Kitabı oku: «Alpendöner», sayfa 3
Er hatte ein Handtuch und einen Haustrainingsanzug mitgenommen, den er gern anzog, wenn er in den Fernseher schaute – wenn er in den Fernseher schaute. Der Anzug stank noch nicht, obwohl er ihn zwei Jahre sicher nicht gewaschen hatte. Er roch schon, er stank halt nicht.
Birne war allein da. Birne wollte eine tolle Frau kennenlernen. Zunächst nur reden, sich höchstens später und im Idealfall bei einem Ausgehen in eine Freundin von ihr verlieben.
Die wiesen ein, sagten ihm, wie er anfangen sollte, wenn er noch nie da war, und wie er sich dann steigern sollte. Sie maßen ihm den Blutdruck.
Die anderen, die noch da waren und nicht so verloren schauten, die waren auch einmal zum ersten Mal da gewesen, die wussten doch, was die einem sagten, der zum ersten Mal da war, wie er anfangen sollte und wie er sich steigern könnte. Für sich sah Birne wie einer aus, der zum ersten Mal da war, tausend Meter gegen den Wind, ohne dass sein Anzug stank. Birne gab die Hoffnung auf, hier gleich eine tolle Frau kennenzulernen, hier war kein Ort, an dem Verlierer eine Chance bekamen. Zum Verlieren ging man woanders hin.
Da drüben lachte eine zu ihm herüber, sie musste ihn auslachen, er passte nicht hierher. Nebenan der Mann, den konnte sie auch meinen, auch wenn das unwahrscheinlich war und sie dazu ein bisschen hätte schielen müssen, was er auch nicht glaubte, dass hier eine war, die schielte. Nebenan der Mann, der steckte in einem blau-metallic-glänzenden Body und hatte seine schwarzen Locken im Zaum mit einem weißen Stirnband. Und einen Schnauzbart – Birne hasste ja Schnauzbärte und Frauen, die sich von Schnauzbärten angezogen fühlten. Der Mann wäre zu dick gewesen, wenn er nicht trainiert hätte. Aber das tat er ja, der Schnauzbart-Mann, trainieren, dass es krachte, und Birne bekam einen Hassanfall, dass er gar nicht wusste, woher auf einmal, und hätte aufhören müssen oder seine Energie bündeln und sich gleich beim ersten Mal richtig steigern. Der Hass kam, und Birne konnte ihn nicht erklären dadurch, dass die Frau den Mann neben ihm auch hätte meinen können mit ihrem Grinsen.
Birne warf ihr einen freundlichen Blick zu, und sie schaute ihn schon längst nicht mehr an, sondern schwitzte und sah ihrem Schweiß zu, wie er ihr zwischen die Brüste rann. Birne mochte das Wort drall und freute sich, endlich wieder eine Frau zu sehen, die er wem auch immer mit diesem schönen Wort hätte beschreiben können. Er starrte sie an und stellte sich eine Freundin von ihr vor. Er nahm sich vor, den Rhythmus herauszufinden, in dem sie herkam. Hatte sie einen Tag in der Woche, der reserviert war für den Sport oder richtete sie sich nach dem Mondkalender? Der Schweiß rann ihr nicht nur in den Ausschnitt, sondern klebte einen Teil ihrer blonden Locken auch an ihre Stirn, die über den großen und trotz der Anstrengung nachgeschminkten Augen thronte. Sie hatte ein kräftiges, aber noch kein maskulines Gesicht. Birne war gespannt auf ihre Freundin, vergaß beinahe, es beim ersten Mal nicht zu übertreiben, aber die Maschine erzeugte in ihm keine Schmerzen, noch nicht einmal eine Anstrengung. Sie schaute noch einmal zu ihm – eindeutig zu ihm – herüber, und sie schaute noch einmal eindeutig zu dem Schnauzbart herüber: Der Wettkampf war ausgebrochen. Birne fühlte sich mächtig, der Kaffeefleck des Nachmittags war ihm an diesem Abend nicht anzusehen. Heute war Leibesertüchtigung. Sie machten alles richtig, alle drei. Die besten zwei von ihnen würden den Tag als Könige beschließen.
