Kitabı oku: «Namenlos», sayfa 13
Fünfzehntes Capitel
Am zweitfolgenden Morgen erhielt man Nachricht von Mr. Pendril. Der Aufenthaltsort von Michael Vanstone auf dem Continent war entdeckt worden. Er lebte in Zürich, und ein Brief war dorthin an ihn abgefertigt worden, an demselben Tage, als man es erfuhr. Im Laufe der kommenden Woche konnte eine Antwort füglich erwartet werden, und der Inhalt derselben sollte sofort den Damen aus Combe-Raven mitgetheilt werden.
So kurz er war, so verging doch dieser Aufschub langsam genug. Zehn Tage verstrichen, ehe die erwartete Antwort eintraf, und als sie endlich kam, so lief sie eigentlich darauf hinaus, daß sie Nichts beantwortete. Mr. Pendril war lediglich an einen Agenten in London gewiesen worden, der Michael Vanstones Weisungen haben sollte. Gewisse Schwierigkeiten hatten sich bei diesen Weisungen ergeben, wodurch es nothwendig geworden war, noch ein Mal nach Zürich zu schreiben. Und auf dem Flecke standen die Unterhandlungen augenblicklich wieder still.
Eine andere Stelle in Mr. Pendrils Brief enthielt eine weitere, ganz neue Mittheilung. Mr. Michael Vanstones Sohn – und einziges Kind – Mr. Noël Vanstone war vor Kurzem in London angekommen und hielt sich in der Wohnung seines Cousins, Mr.George Bertram, auf. Rücksichten, welche ihm sein Beruf geboten, hatten Mr. Pendril veranlaßt, in jener Wohnung persönlich einen Besuch zu machen. Er war von Mr. Bertram sehr freundlich aufgenommen worden, war aber durch jenen Herrn bedeutet worden, daß sein Cousin nicht in der Lage wäre, Besuche annehmen zu können. Mr. Noël Vanstone hätte seit einigen Jahren an einer langwierigen und hartnäckigen Krankheit gelitten. Er wäre nach England gekommen, um sich der besten ärztlichen Hilfe bedienen zu können, und fühlte sich von der Beschwerde der Reise so stark angegriffen, daß er ans Bett gefesselt sei. Unter diesen Umständen hatte Mr. Pendril keine andere Wahl, als sich zu verabschieden. Eine Unterredung mit Mr. Noël Vanstone würde vielleicht über manche mit seines Vaters Weisungen zusammenhängenden Schwierigkeiten Aufklärung gegeben haben. Wie aber die Dinge einmal lägen, so müsse man wohl oder übel noch einige Tage länger warten.
Die Tage vergingen, die leeren Tage der Einsamkeit und Bängniß. Endlich zeigte ein dritter Brief des Advocaten den lange hinaus geschobenen Abschluß des Briefwechsels an. Die Schlußantwort aus Zürich war eingetroffen, und Mr. Pendril wollte sie den nächsten Tag Nachmittags auf Combe-Raven persönlich mittheilen.
Der nächste Tag war Mittwoch, der zwölfte August. Das Wetter hatte sich über Nacht geändert, und die Sonne ging in Nebel und Wolkendunst auf. Mittags war der Himmel nach allen Richtungen hin umzogen, die Temperatur war fühlbar kälter, und der Regen ging gerade, sanft und anhaltend auf die durstige Erde nieder. Gegen drei Uhr traten Miss Garth und Nora in das Morgenzimmer, um Mr. Pendrils Ankunft zu erwarten. Bald nachher kam auch Magdalene dazu. Eine halbe Stunde später drang von dem Staket hinter den Buschanlagen her das wohlbekannte Einfallen der eisernen Klinke in das Schloß zu ihnen. Mr. Pendril und Mr. Clare wurden auf dem Gartenwege sichtbar, sie kamen Arm in Arm im Regen. Beide unter einem Regenschirme. Der Advocat verbeugte sich, als sie am Fenster vorüberkamen, Mr. Clare ging aufrecht einher, tief in Gedanken versunken, und hatte für Nichts um sich her Augen.
Nach einer Pause, welche endlos schien, nachdem man sich die Füße auf der Matte in der Flur abgestrichen, nach einem geheimnißvollen Austausch von Frage und Antwort vor der Thür, traten die Beiden ein, Mr. Clare vorausgehend. Der alte Herr ging aufgerichtet nach dem Tische hin, ohne mit einem Gruße zu beginnen, und sah über denselben auf die drei Frauen hin, den Ausdruck eines schmerzlichen Mitleids in seinem rauhen, durchfurchten Angesichte.
