Kitabı oku: «Verbergen und Suchen», sayfa 35
»Oh! ich wünsche, ich wäre sogleich stark genug zum Gehen! Kommt herein, Mat, und lasst uns darüber diskutieren.«
»Warte ein bisschen, ich komme gleich.« Bei diesen Worten erhob er sich vom Stuhle und warf den Brief ins Feuer.
»Was macht Ihr nur so lange darin?« fragte der junge Thorpe.
»Erinnerst Du Dich«, sagte Mat, indem er ins Schlafzimmer ging und sich an Zacks Kopfkissen niederließ, »– erinnerst Du Dich, dass ich, als wir zuerst zusammen kamen, zu Dir sagte, wir wollen Brüder sein? Wohl an, Zack, ich habe versucht, mein Wort zu erfüllen.«
»Versucht? Wie meint Ihr das? Ich verstehe Euch nicht, alter Knabe!«
»Einst wirst Du es besser verstehen, ohne Zweifel. Lass uns jetzt über unsere Seereise und die uns bevorstehende Büffeljagd sprechen.«
Sie disputierten über das Reiseprojekt so lange, bis Zack einschlief. Als er im Schlummer lag, ging Mat in das Vorderzimmer, nahm Mr. Thorpes Brief an Mr. Blyth, verließ Kirk Street und begab sich nach des Malers Wohnung.
Es hatte sich seit Valentins Rückkehr vom Lande einige Mal ereignet, dass er über sein Bureau musste, dabei aber niemals die kleine Schublade geöffnet, worin er das Haarbracelet seit vielen Jahren verborgen hatte. Demzufolge war er auch noch vollständig unwissend über das Verschwinden desselben, als Matthias Grice in das Zimmer trat und es ihm ruhig aushändigte.
Bestürzung und Erstaunen durchschauerte ihn so überwältigend, dass er ruhig litt, wie der Besucher die Türen verschloss, ja er ließ sich sogar ruhig ohne Frage und ohne Wortwechsel zu einem Stuhle führen. Durch die ganze Erzählung hindurch, welche Mat nun begann, saß er sprachlos, bis Mr. Thorpes Brief in seine Hand gegeben und er dadurch belehrt ward, dass Madonna auch fernerhin ganz allein seiner väterlichen Fürsorge anvertraut bleiben solle. Dann bekamen seine Wangen die natürliche Farbe wieder und er rief feierlich aus: »Gott sei Dank! Ich werde sie nicht verlieren. Nur wünschte ich, dass Sie mir gleich beim ersten Eintritt in mein Haus die Verhältnisse erzählt hätten!«
Dies sagend, las er Mr. Thorpes Brief. Als er geendet hatte, standen ihm die Tränen in den Augen. Der gutherzige Mann blickte Mat an und sagte: »Es ist überraschend, dass er in solch demütigen Worten an mich schreibt und noch zweifelt, ob ich ihm vergeben könne, während er ein Recht auf meine Dankbarkeit hat, dass er mein Herz nicht durch Wegnehmen unseres teuren Kindes bricht – denn als das Unsrige muss ich es jetzt doch bezeichnen. Sie sind sich niemals begegnet – er hat noch niemals ihr Antlitz gesehen«, ergänzte Valentin mit schwacher Stimme. »Sie trug auf meinen Wunsch stets ihren Schleier, wenn wir ausgingen, und unsere Promenaden wurden stets auf ländlichen Wegen gemacht, um die Stadt nicht zu berühren. Ich erinnere mich, dass ich ihn einmal auf uns zukommen sah, aber wir kreuzten die Straße. Es ist schrecklich – Vater und Tochter leben so nahe zusammen – und sind sich doch so weit – so weit entfernt. Schrecklich! sich so etwas zu denken! Aber was noch viel schrecklicher ist, es zu denken – wie sie Ihnen die Haare vorhielt – und durch ihr etwas unschickliches Betragen zur Entdeckung ihres wahren Vaters führte!«
»Beabsichtigen Sie, ihr alles über diese Verhältnisse wissen zu lassen, was wir wissen?« fragte Matthias.
