Kitabı oku: «Der Mann hinter dem Bild», sayfa 3

Yazı tipi:

„Gut was draus machen? Was soll das denn heißen?“

Ich spürte, dass sich Wut in mir regte. Schlug er mir ein Geschäft vor, meine Bilder zu verkaufen? Wollte er meine Bilder etwa verticken, wie er hier in dieser Firma irgendwelche anderen Waren verramschte? Solch ein Geschäft wollte er mit mir machen? Deswegen war ich hergekommen? Hepe schien meine Reaktion zu bemerken.

„Du magst den Kunstmarkt nicht. Kann ich verstehen. Musst du ja auch nicht mögen. Da laufen ja auch unglaublich viele verlogene Idioten rum. Meine Güte, was bin ich da schon für eitlen Nieten begegnet. Kannst du total ignorieren. Damit beschäftigen sich andere. Ich könnte dafür sorgen, dass du malen kannst, ohne mit all dem viel zu tun zu haben. Und du verdienst endlich etwas Geld, Mattis.“

Er ließ seine Sätze im Raum stehen und beobachtete mich aufmerksam, ja, rücksichtsvoll und eher nachdenklich. Ich beruhigte mich ein wenig, stand auf, um mein Bild aus der Nähe zu betrachten. Damals hatte ich teure Ölfarbe benutzt. Sie hatten sich sehr gut gehalten. Es lohnte sich, in gute Farbe zu investieren. Natürlich konnte ich etwas mehr Geld gebrauchen. Müsste ja nicht viel sein. Seit Jahren übermalte ich meine Bilder, weil ich mir keine neuen Rahmen leisten konnte. Manche Bilder hatte ich drei- viermal übermalt. Ich sollte mir auch mal ein paar gute Schuhe kaufen, müsste mal zu einem Orthopäden und schon lange mal zum Zahnarzt. Vor Jahren schon hatte ich rechts oben den ersten Eckzahn und daneben den kleinen Backenzahn verloren. Es sah fürchterlich aus, wenn ich sprach oder gar lachte. Ganz anders als bei Hepe. Und ohnehin sollte ich mal einen richtigen Arzt aufsuchen.

„Wir beide sind jetzt über fünfzig, Mattis. Du hast keine Krankenversicherung, keine Rentenversicherung. Gar nichts. Was wird mit dir, wenn du richtig alt bist, nicht mehr laufen aber vor allem auch nicht mehr malen kannst?“

„Ich hab meine Bilder.“

„Ja, eben. Du hast deine Bilder. Wenn wir es geschickt anpacken, dann machen wir deine Bilder zu deiner Versicherung.“

Er wartete einen Moment, wie ich reagieren würde. Ich hatte meine Bilder noch nie als Absicherung meines Lebens angesehen. Aber ich wäre auch nie auf den Gedanken gekommen, dass sich noch einmal jemand außer Volo dafür interessieren würde. Ich malte meine Bilder, weil ich sie malen musste. Ein normales Bedürfnis ohne einen Hintergedanken. Aber vielleicht waren inzwischen andere Bedürfnisse zu kurz gekommen.

„Nur, ich weiß nicht, wie schnell so was geht, Mattis. Das geht vielleicht gar nicht schnell. Das müssen wir gut vorbereiten. Da müssen ein paar Leute was über dich schreiben. Da musst du dich auch mal drauf einlassen, mit ein paar Leuten zu sprechen. Am Anfang zumindest. Wir brauchen eine Ausstellung, ne richtig große Ausstellung, die auffällt. Die muss supergut besucht sein. An einem extravaganten Ort in der Stadt. Dann muss es Berichte darüber hageln. Deutschlandweit. Und dann im Ausland. Und du musst natürlich auch richtig professionell malen können. Brauchst Material dafür. Ich müsste wahrscheinlich kräftig in Vorlage gehen. Ich nehm‘ mal an, dass du definitiv kein Geld hast oder? Noch irgendwas Erspartes von damals?“

Ich lachte auf und drehte mich zu Hepe.