– Schlechte Nachrichten, sagte er. Ich bin ein Feind aller unnöthigen Bängniß. Offenheit ist eine Gunst in einem solchen Falle wie dieser. Ich will diese Gunst erweisen, und ich will offen die schlechten Nachrichten ankündigen.
Mr. Pendril folgte ihm. Er wechselte schweigend Händedruck mit Miss Garth und den beiden Schwestern und nahm sich einen Stuhl in ihrer Nähe. Mr. Clare setzte sich seitwärts auf einen Stuhl beim Fenster. Das von dem Regen gedämpfte Licht fiel sanft und trübe aus die Gesichter von Nora und Magdalene, welche ihm gegenüber beisammen saßen. Miss Garth hatte sich ein wenig hinter sie zum Theil in Schatten gesetzt. Das ruhige Antlitz des Advocaten wurde dicht neben ihr im Profil sichtbar. So erschienen die vier im Zimmer Anwesenden Mr. Clare, wie er in seiner Ecke zur Seite saß. Seine langen Finger griffen wie Adlerfänge in seine Kniee, seine dunklen beobachtenden Augen hefteten sich forschend bald auf dieses, bald auf jenes Gesicht. Das rieselnde Geräusch des Regens in dem Buschwerk und das helle rastlose Picken der Uhr auf dem Kaminsims machten das nur Minutenlange Stillschweigen, welches eintrat, als die gegenwärtigen Personen sich auf ihre Plätze gesetzt hatten, unbeschreiblich drückend. Es war für Alle eine Erleichterung, als Mr. Pendril sprach.
– Mr. Clare hat Ihnen bereits gesagt, hub er an, daß ich der Bringer schlechter Nachrichten bin. Ich bedaure sagen zu müssen, Miss Garth, daß Ihre Befürchtungen, als ich Sie das letzte Mal sprach, mehr Grund hatten, als meine Hoffnungen. Was jener herzlose ältere Bruder in seiner Jugend war, ist er noch in seinen alten Tagen. In allen meinen unliebsamen Erfahrungen von der Nachtseite des menschlichen Herzens ist mir kein Mann vorgekommen, in welchem jede mitleidige Regung so absolut fehlte, als Michael Vanstone.
– Meinen Sie, daß er das ganze Vermögen seines Bruders an sich nimmt und seine Bruderskinder ganz und gar leer ausgehen läßt? fragte Miss Garth.
– Er bietet eine Geldsumme für die nöthigen Ausgaben des Augenblicks an, erwiderte er, welche so erbärmlich und schmählich unzureichend ist, daß ich mich schäme, sie zu nennen.
– Und Nichts für die Zukunft?
– Absolut Nichts.
Als diese Antwort gegeben wurde, kam ein und derselbe Gedanke in demselben Augenblicke Miss Garth und Nora in den Sinn. Die Entscheidung, welche beide Schwestern gleichmäßig alles Vermögens beraubte, war für die jüngere von beiden noch nicht zu Ende. Michael Vanstones Entschluß hatte eigentlich den Spruch gesprochen, welcher Frank nach China verwies und alle Hoffnung der jetzigen Verheirathung Magdalenens zerstörte. Als die Worte aus des Advocaten Munde kamen, sahen Miss Garth und Nora ängstlich beklommen nach Magdalenen hin. Ihr Gesicht war um einen Schatten bleicher geworden, aber kein Zug darin bewegte sich, kein Wort entschlüpfte ihr. Nora, welche die Hand ihrer Schwester in der ihrigen hielt, fühlte sie einen Augenblick erzittern und dann erkalten: das war Alles.
– Gestatten Sie mir, Ihnen offen zu sagen, was meinerseits geschehen ist, begann Mr. Pendril aufs Neue, ich wünschte von Herzen, daß Sie nicht denken, ich habe irgend Etwas unversucht gelassen. Als ich zum ersten male an Michael Vanstone schrieb, so begnügte ich mich nicht mit der gewöhnlichen formellen Mittheilung. Ich stellte ihm offen und ernstlich jeden der Umstände, unter denen er Eigenthümer von seines Bruders Vermögen geworden war, vor Augen. Als ich die Antwort erhielt, daß ich mich an seine schriftliche Weisungen für seinen Anwalt in London zu halten hätte, und als eine Abschrift dieser Weisungen mir behändigt war, so weigerte ich mich auf das Bestimmteste, nachdem ich davon Einsicht genommen hatte, den Bescheid des Schreibers als endgültig anzuerkennen. Ich veranlaßte den Rechtsbeistand der andern Partei, uns einen weiteren Aufschub zu gewähren. Ich versuchte Mr. Noël Vanstone in London zu sprechen, in der Absicht, mich seiner Vermittelung zu versichern. Als auch Dieses mir fehlschlug, schrieb ich an seinen Vater zum zweiten Male. Die Antwort verwies mich in unverschämt kurzen Worten auf die mir bereits vorgelegten Weisungen; er erklärte diese Verhaltungsbefehle als sein letztes Wort und weigerte sich, sich mit mir weiter darüber brieflich einzulassen. Dies sind der Anfang und das Ende der Unterhandlung. Wenn ich ein Mittel, um auf diesen herzlosen Mann Eindruck zu machen, unversucht gelassen habe, so sagen Sie es mir, und jene Mittel sollen in Anwendung gebracht werden.