Der Blick des Schreckens und der Furcht begann sich wieder in Valentins Angesicht zu zeigen. »Haben Sie Zack alles erzählt?« fragte er nervös ärgerlich.
»Nein«, sagte Mat, »und tun Sie es auch nicht! Wenn Zack wieder auf den Beinen ist, gehen wir auf Reisen und machen eine Jagdpartie in jenem wilden Lande jenseits des Ozeans. Ich bin dem Jungen so zugetan, als wenn er ein Stück von meinem Fleisch und Blut wäre. Ich gewann ihn lieb, als er in der Sängerhalle so eifrig losschlug für mich – seitdem sind wir Brüder geworden. Ich habe Zacks Vater nur wegen Zack geschont und denke an keine Rache weiter, als dass ich den Jungen auf eine Saison mit zur Jagd nehmen will. Wenn wir erst hier Lebewohl gesagt haben, dann werde ich Zack das Ereignis erzählen; aber jetzt möchte ich nicht gern einen trüben Blick in sein Antlitz bringen über das, was zwischen seinem Vater und mir passiert ist.«
Obgleich die letzten Worte weder Interesse noch Erstaunen in Valentins Geiste erregten, so verminderten sie auch nicht die durch Mats vorhergehende Frage entstandene Ängstlichkeit. Er begann jetzt die Notwendigkeit zu fühlen, sich seiner großen Ratgeberin in allen Schwierigkeiten und Trösterin in allen Leiden – der Mrs. Blyth – anzuvertrauen. »Belieben Sie ein klein wenig hier in warten, während ich meiner Frau die befremdende Neuigkeit überbringe!« sagte er. »Ich wünsche in dieser ernsten Schwierigkeit beziehentlich des armen Kindes ganz von ihrem Rate geleitet zu werden. Wollen Sie gefälligst kurze Zeit hier verweilen?«
»Jawohl! – Matthias Grice wird sehr gern warten.« Nach diesen Worten verließ Mr. Blyth sogleich das Zimmer.
Er verweilte lange Zeit oben, und als er wieder zurückkam, schien seine Physiognomie sich durchaus nicht geändert zu haben.
»Meine Frau hat mir eine Entdeckung gemacht«, sagte er, »welche sie durch ihre innige Sympathie mit unserer Tochter zu machen befähigt war. Ich bin sowohl erstaunt als betrübt über das Gehörte. Aber ich fühle mich genötigt, dass wir Madonna – oder Marie – nicht eher die Verhältnisse erklären können, bis Zack England verlassen hat. Als ich das Projekt Ihrer Reise vernahm, hatte ich allerlei Einwendungen dagegen zu machen, nach dem aber, was mir meine Frau soeben gesagt hat, sind sie alle verschwunden. Ich stimme jetzt herzlich mit Ihnen überein, dass Zack nichts Besseres tun kann, als den beabsichtigten Ausflug. Sie sind willig und bereit, für ihn zu sorgen; und ich glaube zuversichtlich, dass wir Ihnen sicher vertrauen können.«
Nachdem nun die ernste und große Schwierigkeit beseitigt war, nahm Valentin Gelegenheit, sich den kleineren Begebenheiten zuzuwenden. Unter verschiedenen andern Fragen erkundigte er sich auch, auf welche Art und Weise Mat in den Besitz des Haarbracelets gelangt sei. Dieser antwortete mit dem freiesten Bekenntnis, welches die Geduld und Nachsicht des gutherzigen Malers aufs Höchste auf die Probe stellte, als er es mit anhörte und welches ihm auch einige Worte des strengsten Tadels und Vorwurfs entlockte, wie sie wohl noch nie seinen Lippen entströmt waren. Mat hörte ihn ruhig an, bis er geendet, dann nahm er seinen Hut und murmelte einige Worte der Verteidigung, welche Valentins Gutherzigkeit sogleich akzeptierte, wie sie gesprochen waren. »Wir müssen, was vergangen ist, vergangen sein lassen«, sagte der Maler. »Sie sind redlich gegen mich gewesen in jeder Weise, und in Anerkennung dieser Redlichkeit sage ich Ihnen als Freund gute Nacht.«
Als Mat wieder in Kirk Street ankam, trat ihm die Hauswirtin aus ihrer Stube entgegen und sagte, dass während seiner Abwesenheit ein Besuch oben gewesen wäre. Eine ältliche, blasse und kränkliche Lady hätte nach dem jungen Thorpe gefragt und bemerkt, dass sie seine Mutter sei. Zack hätte noch geschlafen; die Lady wäre sodann zur Treppe hinauf in das Zimmer gegangen, hätte sich über ihn gebeugt und ihn viele mal geküsst und wäre dann eilig und in Tränen fortgegangen. Mats Angesicht wurde sehr ernst, und als die Hauswirtin geendigt, befahl er ihr, nichts davon zusagen, wenn Zack erwacht sei. Es schien, als ob Mrs. Thorpe das Geheimnis ihres Gatten erfahren und sich ihm nun in treuer Liebe als Trösterin gewidmet habe.
