Kitabı oku: «Hochzeitsflug», sayfa 2

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Onkel Mamdoh fuhr konzentriert, seine Augen auf die Straße gerichtet, doch immer wieder trafen sich unsere Blicke kurz, seine Augen im Spiegel waren die warmen von früher. Auf beiden Seiten der Straße waren hohe und dünne Pappeln, die sich vom Wind bewegen ließen, als tanzten sie in der Reihe. In jedem Auto, das uns überholte und hupte, saßen mindestens fünf Menschen. Mein Onkel ärgerte sich und murmelte, diese Fahrer seien noch in der Zeit des Pferdereitens steckengeblieben, würden auch auf Rädern zu schnell fahren und so ihrem Tod entgegenrasen.

Als die traurigen Geschichten aus dem Dorf ausgegangen wa­­ren, kamen die Scherze an die Reihe. Onkel Mamdoh schaffte mit gekonnten Sätzen den Übergang mit einer Geschichte über einen knausrigen Nachbarn, der bei der Hochzeit seines Sohnes jedes Mal geschwitzt habe, wenn er für die Ausgaben Geld aus seiner Tasche herausholte, das er mit drei Tüchern um­­wickelt hatte.

Meine Eltern lachten im Auto, waren für einmal nicht mehr die melancholischen Menschen, wie ich sie von ihrem Kebab House her kannte. Ich fühlte, wie sie im Auto, auf dem Weg ins Dorf, sehr glücklich waren. Ich verglich sie mit einem Hund, der zu seiner Besitzerin fand.

Die ewige Sehnsucht meiner Eltern war allgegenwärtig, oftmals viel wichtiger als Essen und Trinken. Sie war spürbar wie das Licht in der Dunkelheit. Sie war eine Fluchtoase für meine Eltern, in die sie sich zurückzogen, wenn sie in ihrem eigentlich verfluchten Leben in der Bischofstraße, wie sie es nannten, vor wichtigen Entscheidungen standen oder irgendetwas sie bedrückte, zum Beispiel wenn sie einen Behördenbrief nicht verstanden. Ihre Sehnsucht stillten meine Eltern jeden Tag ein bisschen nach zwölf Uhr nachts, wenn sie nach sechzehn Stunden Arbeit das Kebab House, den dreißig Quadratmeter großen Laden, abschlossen und erschöpft und traurig in unsere Wohnung über dem Laden zurückkamen. Sie hätten den ganzen Tag Löwen gefüttert, pflegten sie zu sagen, um ihre Müdigkeit zu begründen, wäh­­­­rend sie ihre orangefarbenen Arbeitsschürzen auszogen. Wenn sie da waren, stanken alle Zimmer der Wohnung, die Wände, die Teppiche, ihr Atem und ihre Kleider, sogar der nie fehlende Goldschmuck meiner Mutter am Hals, nach fettigem Fleisch und in Öl gebratenen Kartoffeln. Mutter kochte vor sich hinredend Schwarztee im aus Zink hergestellten, mit Nelken und Kamillen verzierten Teekrug, den sie natürlich vom Beytodorf mitgenommen hatte, nachdem sie sich frisch und schön gemacht hatte. Sie zog jeweils ihre schönsten Kleider an, als würde sie an eine Hochzeit gehen. Vater streckte stöhnend seine Beine auf dem Teppich aus, auf den er stolz war, weil er von seiner Mutter geknüpft worden war. Jeden Tag er­­zählte er die gleichen Geschichten von den komplizierten Mus­tern des Teppichs – etwa ein Rentier mit Hörnern – und vom Geheimnis seiner Mutter, die sich ohne Vorlage mit diesen rät­­­­selhaften Mustern auskannte. Der Tee und das Geschichtenerzählen waren ein Ausgleich zu ihrem anstrengenden Leben. Meine Mutter schenkte Tee in die schmalen Gläser mit der goldfarbenen Verzierung, während Vater den Ta­­ges­­umsatz von Hand auf der leeren Schachtel seiner Zigaretten ausrechnete, so konzentriert, als würde er ein Flugzeug steuern. Nur dann setzte er eine Brille auf. Sie stellten eine Tasse voll farbigem Bonbonzucker auf ein Tischchen zwischen sich und tranken Tee in der berühmten Art des Dor­fes: Sie nahmen den Zucker in den Mund, versteckten ihn in einer Backe, bis der heiße Tee aus dem schmalen Glas ausgetrunken war. Beide waren redselig. Sogar ich hatte meine Freude daran, ihnen zuzuhören. Mutter hatte von irgendwem gehört, dass diese Art Tee mit Bonbonzucker nicht dick mache. Meine Eltern wurden aber Jahr für Jahr breiter und breiter. Sie würden mich noch mehr lieben, sagten sie, wenn auch ich auf dieselbe Art Tee mit farbigem Bonbonzucker trinken würde. Sie wollten nicht auf mich hören, wenn ich ihnen weiszumachen versuchte, dass sie als Erstes gegen das un­­erwünschte Fett an den Knochen diesen ewigen Bonbonzucker weglassen sollten. Der Vater war jeweils verletzt durch meine un­­überlegte, lächerliche Feststellung. Stolz sagte er: «Die Art unseres Dorfes, Tee zu trinken, macht nicht dick, weil wir auch im Dorf nicht dick wurden.» Er wiederholte einen Satz aus seinem Dorf, das Pferd solle am Gerstenessen sterben, wenn es sein müsse, also jemand dürfe an dem sterben, was er gerne habe. Meine Eltern gingen erst zu Bett, wenn die Zuckertasse und die Teekrüge leer waren und sie genüsslich und lange vom Dorf gesprochen hatten.

