Kitabı oku: «Feindbild werden», sayfa 2
2 Neo Rauchs Oppositionskurs
In meinem Artikel erwähnte ich mehrere Beispiele eines derartigen Verständnisses von Autonomie, etwa den vom rechten Antaios-Verlag publizierten Philosophen Frank Lisson, der Künstler dazu auffordert, sich »aus tiefster Notwendigkeit gegen das Gewissen seiner Zeit« zu stellen; »erst die Repression« würde »die besten Kräfte im Künstler mobilisier[en]«. Je mehr ein Künstler sich in Opposition befindet und gegen vielfältige Formen der Zähmung und Moralisierung wehrt, desto autonomer ist er also – und desto besser und bedeutender wird das, was er schafft. Zu derartiger Selbstverteidigung und Selbstbehauptung bedarf es gemäß Lisson aber heroischer Männlichkeit. Der Rang einer Kultur hänge davon ab, »wie viril die Männer in ihr sind«.1 Frauen hingegen scheinen zu bedeutender Kunst von vornherein nicht disponiert.
Gewiss muten solche Gedanken eher alt als neu an. Sie erinnern etwa an (kontextlos herausgepickte) Wendungen Nietzsches, der Künstler als »Kraftthiere« pries, denen »eine gewisse Überheizung des geschlechtlichen Systems« zu eigen sei.2 Oder man denkt an die Behauptung der italienischen Futuristen, Schönheit gebe es »nur noch im Kampf«, sowie an ihr Eintreten für Militarismus und Patriotismus, an ihre Misogynie und ihre Opposition gegenüber Moralismus.3 Gerade innerhalb der ziemlich machohaften Avantgarden finden sich immer wieder ähnliche Motive männlicher Selbstbehauptung, und es wäre eine Untersuchung wert, sie in ihrer Entwicklung sowie in ihrem Verhältnis zur Idee autonomer Kunst zu betrachten. Eine Arbeitshypothese könnte dabei sein, dass jene Motive vor allem vom autonomen Künstler, Autonomie-Konzepte hingegen oft von autonomen Kunstwerken und ihren Eigenschaften handeln, ein Unterschied also darin besteht, ob Autonomie Ausdruck einer künstlerischen Haltung ist – etwa eines Strebens nach Außenseitertum und einer Ausnahmestellung – oder aber ein Werkprinzip meint – etwa die Preisgabe von Mimesis-Ansprüchen.
Auch Neo Rauch, das prominenteste Beispiel meines ZEIT-Artikels, kommt wiederholt auf seine künstlerische Haltung zu sprechen. Sie dürfte noch stark von Erfahrungen in der DDR geprägt sein. Dort sei er schon in der Jugend »in eine innere Emigration getrieben« worden, wie Rauch 2017 in einem Interview mitteilte; während er zeichnete, habe er »still vor sich hingeflucht«.4 Sein Studium bei Arno Rink und Bernhard Heisig in Leipzig endete ungefähr zeitgleich wie die DDR, die ersten Jahre als freier Künstler erlebte Rauch also in einer Umbruchszeit voller Unsicherheiten. Schon in den neunziger Jahren stellten sich aber größere Erfolge ein, im Jahrzehnt darauf kam es zum internationalen Durchbruch, was sowohl rasch steigende Preise für seine Gemälde als auch eine Reihe musealer Ausstellungen zur Folge hatte. Obwohl innerhalb der Kunstkritik nicht unumstritten,5 gilt Rauch seither als wichtigster ostdeutscher Künstler seiner Generation. Neben seinen Bildern liefern aber auch etliche seiner Interviews Diskussionsstoff. In ihnen finden sich nämlich immer wieder Aussagen, die ziemlich anders klingen als das, was sonst von global erfolgreichen Künstlern zu hören ist. Vertreten die meisten von ihnen eine pluralistisch-kosmopolitische Weltsicht, so geht Rauch regelmäßig auf Distanz dazu. Seinen Abstand zum vorherrschenden Ton der aktuellen Kunstwelt bekundet er zum Teil auch mit schroffen Worten und provokanten Vergleichen.
