Kitabı oku: «TannenPannen»
Lustige Weihnachtsgeschichten

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2016
© 2016 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim
Titelillustration und Illustrationen im Innenteil: Sebastian Schrank, München
Lektorat und Satz: Bernhard Edlmann Verlagsdienstleistungen, Raubling
eISBN 978-3-475-54604-4 (epub)
Worum geht es im Buch?
Wolfgang Schierlitz
TannenPannen
Lustige Weihnachtsgeschichten
In diesem Buch führt uns Wolfgang Schierlitz ein weiteres Mal die Tücken des Weihnachtsfestes vor Augen. Auf amüsante Weise schildert er, wie man die richtige Geschenkauswahl für seine Lieben trifft. Schwierigkeiten ergeben sich dabei vor allem bei den Kleinsten, die in ihrer Neugier und Unbefangenheit den lieben Onkel als Nikolaus identifizieren. Ein Wettstreit über das schönste Krippenspiel endet in der friedlichen Zeit schon mal in lautem Chaos und Disharmonie.
Dieses Buch ist der ideale Begleiter für die stressige Weihnachtszeit, in der man auch gerne einmal herzhaft lacht.
Vorwort
Auf das Weihnachtsfest projiziert der Mensch sein Wunschbild von Friede, Freude und Eierkuchen. So entstehen die vielen Fassaden, die unser Leben im schönsten Licht erscheinen lassen, obwohl es in der Regel sehr prosaisch ist.
Dieses Leben spielt sich im Kopf des Verfassers auf mehreren Ebenen ab. Der Leser mäandert mit ihm durch die realen Geschehnisse, die umrankt werden von farbenfrohen und erfrischenden Einfällen und Kommentaren, die dem Buch einen philosophischen Touch verleihen.
Die Vielschichtigkeit dieses Buches erfordert es, dass man sich näher mit dem Werdegang des Verfassers beschäftigt. Aus seinem Beruf heraus entwickelte sich logisch und geradlinig etwas, was schließlich seine Berufung wurde. Sonst würde er nicht so viele Bücher schreiben!
Als junger Mensch erlernte er das Setzer- und Druckhandwerk in einer für die heutige Jugend schwer vorstellbaren Form: Um einen Text gedruckt auf das Papier zu bringen, musste dieser vorher aus seitenverkehrten Buchstaben zusammengesetzt werden – praktisch hintenherum. Dies erforderte eine große Vorstellungskraft: Er war gezwungen, den Text aus vielen Perspektiven auf seine Richtigkeit zu beleuchten.
Vielleicht ist das die Erklärung für seinen teilweise filigran anmutenden Satzbau. Er wirkt, als wären einzelne Buchstaben noch etwas verkantet auf dem Papier gelandet.
Aber gerade darin liegen seine Genialität und Einmaligkeit, gerade damit vermittelt er Assoziationen so pointiert, dass der Leser plötzlich alles aus einer anderen Perspektive zu betrachten beginnt.
Das ist es, was Lesen zu einem Vergnügen macht. Einem bajuwarischen Vergnügen.
Dr. Hartmut Baltin
Wie man geheimnisvoll günstig schenkt

Einfach ist das keinesfalls. Jedes Jahr werden die Erwartungen noch gewaltiger. Das sogenannte Preis-Leistungs-Verhältnis wird überhaupt nicht mehr in Betracht gezogen oder nur noch notdürftig, oberflächlich weihnachtlich verbrämt. Im Laufe der vielen fetten Jahre ist es bereits so weit gekommen, dass schon die Kinder murren, wenn ihre Wünsche nicht genügend berücksichtigt werden. Der schnöde, aber teure Mammon wird immer seltener in den Vordergrund gerückt. Die Zufriedenheit hat sich still und leise einfach verabschiedet.
