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Zozobra!

Es müssen Virologen gewesen sein, die in diesem Herbst den Deutschen, Schweizer und Österreichischen Buchpreis entschieden haben, lauter Überraschungen! Aber können wir uns wirklich vorstellen, dass irgendjemand außer Drosten, Streeck, Schmidt-Chanasit oder Kekulé noch irgendetwas von Bedeutung entscheiden könnte? Man kennt sie ja, die mächtigen Herren und die ihnen gelegentlich beigesellten Damen der Wissenschaft inzwischen so gut, dass man Titel und Geschlechtsbezeichnung längst weglässt. Drosten durfte sogar die sogenannte Marbacher »Schillerrede« (Geburtstag 10. November) halten! Heinrich Heine (*13.12.) und Theodor Fontane (*30.12.) böten sich als die nächsten an.

Freilich, es herrscht Zozobra, der mexikanisch-spanische Begriff für unruhige Zeiten, stürmisches Meer. Da sucht manch Haltloser Rat beim Haltlosen – etwa Lothar Matthäus, wie wir lesen durften, bei Franz Heros Beckenbauer, dem er alles, aber auch wirklich alles anvertraut. Ja, es beruhigt schon, von einer Vater-Sohn-Beziehung zu hören, die so schwer in Ordnung ist. Vielleicht wäre es das gewesen, was Hans Castorp gebraucht hätte, als er im »Zauberberg« zwischen Settembrini und Madame Chauchat den Kompass suchte? Oder was sein Schöpfer, Thomas Mann im Deutschen Wesen suchte, bevor er sich schließlich in die Demokratie verliebte. (Und waren die Jahre um 1919 nicht zehnmal wilder als dieses 2020?) Aber Denken kann eben riskant sein.

Was uns zu Schiller und Drosten zurückführt, denn die große »Freiheit«, die der Charité-Mann an sich selbst so rühmt und über alles schätzt, konnte – anders als der Virologe vermutet – unser Marbacher Dichter längst nicht finden. Er ging volles Risiko. Schon in Mannheim musste er die »Räuber« ändern, floh dann nach Thüringen und schließlich Weimar. Dort, am Hof des »aufgeklärten« Herzogs ging der Ärger erst richtig los. Carl-August bestand darauf, dass die weibliche Starrolle eines jeden neuen Schiller-Stücks auf seine Geliebte, die Schauspielerin Caroline Jagemann passte. Die »Johanna von Orleans« musste deshalb in Leipzig uraufgeführt werden, Maria Stuart wurde gekürzt, und die »Räuber« wollte der Weimarer Hof – aus ganz anderen Gründen – eigentlich gar nicht sehen.

Ja, Friedrich Schiller hätte, wie Drosten meint, Maske getragen, schon allein, weil er mit seiner Lungenkrankheit zur Risikogruppe gehört hätte. Ein anständiges Antibiotikum freilich hätte ihm noch mehr geholfen – warum waren Sie da nicht zur Stelle, Drosten? Doch jetzt, da die Rettung naht in Impfspritzen aus Mainz und aus den USA, wollen wir nicht weiter kleinlich sein. Denn, und das muss hier einfach mal gesagt werden, auch wenn Schiller ein großer Querkopf war, Hölderlin war der Prophet: »Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.« Sein Geburtstag wäre übrigens am 20. März – der Zweihunderteinundfünfzigste.

