Kitabı oku: «EIN FRANKFURTER AUS AFRIKA», sayfa 3

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ANSOUMANE CAMARA

Jean Claudes Freund Ansoumane Camara, der seit vielen Jahren in der Schweiz lebt, beschreibt in seinen Erinnerungen die gemeinsame Zeit in Italien und die darauffolgenden Studienjahre in der Schweiz. Der Text wurde im Juni 2016 von ihm in Französisch verfasst und von mir ins Deutsche übersetzt.


Ehemaliger Mitarbeiter der UNO in Genf in den Bereichen Finanzen und Budgetierung. Studium und Ausbildung in Guinea, Deutschland und Schweiz (jetzt im Ruhestand). Langjähriger Freund JCs seit ihrem gemeinsamen Aufenthalt in Rom.

Wichtige Entscheidungen für eine unklare Zukunft

Wartezeit in Rom 1971/1972

Die »Landung« des portugiesischen Militärs in Kooperation mit der guineischen Opposition am 22. November 1970 in Conakry, der Hauptstadt Guineas, mit dem Ziel, das Regime Sékou Touré3 zu stürzen, hatte unerwartete Konsequenzen für die Studenten und Praktikanten Guineas in West-Deutschland und West-Europa zur Folge.

Nachdem Sékou Touré überzeugt war, dass die Bundesrepublik Deutschland und andere westeuropäische Länder Komplizen und somit beteiligt an diesem Überfall von außen waren, beendete er die diplomatischen Beziehungen zu diesen Ländern. Man schloss mehrere guineische Botschaften, unter anderem auch die in Bonn. Der Botschafter und sein Personal gingen nach Rom. Die Studenten und Praktikanten in der BRD wurden im Sommer 1971 von der guineischen Regierung aufgefordert, die BRD zu verlassen und in Rom auf weitere Instruktionen zu warten. Somit wurden sie zu Leidtragenden eines Vorfalls, mit dem sie nichts zu schaffen hatten. Ein Rundschreiben aus Rom forderte sie auf, sofort Deutschland zu verlassen und so schnell wie möglich nach Rom zu kommen. Jean Claude gehörte zu ihnen. Er war einer der ersten, der diesem Aufruf folgte. In Rom wurde er von einem Freund der Familie (Jean Camara) aufgenommen, der als Berater an der Botschaft Guineas in Rom tätig war und ihn während seines Aufenthalts in Rom unterstützte.

Die Ankunft der vielen jungen Guineer in Rom führte zu erheblichen Problemen – Unterkunft und Versorgung waren nicht sichergestellt; es gab keine finanzielle Unterstützung durch die Regierung in Conakry. Es stellte sich heraus, dass der Abzug der Studenten aus der BRD ein Willkürakt des Botschafters Seydou Keitas war, der die Regierung in Conakry vor vollendete Tatsachen stellte. Die Studenten befanden sich, nachdem ihre kleinen Ersparnisse aufgebraucht waren, in einer prekären finanziellen Situation. Es war ein glücklicher Zufall, dass die damals sehr bekannte Balletttruppe aus Guinea, »Les Ballets africains de Guinee«, ebenfalls in Rom gestrandet war. Die Mitglieder dieser Gruppe unterstützten die mittellosen Studenten, indem sie sie häufig zum Essen einluden.

Bei Jean Camara, der zu dieser Zeit noch unverheiratet war, konnte Jean Claude essen, wohnen und sich finanziell über Wasser halten. Einige Studentinnen und Studenten, zu denen zwei junge rebellische und feministische Frauen aus Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) gehörten, fanden sich dort ebenfalls regelmäßig zum gemeinsamen Essen ein, und Jean Claude heizte durch seine provokante Meinung immer wieder die Diskussionen an. Der Aufenthalt in Rom war von absoluter Unsicherheit bestimmt. Es war Dezember 1971, und es gab noch keine Entscheidung über die Zukunft der Studenten aus Guinea, die sich in Rom befanden. Mussten sie zurück nach Guinea oder konnten sie ihr Studium in einem anderen Land weiterführen, zum Beispiel im damaligen Ostblock, der das Regime in Guinea unterstützte? Unter diesen Bedingungen entschieden sich einige Studenten, auf eigenes Risiko nach Deutschland zurückzukehren.