Dadurch schreckt der bewusst schenken Wollende schon im lauen Sommer des Nachts unverhofft aus dem Schlafe auf. Und das nicht nur, weil es ihm zu warm geworden ist. Die Symptomatik geht bis hin zu schweren Alpdrücken. Schuldbewusst erinnert er sich nämlich, dass er für das schnell nahende Weihnachten noch überhaupt nichts gebunkert hat. Wobei schon bald die verschmitzten Schokoladennikoläuse verstohlen in den Regalen lauern werden. Dabei weiß er doch aus Erfahrung, wie plötzlich und unverhofft der Heilige Abend vor der Türe steht. Gerade noch milder Sommerwind, gleich wieder bunter Herbst, und schon schneit es vielleicht anhaltend. Da staut sich dann alles auf die Feiertage zu.
Das günstige Einkaufen wird in dieser Zeit leider auch immer stärker behindert. Gerade vor Weihnachten, wenn eigentlich kontemplativ und entspannt die schönsten und geeignetsten Geschenke für die Lieben ausgewählt werden müssten, setzt direkt ein Run auf sämtliche Läden ein.
Ein langjähriger Kenner der Materie und kompetenter Vorsitzender des Gewerbeverbandes kommentiert die Situation folgendermaßen: »Sogar die immer zahlreicher werdenden Flohmärkte erleben eine Invasion nach der anderen mit massenhafter Stürmung. Gleich, was da angeboten wird: Die verkaufen doch zu jeder Jahreszeit alles, was nicht niet- und nagelfest ist.«
Aber hier sagt der vorausschauende Kunde und Stratege: »Das ist gut so.« Der sinnvoll Bevorratende sorgt nämlich schlau und überlegen zu jeder Jahreszeit für das Fest der Feste vor, bevor es zu spät sein könnte. Und auch wenn das Verkaufsvolumen im mittelständischen Bereich dadurch etwas lahmen sollte: Für den Einzelhandel bleibt ja trotzdem glücklicherweise, vielleicht etwas gestutzt, die Adventzeitspanne, um nachhaltig am gewinnbringenden Boom teilzunehmen.
Weit gefährlicher für diese Branche sind die lautlosen Wellen, mit denen immer häufiger über das Internet Bestellungen durch den Äther rasen, auch wenn dann der Kunde, der seine Ware nicht mehr rechtzeitig geliefert bekommt, nicht selten das Nachsehen hat.
Der vorausschauende, sachlich denkende Kopf weiß jedenfalls aus leidvoller Erfahrung: »Man wird in den wenigen Wochen vor Weihnachten durch die aufgewühlten Menschenmassen in den Geschäften stark behindert, ja beeinträchtigt. Rigorose Leute schnappen dir die günstigsten Schnäppchen einfach vor der Nase weg. Als entspannt Suchender, der mit kühlem Kopf nach Präsenten Ausschau hält, stürzt man sich ungern in die entfesselte Meute hinein.«
Es nützt auch überhaupt nichts, wenn man weiß, dass doch so manche Ware nach den Feiertagen zum herabgesetzten Preis zu erwerben wäre. Daraus resultiert ja der bezeichnende, höchst aufschlussreiche Name Ladenhüter.
Zum Glück hat man das anregende, fesselnde Prinzip des sogenannten Wühltisches nicht ganz abgeschafft. Immer wieder einmal schürft der gründliche Sonderpreisjäger bis zum Grund der lose geschichteten Textilien, auch wenn er dabei leider manchmal nicht so fündig wurde, wie er es erhofft hatte. Hauptsache, er hat den Haufen gründlich umgegraben und für die Nachfolger das Unterste zuoberst zurückgelassen.
Besondere Aufmerksamkeit, vom Preis her gesehen, erregten diese Fundgruben zweimal jährlich zum Sommer- oder Winterende. Aber selbst da hat eine unverständliche Regelung einen Riegel vorgeschoben.
