Kitabı oku: «Mörderwelt»
Wolfgang Quest
Mörderwelt
Thriller
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Impressum neobooks
Kapitel 1
Reporter Benny Paulsen beobachtete die Wespe, die zwischen ihren Köpfen hin und her sauste. Genauso vorwitzig wie ich, dachte er. Baranoff schien sie nicht zu stören. Dann machte die Wespe den Fehler und setzte sich auf seine Rennzeitung. Der Hoteldetektiv hob die Faust und schlug zu.
„Was wollen Sie denn anlegen?“, sagte Baranoff und kratzte mit dem Daumnagel den Rest der toten Wespe vom Papier.
„Was meinen Sie mit anlegen?“
„Schwer von Begriff? Pinke-Pinke, Asche, Mäuse, Knete …“
Paulsen lehnte sich an die Theke und blickte auf die borstigen Brusthaare, die aus Baranoffs zerknitterten Hemdkragen ragten.
„Und was soll damit sein?“
„Ganz einfach. Für ‘n Hunderter könnt ihr das Bett filmen. Mit Blutspritzern drauf. Auf sowas seid ihr doch scharf.“
„Uns interessieren Fakten, keine schmutzige Bettwäsche.“
„Hauen Sie nicht so aufn Putz. Ich kenn euch Brüder doch.“
Paulsen blickte sich um. Das Foyer des Hotels Prärieblume lag im Dämmerlicht trüber Stehlampen, an den Wänden altertümliche Jagdbüchsen, Sattelzeug und historische Fotografien aus der amerikanischen Pionierzeit. Die Empfangstheke, aus groben Holzplanken gezimmert, ähnelte dem Vorbau einer Blockhütte. Von der Decke baumelte ein Holzschild mit zwei gekreuzten Colts und darunter in geschnörkelter Westernschrift: Reception. Mit dem imitierten Western-Look hätte das Hotel besser in einen Vorort von Las Vegas gepasst als ins beschauliche Aachen, dachte Paulsen.
„Gibt’s in Ihrer Westernhütte auch einen Sheriff?“ Statt zu antworten knurrte Baranoff etwas Unverständliches und vertiefte sich wieder in die Pferdezeitung mit den letzten Rennergebnissen. Paulsen wandte sich zum Ausgang.
„Viel Glück beim Wetten.“
Ein Räuspern von Baranoff.
„Nicht mal einen Blick reinwerfen?“
Paulsen blieb stehen und wandte sich um.
„In die Rennzeitung?“
Der Witz schien Baranoff zu gefallen. Er grinste. „Ins
Gruselkabinett.“
„Wenn’s nichts kostet.“
Baranoff faltete die Rennzeitung zusammen und schob sie in die Tasche.
„Na schön, ich weiß nicht warum, aber ich mach’ heute mal
’ne Ausnahme.“
Er ging voran, wobei er das rechte Bein nachzog und leicht hinkte. Sie passierten eine halbhohe Schwingtür und kamen zu einem altertümlichen Lift mit vergittertem Schacht.
„Der hat mit ’nem Hackebeil gewütet.“
„Wer?“
„Das wüssten alle gerne.“
„Hat keiner was gehört?“
Baranoff hämmerte mit der Faust auf den Türknopf und spähte nach oben in den Schacht.
„Ich jedenfalls nicht, ich hab’ an der Matratze gehorcht.“
Als er den fragenden Blick des Reporters sah, fügte er hinzu:
„War krank und hatte ’ne Schlaftablette eingeworfen.“
Der Aufzug kam heruntergerumpelt, und sie stiegen ein. Paulsen, dicht neben Baranoff, blickte in dessen schwammiges, rot geflecktes Gesicht, mit Poren auf der Nase wie kleine Bombentrichter.
„Wohnen Sie hier im Hotel?“
„Wo denn sonst? Meinen Sie, ich mach’ den Job ferngesteuert mit Drohnen?“
Er lachte rasselnd, das Lachen ging über in Husten und verbreitete einen säuerlichen Biergeruch.
