Kitabı oku: «Visitors - Die Besucher», sayfa 5
Die Hand stopft die Werkzeuge zurück in den Blouson und greift nach der Kamera. Einige abschließende Schwenks, kommentiert mit gemurmelten Worten. Abschied von der Hundeschnauze. Ein letzter Check. Er verriegelt die Balkontür. Der Trinker ein lebloses Wrack. Das ernste Gesicht des Besuchers in der Kamera. Er bemüht sich um nüchterne Ernsthaftigkeit. Seine Erektion ignorierte er wie eine lästige Angewohnheit. Jede Kleinigkeit konnte die Wertung beeinflussen.
Die Wohnungstür schließt die Schwärze der Nacht in den Bauch des Zimmers ein. Die Geräusche und Stimmen in den Bauten beruhigen den Besucher. Er ist dankbar. Von Kindesbeinen an hat er die Stille gefürchtet. Die Plastiktüte war an ihrem Platz. Er wusste eine Abkürzung, die ihn sicher zu seinem Wagen geleiten würde. Mit weit ausholenden Schritten ging er auf den Saum der Nadelbäume zu, bis sie ihn verschluckten. Nur die Plastiktüte war noch einige Schritte weit schemenhaft zu erkennen.
Dann war der Besucher gegangen.
V.
Er wusste nicht, wovon er erwacht war, aber er war sich sicher, dass es nichts Erfreuliches war. Orientierungslos starrte er auf die Leuchtzeiger des Weckers, die den frühen Morgen in fluoreszierende Portionen schnitten und es mit kühler Zurückhaltung ablehnten, an den Schicksalen derer teilzuhaben, denen sie ihren Anteil Zeit zumaßen.
Endlich hatten seine tastenden Finger die Brille gefunden. Da war ein Ticken in seinem Kopf, das nicht von dem Uhrwerk stammte. Es war ein kleines, beunruhigendes, seltsam quietschendes Geräusch, das ihn hatte erwachen lassen. Lange war es ihm gelungen, die Störquelle in seinen Traum einzubeziehen. Wie immer nach einer außergewöhnlichen Anstrengung war er in einen tiefen Schlaf gefallen. Wie immer hatte er ein Gefühl bodenlosen Stürzens aushalten müssen, das ihn Klafter von seinem Bewusstsein trennte und ihm Träume bescherte, auf die er gerne verzichtet hätte.
Mit einem leichten Ekelgefühl rollte er den Kopf von dem feuchten Kissen. Ohne es zu prüfen, wusste er, dass auch sein Schlafanzug verschwitzt war und einen unangenehmen Gestank absonderte. Es war der Gestank von Angst und Reue, durchwoben von einem Hauch Erleichterung. Die allzu vertrauten Bilder seiner Träume schwammen in sein Bewusstsein und forderten seine ganze Aufmerksamkeit. Der Skorpion reckte seinen Stachel der Hand entgegen, die immer tiefer herabsank, bleischwer und unerbittlich. Die Gabel mit ihren grotesk vergrößerten Zinken wandte sich mit zeitlupenhafter Grazie von einem rasch aus dem Blickfeld verschwindenden Teller ab und nahm an Fahrt auf, sobald sie des nackten Beines ansichtig wurde. Sie stach darauf zu, riss die Hand mit sich, die sich der wilden Jagd nicht erwehren konnte, blinkte bösartig mit spitzer Metallwehr. Alles in dem Träumer wehrte sich gegen die Selbstverletzung. Er kämpfte und keuchte, zerwühlte Laken in dem vergeblichen Abwehrkampf und tat das erneut in seinem halb wachen Zustand.
Der abrupte Szenenwechsel verschlug ihm den Atem. Er japste, rang nach Luft und spannte die Muskeln an. Sein Schultergürtel verkrampfte im Schlaf. Kopfschmerzen kündigten sich mit einem dumpfen Pochen an. Für Augenblicke fühlte er sich erleichtert, ohne wirklich beruhigt zu sein. Der Aufstieg über den schmalen, steilen Waldpfad war anstrengend. Er war den Weg in seinen Träumen schon oft gestiegen. Seine Füße versanken mit jedem Schritt in moderndem Blattwerk. Er stemmte sich mit den Hacken in den weichen Boden, bis sich seine Fersen in den Wanderstiefeln an dem Leder unangenehm rieben. Nur noch eine Rechtsbiegung und ein giftiger felsiger Anstieg und er würde auf die prächtige Blumenwiese hinaustreten, deren Blüten sich einer Insekteninvasion entgegenstreckten und die den Blick auf die nahe Hütte freigab. Der Träumer mobilisierte die letzten Reserven, um der feuchten, dunklen Kühle zu entkommen, die nach Pilzverstecken und Tannennadeln roch. Die Zunge klebte an seinem Gaumen. Seine Lungen waren beschwerlich arbeitende Blasebalge. Er haderte mit seiner Kondition. Die Kopfschmerzen hatten sich Paukenschläge als neue Begleitmusik gewählt. Dann die letzten Schritte mit vorgebeugtem Oberkörper und halb geöffnetem Mund. Die Wiese hatte eine Schar Butterblumen als Vorhut an den Waldrand geschickt. Er blieb mit rasselndem Atem stehen und stützte die Hände auf die Knie. Mit zusammengekniffenen Augen suchte er die Hütte.
