Kitabı oku: «EIN FRANKFURTER AUS AFRIKA», sayfa 4

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Eine lange Reise ging vorerst zu Ende

Er verließ Deutschland 1971, um nach Italien zu gehen, von Italien in die Schweiz und nach Beendigung des Studiums von der Schweiz nach Marokko, um dann von Marokko unfreiwillig zurück nach Deutschland zu kommen. Marokko musste er verlassen, da die guineische Botschaft gegen seine Arbeitserlaubnis als Betriebspsychologe interveniert hatte. Er war zu einer »persona non grata« geworden, ein Opfer des Regimes in Conakry, das allen qualifizierten guineischen Kadern, die nicht linientreu waren, in befreundeten Ländern Guineas das Leben unmöglich machte. Einige seiner Beziehungen zu Oppositionellen in der Schweiz und in Frankreich und seine grundsätzlich kritische Haltung gegenüber der Regierung in Guinea wurden ihm damals von Mitgliedern der Regierung in Conakry nicht verziehen.

Was tun in Deutschland? Zuerst einmal den Schock verdauen – Job suchen, egal welchen – Fuß fassen! Zweieinhalb Jahre suchen, hoffen, zweifeln und dann der Arbeitsplatz bei der Evangelischen Kirche, eine Erleichterung für uns alle.

In dieser Zeit des Suchens und der Versuche, eine Zukunft aufzubauen – wir hatten 1978 geheiratet –, starb Jean Claudes Vater 1979 nach mehreren Schlaganfällen. Jean Claude konnte aus politischen Gründen immer noch nicht nach Conakry reisen. Sékou Touré war noch an der Macht! Ich flog mit dem neun Monate alten Jérôme, unserem ersten Kind, und mit Ria, einer sehr guten Freundin, nach Conakry, um an der Trauerfeier zum 30 Tag nach seinem Tode teilzunehmen.

Meine erste Reise nach Guinea

Erster Flug nach Conakry! Meine dort lebende Schwiegermutter hatte ich bereits ein Jahr vorher bei einer Reise in den Senegal / Dakar kennengelernt, sodass ich recht zuversichtlich und neugierig die Reise in das mir bis dahin unbekannte Land Guinea antrat. Jean Claude hatte mir so viel von seiner Heimat erzählt, vor allem aus seiner Kindheit, dass in meinem Kopf Bilder entstanden waren, die, als wir in Guinea angekommen waren, nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun hatten.

Fatou, Jean Claudes Mutter, versuchte, uns den Aufenthalt so angenehm wie nur möglich zu gestalten. Es wurde geplant und organisiert, und die Pläne, die am Tag davor hundertprozentig sicher schienen, wurden umgestoßen, und es wurde von neuem geplant und organisiert – Auto besorgen – wird es Benzin geben – bei den Behörden einen titre de voyage besorgen – wo werden wir übernachten – wie ist die Stimmung im Land, können wir die zwei »Weißen« ohne Risiko reisen lassen (natürlich nur in Begleitung von JCs Bruder Gérard)? Wir wollten die Orte besuchen, die uns JC aus seiner Kindheit und Jugendzeit beschrieben hatte, aber uns standen nur zwei Wochen Zeit zur Verfügung. Ich hatte fast schon alle Hoffnung aufgegeben, als es hieß: »Morgen sechs Uhr fahren wir los.« Es wurde zehn Uhr, aber wir fuhren. Ich war beeindruckt von der starken Persönlichkeit meiner Schwiegermutter; sie hatte alles in der Hand und regierte mit festem Griff ihr Reich. Dieses Reich war nicht nur der Hof, in dem sie lebte, sie hatte Beziehungen zu hochrangigen Politikern, und auch in ihrer Großfamilie war sie eine manchmal gefürchtete, aber vor allem hochgeschätzte Frau.

Fatoumata Aribot

Aus einer gebildeten Familie stammend, war sie die wichtigste Person in Jean Claudes Leben. Sie war die jüngste und einzige Tochter einer gesellschaftlich anerkannten Familie in Conakry und gehörte zu den wenigen jungen Mädchen, die eine höhere Schulbildung absolvieren durften. Im Senegal gab es das einzige Lehrerinnenseminar für ganz West-Afrika. Dort wurde sie ausgebildet.

