Kitabı oku: «TannenPannen», sayfa 2
Albtraum im Advent

So ein Supermarkt muss ja ständig auf dem neuesten Level sein. Vor allem wenn der Umsatz sang- und klanglos etwas einbricht, müssen umgehend größere Überlegungen angestellt werden. Noch dazu weil wieder einmal der Advent als besonderer Einkaufsmagnet unausweichlich herannaht. Gleich ist es wieder so weit. Da steht man dann als Kunde vor dem umfangreichen Laden und, vielleicht sogar verzweifelt, vor dem Hinweis: »Geschlossen. Wir bauen für Sie um.«
Das musste ein guter Bekannter, ein Frühpensionär, kürzlich an seinem eigenen Leib erfahren. Als ehemaliger Ministerialrat heimste er monatlich und pünktlich eine erkleckliche Auszahlung ein. Trotzdem fand sich, erwerbsmäßig gesehen, immer nur das Billigste in seinem Einkaufswagen. Kurz und knapp gesagt: Er war von Haus aus ziemlich geizig. Täglich prüfte er intensiv die Werbezettel, die aus seinem Postkasten unzählig hervorquollen. Diese nehmen ja an Umfang und Zahl lange schon vor den hohen Festtagen gewaltig zu.
Doch vorläufig leider vergeblich. Erst an einem Nachmittag Ende November sollte laut Ankündigung der Eröffnungsevent stattfinden.
Etwa zwei Stunden vor dem großen Ereignis traf ich ihn, den Privatier, auf einer Parkbank lauernd, in allernächster Nähe der Einkaufsquelle. Er machte einen ziemlich fertigen, blassen Eindruck. Hatte er schlecht geschlafen, und das selbst als ehemaliger höherer Staatsdiener? Ich fragte ihn unumwunden nach dem Grund.
Das hätte ich lieber bleiben lassen sollen. Wie immer als gelernter Beamter, holte er nicht nur sehr weit aus, sondern verzettelte sich mit seinen Erläuterungen vom Hundertsten bis ins Tausendste.
Umständlich versuchte er am Anfang zu beginnen, fand ihn aber nur sehr schwer: »Also, die Sache ist die: Gestern um sieben Uhr, nein, es war doch schon sieben Uhr und zehn Minuten, also 19.10 Uhr am Abend. Ich wollte eigentlich Spaghetti mit Tomatensoße kochen. Doch da stellte ich fest, dass ich gar keine Spaghetti mehr zu Hause hatte.«
Ich unterbrach ihn noch nicht, weil ich genau wusste: Wenn er dadurch völlig aus seinem Konzept herauskäme, würde ich morgen noch dasitzen.
Er fuhr auch ziemlich bald wieder fort: »Also, keine Spaghetti. Da isst man dann notgedrungen das, was man noch so da hat. Oder das von gestern. Ich habe dann anschließend noch den Teller und die Gabel, also auch ein Messer, abgespült. Sowie eine benutzte Tasse.«
Gleich dachte ich wieder daran, dass er ja von Jugendbeinen an ein eingefleischter Junggeselle war. Er musste solche schwerwiegenden Dinge immer alle selbst machen. Da ist man ständig ganz auf sich allein gestellt.
Und schon nach gar nicht langer Zeit setzte er fort: »Als ich dann den Fernseher eingeschaltet hatte, so gegen acht Uhr, und fünfzehn Minuten später nach den Tagesnachrichten noch der Wetterbericht durchgegeben wurde, sagte der Wetterfrosch ungerührt: ›Schon wieder Föhn.‹ Dadurch bin ich umgehend recht müde geworden. Das war schon den ganzen Tag, weil ich noch dazu den Föhn überhaupt nicht vertrage. Vor den Nachrichten ist ja immer Werbung. Aber nicht lange. Ich bin dann glatt eingeschlafen. Und kaum später, also das muss nur ganz kurz danach gewesen sein, so gegen neun Uhr, ging es los.«
Schon beinahe nur noch mit Mühe gefasst, aber zunehmend ungeduldiger, unterbrach ich das Gelaber: »Was war denn nun endlich? Sag es mir doch bitte heute noch!«
Ernst und sichtlich beleidigt sammelte er sich: »Ganz schwerer Traum. Böser Horror. Ich musste in den Supermarkt. Nichts mehr daheim. Noch dazu bald Weihnachten.« An dieser Stelle versuchte er sämtliche Dinge aufzuzählen, welche er einkaufen wollte.