Die Übermalung eines Gedichts von Eugen Gomringer, das 2011 auf der Fassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule angebracht und 2017, wie im Fall von Balthus im Zuge der #MeToo-Bewegung, von einigen als sexistisch verurteilt wurde, kritisierte Rauch 2018 als »Talibanisierung unserer Lebenswirklichkeit«.6 Diese Formulierung ist ein gutes Beispiel für die Eskalation und Polarisierung der Debatten über Kunst. Denn obwohl mancher Beitrag, in dem die Übermalung des Gedichts zur Grundsatzfrage stilisiert wurde, zu schrillem Aktionismus neigte, erscheint es doch als umso provokanter, feministische Anliegen auf dieselbe Stufe zu stellen wie den radikalen (und zudem antifeministischen) Islamismus der Taliban. Mit seiner Wortwahl erklärt Rauch die Kritiker des Gedichts, das durch die Übermalung ja nicht aus der Welt geschafft worden war, zu fanatischen, kulturfremden Ikonoklasten. Selbst mit Blick auf extremere Positionen wie die von Julia Pelta Feldman wäre Rauchs Vorwurf überzogen, ruft sie doch nicht zur Zerstörung von Kunst auf, sondern legt den verantwortlichen Künstlern oder Institutionen nahe, die Wirkungen einzelner Werke zu bedenken und diese, sofern mit ihnen Gewalterfahrungen oder Verletzungen einhergehen, von sich aus der Öffentlichkeit zu entziehen.7 Bei Rauch hingegen erscheinen diejenigen, die die Sichtbarkeit von Kunst an Bedingungen knüpfen wollen, gleichsam als Feinde, die zu bekämpfen legitim, wenn nicht sogar notwendig ist.
Interessant ist, dass er im selben Zusammenhang eine »Übersensibilität« der Gegner des Gedichts beklagt.8 Das suggeriert, sie seien einfach nur zu empfindlich, zu schnell verletzt und, allgemeiner, den Ansprüchen der Kunst nicht gewachsen. Rauchs Vorwurf ist letztlich also ein doppelter und gegensätzlicher – und damit paradox: Wer das Gedicht nicht als Kunst am Bau sehen will, ist schwach und aggressiv zugleich.
In Varianten taucht diese Denkfigur bei Rauch immer wieder auf. So konstatiert er in einem Interview in der ZEIT im Herbst 2017 (kurz vor der #MeToo-Debatte), »die gendersensiblen Jünglinge« seien heutzutage »gleich mit dem Fallbeil zur Hand«, wenn man als Maler »der weiblichen Schönheit Huldigungen darzubringen« versuche. Wiederum sollen also dieselben Kritiker sowohl zu verweichlicht als auch zu brutal sein. Rauch führt das noch weiter aus. Er spottet einerseits über den »Typus des gendersensiblen Bücklings«, »der sich nicht ins Leben hineinwagt« und sich nur von »Blockseminaren zum gendersensiblen Sprachgebrauch« (statt von »weiblichen Körperformen«) angeregt fühle. Andererseits verurteilt er, dass heutzutage »Minderheiten zu Mehrheiten stilisiert [werden], an deren Bedürfnislagen wir uns auszurichten haben, sofern wir nicht mit der Brandmarke des Sexismus oder Chauvinismus ausgestattet werden wollen.« Er wähnt sich sogar unterdrückt, gebe es doch »Meinungs- und Haltungsvorgaben des inquisitorischen Umfeldes«, sodass »neue Verbote« entstanden seien, »die mit Sprechen und Denken zu tun haben«. Rauch konkretisiert das auch: Die »Oberspießer, die wir 1989 zum Teufel gejagt haben und die jetzt ihre Enkelkinder auf uns losschicken«, würden »keinen Spaß verstehen«, diese seien die neuen »Politkommissare«.