Als junge Lehrerin war sie bereits politisch engagiert und kämpfte für die Rechte der Frauen und die Befreiung von der französischen Kolonialmacht. In der Unabhängigkeit auf der Basis einer sozialistischen Revolution sah sie den einzig möglichen Weg aus Unterdrückung und Armut. Wegen ihrer Klugheit und ihres starken Willens schaffte sie es unter Sékou Touré in hohe politische Ämter. Als sich Sékou Touré jedoch zum Diktator entwickelte, zog sie sich mehr und mehr aus öffentlichen Ämtern zurück und lebte in Conakry in ihrem Haus. Ihre politischen Beziehungen blieben ihr bis an ihr Lebensende. Durch ihr kluges und umsichtiges Verhalten geriet sie nicht wie viele andere Politiker in den 1970er Jahren in politische Gefangenschaft, die nicht selten mit Folter und Mord einherging. In vielerlei Hinsicht brach sie mit vorhandenen Traditionen und Rollen, zum Beispiel trug sie in den 1950er Jahren bereits Hosen und provozierte damit die traditionelle, in großen Teilen islamisch geprägte Gesellschaft; aber sie war nie respektlos gegenüber Traditionen. Ihr Einsatz für die kleinen Leute und die Unterstützung all jener, die bei ihr Hilfe suchten, brachten ihr in dieser patriarchalen Gesellschaft Respekt und Anerkennung landesweit. Man nannte sie nicht bei ihrem Namen, sondern man nannte sie »Madame«. Diese starke und durchsetzungsfähige Mutter hat die Persönlichkeit Jean Claudes erheblich geprägt, denn er musste lernen, seine Interessen zu vertreten, sich durchzusetzen – auch oft gegen ihren Willen. Er rieb sich an ihr, lernte von ihr, und sie blieb immer sein Vorbild.


Jean Claude mit seiner Mutter (1951/52)


Fatou Anbot vertritt Guinea bei einer Weltfrauenkonferenz


JC tanzt mit seiner Mutter

Von den drei Söhnen war Jean Claude derjenige, der stark genug war, sich zu behaupten und seinen Weg zu gehen. Nach der Trennung der Mutter vom Vater erreichte er es, dass die drei Brüder auch gegen den Willen der Mutter die Schulferien beim Vater verbringen konnten. Der zwei Jahre ältere Bruder Pierre ging ins Ausland zum Studium und ließ sich danach in Marokko als Chirurg nieder. Auf diese Weise entzog er sich dem Einfluss seiner Mutter, die seine Lebensweise als Junggeselle nicht akzeptieren konnte. Er heiratete erst nach ihrem Tod. Gérard, der Jüngste der drei Söhne, hatte die größten Probleme sich abzugrenzen und war sehr viel stärker auf die Mutter fixiert. Er lebte in ihrem Haus. In Guinea war und ist es gesellschaftlich problematisch, nicht verheiratet zu sein, egal ob Mann oder Frau. Fatou Aribot verheiratete ihren jüngsten Sohn zweimal ohne Erfolg, schon nach kürzester Zeit kam es zu Trennung und Scheidung.

Albert Diallo

Der Vater, ebenfalls Lehrer, war mehr von der französischen Kolonialzeit geprägt. Als Sohn eines französischen Kolonialbeamten und einer Frau aus Guinea, die sehr jung verstarb, wuchs er in einem Heim auf.

Der Kampf gegen die Kolonialmacht war für ihn stark von ambivalenten Gefühlen geprägt, da er als sogenannter »Mischling« weniger unter Unterdrückung und rassistischen Demütigungen zu leiden hatte. Nachkommen von Weißen standen in der Hierarchie über den Schwarzen. Auch später während der ersten Republik gab es Gruppierungen, die aufgrund ihrer helleren Hautfarbe den anderen das Gefühl vermittelten: »Wir sind etwas Besseren als ihr.« Dieses Phänomen zeigte sich vor allem bei der Schicht der Intellektuellen. Sie hatten in der Zeit, als die Franzosen im Land waren, leichter Zugang zu Bildung und gehörten somit zur Elite des Landes. Diese Gründe und sicher auch andere führten dazu, dass sich der Vater Albert Diallo während der Herrschaft des sozialistischen Diktators Sékou Touré politisch bedeckt hielt und sich vorwiegend auf seine Arbeit als Lehrer und später als Schulinspektor konzentrierte und hier Karriere machte. Fatou und Albert heirateten Anfang der 1940er Jahre. Er war Katholik, sie war eine Muslima. Bei beiden spielte die Religion nur eine untergeordnete Rolle. Sie bekamen vier Kinder: Pierre, Jean Claude, Gérard und ein Mädchen, das mit drei Jahren starb. Die Ehe hielt nur einige Jahre; sie war geprägt von heftigen Auseinandersetzungen, die dann, verschärft durch erheblichen Alkoholkonsum des Vaters, zur Scheidung führten. Die Tradition verlangte, dass die Kinder den Glauben des Vaters übernahmen.