„Bei mir ist nichts zu holen, Hepe. Hab nicht mal ‘n Bankkonto.“

Ich betastete mein Bild und drehte es ein wenig mehr ins Licht.

Letztendlich auch ein erstes Stadtmotiv. Ein Übergangsbild. Ein Abschluss. Das Rot hinter dem Grün war nicht wirklich sichtbar. Aber man konnte es spüren. Ich hatte mir damals vorgenommen, noch einmal neu zu beginnen. Man sollte das Leuchten der Farben erwarten, aber nicht sofort sehen. Das war mein Plan gewesen. Man sollte die Motive erforschen. Sie verrieten sich nicht auf den ersten Blick. Es brauchte eine Weile. Jedes Bild sollte sich auf den ersten Blick real präsentieren, in seiner vorsichtigen Erscheinung aber sollte es etwas Zukünftiges enthüllen. Schon bald nach diesem Bild hatte meine Malzeit begonnen, meine Hafenzeit. Malen als Prozess ohne äußeren Rhythmus. Ein geordneter Verlauf, der sich nur um sich selbst scheren sollte. Aber jetzt war ich hier. Bei Hepe. In seiner Zeit, in der er sich ständig vorweg war.

„Hattest du nicht mal ne Lebensversicherung?“

Ich antwortete nicht sofort. Mein Vater hatte für mich vor seinem Tod eine Lebensversicherung abgeschlossen. Dafür hatte er ein Depot eingerichtet, von dem aus die monatlichen Beiträge gezahlt wurden. Ob das alles noch lief, wusste ich nicht. Ich wusste nicht einmal, wieviel Geld er auf dem Depot belassen hatte oder wo es verwaltet wurde. Ich war damals noch sehr jung. Wie war mein Vater nur auf die Idee gekommen?

„Mattis!“

„Ja, da war mal was. Aber ich hab keinen Schimmer, was draus geworden ist.“

„Weißt du wenigstens noch, wie die Versicherung hieß?“

„Irgendwas mit Benzin.“

„Petrol Internationale Leben?“

„Ja, kann gut sein.“

„Kann gut sein. Na ja, das kriegen wir raus. Wird aber auch dauern. Das geht alles viel zu langsam. Du solltest jetzt schon mal etwas Geld in die Finger bekommen.“

Hepe überlegte weiter, während ich mich an die große Fensterfront stellte, um mir den Innengarten genauer anzusehen. Alles war klein gehalten. Ein japanischer Bonsaigarten. Alles sah künstlich aus. Künstliche Natur. Nichts war dem Zufall überlassen. Hepe hatte ein Faible für Japan. Oder nur für Künstlichkeit?

„Noch ein Vorschlag, Mattis.“

Wahrscheinlich hatte er ein Faible für beides. Woher kam das wohl? Künstlichkeit, klar. Aber war er vielleicht Buddhist geworden. Nee, nicht Hepe. Oder fand er es einfach nur schick? Irgendwie passten auch diese Türen dazu, die hier immer zur Seite fuhren.

„Mattis!“

Wahrscheinlich fand er auch Ikebana und japanische Kalligraphie interessant.

„Mattis, hör doch mal zu!“

Langsam drehte ich mich zu ihm um.

„Du hast ja die Leute da im Warteraum gesehen, Mattis. Sind alles freie Mitarbeiter. Das könntest du natürlich auch machen. Ein paar Stunden in der Woche. Da hättest du ein wenig Geld und trotzdem genug Zeit zum Malen. Wenn wir dann die anderen Sachen durchhaben, dann hörst du damit einfach wieder auf.“

„Anderen Sachen.“

„Mensch, was ist denn los mit dir? Das mit der Lebensversicherung und der Bewerbung deiner Bilder. Also solange könntest du auch freier Mitarbeiter bei mir sein. Allerdings musst du dich auf zwei Sachen einlassen, sonst geht das nicht.“

Immer sprach er von irgendwelchen Sachen. Das war früher nicht anders. Meist waren es kleine Projekte gewesen, die er verfolgte Es hatte immer mit Geld zu tun gehabt. Eigentlich hatte ich mich nie dafür interessiert. Auch jetzt fragte ich nicht weiter nach und sah ihn immer noch an.