Als der Arzt am folgenden Morgen seine regelmäßige Visite abstattete, ward er sogleich befragt, wann Zack soweit genesen sein werde, um eine Reise unternehmen zu können. Nach sorgfältiger Betrachtung der verwundeten Kopfseite, erwiderte er, dass der junge Mann nach etwa einem Monat die Reise sicher antreten könne, und dass die beabsichtigte Seereise seine Gesundheit und Kraft viel vollkommener herstellen würde, als alle nervenstärkenden Medikamente, welche sämtliche Ärzte in England verschreiben könnten. – Matthias mochte die monatliche Untätigkeit, in welcher er wegen Zacks Krankheit verweilen musste, langweilig finden; aber ein Geschäftsbesuch aus Dibbledean veränderte die Situation. Obgleich Mat den wackeren Rechtsanwalt undankbarerweise ganz und gar vergessen hatte, so hatte aber Mr. Tatt seinen Klienten keineswegs auch vergessen, sondern mit unverdrossenem Fleiß und fester Entschlossenheit dessen Interessen verfolgt. Er hatte auskundschaftet, dass Mats Vater ihm eine Summe von zweitausend Pfund ausgesetzt habe, wenn seine Identität sicher festgestellt werden könnte. Dieses nun zu bewirken, war jetzt das große Vorhaben von Mr. Tatts Ehrgeiz. Er hatte hierbei nicht nur die Aussicht, selbst Geld zu gewinnen, sondern auch – bei glücklichen Erfolg – ein berühmter Rechtsanwalt in Dibbledean zu werden. Und vermittelst seiner eifrigen Beharrlichkeit musste er endlich einen glücklichen Erfolg haben. Er trug Mat auf allen Straßen und Plätzen aus, ließ ihn in allen Zeitungen signalisieren, brachte allerlei Papiere und Erklärungen bei, häufte überhaupt innerhalb eines Monats eine solche Masse von evidenten Beweisen auf, dass endlich Mr. Nawby, der Testamentsvollstrecker des verstorbenen Josua Grice – sich selbst für überführt erklärte und die beanspruchte Identität der Person anerkannte. Als Mat dies vernommen, beorderte er Mr. Tatt, nach Abzug der Anwaltskosten vom Legat, eine solche gesetzliche Form festzustellen, wodurch die Summe einer andern Person zugeschrieben werde. Und als Mr. Tatt um den Namen der Person fragte, bat er zu schreiben »Martha Peckover« – »Marias Kind ist Ihrer Fürsorge anvertraut und hat von ihrem Vater Geld genug zum Unterhalt empfangen«, sagte Mat, als er das Dokument in Valentins Hände gab. »Wenn Martha Peckover alt geworden und nicht mehr arbeiten kann, wird sie ein paar Banknoten wohl bedürfen. Geben Sie ihr dies – wenn ich abgereist bin – und sagen Sie ihr: sie hätte es von Marias Bruder an dem Tage geerntet, wo sie Marias halbverhungertes Kind am Wege gesäugt habe.«
Der Tag der Abreise kam näher. Zack erholte sich sehr schnell, so dass er bald befähigt ward, das von seinem Vater angekommene Schreiben bei dessen Agenten abzuholen. Es versicherte ihm kurz, aber sehr gütig die erbetene Verzeihung, wies ihm bei einem Geschäftsmann die ihm zugestandene Geldsumme an, die er für seine Studien in der Kunst oder zu anderweitigen Beschäftigungen verwenden könne, und animierte ihn, Mr. Blyth stets als seinen besten Freund und Ratgeber zu betrachten; schließlich ward er noch gebeten, öfters über sich und seine Beschäftigungen an seine Mutter zu schreiben und die Briefe durch den erwähnten Agenten zu übersenden.