Die Erinnerung an das folgende Geschehen ließ den gerade Erwachten die Zähne zusammenbeißen. Er wälzte sich auf die Seite und schüttelte den Kopf, ohne die Bilder aus seinem Gedächtnis bannen zu könne. Wie in einer modernistischen Parodie auf das antike Drama des Sisyphus rollte die Wiese unter den Füßen des Wanderers weg wie eine Kulisse. Er berührte nicht einmal mehr den Boden, strampelte kläglich in seiner Hilflosigkeit, reckte die Arme nach der sich von rechts in rasendem Tempo aufwickelnden Hütte mit den rastenden Spaziergängern. Er vernahm kein Geräusch und keinen Windzug. Alles war unwirklich, voller rasender Farbtupfer, bis der Wald herannahte, in dem er jeden Flecken kannte.
Der Traum setzte ihn auf dem Pfad ab, der in den dunklen Tann hineinführte, steil zwar, aber nur eine kurze Strecke, bis man nach einer gewaltigen Kraftanstrengung an einer lieblichen Blumenwiese auf eine Lichtung trat und die Erfrischungen der Wanderhütte wittern konnte. Nichts war mit der Niedergeschlagenheit vergleichbar, die den Träumer ergriff, wenn er die Qual des Aufstiegs ohne Hoffnung auf Absolution in Angriff nahm, denn der Traum entließ ihn nicht aus der unerbittlichen Schleife, bis sich die Route nach endlosen Anläufen nicht mehr aufrollte, weil sich der Träumer das Erwachen mit knirschenden Zähnen und einem Tribut an Angstschweiß in den Morgenstunden erkämpft hatte.
Es machte den Mann missmutig, dass er sich selbst nach dem Erwachen von diesen Schimären der Nacht den Atem rauben ließ. Hastig fuhr er in seine Pantoffeln, denn mit einem Mal war ihm klar, was das Geräusch zu bedeuten hatte, das er mit dem Aufrollen des Bergpanoramas in Verbindung brachte. Er seufzte und fuhr sich durch die Haare. Vom Treppenabsatz aus spähte er vorsichtig auf die zerbrechliche Gestalt hinunter, die mit monotoner Gleichmäßigkeit die Klinke der Eingangstür herunterdrückte, losließ, einen Trippelschritt zurückwich und mit irritierender Präzision wieder die Klinke ergriff, die klickte und quietschte, so wie es ihrer Natur entsprach.
Das zwergenhafte Wesen stak in einem überdimensionierten Morgenmantel, der die Konturen zu einem buckligen Etwas bauschte, das ständig in Bewegung war. Am linken Arm hing ein Flechtkorb von immensen Ausmaßen, dessen signalrotes Futter eine Reihe deplatziert wirkender Gegenstände präsentierte. Am auffälligsten war die lange Reihe von Buntstiften, sorgfältig angespitzt und einsatzbereit nach Farben und Härtegraden sortiert. Ihre geschlossene Reihe hatte etwas soldatisch Arrogantes. Wahrscheinlich war das der Grund, dass sich eine altehrwürdige Kaffeemühle mit Drehkurbel in die Ecke gedrückt hatte, als wolle sie sich jeder Aufmerksamkeit entziehen. Ein Satz Damenunterwäsche schmiegte sich entschlossen an ein braun und gelb marmoriertes Kuchenviertel, dessen Flanken unorthodox geplündert waren. Man konnte deutlich erkennen, wo die Fingerkuppen gegraben hatten und fündig geworden waren. Es waren die Finger, die die Kuchenkrümel auf den Fliesen und Teppichen des Hauses in gewundenen Ameisenpfaden fallen ließen. Aus dem ersten Stock betrachtet erschienen die Kuchenspuren wie schmale Narben auf dem Gewebe des Hauses. Sie verwandelten eine ordinäre Eingangshalle in ein futuristisches Stillleben, das sich jede Einmischung verbat.