Am nächsten Morgen begann ihr Leben dann mit dem Seufzen meines Vaters und seinen Beschimpfungen von On­­­­­kel Mam­­doh, der das Vermögen der Beytofamilie für sein ungesättigtes Schilfrohr ausgegeben habe, wie Vater den Grund für die Nacht­­clubbesuche seines Bruders um­­schrieb.

Mein Vater hatte immer wieder von Onkel Mamdoh erzählt, auch den Gästen in seinem Kebab House. Wenn sein Deutsch nicht ausreichte, musste ich einspringen und für die Gäste, die mein Vater in seinem Laden wie Könige behandelte, die Ge­­schichten vom anstößigen Umgang mei­nes Onkels mit den Barfrauen übersetzen, der meinen Vater in seiner Existenz bedroht hatte. Dass er schuld war, dass mein Vater im Alter von dreiundzwanzig Jahren in die Frem­­­­de gehen musste, wo er in ein schwieriges Leben «da­­zwischen» trat, wie er es ausdrückte – ich glaube, diesen Begriff hatte ein Kunde meines Vaters benutzt, dem er seine Lage geschildert hatte, und Vater hatte ihn übernommen –, hatte der Vater ihm nie verziehen. Er hatte aber Mamdoh vom Kebab House aus in all den Jahren bedingungslos un­­terstützt. So wollten es die archaischen Gesetze seines Dor­fes. Bevor wir jeweils in den Urlaub fuhren, suchte der Vater für sich einen ganzen Tag lang einen billigen Anzug, aber wenn er für Mamdoh einen Anzug kaufte, was zu den Reisevorbereitungen gehörte, ging er in das teuerste Modegeschäft. Mamdoh, der ältere Bruder, war sein hoher Prinz, den er seit je bewunderte. Das begründete mein Vater mit seiner Kultur: dass der Kleine den Großen zu respektieren habe, denn wenn man den Älteren keinen Respekt entgegenbringe, falle eine Gesellschaft auseinander wie ein Kartenhaus und schmelze wie Schnee unter den starken Sonnenstrahlen.