Dezember 2020

Preis-Aufbruch

Wenn wir im Morgengrauen von der Straße her ein dunkles Grollen und Rollen hören, unsere ungeschulten Ohren mag es an Panzerkettenrasseln gemahnen, und zum Fenster hinaus schauen, sehen wir: Es sind unsere jungen Dichter! Sie sind mit schweren Rollenkoffern unterwegs und brechen auf zu neuen Ufern. Da sie sich ein Taxi nicht leisten können oder wollen, ziehen sie ihre Habe hinter sich her. Sie haben sicher gerade einen der beliebten »Reisepreise« gewonnen, von denen es inzwischen ein paar Dutzend gibt, und sind eben auf dem Weg zu einer hübschen Ostseeinsel, als Stadtschreiber in ein mittelalterliches Turmzimmer oder sie landen unversehens in der Villa Aurora, nahe L. A. Auch am Starnberger See gibt es bekanntlich eine hübsche alte Villa und in Rom deren gleich zwei, in denen wohl Musen die Künstler küssen, wenn nicht gerade Ansteckung durch das C-Virus droht.

Der Rollenkoffer als solcher wäre ja schon eine eingehende Betrachtung wert, anno 1972 patentiert, aber erst seit den Neunzigern pandemisch verbreitet und inzwischen längst ein unverzichtbares Mitglied unserer Gesellschaft, das man sich aus Zugabteilen und von Flughafen-Gepäckbändern nicht mehr wegdenken mag.

Aber zurück zu unseren Dichtern, die von einer Preisverleihung zur nächsten rollen. Oft schon schwer behängt mit früheren Preisen wie Admiräle der alten Sowjetflotte. Etwa Dana von Suffrin, eine junge Münchner Erfolgsautorin, die mit dem erstaunlichen Erstling »Otto« schon diverse Preise geerntet hatte, ehe sie bei den Münchner »Wortspielen« im März immerhin auch noch den ersten Abend-Publikumspreis gewann: ein Digital-Radio. Okay, sie hatte Glück, denn der Jury-Hauptpreis von 2.000 Euro ist trojanisch garniert mit einer Danaer-Strafexpedition nach Peking, ersonnen vom überaus spendablen Goethe-Institut. In jene Hauptstadt einer kommunistischen Diktatur also, die von Smog und neuartigem C-Virus eingefangen ist. Alexandra Riedel aus Berlin, Siegerin mit dem Debütroman »Sonne, Mond, Zinn«, darf dafür jetzt den Koffer packen, auch wenn sie sich das Frühjahr vielleicht anders vorgestellt hatte.

In manchen Fällen geht’s aber auch hinaus ins Freie: Wer etwa den Meck-Pomm-Preis gewinnt, der darf für viele Wochen nach Alshoop ziehen auf jene wunderbare Halbinselkette Fischland-Darß-Zingst in der Ostsee, wo man schon immer mal hin wollte, und wo sie sicher begeistert sind, wenn endlich ein Künstler aus dem Süden kommt. Auf Antrag schickt einen Schreibartisten der bayerische Kultusminister aber auch hinüber nach Quebec, vorausgesetzt, sein Wohnsitz ist in Bayern, denn auch dort, im französischen Kanada, wartet eine wunderschöne alte Villa auf Belebung durch einen dichtenden Bayern. Und so muss man sie sich alle sitzend vorstellen, unsere Autorinnen und Autoren, auf Koffern, wartend auf die nächste Message, mit Rollen vermutlich, die grünes Licht gibt, zum Aufbruch.