Doch befürchtet er nicht nur Verhältnisse wie einst in der DDR, sondern glaubt offenbar, dass es mittlerweile sogar schlimmer als damals sei. Immerhin habe man in den achtziger Jahren an der Kunsthochschule in Leipzig noch »keine Sprachpolizei, keine Blockwart-Naturen erdulden« müssen; es herrschte ein »liberales Klima«, in dem »nichts verboten und alles willkommen« war. Nostalgisch fügt Rauch an, die Künstler seien damals gegenüber dem Regime »wie ein U-Boot auf Feindfahrt, in brüderlicher Gemeinschaft aneinandergeschweißt« gewesen. Für die Kunst sei dieser Zustand gut gewesen, habe doch, »durch den Außendruck des SED-Staats, eine enorme innere Betriebstemperatur« geherrscht. Heute hingegen empfindet Rauch den Druck als zu hoch; die gesellschaftspolitische Lage ist für ihn »nicht hinnehmbar […] auf Dauer, und gar nicht für die Kunst«.9 Wenige Monate später sagte er in einem anderen Interview, es mache ihn »unfassbar zornig«, dass »wir uns jetzt schon wieder in Verhaltensmustern wiederfinden, die uns Ostgeborenen so urvertraut sind«. Dabei sieht er etwa diejenigen an den Pranger gestellt, die Kritik an der staatlichen Flüchtlingspolitik üben, mit der er selbst offenbar auch nicht einverstanden ist, sei er doch beim Gedanken an Flüchtlinge und offene Grenzen »um den Schlaf gebracht«. Im Weiteren verwendet Rauch Formulierungen, bei denen nicht klar ist, ob sie wörtlich oder metaphorisch gemeint sind: »Ich bin auf Sicherheit von Haus und Hof aus. Ich gehe mit dem Knüppel vor die Türe, wenn’s im Gebüsch raschelt.« Und er klagt darüber, dass »Wehrhaftigkeit […] in Deutschland schon lange diskreditiert« sei. Seine Bilder scheint er als Gegenprogramm dazu zu verstehen, gehe es in ihnen doch um »Kampf und Konfrontation«, um »Rittertum«, generell um »Männerthemen«. Was männlich (und was weiblich) ist, sei im Übrigen »naturgegeben«.10
In einem anderen Interview erklärt Rauch im Sommer 2018 »Widerstand« zu einer Aufgabe der Kunst. Für ihn ist das gleichbedeutend damit, dass Kunst »nicht irgendwelchen Zwecken dienen« dürfe, was wiederum eine übliche Umschreibung dafür ist, sie als autonom zu begreifen. Es erinnert an Lisson, wenn Rauch außerdem davon spricht, dass Kunst »aus der inneren Notwendigkeit heraus« zu entstehen habe und dass der Künstler »sich als der allgemeinen Tendenz widerstrebendes Element zu erkennen gibt«. Wo andere »den Strom der Zeit als Transportmedium nutz[en]« und zu schwach sind, um einen eigenen Weg einschlagen zu können, damit aber in der Summe so mächtig werden, dass etwas anderes kaum dagegen ankommt, sei allein der Künstler stark und mutig genug, »hochzuklappen aus dem Plankton« und sich dem Mainstream zu widersetzen. Der autonome Künstler ist ein einsamer, aber »aufrecht[er]« Dissident, er hat sich gleichermaßen gegen Bücklinge und Blockwarte zu wehren.11
Aufgrund all dieser Aussagen halte ich es für berechtigt, Neo Rauch als Beispiel für die von mir konstatierte Polarisierung innerhalb der Kunstwelt anzuführen, zu der auch eine Rechtsverschiebung des Autonomiebegriffs gehört. In meinem Artikel bezog ich mich dabei aber nur auf seine Äußerungen in Interviews, nicht auf seine Gemälde. Titel wie Die Wächter, Fremde oder Die Bedrohung mögen zwar so klingen, als gehe es um Heimat und ihre Verteidigung gegen Fremdes, aber als politische Programmbilder taugen sie deshalb noch lange nicht. Bewusst verrätselt in ihren Kompositionen sind ihnen keine eindeutigen Aussagen zu entnehmen; schon gar nicht lassen sie sich nachträglich für tagespolitische Botschaften instrumentalisieren. Bereits 2018 hatte ich in einem Interview mit dem Leipziger Stadtmagazin kreuzer daher auch verneint, dass sich in Rauchs Bildern direkte Bezüge zu neu-rechten Schlagworten entdecken ließen.12
Ähnliches gilt für die Werke anderer Künstler, die in den letzten Jahren mit rechten politischen Positionierungen auffielen und die ich in meinem ZEIT-Artikel erwähnte. So identifiziert sich etwa Axel Krause, ebenfalls Maler in Leipzig, im Unterschied zu Rauch zwar sogar parteipolitisch, ist er doch Mitglied im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung und vor allem dank seines Facebook-Accounts, auf dem er immer wieder gegen die Flüchtlingspolitik und die drohende Islamisierung protestiert, in der rechten Szene sehr gut vernetzt. Seine Bilder jedoch erscheinen genauso wenig wie die Neo Rauchs als Bekenntnis zu einer genuin rechten Weltanschauung. Höchstens lassen sie sich aufgrund ihrer Bildräume und Sujets als eskapistisch-antimodernistische Phantasien interpretieren, und man darf vermuten, dass Krause selbst sich damit in der Tradition dissidenter Künstler sieht, die auch früher oft ins Surreale und mythisch Zeitlose flüchteten, um sich einen geschützten Freiraum zu wahren. Gerade Kunst aus der DDR liefert dafür zahlreiche sehr unterschiedliche Beispiele, von Elisabeth Voigt über Wolfgang Mattheuer bis hin zu Wasja Götze. Das aber bestätigt, dass sich die Rechtsverschiebung der Idee der Kunstautonomie kaum in neuen Bildsprachen oder Werkformen, sondern vor allem im Selbstverständnis eines Künstlers wie Axel Krause zeigt.
