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Germanisches Leben hautnah – das lässt sich in der Mark Brandenburg, inmitten des reizvollen Naturparks Dahme-Heideseen erfahren. An Ort und Stelle rekonstruierte Häuser geben tiefe Einblicke in den Alltag unserer Vorfahren.

11KLEIN KÖRIS – EIN WIEDER ERSTANDENES GERMANISCHES DORF

Brandenburg/​Berlin

Das germanische Dorf Klein Köris stellt in mancherlei Hinsicht eine Ausnahme dar. Hervorzuheben sind vor allem zwei Faktoren: einmal handelt es sich um die Größe der freigelegten Fläche, zum anderen um den Umstand, dass die Befunde sehr gute Ansätze zur Rekonstruktion boten (Abb. 19).

Ausgrabungen

Am Anfang stand einmal mehr der Zufall. Bei Erdarbeiten stieß man im Jahr 1976 auf die ersten Spuren aus der Vergangenheit. Glücklicherweise wurden diese sofort als bedeutsam interpretiert, sodass die Archäologen ungestört ihrer Arbeit nachgehen konnten. In den folgenden 19 Jahren wurden etwa 75 Prozent der Siedlung freigelegt. Das, was die Ausgrabungsstätte auszeichnete, war der hervorragende Erhaltungszustand der Funde aus Holz, was bei vielen anderen Ausgrabungen nicht der Fall ist. Dies war dem hohen Grundwasserstand geschuldet.

Funde und Befunde

Das Dorf, zwischen dem 2. und 5. Jh. n. Chr. bewohnt, weist sehr unterschiedliche Bauten auf. Aber nicht alle Häuser bestanden gleichzeitig. Allein schon das Baumaterial Holz ist nicht für die Ewigkeit gedacht, sodass Baufälliges aufgegeben und durch Neubauten ersetzt wurde.

Die Archäologen konnten große, ebenerdige Häuser beobachten, die Wohnung und Stall miteinander verbanden; diese bezeichnet man auch als Langhäuser. Die Interpretation war recht einfach, weil im Wohnteil Herdstellen und ein solider Lehmfußboden vorhanden waren.

Neben diesen ebenerdigen Gebäuden gab es noch Grubenhäuser. Der Name erklärt sich aus der Tatsache, dass die Fußböden unterhalb des damaligen Laufniveaus lagen, also eingetieft waren. Diese Grubenhäuser dienten handwerklichen Zwecken, etwa der Textilherstellung.


Abb. 19 Klein Köris. Rekonstruierte Bauten des germanischen Dorfes.

Das Dorf, dessen germanischen Namen wir nicht kennen, gehörte gewiss nicht zu den ärmsten. Man kann sogar davon ausgehen, dass ein Feinschmied sein Auskommen fand. Darüber hinaus entdeckten die Archäologen eine Reihe von Gegenständen, die als Importgüter bezeichnet werden können, also durch Handel oder Tausch ihren Weg ins Märkische fanden.

Das Problem bei ur- und frühgeschichtlichen Funden ist aber, dass überwiegend Pfostenlöcher von der Vergangenheit zeugen, also nur schlecht eine Vorstellung vom Leben vor 1.800 Jahren vermittelt werden kann. Mit Abschluss der Ausgrabungsarbeiten gründete sich der Verein „Germanische Siedlung Klein Köris e. V.“, der zusammen mit den Denkmalbehörden und Archäologen die Initiative ergriff, an Ort und Stelle ein Freilichtmuseum zu errichten.

Die Entstehung des Freilichtmuseums ist natürlich ein fortdauernder Prozess. Der Besucher wird immer wieder neue Rekonstruktionen finden. Aktuell sind etwa ein Grubenhaus, ein Langhaus sowie eine Schmiede als Gebäude rekonstruiert. Daneben wurden ein Kastenbrunnen und zwei Backöfen wiederhergestellt.