April 2020

Ausgeweint

Selbstauflösung, große Sache das! Schwer im Kommen. Müllsäcke, italienische etwa, wie man hört. Oder die Plastik-Milchkapsel, die sich in heißem Kaffee auflöst. Ganz so weit ist es mit dem leblosen menschlichen Körper noch nicht, aber auch er, immerhin – was wäre hier los, wenn er es gar nicht täte! Doch Schluss mit diesem morbiden Thema – richten wir den Scheinwerfer lieber auf den Literaturnobelpreis, den alternativen natürlich, der im Oktober an die frankofone Dichterin Maryse Condé vergeben wurde von einer schwedischen Spontanjury, die sich längst wieder selbst aufgelöst hat. Dadurch kann es gar nicht erst zum Skandal kommen. Bravo! Vorbild war sicher der Deutsche Buchpreis, dessen Jurys nach Wahl der Longlist (zwanzig Romane), Shortlist (sechs) und First Place sich sofort auflösen und in alle Winde zerstreuen. Dabei könnte sie sich durchaus noch eine Ehrenrunde gönnen, die Jury 2018, denn ein Roman wurde Nummer eins, der – so die meisten Rezensenten – zwar unlesbar ist, aber originell – und diesen Treffer muss der Jury erst mal einer nachmachen. Schon früh war durchgesickert, dass die deutsch-kanarische Kandidatin mit Wurzeln in Teneriffa »es« werden würde. Großinterview im Spiegel Wochen vor der offiziellen Bekanntgabe: Der Reporter T. Würger (nomen est omen?) rang der Autorin Inger-Maria Mahlke das Geständnis ab, sie würde nahezu jeden Tag dreißig Minuten weinen, bevor sie dann sechzehn Stunden schriebe. Die Kritiker hatten der Einundvierzigjährigen fast alle bestätigt, dass ihre Romantechnik verblüffend sei, ihre Sprache faszinierend, man aber nach der Hälfte spätestens aussteige – na schön, mehr lesen Rezensenten sowieso nur selten, also gab es keinen Totalverriss. Die Jury war, das muss man einfach zugeben, diesmal mutig, nachdem sie in den letzten Jahren eher lang bekannte Routiniers gekürt hatte.

Auch deshalb konnten zwei Ex-Wahlmünchner einfach nicht mithalten, obwohl auch sie eher am Rande des Literaturbetriebs operieren und brandneue Romane vorgelegt haben. Wolf Wondratschek, der mit seiner »Macho-Attitude« wohl endgültig abgeschlossen und zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag das leicht fade Alterswerk »Selbstbild mit russischem Klavier« gemalt hat. Und Maxim Biller, 58, der vor Jahr und Tag in seinen »Hundert Zeilen Hass« alles und jeden beschimpft hat – außer Gerhard Schröder, seine heimliche Liebe. Aber der Gerd saß nicht in der Jury. Und diese clevere und – wie alle Jurys der Welt – ungerechte Jury wollte Billers neuen, mit ständigen Perspektivwechseln raffiniert geknüpften Familien-Kurzroman »Sechs Koffer« einfach nur bis zur Shortlist kommen lassen. Biller wird’s tränenlos verkraften, Inger Mahlke ihre Tränen mit frischem Ruhm abwischen und Wondratschek hat schon 2017 den »alternativen Büchnerpreis« bekommen – na also, geht doch!

November 2018

Staubsaugen, bitte

Die Fuckability wird in L. A. hoch geschätzt, wie wir gerade aus einem Interview mit dem TV-Sternchen Susanne Bormann gelernt haben – ja gut, in der Filmbranche ist die geschlechtliche Rollen-Verwendbarkeit ein hartes Kriterium. Das Schöne am literarischen Thomas-Mann-House und seinen Fellows in L. A. ist, dass jene F. keine Rolle spielen sollte, ganz im Gegenteil. Diese Villa, und das jetzt für Leser, die solche Dinge grad gar nicht »auf dem Schirm« haben, ließ Thomas Mann anno ‘42 bauen, und sie wurde vor zwei Jahren vom deutschen Außenministerium für schlanke fünfzehn Millionen US-Dollar gekauft – was mutig war vom verdächtig superkorrekten F.-W. Steinmeier. Sofort aber stellte sich die Frage, was machen wir jetzt damit, riesiges Haus, Garten, drei Palmen, Pool, Balkon, San Remo Drive 1550, nahe Los Angeles? – Mit Frido Mann spazieren gehen?