„Du müsstest dich anders kleiden und ein Handy benutzen.“

„Warum?“

Was wollte er von mir?

„Das werden wir sehen. Aber es wird sehr bald losgehen.“

Ich wusste immer noch nicht, wovon er sprach. Aber wahrscheinlich wirkte ich zu desinteressiert und etwas unhöflich. Darum übernahm ich etwas zaghaft die Initiative.

„Worum geht’s denn hier so in deinem Geschäft? Hast du es schon lange?“

Hepe lächelte vor sich hin.

„Wie bist du überhaupt an so viel Geld gekommen? Ich meine, das gehört doch alles dir hier oder? Sogar das Haus? Du hattest Mathe studiert. Wie wird man damit nur so reich?“

Ich erinnerte mich an Volos Bemerkung über Hepe, während er sich Kaffee nachschenkte. Meine Tasse hatte ich noch gar nicht angerührt.

„Dachte mir schon, dass du das irgendwann mal fragst, Mattis.“ Hepe nahm Tasse und Untertasse und lehnte sich wieder zurück. Ich hatte also eine richtige Frage gestellt.

„Mein Mathestudium hatte ich abgebrochen. Danach Betriebswirtschaft. Habe ich auch an den Nagel gehängt. Keine Zeit. Hatte damals schon ne Firma. Verdiente mein Geld mit Leerverkäufen. Viel Geld. Und damit hab ich mir dann diese Firma aufgebaut. Inzwischen ein kleines Firmennetz. Wenn du Geschäfte machst, Mattis, dann brauchst du Informationen, gute und verlässliche Informationen. Und im Grunde genommen handele ich damit. Dein Unfall damals auf dem Aldi-Parkplatz. Daraus hab ich viel gelernt, vor allem weil ich ihn hätte vermeiden können, wenn ich mehr über deinen Gegner gewusst hätte. Das war kein Schisser und auch kein Kampfhahn wie du damals. Der war einfach nur dumm. Zu dumm, um das Risiko abzuschätzen. Das wusste ich nicht.“

„Und mein Vater?“

Sein Blick schweifte in den Raum. Dann blickte er mir offen und freundlich in die Augen.

„Mensch, Mattis, das lastest du mir doch wohl nicht an. Ich kannte ihn doch kaum. Genau genommen wusste doch niemand, wie er drauf war. Oder wusstest du es? … Und siehst du, wenn man heute mit jemandem wie deinem Vater ein Geschäft machen will, ein großes Geschäft allerdings oder wenn man ihn einstellen will in eine, sagen wir mal, hohe Position, dann muss man mehr über ihn wissen, als der vielleicht in seinem Lebenslauf schreibt. Und dieses Wissen ermitteln wir in einer meiner Firmen. Dafür haben wir hier große Rechnerkapazitäten und versierte Fachleute. Wenn wir heute noch mal auf dem Aldi-Parkplatz wären, Mattis, dann würde ich nicht nur wissen, ob der andere Typ ein Schisser oder ein Dummkopf ist. Ich könnte genau prognostizieren, wie er sich verhalten wird. Aber nicht nur das. Ich könnte vielleicht sogar beeinflussen, wie er sich verhalten wird.“

Stille. Ich betrachtete mir Roy Lichtenstein.

Wieviel mochte das Bild gekostet haben? Wie reich musste Hepe damit geworden sein, Wissen über andere anzuhäufen, mit Computerprogrammen Prognosen über das Verhalten anderer zu erstellen und das Ergebnis dann zu verkaufen? Wie wertvoll konnten solche Vorhersagen sein?