Es ging nicht mehr anders. Ich musste ihn erneut abrupt unterbrechen: »Bitte, was war denn los, dass du so fertig bist? Sag es mir doch endlich! Das ist ja eine regelrechte Folter, was du mit mir machst!«
Seelenruhig wartete er etwas. Er besann sich zunächst, wie er das wahrscheinlich auch früher auf seinem Beamtensessel tat. Dann brach es langsam aus ihm heraus: »Du kannst dir wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie sehr so ein Albtraum zuschlagen kann. Ich bin immer noch fix und fertig. Und das kam so: Ich werfe einen Euro ein. Ich will mir wie immer einen Einkaufswagen ordern. Und siehe da, so ein Gerät ist dreimal so groß wie früher. Sozusagen ein überdimensionales Fahrzeug. Der Wagen ist mit drehbaren Schalt- und Gasgriffen versehen. Dass die Bremse fehlt, fällt mir zunächst nicht auf. Auch eine richtige, große Gummihupe wie ganz früher bei den Motorrädern ist vorhanden. Und jetzt sehe ich: Da ist ja sogar ein Motor zwischen den Rädern aufgehängt. Ich drehe vorsichtig am Gas. Schon rattert das Ding ziemlich schnell los, und ich muss wie mit daran gefesselten Händen mitsausen. Ich glaube, da war ein richtiger, starker Menschenmagnet dran, der dich nicht mehr freigibt. Wir brettern durch zwei Schwingtürflügel, die wie in einer Wildwestbar hinter mir hin und her schlagen.«
Er musste eine Pause einschalten. Das verstand ich. Allmählich konnte er mühsam weitererzählen.
»Aber jetzt kam erst so richtig Angst in mir auf. Während ja der Einkaufswagen dreimal voluminöser als früher war, hatte man die Gassen so verengt, dass eine Kollision mit den Waren rechts und links fast nicht verhindert werden konnte. Und schon flogen die Konserven und die Käseschachteln durch die Gegend, ebenso auch eine große Plastiktube Mayonnaise, die aufplatzte und sich von oben bis unten über mich ergoss. Die Regale türmten sich noch dazu wolkenkratzermäßig in die Höhe und verjüngten sich nach oben. Dabei schwankten sie so bedenklich, als ob sie jederzeit über mir zusammenstürzen wollten.
Doch nun sollte es erst richtig beginnen mit den Albdrücken. Immer mehr Kunden waren durch die Schwingtürflügel eingedrungen. Alle in rasantem Tempo. Und wie es nicht anders sein konnte, um den Horror noch zu beflügeln: Es kam Gegenverkehr! Kalter Schweiß durchbrach mein Hemd. Der Zusammenstoß mit höherer Geschwindigkeit schien nicht mehr abwendbar. Ich hupte wie ein Verrückter. Doch ganz kurz vor der Kollision bog der Kontrahent plötzlich links in eine andere Gasse ab.
Kaum war diese Gefahr glimpflich vorüber, raste erneut ein völlig überfüllter Wagen auf mich zu. Der Fahrer blieb hinter den aufgehäuften Sachen unsichtbar. Wahrscheinlich ein Rambo. Gerade überlegte ich, in welchem Krankenhaus ich wohl aufwachen würde. Doch, erstaunlich: Wie von Geisterhand gestoppt, standen beide Wagen plötzlich wie angewurzelt auf der Stelle. Das Unangenehme an der Sache war nur, dass durch die entstandene Fliehkraft ungefähr so etwa hundert Gegenstände wie Klopapier, Bananen, Zigarettenschachteln, eine große Packung Waschpulver und vieles mehr auf mich herabprasselten. Ab sofort wollte ich nur noch hinaus.