Mamdoh hatte den Erlös aus den Ländereien des Beytolandes, wie mein Vater stolz den Herkunftsort seiner Familie bezeichnete, in den damals noch wenigen Nachtclubs der Haupt­­stadt ausgegeben, ließ Vater mich sehr oft seinen Gästen im Kebab House in der Bischofstraße übersetzen. Mamdoh, der verwöhnte Bruder, der Wunschsohn, den der allmächtige Gott dem reichen Großvater nach der Geburt von drei Töchtern geschenkt hatte, genoss es, aus dem Nabel der Frauen Schnaps zu trinken. Deshalb liebte er nur die breitesten Frauen, weil ihre Nabel mehr Platz böten, sagte Vater abschätzig. Mamdoh goss Schnaps in dieses ihm wertvolle Loch, das er mit viel Geld gekauft hatte, und trank oder schleckte das bittere Wasser mit der Zunge aus. Es ge­­schah über Jahre immer das Gleiche: Mamdoh verlor Geld im Nachtclub oder auch beim Glücksspiel, und am nächs­ten Tag kam der Gläubiger zu meinem Großvater Beyto. Dieser wollte in niemandes Schuld stehen, weder eines Zu­­hälters noch eines Nachtclubbesitzers, die er als minderwertig betrachtete, verkaufte einen Acker und beglich die Schulden. Er schlug seinen Sohn nicht, wie man im Dorf erwartet hätte, weil dieser sein erster, nach langer Zeit von Gott ins Haus geschickter Sohn war. Mit dem Spruch, Mamdoh sei sein Augapfel, musste er sich jeweils getröstet haben. Das ging so weiter, bis alle fruchtbaren Ländereien des Großvaters, der nicht wenig Tränen vergossen haben soll, den Besitzer gewechselt hatten. Als Mamdoh alles verspielt hatte, aber sein Auto nicht verkaufte, mit dem er weiterhin in die Hauptstadt fuhr, schickte mein Großvater ­seinen zweiten Sohn, also meinen Va­­ter, zu seinem ehemaligen Hirten ins Land der Heiden zum Arbeiten, damit die Familie wenigstens ein Einkommen habe. Mein Vater un­­­terstützte seither die ganze Familie. Mamdoh hörte mit dem Schnapstrinken aus Frauennabellöchern auf, allerdings erst, als seinen vier Töchtern Brüste wuchsen, wie meine Mutter sein verändertes Verhalten begründete.

5

Die Autofahrt wollte nicht enden. Mein Herz klopfte stark, wie ich all die Straßenbilder wahrnahm: So war der Laderaum eines Lastwagens voll mit Menschen beladen, die stehend fuhren. Nur die Haare der Männer und die farbigen Tücher auf den Köpfen der Frauen, die im starken Fahrtwind flatterten, ragten über den Rand hinaus. Hinten war der Wagen offen. Einige der Männer trugen sogar Kinder auf den Armen, der Wind blies ihnen die langen Haare in die Augen. Mein Onkel schüttelte verurteilend den Kopf, zeigte mit dem Finger auf die Leute auf dem Lastwagen und sagte mit gedämpfter Stimme, dass diese Männer Arbeiter seien, von weit her aus ärmlichen Regionen kämen, um hier mit der ganzen Familie auf den Kümmelfeldern zu arbeiten. Dass die Verkehrspolizei nicht eingreife, sei eine Schande, es bestehe die Gefahr, dass solche Transporte einen Unfall verursachten, vielleicht werde man schon am Abend im Fern­­­sehen sehen können, wie viele von diesen Leuten aus dem Wagen wie Bälle heruntergerollt und ihre Köpfe wie Melonen zertrümmert worden seien.

Allmählich verstummten meine Eltern und der Onkel. Meine Mutter döste neben mir, ich hielt weiterhin ihre Hand, hörte ihr leises Schnarchen. Onkel Mamdohs Augen im Spiegel hatten sich verkleinert. Mein Vater war am Rechnen auf der Zigarettenschachtel, ich wusste nicht, was. Um mir die Zeit zu vertreiben, schrieb ich die ganze Zeit SMS an Ma­­­nuel, die ich nicht schicken konnte, weil ich keinen Empfang mehr hatte. Meine Bisswunde brannte, ich konnte sie aber nicht mit Salbe oder Spray behandeln. Es hätte einen Aufruhr geben können, wenn mein Onkel diese Wunde gesehen hätte. Ich biss auf die Zähne, schloss die Augen und ließ den Vorabend wie einen Film in meinem Kopf ablaufen. Es war ein schönes Gefühl, Manuel in mir zu fühlen auf dieser Reise, die unendlich sein konnte, wie ich von den früheren Reisen her wusste.