„Mattis?“

„Und was sind Leerverkäufe? Ist das etwa ein Verkauf von … nichts?“

Hepe lachte laut und herzlich auf. Wieder hatte ich eine richtige Frage gestellt.

„Du hast es erfasst, Mattis. Du verkaufst etwas, was es eigentlich nicht gibt. Ist das nicht genial! Darauf muss man erst mal kommen oder? Du legst Termine fest. Wenn dann aber die Ware mehr Wert hat als beim Vertragsabschlusses, und darauf spekulieren wir natürlich, dann hast du den Gewinn. Und je höher der Warenwert, desto mehr Gewinn. Also will man viel von dem verkaufen, was man eigentlich gar nicht hat.. Immer mehr.“

„Und was kauft und verkauft man so?“

„Alles, mein Lieber. Weizen, Reis, Mineralien. Waren, die du niemals zu Gesicht bekommst und die ihre Besitzer nur virtuell wechseln. Wichtig ist nur, dass du die richtigen Informationen hast, um die Preisentwicklung abschätzen zu können. Wird es zum Beispiel in einem afrikanischen Land zu einem Aufstand kommen und wird sich die Produktion von Diamanten dadurch verzögern, dann wird der Preis steigen usw. Information ist alles. Sie fließt immer schneller. Du musst nur über die richtigen Mittel verfügen, um sie dir anzueignen. Und natürlich musst du zuvor immer wissen, welche Informationen du brauchst. Und manchmal auch, wie du sie einem anderen verwehrst.“

Hepe wurde etwas nervös, schlug beim Sprechen im Takt leise mit der Hand auf seine Knie, wollte sich aber weiterhin galant und rücksichtsvoll verhalten. Doch ich bemerkte, dass unser Gespräch beendet war. Es war nett gewesen sich noch einmal zu sehen. Aber natürlich lagen unsere Welten weit voneinander entfernt.

„Ich sollte mal wieder los, Hepe.“

„Klar, Mann. Sag Nina da vorn noch die Größen der Leinwände und was du sonst so brauchst. Dann starten wir durch. Du malst und ich sorge dafür, dass der Rest der Welt von dir erfährt. Und erst mal arbeitest du auch ein wenig bei mir mit. Ich kümmere mich drum, dass du alles erhältst, was du zum Malen brauchst.“

Wir erhoben uns. Im gleichen Moment erschien der unauffällige, junge Mann hinter dem Paravent.

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Hepe ihn gerufen hatte.

Wir verabschiedeten uns mit einer erneuten Umarmung. Dieses Mal legte auch ich kurz meine Arme um ihn.

„Und komm uns doch mal besuchen, Mattis. Gerade heute Morgen hab ich mit Niki über dich gesprochen. Ich hab ihr natürlich erzählt, dass wir uns gestern getroffen haben und ich sogar bei dir gewesen bin. Sie würde dich gern mal wieder sehen. Komm doch mal zu uns zum Essen.“

Ich stutzte einen Moment.

„Du bist mit Nicole zusammen? Niki Neumann?“

Erstaunt sah Hepe mich an.

„Das wusstest du nicht?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Wir haben vor achtzehn Jahren geheiratet, Mattis.“

„Und wo wohnt ihr?“

„Na, hier, Mattis. Wir wohnen hier ganz oben.“

„Ok, alles klar.“

„Und deck‘ dich noch im Warteraum ein mit Essen und Trinken“, rief Hepe mir nach. „Du hast ja nicht mal den Kaffee angerührt.“

Ich nahm mir zunächst ein Sandwich und eine Keksrolle. Doch dann verdoppelte ich die Ration. Für Volo.

Es war kurz vor siebzehn Uhr in Kiew. Mir blieb noch genug Zeit bis zur letzten Fähre.

An der Rezeption hielt Nina Häusler mich zurück und fragte nach meinen Bedarf an Farben, Pinseln und Leinwänden. Sie fragte aber auch nach meiner Schuh- und Kleidergröße und schrieb alles auf. Zum Schluss bat ich um einige Blätter Papier und einen Stift, denn ich wollte noch einige Skizzen anfertigen, wenn ich schon in der Innenstadt war.