Doch was stellte sich heraus? Der gesamte Supermarkt hatte sich in einen furchtbaren Irrgarten verwandelt. Unentrinnbar! Ich hupte ununterbrochen und schrie so laut wie möglich um Hilfe. Wie in einer Geisterbahn durchsauste ich dabei immer neue Gassen, und zahlreiche Beinahe-Kollisionen zermürbten mich durch und durch. Die Hupe heulte klagend. Ich selbst konnte nur noch heiser krächzen. Der absolute Zusammenbruch war greifbar.
Aber wie durch ein Wunder war ich durch meinen anhaltenden Lärm glücklicherweise plötzlich wieder erwacht. Nach Atem ringend lag ich am Boden vor dem Fernseher. Der Wetterbericht war längst vorüber, und ein Horrorfilm lief gerade auf den Höhepunkt zu. In einem menschenleeren Supermarkt sauste, nach vorn gebeugt auf einem herrenlosen Einkaufswagen sitzend, eine übel zugerichtete Leiche durch die dunklen Gassen. Die rechte Hand hatte sie mahnend und geisterhaft erhoben. Dabei sang die untote Leiche ein schauriges Lied, betreffend Doktor Frankenstein. Ich sammelte meine ganzen Kräfte. Mit einem Hausschuh traf ich die Austaste vom Fernseher. Jetzt sitzt mir noch heute das eiskalte Grauen in den Gliedern.«
Inzwischen spielte drüben vor dem Supermarkteingang eine flotte Blasmusik in echt oberbayerischer Trachtenverkleidung, und eine Schwadron Luftballone wurde in Richtung Himmel entlassen. Ein Kinderchor sang frisch. Gutscheine und Flyer wurden verteilt. Es war zwar erst November, aber schon agierte ein rauschebärtiger Nikolaus mit goldenem Bischofsstab und hoher, heiliger Mütze zwischen den Leuten und rief ungefragt ungefähr alle zwei Minuten aus tiefer Brust sein dreifaches »Ho, ho, ho«. Mehr fiel ihm so lange vor seinem tatsächlichen Auftrittstermin noch nicht ein.
Mein lieber Exbeamter war wie von einer Tarantel gestochen aufgesprungen. Er holte einen Einkaufszettel aus der Hosentasche und eilte hinüber. Die Sonderangebote verfolgten ihn wahrscheinlich schon länger.
Ich kam etwas später nach, ohne Eile. Der Unterstand, wo sonst die Shopping-Trolleys waagerecht gestapelt sein mussten, zeigte sich leer. Ungefähr ein paar Hundert Leute, oder noch mehr, mussten den Eingang gestürmt haben. Als ich endlich, ohne das obligate Fahrzeug, auch eingedrungen war, machte ich eine Feststellung, die mich unangenehm an den soeben gehörten Horror-Albtraum erinnerte. Die Gassen waren tatsächlich enger geworden, die Angebote beträchtlich mehr, und die pausenlos ein- und ausfahrenden Einkaufswägen erschienen mir mindestens doppelt so groß wie früher. Selbst der gewaltige Verkehr in den Gassen zeigte sich schneller und gefährlicher als vor der Modernisierung. Platzangst breitete sich in mir aus.
Und da schepperte es bereits durchdringend. Mein lieber Beamtenfreund war mit seinem hoch aufgeladenen Wagen wie mit einem Rennauto viel zu schnell um eine unübersichtliche Ecke gebogen. Zwar gab es keinerlei Verletzte, aber viele schöne Sonderpreissachen flogen ungehemmt durch die Gegend. Beispielsweise wurde ich von einer Schachtel Christbaumschmuck unverhofft getroffen. Die Fliehkraft hatte sich wieder einmal, wenn auch mit gutem Recht, aber doch unangenehm bemerkbar gemacht.