Nehmen wir doch beispielsweise den sogenannten Winterschlussverkauf. Dieser wurde leider von anonymen, bösartigen Kräften leichtsinnig zu Grabe getragen. Wie eindrucksvoll prangten doch früher in den Geschäftszonen Transparente und überdimensionale Schilder in werbewirksamen Lettern und mit dem tröstlichen Versprechen von Schnäppchen. Die wohlklingenden Wortfügungen »Winterschlussverkauf« und das etwas allgemeinere »for sale« ließen den preisbewussten und hart kalkulierenden Kunden frohgemut aufhorchen. Das Gleiche gilt natürlich auch für den Sommerschlussverkauf.
Aber noch sind wir ja in suchenden Gedanken über die Festlichkeiten und die zu erwerbenden Präsente versunken. Solche Art von Überlegungen eilten auch dem fleißigen Bediensteten Fridolin am Münchener Airport, mit dem Markennamen Franz-Josef-Strauß-Flughafen betitelt, durch den Kopf. Der eloquente Mann arbeitete nun bereits Jahrzehnte sozusagen als ein wichtiges Glied beim Bodenpersonal der Lufthansa. Ohne sein arbeitsames Zutun würde ein gut geöltes Rädchen in den komplizierten Abläufen dieses luftigen Weltdrehkreuzes fehlen.
Verantwortungsbewusst und großzügig brütete er schon länger und ausgiebig darüber nach, was er denn seiner kürzlich eroberten Geliebten zum hohen Fest präsentieren könnte. Noch war zwar etwas Zeit übrig, aber er sagte sich richtig: »So gut wie immer steht auch diesmal ein neues Weihnachten über kurz oder lang bevor.«
Doch die rettende Idee nahte in Form von einer recht überraschenden Mitteilung. Denn wieder einmal sollte die große Versteigerung stattfinden. Er wusste natürlich sofort, worum es ging, und kombinierte richtig. Das war die unverhofft eingetroffene Hilfe, die ihm die Möglichkeit eröffnete, geheimnisvoll, außergewöhnlich und als interessanter Schenkender aufzutreten. Insbesondere rechnete er still bei sich aus, für seine neue, größere Liebe bald wieder eine treffsichere, geschenkmäßig einmalige Investition tätigen zu können. Es müssen ja nicht immer teure Klunker sein, noch dazu von den schwindelnden Preisen her gesehen.
Dieser soeben eingetretene Tatbestand der Versteigerung hatte folgenden Hintergrund: nämlich weil das mit dem Fluggepäck so eine Sache ist, wenn nach getätigter Reise eine unangenehme Überraschung eintritt. Immer wieder einmal, wenn auch recht selten, wartet man vergeblich auf seine Siebensachen. Man steht erwartungsvoll am Transportband. Allmählich fragt man sich erschüttert: Wo bleibt der Koffer, wo bleibt der Seesack, wo bleibt die wohlgepackte, schmucke Reisetasche? Oder hat man selbst die Adressen verwechselt? – Nein, das kann nicht sein. Das weiß man bestimmt. – Hat ein schlampiger Bediensteter vom Bodenpersonal die Bestimmungszettel abgerissen oder so stark beschädigt, dass ein Entziffern unmöglich wurde?
So nach und nach holt jeder Mitgeflogene erleichtert sein Gepäck ab. Doch den Letzten beißen wieder einmal offenbar sozusagen die Hunde. Lange noch steht man versunken und nachdenklich da. Das schwarze Gummi-Förderband zeigt sich jetzt nach getaner Arbeit vollkommen statisch. Kein einziger Rucker findet mehr statt. Was ist denn da wohl passiert, was zu tun? Da müsste doch noch was eintreffen.
Doch die Klappe bleibt geschlossen. Der Flieger, mit dem man vor einer Stunde hereingeflogen war, hebt seelenruhig wieder ab und eilt ungerührt gen Himmel, sozusagen von dannen nach hinnen. Aber das Transportband bleibt unbeweglich, wie versteinert.