Mit vorsichtigem Tritt ging der Mann die Treppe hinunter. Es wäre zu einfach gewesen, seinen Traum für die Szene verantwortlich zu machen. Unleugbar aber waren die Träume ein Spiegelbild für die Mühsale, die er sich mit der Pflege seiner Mutter aufgeladen hatte. Die Demenz war eine anfänglich zart knospende Abweichung vom gewohnten Verhalten gewesen und verschlang sie beide nach kurzer Zeit mit ihrem unersättlichen Hunger nach Orientierungslosigkeit, Depression und Vergessen.
Noch bevor er sie erreichte, hörte er ihr aufgeregtes Gemurmel, das in dem Quietschen der Türklinke untergegangen war. Auf die marmorweißen Haare, deren sorgfältig gekämmte Lockenpracht mit einem Stirnband gezähmt war, hatte die alte Frau einen Hut gesetzt. Es war ein keckes lila Teil, das sich mit schiefer Nonchalance in den Hinterkopf der Greisin krallte, das Designerstück einer Putzmacherin aus den Hochzeiten des Swing, des schwarz-weiß Fernsehens und der Erdbeerbowle. Sein sinnlicher Schnitt wippte im Takt der Trippelschritte. Es war ein Hut für eine junge Frau in einem eng anliegenden Kostüm mit provozierenden Netzstrümpfen und schimmernden braunen Augen über einem karmesinrot geschminkten Mund. Der Hut verlangte nach einer unbändigen Fülle brauner Locken und einem verschmitzten Lachen, das unschuldig und zugleich sexy war. Das Modell ‚Summer in the Town‘ zog die Aufmerksamkeit der Männer mit den weißen Hemden und den schmalen Krawatten auf die herzförmigen Gesichter ihrer Trägerinnen und befeuerte das Interesse füreinander.
Es war das Lieblingsmodell der Alten geblieben, die nie ohne den Hut angetroffen wurde, der die Erinnerungen an die Vergangenheit lebendig erhielt und über dem greisen Gesicht mit den verstörten Augen anrührend und lächerlich zugleich wirkte. „Ich muss doch dem Jungen das Frühstück machen“, flüsterte die Frau in einem fort und gab auch die Versuche, die Tür zu öffnen, nicht auf, als der Mann sie an sich zog. Sie flatterte in seinen Armen wie ein verängstigter Vogel, bevor sie zur Ruhe kam.
„Kennen Sie meinen Sohn“, fragte sie mit kläglicher Stimme und stemmte sich mit kleiner Kraft aus seiner Umarmung. Aus dem runzligen Gesicht blickten ihn zwei braune Augen an, die desorientiert hin und her sprangen. Sie formte den eingefallenen Mund zu einem Trichter und nickte in Richtung Korb. „Ich war einkaufen und jetzt muss ich dem Jungen Frühstück machen – aber ich habe den Schlüssel vergessen und komme nicht ins Haus. Nicht ins Haus …“ wiederholte sie mit resigniertem Flüstern und lehnte den Kopf an die Schulter ihres Sohnes. Er strich ihr begütigend über die Haare.
Noch immer hatte er in solchen Situationen einen Kloß im Hals. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn sie gewütet und getobt hätte, wie sie es manchmal tat, wenn der Nugatbrotaufstrich unauffindbar war oder sie das Licht in der Toilette nicht finden konnte. Dann warf sie ihm und den wechselnden Betreuerinnen Verschwörung und Mordabsichten vor, schäumte vor Wut und Abscheu und kritzelte mit den Stiften ihre Zahlenkolonnen nicht mehr auf Papierblöcke, sondern auf die Tapeten, die bald über und über mit der Magie der alten Frau bedeckt waren. Ihre Ausbrüche weckten seinen Widerstandswillen und stählten ihn gegen die Angriffswellen der Krankheit, die von seiner Mutter Besitz ergriffen hatte. Er stemmte sich mit Autorität gegen die ungerechtfertigten Vorwürfe und aktivierte die in zahlreichen Schulungen gelernten Gegenstrategien.