Als Zack von diesem Gentleman hörte, dass sein Vater das Haus in Baregrove-Square verlassen habe, wünschte er zu wissen, welche Ursache ihn zu seinem Wohnungswechsel veranlasst habe. Darauf ward er informiert, dass der Gesundheitszustand Mr. Thorpes ihn dazu genötigt habe, sich einen stillen, zurückgezogenen Aufenthalt der Ruhe zu wählen. Und aus diesen Gründen werde auch der betreffende Ort keiner Person genannt werden.
Der Tag der Abreise war angekommen. Am Morgen schrieb Zack auf Valentins Rat an seine Mutter, dass er in Begriff sei, mit einem guten Freunde, den Mr. Blyth selbst als zuverlässig bezeichnet habe, eine Vergnügungsreise zu machen. Während er damit beschäftigt war, hatte der Maler eine geheime Zusammenkunft mit Matthias Grice, wobei ihn dieser recht ernstlich bat, sich ja stets der großen Verantwortlichkeit hinsichtlich seines jungen Gesellschafters zu erinnern. Mat erwiderte kurz und charakteristisch: »Ich sagte Ihnen, dass ich ihm so zugetan sei, als wenn er ein Stück meines eigenen Fleisches und Blutes sei. Wenn Sie nun nach dem Gesagten noch nicht glauben, dass ich ihn hinreichend im Auge behalten und für ihn sorgen werde, so kann ich überhaupt nichts mehr zu Ihnen sagen.«
Beide Reisende waren in Mrs. Blyths Zimmer erschienen, um Lebewohl zu sagen. Es war ein trauriger Abschied. Zacks Gemüt war seit seiner Visite bei dem Agenten nicht mehr so heiter und leicht wie früher, – und die andern versammelten Personen waren mehr oder weniger über die bevorstehende Trennung betrübt. Madonna – vor einigen Tagen noch wohl – sah sehr krank und angegriffen aus. Und jetzt, als sie die traurigen scheidenden Gesichter sah, ward das arme Mädchen so vom Schmerz übermannt, dass sie ihre Selbstbeherrschung verlor und die peinlichsten Anfälle bekam, so dass Zack die Abschiedsszene sehr schnell beendigte und zuerst das Zimmer verließ. Ihm folgte Matthias auf den Hausflur, dann blieb er stehen – plötzlich wandte er sich um und betrat wieder das Zimmer. Er ergriff noch einmal die Hand seiner Schwestertochter, bog sich über das blasse und in Tränen schwimmende Mädchen und küsste sie recht herzlich auf die Wangen.
»Sagen sie ihr eines Tages, dass ich und ihre Mutter Spielgefährtinnen zusammen waren«, sprach er zu Mrs. Blyth, verließ das Zimmer und wanderte mit Zack zur Treppe hinunter.
Valentin begleitete sie bis zum Schiffe. Als sie sich die Hände schüttelten, sagte er zu Matthias: »Zack hat versprochen, binnen einem Jahre wieder zurückzukommen. Werden wir Sie auch dann wiedersehen?«
Mat nahm den Maler zur Seite, ohne die Frage direkt zu beantworten. »Wenn Sie einmal nach Bangbury kommen«, wisperte er, »so blicken Sie auf den Kirchhof in die dunkle Ecke unter den Bäumen. Da ist ein neues Stück Walnussholz an dem Kreuze angebracht, wo sie beerdigt liegt. Es würde ein Trost für mich sein, wenn ich die Gewissheit mit mir nähme, dass es schön blank und sauber gehalten wird. Wenn Sie es also ein klein wenig reinigten, im Fall dass es schmutzig ist, so würden Sie mich dadurch sehr erfreuen, – denn ich selbst werde den Platz nie wiedersehen in meinem Leben. —«
Traurig und gedankenvoll wanderte Valentin allein nach seiner Wohnung zurück und begab sich in das Zimmer seiner Gemahlin.