Stipendiaten! – das war sofort der Knüller in den Köpfen der Berliner Entscheider. Stipendien sind ja eine so feine Sache! Wir haben da schon einige ältere Villen, in die locken wir regelmäßig unsere Künstler und Wissenschaftler, und die explodieren dann vor Kreativität, ist bekannt. Villa Aurora (ehemals Lion Feuchtwanger), auch bei L. A., Villa Massimo und Casa Baldi in Rom oder Villa Waldberta in Feldafing – alles Toperfolge! Der Künstler, das weiß jeder, braucht ständig Veränderung, change, switch, ist doch klar, sonst kommt da nichts mehr! Der Wissenschaftler erst recht – die wollen sich doch ständig austauschen! Wir sehen den Lyriker morgens beim Kaffeekochen neben dem Formkünstler, wie sie den Binnenreim mit der schwebenden Badewanneninstallation vergleichen und dabei endlich Distanz zur heimatlichen Clique, vulgo Familie schaffen, die sie schon lange nervt und ihre Kunst bremst. Endlich kreativ Schreiben in Rom, zehn Monate, oder in der Villa Aurora, drei Monate, und jetzt auch noch in L. A. mit dem Spirit Thomas Manns im Rücken! Dreitausendfünfhundert Euro gibt’s da im Monat und Flug und »Bewegungspauschale«, das ist viel mehr, als in den anderen Villen. Denn die »Fellows«, wie sie sich nennen, sollen ja raus ins amerikanische Land und dort Deutsches verbreiten – die Amis warten nur darauf, die brauchen das von uns! Wir sehen Prof. H. Detering, Literatur, der Sätze sagt, die so beginnen: »Wir Intellektuellen …« und hoffen inständig für ihn, er muss nicht selbst Staubsaugen in seinem Zimmer. Das Konzept, alle Fellows dort volle zehn Monate hinzuschicken, ist übrigens sofort geplatzt, denn die haben ja Berufe, sind weder Rentner noch Studenten, und dann wäre da auch noch das lästige Problem mit den zurückgelassenen emotional-sexuellen Partnern, das hat der korrekte Steinmeier ausgeblendet, oder dachte er, die sind sowieso alle über der F-Grenze, altersmäßig? Im Übrigen, lieber Frank-Walter, es gäbe auch noch Remarques Casa Monte Tabor, steht seit drei Jahren leer, Lago Maggiore, läppische fünf Mio., sofort zu kaufen, beinahe vor unserer Haustür und direkt am See, wir haben uns erkundigt, traumhaft!

Oktober 2018

Aufrichten, bitte!

Der immer dichter wabernde Nebel über den gewaltigen Literaturpreisen dieses Herbstes hat sich endlich gelichtet, die Prämien werden rechtzeitig vor dem Fest bei den Dichtern eingehen, der Prix Goncourt mit sehr deutscher Thematik hat uns alle überrascht, und die Weihnachtsbäumchen leuchten allerorten. – Alles gut! Die arme Thea Dorn wird sich aus der liegenden Position langsam aufrichten, nachdem sie der jüngste Franzobel-Roman »Das Floß der Medusa« (bereits im August, vor dem ZDF-Quartett) »umgehauen« hatte. Gut, dass sie ihm jetzt auch noch als Jurymitglied den berühmten Bayerischen Buchpreis zusprechen konnte! Eben alles doch sehr familiär! München darf sich die Hände reiben, denn der Schweizer Buchpreis ging an den Neu-Münchner Jonas Lüscher mit sagenhaften 30.000 SFR, die der Autor sicher in unseren lokalen Wirtschaftskreislauf einspeisen wird! Da der Deutsche und der Österreichische Buchpreis mit der Familie Robert und Eva Menasse ebenfalls an benachbarte Alpenländler ging, wäre jetzt nur noch die Schweizer Fernseh-Literaturkritikerin Nicola Steiner (SRF und 3sat) aufzurichten, die hin und wieder von ihr rezensierte Bücher schlicht »zum Niederknien« findet. Da sie aber auch in der Jury des Schweizer Preises saß, wird ihr unser Jonas schon aufhelfen können.