Offenbar ein besonderes Anliegen war dem Verein die Anlage eines Schaugartens, in dem die in Klein Köris nachgewiesenen Getreidesorten, aber auch Hülsenfrüchte und andere Nutzpflanzen wie Flachs, der zur Textilproduktion diente, anzubauen. Die Textilproduktion kann man bei Vorführungen im Grubenhaus bestaunen.

Freilichtmuseum Klein Köris e.V.

gegenüber Buschweg 8

15746 Klein Köris

http://www.germanische-siedlung-klein-koeris.de/

Literatur

S. Gustavs, E 22 Klein Köris, in: J. Herrmann (Hrsg.), Archäologie in der Deutschen Demokratischen Republik (1989) S. 548–550.

Eingebettet in eine malerische Wald- und Seenlandschaft liegt das einstige märkische Dörfchen Sacrow. Das Naturschutzgebiet „Sacrower See und Königswald“ lädt Wanderer zu Erkundungstouren ein und dabei ein eindrucksvolles Zeugnis menschlichen Schaffens zu entdecken: die „Römerschanze“.

12POTSDAM – SACROW: DIE „RÖMERSCHANZE“, EINE EINDRUCKSVOLLE WALLANLAGE MIT LANGER GESCHICHTE

Brandenburg/​Berlin

Sacrow ist von der Einwohnerzahl her der kleinste Ortsteil Potsdams. Schon die preußischen Könige hatten seit dem 19. Jh. die romantische Landschaft für sich entdeckt. Zahlreiche Zeugnisse aus jener Zeit haben nicht nur überlebt, sondern haben in den 25 Jahren nach der Wende eine Wiedergeburt erfahren. Zu dieser versteckten Perle gehört aber auch die „Römerschanze“ im Norden Potsdams, die heute über einen Wanderweg zu erreichen ist.

Die Wallanlage liegt auf einem Geländesporn an der Havelenge zwischen dem Lehnitz- und Jungfernsee. Der Sporn ist mit einer Höhendifferenz von 19 m deutlich vom Ufer abgesetzt.

Forschungsgeschichte und Ausgrabungen

Eine der frühesten Erwähnungen der Wallanlage als „Königswall“ datiert in das Jahr 1683, weniger aus einem archäologischen noch historischen Interesse heraus. Vielmehr ging es darum, dass der Große Kurfürst, Friedrich Wilhelm (reg. 1640–1688), von seiner Mark Brandenburg genaue Karten haben wollte. Daher beauftragte er Samuel von Suchodoletz mit der Landesaufnahme, der dabei auch die Wallanlage in seine Karten eintrug.

Im 18. und 19. Jh. wurde mehrfach über die Anlage und ihren Ursprung spekuliert, doch erst 1881 beschäftigten sich der Jurist, Politiker und Leiter des Märkischen Provinzialmuseums in Berlin Ernst Friedel (1837–1918) sowie der berühmte Rudolph Virchow ernsthaft mit dem Ort. Allerdings sollte erst der bedeutende Ur- und Frühgeschichtler Carl Schuchhardt in den Jahren 1908/​1909 sowie 1911 größere archäologische Untersuchungen durchführen.

Durch die historischen Ereignisse der darauf folgenden acht Jahrzehnte – unter anderem auch der Umstand, dass die Gegend Grenzgebiet und damit auch Sperrgebiet der DDR war – ließ kaum weitere Forschungen zu. Immerhin wurde die Wallanlage 1956 als Bodendenkmal registriert. Aber die Forschung hat die „Römerschanze“ keineswegs vergessen, wie jüngst eine Bachelorarbeit an der Freien Universität zu Berlin belegt.


Abb. 20 Potsdam-Sacrow. Blick auf die Wallkrone der „Römerschanze“.

Funde und Befunde

Basierend auf den Forschungen Schuchhardts ergibt sich folgendes Bild: Die Wallanlage umschließt eine Siedlungsfläche von 175 × 125 m, weist also eine Fläche von 21.875 m2 auf; das entspricht etwa der Größe von drei Fußballfeldern. Aufgrund der Fläche wird gelegentlich etwa spekulativ behauptet, hier hätten etwa 1.000 Menschen Platz gefunden.