Er sah Nora an. Sie drückte ermuthigend die Hand ihrer Schwester und antwortete für sie Beide.
– Ich spreche ebenso für meine Schwester, als für mich selbst, sagte sie mit etwas lebhafterer Farbe im Gesicht, mit der ihr angeborenen sanften Weise, die durch eine stillduldende Trauer rührend wurde.
– Sie haben gethan, was nur zu thun menschenmöglich war, Mr. Pendril. Wir haben versucht, uns allzusicherer Hoffnungen zu entschlagen, und wir sind Ihnen für Ihre Güte aufs Innigste dankbar, zu einer Zeit, wo Güte uns Beiden so herbe Noth thut.
Magdalenens Hand erwiederte den Druck ihrer Schwester, zog sich dann zurück und machte sich einen Augenblick unruhig mit ihrer Kleidung zu schaffen und rückte darauf plötzlich den Stuhl näher an den Tisch. Indem sie einen Arm darauf stützte – die Hand fest angestemmt – sah sie zu Mr. Pendril hinüber. Ihr Gesicht, immer auffallend durch seinen Mangel an Farbe, war jetzt erschreckend anzuschauen in seiner unheimlich weißen blutlosen Blässe. Aber das Licht in ihren großen grauen Augen war so hell und fest, wie je. Ihre Stimme klang, obgleich in leisem Tone gehalten, hell und sicher im Ausdruck, als sie den Abdocaten mit folgenden Worten anredete:
– Verstand ich recht, so sagten Sie, Mr. Pendril, daß meines Vaters Bruder seine schriftlichen Befehle nach London geschickt hat, und daß Sie eine Abschrift davon haben. Haben Sie dieselbe aufgehoben?
– Ganz gewiß.
– Haben Sie dieselbe bei sich?
– Allerdings.
– Kann ich sie sehen?
Mr. Pendril zögerte und sah unruhig von Magdalenen nach Miss Garth und Von Miss Garth wieder nach Magdalenen.
– Ich bitte Sie, bestehen Sie mir zu Liebe nicht auf Ihrem Begehren, sagte er. Es genügt gewiß, daß Sie den Sinn der Weisungen kennen. Warum sollten Sie sich ohne allen Zweck aufregen durch das Lesen derselben? Sie sind in so grausamen Worten gehalten, sie zeigen eine so abscheuliche Gefühllosigkeit, daß ich es in der That nicht über mich gewinnen kann, Sie dieselben sehen zu lassen.
– Ich weiß Ihre Güte zu schätzen, Mr. Pendril, daß Sie mir Schmerz ersparen wollen. Allein ich kann Schmerz ertragen, ich verspreche, Niemand zu betrüben. Wollen Sie mir erlauben, meine Bitte zu wiederholen?
– Sie streckte ihre Hand aus, die zarte weiße, jungfräuliche Hand, welche bis jetzt noch durch keine Berührung befleckt oder hart geworden war.
– Ach, Magdalene, bedenke Dich doch noch einmal! sagte Nora.
– Sie betrüben Mr. Pendril, setzte Miss Garth hinzu, Sie betrüben uns Alle.
– Es kann zu Nichts führen, wendete der Advocat weiter ein, verzeihen Sie, wenn ich so sage, – es kann in der That zu Nichts führen, wenn ich Ihnen die Weisungen zeige.
(– Narren! sagte Mr. Clare vor sich hin. Haben sie denn keine Augen zu sehen, daß sie ihren eigenen Weg gehen will?)
– Eine Stimme sagt mir, daß es doch zu Etwas führt, beharrte Magdalene. Diese Entscheidung ist eine sehr ernste. Sie ist noch ernster für mich…
Sie sah sich nach Mr. Clare um, welcher sie ganz nahe beobachtete, und sah augenblicklich wieder weg mit dem ersten äußerlichen Zeichen von Bewegung, das ihr bis jetzt entschlüpft war.