Onkel Mamdoh hielt abrupt bei einer Raststätte an. Auch meine Mutter erwachte durch sein starkes Bremsen. Bevor er das Auto verließ, sagte er, halb gähnend und sich streckend, dass es Zeit zum Gebet sei. Dass Mamdoh vom Gebet sprach, war für uns alle eine kleine Sensation, sogar ich wurde hellwach. Meine Eltern schauten ihn mit großen, fragenden Augen an, sie blieben so stumm, als hätten sie ihre Zunge verschluckt. Mamdoh sagte, wir könnten in dem Restaurant auch etwas essen, bis er sein Gebet verrichtet habe. Mein Vater gab sofort seiner Freude auf die Suppe mit weißen Bohnen, die er vermisst habe, Ausdruck. Wir blieben im Auto und schauten Mamdoh nach, bis er in den Hof der kleinen Moschee mit einem runden Dach wie ein Flaschenhals und einem großen Minarett verschwand. Die blaue Farbe der Moschee war so intensiv, als hätte man aus Eimern Farbe auf die Wändegegossen. Meine Mutter flüs­terte, während sie ihre Haare mit einer Spange festband, dass Mamdoh früher sogar bei Tauben nachgeschaut habe, ob diese nun weiblich oder männlich seien, er sei der Weiblichkeit so sehr erlegen gewesen, und heute würde er aus sich einen frommen Menschen machen. Offenbar hätten die Jahre ihn verändert. Mein Vater gähnte, lachte dann schallend, meine Mutter müsse ihren Schwager jetzt als reifen Schwiegervater, nicht mehr als den konfusen Frauenheld sehen. Er müsse sich aber für seine Sünde, für viele Frauen ein Ehrbeschmutzer gewesen zu sein, beim Allmächtigen eine Amnestie erbitten. Meine Mutter schüt­telte den Kopf, sie sagte, es fehle nur noch, dass er sich einen lan­gen Bart wachsen lasse, die Pilgerreise mache und sich in Mekka für seine Sünden entschuldige. Wir stiegen aus.

Der warme Wind der Steppe blies uns den bitteren Dieselgeruch von den vielen Lastwagen auf der Straße in die Nase. Während meine Eltern vor dem Souvenirladen müde wirkend herumstanden, verweilte ich beim kleinen Verkaufsstand vor dem Restaurant und unterhielt mich mit dem gesprächigen Jungen, der an dem kleinen Holzstand Gurken verkaufte. Ich zeigte auf eine Gurke, die ich essen wollte, er schälte sie mit einem Sackmesser, in dessen Holzgriff er seinen Namen eingeritzt hatte. Er machte seine Arbeit so kunstvoll, dass sie mir Lust auf mehr machte. Ich bestellte noch zwei Gurken für meine Eltern. Der Junge redete wie ein Wasserfall und erzählte unter anderem, dass er bald ins Militär müsse. Aber vorher wolle er ein Mädchen, eine Tochter seines Onkels, heiraten, die Familie wolle ihm das Mädchen jedoch nicht geben, weil seine Familie arm sei. Man habe gesagt, ein Gurkenschäler könne keine Frau er­­nähren, lachte er noch. Er wolle aber, und bei diesen Worten schaute er in meine Richtung, seine Liebe genießen, bevor er ins Militär gehe, denn es bestehe die Gefahr, dass er nicht zurückkomme, weil im Land immer noch ein Krieg tobe. Dann müsse es eine Frau geben, die, sein letztgetragenes Hemd in der Hand, auf seinem Grab weine.

Der gesprächige Junge wurde vom Gebetsruf aus dem Lautsprecher unterbrochen, der vermischt mit Verkehrslärm wie ein verstimmtes Orchester in den Ohren tönte. Ich beob­­achtete seine Geschicklichkeit, mit der er die Gurken salzte und mir übergab. Er trug ein langärmeliges blaues Hemd über einer schwarzen Hose, es sah wie eine Uniform aus. Er war schmal, seine Bartsprossen kamen mir wie frisch­­es Gras vor. Ich brachte die Gurken, die der Junge mit einem weißen Papier umwickelt hatte, meinen Eltern, die einige Ge­­schenkartikel, unter anderem ein Auge gegen den Bösen Blick oder eine auf Papier gemalte Moschee, in der Hand hielten und mit dem Verkäufer mit dem langen weißen Bart verhandelten. Ich ließ ihnen die Freude, zu feilschen, im Wissen, dass es meinen Eltern nicht unbedingt ums Geld ging, sondern dass sie diesen Brauch in ihrem Land erleben wollten, und ging zu dem Weizenfeld hinter der Raststätte. Die Ähren waren schon leicht gelb gefärbt. Der Junge vom Stand kam hinter mir her, sagte, noch bevor er mich erreicht hatte, dass bald Mähdrescher kommen würden, in diesem Jahr gebe es aber keine gute Ernte. Es werde bestimmt nur wenige Hochzeitsfeste geben, da man sich ein Fest, das wegen Europäern wie wir, die Geld hätten wie Heu, immer teurer werde, nicht leisten könne. Aber für Europäer wie wir sei das ja kein Problem. Dann stellte er mich mit der Frage bloß, ob auch ich diesen Sommer meine Hochzeit feiern werde. Ich lachte und sagte nein. Aber die Frage blieb in meinem Kopf wie festgeklebt.