Gerade konnte ich dem verdutzten Exbeamten noch zurufen: »Der nächste Albtraum heute Abend nach dem Wetterfrosch im Fernsehen wird unausweichlich eintreffen. Und der Föhn wird dich auch weiter verfolgen.«
Er sammelte seine Siebensachen hastig ein. Und schon war er in die nächste Gasse abgebogen.
Aber sofort ertönte ein unangenehmes Geräusch. Eine hohe, aufgebracht klingende Stimme folgte auf dem Fuße: »Passen Sie doch auf! Sie sind ja schließlich hier mit Ihrem Rennwagen nicht alleine unterwegs. Nehmen Sie lieber einen Rollator!«
Die guten und die bösen Mächte

Weil im Dorf meiner Kindheit das regelmäßig im Advent aufgeführte Krippenspiel so erfolgreich über die Bühne gelaufen war und sogar viele Jahre immer wieder ziemlich positives Aufsehen erregt hatte, entstand im weit größeren und reicheren Nachbardorf eine kaum verhohlene Eifersucht. Man wollte unbedingt auch eine wuchtige Veranstaltung mit vorweihnachtlichem Flair auf die Beine stellen.
Der Notenwart des Kirchenchores war überzeugt: »Was die können, das können wir schon lange.«
Das war jedoch bei denen da drüben zunächst überhaupt nicht so einfach, wie es klang, weil es offensichtlich an der nötigen Autoritätsperson fehlte. Sie hatten weder einen tatkräftigen Herrn Hauptlehrer noch eine ehrgeizige Frau Religionslehrerin, um so etwas Gigantisches wie bei uns zu gestalten. Und plötzlich, als es ernst wurde, schob auch der Notenwart die gesamte Verantwortung für so einen Event weit von sich. Er stellte sich als sogenannter Sprüchemacher heraus. Außerdem bezweifelte man bei uns die schöpferische Kraft dieser aufstrebenden Nachbarn in puncto Schauspiel. Irgendwann fand sich aber dann doch ein pensionierter Musiklehrer, der sowohl mit hochprozentigen Getränken als auch mit Posaune, Basstuba und Alphorn recht gut umgehen konnte. Auf die vorsichtige Anfrage, ob er seine Kompetenz und Kapazität für die Sache zur Verfügung stellen könnte, meinte er zwar etwas beschwipst, aber unumwunden: »Jawohl.«
Und so entstand unter ausgedehnten Mühen und Plagen sowie reichlich schwierigen Proben das gar nicht so schlechte Sing- und Adventspiel als konkurrierende Veranstaltung zu unserem hervorragenden Krippenspiel. Leider war bei diesen Dilettanten anfangs sogar ein größerer Zulauf zu verzeichnen, der dann bei unserer Besucherzahl abging. Noch dazu weil diese Proleten überhaupt nicht davor zurückschreckten, eine Überschneidung der jeweiligen Aufführungstermine mit den unseren zu riskieren.
Von Anfang an dabei waren natürlich auch einige unserer Spione, die unsere Spielleitung zur Information und zur Auslotung des kulturellen Wertes dieser unverfrorenen Konkurrenz abwechselnd zu diesen Veranstaltungen hinschicken musste. Dies geschah bereits bei den Proben, um rechtzeitig ein vollständiges Bild des Spektakels entstehen zu lassen.
Schon bei diesen Proben ergaben sich interessante Erkenntnisse: Die Struktur dieses Theaters war eine völlig andere als bei uns. Da fragte man sich schon, ob bei denen nicht etwas zu viel Wert auf die heidnische Seite gelegt wurde, weil auf die bösen Mächte ein Riesenanteil an dem Stück entfiel. Inwieweit das kirchenrechtlich zu vertreten war, blieb dahingestellt. Unsere Seite wollte da keineswegs als Ankläger in Erscheinung treten. »Das klingt doch immer gleich nach Judas und Verrat«, verlautete aus unserer Spielleitung.