Die Momente stiller Verzweiflung allerdings überwältigten ihn noch immer und barscher, als er es geplant hatte, drehte er sie herum und sagte: „Du bist zuhause.“ Ohne auf ihr Sträuben zu reagieren, ging er an der Krümelspur entlang, die zur Küche führte. Er setzte sich auf die Kante der Eckbank und platzierte den Korb auf dem Tisch. Mit beiden Händen wies er theatralisch auf die Küchengeräte. „Das ist deine Küche,“ intonierte er in einem beschwörenden Tonfall, der dazu dienen sollte, ihren Geist wieder an die Gegenwart zu binden.
Die Augen der alten Frau nahmen einen anderen Ausdruck an. Sie lächelte und rückte ihren Hut zurecht. In ihrem geschrumpften Gesicht kam die tatentschlossene Frau von früher zum Vorschein, die ihren Nonkonformismus in jeder Lebenssituation kultiviert hatte. Ein magerer Finger berührte die Nase und kleine Füße tasteten sich begreifend in das Zimmer vor. Der Kopf nickte wissend und belustigt, während die alte Frau ihren Sohn musterte.
„Mark, so habe ich dich nicht erzogen“, sagte sie mit gespielter Strenge. „Dass du erst jetzt nach Hause kommst – und dazu noch in einem solchen Aufzug. Glaubst du nicht, dass du für Pyjama Partys ein wenig zu alt bist?“
Die Konzentration auf sein Tagesgeschäft erkaufte sich Mark mithilfe geschulter Pflegekräfte, denen er in gleichem Maße dankbar war, wie er ihnen misstraute. Es war eine kostspielige Angelegenheit, sich ein gutes Gewissen zu leisten und die Arrangements funktionierten niemals, wenn man detailorientiert war, wie der Bewohner des adretten Einfamilienhauses an der Peripherie der Stadt. Die beängstigenden Träume und der Selbstbetrug, der darin lag, dass er sich mit peinlicher Sorgfalt ankleidete wie ein geckenhafter Stutzer, nur um bis zum Verlassen des Hauses Zeit zu schinden, hätten ein Warnsignal sein müssen. Mit etwas Courage wären die immer länger werdenden Verweilzeiten vor dem Computer nicht als wertvolle Umstrukturierungsmaßnahmen in der geschäftlichen Kommunikation gewertet worden, sondern als Resignation vor der krankhaften Erfindungsgabe der Mutter, die in immer neuen Kombinationen gefährliche Situationen mithilfe heißen Wassers, Gas und Bestecken heraufbeschwören konnte.
Das Haus war mittlerweile zu einem raffinierten Demenz-Abwehrbollwerk ausgebaut, in dem abschließbare Schubladen und Fenster dominierten, Küchengeräte ihren eigenen Zahlencode besaßen und die Toilettentür nach einer genau bemessenen Zeit aufsprang, um einen Blick auf den zu lange verweilenden Insassen zu erlauben. Türspione blickten mit staunender Vergrößerung in Zimmer hinein und Rauchmelder paarten sich mit roten Warnlampen, die unter Sirenengeheul blinkten, wenn ein Sicherheitsmechanismus überwunden wurde.
Trotz alledem war der Mann nicht davon abzuhalten unter dem Vorwand, wichtige Unterlagen vergessen zu haben, überfallartig nach Hause zurückzukehren, um nach seiner Mutter zu sehen, denn er bestand darauf, dass die Pflegekraft ihr die Menschenwürde zurückgab, die ihr die Krankheit stückweise entriss. Immer aufs Neue bestätigten sich seine Verdachtsmomente und er fand die alte Frau eingepfercht in einem verschlossenen Zimmer ohne Ansprache oder alleine gelassen mit einer Ansammlung von Essen, in das sie mit gekrümmtem Finger ihre Zahlen schrieb. Die Pflegedienste wechselten häufig und hinter seinem Rücken wurde über den unmöglichen Mann gelästert, der sich standhaft weigerte, seine Mutter einem professionell geführten Pflegeheim anzuvertrauen. Die mildeste Vokabel war ‚unverantwortlich‘, während man dem Mann bei jedem neuen Versuch, die Anforderungen an eine adäquate Pflege seiner Mutter zu definieren, treuherzig in die Augen blickte und ihm versicherte, man empfinde nichts als Hochachtung für seine nimmermüde Hinwendung.
Erst vor wenigen Wochen hatte er bei einem seiner unangekündigten Kontrollbesuche die schnippische, dünne Pflegekraft mit den ungepflegten Fingernägeln bei einem schockierenden Vorgang gestellt. Auch wenn es nicht um heimliches unerlaubtes Rauchen ging oder um die Bestätigung des Verdachts, dass sie die alte Frau zwang, auf der Toilette zu verharren, weil sie es leid war, die Windeln zu wechseln. Alles hätte er toleriert, jeden noch so widersinnigen Rechtsfertigungsversuch über sich ergehen lassen, wenn es um einen Akt gedankenloser Vernachlässigung gegangen wäre. Aber es ging um etwas anderes.