– Sie ist für mich, begann sie wieder, aus besonderen Gründen noch ernster, als sie für meine Schwester ist. Ich weiß bis jetzt nur soviel, daß uns des Vaters Bruder unser Vermögen genommen hat. Er muß ganz besondere Gründe haben für ein solches Verfahren. Es steht ihm nicht zu, steht uns nicht zu, diese Motive verborgen zu halten. Er hat mit voller Ueberlegung Nora beraubt, mich beraubt, und ich denke, wir haben wohl ein Recht darauf, wenn wir wünschen, den Grund zu erfahren, warum.
– Ich wünsche es nicht, sagte Nora.
– Aber ich, versetzte Magdalene und hielt noch einmal ihre Hand ausgestreckt.
Jetzt erhob sich Mr. Clare und mischte sich zum ersten Male ein.
– Sie haben Ihr Gewissen beruhigt, sagte er zum Advocaten hin gewandt. Geben Sie ihr das Recht, das sie beansprucht. Es ist ihr Recht, wenn sie es haben will.
Mr. Pendril zog ruhig die geschriebene Weisung aus der Tasche.
– Ich habe Sie gewarnt, sagte er und reichte ihr, die Papiere über den Tisch hinüber, ohne weiter ein Wort zu verlieren.
Eines der beschriebenen Blätter war an der Ecke eingeknickt, und bei dieser Blattfalte begann das Manuskript, als Magdalene die Blätter zum ersten Male wendete.
– Ist Dies die Stelle, welche mich und meine Schwester angeht? fragte sie.
Mr. Pendril nickte, und Magdalene machte nun die Schrift vor sich auf dem Tische glatt aus einander.
– Willst Du bestimmen, Nora? fragte sie zu ihrer Schwester gewendet. Soll ich Dies laut lesen, oder soll ich es für mich lesen?
– Für sich, sagte Miss Garth, indem sie statt Nora antwortete, welche sie in stummer Verwirrung und Trauer ansah.
– Es soll geschehen, wie Sie wünschen, sagte Magdalene.
Nach diesen Worten wandte sie sich wieder zu der Schrift und las folgende Zeilen:
…Sie sind nun von meinen Wünschen in Betreff des baaren Vermögens unterrichtet, ferner in Betreff des Verkaufs der Einrichtung, der Wagen, Pferde und so weiter. Der noch übrige letzte Punct, über welchen ich Ihnen noch Weisung ertheilen muß, betrifft die Personen, welche das Haus bewohnen, und gewisse unbegründete Ansprüche von ihrer Seite, welche von einem Rechtsanwalte, Namens Pendril, erhoben worden sind. Dieser Letztere hat ohne Zweifel persönliche Gründe, sich an mich zu wenden.
– Ich höre, daß mein verstorbener Bruder zwei uneheliche Kinder hinterlassen hat, beides junge Frauenzimmer, welche in dem Alter sind, daß sie selbst ihren Lebensunterhalt verdienen können. Verschiedene Vorstellungen, alle durch die Bank auf unrichtigen Voraussetzungen beruhend, sind betreffs dieser Personen von dem sie vertretenden Rechtsanwalt vorgebracht worden. Haben Sie die Güte, ihm zu erklären, daß weder Sie, noch ich Etwas auf ledigliche Gefühlsangelegenheiten geben. Dann geben Sie ihm zu seiner Belehrung offen die Gründe an, welche mein Verfahren leiten, und die Entschädigung, welche ich für gut befinde den beiden jungen Frauenzimmern auszuwerfen. Ihre Anweisung betreffs dieser beiden Puncte werden Sie im Nächstfolgenden des weiteren angegeben finden.