Manche Gepflogenheiten eines totalitären Regimes spiegeln sich wider im Verhalten der betreffenden Gesellschaft; Bespitzelungen und Misstrauen machten sich innerhalb der Gruppe bemerkbar. Es stellte sich bald heraus, dass der guineische Botschafter die Verunsicherung der wartenden Studenten und Praktikanten für seine eigenen politischen Zwecke benutzte. Es fanden immer häufiger Versammlungen statt, um auf die Studenten Einfluss zu nehmen. Die offizielle Adresse für alle war die Botschaftsadresse. Briefe, die aus Deutschland kamen, wurden schlecht verschlossen dem eigentlichen Empfänger übergeben, sodass jeder sofort wusste, dass die Briefe geöffnet und gelesen worden waren. Diese Tatsache und die allgemeine schlechte Situation der Studenten provozierten heftige Reaktionen innerhalb der Gruppe. Jean Claude nutzte sein Talent als Mediator, um die Gruppe zu beruhigen und die Situation zu entschärfen. Durch diesen Einsatz wurde er innerhalb der Gruppe sehr bekannt. Die Wartezeit in Rom war endlos. Monate vergingen, bis endlich das Dekret »Responsable Suprême de la Revolution« (Sékou Touré) eintraf. Es durften acht Studenten in West-Europa (nicht in der BRD) bleiben und ihr Studium fortsetzen; zu ihnen gehörte Jean Claude. Alle anderen mussten sofort zurück nach Guinea. Die Gruppe, die ihre Ausbildung im Post- und Telekommunikationswesen machte, fand Ausbildungsmöglichkeiten in der Schweiz in einer Berufsschule, wogegen sie ihre Ausbildung vorher in Deutschland an einer Hochschule gemacht hatten. Die meisten von ihnen blieben nur einige Monate in der Schweiz und entschieden sich, alsbald nach Guinea zurückzukehren. Bis auf mich. Ich entschied mich, nach Bochum zu gehen, um mein Studium dort zu Ende zu führen.

Guineische Gemeinschaft in der Schweiz 1972 bis 1977

Für Jean Claude setzte sich die unerträgliche Wartezeit fort. Jeden Monat gab es ein neues Versprechen, einmal sollte es Belgien sein, dann wieder die Schweiz und so fort. Im Sommer 1972 entschied er sich, ohne das offizielle Ende der Verhandlungen zwischen der guineischen Botschaft und den Schweizer Behörden abzuwarten, in die Schweiz zu reisen, um sich an der Universität in Genf einzuschreiben. Er kam in Genf an mit fast nichts in den Taschen, aber er fand auch hier Studenten aus Guinea, die er kannte. Bei einem von ihnen konnte er vorübergehend wohnen; er hatte keine andere Wahl. Die meisten Studierenden seiner Generation kannten sich aus ihrer Zeit im Gymnasium, denn es gab nur drei Gymnasien in Guinea. Sehr schnell stellte sich heraus, dass gerade dieser »Freund« einer von Sékou Tourés Spitzeln in Genf war. Jean Claude musste sich mit dieser unangenehmen Situation abfinden, während er sich nach einer anderen Unterkunft umschaute und vor allem nach finanzieller Unterstützung suchte. Er schrieb sich in der Fakultät der Sozialwissenschaften in Psychologie ein, blieb für ein Semester, um sich dann 1973 in Lausanne ebenfalls für das bereits in Deutschland begonnene Psychologiestudium einzuschreiben. Mit Hilfe des Honorarkonsuls von Guinea, Herrn Franzin, fand er im Stadtviertel Montely ein Appartement, zu groß für einen Studenten – zwei Schlafräume, ein sogenannter Salon (ein vergrößerter Flur, der zum Salon umfunktioniert wurde), eine kleine Küche und ein Bad. Aufgrund dieser günstigen Voraussetzungen ließ er seinen Jugendfreund Bah Souleymane, genannt Roby, der sich in der Elfenbeinküste aufhielt, kommen, damit dieser ebenfalls seine Studien in der Schweiz aufnehmen konnte.

Im Erdgeschoss, direkt am Eingang des Hauses, befand sich eine Kneipe, die sich »Chez Charly« nannte. Wenn man in die Wohnung im dritten Stock wollte, dann musste man am Eingang der Kneipe vorbei, sodass dieses Lokal zum zweiten Wohnzimmer all derer wurde, die sich in der Wohnung vorübergehend – mal länger, mal kürzer – aufhielten. Sie tranken alle sehr gerne, nur ich, genannt »Sir Lipton«, ein Freund aus der Zeit in Rom, widerstand dem Alkohol. Eine Etage unter JCs Wohnung lebte ein altes Ehepaar mit bewundernswerter Toleranz. Niemals wurde von ihnen die Polizei gerufen wegen des Lärms, der aus der oberen Wohnung, die sich zu einem Hauptquartier für Exilguineer entwickelt hatte, kam.