Als er die Tür öffnete, blieb er erstaunt auf der Schwelle stehen, denn er sah Madonna an der Seite ihrer Adoptivmutter sitzen, das Haupt an deren Busen verborgen und die Arme um ihren Nacken geschlungen.
»Hast Du ihr alles zu sagen gewagt, Lavinia?« fragte er.
Mrs. Blyth war nicht fähig, ein Wort zu sprechen, – sie blickte ihn tränenvoll an und senkte ihr Haupt.
Valentin weilte noch einen Augenblick in der Tür – dann schloss er sie sanft und ließ die Damen allein.
Schluss-Kapitel – Anderthalb Jahre später
Es war ein schöner Augusttag – die letzten Sonnenstrahlen verschwanden allmählich im Westen – gleichwie das Menschenleben des Gerechten allmählich zur ewigen Ruhe entschlummert. Mr. Blyth saß in Lavinias Gesellschaftszimmer, um die sanft kühlende Abendluft durch die Fenster zu genießen.
An der Seite seiner Gattin und Madonnas saßen noch zwei andere Damen als Gast. Die eine war Mrs. Thorpe, die andere Mrs. Peckover; beide waren gekommen, um der freudevollen Zeremonie – der Bewillkommnung Zacks mit beizuwohnen, welcher endlich von den Wilden Amerikas nach England zurückkehrte. Er war ein halbes Jahr länger ausgeblieben, als verabredet worden war; sein Erscheinen war daher die wichtigste Begebenheit des Tages, – er ward stündlich erwartet.
In Mrs. Thorpes Toilette war ein bedeutender Wechsel eingetreten – sie trug Witwenkleidung. Ihr Gatte war vor sieben Monaten in die ewige Heimat gegangen; er hatte sich in die ländliche Einsamkeit eines italienischen Dorfs zurückgezogen und war dann sanft und schmerzlos entschlafen. Er hatte viele Jahre hindurch für seine begangenen Jugendsünden schwer gebüßt und war nun endlich von seinen Schmerzen erlöst worden. Nachdem er seiner Gattin das letzte Lebewohl gesagt – lispelten seine sterbenden Lippen noch den Namen seines abwesenden Sohnes. —
Mrs. Thorpe saß dicht neben Mrs. Blyth und unterhielt sich mit ihr freundschaftlich. Die hübschen schwarzen Augen der Mrs. Blyth strahlten jetzt glänzender, wie es seit vielen Jahren nicht geschehen. Der Ton ihrer Stimme war klarer und ihr ganzes Wesen freudig belebt. Seit den ersten Tagen der Frühlingssaison hatte sie sich bedeutend erholt und an Kraft gewonnen, dass also endlich die günstige Wendung eingetreten war, von der die Ärzte schon seit Jahren gesprochen hatten. Sie hatte sich seit vierzehn Tagen schon mehrere Mal aus dem Bette gewagt und auf einem komfortablen Stuhle einige Stunden am Fenster gesessen, und vor zwei Tagen ward sie sogar bei schönem Wetter auf einem Krankenstuhle in die erquickende Gartenluft getragen.
Die Aussicht dieser glücklichen Begebenheit und das vergnügte Erwarten Zacks stimmte Valentin viel heiterer und redseliger und steigerte seine hurtige Rastlosigkeit noch mehr. Er hüpfte oft im Zimmer herum, sprach über Kunst und von allerlei andern Begebenheiten. Gekleidet war er in seinen alten Frack mit kurzer Taille und in die engen Hosen, welche seine Körperform deutlich zum Vorschein kommen ließen, und welche der Schneider Timbry nur dann zu verfertigen vermochte, wenn er ein Räuschchen hatte. Er sah jetzt viel jünger, kräftiger, rosiger und gewandter aus, als damals, wo er dem Leser zum ersten Mal vorgeführt ward. Es ist wunderbar, wie sehr die Heiterkeit und Jugendlichkeit des Herzens auch den ganzen Menschen verjüngt und ihm den Gürtel der Venus verleiht.