– Ich will, daß die betreffenden Personen ein für alle Mal wissen, wie ich diese Umstände als ein Werk der Vorsehung ansehe, welches mich wieder in das Erbe eingesetzt hat, das immer hätte mein sein sollen. Ich erhalte das Geld nicht allein als mein Recht, sondern auch als eine angemessene Entschädigung für die Ungerechtigkeit, welche ich von meinem Vater erlitten habe, und als eine angemessene Buße meines jüngeren Bruders für die elenden Ränke, durch welche er es dahin brachte, mich enterben zu lassen. Seine Aufführung als junger Mann war in allen Lebensbeziehungen auf eine und dieselbe Weise zu verdammen, und was er damals war, Das ist er auch nach der Darstellung seines gesetzlichen Vertreters fort und fort gewesen, selbst nach der Zeit, wo ich alle Verbindung mit ihm abgebrochen hatte. Er scheint ein Weib, welches nicht seine Ehefrau war, planmäßig der Gesellschaft als seine Gattin aufgedrängt und dann dieser greulichen Verletzung der Sitte dadurch die Krone aufgesetzt zu haben, daß er Dieselbe nachmals wirklich heirathete. Eine solche Ausführung hat auf ihn und seine Kinder ein Strafgericht heraufbeschworen. Ich will nicht mein eigenes Haupt der Vergeltung aussehen, dadurch, daß ich diesen Kindern beistehe, den Betrug, welchen ihre Aeltern angesponnen haben, fortzusetzen und ihnen dazu zu verhelfen, eine Stellung in der Welt einzunehmen, auf welche sie kein Anrecht haben. Sie mögen sich, wie es ihre Geburt mit sich bringt, ihr Brod durch Dienen erwerben. Wenn sie sich bereit finden, ihre Stellung anzunehmen, wie sie ist, so will ich ihnen durch ein Geschenk von hundert Pfund für Jede helfen, sich eine Lebensstellung zu begründen. Diese Summe ersuche ich Sie ihnen auszuzahlen, wenn sie sich persönlich darum bemühen, gegen die nothwendige Empfangsbescheinigung und unter der ausdrücklichen Verständigung, daß, wenn Dies abgemacht ist, meine Beziehungen zu ihnen ihren Anfang und zugleich ihre Endschaft erreicht haben. Die Anordnungen, unter welchen sie das Haus verlassen, stelle ich Ihrem Ermessen anheim, und habe ich nur hinzuzufügen, daß es bei dieser meiner Entscheidung hierüber, wie über alle anderen Puncte nun sein Bewenden hat.
Zeile für Zeile las Magdalene, ohne von den Blättern vor ihr ein Auge zu verwenden, diese harten Machtsprüche durch Von Anfang bis zu Ende. Die anderen Personen im Zimmer sahen Alle mit Spannung auf sie hin, sahen das Kleid über ihrem Busen schneller und schneller sich heben und senken, sahen die Hand, mit welcher sie die Schrift leicht am Rande hielt, sich unbewußt um das Papier schließen und es zerknittern, wie sie dem Ende näher und näher kam, entdeckten aber auch kein anderes äußeres Zeichen von der in ihr vorgehenden Bewegung. Sobald sie fertig war, schob sie die Schrift stillschweigend bei Seite und legte plötzlich ihre Hände vors Gesicht. Als sie dieselben wieder wegnahm, bemerkten alle vier im Zimmer anwesenden Personen eine Veränderung in ihr. Etwas in ihrem Ausdrücke hatte sich unmerklich und still verändert: Etwas, das die Familienähnlichkeit in ihren Zügen plötzlich selbst für ihre Schwester und Miss Garth nicht mehr erkennbar machte und ihr ein fremdes Ansehen gab, Etwas, das alle späteren Jahre hindurch im Zusammenhang mit diesem Tage unauslöschlich ihrer Erinnerung eingeprägt blieb, aber sich nicht näher beschreiben ließ.
Die ersten Worte, die sie sprach, waren an Mr. Pendril gerichtet.
– Darf ich Sie noch um eine weitere Gefälligkeit bitten, sagte sie – ehe Sie Ihre geschäftlichen Anordnungen treffen?
Mr. Pendril antwortete höflich durch eine zustimmende Gebärde. Magdalenens Entschluß, die Weisungen an den Advocaten der Gegenpartei sich selbst verlegen zu lassen, schien keinen günstigen Eindruck auf das Herz des Anwaltes gemacht zu haben.
– Sie erwähnten, was Sie so gut gewesen waren in unserm Interesse zu unternehmen, als Sie zum ersten Male an Mr. Michael Vanstone schrieben, fuhr sie fort. Sie sagten, Sie hätten ihm alle Umstände mitgetheilt. Klären Sie mich vollkommen darüber auf – wenn Sie so gut sein wollen, was er von uns wußte, als er seinem Advocaten diese Befehle schickte. Wußte er, daß mein Vater ein Testament gemacht hatte und daß er unser Vermögen meiner Schwester und mir hinterlassen hatte?
– Er wußte es, sagte Mr. Pendril.
– Sagten Sie ihm, wie es gekommen, daß wir in diese hilflose Lage versetzt sind?
– Ich sagte ihm, daß Ihr Vater, als er heirathete, keine Ahnung davon hatte, daß er ein anderes Testament machen müßte.
– Und daß, wäre nicht das fürchterliche Unglück seines Todes vorgefallen, ein anderes Testament nach seiner Besprechung mit Mr. Clare gemacht worden sein würde?
– Auch Das wußte er.