Das Rad stand noch immer dort, wo ich es abgestellt hatte. Noch ein Blick die Schlucht hinauf, in der Hepes Praline und all die anderen Geschäftshäuser standen.

Ich hatte nur wenig von dem verstanden, was Hepe mir erzählt hatte. Aber hier in der Innenstadt arbeiteten scheinbar Datenbanker, die sogar Handel trieben mit Waren, die nicht existierten. Hier konnte ich vielleicht eine andere Welt besser verstehen lernen, eine Welt nur dem Schein nach. In dieser Umgebung würde ich weitere Motive finden, die die großen Veränderungen ausdrücken könnten, die ich meinte, aber eigentlich nicht genau benennen konnte.

Hepe hatte mir scheinbar so etwas wie eine freie Mitarbeit angeboten. Vielleicht sollte ich darauf eingehen, um noch mehr zu erfahren von der Verführungskunst dieser weltweiten digitalen Bewegung, die scheinbar alles neu prägte. Denn er hatte ja recht. Ich wusste viel zu wenig darüber.


1 wenn selbst der Geist zu einer austauschbaren Ware wird

Ich war in den Kaufhäusern herumgestrichen und hatte mehr als zwanzig Skizzen angefertigt. Die Menschen wurden durch die großen Kaufhallen auf- und abgespült, strömten eigensüchtig vorbei an Vitrinen, Tresen und Kleiderständern, besprühten sich mit Parfüms, gleich mit unterschiedlichen Parfüms, probierten kurz ein Kleidungsstück an, ließen es dann aber meist uninteressiert liegen, nahmen kleine Essproben zu sich, schmeckten sie kaum und waren sofort angezogen von anderem. Sie standen vor den großen Flat-Screens, prüften die neuesten Spiele und Apps und ließen sich mitnehmen in eine scheinbar perfekt funktionierende Welt, die sie verzauberte.

Der Warenstrom der Datenbanker wurde aus der gesamten Welt zum Konsum angeboten. Mit ständig erhöhter Effizienz und größerer Dynamik. Ein weltumspannender Handel 24/365 in einer Welt, die nicht zur Ruhe kam, in der alles gleichzeitig stattfand. Eine neue Zeit.

Das alles betrachtete ich nur von außen. Wie die Schaufensterpuppen mit ihren kalten, fremden Blicken. Ich fühlte mich nicht als Teil dieser Gesellschaft, hatte mich schon vor Jahren ausgeschlossen. Ein Besucher mit ebenfalls fremdem Blick. Zunächst neugierig, oft entgeistert, aber auch verwirrt, manchmal fassungslos und am Schluss wieder ohne Sprache außer meiner.

Wie könnte ich die neuartigen Veränderungen, die ich sah, aber vor allem spürte, malen? Könnte man all das überhaupt malen? Vielleicht hatte ich mir eine Aufgabe gestellt, die ich gar nicht bewältigen konnte.

Etwas entmutigt stellte ich mein Rad dort ab, wo ich es zuvor gefunden hatte. Jupp wartete noch auf seine Abfahrzeit. Die letzte Fahrt in den Hafen an diesem Tag. Nur wegen Volos Uhr hatte ich rechtzeitig kommen können. Auch für diese Überfahrt musste ich nicht zahlen. Auf dem Schiff schon fühlte ich mich wohler. Fort aus der Ruhelosigkeit der Stadt, der Geschäftigkeit und Hast nach ständig neuen Erlebnissen. Immer orientiert auf mehr und auf das Neue. Zurück in der Welt, die mir bekannt war. In mein Jetzt.