Birne war am späten Nachmittag heimgekommen, hatte schon gar nicht mehr mit einer Zeitung gerechnet und auch keine bekommen. Sie war ihm am zweiten Tag in Folge gestohlen worden. Das passte, Birne hatte nicht mehr mit einem Geschenk des Schicksals gerechnet und dann, als er sich frisch gemacht hatte nach der Leibesertüchtigung, auf dem Wartetisch neben dem Wartestuhl in seinem Studio eine zusammengefaltete, kaum gelesene Allgäuer Zeitung entdeckt. Er hatte sich gefreut und hingesetzt, war in den Neuigkeiten und Bildern buchstäblich versunken, hätte gar nicht mehr geglaubt, wie schön so etwas sein konnte, und das nach nur zwei Tagen, in denen man bestohlen worden war. Beinahe konnte er den Dieb verstehen. Eine Zeitung ist besser als manches Buch, dachte Birne, manchmal sogar besser als die Bibel. Er hatte sich vollgesaugt mit Druckerschwärze und dem Geruch grauen Papiers. Als er aufblickte, sah er sie noch einmal vorbeigehen, unglaublich elegant in ihrem rosafarbenen T-Shirt, die Locken klebten nicht mehr an ihrer Stirn, sondern wurden mit einem schwarzen Haarband gebändigt. Und das an seinem ersten Tag hier. Er war verliebt.
Dann folgte auch noch der Schnauzbart, sah aus wie ein alkoholkranker Zuhälter. Birne hatte seinen größten Feind entdeckt und fühlte sich ihm zehn Meter überlegen.
*
Bruno Abraham hatte eine Zusage erhalten und zwischen hier und seiner umwerfenden Verabredung noch ein bisschen Zeit. Die würde er nutzen, dachte er sich und trat kräftig auf die Straße.
*
Birne ging noch einmal in den Supermarkt, kaufte Schokolade, ein Stück Fleisch und eine Halbe Bockbier. Das Fleisch briet er sich noch und trank das Bier, bevor er müde und viel besser gelaunt, als er es sein sollte nach allem, ziemlich früh die Augen schloss und nichts mehr mitbekam.
3. Tag
Sie war früher gekommen als er und hatte ihn ziemlich ausgebremst, indem sie seine Frage, nachdem sie diesen irren Abend gehabt hatten gestern, mit einem »Ich kann mich nicht erinnern, ich kann mich nie erinnern« abgeschmettert hatte und seinen Übermut auf die Größe einer Zeckenbisswunde hatte schrumpfen lassen.
Er hatte sie gefragt »Na, hast du auch so heiß geträumt wie ich?«, und saß nun da und dachte an die Arschlöcher, die mit ihrem Müll nicht umzugehen wussten. Sie sollten ihn doch am Arsch lecken und mit ihrem Dreck machen, was sie wollten. Tina von Martina erledigte ihren Job wie immer und das, wo sie gestern so geil essen und hinterher einen trinken waren, dass er schon geglaubt hatte, neue Zeiten brächen an. Bis spät in die Nacht waren sie unterwegs und heute Morgen das. Dieses Verhalten. Ob er sich in ihren Gefühlen für ihn getäuscht hatte? Sie sah so verdammt gut aus und war auf einmal so kalt geworden. Hatte er zu viel geredet, hatte er sich zu toll dargestellt? Was stimmte nicht an ihm? Hatte sie einen Freund und nun ein schlechtes Gewissen?
Heute würde nichts passieren. Trimalchio würde kommen, sie würden sich ein raffiniertes Raster einfallen lassen, wie sie Leute einteilen und auf Streife schicken könnten, um die, die ihren Müll durcheinander und in eine Tonne warfen, zu erwischen und vor ihren verdienten Richter zu führen. Abraham dachte, dass er manchmal schon nur die kleine Hand eines sehr kleinen Mannes war als Polizist, als Kommissar sogar.
»Tina!«
»Ja?«
»Tina, ist noch ein Kaffee da?«
»Wie immer.«
»Tina, trinkst du einen mit?«
»Hab zu tun. Danke.«
»Und nachher, Tina? Machen wir am Mittag eine Pause?«
»Bin schon verabredet.«
Schon verabredet?
»Hast du Lust auf heute Abend?«
»Hast du heute nicht deinen Stammtisch?«
Hatte er, stimmte schon. Hatte sie aber nicht kapiert, dass sie etwas Besonderes war, dass er für sie einiges ändern würde im Leben? Konnte sie, wenn sie so aussah, überhaupt nicht kapieren, dass sie etwas Besonderes war? Hätten alle Frauen auf einmal von der Erde verschwinden müssen und er hätte nur eine einzige retten dürfen von allen Frauen, er hätte Tina genommen. So war das, an diesem Morgen.
»Dann halt ein anderes Mal.«
»Vielleicht.«
»Versprochen.«
Sie widersprach nicht.
Das Telefon klingelte.
Trimalchio war dran. Was wollte er?
Ein Mord war geschehen.