Und los geht’s wieder einmal. Der ganze Rattenschwanz mit Beschwerden, behördlichem Kram, das Formulareausfüllen und Formularebearbeiten nimmt seinen Lauf. In den meisten Fällen ist man aber seine mühsam eingepackten Utensilien los.
Irgendwo darf das nun herren- und frauenlose Gepäck unbeschwert herumfliegen, oft mehrmals um die ganze Welt. Das kann dauern. Und weil die unnötige, fremde Last allmählich stört, hat man ein Sammellager für all diese Dinge geschaffen. Die Besitzer sind längst nach allen Regeln der Kunst abgeschrieben. Kein Mensch kann sich mehr um die aufwendige Rückführung der Gepäcksachen zu ihren wahren Besitzern kümmern.
Oder es trifft ja auch ab und zu ein, dass das Gepäck wenigstens teilweise einen leichteren Flugzeugabsturz gut überdauert hat. Manchmal ist schließlich nicht alles im Eimer. Da geht es aber doch auch drunter und drüber. Die allgemeine Verwirrung erreicht einen gewissen Höhepunkt, und manches bleibt zunächst zurück, was später als vermisst gemeldet wird. Und wo soll der ganze Krempel hin? – Jawohl! Was übrig bleibt, kommt ins Sammellager. Immer wieder einmal, bevor die Lagerstätte überquillt, findet dann eine große Versteigerung all der angestauten Dinge statt.
Dadurch ergibt sich eine einmalige Gelegenheit. Da kann der Eingeweihte oder derjenige, der davon rechtzeitig erfahren hat, das geheimnisschwangere Reisegepäck zu Schnäppchenpreisen ersteigern. Alleine das Öffnen oder Erbrechen der rätselumwitterten Stücke ist ohne Weiteres dazu in der Lage, eine erwartungsvolle Gänsehaut zu erzeugen. Was kommt da alles an die Oberfläche? Meist Erstaunliches wie sündteure Schuhe, eine geschmackvolle Krawatte, Mundvorrat oder exotische Kleidung. Manchmal aber leider auch lediglich Banaleres wie frische Unterhosen oder gebrauchte Socken sowie dergleichen Hemden.
Vorausschauend war der schlaue Fuchs Fridolin sofort zur Stelle. Ein Gebot nach dem anderen konnte er locker übersteigern. Das Preis-Leistungs-Verhältnis schien immer noch erschwinglich, wo er doch ein beträchtliches Überraschungsmoment für sich verbuchen konnte. Zufrieden murmelte er nach abgeschlossenem Geschäft: »Schwein gehabt!«
Zum Schluss lag seine stattliche Ausbeute bei drei ansehnlichen Koffern, einem Seesack aus imprägniertem Linnen sowie einer umfangreichen tiefblauen Reisetasche mit kleinem Vorhängeschloss. Mit sich zufrieden und überglücklich transportierte er das erworbene Gut heimwärts. Alles in allem war der gesteckte Preisrahmen voll im Limit geblieben.
Folgerichtig dachte er still bei sich: »Was davon schenke ich nun meiner schmucken neuen Geliebten zu Weihnachten? Die würde ich nämlich gerne länger behalten.«
Eigentlich wurde er immer begieriger darauf, das geheimnisvolle Gut lediglich in Begleitung einer teuren Flasche Spätburgunder ausschließlich persönlich zu öffnen. Aber weil er im Grunde seines Herzens nicht nur kleinlich, sondern auch ziemlich großzügig sein konnte, traf er eine schwere Entscheidung: »Es soll die umfangreiche tiefblaue Reisetasche als tolles Geschenk unter dem Christbaum sein!«
Die Dekoration des Weihnachtsbaums nahm in seinen Gedanken auch schon Formen an, auch wenn draußen noch die Herbstsonne ungewöhnlich kräftig herabbrannte. Bei Föhnstimmung im November entschied er sich für Silber in Form von Lametta und matt glänzende tiefblaue Kugeln, was ja auch der Farbe der Tasche ziemlich genau entsprach.