Jupp begutachtete meine Skizzen und erzählte von Urlaubsfotos, die bei ihm zuhause an der Wand hingen. Wieder platschte das Wasser auf die Scheiben. Wellen türmten sich auf. Ich spürte, dass ich diese Wasserwüste jetzt unbedingt durchqueren musste, um mich zu befreien von der Eilkrankheit der anderen dunklen Seite der Stadt. Ich setzte über in meine Gegenwart, die in einer Ordnung existierte ohne Zeitrhythmus.

Noch an diesem Abend war eine Hochflut zu erwarten. Sie würde die Stadtwelt noch stärker von mir fernhalten. Ein kleiner Zubringer hatte im Namibiahafen festgemacht. Er transportierte die Fracht von einem Kai zum anderen und wurde schon beladen. Von den Kränen und Containerbrücken ging wieder lautes Konzert aus.

„Maschinenteile“, erklärte Jupp. „Wir schippern immer noch ganze Produktionsanlagen in die Welt. Neue Fabriken entstehen irgendwo über Nacht.“ Jupp hatte früher die Joysticks großer Containerschiffe bedient. Er hatte die Schiffsautobahnen aller Meere abgefahren, kannte sich aus in den Wasserwüsten.

Bevor ich nachhause aufbrach, betrachtete ich in der Ferne den Wald der Kräne und Brücken, an deren Spitzen orangene Lampen leuchteten. Der Wind pfiff in hohen Tönen um sie herum. Langsam schoben sie sich hin und her, bildeten kleine Lichtungen, dann wieder dichtes, undurchsichtiges Gestrüpp. Fast alle bewegten sich. Kaum etwas stand still. Aber immer weniger Menschen, sondern Computer verursachten diese Bewegungen. Präzise Handlungsabläufe. Ein vollautomatischer Betrieb. Fehlerlos. Effizient. Weit entfernt schoben sich Rangierroboter ohne Fahrer an den Containern entlang. Intelligente Technik. Nur wenige bedienten noch die Joysticks für die Verladung auf die LKWs. Auch das würde sich bald ändern.

Endlose Schlangen von flach liegenden Containerwaggons schlängelten sich auf Schienen zu den Terminals hin, um Schüttgut, Container oder Stückgut aufzunehmen. Eine dichte Kette von LKWs bewegte sich in den Hafen herein und wieder hinaus, um Waren in die gesamte Welt zu bringen oder sie von dort zu verteilen. Hinter den Steuern der Lastwagen saßen immer noch Menschen. Aber im Hafen hatte die Veränderung schon lange begonnen. Hier sollte ich ebenfalls meine Motive suchen.

Man bewegte hier zwar täglich physische Waren. Aber schon Hepe hatte nur noch mit der Vorstellung von Waren gehandelt. Dann konnte man doch auch mit Anschauungen, Ideen, Haltungen handeln. Was geschah, wenn selbst der Geist zu einer austauschbaren Ware werden würde?

Oder war es bereits so? Ich wusste es nicht. Vielleicht waren wir noch weit davon entfernt.

Im Hafen jedenfalls blieb es immer hell. Ein nicht endendes Lichterfest.

Ich warf mich gegen die Tür meines Schuppens. Sie sprang auf, und Volo stand direkt vor mir in einem Durcheinander von aufgerissenen Tüten und Kartons. Er trug seinen Roma-Hut und hielt sich ein lindgrünes Hemd vor seinen Pullunder. Als er mich erblickte, sagte er nur: “Zu groß oder?“

„Was ist das für Zeug? Wo kommt das her“, fragte ich.

„Steh‘ am Kai mit Angel“, antwortete Volo. Er versuchte, das Hemd wieder ordentlich gefaltet in seine Plastikhülle zu stopfen und schien mich vergessen zu haben.

„Du hast geangelt, ja, aber wo kommt das Zeug her? Wer hat das …“

„Lass‘ mich reden“, unterbrach Volo mit leicht erhobener Stimme. Er meinte, ausreden.