Mrs. Peckover, festlich gekleidet mit glänzender Bänder-Haube, saß dicht am Fenster, um soviel frische Luft einzuatmen wie möglich, wehte sich außerdem auch noch welche mit ihrem baumwollenen Taschentuch zu; dieses baumwollene Taschentuch war ihr steter Lebensbegleiter. – Ihr körperlicher Umfang hatte sich nicht um einen halben Zoll vermindert, eher vermehrt, daher litt sie sehr von der Hitze. Während sie mit Mr. Blyth sprach, wehte sie sich mit ihrem Taschentuchfächer fortwährend Kühlung zu.
Madonna saß ihr am Fenster gegenüber – und repräsentierte einen hübschen Kontrast – gekleidet in ein weißes Musselinkleid, trug sie auch eine rosafarbene Haube. Nach Mrs. Peckover blickend, lächelte sie dann und wann über das komisch-klagende Antlitz der vortrefflichen Frau, wodurch sie ihre Beschwerden über die große Hitze ausdrückte. An der Länge der Fensterbrüstung hing eine Aeolsharfe – eines der vielen Präsente, welches Valentin vom Gelde der Porträtmalerei seiner Frau gekauft hatte. Madonnas Hand ruhte leicht auf dem Kasten der Harfe; durch diese Berührung empfand sie die sanften Harmonien, welche durch das Wehen linder Lüfte erzeugt wurden. Dies war der einzige Genuss, den sie von der Musik haben konnte, in schönen Sommer- und Herbstabenden erfreute sie sich dieser wonnevollen Harmonien regelmäßig in Mrs. Blyths Zimmer.
Mrs. Thorpe erinnerte sich im Verlauf der Konversation eines noch unvollendeten Briefs an eine ihrer Schwestern und ging auf ihr Zimmer, um denselben zu beendigen. Valentin rann sogleich mit jugendlicher Galanterie zur Tür, um dieselbe zu öffnen; dann wandte er sich zu Mrs. Peckover: »Heiß, wie immer, nicht wahr? Soll ich einen von Lavinias Fächern holen?« sagte Mr. Blyth.
»Nein, ich danke, Sir, ich bin noch nicht ganz geschmolzen«, sagte Mrs. Peckover. »Aber ich sage Ihnen, was Sie für mich tun könnten. Ich wünschte nämlich, Master Zacks letzten Brief gern zu hören. Sie versprachen ihn vorzulesen Sir.«
»Und ich würde es auch schon vorhin getan haben, wenn Mrs. Thorpe nicht im Zimmer gewesen wäre. Es sind Stellen darin, welche ihr peinvolle Erinnerungen zurückrufen würden. Jetzt, wo sie mich nicht hören kann, habe ich nicht das geringste Bedenken, ihn vorzulesen, wenn Sie ihn mit anhören wollen.«
Valentin nahm den Brief aus der Tasche. Madonna erkannte ihn wieder und bat durch Zeichen, ihn über die Schulter zum zweiten Mal lesen zu dürfen. Die Bitte ward sogleich gewährt. Mr. Blyth ließ sie auf seinen Knien Platz nehmen, schlang einen Arm um ihre Taille und begann Folgendes zu lesen:
»Mein teurer Valentin!