Am gleichen Abend noch, und erwartungsvoll, nahm er sich die entsprechende Zeit. Zunächst widmete er sich, unter Begleitung eines süffigen Spätburgunders, den zwei aus stabilem Kunststoff in Mausgrau und Schwarz bestehenden Koffern. Einen nach dem anderen. Schon der erste, mausgraue, überpralle, leistete erbitterten Widerstand, bis das Schloss mit all seinen Tücken am Ende war. Schwer beschädigt musste er, der Mausgraue, schließlich der rohen Gewalt weichen. Widerwillig sprang er auf, und schon quoll der Inhalt hemmungslos hervor.
Es handelte sich um neun fabrikneue Hemden mit der Kragenweite 39 sowie reichlich T- und Sweatshirts, vier Boxershorts. Anschließend und darunter schaute ein großgeblümter Schlafanzug hervor. Badeschuhe, Badehose, Bademütze, Badehandtuch und starker Sonnenschutz sowie eine Taucherbrille nebst Schnorchel kamen der Reihe nach an das Tageslicht. Dazwischen warteten mehrere Bücher darauf, gelesen und gewürdigt zu werden: Wie tauche ich gefahrlos; Schnorcheln, aber richtig und Oswalt Kolle: Das Wunder der Liebe.
Beim Studium des letzteren begleitete ihn bereits die zweite Flasche Spätburgunder. Während er Das Wunder der Liebe inhalierte, klingelte das Smartphone. Es war die neue, schmucke Geliebte: »Ich komm noch auf einen Sprung vorbei. Ich habe Sehnsucht.« Und schwupp!, war sie weg, das heißt unterwegs.
Schnell verräumte er alle Spuren bezüglich Koffer und Tasche, zog eines der fabrikneuen Hemden an, und schon wurde die Klingel unten betätigt. Er öffnete überwiegend heiter im frischen Hemd und etwas angetrunken.
Seine Neue begrüßte ihn liebevoll: »Das Hemd ist ja viel zu klein. Und wieso liegt da ein Buch am Boden?« Neugierig hob sie es auf und vertiefte sich sofort in die schwach erotische Lektüre. Nach einer Weile: »Das ist ja Liebe aus dem bundesdeutschen Altertum. Da kannst du bei mir nicht punkten!«
Die dritte Flasche Spätburgunder wurde mühsam geöffnet und der Inhalt unsicher auf zwei Gläser anvisiert. Der gute Wein sprudelte leider etwas eilig heraus.
Die schmucke Geliebte heulte rückhaltlos auf: »Rotweinflecken! Die bring ich nie mehr aus dem neuen Kleid! Du bist doch ein Tölpel!«
Der gute Fridolin nahm aber diese Sache zum Glück nicht übermäßig ernst. Sein Selbstbewusstsein war nicht so leicht zu erschüttern. Ausführlich versuchte er ihr klarzumachen: »Da sind doch sowieso die großen roten Blumen drauf. Die kommen jetzt noch vielfältiger, abstrakter, stärker zur Geltung, oder! Außerdem hab ich auch schon ein einmaliges Geschenk für dein Weihnachten parat.«
Das genügte. Die schmucke Geliebte machte auf dem Absatz kehrt und war sozusagen wie der Blitz beim Tempel hinausgeeilt. Teilnahmsvoll rief er ihr noch nach: »Salz drauf, Salz drauf – und schon ist das weg, das bisschen Flecken!«
Doch wer für länger weg war, vielleicht sogar auf unbestimmte Zeit, war sie. Nun fand er wieder seine Ruhe, um sich weiter in die erworbenen Geheimnisse zu vertiefen.