„Wer hat das Mädchen gefunden?“
„Die Putzfrau.“
Oben angekommen ließ Baranoff den Reporter am Aufzug warten, er wolle erst nachschauen, ob die Luft rein ist. Was er damit meinte, war nicht ersichtlich. Eine Minute später kam er zurück.
„Alles klar, Zimmer sieben. Gehen Sie schon rein. Ich muss noch mal kurz nach unten.“
Damit verschwand er im Treppenhaus. Paulsen tappte den düsteren Flur entlang und fragte sich, was er im Zimmer der Ermordeten überhaupt wollte. Sie war gestern Morgen entdeckt worden, und er würde nichts finden, was die Spurensicherung nicht schon gefunden hatte. Doch irgendetwas zog ihn dorthin.
Die Tür stand sperrangelweit auf. Die Fenstervorhänge waren geschlossen und er schaltete das Licht ein. Das Bett noch nicht abgezogen, das zerwühlte Laken gesprenkelt mit getrocknetem Blut, auf Sesseln und Teppichboden ein Dutzend rostbrauner Flecken, markiert mit Kreidezeichen.
„Was machen Sie hier?“
Paulsen wandte mich um. Die scharfe Stimme kam von einem dürren, etwa fünfzigjährigen Mann mit hagerem Gesicht und tiefen Falten um den Mund.
Paulsen trat zurück auf den Flur.
„Regio TV. Hab’ nur einen Blick reingeworfen.“
Der Mann trug Jeansanzug, schwarzes Hemd mit
Schnürsenkel-Krawatte und auf Hochglanz gewichste Cowboystiefel, fehlte nur der Sheriff-Stern. Mit leicht gespreizten Beinen stand er da wie ein Westernheld vor seinem Duellpartner.
„Und das Polizeisiegel aufgebrochen.“
Er deutete auf den Türrahmen, wo ein zerrissenes, graues Band mit Polizeistempel baumelte.
„Die Tür war offen.“
Der Cowboy lachte trocken. „Glaub nicht, dass die Polizei
Ihnen das abnimmt.“
„Darf man mal erfahren, wer Sie sind?“, sagte Paulsen.
„Kohlhammer. Der Chef vom Laden. Schätze, Sie sitzen ganz schön in der Tinte.“
Klang nach John Wayne.
„Richtig, falls ich das Siegel geknackt hätte. Aber als ich kam, war die Tür schon weit offen. Ihr Hausdetektiv hat mich reingeschickt.“
Kohlhammer runzelte die Stirn.
„Baranoff?“
„Ich weiß nicht, was Ihr Detektiv mir in die Schuhe schieben will, aber ich bin mal gespannt, wessen Version die Polizei eher glaubt.“
Damit ließ er den Cowboy stehen und ging zum Treppenhaus.
Am Hoteleingang kam ihm das Kamerateam entgegengetrottet. Kameramann Lippe und Assistent Wisch. Sie sahen nicht gerade einsatzfreudig aus, dafür waren sie beim Sender auch nicht bekannt, eher dafür, dass sie am liebsten jeder
Anstrengung aus dem Weg gingen. Kurz besprachen sie die
Lage. Lippe maulte wegen der strahlenden Sonne und harten Kontraste und filmte unter Vorbehalt die Außenfassade des Hotels.
Paulsen wollte jemand finden, der bereit war, ein paar Fragen zu beantworten, doch Inhaber Kohlhammer lehnte ab, sein Faktotum Baranoff war nicht aufzutreiben, und den anderen Angestellten hatte Kohlhammer offenbar einen Maulkorb verpasst.
Paulsen und sein Team packten ihre Sachen, fuhren zum
Polizeipräsidium, um eine Stellungnahme von Pressesprecher Hugo Lambert einzuholen. Für die Aufnahme postierten sie ihn dekorativ am Eingang vor einer Reihe geparkter Polizeiwagen. Lambert erzählte wenig Neues. Im Hotel Prärieblume sei eine junge Frau tot aufgefunden worden, eine Angestellte habe die Leiche am Sonntagmorgen gegen acht Uhr fünfzig entdeckt, die Frau stamme aus Nigeria, die genaue Identität noch ungeklärt.