*
Der Tag war schnell vergangen, sein erster mit Zeitung, sein dritter im Geschäft. Das mit der Zeitung hatte ihn glücklich gemacht. Er hatte seinen Wecker früh gestellt und war doch ausgeschlafen, weil er rechtzeitig die Lampe gelöscht hatte am Abend zuvor. Kein Messer fiel ihm aus der Hand, kein Nutella verschmierte ihm die Finger, kein Kaffee tropfte ihm aufs Blatt. Er war zum Zeitungskasten gegangen und hatte sie sich herausgeholt, als ob das die normalste Sache der Welt wäre, die Millionen von Deutschen jeden Morgen verrichteten, ohne irgendetwas dabei zu verspüren. Wie Zähneputzen zum Beispiel.
Es gibt Tage, da möchte man an sich verzweifeln oder an der Welt oder an seinem Verhältnis zur Welt, wenn man grundsätzlich dazu in der Lage ist. Da schlägt man seine Zeitung auf und nichts, was da drin steht, nichts, was irgendwo anders passiert ist, interessiert einen einen Dreck. Birne hielt sich beim Leben nicht viel mit Philosophieren auf, ursprünglich zu einer Zeit, die er als seine Jugend bezeichnete, schon ziemlich oder was heißt ziemlich, dass es halt noch normal war. Nach und nach war ihm das Zeug aber lästig geworden oder albern vorgekommen – er hatte es weggeschmissen. Einer der wenigen Sätze, die ihm geblieben waren, die ihm hin und wieder noch ein Ziehen in der Seele verursachten, war einer des Griechen Aristoteles: »Wegen des Staunens haben die Menschen angefangen zu philosophieren.« Birne sah in dem Satz eine Aufforderung, sich für alles interessieren zu müssen, nicht weil er Philosoph werden wollte – der Zug war abgefahren –
nein, weil der, der nicht staunt, ein Nicht-Philosoph ist und früher oder später zum Depp wird. Ein Depp wollte Birne nicht sein, das wollte keiner sein. Keiner hält sich selbst für bescheuert. Man merkt aber auch nicht, wenn man bescheuert wird. Jedem kann es passieren, schon lange vor Alzheimer und dann – Scheiße – zeigen die Jungen mit Fingern auf einen im Bus und man meint, es liege am neuen Hut oder einem Zahnpastarest im Mundwinkel, dabei wird man für einen Depp angesehen und ist zufrieden mit einer Zahnpastaerklärung, wo man doch am gescheitesten sofort anfinge, an sich zu arbeiten, dass der Depp rausgeht aus einem.
Andrerseits hat kein Mensch die Zeit, sich für alles zu interessieren, außer vielleicht beim Warten auf den Bus, wenn er lange nicht kommt und die Langeweile Gestalt annimmt und die Werbung ohne schöne Frau auf dem Plakat auskommt. Eine Zeitung komplett durchzulesen, entzöge einen dem Alltag, dann existierte man nur noch zwischen Papier und Druckerschwärze, was an sich nicht die schlechteste aller Daseinsformen wäre, man müsste sich nur trauen.
Birne blätterte durch diese erste Zeitung in der neuen Stadt – es war da draußen außerhalb seines kleinen Kosmos nichts, absolut nichts von Belang passiert. Birne freute sich trotzdem an jeder Kleinigkeit, er roch an jedem Artikel, bevor er ihn las. Er führte ordentlich und ausgiebig ab, er genoss dabei dermaßen seine Lektüre, dass er vom Geruch der eigenen Exkremente beinahe nichts mitbekam. Er las folgende völlig unspektakuläre Geschichte:
Noch vor 20 Jahren, in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, beherrschte ein Thema unsere Medien wie heute die Klimaerwärmung: Deutschland und die gesamte westliche Zivilisation war drauf und dran, im Müll zu ersticken, die Müllberge wuchsen ins Unermessliche und drohten umzukippen und ganze Landstriche unter sich zu begraben. Man schalt die Medien, dass sie aus Mücken Elefanten machten, jede Kleinigkeit ausschlachten, bis der letzte Leser übersättigt abwinkt, doch in dem Fall hat es was genutzt: Die Menschen haben umgedacht, sie haben begonnen, Müll einzusparen, sie recyceln – dieses Wort wurde damals geboren – und sie trennen ihren Abfall, was eine Menge ausmacht. Immerhin müssen wir über Müll schon lange nicht mehr reden, wir haben den Kopf frei fürs Klima, wir können anderes anpacken.