Ich erinnerte mich, dass meine Eltern auf dem blauen Sofa in unserer Wohnung viel von dieser für die Leute

sehr wichtigen Zeit, der Dreschzeit, gesprochen hatten. Die Hoch­­­­­­zeiten fanden nur in dieser Zeit statt, denn die Familien hatten Geld. Entweder kamen Europäer wie wir und bezahlten, oder man verkaufte Getreide.

Alles über die Kultur des Dorfes, sei es der Alltag oder die Arbeit, kannte ich nur von den Erzählungen meiner Eltern. So wusste ich bestens, wann gesät oder geerntet wurde. Als ich einmal auf einer Schulreise in die Berge mitreden konnte, als es darum ging, wie ein Senn Käse macht, waren alle Schulkameraden erstaunt über mein Wissen. Auch der Senn hatte sich für meine Eltern interessiert, für sie unbekannterweise Grüße ausgerichtet und eine Sennentracht als Geschenk mitgegeben.

Jeden Morgen beim Frühstück, seit ich mich erinnern kann, erzählten meine Eltern vom Dorf. Im Frühjahr hieß es: «Dieser Nachbar hat sicher seine Lämmer auf die Weide gebracht.» Im Mai sagten sie täglich, bald, in so und so vielen Tagen, werden die Schafe geschoren. Dann erzählten sie, wie meine Großmutter von Großvater Beyto drangenommen worden sei, weil sie Wolle klaute, um für ihre Kinder und Enkelkinder die Mitgift vorzubereiten. Am Mittag sagten sie, während sie ihre hungrigen Kunden bedienten: «Der Dorfbus ist jetzt sicher aus der Kreisstadt gekommen.» Wenn es in der Bischofstraße viel regnete, klagten sie, dass es in unserem Dorf nie regne, dass Gott hier mit seiner Tugend herrsche und bei uns im Dorf der Satan mit seiner Böswilligkeit, weil es dort selten regne. Manchmal verstanden die Kunden nicht, was mit diesen Geschichten gemeint war. Ich sprang ein und übersetzte, während meine Eltern mich mit liebevollen und stolzen Blicken musterten.

Ich ging in den Garten des Restaurants, wo meine Eltern auf weißen Plastikstühlen saßen und mit großem Appetit die weißen Bohnen löffelten. Mamdoh kam aus der Moschee, lief mit zögerlich-langsamen Schritten, rechts und links um sich schauend, zum Garten des Restaurants, wo wir saßen und auf die Weizenfelder, die vom Wind Wellen schlugen, blickten. Wie wichtig er sich fühlte, weil er gebetet hatte, konnte man in seinen funkelnden Augen lesen. Als wir fertig waren – ich hatte mich meinem Vater angeschlossen und scharf gewürzte Bohnen, die Speise seiner Sehnsucht, gegessen –, fuhren wir weiter. Vater beklagte sich im Auto, dass die Bohnen nicht wie früher schmeckten. Sie seien verkocht gewesen. Mein Onkel reagierte nicht, sondern rezitierte murmelnd ein Gebet. Wir waren weit von den Städten und in einer unendlichen Steppe. Meine Neugier, warum meine Eltern im Auto und vorher im Flugzeug über ein Fest gesprochen hatten, stieg wie ein anschwellender Fluss. Ich hatte aber den Mut immer noch nicht, sie danach zu fragen.

Als wir den größten Teil der Reise hinter uns hatten und das Auto in Richtung der Gegend meiner Vorfahren fuhr, hatte mein Vater volle Augen, wie ich im Spiegel sah. Einerseits sei es aus Freude, wieder in seinem Land angekommen zu sein, erklärte er mit weinerlicher Stimme, als sein Bruder ihn darauf an­­sprach, anderseits werde ihm wieder einmal bewusst, dass sein Vater der Besitzer dieses fruchtbaren Lan­des gewesen sei, er selber aber in der freudlosen Fremde auf den ewiggleichen Kebabverkauf angewiesen sei. Er wisch­te die Tränen mit seinem Hemd­­ärmel ab. Mamdoh lachte laut auf und meinte, der Bruder dürfe nicht mehr in alten Zeiten leben, die Zeiten würden sich überall ändern. Vater schaute aus dem Fenster und sagte nichts. Er hatte sich nie getraut, Mamdoh direkt ins Gesicht zu sagen, dass ihr Vater die Län­­dereien zur Befriedigung seines Schilfrohrs veräußert habe.