Sehr schnell formierte sich eine Gruppe Guineer um Jean Claude; manche waren am Ende ihres Studiums angekommen, andere studierten oder gingen anderen Beschäftigungen nach. Seine Adresse in Montely wurde zum Treffpunkt der guineischen Gemeinschaft der Schweiz und der grenznahen französischen Region und all derer, die dachten, die Welt neu zu gestalten: Afrikaner, Südamerikaner, Portugiesen. José und Nica, Studienkollegen und Freunde, ließen ihn Portugal entdecken. Es war die Zeit der Nelkenrevolution in Portugal, der Sandinisten in Nicaragua und der Sahrauis im Süden Marokkos. Die politischen Diskussionen waren anregend und endlos, vor allem wenn der Duft der Soßen, die auf dem Herd köchelten, durch die Wohnung zog. Man muss sagen, dass das kulinarische Talent des Wohnungsbesitzers bei allen Freunden hochgeschätzt war.


Jugendfoto – JC und seine Freunde (1965/66)

Während der Sommerferien kamen viele guineische Studenten aus den osteuropäischen Ländern in die Schweiz, vor allem nach Lausanne, um Ferienjobs zu finden. Einige waren Kommilitonen Jean Claudes aus dem klassischen Gymnasium in Donka (Conakry) oder alte Bekannte aus anderen Regionen Guineas. Sie kamen ohne einen Cent in der Tasche und läuteten an seiner Tür. Er stellte niemals eine Frage, sondern nahm sie auf. In der Sommerzeit sah die Wohnung wie ein Feriencamp aus. Jean Claude verbrachte in dieser Zeit seine Nächte bei Freunden oder bei Barbara, seiner späteren Frau, die nach Lausanne gekommen war, um Französisch zu lernen. Trotzdem gab es nie genug Schlafplätze für alle. Für das Essen fand man immer Mittel und Wege. Ein großer Topf mit Schweinsfüßen in Soße erfüllte selbst für die Moslems, die in der damaligen Zeit wenig praktizierend waren, seinen Zweck. Auch das künstlerische Talent einiger erlaubte es, die Töpfe zu füllen. Alain Zayat und »Gaspard« fertigten an manchen Abenden naive Bilder mit afrikanischen Motiven, keiner wusste, woher ihr Talent als Maler stammte. Andere, talentiert als Verkäufer, fuhren am darauffolgenden Tag aufs tiefe Land und verkauften die Ergebnisse des Vorabends mit mehr oder weniger Erfolg. Ihre Rückkehr wurde ungeduldig erwartet, denn ein Teil der Einnahmen wurde für die abendliche Kochaktion genutzt. Der Rest wurde meist am gleichen Abend ausgegeben, in der Piano-Bar »l’AMIRAL« bei Johny, einem Bruder aus dem Maghreb, der mit einer seltenen Freundlichkeit ausgestattet war. Diejenigen, die keinen Schlafplatz bei Jean Claude gefunden hatten, behalfen sich durch eine Eroberung des Abends.

All dies führte immer wieder zu mehr oder weniger großen finanziellen Sorgen für Jean Claude als verantwortlichem Mieter des Appartements. In der Wohnung gab es ein Telefon, das für jedermann zugänglich war. Dies hieß, dass er regelmäßig Telefonrechnungen über mehrere Hundert Schweizer Franken erhielt. Eines Tages waren es mehr als tausend Franken, daraufhin ließ er das Telefon entfernen. Da es zu dieser Zeit noch keine Mobiltelefone gab, musste von da an jeder, der telefonieren wollte, in eine Telefonzelle gehen.

Während dieser Zeit in Lausanne trieb Jean Claude regelmäßig Sport, Basketball – sein Lieblingssport – mit seiner Unimannschaft und Fußball in der Afrika-Mannschaft von Lausanne. Die Treffen der Mannschaften Genf gegen Lausanne fanden auf einem Platz im Park von Vidy statt. Die Spiele steigerten sich so manches Mal zu einem folkloristischen Vergnügen. Sobald der Abpfiff ertönte, stürmten alle ins »Chalet«, eine Pizzeria, um ihren Durst zu stillen, und Jean Claude vergnügte sich am »Baby Foot« (Tischfußball).