JC mit seinem Vater Albert Diallo


Jean Claude (Mitte) mit seinen Brüdern Pièrre und Gérard und der kleinen Schwester

Das bedeutete, die Mutter sorgte dafür, dass sie im katholischen Glauben erzogen wurden, auch nach der Scheidung. Die drei Söhne blieben bei der Mutter. Fatou heiratete noch zweimal nach traditionellen Regeln. In den letzten Jahren unter der Gewaltherrschaft von Sékou Touré wandte sie sich mehr dem Islam zu, machte eine Pilgerfahrt nach Mekka und wurde Haddscha. Trotzdem hat sie immer zwischen traditionellen Glaubensformen und dem Islam jongliert, was man in der gesamten guineischen Gesellschaft findet. Religiöse Konflikte gab es nicht und gibt es auch heute nicht. Man verhält sich tolerant und respektvoll gegenüber anderen Glaubensformen.


JC (links) mit Gérard, Pierre und vier seiner Halbgeschwister

Jean Claude analysierte das Scheitern der Ehe seiner Eltern ohne Schuldzuweisungen. Die Mutter, zu stark und unabhängig, um in das Schema einer traditionellen Frauenrolle zu passen; der Vater, der damit nicht umgehen konnte. Es konnte nicht gut gehen. Auch er heiratete einige Jahre nach der Scheidung wieder. Die sechs Halbgeschwister, die aus dieser Ehe hervorgingen, standen in engem Kontakt zu den Söhnen von Fatou. Nach dem Tod des Vaters kümmerten sich Jean Claude und seine Mutter so gut sie konnten um die Halbgeschwister und die Stiefmutter.

Eine Gesellschaft in Angst

Zurück zu unserer Reise nach Guinea. Wir erlebten eine Gesellschaft, die von Angst geprägt war. Ich wusste nicht genau, was vor sich ging, wir spürten aber die angespannte Atmosphäre. Fatou war mit allem, was sie sagte, sehr vorsichtig, um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen, denn man wusste nie, ob man auf einer schwarzen Liste von Sékou Touré stand oder nicht. Wichtige Dinge wurden nachts erledigt; viele Leute schliefen nachts kaum, aus Angst, sie könnten abgeholt werden und im Gefängnis verschwinden. Gérard, der jüngere Bruder von Jean Claude, betäubte seine Hilflosigkeit mit Alkohol. Er hatte sein Jurastudium beendet, war aber ohne klare Vorstellung, was er damit anstellen sollte. Zwei Jahre später, 1980, kam er nach Deutschland, weil er dem Druck der politischen Situation und der Dominanz seiner Mutter nicht mehr standhielt; er hoffte, in Deutschland bei seinem Bruder sein Leben neu zu erfinden, was ihm leider nicht gelang. Wir flogen voller unterschiedlichster Eindrücke, aber auch mit einer gewissen Erleichterung, dass alles gut gegangen war, zurück nach Frankfurt.

Jean Claude zwischen Frankfurt und Conakry

JC begann seine Arbeit im Psychosozialen Zentrum in Frankfurt-Eschersheim im Juni 1980. Der Leiter des Zentrums war Carlos Corvalan, ein Chilene, der mit seiner Frau und seinen Kindern als politischer Geflüchteter in Frankfurt gestrandet war und dann unter dem Dach des Diakonischen Werkes in Hessen und Nassau (DWHN) dieses Zentrum aufgebaut hatte. Jean Claudes Arbeitsfeld war vorwiegend die Beratung und Therapie afrikanischer Flüchtlinge. Zu dieser Zeit waren es viele Geflüchtete aus Eritrea, aber auch Menschen, die aus anderen afrikanischen Ländern kamen. Weitere Aufgaben waren die Zusammenarbeit mit Sozialamt, Ausländeramt, Rechtsanwälten und nichtstaatlichen Organisationen sowie Öffentlichkeitsarbeit und das Mitwirken bei Tagungen – regional und überregional. Schon in dieser Zeit machte sich JC einen Namen, häufig wurde sein Rat eingeholt, sobald es sich um Fragen zu Flüchtlingspolitik und Fluchtursachen handelte.