Sowohl Virchow und Friedel als auch Schuchhardt kamen zu dem Ergebnis, dass es an dem Ort zwei zeitlich unterschiedliche Besiedlungsperioden gab; die ältere datiert in die Bronzezeit, die jüngere in die slawische Zeit.

Schuchhardt stellte bei seinen Ausgrabungen fest, dass für die bronzezeitliche Siedlung im Ostteil des Sporns Geländeaufschüttungen vorgenommen wurden. Der Holz-Erde-Wall war etwa 6 m hoch und 3,30 m breit (Abb. 20). Aufgrund der Funde kann man davon ausgehen, dass sowohl die frühe Siedlung als auch der Wall von 1300 v. Chr. bis in das 6. Jh. v. Chr. hinein bestand, bis sie einer Brandkatastrophe zum Opfer fiel.

Der Zugang erfolgte über drei Tore (Abb. 21). Das „Seetor“ war 5 m breit und eine Erdbrücke führte über einen umlaufenden Innengraben; dieser könnte aber auf eine landschaftsgestalterische Maßnahme des 19. Jhs. zurückzuführen sein. An der Ostseite konnte ein Hallentor mit einer Breite von 6,5 m festgestellt werden. Die Torwangen waren 10 m lang. Das südwestliche Tor wurde zwar erkannt, durch Schuchhardt aber nicht untersucht.

Von der Innenbebauung der bronzezeitlichen Siedlung fand Schuchhardt sehr viele, sich überscheidende Pfostenlöcher und Gruben. Daraus erschloss er eine lange Besiedlungszeit, die er in drei Bauphasen unterteilte. Anhand der Pfostenlöcher war er auch in der Lage, ein Ständerpfostenhaus von 11,6 × 6,6 m mit Herdstelle zu rekonstruieren. Der zweiten Periode rechnete er Hausgruben, Herdstellen und Abfallgruben zu.

Weiter konnte Schuchhardt die slawische Besiedlung belegen, die etwa im 8. oder 9. Jh. einsetzte. Der zerstörte bronzezeitliche Wall wurde durch einen neuen Wall ersetzt. Auch das Osttor wurde erneuert, war jedoch deutlich kleiner. Es hatte nur eine Breite von 3,5 m und war 5,3 m lang. Hausgruben konnten im Inneren der Umwallung beobachtet werden. Außerdem entstand eine Vorburg-Siedlung. Die Burganlage wurde wohl schon im 10. Jh. wieder aufgegeben, während die archäologischen Funde die Belegung der Vorburg-Siedlung bis etwa 1200 dokumentieren.


Abb. 21 Potsdam-Sacrow. „Römerschanze“. Toranlage.

Wallanlage

Sacrower See und Königswald

Krampnitzer Straße

14476 Potsdam

Literatur

I. Hörnicke, Die Römerschanze bei Potsdam-Sacrow. BA-Arbeit an der TU Berlin (2015);

E. Probst, Deutschland in der Bronzezeit (1999) S. 373;

R. Breddin, C 18 Sarcow, in: J. Herrmann (Hrsg.), Archäologie in der Deutschen Demokratischen Republik (1989) S. 455.

Ein Glücksfall für die Archäologie und eine Entdeckung für den an Geschichte interessierten Besucher ist Freyenstein. Für die einen ermöglicht dieser Ort tiefschürfende akademische Erkenntnisse über das Mittelalter, für die anderen gewähren die Ausgrabungen in ihrer denkmalpflegerischen Aufbereitung anschauliche Einblicke in diese Zeit.

13WITTSTOCK (DOSSE) – FREYENSTEIN: EINES DER BEDEUTENDSTEN BODENDENKMÄLER BRANDENBURGS UND EINZIGARTIGE STADTWÜSTUNG IN DEUTSCHLAND

Brandenburg/​Berlin

In der Ostprignitz, zwischen Wittstock und Meyenburg gelegen, befindet sich Freyenstein mit seiner von mittelalterlichen Bauten geprägten Altstadt. An deren Rand ist aber eine archäologische Sensation zu bestaunen: die Ausgrabungen der aufgegeben Vorgängerstadt.