– Wußte er, daß meines Vaters unermüdliche Güte und Freundlichkeit gegen uns Beide …
Ihre Stimme zitterte zum ersten Male, sie seufzte auf und legte ihre Hand matt an ihr Haupt. Nora sprach ihr zu und bat sie. Mr. Clare saß schweigend und beobachtete sie immer ernster und schärfer. Sie antwortete auf die Bitte ihrer Schwester mit einem schwachen Lächeln.
– Ich will mein Versprechen halten, ich will Niemanden das Herz schwer machen.
Mit dieser Antwort wandte sie sich wieder zu Mr. Pendril und wiederholte fest ihre Frage, aber in einer andern Form.
– Hatte Mr. Michael Vanstone Kenntniß davon, daß meines Vaters größte Sorge war, mich und meine Schwester sicher versorgt zu wissen?
– Er hatte Kenntniß davon mit Ihres Vaters eigenen Worten. Ich schickte ihm einen Auszug aus Ihres Vaters letztem Briefe an mich.
– Der Brief, welcher Sie um Gottes Willen zu kommen und ihn von dem fürchterlichen Gedanken, daß Eine Töchter unversorgt wären, zu befreien bat. Der Brief, welcher sagte, er würde keine Ruhe im Grabe haben, wenn er uns enterbt hinterlassen müßte?
– Jener Brief und jene Worte.
Sie hielt inne, hielt aber noch immer ihre Augen fest auf des Advocaten Gesicht geheftet.
– Ich muß erst Alles in meinem Geiste befestigen, ehe ich weiter gehe, sagte sie dann. Mr. Michael Vanstone wußte vom ersten Testamente —, wußte, was die Aufsetzung des zweiten Testaments vereitelte —, wußte von dem Briefe, und er las die Worte. – Was wußte er sonst noch? Berichteten Sie ihm von meiner Mutter letzter Krankheit? Sagten Sie ihm, daß ihr Antheil an dem Vermögen uns hinterlassen worden wäre, wenn sie ihre sterbende Hand in Ihrer Gegenwart hätte erheben können? Versuchten Sie ihn die Schmach fühlen zu lassen, daß es in England Gesetze gibt, vor denen Mädchen in unserer Lage Niemandes Kinder heißen, und welche ihm verstatten, uns zu behandeln, wie er uns jetzt behandelt?
– Das Alles habe ich ihm vorgestellt Ich ließ Nichts davon bloß angedeutet, ich ließ Nichts davon weg.
Sie streckte langsam ihre Hand nach der Abschrift der Weisungen aus, faltete diese langsam wieder so zusammen wie sie ihr übergeben waren.
– Ich bin Ihnen zu großem Danke verpflichtet, Mr. Pendril.
Mit diesen Worten verbeugte sie sich und schob ihm die Schrift über die Tafel wieder hinüber. Dann wandte sie sich an ihre Schwester.
– Nora, sagte sie, wenn wir Beide das Leben behalten und alt, werden und wenn Du je vergißt, was wir Alles Michael Vanstone schuldig sind, – so komme zu mir, und ich will es Dir wieder ins Gedächtniß bringen.
Sie stand auf und ging vor sich hin nach dem Fenster. Als sie an Mr. Clare vorüberkam, streckte der alte Mann seine krallenartige Hand aus und faßte sie fest am Arme, ehe sie ihn gewahr wurde.
– Was verbergen Sie unter dieser Maske? fragte er, indem er sie zwang, sich zu ihm zu beugen, und ihr fest ins Angesicht schaute. Von welchen Endgraden der menschlichen Temperatur kommt Ihr Muth her, von der todten Kälte oder der Weißglühhitze?
Sie schreckte vor ihm zurück und wandte schweigend ihr Haupt hinweg. Von keinem andern Menschen als von Franks Vater würde sie dieses rücksichtslose Eindringen in ihre Gedanken jemals geduldet haben. Er ließ ihren Arm so plötzlich wieder los, als er ihn erfaßt hatte, und ließ sie zum Fenster gehen.
– Nein, sprach er zu sich selbst, nicht das Extrem der Kälte, was es auch sonst nur sein mag. Um so schlimmer für sie und alle ihre Angehörigen.
Es trat eine augenblickliche Pause ein. Noch ein Mal füllten das rieselnde Geräusch des Regens und das beständige Picken der Uhr die Lücke des allgemeinen Schweigens aus. Mr. Pendril steckte die Weisungen wieder in seine Tasche, dachte einen Augenblick nach und wandte sich dann an Nora und Miss Garth, um ihre Aufmerksamkeit aus die augenblicklichen dringenden Anforderungen der Zeit zu richten.