Ja, es sind harte Zeiten für Rezensenten hoher Literatur, so kurz vor X-Mas, das ja schon längst zu einem XXXL-Mas geworden ist, an dem achtundzwanzig Millionen Weihnachtsbäume abgeholzt und von pestizidgeschwängerten, überdüngten Spezialplantagen in deutsche Wohnzimmer verfrachtet werden, um nach wenigen Wochen auf dem Müll zu landen – wo bleibt da eigentlich der günstige CO2-Footprint? Aber egal, das Leben des Rezensenten war ja noch nie ein leichtes, so eingezwängt zwischen Verlagsriesen, die ihm durch Gitterstäbe nur Juryposten, Bestseller und karges Brot reichen. Klar, dass man da nicht jedes Werk zu Ende lesen kann – was übrigens der englische Autor Tim Parks (»Worüber wir sprechen, wenn wir über Bücher sprechen«) durchaus empfiehlt: Warum sollte man, wenn Struktur und Story eines Werks durchschaut sind, auch noch alles bis zur letzten Zeile lesen? Weg damit!

Zweifellos ein wichtiger Tipp für die Weihnachtslektüre – bevor sie einen noch umhaut!

Dezember 2017

Plötzlich Nobel

Die Utting und Mick Jagger? Wer, bitte, ist Utting – soll das eine Tochter von Martin Walser sein. Uschi Obermeier oder H. M. Enzensberger, dessen Jüngste, Theresa, eben einen Roman vorgelegt hat? Ganz einfach: Wenn du vom Arbeitsamt kommst, Richtung Schlachthof fährst, der blutigsten Gegend Münchens, siehst du sie oben liegen, die Münchner Verrücktheit, die eigentlich von Fitzcarraldo Werner Herzog stammen müsste, den es aber bekanntlich nach L. A. abgetrieben hat: Ein alter Ammerseedampfer, der auf der Brücke vor Anker gegangen ist, unter der du durchfährst und danach backbord, Richtung Flaucher, kein Witz! Und mit diesem alten Schlachtschiff haben wir noch Großes vor.

Genau wie Mick und Keith, die vor einigen Wochen hier durchs Olympiastadion gewirbelt sind und nach diesem Konzert absolut zum Literaturnobelpreis anstehen, nachdem Bob Dylan 2016 das Eis für Lyrics gebrochen hat. Die entscheidende Frage ist, ob die britischen Boys als bayerische Autoren gelistet werden. Immerhin haben sie hier nach eigener Aussage (neunmaliger Auftritt! Allein in München!) ihren Haupt-Wirkungskreis. Das schwedische Komitee hat allerdings unklugerweise vor Kurzem eine Liste herausgegeben, wonach die Nationenzuordnung nach dem Geburtsort erfolgen soll – was ganz Österreich wegen seiner Alt-Habsburgischen Lande auf der Stelle völlig »narrisch« werden ließ. Die Bayern dagegen wiedermal leer ausgehen lässt, wenn nicht noch, mal sehen.

Es ist Oktober, und deshalb müssen wir ganz grundsätzlich über den Nobelpreis spekulieren, der kurz nach dem berühmten Deutschen Buchpreis am 10. Oktober verkündet wird. Und ganz klar, würden wir auf Jagger und Richards als heiße Kandidaten setzen, wenn sie nicht noch so verdammt jung wären! Auch hat Richards eine prächtige Autobiografie vorgelegt, in der er u. a. gesteht, dass das berühmte – sagen wir mal – Gedicht »Angie« keineswegs nun ja wem wohl gewidmet ist, sondern seinem eigenen Heroin-Entzug. Aber die arroganten Schweden haben auch schon Karl Valentin und Oskar M. Graf brüskiert, und weder Thomas Mann noch Paul Heyse können reinen Gewissens als echt bayerische Autoren gelten. Und da der bedauernswerte Hans Carossa fünf Mal nominiert aber nie gewählt worden ist, wird es höchste Zeit. Hier muss jetzt das Wort »Ministerpräsident« fallen und »Chefsache«. Wenn das nicht meistens ins Desaster führen würde. Wir hätten ja mindestens Friedrich Ani (jetzt auch mit Lyrik!) zu bieten und Rita Falk (jetzt auch als Film) sowie Gerhard Polt (jetzt auch im Internet!). Die zwingende Agenda: Den diplomatischen Druck auf Schweden sofort massiv erhöhen, und, jaja, so schließt sich der Kreis, wir haben’s von Anfang an geahnt: Die Utting, warum nicht, wieder flottmachen und vor Stockholm kreuzen lassen, drohend, Chefsache!