Auch jenseits von Deutschland ist das nicht anders. Dabei machen Künstler eine konservative bis rechte Einstellung oft schon allein deshalb nicht plakativ und symbolisch eindeutig zum Thema ihrer Kunst, weil sie zugleich einen traditionell hochkulturellen Werkbegriff vertreten, mit dem Eigenschaften wie Vielschichtigkeit und Verrätselung verknüpft sind, die sich gerade nicht mit politischer Propaganda vertragen. Exemplarisch sei der sich selbst als rechts einordnende US-amerikanische Maler John Currin erwähnt.13 Er sieht die westlich-liberale Kultur bisheriger Prägung vor allem durch eine Islamisierung gefährdet, und empört hat ihn insbesondere, dass die 2005 in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten erschienenen zwölf Mohammed-Karikaturen, die in der islamischen Welt für heftige Proteste sorgten, aus Rücksichtnahme auf Muslime auch in vielen westlichen Medien nicht mehr publiziert wurden. An so viel political correctness, so Currin, werde der Westen letztlich zugrunde gehen.
Was aber tut er als Maler dagegen? Dass er die oft altmeisterlich gemalten Sujets seiner Gemälde etwa Pornofilmen der Kategorie »Danish Porn« entnimmt, in der Amateure mit all ihren körperlichen Makeln in ihren Wohnungen beim Sex gezeigt werden, sieht Currin selbst als Hommage an die vom Untergang bedrohte westliche Liberalität. Zugleich wünscht er sich, dass bei denjenigen, die sich seine Bilder zu Gemüte führen, noch einmal die Lust auf Fortpflanzung steigt. Doch sosehr es ein biopolitisch grundiertes Anliegen sein mag, Kunst als Mittel gegen sinkende Geburtenraten zu begreifen, so wenig ist anzunehmen, dass seine Gemälde vom Kunstpublikum auf diese Weise rezipiert werden. Currin selbst ist das auch bewusst, bekennt er sich doch dazu, »Bildern Bedeutungen zu verleihen, die sie überfordern«.14 Statt eine politische Agenda möglichst breit zu kommunizieren oder statt starke eigene Bilder für den Konflikt zwischen dem Westen und dem Islamismus zu finden, ist es ihm also wichtiger, als raffinierter Künstler zu brillieren. Und so ist auch er kein Gegenbeispiel zu meiner im ZEIT-Artikel formulierten Prognose, dass wohl erst Künstler der nächsten Generation rechtes Gedankengut »mit den passenden Bildwelten versorgen« werden.
3 Autonomie als Selbstbehauptung
Als mir Neo Rauchs Bild am Telefon beschrieben wurde, fragte ich mich sogleich, ob er damit vielleicht doch schon einen ersten Vorstoß unternommen haben könnte, die diagnostizierte Leerstelle zu füllen. Ist die polemisch-obszöne Ikonografie nicht die Erfindung eines Wutbürgers, der überall political correctness und Moralisierung wittert und seine eigenen Prioritäten politisch nicht mehr vertreten sieht? Der jede Kritik als Bedrohung seiner Meinungsfreiheit auffasst? Und der Leute mit ähnlicher Gesinnung dazu aufruft, sich endlich laut und unmissverständlich zu wehren?
Zugleich kamen aber auch Zweifel bei mir auf, ob die mit ihrem eigenen Kot malende Figur auf dem Bild wirklich ich – der Kritiker – sein solle oder ob Rauch damit nicht vielmehr ein Zerrbild von sich selbst gemalt haben könnte. Zeigt er sich vielleicht durch eine politische Zuordnung entstellt, auf die Rolle des Bösewichts reduziert? Dann würde er in einer Form von zynischem Protest genau das machen, von dem er glaubt, dass man es ihm am liebsten gleich auch noch vorwerfen würde: Nazi-Schmierereien. Und das »W.U.« stünde dann dafür, dass der Kritiker selbstherrlich entscheidet, welches Bild vom Maler entsteht. Das Gemälde wäre also eine heftige, laute Widerstandsgeste, mit der der Maler empört darauf hinweist, wie übel man ihm mitspielt, mit der er sich gleichwohl auch stolz zum Rebellen erklärt.