– Unsere Besprechung ist unnöthigerweise ausgedehnt worden, sagte er, durch schmerzliches Aufrühren der Vergangenheit. Viel besser thun wir, unsere Anordnungen für die Zukunft zu treffen. Ich muß diesen Abend wieder in die Stadt7 zurück. Lassen Sie mich gefälligst wissen, wie ich am Besten Ihnen helfen kann. Lassen Sie mich gütigst erfahren, welche Unruhe und welche Verantwortung ich Ihnen abnehmen kann.
Für den Augenblick schienen weder Nora, noch Miss Garth fähig zu sein, ihm zu antworten. Die Art und Weise, wie Magdalene die Nachricht aufnahm, welche die Heirathsaussicht, die ihres Vaters eigener Mund kaum vor einem Monate ihr eröffnet hatte, zerstörte, mußte sie Beide gleich befremden und verletzen. Sie hattet: ihren Muth zusammengenommen, um dem Ausbruche ihres leidenschaftlichen Jammers gewachsen zu sein, oder die noch härtere Prüfung, den Anblick ihrer stummen Verzweiflung, ertragen zu können. Allein sie waren nicht vorbereitet gewesen auf ihren unwiderruflichen Entschluß, die Weisungen zu lesen, auf die schrecklichen Fragen, welche sie an den Advocaten gerichtet hatte, auf ihre unerschütterliche Beharrlichkeit, alle Umstände in ihr Gedächtnis; zu graben, unter welchen Michael Vanstones Entscheidung ausgesprochen worden war. Dort stand sie nun am Fenster, ein unergründliches Geheimniß für die Schwester, welche sie niemals verlassen, für die Erzieherin, welche sie von Kindheit auf erzogen hatte. Miss Garth erinnerte sich der dunklen, schlimmen Gedanken, welche ihr durch den Sinn gegangen an dem Tage, wo sie und Magdalene im Garten zusammengekommen waren. Nora sah in die Zukunft hinaus mit der ersten ernstlichen Furcht in Hinsicht ihrer Schwester, die sie bisher gefühlt hatte. Beide hatten sich bisher in der Verzweiflung, daß sie nicht wußten, was sie thun sollten, leidend Verhalten. Beide schwiegen jetzt, in der Verzweiflung, daß sie nicht wußten, was sie sagen sollten.
Mr. Pendril kam ihnen ruhig und freundlich zu Hilfe, indem er das Gespräch zum zweiten Male aus ihre Zukunftspläne zurückleitete.
– Ich bedaure, daß ich Ihre Aufmerksamkeit auf Geschäftsangelegenheiten lenken muß, sagte er, jetzt, wo Sie nothwendigerweise ganz unfähig sind, sich damit zu befassen. Allein ich muß heute Abend meine Weisungen mit mir nach London nehmen. In erster Stelle rücksichtlich des ungroßmüthigen Geldanerbietens, auf das ich bereits angespielt habe. Da die jüngere Miss Vanstone die Weisungen für den andern Advocaten gelesen hat, so braucht es keiner weiteren mündlichen Aufschlüsse von meiner Seite. Die ältere wird mich hoffentlich entschuldigen, wenn ich ihr zu sagen habe – was ich mich zu sagen schämen muß, was jedoch eine Sache der Nothwendigkeit ist – daß Mr. Michael Vanstones Entschädigung für seine Bruderskinder Alles in Allem in dem Anerbieten von hundert Pfund für Jedes derselben besteht.
Noras Angesicht wurde roth vor Unwillen. Sie erhob sich, als wenn Michael Vanstone selbst im Zimmer anwesend gewesen wäre und sie persönlich beleidigt hätte.
– Ich sehe, sagte der Advocat, welcher sie schonen wollte, ich soll Mr. Vanstone erklären, daß Sie das Geld zurückweisen.
– Sagen Sie ihm, brach sie leidenschaftlich heraus, und wenn ich an der Landstraße sterben sollte, so würde ich keinen Heller davon anrühren!
– Soll ich ihm Ihre Zurückweisung ebenfalls melden? fragte Mr. Pendril, indem er sodann mit Magdalenen sprach.
Sie wandte sich rasch vom Fenster um, hielt aber ihr Gesicht in Schatten, indem sie dicht davor stehen blieb, mit dem Rücken gegen das Licht.
– Sagen Sie ihm von meiner Seite, sprach sie, er solle es noch einmal überlegen, bevor er mich mit hundert Pfund ins Leben hinausschickt. Ich will ihm Zeit zum Ueberlegen geben.