Oktober 2017

Lyrikers Lebensleid

Verstohlen wischt sich manches Kind den Mund ab, mit dem Ärmel, wenn die Mutter es geküsst hat. Was aber, wenn es die Muse war und nicht die Mutter? Und wenn das Kind kein Kind, sondern ein Lyriker, eine Lyrikerin, ein Fabelwesen also, dünnhäutig, durch Spiegel in andere Welten tretend, trunken von Küssen – Wesen, die man um diese Jahreszeit vermehrt des Nachts an S-Bahnhöfen antrifft, in Hotellobbys und Abflughallen, mit zerrauftem Haar und tiefen schwarzen Ringen unter den Augen – »Panda-Augen«, wie die Werbung neuerdings höhnt. Das alles sind Verlierer, deren es viel mehr gibt als Gewinner, und denen hier unbedingt mal ein Röslein gebrochen werden soll – vor allem, wenn man ihnen gerade ein Veilchen geschlagen hat.

Ja, es ist wieder die Zeit der Literaturpreise und Lyrikfestivals, und so haben allein in den letzten vier Wochen etwa Christoph Meckel den Hölty-Preis für Lyrik (20.000 Euro), der Lyriker Adam Zagajewski den Leopold-Lucas-Preis (50.000 Euro) gewonnen, ganz zu schweigen von den Prosaisten wie J. Erpenbeck (Thomas-Mann-Preis, 25.000 Euro) Anselm Glück (Oskar-Pastior-Preis, 40.000 Euro) oder Han Kang, die mit dem Roman »Die Vegetarierin« den Booker-Preis abgeräumt hat (50.000 Pfund Sterling). Wir könnten fortfahren mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (10.000 Euro) oder dem Berliner Internationalen Literaturpreis (20.000 Euro) und wären längst nicht am Ende.

Ganz im Schatten dieser großen Formate hat sich seit 2010 der Lyrikpreis München (Näheres bitte googeln!) eingenistet, der wenig Preisgeld bietet (1.000 Euro für den Sieger), aber einem neugierigen, halbwegs diskussionsbereiten Publikum viele und meist sehr originelle Gedichte, und nach einem knallharten Wettbewerb einen Gewinner und viele, viele Verlierer, die dann in S-Bahnhöfen, Hotellobbys, Abflughallen abhängen, mit Panda-Augen s. o. Es ist schwer, bei einer Konkurrenz von etwa fünfhundert Einsendungen pro Jahr, drei Vorauswahl-Lesungen und schließlich einem Finale (12. November im Gasteig) als dünnhäutiges Lyrikwesen die Nerven zu behalten, zumal die Kriterien für gute Lyrik unklar sind, schon immer unklar waren. Böse Zungen meinen, aleatorisch. Tröstlich, dass die Preise aus dem Boden schießen! Ein Politiker, der auf sich hält, spendet einen Preis, und mancher (Preis) verglüht eben schon nach Kurzem wieder im Lyrik-All. Der Lyrikpreis München, der sich vom Münchner Literaturbüro gelöst hat und mit drei Vorauswahllesungen durch die Stadtteile zieht, verlangt, dass sich der Poet den bohrenden Fragen der Jury (ebenfalls Poeten) stellt, was Metrum Reim und Inhalt betrifft – und er dann das Urteil kassiert: »ungenügend«, wenn er Pech hat. Da hilft kein Klagen, schon gar nicht vor dem Amtsgericht, da heißt es »Mund abwischen« und weiterdichten, vielleicht auch wild nach irgendeinem Erdbeermund, egal, irgendwann wird es schon klappen!