„Können Sie schon sagen, ob Mord oder Selbstmord?“
Lambert räusperte sich. „Wir gehen davon aus, dass ein
Fremdverschulden vorliegt.“
„Also Mord?“
„Kann man wohl von ausgehen, wenn jemand enthauptet worden ist.“
„Gut, dass Sie es nochmal erklärt haben.“
Sie verabschiedeten sich so herzlich, wie das Gespräch verlaufen war. Auf dem Weg zum Fernsehstudio überlegte Paulsen, ob der Mord an der jungen Nigerianerin das Zeug zu einer größeren Story hatte. Was seine Fantasie anheizte, waren weniger die spärlichen Fakten als die merkwürdigen Umstände am Tatort – samt dubiosem Detektiv und schrägem Hotelbesitzer. Als sie in den Hof von Regio TV einbogen, beschloss er, seinem Bauchgefühl zu folgen, es sagte ihm, dass es sich lohnen würde, Zeit und Energie in den Fall zu investieren. Davon musste er allerdings noch Redakteur Krohnke überzeugen.
Krohnkes Reich lag am Ende eines fensterlosen Flurs. Ein kleines, hässliches Büro mit grauen Metallschränken wie
Bundeswehr-Spinde, einem olivbraunen Teppich und einem Resopal-Schreibtisch mit Chrombeinen. Aus dieser unscheinbaren Klause heraus steuerte er das Nachrichtengeschäft.
Krohnke war ein Mann voller Gegensätze. Der dynamische Kurzhaarschnitt passte nicht zu dem müden Knautschgesicht, und er kombinierte modische Jeans mit ärmellosen Pullovern. Gewöhnlich muffelte er hier in seiner Bude herum, und man wagte kaum, ihn anzusprechen, dann wieder konnte er unerwartet nett und freundlich sein. Was seine Laune auf jeden Fall aufbesserte, war ein Schlagabtausch – am besten deftig oder fintenreich wie ein Duell.
Kapitel 2
„Da haben Sie sich ein echtes Ei gelegt, Paulsen“, empfing er Paulsen. Eine Spur Schadenfreude war nicht zu überhören.
Paulsen nahm einen Stuhl, schob ihn an den Schreibtisch. „Freut mich, wenn ich Ihren tristen Büroalltag ein bisschen aufheitern kann.“
„Menschenskind, Paulsen, ausgerechnet jetzt, wo die
Medien so im Fokus stehen. ‚Lügenpresse’ und so weiter …“
„Hört sich an wie Feigheit vor dem Feind.“
„Im Ernst, Paulsen, diesmal kann ich Sie nicht decken.“
Paulsen schlug die Beine übereinander und lehnte sich zurück. „Sagen Sie doch erst mal, warum Sie so aus dem
Häuschen sind.“
„Vor ein paar Minuten kam ein Anruf von der Polizei …“
Krohnke legte eine Pause ein, als wollte er ihn auf die Folter spannen. Es funktionierte. Paulsen überkam ein mulmiges Gefühl. Dann fuhr Krohnke mit boshaftem Lächeln fort.
„Pressesprecher Lambert hat uns einen freundlichen Tipp gegeben. Wir sollen bloß nicht auf die Idee kommen,
Aufnahmen vom Tatort zu verwenden.“
„Von dem Zimmer haben wir gar keine Aufnahmen.“
„Und wieso nicht?“, rutschte es Krohnke heraus. Der Reflex des alten Jagdhundes.
„Sie meinen, wir hätten im Zimmer drehen sollen?“
„Ach, Quatsch, ich meinte … was habt ihr denn gedreht?“ „Hotel außen und Statement vom Lambert.“
„Aber vorher waren Sie im Hotelzimmer, das steht ja nun mal fest. Trotz der Absperrung. Das kann Sie teuer zu stehen kommen. Beschädigen eines Dienstsiegels.
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr.“
Paulsen war nicht in Stimmung für Rededuelle, aber Krohnke ließ sich am ehesten mit frechen Antworten beeindrucken.