Wenn man eine offizielle Erlaubnis der Regierung Guineas für die Fortführung des Studiums in der Schweiz hatte, bekam man ein monatliches Stipendium von etwa 280 bis 300 Franken. Leider erreichte diese eher mäßige Unterstützung die Studierenden nicht. Jean Claude erhielt dieses Geld nur drei oder vier Monate lang. Im Juli 1973, als er zur Hochzeit seines Freundes und Unterstützers Jean Camara nach Rom fuhr, nahm er die Gelegenheit war, sich beim Botschafter Guineas über diese Situation zu beschweren, der ihm dann den Vorwurf machte, sich nicht rechtzeitig gemeldet zu haben und die Buchhaltung zu einer freundlichen Geste beauftragte. Die Geste war lächerlich.

Wenn es sein Studienzeitplan zuließ, machte er hier und dort kleine Jobs an Samstagen, um seine finanzielle Schieflage etwas zu verbessern. Eines Tages fand er eine Arbeit in einer Fabrik für Schmiermittel, die auch Reinigungsmittel verkaufte. Er verdiente 80 Franken pro Tag. Diese Summe wurde ihm am Ende des Tages bar ausbezahlt. Diese Konditionen machten die Arbeit für einen Studenten reizvoll, auch wenn sie schmutzig war. Wenn er am Abend nach Hause kam, gab er einen Teil des Geldes für das Essen seiner Besucher aus. Die Arbeit wurde in einer staubigen Lagerhalle durchgeführt, in der alte Klamotten nach bestimmten Kategorien sortiert werden mussten. Manchmal überließ er einem Freund seinen Arbeitsplatz, damit dieser sich etwas Geld verdienen konnte. Ein alter guineischer Beamter, der geflohen und ohne einen Cent in Lausanne gestrandet war, erzählte mit großer Begeisterung von einem Geschenk des Himmels. Jean Claude hatte ihm damit die Möglichkeit gegeben, eine Zugfahrkarte von Genf nach Paris zu kaufen, um sich einige Nächte in einem Hotel zu leisten und Freunde zu treffen. Jean Claude – charmant, klug und aufgeweckt mit einem angenehmen und Vertrauen erweckenden Äußeren – ließ die meisten Frauen nicht unberührt. Die Besitzerin und Chefin dieses Unternehmens verfiel dem Charme dieses höflichen jungen Mannes mit guten Manieren, der es sehr gut verstand, eine Freundschaft zu pflegen und zu halten. Die Dame war zwar 20 Jahre älter, aber sehr elegant, gutaussehend und geistreich. Auch war sie sehr großzügig; zu Jean Claudes Geburtstag lud sie seinen engeren Freundeskreis in ein gutes Restaurant ein. Man feierte fröhlich und ausgelassen. Zwei kluge Köpfe neckten und maßen sich, und dieses Spiel machte ihnen ungeheuren Spaß. Das gab den Geburtstagen einen besonderen Charakter. Auch Jahre später, wann immer Jean Claude in die Schweiz kam, besuchte er diese Dame und unterhielt diese Freundschaft bis an sein Lebensende. Seine Beziehung zu einer Italienerin war ganz anders: sehr theatralisch und kurz. Jedoch, selbst in diesen Augenblicken der Sorglosigkeit blieb »die Deutsche«, die in den Augen der Freunde die einzig legitime Beziehung war, gegenwärtig, und Jean Claude wurde scherzhaft von seinen Freunden daran erinnert: »Yamanni faama go«! (Vorsicht, die Deutsche wird kommen!) Man sprach Susu, damit nur die Freunde es verstehen konnten.

Weit weg von Guinea war Jean Claude nie ganz von seiner Familie getrennt. In Lausanne lebte ein sehr naher Verwandter von ihm, sein Cousin Bouba Aribot. Er war Apotheker und war mit einer Schweizerin verheiratet. Er war der älteste der guineischen Gemeinde in der Schweiz, somit war er eine Respektsperson und wurde bei wichtigen Entscheidungen gefragt. Es lebte auch eine weitläufige Cousine, Michelle, mit ihrem Mann Alain und ihren Kindern in der Nähe. Die Abende bei den Elzigs waren für ihn ein willkommener Ausbruch aus den täglichen Sorgen und Nöten. Die köstlichen Gerichte seiner Cousine ließen ihn eintauchen in eine familiäre Stimmung, und Alain, ein freundlicher, sympathischer und schelmischer Mann, machte gerne Späße, um die Abende so angenehm wie möglich zu gestalten. Von Zeit zu Zeit tauchten auch die Wahlschwestern Martine und Anna aus Paris auf. Es waren die Töchter von Adele und Alassane Diop, Freunde der Familie aus dem Senegal, mit denen er sich stark verbunden fühlte, vor allem Allassane Diop verehrte er sehr. Er war Minister für Kommunikation unter Sékou Touré und kam im Zuge der Säuberungsaktionen in das gefürchtete Gefängnis »Camp Boiro« in Conakry. Er verbrachte zehn Jahre dort. Diese Tatsache war ein weiterer Grund, sich von Sékou Touré und seinem Regime zu distanzieren.