Das Stück handelte im Grundkonzept, wie schon angedeutet, von zwei unterschiedlichen Gruppierungen, die sich überhaupt nicht grün waren. Die einen verkörperten die guten, die anderen die bösen Mächte. Das Ganze war offensichtlich durch den hinteren Teil der Bibel inspiriert. Es klang stark nach der geheimnisvollen Offenbarung. Diese gegensätzlichen Mächte hatten zusammen über zwei Stunden sowohl musikalisch als auch sprachlich schwer miteinander zu ringen. Das ging, wie sich schnell herausstellte, nicht ohne Ärger und Rangeleien ab. Die Interessen waren einfach viel zu verschieden.
Einer unserer Spione, ein verlässlicher Berichterstatter, vermittelte uns ein genaues Bild der ganzen Sache. Natürlich fühlte er sich nicht so recht wohl als geheimer Spion. Andererseits musste er zugeben, dass so ein Spezialauftrag auch seine spannenden Seiten besitzt. Es war ziemlich kalt geworden, und bei den Proben sparten diese Pfennigfuchser sogar an der Heizung. Deshalb verkündete er stolz: »Ich glaub, ich bin genau so einer wie ›der Spion, der aus der Kälte kam‹, in dem damaligen nervenzerfetzenden Film.« Zum Glück schöpfte niemand Verdacht, und er war auch nicht als Beauftragter unserer Seite aufgeflogen. Das wäre besonders peinlich geworden, weil er sowieso nicht der Hellste ist.
Das Ganze begann mit einem furchterregenden Getöse der bösen Mächte mittels Trommeln und Gebrüll. Noch dazu blies der pensionierte Musiklehrer aus voller Lunge disharmonische Töne abwechselnd durch das Alphorn und die Basstuba, ja sogar die Posaune heraus. Anschließend lief der Anführer dieser teuflischen Freunde als Chef einer unangenehmen Schar auf die Bühne. Es war der furiose Luzifer persönlich. Er fuchtelte mit einem hölzernen Mehrzack umher, hatte einen geschickt angebrachten Pferdefuß und verbreitete schon, zumindest bei den jüngeren Besuchern, etwas Schauder und sogar einen Anflug von Ängstlichkeit. Er verkündete kühn und frech: »Mir reicht es jetzt. Ich will endlich aus der Opposition heraus. Ich werde mit meinen gefallenen Engeln endlich die Macht an mich reißen!« Alle seine Anhänger, mehrere Erwachsene, aber auch ziemlich viele mittelgroße Schüler bis herab zu Kindergartenknirpsen, waren bösartig und unheimlich anzuschauen mit schwarz getönten, rußigen Gesichtern und fetzenhafter Bekleidung. Sie sahen aus, als ob sie durch einen Wolf gedreht worden wären.
Der Luzifer schrie markerschütternd und aus vollem Halse: »Auf geht’s! Wir besetzen zuerst sämtliche christlichen Einrichtungen wie Kirchen, Pfarrhäuser und alle Vereine und Zentralen, die ein C vornedran im Schilde führen.«
Hier rief ein renitenter Besucher, wahrscheinlich ein Anhänger aus linkeren, auch etwas bösen Kreisen: »Da seids ihr aber z’ spät dro! Die habn des C ja scho lang verschlampt!«
Darauf ging aber schon ein kräftiges Murren und Grollen durch die betroffenen Kreise. Glücklicherweise donnerte es als postwendende Antwort plötzlich ganz gewaltig, weil der Xare, ein gutmütiger Behinderter, hinter der Bühne auf ein beachtliches Stück Blech hauen durfte. Und wer erschien strahlend und umgehend? Es war der Erzengel Gabriel himself mit einem grell bemalten, riesigen hölzernen sowie gezackten Flammenschwert und in einem knöchellangen Nachthemd aus schwerem, gebleichtem Linnen. Und sowohl rechts und links als auch hinter ihm erschien dazu ein einigermaßen friedliches Bild. Bis auf die Bewaffnung. Es waren ein muskulöser Cherub mit Kurzschwert und ein auch recht kräftiger Seraph, mit Lanze ausgerüstet, an den Seiten ihres Anführers. Damit konnte auch die maskuline Dominanz des heroischen Auftritts sichergestellt werden, wo doch so ein Nachthemd so gut wie nix über die Geschlechtszugehörigkeit aussagt. Beeindruckend klapperten die zwei Vertreter der guten Sache von Fall zu Fall mit ihren Flügeln. Leider löste sich schon nach kurzer Zeit der linke vom Seraph. Er wurde aber schnell wieder gut angehängt.
