in Paris machen ließ, und Mrs. Gallilee war nicht länger mehr der Entwürdigung ausgesetzt, einen Platz in Lady Northlake’s Equipage annehmen zu brauchen.

Was war nun während dieser Zeit aus Robert geworden? Nun – um es kurz zu sagen, Robert hatte den Seinigen Schande gemacht.

Als der neue Squire von seinem Eigenthum Besitz ergriffen hatte, wurde er eingeladen, zu den Ausgaben für die Hundemeute der Fuchsjagd beizusteuern, die durch Subscription der Grafschaft erhalten wurde, und ihm der Rath gegeben, sich mit den Sportsmen durch Veranstaltung eines Jagdfrühstückes bekannt zu machen. Obgleich er sehr höflich antwortete, ließ sich die Thatsache nicht verbergen, daß er sich weigerte, die Jagd zu unterstützen. Er fand dies noble Vergnügen einfältig und roh und lehnte es aus demselben Grunde ab, Füchse zu hegen. Eins blieb noch über, wodurch er anstoßen konnte, und auch das kam, indem er nämlich wohl den Besuch des Pfarrers erwiderte, es aber unterließ, in der Kirche zu erscheinen. Nun war vorauszusehen, daß seines Bleibens auf dem Gute nicht lange sein würde; und als er seine Skizzen der malerischen Partien der Besitzung vollendet hatte, verschwand er denn auch wieder. Die Besitzung war kein Majorat; der alte Robert, so genau er auch in den geringsten Details und Formalitäten in der Fürsorge für seine Gattin gewesen, so gleichgültig war er in Bezug auf die Zukunft seiner Kinder. »Das Vermögen hat jetzt in meinen Augen keinen Werth mehr«, sagte er zu weiter sehenden Freunden; »meinetwegen können sie Alles durchbringen. Es würde ganz gewiß gut für sie sein, wenn sie sich, wie so viele Bessere, ihr Brod verdienen müßten.« Da Robert mit dem Gute also machen konnte, was er wollte, so verkaufte er es, nur um es los zu werden, und da er keine kostspieligen Neigungen hatte, außer der Gemälde zu kaufen, so war er reicher denn je.

Das Nächste, was seine Schwestern, Lady Northlake und Mrs. Gallilee von ihm hörten, war, daß er freiwillig in’s Exil nach Italien gegangen sei, sich ein prächtiges Atelier baue, eine Serie von Gemälden zu schaffen beabsichtige und zum ersten Male in seinem Leben sich wahrhaft glücklich fühle.

Dann verging wieder einige Zeit, ehe seine Schwestern etwas weiteres von ihm hörten. Nicht zufrieden damit, daß er damals das Schicklichkeitsgefühl seiner Nachbarn in England beleidigt hatte, mußte er sich jetzt auch noch in der Dichtung seiner Familie herabwürdigen, indem er ein »Modell« heirathete. In dem Briefe, in welchem er ihnen dies mittheilte, erklärte er der Wahrheit gemäß, daß der Ruf des Mädchens über jeden Vorwurf erhaben sei. Sie saß den Künstlern nur für den Kopf, wie jede Dame dem Künstler sitzt, von dem sie sich malen läßt. Ihre Eltern erwarben sich durch Beackerung ihres Stückchen Landes einen dürftigen Unterhalt; aber es waren ehrliche Leute. Und was machte sich Bruder Robert aus Rang und Stand! Sein Großvater war ja selbst Farmer gewesen.

Lady Northlake und Mrs. Gallilee waren es sich selbst schuldig, wegen der Schwägerin eine Consultation zu halten, unt die Frage zu entscheiden, ob es in ihrem gesellschaftlichen Interesse wünschenswerth sei, Robert von nun an fallen zu lassen.

Susanne neigte, wie ihr gutherziger Gatte es ihr vorher gerathen hatte, auf die Seite der Milde. Robert’s Brief unterrichtete sie, daß er in Italien zu bleiben und zu sterben gedenke; und wenn er bei diesem Entschlusse blieb, so war ja seine Heirath immerhin ein erträgliches Mißgeschick für die Verwandten in London. »Ich dächte, wir schrieben an ihn«, schloß Susanne, »und sagen ihm, daß wir allerdings überrascht seien, aber nicht daran zweifelten, daß er am besten urtheilen und handeln würde; daß wir Mrs. Robert unsere Glückwünsche darbrächten und ihm die aufrichtigsten Wünsche für sein Glück sendeten.«

Lady Northlake fand zu ihrem Erstaunen Mrs. Gallilee bereit, die Sache von diesem milden Gesichtspunkte aus zu betrachten, ohne ein Wort des Einwandes dagegen zu erheben. Mrs. Gallilee hatte allerdings ihre Gründe dazu, die aber einer Dame, deren Gatte über ein Einkommen von jährlich vierzigtausend Pfund verfügte, besser verschwiegen blieben – Robert hatte ihre Schulden für sie bezahlt.

Eine Einnahme von dreitausend Pfund repräsentiert selbst heutzutage ein ganz hübsches Auskommen – vorausgesetzt, daß man der Gesellschaft nichts »schuldig« ist. Für Mrs. Gallilee repräsentierte es aber nur ein glänzendes Elend. Sie gerieth wieder in Schulden und rechnete in Zukunft auf den Geldbeutel ihres Bruders. Ein reizender Brief an Robert schloß daher: »Schicke mir auf jeden Fall eine Photographie Deiner liebenswürdigen Frau!« Als das arme »Modell« einige Jahre darauf mit Hinterlassung eines Töchterchens starb, lag Mrs. Gallilee ihren Bruder an, nach England zurückzukehren. »Komm, theuerster Robert«, schrieb sie, »um Trost und ein Heim unter dem Dache Deiner Maria zu finden.«

Aber Robert blieb in Italien und wurde dort begraben. Bis zu seinem Tode hatte er dreimal die Schulden seiner älteren Schwester bezahlt, und diese hoffte als Dank für seine freigebige Hilfe sich bei jedem Male mit einem größeren Legate in seinem Testamente bedacht zu sehen, für den Fall, daß sie ihn überleben sollte.

Mr. Mool wußte nun als Sachwalter der Familie, welche Summe Mrs. Gallilee von ihrem Bruder gezogen hatte, und wußte auch, daß diese so geleisteten Vorschüsse als Äquivalent eines etwaigen Legates angesehen worden waren, auf welches sie sonst als Schwester einen gewissen Anspruch gehabt haben möchte. Es wäre also seine Pflicht gewesen, sie darauf vorzubereiten, als sie ihn im Allgemeinen über das Testament befragt hatte; aber er hatte nichts davon gesagt. Und weshalb? Weil er sich – kurz und bündig ausgedrückt – vor ihr fürchtete. Jetzt schämte er sich vor sich selbst und machte sich Vorwürfe darüber, und daher kam das auf dem Gesichte eines Rechtsanwalts so befremdende Erröthen.

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06 aralık 2019
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