Obgleich ich Ihnen meine Rückkehr hierdurch anzeige, so kann ich doch nicht sagen, dass ich in guter Laune die Feder ergreife. Es ist nicht lange her, dass ich meine letzten Briefe aus England empfing, welche mir den Tod meines Vaters meldeten. Außerdem habe ich noch schwere Prüfungen zu ertragen gehabt, als ich das schaudervolle Geheimnis vernahm und hernach noch die Trennung von Matthias Grice erleiden musste. Was ich fühlte, als ich das Geheimnis erfuhr und hörte, warum Mat und Sie es vor mir geheim gehalten hatten, vermag ich wohl, Ihnen zu sagen – nicht aber wage ich es zu schreiben. Es mag für Sie von Interesse sein, wenn Sie erfahren, wie meine Trennung von Mat vor sich ging; ich will es Ihnen berichten, so gut ich kann. Sie wissen aus meinen andern Briefen, welche glänzenden Jagden und Spazierritte wir gehabt haben, wie viel tausend Meilen wir gereist und was für wundervolle Länder wir gesehen haben. Bahia, von wo aus ich jetzt schreibe, ist das Ende unserer Reisen. Ich erzählte hier Mat meines Vaters Tod; er stimmte gleich mit mir überein, dass es jetzt meine Hauptpflicht sei, mit dem ersten Schiffe nach England zu reisen, um meine einsame innig geliebte Mutter zu trösten. Nachdem wir dies festgesetzt hatten, sagte er, dass er mir noch etwas sehr Ernsthaftes und Wichtiges mitzuteilen habe, und bat mich, mit ihm eine halbe Tagereise nordwärts der Seeküste entlang zu reisen. Ich sah, dass er seine Rifle auf der Schulter und sein Gepäck auf dem Rücken trug und dachte, das ist ja drollig – aber er schnitt mir jede Frage ab und erzählte mir das ganze Geheimnis hinsichtlich meines Vaters, was Sie und er schon vor meiner Abreise nach England wussten. Ich war zuerst so erstaunt und erschrocken über das Gehörte und hatte so viele Fragen an ihn zu richten, dass es mir später erschien, als hätte unser halbtäglicher Marsch nur eine Stunde gedauert.
An dem bestimmten Platze angekommen, hielten wir inne; er streckte seine Hand nach mir aus und sagte: »Ich habe meine Pflicht gegen Dich erfüllt, Zack, wie ein Bruder gegen den Bruder. Die Trennungsstunde naht sich für uns zum Lebewohl. Du gehst zu Deinen Freunden über die See zurück; und ich geh ins Innere des Landes auf meine Trampreise.« Ich hörte ihn früher schon von unserer Trennung reden, aber niemals glaubte ich, dass sie stattfinden werde. Daher versuchte ich alles Mögliche, seinen Entschluss zu ändern und ihn mit mir nach England zu bringen; aber es war alles nutzlos. »Nein, nein, Zack«, sagte er, »ich passe nicht für Eure Lebensart dort drüben. Ich habe es versucht, aber bittere Schmerzen waren die Folge davon. Außer Mariens Kind habe ich keine Verwandten und keine lebende Seele, die ich mein nennen könnte, und mein Vaterland ist mir fremd geworden. Ich habe ein rastloses Wanderleben begonnen und werde auch damit enden. – Lebe wohl, Zack, ich werde oftmals an Dich denken, wenn ich in einsam stiller Nacht mein kärglich Mahl bereite, – wenn ich in öden Wüsten mich unter den Sternen des Himmels ohne Dich zur Ruhe lege. Komm, lass uns so kurz sein, als wir können. Gott segne Dich und Deine Freunde jenseits der See! —«
Dies waren seine letzten Worte, – ich werde sie nie vergessen in den Tagen meines Lebens. Nachdem er mehrere Schritte fort gewandert, – wandte er sich um und winkte mit der Hand, – dann eilte er rastlos weiter. Ich sank zur Erde nieder und ein nie enden wollender Tränenstrom entrann meinen Augen; – ich schluchzte und weinte wie ein Kind. Die Erzählung des schreckenvollen Geheimnisses und hernach der unerwartete tief schmerzliche Abschied hatten mich ganz überwältigt und niedergeschmettert. Einsam saß ich auf einem Sandhügel und konnte die unzähligen Schmerzenstränen nicht stillen; – viele Meilen hinter