Der pensionierte Musiklehrer wollte dann auch noch den Erzengel Uriel einfügen, weil ihm nach einer Flasche Weißwein, einem süffigen »Kröver Nacktarsch«, dessen Name so gut gefiel. Doch da war man übereinstimmend der Meinung, dass nicht alle bedeutenden Kämpfer des Lichts auftreten konnten. Es herrschte ja so schon offensichtlich hoffnungsloser Platzmangel. Damit wurde wohlweislich auch einer Verzettelung Einhalt geboten. Schließlich hatte man ja auch schon auf den wichtigsten Vertreter dieser Gattung, den Metatron, verzichtet, weil er sich einfach als zu unbekannt erwiesen hatte, sogar in den zuständigen, kompetenten Kreisen.
Beruhigend wirkte sich auch der von den guten Mächten stolz getragene goldene Heiligenschein auf die Szene aus. Dahinter dehnte sich auf ein paar Metern die unterschiedlich hohe Engelschar, ebenfalls mit strahlend weißen Nachthemden und dem obligaten Heiligenschein versehen. Als wichtige Nachhut, wenn auch etwas verspätet, trabte noch der Michael, seines Zeichens ebenfalls Erzengel, herein. Er trug einen beachtlichen Schild mit sich. Auf dem stand laut und deutlich: »O, du mein Schutz und mein Schild«. Gemeint war natürlich die allerhöchste Macht, die beim Sieg behilflich sein sollte. Obwohl ja jeder sowieso von vornherein genau Bescheid wusste, wie das Ganze auszugehen hatte.
Dann ging es aber erst so richtig los. Es folgte nämlich eine größere Auseinandersetzung, bei der naturgemäß die bösen Mächte den Kürzeren ziehen mussten. Als sie endlich vertrieben waren, erklang nach kurzer Pause ein wunderbarer Dreigesang. Die Ausführenden, drei hübsche Dirndln in Brokatdirndlgewändern, hatten die Bühne erklommen, ihre Notenständer aufgebaut und legten mit ihren klangvollen, geschmeidigen Naturstimmen los. Ein versierter Zitherspieler in Gebirgstracht begleitete und umschmeichelte sie mit schmelzender Hingabe. Es handelte sich um die einfühlsame Komposition Gott hat alles recht gemacht … Und schon war ein echter Friede eingekehrt.
Damit war es aber noch lange nicht getan. Die bösen Mächte schlichen sich langsam, hinterlistig, fluchend und murrend wieder auf die Bühne. Sie konnten einfach keine Ruhe geben. Und kaum war der stimmungsvolle Dreigesang fast beendet, krakeelte diese unheimliche Bande mit schrecklicher Untermalung der Tuba und des Alphorns sowie der Posaune wieder los. Die schwarzen Kameraden bäumten sich erneut schwer auf. Meisterhaft verstand es der pensionierte Musiklehrer, umgehend, sofort und überzeugend eine grauenvolle Szene heraufzubeschwören. Wilde Misstöne prasselten nur so hervor. Das Ganze ging sogar weit über eine normale disharmonische Zwölfton-Komposition hinaus. Die Spannung stieg dadurch aufs Neue erheblich, ja beinahe ins Unermessliche.
Geistesgegenwärtig stimmten jedoch die schlagfertigen Dirndln sofort fünf weitere Strophen des bewährten Liedes an. Sie übertönten zunächst damit das Böse beinahe, indem sie wesentlich lauter und kampfesbewusster als vorher artikulierten. Auch der Zitherspieler war überhaupt nicht faul und griff heftiger in die Saiten seines Instrumentes, bis eine derselben leider riss.