Beispiele von Kalendereintragungen: Zwischen all den rein beruflichen Einträgen steht am

9. März 1984 – Josefs Geburtstag – Sau abholen!

Man soll die Feste feiern, wie sie fallen, Josefs Geburtstag war ein guter Grund, um ein Spanferkel am Spieß im Garten in der Grempstraße zu braten. Jean Claude und Josef waren schon während seiner Studienzeit in Lausanne Freunde geworden; sie hatten sich 1975 bei einem Fest in Höchst kennengelernt und pflegten das gleiche schwerwiegende Hobby »Fußball«. Ria, seine Frau, und ich machten damals gemeinsam die Ausbildung zur Ergotherapeutin. Eine langanhaltende intensive Freundschaft entwickelte sich.

24. März 1984 – Tod Sékou Tourés während einer Herzoperation in den USA

Anfang April 1984 reiste JC zum ersten Mal nach 15 Jahren Exil nach Hause nach Conakry. In dieser Zeit kam unser drittes Kind im Haus in der Grempstraße in Frankfurt-Bockenheim zur Welt – Hausgeburt – Jean Claude war noch in Conakry. Er kam zwei Tage danach zurück und war glücklich und voller Begeisterung, zum einen, weil er nach zwei Söhnen endlich eine Tochter hatte, und zum anderen, weil die neue Situation in seinem Heimatland ihn überwältigte. Er schmiedete Pläne und wollte mitwirken an der Neugestaltung seines Landes. Im Sommer planten JC und der Frankfurter Filmemacher Malte Rauch eine Reise nach Conakry, um einen Film über Guinea zu drehen.

Ein Exposé wurde entwickelt, und die Planungen für den Film nahmen konkrete Formen an. Im Oktober oder November wurde ein weißer Ford-Kleinbus nach Conakry verschifft, um mit dem Filmteam durchs Land fahren zu können. Jean Claudes Mutter sorgte vor Ort für die notwendigen Vorbereitungen. Am 24. November flog das gesamte Filmteam nach Conakry – Anfang Dezember 1984 folgte ich mit Nima, unserer kleinen Tochter.

Von nun an ging alles Schlag auf Schlag. Jean Claude lernte während eines Interviews den Staatschef Lansana Conté4 kennen und wurde Anfang Dezember 1984 zum Staatssekretär in dessen Kabinett ernannt, zuständig für die Guineer im Ausland, zugeordnet dem Außenministerium.

MALTE RAUCH

Der Film »Frankfurt – Conakry, Rückkehr ins Land des Elephanten« entstand kurz vor der Ernennung Jean Claudes zum Staatssekretär in der Regierung Lansana Contés in Conakry. Malte Rauch schrieb im Juli 2018 den Text »Über meinen Freund«.


Malte Rauch mit seiner Lebensgefährtin Eva Voosen

Geboren in Frankfurt am Main, hat dort studiert und für die Studentenzeitung diskus als Redakteur gearbeitet. Redakteur beim hr-Jugendfunk und Autor beim hr-Schulfunk. Dann einige Jahre festangestellter Producer / Scriptwriter beim BBC Worldservice in London und Korrespondent für französische und deutsche Zeitungen. Danach permanenter Vertreter und Filmreportagenmacher aus Paris für das neue WDR-3 Kulturmagazin Spectrum. Buchautor für Europäische Verlagsanstalt und Rowohlt. Danach und seither freier Dokumentarfilmemacher für Das Erste, ZDF, arte, WDR, Channel Four und das Kino – aus Europa, Afrika (öfters zusammen mit Jean Claude), USA und Asien. Lehrbeauftragter an der Frankfurt University of Applied Sciences.