„Kommt Mann mit kleines Lastwagen. So kleines Scheißer-Lastwagen, wie man nicht braucht. Passt nix rein. Ist nur schick. Und schnell. Aber taugt nix. Ist kleines Angeberlastwagen. Für Angeber. Nicht richtig zu gebrauchen …“

Volo hätte noch ausschweifender auf den Lieferwagen geschimpft, wenn ich ihn nicht unterbrochen hätte.

„Kam also jemand mit einem kleinen Transporter, Volo und?“

„Hat gefragt Mattis Jensen. Nicht da, sage ich. Wo wohnt er? Da in Schuppen. Ist offen? Ja, ist offen, klemmt aber. Kein Problem. Hat Tur angestoßen mit Kraft. Alles rein. Und rein. Und weg … mit kleines Angeberauto.“

Volo hatte schon alles inspiziert.

„Hier große Rahmen für Malen. Farbe auch. Auch Pinsel. Papier und Schuhe.“

„Schuhe?“

Er hob einige Tüten an.

„Und Hosen, Hemden, Socken, Jackett, noch mal Jackett und hier auch Jackett. Gutes Geschäftsmódel. Mussen wir alles nach oben bringen. Gibst Hochwasser heute Nacht.“

„Und passt dir irgendwas davon?“

Volo ging zu einem Holzregal und zog einen dunklen Mantel hervor, der so ähnlich aussah wie die Mäntel von Hepe und René.

„Mantel passt.“

„Das ist doch gut“, sagte ich. „Passt auch super zu deinem Hut. Wenn dir noch was gefällt, dann bedien‘ dich.“

Wir trugen alles die Treppe hinauf, legten die Kleidungstücke in meinen Schlafraum und sortierten Rahmen, Pinsel und die neuen Farben ein. Ich hatte mich für Acryl entschieden.

Danach zog ich mein altes, viel zu großes Flanellhemd an. Volo nannte es das Konstlerhemd . Ich wollte die Arbeit an dem Penta-Bild beenden. Fünf Schalen schwammen auf einer schmutzigen Öllache, dümpelten hin und her, stießen sich an und trieben wieder ab, schaukelten vor sich hin und mussten endlich zur Ruhe kommen. Ich mischte das Weiß so verdünnt an, dass es kaum noch zu erkennen war. Dann strich ich die erste Schicht über das Bild und die Schalen beruhigten sich.

Volo hatte inzwischen einen pechschwarzen Tee bereitet, saß auf dem roten Klappstuhl neben mir, aß die Sandwiches und dann die Kekse, die ich mitgebracht hatte. Mit vollem Mund hatte er zu einem Vortrag über den Ural 4320 angesetzt. Ich kannte schon alle wesentlichen Details. Deshalb musste ich nicht genau zuhören und konnte mich auf mein Bild konzentrieren. Volo jedenfalls hatte in Afghanistan einen Ural-Lastwagen der Armee gefahren.

Mit der dritten und vierten Schicht ermattete das Bild langsam. Und mit jeder weiteren Schicht vergaß ich meinen Vater. So wie es immer wieder geschehen war. Erst verging sein Geruch, dann seine Stimme. Ich vergaß seine Handbewegungen, seinen Blick, seinen Gang, seinen Körper. Erst nach der zwanzigsten Schicht Weiß fiel mir auch nicht mehr die Atmosphäre ein, die mein Vater verbreitete, dieses bedrückende …, ach, ich weiß es nicht.

„Zweihundertzehn PS, Mattis. Konnte durch Wasser bis einstfunfzig fahren wie nix.“

Er stand auf und zeigte mir an seinem dünnen Körper so lange die Höhe von einem Meter und fünfzig, bis ich nickend aufblickte.

Das Bild hatte durch die Überstreichungen liebliche Pastellfarben angenommen. Ein fürsorgliches Blau, ein zärtliches Rosa, ein anmutiges Gelb. Südseeinseln aus großer Höhe im milchigen Morgenlicht. Oder spielende, menschliche Zellen beobachtet durch ein Mikroskop. Formen, denen das Potential fehlte, um mehr zu gelten als schlichtweg nur vorhanden zu sein. Das allerdings konnte ich ihnen nicht auch noch nehmen.