Doch das ist zu schön gedacht. Leider. Immer mehr macht sich der Schlendrian breit. Müllmänner aus der ganzen Republik klagen über verschmierte Joghurtbecherdeckel im Papiermüll, Essensreste, ja und sogar echte Tierleichen im Gelben Sack. »Wenn wir so weiter machen, fallen wir zurück in die Steinzeit der 60er- und 70er-Jahre«, sagt ein Sprecher der Stadtwerke München. Die Bundesregierung will jetzt handeln. Müllsünder sollen ab heute stärker bestraft und vor allem strenger kontrolliert werden. Die Mülldetektive sind unterwegs und sie verhängen saftige Ordnungsgelder, damit uns in Zukunft nicht die Vergangenheit einholt.
Birne schüttelte seinen Kopf und spülte.
Sein erster Akt im Büro war der Gang mit der Schokolade zum Chef. Der hatte kaum aufgeblickt, einen dunkelblauen Anzug angehabt, »Guten Morgen« und »Das ist nett, stellen Sie es dorthin« gesagt und nicht mehr gesprochen vom Vorfall.
Birne war heute fleißig und eifrig, wollte ihnen zeigen, dass das gestern eine Ausnahme war und am Bier von vorgestern gelegen hatte. Heute zeigte er es ihnen richtig.
Erst gegen 11 Uhr wurde er ein bisschen müde und wäre eingenickt, wenn er sich nicht zerstreut hätte. Er besuchte eine Video-Seite im Internet, schaute sich eine Heavy-Metal-Band an, die ihm in der Früh im Feuilleton seiner Zeitung anlässlich ihrer neuen Platte empfohlen worden war und stolperte dabei auf ein paar Jungs, die sich selbst mit dem Handy gefilmt hatten, wie sie sich Zigaretten auf dem Arm ausdrücken zur Musik eben jener Band. Das sah ziemlich brutal aus. Birne zwang sich hinzuschauen. Denen war es gelungen, ohne viel Aufwand einen Ekel in Birne zu erzeugen. Im Prinzip war er gegen so was, irgendwie reizte es ihn aber auch, weil es ihn immer reizte, wenn jemand in der Lage war, etwas in ihm auszulösen. Von den Machern dieses Videos gab es noch andere, auf denen zum Beispiel zu sehen war, wie sie sich aus zwei Metern Höhe in eine Hecke stürzten und auch gegenseitig warfen. Dann Nahaufnahmen der Kratzwunden, ganz nah dran und wirklich böse. Die stellten Jackass nach, jene MTV-Sendung, in der sich professionelle Stuntmen die übelsten Sachen antaten. Gut inszeniert, fand Birne, so gut, dass die Deppen hier meinten, es sei echt und sich wirklich Schmerzen zufügten. Birne schnaufte einmal vor seinem nächsten Gedanken und schaute sich dann den Clip noch mal an, sehr genau: Was wäre, wenn das auch nur inszeniert war? Dann hätten sie ihn ebenfalls erwischt. Er hatte das geglaubt. Man konnte es nicht erkennen. Es sah echt aus. Es war ein pixliger Video-Clip. Birne fand es schlimm beim Anschauen, aber nur unter der Bedingung, dass es echt war. Aber ob es echt war, konnte er nicht wissen. Die Zeit hier vor dem Computer verging. Zeit, die vor dem Computer vergeht, ist eigenartig verlorene Zeit, diese Zeit verloren die Menschen vor 1000 Jahren nicht. Die starben zwar im Schnitt früher, hatten aber im Vergleich mehr erlebt.
»Was ist? Korbinian?«, fragte Werner kurz nach 12.
»Gerne«, antwortete Birne. »Muss nur noch das fertig machen.«
»Alles klar, kommst dann halt rüber«, sagte der Kollege, der ihn abends mit auf die Jagd nehmen würde.
Tim war in München, die Praktikantin dabei, Sigrid still an ihrem Platz an diesem Tag. Der Chef wollte nicht mit zum Essen, hatte wohl ein bisschen Respekt vor Birne bekommen. Hihi.
Um 16.30 Uhr machten sie Feierabend, Birne wollte noch mal heim, sich was Anständiges anziehen, Werner würde ihn abholen gegen 18.30 Uhr, bei Einbruch der Dämmerung, sie würden ansitzen und anschließend dürfte Birne mit in die Wirtschaft. Er war stolz wie ein Schulbub, er hatte so schnell Anschluss gefunden.
Nebel zog auf, während er heimging.