„Juckt mich nicht“, sagte Paulsen.
„Mich allerdings auch nicht. Wäre vielleicht gar nicht schlecht, wenn Sie mal ’ne Zeitlang aus dem Verkehr gezogen würden. Dann könnten Sie sich mal in Ruhe besinnen.“ Er lachte, stand auf und blickte auf die Straße, wo ein Polizeiwagen mit Geheul vorbeiraste.
„Obwohl ich bezweifle, dass ein Resozialisierungsversuch bei Ihnen Erfolg hätte.“
Paulsen belohnte Krohnkes Scherz mit einem Lächeln.
„Wenn Sie es genau wissen wollen: Ich bin reingelegt worden.“
Krohnke setzte sich wieder. „Sie? Wo Sie doch sonst immer so gewitzt sein wollen?“
„Im Ernst. Ich weiß nicht, was in der Absteige für ein
Spiel getrieben wird, aber ich gehe davon aus, es war kein Zufall, dass sein Angestellter mich in das Mordzimmer hat rennen lassen. Keine Ahnung, warum er mich reinlegen wollte, ich weiß nur eins: Wir sollten der Sache nachgehen.“
„So, meinen Sie? Jetzt sag ich Ihnen mal, was ich meine.
Wegen Ihnen haben wir schon Ärger genug am Hals. Ich will von dem Mist nichts mehr hören.“
„Ich bin überrumpelt worden und will herausfinden warum.“
„Wir bezahlen Sie nicht als Hobby-Detektiv.“
Paulsen kannte Krohnke lange genug und wusste, er durfte jetzt nicht klein beigeben. Krohnke war aus hartem Holz geschnitzt, aber von ganzem Herzen Reporter, jederzeit bereit, für eine gute Story Kopf und Kragen zu riskieren. „Ich habe den Geruch von Trüffeln in der Nase“, lockte Paulsen ihn.
„Pilze sammeln können Sie in Ihrer Freizeit.“
„Ich rede von Trüffeln, um die uns alle anderen beneiden werden.“
„Klingt nach einem Ihrer berüchtigten investigativen
Anfälle.“
„Ich sag nur: Quotenhit.“
„Ja, ja.“ Krohnke winkte ab. „Mit Speck fängt man Mäuse.“ „Geben Sie mir ’ne Chance.“
„Wie ich Ihre Anfälle so kenne, haben Sie auch schon eine
Idee.“
„Wenn das okay heißen soll, verrate ich Sie Ihnen: Laut
Polizei stammt das Mädchen aus Nigeria.“
„Ja und?“
„Wieso wohnte sie in einem Hotel?“
„Was weiß ich, vielleicht auf Urlaubsreise.“
„Mit achtzehn Jahren und ohne einen Cent in der Tasche?“
In Krohnkes Augen erschien ein verträumter Blick. „Früher sind wir auch ohne einen Pfennig losgetrampt. Isomatte gepackt und –“
„Und unter Brücken geschlafen, ich weiß.“
„Jawohl, unter Brücken geschlafen.“ Krohnke war eingeschnappt. „Haben Sie sonst noch was Spektakuläres auf der Pfanne?“
„Ja, der angebliche Hoteldetektiv. Ein dubioser Typ. Dem sollten wir als erstes auf den Zahn fühlen.“
„Das wird die Polizei schon machen. Dafür ist sie ja da.“
„Wir könnten schneller sein.“
Krohnke starrte aus dem Fenster und schien zu überlegen.
Paulsen legte nach. „Ich habe nämlich nicht nur eine Idee, sondern auch schon einen Plan. Könnte fast von Ihnen sein.“
„Das werde ich eidesstattlich bestreiten.“
„Lassen Sie sich überraschen.“
Krohnke setzte sich, nahm die Computermaus und klickte auf dem Bildschirm herum.