Ich war früher gerne ins Dorf gefahren, und ich hatte gute Erinnerungen an meine Kindheit dort. Als meine Großeltern noch lebten, wohnten wir im Urlaub mit ihnen im großen Beytohaus mit Wänden aus Marmorsteinen und hatten es sehr schön. Wenn mein Vater das Flugticket geholt hatte, zählte ich die Tage, indem ich für jeden Tag einen Zettel in meinem Zimmer aufhängte. Auf jedem Papierstück, dessen Ränder ich angemalt hatte, stand ein Wunsch, der im Dorf in Erfüllung gehen sollte. Mein größter Wunsch war jeweils, mit den Freunden im Dorf aus dem Ziehbrunnen Wasser hochzuziehen, es mit der roten Erde zu vermischen und aus diesem Ton Häuser, Ställe, Schulen oder Moscheen, gar ganze Quartiere zu bauen. Ich war Groß­vaters König aus dem Westen, ich, sein einziger Enkelsohn, musste in den Tagen im Dorf der König sein, ob ich es ­woll­te oder nicht.

Als ich mit acht Jahren zu meinem Vater in die Bi­­schof­straße gezogen war, hatte ich sehr geweint. Diesen Moment werde ich nie vergessen. Mehrere Menschen waren hinter mir hergerannt, um mich zu fangen und zum Dorfbus, der mich und meine Mutter zum Flughafen fahren sollte, zu bringen. Während der ganzen Busreise hielten mich mindestens zwei Männer mit ihren starken, knochigen Händen fest, damit ich nicht die Tür öffnete und aus dem Bus sprang.

Auch meine Mutter war sehr traurig gewesen. Sie hatte lange vergebens gehofft, ihr Mann würde zurückkommen und im Dorf leben, damit sie nicht wegmüsse. Der aber hatte, als er nach acht Jahren zurückkam, schon Wurzeln ge­­schlagen, wie er gesagt haben soll, sich also ein Kebab House eröffnet, auf das er nicht wenig stolz war. Er hatte nicht mehr im Dorf leben wollen, sich über die fehlende Infrastruktur beklagt, etwa über das kalte Wasser aus der Leitung oder die unasphaltierte staubige Straße.

Mein Vater war einige Jahre lang nicht zurück ins Dorf gekommen, warum, weiß ich auch nicht. Böse Zungen von Männern aus unserem Dorf, die im Westen lebten, meinten, mein Vater habe eine Ge­­liebte gehabt, eine gewisse Iris, die er nicht verlassen wollte. Unsere Dorfleute sagten, dass Iris so große Brüste gehabt habe wie Honigmelonen, mein Vater habe sie auch deshalb nicht verlassen wollen. Meine Mutter hat in dieser Sache nie nachgehakt, vielleicht ist sie über die Wahrheit im Bild, vielleicht ist sie auch froh, dass der Vater sie jetzt respektiert und mag. Die Liebe zwischen den beiden spüre ich gut, und nicht nur, weil sie eine Familienpflicht ist, sie sind immer füreinander da.

Als meine Mutter nach mehreren Jahren ihrem Mann im Dorf wieder begegnet sei, sagte sie später lachend, habe sie sein Gesicht fast vergessen gehabt. Hätte er nicht das berühmte Beytomuttermal an der linken Seite der Nase gehabt, sie hätte ihn nicht erkannt. Sie gebar dann nicht mehr. Ihr wurde die Gebärmutter mit ei­­nem Myom entfernt, sie musste ihren Traum, Mutter von sechs Kindern zu sein, begraben. Ich kenne diese Geschichte von der Entfernung der Gebärmutter nur deshalb, weil ich beim Arzt für meine Mutter übersetzt habe. Ihr größter Wunsch war gewesen, eine Tochter zu gebären, der sie den Namen meiner mutigen Großmutter Belkisa geben wollte.

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