»Die wollen mich auch noch verhören«, erzählte Birne später im Jägerstand Werner. »Jetzt waren die natürlich noch sehr beschäftigt mit Spurensicherung und so weiter. Da konnte ich ihnen nicht so helfen. Aber sie kommen in den nächsten Tagen auf mich zu. Ich habe ihnen auch die Nummer vom Geschäft gegeben, nicht dass du dich dann wunderst, wenn die Polizei mal anruft.«
»Schon logisch. Hast du etwas mitbekommen, ein Blut gesehen oder so?«
»Nein, nein, das ist alles in der Wohnung passiert, da lassen die jetzt natürlich keinen mehr reinschauen; ein paar Informationen, die sie dort sammeln, dürfen nicht an die Öffentlichkeit, bevor der Mörder weggesperrt ist. Beim Verhör zum Beispiel verrät der sich, indem er ein Detail abstreitet, das er gar nicht wissen kann.«
»So?«
»Freilich.«
»Hast du die Frau gekannt?«
»Nur, dass sie einen Enkel hat und Frau Zulauf heißt – hieß natürlich, ich bin noch ganz drin in der Normalität.«
»Einen Enkel? Hat sie dann ein Geld auch gehabt?«
»Ein Geld? Das kann natürlich sein. Das würde einiges erklären.«
»Ich hab es vorhin im Radio gehört und noch gedacht: da schau her, ein Mord. Und das bei uns.«
»Und ich komm heim und denk nichts Böses, hab ja erst daheim ein Radio und kann erst dann davon erfahren, seh aber zuvor schon die Sonderkommission im Treppenhaus und eine Aufregung, das heißt, Aufregung gab es gar keine, die haben halt ihren Job gemacht, so wie wir unseren, obwohl unserer nicht so blutig ist.«
»Jeden Tag haben die das auch nicht.«
»Nein, nein, auf keinen Fall, sonst kannst du dir statistisch ausrechnen, wann mal einer von uns fällig ist.«
»Das wär ja noch netter.«
»Ich bin erst drei Tage hier, woher soll ich denn einen Feind haben?« Birne verschluckte sich fast an den letzten Worten seines letzten Satzes, weil er an seinen Chef und dessen letzte Worte am Tag zuvor dachte. Aber: Konnte jemand wegen eines Anzugs morden? Es lag in der Natur des Mörders, und wenn er dazu bestimmt war, einem anderen das Messer reinzujagen, würde er es früher oder später machen, der Anlass könnte plötzlich ein ganz ein nichtiger sein. Und saßen sie nicht gerade hier, waren dabei, einem Tier das Leben rauszuschießen? Waren sie besser? Steckte etwas Dunkles in ihnen? Birne hatte noch nie geschossen, Birne war noch nie dabei gewesen, als geschossen wurde. Aber was würde passieren, wenn der erste Schuss gefallen war?
»Haben sie Fingerabdrücke genommen?« Werner kam ihm auf einmal wie besessen von dem Fall vor.
»Sah so aus.« Birne fühlte sich von Ekel übermannt. Er wollte jetzt keine Füchse mehr töten. Er wollte weit weg sein von jedem Töten, das hatte er heute schon gehabt, als er nach Hause gekommen war. Da hatten sie die arme Frau Zulauf in ihrer eigenen Wohnung abgestochen wie eine Sau und in ihrem eigenen Blut gefunden. Birne hatte eine Weile herumstehen müssen, bis er von den Beamten die Wahrheit erfahren hatte. Die hatten ihn zunächst für einen Schaulustigen gehalten und ihn weghaben wollen, dann hatte er ihnen aber verraten, dass er hier wohnte und der Frau geholfen hatte und jetzt auch ihnen zur Verfügung stünde. Sie hatten genickt und ihn immer noch weghaben wollen, allerdings jetzt mit dem Versprechen, auf ihn zurückzugreifen. Er würde noch wichtig sein.
»Du, jetzt pass auf«, sagte Werner. »Ich zeig dir jetzt was, das ist in Deutschland verboten, das darfst du nicht überall rumerzählen, wo du hinkommst, nicht einmal einer Frau, wenn du mal wieder eine haben solltest.«
»Ehrensache.«
Werner öffnete seinen Rucksack schwerfällig und suchte darin herum. Schließlich holte er eine kleine Schachtel heraus, die ein eigenartiges Rohr enthielt. Das schraubte er ebenfalls umständlich auf seinem Gewehr fest.