„Verdammt, ich glaube, ich werde alt und milde. Ich gebe Ihnen eine Woche, Paulsen. Aber wenn Sie bis dahin nicht mit was Brauchbarem angetanzt kommen, wird es ungemütlich für Sie, ist das klar?“
„Habe ich Sie schon jemals enttäuscht?“
„Hauen Sie ab, bevor ich anfange, ernsthaft darüber nachzudenken.“
Krohnke hackte mit zwei Fingern in die Tasten, als spiele er ‚Hänschen klein‘ auf einem Keyboard.
Als Paulsen am nächsten Morgen zur Prärieblume kam, hockte hinter der Rezeption ein schnauzbärtiger Jüngling in dunklem Kapuzen-Shirt. Mit bleichem Gesicht und geröteten Augen verfolgte er auf dem Computerbildschirm ein Videospiel und fummelte zur gleichen Zeit an einem iPod herum. Auf dem Namensschild stand: Tilman Aschhoff, Nachtportier.
Paulsen fragte nach Baranoff.
„Hä?“
Paulsen deutete auf die Stöpsel in seinen Ohren. Aschhoff nahm sie heraus und musterte ihn wie einen lästigen Eindringling. Paulsen wiederholte seine Frage, und Aschhoff ließ sich zu einer Antwort herab.
„Dritte Etage, linke Hand, letztes Zimmer“. Mit mürrischer Miene stöpselte er die Ohren wieder zu.
Paulsen nahm das Treppenhaus. Hier war vom Western-Stil nicht mehr viel zu sehen, die Wände waren mit Holz imitierender Tapete beklebt, als sei dem Hotelbesitzer das Geld für Historisches ausgegangen.
Im dritten Stock klopfte Paulsen an die Tür mit dem Schild Detektivbüro Baranoff. Keine Reaktion. Er versuchte es noch mal dezent, dann hämmerte er mit der Faust. Von drinnen Poltern, Fluchen und schlurfende Schritte, die Tür öffnete sich einen Spalt, und Baranoffs aufgedunsenes Katergesicht blickte ihn an.
„Was wollen Sie?“
„Ein paar Takte reden.“
„Dann kommen Sie zu meinen Bürozeiten.“
Baranoff zog die Tür zu. Im letzten Moment stellte Paulsen den Fuß dazwischen.
„Ich scheiße auf Ihre Bürozeiten.“
„Die Haxen weg!“
Baranoff trat nach Paulsens Fuß. Paulsen drückte mit dem Ellenbogen gegen die Tür und versuchte, sich hineinzuzwängen.
„Ich lasse mich nicht gerne reinlegen.“
Baranoff ließ die Tür los und schaute sich um, als suche er etwas, mit dem er Paulsen eins über den Schädel ziehen könnte. Er fand nichts Geeignetes.
„Was wollen Sie? Kommen hier mir nichts, dir nichts reingeschneit … “
„Wegen Ihnen habe ich womöglich eine Anzeige am Hals. Was sollte die Tour mit dem Zimmer?“
Baranoff spielte den Empörten. „Ich habe gesagt, Sie sollen schon mal vorgehen, und nicht, dass Sie einbrechen sollen.“ Dabei sah er Paulsen frech in die Augen.
Paulsen trat auf ihn zu, als wolle er ihn an den Kragen gehen.
„Ich will wissen, was das Ganze soll.“
Baranoff wich zur Seite aus.
„Okay, okay, ich kann's erklären.“ Er beugte sich zur Tür und blickte in den Hotelflur. „Mein Gott, müssen Sie gleich so ’n Alarm machen? Wir haben Gäste im Haus.“
„Ich mache gleich noch mehr Alarm. Vielleicht hilft Ihnen das auf die Sprünge.“
Baranoff machte eine beschwichtigende Geste. „Warten Sie unten, ich komme runter.“
„Ich gebe Ihnen fünf Minuten.“
Als Paulsen die Treppe hinunterging, klapperte auf der zweiten Etage ein Eimer. Er traf auf eine kleine, grauhaarige Frau, die einen Handwagen mit Besen und Putzzeug hinter sich herzog. Auf seine Frage bestätigte sie, ja, sie habe die Tote am frühen Morgen gefunden, an Details können sie sich aber nicht mehr erinnern, die seien wie ausgelöscht. Sie habe das Hotelzimmer geöffnet, die Leiche erblickt und sei sofort davongelaufen. Das Einzige, was sich in ihr Gedächtnis gebrannt habe, sei der blutüberströmte Körper. Er drückte ihr ein Trinkgeld in die Hand, und sie zuckelte mit ihrem Reinigungswagen weiter.