mir den tobenden und donnernden Ozean – und vor mir die unermesslich große Wüste, auf der Mat einsam nach weit entfernten Bergen wanderte. Als ich mich endlich wieder ermannte, die Tränen trocknete und wieder klar aus den Augen sehen konnte, war er bereits weit – weit von mit entfernt. Ich lief auf die höchste Spitze des höchsten Hügels und beobachtete ihn auf der großen Ebene, – eine Wüste ohne Bäume und Strauch – ein viele Meilen breites flaches Sandfeld, das sich bis zu den hohen Bergen erstreckte. Ich beobachtete ihn, als er immer kleiner und kleiner wurde – bis er endlich nur noch ein kleiner schwarzer Punkt war – dann zweifelte ich, ob ich den Punkt noch sah – endlich war er ganz und gar verschwunden und vor mir lag nur die öde, einsame, unermesslich große Wüste. —
Mein Herz war schwer und kummervoll, als ich wieder zurück nach der Stadt ging. Und noch immer bin ich tief schmerzlich betrübt! Obgleich ich oft an meine Mutter und an die arme Schwester denke, der Sie ein liebevoller Vater sind und deren Zärtlichkeit mich bei meiner Rückkehr erfreuen wird, – so bleibt mir doch der gute, alte, teure Mat ewig unvergesslich. Seiner gedenke ich täglich, stündlich – und ein unaussprechlich tiefer Seelenschmerz nagt stets an meinem Herzen, dass ich mit meinem teuersten Freunde nicht wieder nach England zurückreisen konnte. —
Ich hoffe, Sie werden mir glauben, dass ich mich auf meiner langen Reise gebessert habe – sowohl hinsichtlich des Benehmens, als auch hinsichtlich der Gesundheit. Ich habe sehr viel gesehen – gelernt – und gedacht, – ich glaube, dass ich während meiner Abwesenheit wirklich profitiert und mich zu meinem Vorteil verändert habe. Ach es ist ein süßer Gedanke – in die geliebte Heimat zu reisen —«
Hier stockte Mr. Blyth plötzlich und schloss den Brief, denn Mrs. Thorpe trat in das Zimmer. »Der Rest bezieht sich nur auf den Zeitpunkt seiner Ankunft«, wisperte Valentin zu Mrs. Peckover. »Nach meiner Berechnung«, fuhr er mit gehobener Stimme fort und wandte sich zu Mrs. Thorpe, »nach meiner Berechnung, ich prahle nicht, als sei sie ein mathematisches Kalkül und infallibel, muss Zack, wenn er zur angegebenen Zeit abgereist ist, bald – vielleicht sehr bald hier sein – vielleicht in —«
»Still! Still! Still!« schrie Mrs. Peckover, hüpfte mit außerordentlicher Beweglichkeit an das Fenster und klatschte heftig in die Hände. »Still! still, still! Ich rede nicht darüber, wann er hier sein wird – er ist hier – ist in einer Droschke gekommen – er tritt in den Garten – er sieht mich! Willkommen Master Zack! Willkommen! Hurrah! Hurrah!!«
Hier vergaß Mrs. Peckover ihre Umgebung ganz und gar, winkte mit ihrem roten, baumwollenen Taschentuche zum Fenster hinaus und befand sich fortwährend in der größten freudigen Extase.
Schon von weitem hörte man Zacks herzliches Gelächter – dann seine eiligen Schritte auf der Treppe – die Tür wird geöffnet und herein springt er mit sonnenverbranntem Antlitz, kräftiger und herzlicher denn je. Freudig umarmte er seine Mutter, dann Madonna und nachdem er die andern ebenso herzlich gegrüßt hatte, setzte er sich zwischen Mutter und Schwester nieder und nahm deren Hände sehr zärtlich in die seinigen, worüber Mr. Blyth sich außerordentlich erfreute.
»Das ist recht, Zack!« sagte Valentin und blickte ihn mit freudestrahlenden Augen an; »das ist der rechte Weg, mit herzlichem Ernst ein neues, gutes Leben zu beginnen. Wir haben im Verlauf unseres Lebens viele vergnügte Stunden gehabt, Lavinia«, ergänzte Mr. Blyth und nahm seinen Lieblingsplatz an der Seite seiner Gattin ein, »aber ich glaube wirklich, dies ist die glücklichste Stunde von allen.«
»Willkommen noch einmal, mein teurer Zack! – tausendmal willkommen unter Freunden und in der Heimat! —«