»Weißt du, was das ist?«
»Keine Ahnung.«
»Jetzt pass auf.«
Werner drückte einen Knopf und hielt das Gewehr aus dem Loch hinaus. Die ganze Wiese war in ein giftgrünes Licht getaucht. »Was sagst du jetzt?«
»Nichts. Was ist das?«
»Nachtsichtlicht, das ist in Deutschland verboten.«
»Hilft dir ja auch nichts.«
»Denkst du, aber für die Tiere – Füchse, Rehe, Hirsche, Wildschweine, Hasen – ist es absolut unsichtbar. Und du schießt die weg. Bamm. – Ich mach es jetzt wieder aus.«
»Ja.«
Sie saßen eine Weile im Dunkeln und sagten nichts.
»Du«, blies Werner zum Aufbruch. »Ein Freund von mir an dem Stammtisch, wo ich dich heute mitnehm, der ist bei der Kripo, der weiß vielleicht mehr, das wird interessant, wenn der keine Sonderschicht schieben muss.«
Birne fühlte sich zwar als Zeuge erster Hand leicht degradiert, war aber trotzdem froh, nicht mehr ansitzen zu müssen, sondern im Warmen beim Weizen mehr über die Vorkommnisse in seinem Haus zu erfahren.
Sie standen auf und gingen los, zunächst noch etwas steif vom langen Sitzen.
Der Korbinian war abends voller, und es wurde mehr geraucht und lauter geredet. Birne musste fest schauen, um alles aufzunehmen, während er Werner folgte, der zielsicher zu einem Tisch im Eck des zweiten Raums ging, wo ein Schild den Stammtisch auswies, an dem bereits drei Kameraden saßen und etwas traurig in ihre Gläser schauten, weil nur einer zum Schafkopfen gefehlt hätte und es noch zu früh am Abend zum Politisieren war. Birne erschrak etwas, als er seinen gestrigen Feind vom Fitnessstudio, den Schnauzbart, erkannte. Er bekam ihn als Bruno, den Mann von der Polizei, vorgestellt. Die anderen beiden waren Hans und Erwin, beide ein bisschen jünger als Birne, beide sagten nicht viel, der eine, Erwin, erwies sich als Norddeutscher. Mehr gab es über die beiden nicht zu sagen. Vielleicht hätten sie Karten gespielt, wenn sie jetzt nicht zu fünft gewesen wären. Sie hatten nicht von dem Mord gesprochen, sie hatten vielleicht auch nichts davon gehört, und Bruno, der Kriminaler, hatte allein auch nichts davon gesagt. Oder sie waren schon durch mit den Fakten. Werner fing an, bevor sie richtig saßen.
»Du sag mal, da hört man ja nette Sachen von euch.«
»Ja, ja.« Bruno sah aus, als wollte er ganze Romane loswerden, tat aber so, als sei nichts Besonderes passiert. Arschloch, dachte Birne.
Hans hob einen riesigen Kopf und sagte unter einem braunen Schnurrbart, für den er noch nicht alt genug war: »Was war denn los?«
Werner: »Hast du es nicht gehört? Im Radio?«
»Nein.«
»Mord.«
»Nein.«
»Doch.«
»Wer nachher?«
»Eine alte Frau in dem Haus, wo mein Kollege wohnt. Jetzt, Bruno, erzähl halt endlich was, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.«
»Sie wohnen da? In dem Haus?« Bruno siezte Birne.
»Ja. Brauchen Sie Information? Ich kenne die Tote ziemlich.«
»Du darfst ruhig Bruno zu mir sagen.« Bruno streckte Birne sein Weizenglas entgegen zum Anstoßen, aber Birne hatte noch nicht bestellt, er sagte: »Bruno.«
Bruno sagte: »Ihr werdet verstehen, dass ich euch nicht viel sagen kann, auch wenn ihr meine Freunde seid. Das sind heikle Ermittlungen, eine unbedachte Äußerung und alles ist dahin, und wir müssen wieder bei null anfangen. Nur so viel: Wir stehen kurz vor dem Durchbruch. Ich denke, schon nächste Woche könnte es sein, dass wir unser Protokoll schließen und der Staatsanwalt seine Arbeit aufnimmt.«
»Dann habt ihr schon eine Spur?« Werner war aufgeregt, auch Birne rutschte auf seinem Stuhl nach vorne, um kein Wort zu verpassen. Ausgerechnet jetzt mussten sie der Bedienung ihre Weizen auftragen, doch dann hörten sie wieder nur, wie Bruno weiter verkündete: »Ich darf nichts verraten, ich bin in der Sache im Moment vielleicht der wichtigste Mann.«
»Komm jetzt. Uns kannst es doch sagen.«
»Ja, erzähl doch, wir sind doch deine Stammtischbrüder«, feuerte Hans Werner mit an.