Allerdings wunderte ich mich über Rauchs Hitler- und Exkremente-Ikonografie nicht nur wegen ihrer Derbheit, sondern auch, weil ich keinen hinreichenden Bezug zu meinem Artikel erkennen konnte. Ich hatte nur von »einigen Motiven rechten Denkens« gesprochen, die sich bei ihm fänden, ihn also nicht einmal insgesamt zu einem Rechten erklärt, sondern, wie der Kunstkritiker Kolja Reichert kommentierte, »vorsichtig und etwas verlegen« geurteilt.1 Schon gar nicht sprach ich von Rechtsextremismus oder -radikalismus und wäre auch nie darauf gekommen, das Wort »Nazi« zu benutzen, das meiner Meinung nach ohnehin zu oft und zu leichtfertig in den Mund genommen wird (und wegen der Unvergleichlichkeit der nationalsozialistischen Verbrechen besser für dessen Protagonisten und Mitläufer reserviert bliebe). Rauchs Motivwahl stellt also eine Überreaktion dar, die man höchstens noch mit dem Titel des Artikels – »Auf dunkler Scholle« – und einer davon ausgelösten Blut-und-Boden-Assoziation erklären könnte. Wie bei Zeitungsartikeln üblich, war der Titel aber allein Sache der Redaktion. Im Artikel selbst schreibe ich lediglich – bezogen auf Rauchs Gemälde Vaters Acker (2016) –, dass dieser »eine ziemliche Scholle« sei, was einfach nur Überdruss an einer pathetisch-schweren Malweise signalisieren sollte.
Beim Telefonat mit der Redaktion war weder davon die Rede gewesen, dass das Bild einen Titel hat, noch hatte man mir seine Größe mitgeteilt. Beides spielt für einen »Leserbrief« auch keine Rolle. Es war für mich zu diesem Zeitpunkt also noch nicht klar, dass Rauch seine Antwort auf meinen Artikel mit einem Werkanspruch versehen und dabei das sowohl für eine Karikatur als auch für ein Bild, das zum Abdruck in einer Zeitung bestimmt ist, ungewöhnlich große Format von 150 x 120 Zentimeter gewählt hatte. Ausgehend von dem, was man mir berichtete, dachte ich eher an eine flotte Zeichnung als an ein Gemälde auf Leinwand, ja stellte mir ein Blatt im Stil der Illustrationen vor, mit denen Rauch 2013 eine Künstler-Ausgabe der Zeitung Die Welt bestückt hatte.2 Gerade weil ich der Auffassung war, das Bild habe nur den Zweck einer Erwiderung und würde sonst vielleicht gar nicht öffentlich werden, war für mich auch keinen Moment fraglich, dass es publiziert gehört: Wenn Rauch die Meinungsfreiheit ohnehin schon für gefährdet hält, darf man ihn in diesem Eindruck keinesfalls bestärken.
Zwei Tage nach dem Telefonat, am 26. Juni, wurde gegen Abend die neue Ausgabe der ZEIT mit Rauchs Bild online veröffentlicht. [Abb. 1] Ich saß gerade in einem Taxi in Siegen – und war überrascht, als ich es nun erstmals mit all seinen Details und in seiner Atmosphäre auf mich wirken lassen konnte.
Die zentrale männliche Figur hat mit heruntergezogener Hose – und altmodisch mit einem Wams bekleidet – auf einem Leibstuhl Platz genommen. Sie hebt den Hintern leicht, um ihren Kot mit einem Pinsel aufzufangen, muss sich aber zugleich bücken, weil der Raum sehr niedrig ist, als wäre er wirklich nur ein Abort. Der Rest der Exkremente fällt in einen Nachttopf, auf dem Boden lagern weitere bereits gefüllte Gefäße; andere Materialien stehen dem hier gezeigten Maler offenbar nicht zur Verfügung. Man mag sich den Geruch in dem engen Raum kaum vorstellen, in dem es lediglich an der hinteren Wand ein kleines Fenster zum Lüften zu geben scheint. Durch dieses blickt, wie eine Chimäre und unbemerkt vom Maler, eine Hitler-Fratze. In ihre Richtung grüßt mit erhobenem Arm eine schemenhafte, ihrerseits mit den Zügen Hitlers versehene Figur, die der Maler auf die Leinwand gepinselt hat, auf der sonst nur die Initialen meines Namens stehen.