Jean Claude beendete sein Studium der Psychologie mit dem Diplom, gab seine Wohnung auf, und die Clique von Montelly löste sich auf. Er verließ Lausanne mit einem Gefühl, nicht alles erreicht zu haben. Sein Freund Roby, der mit ihm in Lausanne lebte, hatte sein Studium nicht weitergeführt, sondern suchte nach einem leichteren Weg, um zu überleben. Roby hatte, nachdem Jean Claude Lausanne verlassen hatte, den Kontakt zu ihm abgebrochen. Er konnte wohl den Erfolg des Freundes und das eigene Versagen nicht ertragen. Später sprach Jean Claude oft mit Bitterkeit über diese Geschichte. Auch versuchte er einige Jahre danach, Roby in Frankreich wiederzufinden, erfuhr aber nach Jahren, dass der Jugendfreund, dessen Freundschaft er immer hochgeschätzt hatte, unter sehr traurigen Umständen an Krebs verstorben war.

In der guineischen Tradition, besonders bei den Susu, unterscheidet man zwei Arten von Eigenschaften bei einer Person. Solche, die andere Menschen anziehen, und solche, die durch ihre Art des Verhaltens andere abstoßen. Es ist unbestritten, dass die Aura, mit der der Schöpfer Jean Claude umgeben hat, wie ein Magnet auf andere Menschen wirkte. Seine große Fähigkeit zuzuhören und seine Toleranz machten ihn zu einem Verbündeten. Jedem seiner Gesprächspartner, auch Kindern, Jugendlichen oder Alten, ließ er die gleiche Beachtung und Aufmerksamkeit zuteil werden. Seine Hilfsbereitschaft ohne Rücksicht auf Herkunft oder Religion, ohne Zweifel ein Erbe seiner Erziehung zu Hause, waren für ihn eine Quelle intellektueller und moralischer Befriedigung. Anders ausgedrückt sagt man bei uns: Jean Claude hatte eine »gute Seele«.

Der nächste Lebensabschnitt führt Jean Claude nach Marokko. Wird er in diesem Land eine berufliche Zukunft haben?

Der lange Arm des Diktators Touré

Im Frühjahr 1977 hatte JC sein Diplom als Psychologe mit den Schwerpunkten Arbeits- und Betriebspsychologie abgeschlossen. Jetzt stellte sich die Frage, wie es für ihn weitergehen sollte. In der Schweiz bleiben, kam nicht in Frage. Sechs Jahre Studium in Lausanne waren genug. Nicht weil er die Schweiz und die Schweizer nicht mochte, sie hatten keinen Platz in der Vorstellung seines zukünftigen Lebens. Erst einmal alles zusammenpacken, bei einem Cousin die Dinge, die er vorerst nicht brauchte, abstellen, und dann für einige Zeit zu seinem älteren Bruder Pierre nach Marokko fahren, der dort als Chirurg in einer Klinik im Süden des Landes praktizierte. Er wollte Urlaub machen, um sich vom Stress des Diploms zu erholen. Danach konnte er weitersehen.

Während seiner Studienzeit waren Jean Claude und ich oft mit meinem kleinen Auto nach Marokko gereist, hatten das Land erkundet, hatten wunderbare Zeiten bei Pierre verbracht und durch ihn auch Freunde gefunden. Einige der Freunde dort waren ebenfalls Guineer wie JC und Pierre. Erstaunlicherweise kannten sich damals fast alle Guineer, die im Ausland lebten; sie hatten das einzige Gymnasium Conakrys durchlaufen, deshalb kannte man sich oder war verwandt oder befreundet. Egal wo wir gemeinsam hinfuhren, es gab immer einen Freund, eine Freundin, einen Cousin oder eine Cousine, die auf Grund der politischen Situation im Heimatland nach dem Studium nicht zurück nach Hause konnten oder wollten, sondern sich in Europa, den USA oder Kanada niedergelassen hatten. Man lebte aber immer in der Hoffnung, bald nach Hause zurückkehren zu können.