Juli 2016

Anruf um zehn

Sie haben auch dieses Jahr nicht den Anruf aus Stockholm bekommen, etwa am 9. Oktober vormittags gegen zehn? Ein Mann, meist heißt er Engholm, Ekström oder ähnlich, der sehr charmant gebrochen Deutsch spricht und Ihre IBAN, BIC und Swift verlangt zwecks Überweisung eines Betrags von, sagen wir mal, läppischen 870.000 Euro und droht mit der Übergabe des Literaturnobelpreises?

Meist klingelt es gegen zehn Uhr MEZ, wie gesagt, was auch erklärt, dass US-amerikanische Preisträger regelmäßig erzählen, was sie weit nach Mitternacht an Spannung und Überraschung Tolles erlebt haben, während z. B. »unser« (das dürfen wir doch sagen, Günter, oder?) GG »dem Vernehmen nach« gerade im entscheidenden Moment beim Zahnarzt unter dem Bohrer gelegen haben soll, einer, nun ja, Krone wegen! Und, typisch auch, der Ire Samuel Beckett ganz cool auf Safari weilte in Libyscher Wüste, heute undenkbar, ganz unerreichbar.

»Dem Vernehmen nach«, während es früher noch hieß »aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen«, müsste es jetzt wohl heißen »aus Internet-Quellen«, denn daraus sprudelt doch all der Nobel-Tratsch, den Journalisten so gern verbreiten. Den wir so liebend gern lesen!

Aber zurück zu Nobel. Am 10. Dezember pflegt das Ganze in einem Stockholmer Bankett zu kulminieren, in der kältesten und finstersten Zeit des Jahres, und man munkelt ja auch, dass diese dunkle Verleihung für den Geehrten den künstlerischen Todeskuss bedeutet. Denn nur sehr selten war einer von ihnen danach noch wahrhaft produktiv – Thomas Mann ausgenommen, der ja nach dem Gewinn sogar ein zweites Mal nominiert worden sein soll! Womit wir endlich beim Nobel-Tratsch angelangt wären. Dieser wird durch »Protokolle« gefüttert, die jeweils fünfzig Jahre nach der entscheidenden Sitzung des Nobelkomitees veröffentlicht werden. Nur so erfahren wir, wer haarscharf an der Plakette vorbeigeschrammt ist – Graham Green etwa, die Blixen, oder, jaja, Hans Carossa, unser Mann aus Niederbayern (fünf Mal nominiert, nie gewonnen!).

Der Nobel-Gossip lässt sich grob einteilen in den Externen und den Internen. Dieser ist der Interessantere, weil er jene Blähungen aus dem Magen-Darm-Trakt der »Akademie« auffängt, nach denen wir uns doch so sehnen. Wer wurde warum und wie oft abgelehnt? Wer hat wen überhaupt vorgeschlagen, und wieso wurde der »Zauberberg« verworfen, und weshalb konnten die Franzosen mit Patrick Modiano die Deutsch-Sprachler übertreffen, und: Warum geht denen da oben eigentlich nie das Geld aus? Hinter der Hand geflüstert: Es sollen über zwei Milliarden Kronen auf den Konten liegen – Schwedenkronen allerdings, nicht diese anderen. Mit Zahn. Siehe G. Grass. Es bleibt also noch Hoffnung bis zum Anruf um zehn im nächsten Oktober. An den Finanzen wird nicht scheitern!

Dezember 2014

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