»Ihr wisst, ihr wärt die Ersten, die ich einweihen würde, aber in dem Fall: Tut mir leid, Leute.«
»Habt ihr schon einen Verdächtigen?«, wollte Hans sachlich wissen.
»Wahrscheinlich schon.«
»Und habt ihr ihn schon eingekastelt?« Werner benutzte das schöne Synonym für verhaften.
»Gut, das kann ich zugeben: er hockt.«
»Und wer ist es nachher?« Birne würde ihn wahrscheinlich eher kennen als Werner.
»Das kann ich euch beim besten Willen nicht verraten, das müsst ihr verstehen.«
»Jetzt komm, jetzt ist das Kind doch schon halb auf dem Tisch.«
Jetzt wurde Birne mutig, jetzt sagte er: »War es der Enkel?«
Bruno Abraham musterte ihn mit großen, zornig werdenden Augen, Birne hielt ihm stand. »Woher wissen Sie – woher weißt du von ihm?«
»Ich wohne, wie gesagt, in dem Haus, ich kenne die Frau, sie hat von ihm gesprochen.«
»Kennst du den Enkel?«
»Vom Erzählen. War er es?«
»Nein. Kann sein, dass wir uns die Tage noch mal beruflich unterhalten müssen.«
»Ich stehe gerne zur Verfügung«, sagte Birne nahezu militärisch devot. In ihm kämpften seine Antipathie zum Kommissar und seine Begeisterung über seinen ersten Mord.
»Wer war’s dann, Herrgott Sakrament?«
Bruno war auch durch Werner nicht umzustimmen, er fuhr fort: »Und ihr, wo kommt ihr her?«
»Wir waren auf der Jagd. Ich habe meinen neuen Kollegen mal mitgenommen.«
»Und?« Das war zum ersten Mal Erwin.
»Ja, nicht schlecht«, gab Birne Auskunft, war aber eigentlich noch wild auf den Mord.
»Habt ihr was getroffen?«
»Nein!«, schrie Werner.
»Schnaps!«, schrie Bruno.
Werner ließ die Runde kommen und bezahlte. Birne lehnte ab, er fühlte sich hier auf einmal nicht wohl, er mochte es nicht, dass dieser Bruno der wichtigste Mann in seinem Fall war. Er wollte wissen, was die Spur war, die sie verfolgten, auf die sie ohne seine Hilfe gestoßen waren. Wen sie verhaftet hatten. Ob es der Richtige war oder ob sie etwas übersehen hatten, das in Birne schlief und einem Unschuldigen die Freiheit für mindestens diese Nacht raubte. Andererseits, wer war er, was hatte er mit der Frau Zulauf zu tun gehabt außer diesem einen Kasten? Birne dachte nach, hörte wenig zu und sagte noch weniger, was man ihm auslegen konnte als eine Höflichkeit und einen Respekt dem neuen Stammtisch gegenüber, an dem er heute sitzen durfte zum ersten Mal.
Es wurde eine Sauferei. Birne machte nicht mit. Bruno wollte ihn anstacheln, ihn provozieren.
»So? Aus München kommt er? Vertragen sie da nichts? Ich finde, in München sind die Weiber noch beschissener als hier.« Hatte der eine Ahnung.
Ein zweites Weizen bestellte Birne noch, er ging aufs Klo, neben ihm stand Hans und wollte reden, irgendwas sagen, weil sie sich kannten, jetzt, während sie pissten.
»Und?«
»Passt schon«, sagte Birne und schüttelte seinen Pimmel und dachte, dass er lang schon nichts anderes mehr damit angestellt hatte.
»Haben sie Fingerabdrücke genommen?«, fragte Hans und schüttelte auch.
»Denk schon.« Was hatten die hier alle mit ihren Fingerabdrücken? Fingerabdrücke allein beweisen gar nichts.
»Schon krass«, sagte Hans und trocknete seine Finger an einem Papierhandtuch, das davon sofort nass durchsichtig wurde und sich in Fetzen auflöste. »Ich werde es jetzt dann packen, muss heim zu meiner Frau, sonst holt die sich den Nachbar zum Wärmen ins Bett.« Das war ein Witz, Birne lachte so fest er konnte mit dem Sexualkomiker vor ihm, er hatte ja niemanden hier, er wäre zum Wärmen schon in Hans’ Fraus Bett gekrochen.