Im Foyer, gegenüber der Empfangstheke, gab es eine Sitzecke mit Wildwest-Flair: drei mit Büffelleder-Imitaten bezogene Sessel und als niedriger Tisch ein dunkelbraun gebeiztes Wagenrad unter Glas, vor der Wand ein Piano im Honky-Tonk-Stil.
Paulsen rückte den Sessel so zurecht, dass er Aufzugtür und Treppenhaus im Auge hatte, falls Baranoff sich aus dem Staub machen wollte. Auf der anderen Seite der Sitzgruppe, hinter einem Spalier Bambuspflanzen, saß ein Mann in hellem Anzug, anscheinend ein Hotelgast, und las Zeitung. Nach zehn Minuten rasselte die Aufzugtür, und Baranoff erschien, eingezwängt in den gleichen verschwitzten schrumpeligen Anzug wie gestern. Ächzend ließ er sich in den Büffel-Sessel plumpsen.
„Ist alles ein Missverständnis.“
„Was heißt Missverständnis? Die Tür stand offen und das
Siegel war aufgebrochen.“
„Tatsache?“ Baranoff grinste. „Na ja, auch wenn es die
Bullen nicht tun, ich glaube Ihnen.“
„Hören Sie auf, Sie wussten doch, dass das Zimmer
offenstand.“
Baranoff kratzte an seinem Speckbauch. „Vielleicht war’s ja auch eine der Putzfrauen. Ich werde der Sache noch mal selbst nachgehen.“
Nicht zu fassen, wie unverfroren er war, aber Paulsen ging es um etwas Anderes.
„Vorschlag zur Güte, wir lassen die Geschichte erst mal beiseite. Ich bin nämlich noch aus einem anderen Grund hier.“
Baranoff merkte, dass sich die Lage für ihn entspannte, hatte sofort wieder Oberwasser und setzte eine geschäftsmäßige Miene auf.
„Dann lassen Sie mal die Katze aus dem Sack. Meine Zeit ist begrenzt.“
Paulsen blieb freundlich und ignorierte den unverschämten Ton.
„Wir planen eine Reportage über den Beruf des
Privatdetektivs.“
„Prima. Und was geht mich das an?“
„Ganz einfach: Sie sind unser Mann.“
Baranoff glotzte verständnislos.
„Bei der Reportage geht es um Folgendes. Wir wollen ein paar Fragen nachgehen: Was macht ein Privatdetektiv? Wie kommt er an seine Aufträge? Wie geht er dabei vor? Was unterscheidet ihn von den Privatdetektiven, wie man sie aus den Krimis kennt? Man könnte auch sagen, wir vergleichen
Mythos und Realität des Detektivberufes.“ Baranoff starrte Paulsen an.
„Wollen Sie mich verarschen?“
„Keinesfalls. Überlegen Sie doch mal, Sie könnten dazu beitragen, das schlechte Image des Berufs zu verbessern. Sie wissen, das Bild in der Öffentlichkeit ist heutzutage mies. Die Leute halten Privatdetektive für Spanner, die in der schmutzigen Wäsche anderer Leute schnüffeln und es mit dem Gesetz nicht so genau nehmen.“
„Weil die Leute bekloppt sind.“
„Sie haben es in der Hand, das Bild zu korrigieren.“ Baranoff rutschte auf dem Sessel herum.
„Sonst noch was?“
„Erstmal alles.“
„Für so ’n Quatsch habe ich keine Zeit.“
Er erhob sich und hinkte in Richtung Aufzug. Hatte
Paulsen sich in ihm getäuscht? Er war davon ausgegangen, Baranoff würde aus Großmannssucht nicht nein sagen können, wenn er die Chance hatte, ins Fernsehen zu kommen. Offenbar hatte er ihn falsch eingeschätzt.