Der zweite Koffer wurde aufgesprengt. Leider zeigte sich der Inhalt zunächst gar nicht nach seinem Geschmack. Enttäuscht musste er die vierte Flasche Rotwein öffnen. Dann entsorgte er ungefähr 500 großformatige Baupläne und ausgedruckte Grundrisszeichnungen sowie Texterläuterungen in kyrillischer Schrift für ein imaginäres Megacity-Vorhaben. Die ganze Angelegenheit musste sich offensichtlich auf russischem Hoheitsgebiet befinden. Darunter, genau wie darüber, befand sich Schaumstoff zur Polsterung der anscheinend oberwichtigen Sachen.
Aber als er schon beinahe zornig den Koffer einfach umdrehte, fiel noch ein weich umwickelter Gegenstand heraus. Der Inhalt: eine kleine, unscheinbare Nadel, jedoch – sensationell – aus purem Gold.
Am nächsten Tag – Fridolin war wieder vollständig nüchtern geworden – konnte er erfahren, dass es sich um eine Haarschmucknadel skythischen Ursprungs handelte. »Diese verwilderten Reiterleute aus Südrussland sind ja kaum erforscht. Man weiß bis heute noch nicht, wie sie an das Gold herangekommen sind. Die hatten keinerlei Goldbergwerke in der Steppe. Daher vermute ich als Fachmann, dass sie alles einfach zusammengestohlen haben.«
Das meinte der befragte Experte, ein befreundeter Hobbyarchäologe. So nach und nach reimte sich der glückliche neue Besitzer des raren Gegenstandes zusammen, dass da mit dem verschollenen Koffer höchstwahrscheinlich ein Bestechungsfall sein vorzeitiges Ende gefunden haben musste. Und er war der glückliche Nutznießer.
Am nächsten Tag wollte er sich neugierig dem ebenfalls günstig ersteigerten Seesack widmen. Doch als er sich näher damit befasste, kam etwas Überraschendes zutage: Schwer leserlich, aber doch entzifferbar entdeckte er eine Adresse in Hamburg-Blankenese. Nach einem Kampf, den er mit sich selbst ausfechten musste, war die Sache für ihn klar. Er schickte, wenn auch schweren Herzens, das ehrlich erworbene Stück wieder seinem tatsächlichen Besitzer entgegen. Nach neun Tagen erreichte ihn auf dem Postwege ein ausführliches Dankschreiben. Der Besitzer, ein ehemaliger Matrose, mühsam existierend als Hartz-IV-Empfänger, zeigte sich überglücklich angesichts seiner sämtlichen wiedergefundenen Habseligkeiten. Das beweist deutlich, wie auch ein abgehärteter, salzwassergetaufter Seemann im Herzen vollständig erweicht, sobald ihm echte Anteilnahme und Lebenshilfe entgegenschlägt.
Dann kam es, wie es wieder einmal jährlich genau kommen musste. Weihnachten stand unmittelbar, beinahe wie soeben aus dem Boden entsprungen, bevor. Allmählich, wenn auch mühsam, hatte der eifrige Fridolin den Kontakt zu seiner schmucken Geliebten wiederhergestellt. Fast wäre sie im Laufe der kurzzeitigen Trennung einem unverhofften Rivalen aus dem Flughafenpersonal als Beute anheimgefallen. Der scheinheilige Bursche, noch dazu ein Freund und ziemlich vertrauter Arbeitskamerad, brach aus verliebter Begehrlichkeit das ungeschriebene Gesetz: »Begehre niemals die schmucke Geliebte deines Kollegen!«
Der Heilige Abend war mit leichter Schneeauflage und glitzerndem Frost angekommen. Ein bereits früher sorgfältig und dekorativ geplanter Christbaum strahlte aus der gut gesäuberten Ecke, in welcher sonst der Staubsauger untätig lehnte. Nach einem einfachen, aber schmackhaften Menü, bestehend aus gebratenen Knoblauchshrimps in Olivenöl und gut warmen Maronikastanien sowie etwas Rucolasalat, hatte diesmal der schlaue Fuchs Fridolin auf Weißwein umgesattelt. Das Malheur von der letzten, nicht ganz unproblematischen Begegnung mit Flecken war noch nicht völlig aus seinem scharfen Gedächtnis entschwunden. Zufrieden und wohlig tastete er nach der schmalen rechten Hand seiner schmucken Geliebten, die sie ihm gerne und erwartungsvoll reichte. Denn nun sollte ja die fröhliche Bescherung losgehen. Die Geliebte legte noch schnell etwas unter den Weihnachtsbaum, als Fridolin kurz in der Küche werkelte. Schnell und festlich sang sie eine kurze Strophe von den Himmeln und dem bald herabtauenden Gerechten. Und schon war zwar nicht der Gerechte, aber der feierlich gepolte Freund Fridolin wieder im Raum.