Im Grunde genommen war er frohen Mutes gewesen, als er bei einem Abstecher von seiner Route den Kastenwagen des mobilen Essendienstes in der Einfahrt sah. Es schien noch etwas früh für die Auslieferung zu sein, aber es keimte kein Verdacht in ihm auf. Das Gras und die Sträucher benötigten einen Schnitt. Er wollte das am Wochenende nachholen.
Ohne Argwohn war er über die Terrassentür ins Haus gelangt. Der Lieferant bemerkt ihn als Erster. Er versuchte eine beschwichtigende Handbewegung, die gänzlich missglückte, nachdem er die blonden Haare der schmalbrüstigen Pflegerin losließ. Diese stieß ihr knabenhaft kleines Gesäß mit einem routinierten Aufstöhnen zurück und weigerte sich wahrzunehmen, dass das geschrumpfte Glied des Mannes den Pfad der körperlichen Vereinigung verlassen hatte. Der weiße Körper der Frau wies hektische rote Flecken auf. Die rechte Hand des Lieferanten verharrte in der Luft und schielte noch immer begehrlich auf die sich vergeblich windende Pobacke der Pflegerin, die sie zuvor mit schnalzenden Schlägen stimuliert hatte. Der Penis des Mannes hatte beschlossen, sich unter dem fassungslosen Blick des Neuankömmlings vollständig in die Schambehaarung zurückzuziehen.
Mit einiger Verzögerung drangen die unerwünschten Veränderungen auch zu der engagierten Blondine durch. Ihr abgespreiztes Bein rutschte von der Küchenanrichte und eine verzerrte Mimik aus Trotz und Verlegenheit starrte den Beobachter über spitzen Brüsten an. Der Lieferant zerrte hektisch an seinem grünen Overall, der sich um die Fußknöchel schlang. Er wich dem Blick des Hausherrn aus und widmete sich verbissen dem Ankleidevorgang, als ob ein korrektes Aussehen mit der Absolution von seiner Verfehlung verbunden sei.
Die Pflegerin hatte ihr Bündel vom Boden gerafft und hielt die Textilien schützend vor ihren mageren Körper. Ihre Rippenbögen waren unter der Haut deutlich erkennbar. Mit vorwurfsvoller Stimme sagte sie: „Können Sie nicht anklopfen?“ Der Mann ignorierte sie. Nur sein Arm blieb ausgestreckt auf sie gerichtet, als wolle er ihr bedeuten, sich ruhig zu verhalten, während er sich zu seiner Mutter umwandte, die mit eifrigen Augen am Küchentisch saß und mehrfach schallend in die Hände klatschte. Sanft strich er ihr über die Wangen.
„Das Essen steht auf der Anrichte“, stammelte der Lieferant und fuchtelte mit den Armen, um den bedeutungsschweren Satz zu unterstreichen. Mit polternden Schritten nahm er seinen Abschied, ohne das Subjekt seiner Begierde eines Blickes zu würdigen.
„Essen wir jetzt Suppe?“, sagte die alte Frau. Sie tastete nach dem Hut und zupfte ihn zurecht. „Grießklößchensuppe“, präzisierte sie und die Erinnerung an längst vergangene Zeiten kehrte zu ihr zurück. Voller Erwartung ließ sie ihren Blick zwischen der nackten Frau und ihrem Sohn hin und her wandern. Sie konnte beide nicht zuordnen, aber der Geschmack nach buttrig weichem, geröstetem Grieß und dem unerwartet kräftigen Nachgeschmack nach Muskatnuss war ein mehr als genügender Ausgleich für diese Gedächtnislücke.
Die Hand des Mannes arbeitete schnell und präzise. Er war enttäuscht, aber dennoch erlaubte er sich keinen Zorn. „Wissen Sie eigentlich, dass es der Forschung gelungen ist, Bierhefe so zu konditionieren, dass sie bei der Entdeckung von Sprengstoff grün leuchtet?“ Seine Stimme war einschmeichelnd und verständnisvoll. Die Nackte war bis zur Wand zurückgewichen und hatte ihr Bündel fallen lassen. Ihr Schamhaar bildete die Form eines Pfeils, der sich auf ihre Vagina richtete. Trotz ihrer abwehrend nach vorne gestreckten Arme und einer Serie schriller Schreie, die die alte Frau mit einem begeisterten Klatschen quittierte, tat das Teppichmesser seine Arbeit. Zwischen den unscheinbaren Brüsten erschienen blutige Striemen, dünn und präzise wie Menetekel.