Geschichte

Das Stadtwesen in Deutschland war über viele Jahrhunderte hinweg durch das Fortführen der römischen Siedlungen bestimmt. Verschiedene Faktoren führten schließlich im 12. und 13. Jh. zur Entstehung neuer Städte in Deutschland und auch darüber hinaus. Aber oft waren die ausgewählten Plätze für die neuen Siedlungen ungeeignet, weil die naturräumlichen Bedingungen nicht stimmten oder die neu gegründeten Orte Begehrlichkeiten der Nachbarn weckten. Ließ sich keine Lösung der Probleme finden, so wurden diese Orte aufgegeben; sie fielen wüst.

Freyenstein gehört in die Neugründungswelle des 13. Jhs. Eine Vorgängersiedlung gab es nicht. Wer die Stadt gründete und auch wann, lässt sich den erhaltenen Urkunden nicht sicher entnehmen. Sicher ist aber ein Datum vor 1244.

Die archäologischen Befunde legen nahe, dass der Stadtgründer mit seiner Neugründung große Hoffnungen verband. Die Stadt mit ihrer Fläche von 25 ha – das sind rund 35 Fußballfelder – war für eine mittelalterliche Stadt recht groß.

Das an kriegerischen Konflikten reiche Mittelalter fand auch in der Region statt. Bestimmend waren die Auseinandersetzungen der Mecklenburger mit den Markgrafen in Brandenburg. Im Zuge dieser Konflikte ließ sich Freyenstein als Siedlung nicht mehr halten; sie wurde aufgegeben und in der Nähe neu gegründet. Urkundlich lässt sich dies für das Jahr 1287 belegen. Damit hatte also die alte Stadt gerade einmal eine Lebensdauer von zwei bis drei Generationen.

Forschungsgeschichte und Ausgrabungen

In mancherlei Hinsicht ist die Wüstung ein Glücksfall. Zwar war sie immer im Gedächtnis der Bevölkerung geblieben, doch blieb der Ort von Überbauung oder größeren Bodeneingriffen verschont. Auch die Archäologen übersahen diese Stätte lange Zeit. Erst als 1980 bei Schachtarbeiten Mauerreste gefunden wurden, rückte die Wüstung in das Interesse der Forschung. Bis 1987 sollten Untersuchungen erfolgen, die vielversprechende Befunde und Funde erbrachten.

Weil die Stätte aber nicht bedroht war, verzichtete man auf weitere Ausgrabungen. Allerdings wurden Untersuchungen zwischen 2000 und 2004 mit geophysikalischen Methoden durchgeführt, sodass man sich ein recht gutes Bild von der Siedlung machen kann.

Da ein so bedeutendes Bodendenkmal einer entsprechenden Präsentation bedarf, begann man im Jahr 2007 mit der Einrichtung eines archäologischen Parks; während dieser Arbeiten erfolgten nochmals Bodeneingriffe. Die freigelegten Befunde sind im Gelände mit Informationstafeln versehen. Auffällig sind darüber hinaus Figuren und Gruppen, die aus Metallplatten geschnitten sind und dem Besucher die Nutzung des Aufstellungsortes anschaulich machen sollen. Abgerundet wird das Konzept durch einen Erlebnis- und Aktionsbereich mit einigen Rekonstruktionen.

Ergebnisse

Aufgrund der verschieden Forschungsmethoden – Spatenforschung und Geophysik – hat sich das Bild der mittelalterlichen Stadt recht gut rekonstruieren lassen.

Feststeht, dass die Stadt geplant war und eine entsprechende Vermessung erfolgte. Die Straßen waren im rechten Winkel zueinander angelegt. An einigen Stellen konnten die Archäologen sogar Straßenpflaster (siehe Abb. 1, S. 9) freilegen, das heute auch sichtbar ist. Kleinere Straßen waren aber wohl bestenfalls mit Holzbohlen befestigt. Weiter konnte als Zentrum ein großer Marktplatz (130 × 87 m, das entspricht etwa eineinhalb Fußballfeldern) identifiziert werden, der an allen Seiten von einer dichten Bebauung begleitet wurde. Daraus schloss man, der Ort habe vornehmlich eine Marktfunktion besessen und von Handel und Handwerk gelebt.