Aber gar nicht mehr lange, und die bösen Mächte mussten aufgeben. Beinahe sah es zeitweise zwar fast so aus, als ob die unverhohlene Bösartigkeit die Oberhand erringen könnte. Da hatten sich aber diese unangenehmen Mächte schwer verrechnet. Jetzt reichte es nämlich den himmlischen Heerscharen total. Sie räumten endlich mit dem schlimmen Gesindel und Getöse auf. Dabei, so stellte sich nachher heraus, gab es schon ein paar Leichtverletzte. Die ließen sich aber während dieses Aufräumens überhaupt nichts anmerken. Sie zeigten sich beinhart im Nehmen, hatten aber keine Chance. Das war ihnen wohl bewusst, aber sie verloren ungern.
Endlich zeigten sich die aufgewühlten Wellen geglättet. Ein Knabenchor mit dem Musiklehrer als Dirigenten enterte die Bühne, und weihevoll erklangen so traute Weihnachtslieder wie Es ist ein Ros entsprungen oder das mit der Tür und dem Tor, das weit geöffnet oder vielleicht auch abgerissen werden sollte. Obwohl es für so etwas ja eigentlich noch zu früh war im beginnenden Advent.
Nun zogen die Heiligen Drei Könige, ebenfalls etwas verfrüht, aber majestätisch, durch die Zuschauerreihen. Sie waren aber nur auf der Durchreise zum Stall nach Bethlehem. Jedoch verbreiteten sie dabei sehr viel Weihrauch, bis endloses Husten im Zuschauerraum ausgebrochen war.
Dann ging es Schlag auf Schlag. Der gesamte Kirchenchor hatte sich hinten im Saal versammelt und aufgestellt und sang auch noch ein paar passende Stücke. Mindestens zehn oder zwölf. Es wurde offensichtlich: Irgendwann war jetzt endlich der guten Sache Genüge getan. Sie hatte gerade noch locker obsiegt. Es waren ja auch bereits zwei Stunden ohne Pause vergangen. Aber langweilig war es überhaupt nicht geworden.
Sämtliche Teilnehmer durften dann zum Abschluss auf die Bühne, die eigentlich dafür viel zu klein war. Der Luzifer und der Erz-Gabriel reichten sich die Hände. Alle Waffen hatten sie vorher anscheinend hinter dem Vorhang abgeben müssen, damit nicht wieder ein Unfriede ausbrechen konnte. Und die Heiligen Drei Könige waren offensichtlich auf ihrer Reise umgekehrt und auch wieder erschienen. Bis Bethlehem war es ja nicht mehr sehr weit. Da kamen sie bestimmt locker und im Laufe des Advents noch rechtzeitig hin.
Die beiden unterschiedlichen Mächte stimmten dann versöhnlich und einigermaßen tonrein einen choralähnlichen Gesang an. Es ging um Ausgleich und Verbrüderung. »Da könnte Beethoven im Spiel gewesen sein«, meinte einer unserer Topspione.
Der Beifall ertönte zwar erheblich, aber nicht ganz so rauschend wie nach unserem Krippenspiel. Vielleicht lag es daran, dass dieser Theatertruppe der Spielfaden doch etwas entglitten sein musste, auch wenn das Ganze noch zu einem glücklichen Ende gefunden hatte.
Das wirklich Positive am Gesamtspektakel war aber mit Sicherheit: Die Sanitäter sowie die Feuerwehrleute hatten kaum eingreifen müssen. Der pensionierte Musiklehrer konnte nun endlich beweisen, dass er auch im harmonischen Teil der Musikgeschichte zu Hause war. Dazu genügte diesmal die Posaune als heroische Stimmführerin.
Das Alphorn und die Tuba wurden erst wieder zur Untermalung der anschließenden Siegesfeier nach diesem ziemlich gelungenen Theatererfolg eingesetzt.
Der sichtlich begeisterte Notenwart fand: »Das war eine fantastische Leistung von uns!«
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.