„Machen Sie jetzt bitte meiner Mutter die Suppe“, bat der Mann mit ausgesuchter Höflichkeit. Die Nackte wischte sich über den Brustkorb. Ihre Hand war blutbesudelt. Sie sank stöhnend in sich zusammen.
Er wusste, dass er Probleme bekommen würde, aber das war ihm einerlei. Schwerer wog für die Betroffenen, dass sie mit ihm ein Problem hatten.
VI.
Einige Geldscheine und eine hastig verfasste Notiz an den Pflegedienst, dass man für die schwierige Arbeit mit der Pflegebedürftigen eine erfahrenere Person benötige, glättete die Situation notdürftig. Aus der schnippischen jungen Frau war ein ängstliches Bündel geworden, die bei jeder seiner Bewegungen aufschrie und voller Panik aus dem Haus hetzte, sobald er es ihr erlaubte. Er war von alledem unbeeindruckt geblieben und hatte ihr in eindringlichen Worten geschildert, wie sehr ihm an einer harmonischen Lösung gelegen war. Fühlte er, dass ihre Aufmerksamkeit nachließ, genügte ein Griff in seine Jackentasche, um sie vollständig für seine Ausführungen einzunehmen.
Zur Sicherheit engagierte er anschließend eine kurzatmige, übergewichtige Polin mit einem veritablen Damenschnurrbart, deren strenger Gesichtsausdruck sich nur milderte, wenn sie seine Mutter betreute. Dann umsorgte sie die alte Frau mit Umsicht und engelhafter Geduld, die nicht gespielt war, sondern ihrem Wesen entsprach.
Sorge bereitete ihm die ungewöhnliche Fixierung der breitschultrigen Frau auf alles, was mit menschlichen Ausscheidungen zu tun hatte. In gedehntem Akzent kommentierte sie mit deutlicher Unzufriedenheit ihre Inspektionen von Toiletten und Bädern, erwähnte die neuesten Erkenntnisse von Proktologen, die von der Mehrheit der Toilettenpapiernutzer nicht gewürdigt wurden und bewirkte, dass ihr Auftraggeber das erste Mal seit vielen Jahren ein Fremdwörterlexikon in die Hand nahm, um mit Erstaunen zur Kenntnis zu nehmen, dass sich auf die Krankheiten des Mastdarms spezialisierte Ärzte ‚Proktologen‘ nannten und sich auch mit Analhygiene befassten.
Ohne Umschweife verlangte die ungewöhnliche Fachkraft ein neues Toilettenpapier, das keiner der üblichen unappetitlichen Zellhaufen sein dürfe, dessen Prägestruktur bei der Benutzung auf die abgewischte Rosette einen Einfluss wie Sandpapier ausübe. Ideal sei ein sanfter Wasserstrahl oder wenigstens ein hochwertiges Produkt mit einer weichen und reißfesten Struktur.
An dem eifrigen Leuchten ihres sonst eher ausdruckslosen Gesichtes war abzulesen, dass sie diesen Kampf mit glühendem Eifer und aus innerer Überzeugung verfocht. Ihre sonst so kargen Hauptsätze mit den verzeihlichen grammatikalischen Verstümmelungen wucherten und blühten bei jeder Berührung mit der Thematik und sie dirigierte Argumente und Lesefrüchte, dass es dem Gesprächspartner peinlich sein musste, bisher nicht gewusst zu haben, welchen Wert kleine runde Kiesel für arabische Stämme haben und warum Amerikaner keine Papierfalternation sind, sondern eine solche von Papierknüllern.
Erst als die stämmige Frau eine mattgelbe Toilettenrolle aus ihrem Umhängebeutel holte und die geriffelte Oberfläche mit einem verzückten Gesichtsausdruck streichelte, war bei ihrem Gegenüber das Maß der Irritation erreicht, das ihn daran zweifeln ließ, ob die neue Pflegekraft nicht möglicherweise ein tief verwurzeltes Problem hatte, das sich leistungsmindernd auf ihren Auftrag auswirkte. Die Obsession der Polin war anstrengend und bizarr, aber beherrschbar, wenn man ihre Ausführungen ernst nahm und die Vorschläge im zumutbaren Rahmen in die Tat umsetzte.