In der Mitte des Marktplatzes konnten einige Keller ausgemacht werden, die sich aber nicht sicher mit bestimmten Gebäuden verbinden lassen. Im Gespräch ist etwa ein Kaufhaus oder das Rathaus.

Eine ganz wichtige Sache in einer mittelalterlichen Stadt konnte von den Ausgräbern aber noch nicht identifiziert werden: die Kirche. Dem mittelalterlichen Menschen ging es sehr um sein Seelenheil, sodass ein Sakralbau unabdingbar war und schließlich mussten die Toten in geweihter Erde beigesetzt werden.


Abb. 22 Wittstock (Dosse)/​Freyenstein. Ein aus Feldsteinen errichteter Keller unter einem Schutzbau im Archäologischen Park.

Als Gegenpol zum bürgerlichen Zentrum fanden die Archäologen den Standort der Burg, die nicht nur zum Schutz, sondern auch Ausdruck der landesherrlichen Macht diente. Die Fläche wurde bislang noch nicht ausgegraben. Jedoch kann festgehalten werden, dass sie sich aus einer Vor- und Hauptburg zusammensetzte, die insgesamt von einem 7 m breiten und 3 m tiefen Graben umschlossen war. Zusätzlich war die Hauptburg durch einen Graben gesichert.

Soweit es sich augenblicklich sagen lässt, wohnten die mittelalterlichen Freyensteiner in Häusern, bei denen es sich um Holz-Lehm-Konstruktionen handelte. Wie im Einzelnen die Häuser ausgesehen haben, bleibt noch offen. Erhalten haben sich aber die Keller, die aus Feldstein errichtet waren (Abb. 22). Allerdings gab es auch Keller, die lediglich über eine Auskleidung mit Holz verfügten.

Ausstellung

Im Laufe der Jahre sind natürlich viele Funde gemacht worden, so etwa aus Metall und Keramik. Sie spiegeln das Alltagsleben der Menschen im 13. Jh. wider. Der überwiegende Teil der Funde wird durch das Landesamt für Denkmalpflege/​Archäologisches Landesmuseum in Brandenburg (siehe S. 178) aufbewahrt. Eine kleine Auswahl findet sich jedoch im Informationsbüro des Archäologischen Parks.

Archäologischer Park Freyenstein

Altstadt 11

16909 Wittstock

OT Freyenstein

Tel.: 033967 - 60057

http://www.park-freyenstein.de

http://www.freyenstein.de

Literatur

Th. Schenk, Die „Altstadt“ von Freyenstein, Lkr. Ostprignitz-Ruppin. Rekonstruktion der brandenburgischen Stadtwüstung des 13. Jhs. auf der Grundlage archäologischer Grabungen und Prospektionen und Grundzüge eines denkmalpflegerischen Konzeptes. Materialien zur Archäologie in Brandenburg 2 (2009).

Ein sensationeller Fund wird geborgen und erlaubt weitreichende Schlussfolgerungen zur Wirtschafts- und Technikgeschichte Europas am Ende des Mittelalters.

14BREMEN – DIE KOGGE VON 1380 UND DER NEUE BLICK AUF DEN HANDEL IM MITTELALTER

Bremen

Die Hanse, ursprünglich Vereinigung von Kaufleuten, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer Großmacht in Europa. Bei Handel und Kriegführung spielte ein Schiffstyp eine überaus gewichtige Rolle: die Kogge. Als im 15. Jh. neue Schiffstypen entstanden, überlebte sie nur noch auf Siegeln oder in Darstellungen und barg daher Fragen, die der Bremer Fund beantworten konnte.