Da das Bild so genau komponiert und auch farblich nuanciert gemalt ist, fühlte ich mich darin bestätigt, dass es nicht eindeutig-einfach als Karikatur aufzufassen ist. Und dass die Figur den Künstler und nicht seinen Kritiker darstellen könnte, erschien mir jetzt sogar noch wahrscheinlicher. So ist der Raum nach oben hin mit Holzgebälk abgeschlossen, was an die lange Tradition von Gemälden denken lässt, in denen Künstler sich oder Dichter auf Dachböden gemalt haben. Der Kunsthistoriker Walter Grasskamp bilanziert in einem Aufsatz über dieses Motiv, dessen berühmteste Ausarbeitung Carl Spitzwegs Der arme Poet (1839) sein dürfte: »Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts haben Künstler und Schriftsteller die Dachkammer als Sinnbild ihrer gesellschaftlichen Randlage gewählt.«3
Handelte es sich dabei jedoch meist um eine ökonomische und soziale Randlage, die zugleich die Autonomie der Künstler und Bohémiens beglaubigte, die keine bessere Bleibe als eine Dachkammer haben konnten und wollten, so sieht sich Rauch offenbar wegen seiner politischen Ansichten in die Randständigkeit versetzt und verfolgt. Dazu passt, dass vom Gebälk zackenförmige Keile nach unten ragen, an denen sich der Maler verletzen würde, wenn er versuchte, sich gerade hinzustellen. Statt durch Ärmlichkeit ist der Raum also eher durch qualvolle Enge charakterisiert.
Später am Abend, mittlerweile im Hotel, kam mir die Idee, Rauchs Gemälde als Gegenbild zu einem anderen Gemälde jüngerer – westdeutscher – Kunstgeschichte zu interpretieren, in dem die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft zur Diskussion gestellt wird. Wo stehst Du mit Deiner Kunst, Kollege?, von Jörg Immendorff 1973 gemalt, zeigt einen Künstler, der allein in seinem Atelier sitzt und damit beschäftigt ist, über die nächste Kunstrichtung nachzudenken, mit der er gerne Geschichte schriebe. [Abb. 2] Da reißt ein anderer Mann die Tür auf, und man sieht eine Straße, auf der gerade gegen schlechte Arbeitsbedingungen und politische Unterdrückung demonstriert wird. Die Botschaft scheint klar: Als Künstler gerät man schnell in das Dilemma, ob man sich ganz der Kunst verschreibt und nach Autonomie strebt oder ob man seine Begabung in den Dienst politischer Ziele stellt und Transparente malt sowie bei Protestkundgebungen mitmacht.
Vordergründig scheint Immendorff es als wichtiger anzusehen, als Künstler direkt Partei zu ergreifen, wirkt der Maler in seinem Atelier doch etwas verschroben und unsicher, nicht gerade als Sympathieträger. Doch formuliert Immendorff diese Botschaft in einem Gemälde, das seinerseits in der Tradition autonomer Kunst steht, also nach eigenen Kriterien und nicht nach den Anforderungen der Straße geschaffen wurde. Als er sein Bild malte, verbanden sich mit der Autonomie-Idee auch noch idealistische Ziele; sie war in den Jahren nach 1968 stark links konnotiert, ökonomische Unabhängigkeit und Selbstbestimmung waren wichtige Elemente. Vielleicht wollte Immendorff seine künstlerische Freiheit mit dem Gemälde daher als allgemeinen Maßstab propagieren und die Kunst als Vorschein einer besseren Welt begreifen. Aber noch wahrscheinlicher dürfte er im Geist der Moderne die Überzeugung vertreten haben, dass Gestaltungsformen, die innerhalb der autonomen Kunst entstehen, darüber hinaus prägend wirken und damit auch für anderes – etwa die Ästhetik des Protests – wichtig sein können. Was an einem Ort – im Atelier – geschaffen wird, lässt sich an einem anderen – auf der Straße – anwenden und muss sich dort bewähren. Gemäß dieser Überzeugung strahlt autonome Kunst – sofern sie sich nicht zu sehr dagegen verschließt – auf viele Bereiche der Gesellschaft aus; sie wirkt emanzipatorisch und kann anderen auf ihrem Weg zur Selbstbestimmung helfen.
Diesem optimistischen Bild von Kunst und Gesellschaft setzt Rauch ein düsteres Szenario entgegen. Bei ihm findet kein lebhafter, herausfordernder Austausch zwischen dem Künstler und einer von außen auf ihn einwirkenden Öffentlichkeit statt. Es sieht (offenbar zumindest für ihn) so aus, als hätten sich die Verhältnisse umgekehrt, und wo noch vor wenigen Jahrzehnten gerade Künstler Einfluss darauf hatten, was in der Gesellschaft galt, werden sie nun zum Opfer von Vorurteilen, ja müssen es ertragen, von anderen auf Zerrbilder reduziert zu werden.