So wechselte man in dem Haushalt unter dem zufriedenen Schnaufen der neuen Pflegekraft die Toilettenrollen, gesellte neben das trockene Vlies feuchte Tücher einer genau vorgegebenen Marke und bestellte zwei Bidets.
Es war der ins ungewohnt zärtliche abgleitende Gesichtsausdruck der sonst so geschäftsmäßig distanzierten Pflegekraft und ihr versponnenes Lächeln, das sie fast sympathisch erscheinen ließ, wenn sie das favorisierte Toilettenpapier durch ihre Hände gleiten ließ und dabei genießerisch die Augen schloss, was ihn beunruhigte. Er machte sich eine mentale Notiz, sich alsbald nach einer besseren Lösung umzusehen.
Die Müdigkeit holte ihn ein wie eine vernachlässigte Geliebte, die energisch ihr Recht einforderte. Vom Rausch der vergangenen Nacht blieben nur ein wattig gedämpfter Nachhall und ein Frösteln, das ihn immer überkam, wenn eine nicht genau zu bestimmende Unzufriedenheit in ihm nagte. Es war eine Art Zweckpessimismus, den er pflegte wie einen willkommenen Gast und der ihn vor künftigen Enttäuschungen bewahren sollte. Bei seiner Rückkehr hatte er noch immer beschwingt einige Minuten über den Schlaf seiner Mutter gewacht und ihr leises Schnarchen verfolgt, wie eine vertraute Melodie. Bevor er die aufgenommenen Sequenzen ins Netz stellte, fotografierte er das Usambaraveilchen auf exakt der Stelle seines Schreibtisches, die immer zur Präsentation der Trophäen diente. Anders als andere strebte er nicht nach sperrigen Gütern oder verräterischen Artefakten, die ihn in Schwierigkeiten bringen konnten, denn die Schwierigkeit des Wegschaffens oder der Marktwert der Stücke zählte nicht mehr für die Wertung. Es ging lediglich um die Verifizierung der Aktion durch ein Beweisstück, nicht um eine narzisstische Selbstdarstellung oder einen artistischen Schlussakkord.
Die meisten ihres kleinen Zirkels verstanden das und alle waren mit den Spielregeln einverstanden gewesen, als die letzte Revision anstand. Einige jedoch stellten die Geduld der Wertenden auf eine harte Probe, indem sie halsbrecherische Manöver wagten, bei Tageslicht an Hauswänden emporkletterten, sich in aberwitzigen Verkleidungen und mit versteckter Kamera Zutritt zu Wohnungen verschafften oder Spuren legten, die weit über die gesiegelten individuellen Zeichen hinausgingen.
Erst vor einer Woche hatte ein Südamerikaner, der nahe daran war, die Höchstschwierigkeit zu bewältigen, mithilfe eines als ahnungsloses Werkzeug eingesetzten Speditionsunternehmens ein Klavier aus dem Zielbereich schaffen lassen und die Hausbesitzer mit der Nachricht überrascht, sie hätten in der nationalen Lotterie gewonnen, die außer einem stattlichen Geldbetrag auch das Musikinstrument und das bejahrte Auto des Paares gegen neue Stücke tauschte. Bedenken mochten den Geschmeichelten erst gekommen sein, als sie der falsche Sendbote des Glücks mit seinem Zeichen konfrontierte. Es war zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen, als die Jury die Aktion als nicht regelkonform ansah und wegen der offensichtlichen Gefährdung der gesamten Mitwirkenden eine Rüge aussprach.
Was er in dieser Nacht zu sehen bekam, nachdem er sich mit seinem Passwort eingeloggt hatte, beruhigte ihn ein wenig. In zwei Fällen war er selbst dazu bestimmt, eine Wertung abzugeben. Das tat er gewissenhaft und ohne Parteilichkeit. Knapp zwei Drittel der Besucher hatten die kurzen Videobotschaften korrekt entschlüsselt und ihr Ziel identifiziert. Das war ein annehmbarer Wert, wobei es einem der Engländer gelungen zu sein schien, die lückenlose Videoüberwachung der Städte anzuzapfen und Gesichter mit einem biometrischen Abgleich zu scannen. Die Kehrseite war natürlich, dass man sich selbst ständig im Fokus der Kameras befand und höchste Vorsicht walten lassen musste, um nicht aufzufallen.