Die Fundgeschichte

Man schrieb den 8. Oktober 1962. Ein Baggerschiff war damit beschäftigt, während der Ebbe in einem Hafenbecken eine störende Landzunge abzuräumen, als plötzlich Teile eines hölzernen Wracks zum Vorschein kamen. Es schien sowohl den Arbeitern als auch dem damaligen Leiter des Hafenbauamtes so ungewöhnlich, dass man das Bremer Landesmuseum verständigte. Der zuständige Abteilungsleiter, Siegfried Fliedner, eilte herbei. Das, was er sah, überraschte ihn: Er stand vor dem Wrack einer Kogge, die er sonst nur als schematische Darstellung auf Siegeln oder aus anderen mittelalterlichen Darstellungen kannte. Festlegen, ob es sich wirklich um eine Kogge handelte, wollte er sich aber erst am nächsten Tag bei Ebbe. Zusammen mit den zuständigen Stellen im Hafen ließ er den Fund sichern.

Bevor es zur Bergung des Schiffswracks kam, galt es eine Vielzahl von bürokratischen Hindernissen zu überwinden. Es gelang Fliedner, Kollegen zur Mitarbeit an der Bergung zu bewegen und an bremischen Bürgersinn zu appellieren, sodass auch Gelder zur Verfügung standen.

Angesichts des nahenden Winters barg man so schnell es ging das Wrack stückweise. Dies war eine harte Arbeit, weil die technischen Mittel, die heute zur Verfügung stehen, damals noch in den Bereich des Science Fiction gehörten.

Da bis zu diesem Zeitpunkt keine datierbaren Funde ans Tageslicht gekommen waren, ließ sich das Alter des Wracks nicht feststellen. Bei der Bergung stellte sich auch sofort die Frage, warum Funde so rar waren.

Die Antwort, die man schließlich fand, war überraschend: Das Schiff war zum Zeitpunkt seines Untergangs noch nicht ganz fertiggestellt. Eine Datierung in das Mittelalter war aber unabdingbar, um weitere Mittel für die Bergung, Erforschung und Konservierung des Wracks zu gewinnen. Eine dendrochronologische Untersuchung zeigte endlich, dass die Bäume im Jahr 1378 gefällt wurden. Eine Kiellegung dürfte dann wohl in das Jahr 1380 fallen, weil Holz etwa zwei Jahre trocknen musste, bevor es verbaut werden konnte. So gelang es, weitere Mittel zu beschaffen, die es erlaubten, im Sommer 1963 mit Helmtauchern nach weiteren Teilen des Wracks zu suchen. Dies war wenig erfolgreich. Erst zwei Jahre später gelang dieses Vorhaben durch den Einsatz einer Taucherglocke. Dabei wurden mehr als 2.000 Teile geborgen.

Die Konservierung

Nachdem die Bedeutung des Fundes erkannt worden war, stellte sich nun die Frage, wie die hölzernen Schiffsreste konserviert werden sollten. In den 1960er-Jahren hatte man noch nicht so viele Erfahrungen mit dem Erhalt großer Fundstücke aus Holz gesammelt. Zunächst wurden die Funde in Wasser aufbewahrt, um den Zerfall zu verhindern. Parallel dazu wurden die Funde wissenschaftlich bearbeitet und – soweit es möglich war – wieder zu einem Schiff zusammengesetzt.

Inzwischen war im „Deutschen Schiffahrtsmuseum“ in Bremerhaven die „Koggenhalle“ entstanden, in der sich ein sehr großes Becken mit einem Fassungsvermögen von 800.000 l befand. Dieses war mit einem Gemisch aus Wasser und Polyethylenglykol gefüllt. Das sich im Holz befindliche Wasser sollte nach und nach durch die Chemikalie ersetzt werden und so das Holz stabilisieren. Im Mai 2000 war dieser Prozess abgeschlossen und die Kogge konnte im Museum ausgestellt werden. Wer sich eine Vorstellung von dem Schiff machen möchte, kann etwa im Focke-Museum (siehe S. 178) dieses im Modell sehen (Abb. 23).

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23 aralık 2023
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279 s. 82 illüstrasyon
ISBN:
9783945751657
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