Hans verabschiedete sich am Tisch, indem er sich mit denselben Worten wie auf dem Klo entschuldigte. Die anderen fanden es klasse. Bruno schlug ihm vor, wiederzukommen, wenn der Nachbar schon da sei. Werner empfahl ihm, den Nachbar rauszuschmeißen und ihn zu seiner – Werners – Frau zu schicken, dann habe er seine Ruhe; und wenn der Nachbar sich nicht dumm anstelle, sogar mehr als eine Nacht. »Aber Obacht, die Meinige ist einiges gewohnt, da muss er sich anstrengen.«
Birne setzte sich brav zu seinem neuen Weizen und nahm sich dringend vor, eine Ader für diese Art von Humor zu entwickeln.
Bruno war völlig hinüber, schrie und schlug um sich, forderte neue Schnapsrunden, zahlte selbst manchmal, verfluchte die Frauen, lobte den Alkohol. Werner musste ebenfalls unglaublich besoffen sein, man merkte ihm aber nichts an. Erwin trank Weinschorle, langsam wie Birne, er sagte kaum was, wie Birne. Der fand es nun an der Zeit, das Thema wieder aufzunehmen.
»Bruno.«
»Hm?«
»Habt ihr schon ein Motiv?«
»Es war Raubmord. So viel ist sicher.«
Birne freute sich, er hatte in ein volles Fass gestochen.
»Fehlt denn was?«
»Das wissen wir noch nicht. Da muss morgen der Enkel kommen und überprüfen. Bin gespannt, aber es war Raubmord.«
Werner versiegelte die Quelle wieder, indem er wissen wollte: »Habt ihr Fingerabdrücke?«
»Fingerabdrücke, Fingerabdrücke. Wir von der Polizei haben da viel feinere Methoden heutzutage. Fingerabdrücke sind bei uns heutzutage reine Routine, eine Fleißaufgabe. Hast du eine Ahnung. Komm, auf die Fingerabdrücke saufen wir noch eine Runde. Und der junge Kollege mit.«
»Danke, immer noch nicht«, lehnte Birne ab. Er war eben besserer Laune geworden.
Man kann sagen, dass es schlimm endete. Insgesamt. Bruno schlief ein, kurz nachdem Erwin sich leise verzogen hatte. Werner schlug vor, ihn so zu lassen, sich aus dem Staub zu machen. Er bat Birne, ihn in seinem Auto heimzufahren, er könne gern bei ihm übernachten, müsse aber versprechen, seine Frau in Ruhe zu lassen. Birne lehnte das Angebot ab, bot ihm aber an, ihn nach Hause zu fahren, er freute sich auf einen kleinen Spaziergang.
Werner über Bruno: »Über den brauchst du dich nicht zu wundern. Dem ist die Frau davon.« Das waren seine letzten Worte, bevor er aus dem Auto stieg, das heißt, er zögerte kurz, als ob ihm gerade einfiele, dass ihm seine letzten Worte peinlich sein sollten, weil ihm sein neuer Kollege Birne auch etwas von Frauen erzählt hatte, die ihn verlassen hatten.
Und im Stehen neben dem laufenden Motor sagte er noch, damit Birne nicht etwa dachte, er gehöre jetzt auch zu den Leuten, bei denen man sich über nichts wundern müsse: »Dann geh ich jetzt mal rein zu meiner und hör mir an, was die zu sagen hat zu unserem Ausflug. – Stell das Auto da vorn an die Straße und vergiss nicht abzusperren – im Kofferraum ist ein Gewehr, das darf nicht in die falschen Hände kommen. Den Schlüssel kannst du mir in den Kasten schmeißen, mein Freund.«
Freund – Birne hatte einen Freund hier. Eine gute Laune, die er sich zum Teil auch hergesoffen hatte mit zwei Weizen, trug ihn nach Hause – ins Mordhaus. Es waren 20 Minuten zu Fuß, das war in Ordnung, das war, was er wollte und gut vertragen konnte. Ein bisschen den Tag durchdenken, ein bisschen frische Luft, ein bisschen Alkohol abbauen, aber viel war’s ja nicht, das konnte ihm nichts anhaben morgen und seiner Birne. Birne grinste. Er schloss die Haustür auf, und seine Bewegungen wurden langsamer: Hinter der Tür der Ausländer brannte noch Licht, das hatte er von draußen gesehen, unter dem Licht wurde noch laut debattiert, das hörte Birne jetzt vor der Tür; er verstand nichts, es war zu leise durch die Tür, um einschätzen zu können, ob er hätte etwas verstehen können oder ob es eine andere Sprache sowieso gewesen wäre. Für die war das ja etwas Aufregendes, die hatten das nicht oft, auch nicht in der Heimat, da muss man sich nicht wundern, dass die noch diskutierten. Die würden ihn noch ansprechen, so etwas schweißt zusammen.
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