Über meinen Freund

Es ist lange her, kommt mir aber vor wie gestern: Ich rief eine Telefonnummer an, die auf einem Plakat der Buchhandlung »Land in Sicht« im Nordend stand; ein Film über Sékou Touré und Guinea wurde dort angekündigt, aber ohne Angabe eines Datums. »Ich interessiere mich für den Film«, sagte ich zögerlich am Telefon »und würde gerne wissen, wann das stattfindet«. Ich telefoniere ungern mit Leuten, die ich nicht kenne. Das mag seltsam klingen, aber noch heute spüre ich eine heitere Überraschung und freudige spontane Vertrautheit, die die Stimme am anderen Ende der Leitung in mir ausgelöst hat. Ob das was werde mit der Aufführung und wann, sei noch unklar, sagte die Stimme, aber es sei wunderbar, dass ich mich dafür interessiere, und sie würden mir auf jeden Fall Bescheid sagen, wenn es soweit sei.

Ich habe den Film nie gesehen, aber später zusammen mit Jean Claude Diallo (der am anderen Ende der Leitung war) mehrere Dokumentarfilme gemacht, die alle inspiriert und beflügelt waren von dieser lebhaften und fröhlichen Neugierde auf die Welt und die, die darin leben. »Die Welt lebbarer machen« war eine seiner genialen Wortschöpfungen. Wenn wir mit den Filmen über Guinea oder über Flüchtlinge an Diskussionsveranstaltungen – meistens im Rahmen der Kirche – teilnahmen, war seine These, dass man statt Entwicklungshilfe lieber dafür sorgen sollte, dass das Leben hier bei uns in Europa lebbarer, gerechter und sinnvoller gemacht wird; und da die Afrikaner sowieso alles nachmachen, was aus Europa kommt, so Jean Claude, werden sie sich auch an dieses Vorbild halten und sich gemeinsam mit uns weiterentwickeln.

»Das Eiapopeia vom Himmel, womit man einlullt, wenn es greint, das Volk, den großen Lümmel,« nach Heinrich Heine, – das war nicht Jean Claudes Ding bei seiner Arbeit in der Evangelischen Kirche; er redete gern Tacheles. Als er gefragt wurde, ob man nicht den armen Hungernden in Afrika helfen müsste, sagte er, dass »eine Hilfe, die uns gerade noch am Leben erhält, nicht gegeben werden sollte, weil sie eine wirkliche Veränderung der Missstände verhindert. Deshalb muss man uns in Ruhe lassen, damit wir sehen, wie wir unsere Probleme selbst lösen.«

Aber technische Hilfe zum Beispiel durch die GTZ5? Dazu Jean Claude: »Man baut große Staudämme, Lager usw. Und dann sind die Afrikaner ewig in Abhängigkeiten, man denke nur an Ersatzteillieferungen und die Kreditrückzahlungen. Zumeist betrifft diese Hilfe ohnehin nur bestimmte Sektoren, die nicht lebenswichtig für die Bevölkerung sind. Die technische Hilfe dient in erster Linie deutschen Wirtschaftsinteressen.«

Als Filmemacher erlebt man oft genug langweilige Diskussionen nach den Vorführungen; nicht so mit Jean Claude. Nach einer längeren Debatte über das Für und Wider der kirchlichen Hilfe für die Unterentwickelten stand eine ältere Dame auf und rief geradezu verzweifelt: »Aber was soll dann aus uns werden, Herr Diallo, wenn wir nicht mehr helfen dürfen?« Bei einer anderen Diskussion mit afrikanischen Studenten über die sich ständig verschlechternde Situation in Afrika rief ein junger Afrikaner dramatisch in den Saal: »Wohin führt uns das, Jean Claude?« Woraufhin der antwortete: »Das siehst Du doch, Mann, nach Frankfurt!« In diesem Frankfurt – und ich bin wahrlich nicht der Einzige – fühlte ich mich wohl, solange Jean Claude Diallo unser spirituelles Oberhaupt war. Inländer-Ausländer? Deutsche-Europäer? Schwarze-Weiße? Mit Jean Claude zusammen entwickelten wir unsere eigene gemeinsame Staatsbürgerschaft, wir waren Frankfurter. Und ich bekam von niemandem sonst so wunderbare Postkarten aus dem Urlaub wie von ihm, wenn er zum Beispiel schrieb: »Ich habe Sehnsucht nach euch.« Um so etwas zu schreiben, waren wir anderen wahrscheinlich (noch) zu verklemmt.