Neben dieser neuerlich abgelegten Geschenksache warteten eine tiefblaue, größere Reisetasche und ein schweinslederner, weit gereister Koffer mittlerer Größe auf die feierliche Eröffnung. Und schon fand die weihnachlich-traditionelle Zeremonie statt. Zunächst durfte er sein aufwendig in Japanpapier verpacktes Präsent auswickeln. Es handelte sich um ein feines Seidenhemd mit der passenden Kragenweite 43 und nicht kleiner. Natürlich zeigte er sich dankbar und recht glücklich, denn sie strahlte dazu verheißungsvoll.
Jetzt kam sein großer Auftritt. In blumigen Worten vermittelte er ihr das erstaunliche Geheimnis der tiefblauen Reisetasche. Erst skeptisch, aber dann recht neugierig durfte sie ran an dieses rätselhafte Präsent. Fridolin erbrach für sie das kleine Vorhängeschloss, und schon – ritsch, ratsch, klang der Reißverschluss in die gespannte Atmosphäre – kam sie dem Inhalt näher. Und der war ja nun wirklich und überraschend beinahe prächtig. Ganz oben fand sich ein goldpaillettenbesetztes Kostüm in Tiefblau. Fridolin rief beinahe leicht nervös, aber begierig: »Das musst du augenblicklich anprobieren!« Und schon streifte sie etwas mehr Kleidung ab, schlüpfte in das verheißungsvolle Stück, und siehe da: Es passte wie angegossen. Zum Dank fiel sie ihm spontan und herzlich um seinen Hals, welcher versehen war mit dem neuen, bläulich gemusterten Seidenhemd der Kragenweite Größe 43.
Wie sich durch das weitere Auspacken der Utensilien herausstellte, musste es sich um eine sündteure Modekleiderkollektion für eine Art Mannequin handeln, vielleicht sogar für ein besonders teuer bezahltes, berühmtes. Und das Frappierende, nachhaltig kommentiert von seiner Geliebten: »Das passt ja alles wie maßgeschneidert!« Es fügte und schmiegte sich auch tatsächlich wie eine zweite Haut um den edlen Körper der schmucken, umgehend immer mehr und über alles Geliebten.
Nun blieb noch eine beidseitig zu lösende frohe Handlung. Der Schweinslederkoffer wurde gemeinsam sorgfältig erbrochen. Die große Überraschung fand zwar dadurch nicht mehr statt. Sichtlich, aber nicht allzu sehr betroffen bemerkte der Verliebte: »Gerade von dem weit gereisten Schweinslederkoffer hätte ich mir wesentlich mehr erwartet.«
Jedoch war das auch kaum mehr nötig, denn es herrschte trotzdem eitel Wonne. Der unscheinbare Inhalt: überwiegend verschiedenste benutzte Ober- und Unterwäsche, gerade recht für den Altkleidercontainer, vielleicht auch als Futter für die Waschmaschine. Trotzdem flötete sie (natürlich keineswegs die Waschmaschine) ergriffen: »Das ist Weihnachten, wie es singt und klingt, und tatsächlich so wirklich unwirklich wie aus einem wahr gewordenen Märchen.«
Ganz nüchtern war die schmucke Geliebte offensichtlich auch nicht mehr. Weißwein hat auch seine Promille.