Sie sprach diese seltsamen Worte mit scharfer Betonung und entzog, indem sie sich plötzlich wieder zum Fenster herumdrehte, ihr Gesicht allen Anwesenden, die sie hätten beobachten können.
– Sie Beide weisen also das Angebotene zurück, sagte Mr. Pendril.
Er nahm seinen Bleistift und machte sich berufsmäßig eine Notiz über diese Entschließung. Als er sein Notizbuch zumachte, sah er ungewiß nach Magdalenen hin. Sie hatte in ihm das geheime Mißtrauen rege gemacht, das einem Advocaten zur zweiten Natur geworden zu sein pflegt. Ihre Blicke hatten ihn argwöhnisch gemacht, ihre Reden hatten seinen Verdacht geweckt. Ihre Schwester schien mehr über sie zu vermögen, als Miss Garth. Er beschloß, mit ihrer Schwester insgeheim zu reden, bevor er wegginge.
Während ihm noch dieser Gedanke durch den Kopf ging, nahm Magdalene noch einmal seine Aufmerksamkeit mit einer Frage in Anspruch.
– Ist er ein alter Mann? fragte sie plötzlich, ohne sich vom Fenster herum zu drehen.
– Wenn Sie Mr. Michael Vanstone meinen, so ist derselbe fünfundsiebzig oder sechsundsiebzig Jahre alt.
– Sie sprachen unlängst von seinem Sohne. Hat er noch andere Söhne… oder Töchter?
– Keine weiter.
– Wissen Sie Etwas von seiner Frau?
– Sie ist seit vielen Jahren todt.
Es trat eine Pause ein.
– Warum thust Du diese Fragen? sagte Nora.
– Entschuldige mich, erwiderte Magdalene ruhig. Ich werde Nichts mehr fragen.
Zum dritten Male kam Mr. Pendril auf die geschäftliche Seite der Unterredung zurück.
– Die Dienstboten dürfen nicht vergessen werden, sprach er. Sie müssen ausgezahlt und entlassen werden. Ich muß Denselben, bevor ich gehe, die nöthigen Aufklärungen geben. Was das Haus anbelangt, so brauchen Sie sich darüber in keinerlei Hinsicht etwa Sorgen zu machen. Die Wagen, Pferde, die Einrichtung und das Silber und so weiter müssen einfach in Bereitschaft gehalten werden, um Mr. Michael Vanstones fernere Befehle abzuwarten. Alle Besitzstücke jedoch, Miss Vanstone, welche persönlich Ihnen. oder Ihrer Schwester gehören, Ihre Kleinodien und Kleider und alle kleinen Geschenke, welche Sie erhalten haben, alles Dieses bleibt zu Ihrer Verfügung. Die Zeit Ihres Wegzugs anlangend, glaube ich, daß ein Monat oder darüber vergehen wird, ehe Mr. Michael Vanstone Zürich verlassen kann, und ich glaube seinen Rechtsanwalt gut genug zu kennen, wenn ich annehme…
– Erlauben Sie, Mr. Pendril, unterbrach ihn Nora, ich habe, glaube ich, von dem, was Sie sagten, soviel verstanden, unser Haus und Alles, was darin ist, gehört jetzt…
Sie stockte, als ob das bloße Aussprechen von des Mannes, Namen ihr Ueberwindung koste.
– Gehört jetzt Mr. Michael Vanstone, sprach Mr. Pendril. Das Haus fällt an ihn wie das Uebrige des Vermögens.
– Dann bin ich sofort bereit, es morgen zu verlassen.
Magdalene fuhr am Fenster zusammen, als ihre Schwester sprach, und sah Mr. Clare an, mit den ersten offenen Zeichen von Angst und Unruhe, welche sie jetzt hatte merken lassen.
– Seien Sie nicht böse mit mir, flüsterte sie, indem sie sich über den alten Mann mit einem plötzlichen Anfluge von Demuth im Blicke und nervöser Aufregung in ihrer Bewegung beugte. Ich kann nicht von hinnen, wenn ich nicht Frank vorher gesehen habe.
– Sie sollen ihn sehen, erwiderte Mr. Clare. Ich bin hier, um mit Ihnen darüber zu sprechen, wenn das Geschäftliche erledigt ist.
– Es ist ganz und gar nicht nöthig, Ihren Wegzug zu übereilen, sowie Sie vorhaben, fuhr Mr. Pendril fort, indem er sich an Nora wandte. Ich kann Ihnen fest versichern, daß in einer Woche noch Zeit genug ist.
– Wenn dies Mr. Michael Vanstones Haus ist, wiederholte Nora, so bin ich bereit, es morgen zu verlassen.