JC teilte mit ihnen dieses Schicksal. Auch er konnte aus politischen Gründen nicht nach Guinea zurück; das Regime in Conakry zählte ihn zur Opposition und somit zum Kreis der sogenannten fünften Kolonne. Es handelte sich dabei um eine Gruppe Guineer, die 1970 bei dem von Ansou Camara beschriebenen Putschversuch den damaligen Staatspräsidenten und Diktator Sékou Touré stürzen wollten. Der Versuch misslang! Es folgte eine Zeit der Festnahmen und Verdächtigungen im Land; viele Persönlichkeiten aus Politik und Militär wurden eingekerkert, gefoltert, und manche kamen dabei ums Leben. Touré verdächtigte daraufhin auch Landsleute, die im westlichen Europa lebten, da er überzeugt war, dass der Putschversuch von Frankreich aus gesteuert worden war.

Marokko war für JC eine brauchbare Alternative, auf afrikanischem Boden gelegen, und in der Nähe seines Bruders sein zu können, das waren für ihn zwei wichtige Pluspunkte. Nach einer kurzen Erholungszeit streckte er seine Fühler aus um herauszufinden, ob sich für ihn in diesem Land eine berufliche Perspektive entwickeln könnte. Das Glück war auf seiner Seite. Ein alter Freund aus der Schulzeit lebte in Khouribga. Er war Arzt und lebte dort mit seiner Frau. Über ihn erfuhr er, dass die Firma »Société des Phosphates Chérifiens« einen jungen Psychologen suchte, um einen ausscheidenden Kollegen zu ersetzen. JC bewarb sich sofort, hatte Glück und wurde eingestellt mit einer Probezeit von drei Monaten.

Khouribga, eine Retortenstadt in Marokko, liegt zwischen Casablanca und Marrakesch. Wenn man die Nationalstraße – heute ist es eine Autobahn – etwa auf halber Strecke Richtung Osten verließ, durchquerte man eine trockene, ockergelbe, hügelige Landschaft. Es wuchs hier nicht viel, hier lag und liegt ein Schatz unter der Erde – Phosphat, ein begehrter Basisstoff für Düngemittel. Diese Phosphat-Vorkommen haben dazu geführt, dass damals, 1977, aus dem Dorf Khouribga eine kleine Stadt wurde. Heute zählt diese Stadt knapp 200.000 Einwohner. Es gab drei Ortsteile, Quartiers genannt, einen für die Kader und höheren Angestellten, einen anderen für die Bergleute, die in die Schächte einfuhren, um das begehrte Material abzubauen, und das alte ursprüngliche Dorf. Für diese Arbeiter und ihre Arbeitsplätze brauchte die Firma einen Betriebs- und Arbeitspsychologen.

Wir freuten uns alle über diesen Erfolg, und für JC ging ein Traum in Erfüllung. Es war eine unglaubliche Chance, als junger Mensch, zudem noch als Ausländer, in einer so großen und bekannten staatlichen Firma einen Arbeitsplatz zu finden.

Ich arbeitete damals in Königstein / Falkenstein im Taunus als frisch ausgebildete Ergotherapeutin. Als mich seine Nachricht erreichte, nahm ich Urlaub und besuchte ihn in Khouribga. Man hatte JC eine kleine Wohnung zugewiesen, und wir schmiedeten Pläne für unsere Zukunft, denn wir hatten uns nach acht Jahren Fernbeziehung für eine gemeinsame Zukunft entschieden. JC ging morgens in sein Büro und erzählte dann am Abend von seinen ersten Arbeitserfahrungen.

Er führte Tests bei Bewerbern für die unterschiedlichen Bereiche des Phosphatabbaus durch, begutachtete die Arbeitsplätze und war fasziniert von dieser ihm völlig unbekannten Welt der Minenarbeiter.

Zurück in Falkenstein begann ich, meine Auswanderung nach Marokko zu planen. Weit kam ich dabei nicht, denn schon nach kurzer Zeit kam die Nachricht von JC, dass er innerhalb von, ich glaube, vierzehn Tagen oder nur acht – ich weiß es nicht mehr genau – das Land verlassen musste. Neues Ziel und einzige Möglichkeit war Frankfurt / Königstein.