Nach ein paar Schritten blieb Baranoff stehen und drehte sich um.
„Ich bin für ein Hotel mit dreißig Zimmern verantwortlich. Wissen Sie überhaupt, was das heißt? Das heißt, Tag und Nacht in Bereitschaft sein. Ich hab’ genug um die Ohren, auch wenn hier nicht jeden Tag einer abgemurkst wird.“
„Ah, der Baranoff!“
Der Zeitungsleser von nebenan kam hinter den Bambuspflanzen hervor. Ein stutzerhafter Typ von Mitte vierzig mit Gel im Haar, heller Leinenanzug, altrosa Hemd und blau gepunktete Krawatte. Breit lächelnd ging er auf Baranoff zu.
„Gut, dass ich Sie mal antreffe.“
Baranoffs blickte ihm misstrauisch entgegen.
„Ich habe den Eindruck, dass irgendwas mit der
Telefonanlage nicht in Ordnung ist.“
„Wieso?“
„Sie macht so merkwürdige Geräusche.“
„Ich bin hier nicht der Hausmeister.“
„Aber Sie kennen sich doch hier aus. Vielleicht können
Sie sich die Sache mal kurz anschauen.“
Er warf einen Blick auf Baranoffs ausgetretene Latschen. „Bei der Gelegenheit zeig ich Ihnen auch gern mal meine neuste Schuhkollektion.“ Er lachte und wandte sich zum Ausgang.
Baranoff blickte ihm nach, wie er mit dynamischen
Schritten, die Aktentasche schwingend, hinausging.
„Fühl dich ruhig in Sicherheit, Freundchen“, rief er ihm halblaut nach, dann wandte er sich zu Paulsen. „Den Windhund hab’ ich schon lange aufm Kieker. Meffert, Schuhvertreter – angeblich.“
Ehe Paulsen nachfragen konnte, was Baranoff mit ‚angeblich’ meinte, sagte der: „Was soll denn dabei rausspringen?“
„Wobei?“
Baranoff warf einen kurzen Blick zur Rezeption, als wollte er sich vergewissern, dass niemand zuhörte, und kam zurück zur Sitzecke.
„Bei der Reportage.“
Paulsen brauchte einen Moment, bis er Baranoffs 180-Grad-Wende begriffen hatte.
„Finanziell nichts. Aber was Sie nicht unterschätzen dürfen: Für Sie wäre es kostenlose Werbung.“
Baranoff setzte sich, legte den Kopf in den Nacken und blickte zum Kristallleuchter an der holzgetäfelten Decke, als müsse er das Angebot überdenken.
Paulsen tat so, als hätte er aufgegeben. „Tja, tut mir leid, dass ich Ihnen kein lukrativeres Angebot machen kann.“
„Darum geht’s nicht.“ Baranoff kratzte sich am schlecht rasierten Kinn. „Meine Honorarsätze könnt ihr sowieso nicht löhnen. Wenn ich mitmache, dann nicht wegen der Mäuse, sondern aus ’nem anderen Grund.“ Er machte eine Kunstpause.
„Und der wäre?“
„Pflichtgefühl.“
Paulsen blickte ihn an – ehrlich verblüfft.
„Pflichtgefühl unserem Berufsstand gegenüber. Die Pflicht, ein so bestialisches Verbrechen aufzuklären. Man könnte auch sagen, ich tue es im Namen aller Detektive. Besonders für die armen Schweine, die wie ich im Hotelgewerbe arbeiten. Und wenn das unter den Augen der Öffentlichkeit geschieht, umso besser.“ Er krabbelte aus dem Sessel.
„Ich werde die Bestie jagen, und dann könnt ihr hautnah miterleben, wie man so was anpackt.“
Er ging geschäftig los, als wollte er gleich mit der Jagd beginnen. An der Tür drehte er sich noch einmal um.
„Von wegen Mythos und Realität!“
Paulsen muss sich eingestehen: So viel Ironie hatte er Baranoff nicht zugetraut. Er nahm es als Warnung, ihn nicht zu unterschätzen.