Tatsächlich hat die Dekonstruktion und Relativierung des westlich-modernen Kunstbegriffs und der kunstreligiösen Topoi dazu geführt, dass der Blick auf Künstler heute deutlich nüchterner ist als früher. Indem man sie nicht mehr zu Genies verklärt, erwartet man von ihnen auch nicht länger eine herausgehobene Rolle bei der Veränderung der Gesellschaft. Dafür nimmt man sie umgekehrt als Bürger und Zeitgenossen ernster als früher, nimmt sie stärker beim Wort und gesteht ihnen keine pauschale Narrenfreiheit mehr zu.
Von einigen anderen, radikaleren Kritikern unterscheide ich mich aber insofern, als ich es, wie schon angedeutet, nach wie vor für sinnvoll und wichtig halte, Kunstwerke nach eigenen Maßstäben zu beurteilen. Wenn etwas mit Werkanspruch formuliert ist, eine Äußerung also etwa den Charakter einer Performance hat oder als Teil einer Inszenierung und gestalterischen Überhöhung zu erkennen ist, sollte man darin nicht nur eine Meinungsbekundung sehen, die nach den jeweils vorherrschenden moralischen und geschmacklichen Konventionen zu bewerten ist. Vielmehr ist anzuerkennen, dass es sich dann um etwas handelt, das losgelöst von Überzeugungen, im Modus des Als-ob, etwa als Experiment oder Gedankenspiel, formuliert wird und sich daher viel freier rezipieren lässt. Daher erscheint es mir auch immer noch berechtigt, dass im Grundgesetz in Artikel 5 eigens zwischen Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit unterschieden wird.
Es fällt also leichter, offen gegenüber einer Aussage zu sein, wenn sie in eine künstlerische Form integriert und fiktionalisiert ist. Was man sonst missbilligt, wird dann vielleicht sogar richtig interessant. Als etwa Jonathan Meese im Jahr 2013 angeklagt wurde, bei einem öffentlichen Auftritt – nicht zum ersten Mal – einen Hitlergruß gezeigt zu haben, und als mich sein Anwalt daraufhin um ein Gutachten zu seiner Verteidigung bat, nahm ich die Aufgabe gerne an, weil für mich eindeutig war, dass Meeses Verhalten keine politische Meinungsäußerung darstellte und daher auch nicht von einer rechtsradikalen Gesinnung zeugte.4 Vielmehr war sein gesamter umstrittener Auftritt eine Kunst-Performance – und ein intellektuell herausforderndes Experiment. In diesem wollte Meese prüfen, ob sich der übermächtigen Semantik des Hitlergrußes nicht etwas entgegensetzen ließe. Es sei doch »Voodoo-Priestertum«, so erläuterte er später, zu glauben, dass allein »in der Armstreckung, also in einem Zeichen, an sich etwas Böses liegt«. Weitergehend äußerte er die Überzeugung, dass es Künstlern generell erlaubt sein müsse, »alles in Frage zu stellen« und sich insbesondere »gegen das herrschende System« in Stellung zu bringen. Allerdings müsse man dabei »strikt trennen zwischen der Bühnenperson Jonathan Meese und dem mickrigen Privatmenschen Jonathan Meese«.5
Zwar ist eine solche Trennung, wie Meese sie praktiziert, der Aufwertung der Künstlerfigur im Zuge der romantisch-idealistischen Kunstreligion geschuldet, doch lässt sie sich auch unabhängig davon begründen. Immerhin kann nur so ein befreiender Moduswechsel stattfinden zwischen dem, was gilt, und dem, was möglich wäre. In jedem Fall aber verlangt eine solche Trennung, dass die Grenze zwischen Werk und Nicht-Werk klar zu erkennen ist und alles, was einen Werkanspruch hat, reflektiert und mit hohem gestalterischen Einsatz in Szene gesetzt wird. So kann ich mir aus Meeses Mund selbst Abrechnungen mit der Demokratie anhören, ohne dass sich gleich eigene Meinungen vordrängen. Dass ihm das gelingt, unterscheidet Meese für mich von Künstlern, die ebenfalls (und sogar mit steigender Tendenz) besondere Schutzrechte für sich in Anspruch nehmen, deren öffentliche Äußerungen aber in keine Kunstform eingebunden, ja nicht etwa als Überhöhung, Brechung, Verfremdung oder Ironie markiert sind. Damit jedoch klingen sie wie die Äußerungen anderer Personen und sollten auch genauso behandelt werden. Wer ihnen nur deshalb, weil sie von Künstlern stammen, toleranter und ehrfurchtsvoller begegnet, ihnen gar pauschal Immunität gewährt, bleibt hingegen einem überkommenen Geniekult verhaftet.