Jean Claude hatte unseren Film Viva Portugal gesehen über die Rückkehr des Landes zur Demokratie nach langen Jahrzehnten der Diktatur. So einen Film wollte er über sein gerade erst vom Diktator Sékou Touré befreites Land machen. Seine Begeisterung für dieses Projekt steckte erst mich an und dann die Redakteure beim ZDF und dem WDR, die zunächst müde abgewunken hatten. Der Einsatz von Jean Claude und mir beflügelte dann die sonst konkurrierenden Redakteure so sehr, dass sie schließlich gemeinsam überlegten, wie sie das Budget für den Film zusammenbekommen konnten. Heraus kam »der unprätentiöseste Dritte-Welt-Dokumentarfilm, den ich kenne«, wie ein Kritiker später nach einer Kinoaufführung schrieb – und er ergänzte: »Wenn der Film in Fahrt kommt, enthüllt sich die lässig langsame Authentizität als ein verblüffendes, überzeugendes Darstellungsmittel.« Unschwer, Jean Claudes Handschrift dabei zu erkennen.

Für die Guineer war Jean Claude nicht nur »I’allemand«, weil er meistens pünktlich kam und sehr engagiert bis stur bei der Sache war, er war auch ET, »I’Extra Terrestre«, der Außerirdische, der aus dem sicheren deutschen Wohlstand in Frankfurt am Main in ihr darniederliegendes Land kam, um sich intensiv mit dem Schicksal der aus den Todeslagern Befreiten auseinanderzusetzen, wie dem stadtbekannten »Seni-La-Presse« aus dem »Camp Boiro«. Als er zum Verantwortlichen für die Medien ernannt wurde, setzte er sich sofort für die Befreiung von Presse, Radio und Fernsehen von der Zensur ein. Aber er ging auch gegen jene vor, die sich nach wie vor die Taschen vollstopften, auf Kosten der Bevölkerung; jene »Zehn-Prozent-Minister«, wie die Nutznießer der Korruption im Volksmund hießen. »Da werden einfach 20.000 Schweizer Franken zu viel auf die Rechnung für einen Regierungsauftrag geschrieben«, erzählte er uns damals empört, »die kassiert dann der Regierungsvertreter, aber Guinea muss das alles bezahlen«. Als Mitglied einer neu gegründeten Wirtschaftskommission wollte er eine »débat national«, eine landesweite öffentliche Debatte über die Vorschläge des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank für eine angebliche Gesundung des Landes in Gang bringen. Er hatte bei seinen Verhandlungen mit deren Vertretern schon bald erkannt, dass sie die wirklich Mächtigen in der Dritten Welt waren. »Ich hatte das Gefühl, dass eigentlich sie es sind, die uns regieren, dass wir nur Hampelmänner und Marionetten sind. In Sitzungen mit IWF-Vertretern wurden wir immer wie kleine Schüler behandelt.«

Manches erinnerte uns an unsere Heimatstadt Frankfurt: Einmal drehten wir das schöne Viertel »quartier du rail« im Zentrum von Conakry; es waren schöne alte Häuser im Kolonialstil, gebaut für die Angestellten der Eisenbahn. Sie sollten abgerissen werden, um modernen Neubauten zu weichen. In Madame Yattaras Restaurant filmten wir dann die französischen »Projektentwickler«, die beim dritten Gang und vielem Rotwein Jean Claude überschwänglich erzählten, was für ein Schnäppchen für sie das Projekt »quartier du rail« sei, wie auch andere Geschäfte, die sie quasi über Nacht steinreich machen würden. Die Bevölkerung wusste Bescheid, blieb aber machtlos. Über téléphone-trottoir wussten sie auch, was später Jean Claude bestätigt fand, dass der Gouverneur der Zentralbank im Zusammenhang mit dem Projekt sieben Millionen US-Dollar nach Paris überwiesen hatte und dann selbst dorthin abgehauen war.

Einige Jahre später, nachdem Jean Claude von allen seinen Ämtern zurückgetreten und nach Frankfurt zurückgekehrt war, besuchte er als Privatmann noch einmal Conakry. »Erinnerst du dich an diese tausend Wohnungen, die im >quartier du rail< gebaut werden sollten?« fragte er mich. »Diese Wohnungen sind nie gebaut worden. Heute ist an diesem Platz kein einziges Haus mehr zu sehen; die wurden total abgerissen. Woanders werden Prachtvillen gebaut, gegen die Wohnungsnot wird nichts unternommen. Die kleinen Leute bauen sich irgendwelche Spelunken, damit sie das Gefühl haben, sie haben ein Haus, aber bei jedem Regen werden sie nass, weil alles undicht ist.«


Essenszeit! Filmteam von Malte Rauch stärkt sich

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