Die weitaus höchste Wertung erzielte ein Beitrag aus Schweden, in dem es einer noch jungen Besucherin gelungen war, ihre Zielperson in einem Kaufhaus zu stellen und ihr zu den Umkleidekabinen zu folgen. Ihre Flüsterstimme erzählte in mühsamem Schulenglisch die Vorgehensweise. Die Handkamera zoomte auf die Rückwände der Kabinen und verharrte auf einem Schraubenzieher mit buntem Griff, der sich unter eine dünne Holzplatte bohrte. Ein Mädchen mit sonderbar abstehenden blonden Zöpfen kam aus einem steilen Winkel ins Bild. Der automatische Zoom hatte Mühe das Wackeln der Filmenden auszugleichen. Immer wieder huschte das Auge der Kamera hinter das öde Braun der Abdeckung, wenn sie eine vorzeitige Entdeckung befürchten musste. Das erläuternde Raunen setzte kurzzeitig aus. Die Tonspur füllte sich mit dem metallischen Scharren von Kleiderbügeln. Dann richtete sich die Linse steil nach oben. Angestrengtes Atmen. Bilder von Deckenplatten und grelles Licht, bevor die Aufnahme nach unten stieß und die Zöpfe einfing.
Die Aufnahme glitt über kleine, unregelmäßige Brüste und einen von Schwangerschaftsstreifen übersäten Bauch. Der erste oberflächliche Eindruck hatte getäuscht. Die Zöpfe wippten über einem faltigen Hals, der das wahre Alter der Frau erahnen ließ. Ein MP3-Player jagte undefinierbare Beats durch die Kopfhörer. Das hochgeraffte seidene Unterkleid reichte bis zum Ansatz der Beinprothese. Das linke Bein war am Oberschenkel amputiert. Die Kamera machte den Farbunterschied deutlich. Das echte Bein war blasser und unregelmäßiger im Muskeltonus. Zarte blonde Härchen am rechten Unterschenkel bewegten sich im Rhythmus des Turnschuhs.
Der Ankleideprozess war ein mühsamer Vorgang. Die Kamera zog sich vorübergehend hinter den Rand der Kabine zurück und tastete sich durch dunkel erscheinende Stoffe und eine winzige Aussparung, in der zwei abgewetzte Sessel und ein Wasserkocher standen. Die Sequenz endete mit einer Nahaufnahme eines satt roten Textilstreifens. Die Stimme erläuterte mit merklicher Aufregung, dass es sich um den Trennvorhang zu der Umkleidekabine handele. Eine Hand schoss nahe an der Kamera vorbei. Ein leichtes Klirren und die undefinierbare Nahaufnahme einer Metallstange wurde sichtbar. Schritte und Stimmen nahten. Die Aufnahme fing ein Stück grauen Boden ein und zeichnete die hektischen Geräusche einer Flucht auf. Der fragende Ruf einer Frau. Dann Stille und ein unterdrücktes Keuchen. Noch einmal ein Ruf, dieses Mal weniger überzeugt. Der Bildausschnitt brav auf den Boden gerichtet. Wartend.
Erneut der Schraubenzieher. Ein verräterisches Knacken, aber kein Innehalten. Die Stimme jetzt kühl und selbstbewusst. Ein Spalt neben dem Rücken der Zopfträgerin. Die Kamera dokumentiert die letzten Handgriffe vor dem Verlassen der Kabine. Zwei sommersprossige Hände schließen einen Reißverschluss. Ein Fuß in einem flachen Schuh schiebt eine bauchige Handtasche mit bunten Applikationen zur Seite. Es ist eine flüssige, geschickte Bewegung, die die Prothese ausführt. Sie verrät Übung und die Versöhnung mit einem harten Schicksal. Die Stimme hatte in der üblichen Kurzbiografie erwähnt, dass es sich um einen Unfall gehandelt hatte, war aber nicht näher auf die Umstände eingegangen.
Zwei Schritte und der Griff zum Vorhang. Ein Straffen des Oberkörpers und das Ratschen der Messingringe. Der Aufschrei paarte sich mit dem Vornüberfallen der Frau, als der schwere Stoff über die Schiene hinausfuhr und zu Boden glitt. Die Prothese machte eine steife Verbeugung und zog eine abgeknickte Hüfte mit sich. Eine Hand schlug mit einem hohlen Geräusch gegen die Trennwand. Die Frau fiel nach links und kollidierte mit dem Hocker, der nach vorn geschleudert wurde. Das rechte Bein hatte die Situation nicht mehr retten können und ragte angewinkelt in die Luft. Die Arme der Gestürzten tasteten nach ihrem Kopf.