Künstler, die erwarten, dass ihre Äußerungen entweder nicht so ernst und wörtlich genommen werden wie die von Politikern oder Journalisten oder aber genauso staunend-demütig rezipiert werden wie ihre Werke, empfinden die Art und Weise, wie mittlerweile oft mit ihnen umgegangen wird, sicher als Missachtung ihrer besonderen Autorität, als massive Beschneidung ihrer angestammten Freiheitsrechte. Und ich frage mich, ob das nicht auch bei Neo Rauchs Reaktion auf meinen Artikel eine Rolle gespielt hat. Dass ich seine Ansichten zu gesellschaftspolitischen Themen analysiere, bewerte und einordne, kann aus seiner Sicht zumindest kleingeistig und gouvernantenhaft erscheinen, und vielleicht lässt es sich zudem als Desinteresse und Ignoranz auslegen, dass ich zugleich seine Gemälde allenfalls am Rande streife. Doch sosehr Personal und Staffagen der auf ihnen in Szene gesetzten Gegenwelten an vergangene, vordemokratisch-ständische und oft auch recht gewaltreiche und militaristische Gesellschaften erinnern, so wenig stört mich das, da ich zwischen antimodern- reaktionären Phantasien im Werk und entsprechenden Meinungsäußerungen unterscheide.
Rauchs Gemälde ist für mich indes nicht nur ein düsteres, sondern auch ein trauriges Gegenbild zu Immendorffs Wo stehst Du mit Deiner Kunst, Kollege?. Denn statt zu überlegen, welchen Beitrag die Kunst für die Gesellschaft leisten könnte, protestiert der Künstler nur dagegen, wie er behandelt wird. Damit aber kann der Eindruck entstehen, es gehe ihm tatsächlich vor allem darum, seine Sonderstellung und damit letztlich Privilegien aus Zeiten religiöser Kunstverehrung durch einen Akt obszönen Widerstands zu verteidigen. Noch viel mehr als bei ihren Kritikern hat die Idee autonomer Kunst damit aber bei ihm jegliches utopische Potenzial eingebüßt. Aus Selbstbestimmung ist bloße Selbstbehauptung und Besitzstandswahrung geworden, und statt darauf zu hoffen, seine Kunst könne Neues und Unerwartetes schaffen, bezieht der Künstler Position gegenüber echten oder eingebildeten Feinden.
Tatsächlich gibt es von Rauch verschiedentlich Äußerungen, denen zufolge er das Rad der Geschichte gerne zurückdrehen würde, am liebsten bis in die Zeit der Romantik, in der er seine eigene Herkunft erkennen könne. Damals, so seine Überzeugung, sei »in formal-ästhetischer Hinsicht […] alles noch in bester Ordnung« gewesen, »es gab keine einzige hässliche architektonische Ausformung«, vielmehr sei »alles einem harmonischen Maß unterworfen« gewesen. Allerdings entstand die Schönheit seiner Ansicht nach auch damals schon durch Widerstand und Selbstbehauptung, die – anders als heute – jedoch nicht die Sache einiger versprengter Vereinzelter war, sondern aus »nationale[m] Zusammenhalt« erwuchs. Rauch bemerkt, der Befreiungskrieg gegen Napoleon »rührt mich immer noch an«, auf seinen Bildern tauchten deshalb »hin und wieder auch preußische Landsturm-Männer auf«, diese vergangene Welt sei für ihn »eine Art Sehnsuchtszone, in die ich mich in schwachen Momenten zurückziehe«.6 Weiter bekennt er sich zu einer »konservativen Daseinsform«, die allerdings nicht nur ein friedvolles Bewahren meint. Vielmehr gehe es darum, »das Neue, das Fremde so lange zu verhindern, bis es nicht mehr gefährlich ist«.7 Statt von der Autonomie der Kunst eine Dynamik zu erhoffen, die die Gesellschaft in eine offene Zukunft führt, wird sie als eine Kraft verstanden, die vor fremden, vermeintlich gefährlichen Einflüssen schützen und Neues assimilieren, an die Tradition rückbinden soll. Sie wird zu einer reaktionären Instanz – und der Künstler zu demjenigen, der sich die Aufgabe stellt, »Schmutz […] in eine Balance mit dem Reinen zu bringen«.8
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