„Kraftstofffilter in zwei Stufen mit Wasserabscheider. Tank für dreihundert Liter und Reservetank sechzigst. Verbrauch dreißigst bis vierzigst Liter.“

Ich reagierte offensichtlich nicht, denn Volos Bassstimme wurde lauter.

„Für hundert Kilometer! Bis vierzigst Liter. Aber egal Kraftstoff.“

Es klingelte. Irgendwo in meinem Schlafraum. Nie klingelte etwas bei mir. Nur von außen drangen fremde Geräusche ein. Wir sahen uns erstaunt an. Dann ging ich hinüber und suchte in den Tüten und Kartons nach der Ursache. Doch das Klingeln brach ab. Als ich wieder vor meinem Bild stand, begann es erneut. Nun wühlte Volo die Sachen durch und brachte mir ein aufgeregt blinkendes Telefon. Ich legte den Pinsel zur Seite, drückte auf einen Knopf in der Mitte des Geräts und hörte Hepe: „Ist wohl alles schon angekommen. Auch das Telefon.“

„Ja, das ging ja wirklich schnell.“

„Ist auch wichtig“, sagte Hepe, „Wir sind nämlich ein gutes Stück vorangekommen. Du hast tatsächlich eine Police bei der Petrol Leben International. Noch sieben Jahre Laufzeit. Dann sechzigtausend. Im Falle eines früheren Ablebens fünfzigtausend. Aber das Depot deines Vaters ist leer. Von dort fließt seit Monaten kein Geld mehr an die Versicherung. Noch kommen wir nicht an die Police ran. Das verzögert sich ein wenig.“

„Ist ja auch nicht eilig.“

„Du hast ja nicht mal einen Wohnsitz, Mattis. Kein Ausweis. Nichts. Das müssen wir unbedingt ändern, sonst geht gar nichts.“ Seine Stimme klang fürsorglich.

„Danke, Hepe. Das wäre natürlich gut.“

„Aber bei der freien Mitarbeit, da hat sich was ergeben. Da könnten wir schnell starten. Du kennst doch Dr. Morgan. Wie findest du, wenn sie dich führen würde?“

„Wie, führen?“

„So nennen wir das, Mattis. Sie würde dich sozusagen beraten. Und anleiten.“

„Ja, warum nicht?“

„Gut, du bist ja jetzt zuhause. Sie könnte in einer Stunde vorbeikommen. René fährt sie. Der kennt ja den Weg.“

„Du meinst, sie kommt jetzt bald?“

„Klar. Ist doch eilig.“

Wieso eilig? Woher wusste er, dass ich zuhause war? Ich könnte doch irgendwann mal mit der Frau sprechen.

„Wenn du meinst.“

„Ach, und Mattis. Das Telefon hat ne Flatrate. Damit kannst du unbegrenzt telefonieren und auch Mails verschicken.“

„Du legst dich wirklich ins Zeug für mich, Hepe.“

„Aber nicht wegen deines Vaters, Mattis. Denk das bloß nicht. Ist ja auch lange her. Bist nämlich mein ältester Freund, weißt du. Aber du kennst mich ja. Ich werd‘ natürlich auch was davon haben. Ganz ohne geht ja nicht.“

Er lachte kurz auf.

„Aber fang mal bald mit einem der neuen großen Bilder an. Da steigen wir ganz groß ein. Also, tschüss erst mal.“

„Tschüss, Hepe.“

Volo stand mit immer noch staunendem Blick neben mir.

„Ist dein Handyapparat jetzt?“

Ich wiegte das leichte Telefon in meiner Hand.

„Hat sogar ne Flatrate.“

„Flatrate“, wiederholte Volo.

„Ja, man kann damit unbegrenzt telefonieren. Kostet nicht mehr.“

„Überall hin? Und reicher Mann bezahlt anunpfirsich?“

Seine Augen blitzten.

„Echt wahn? Kann ich mal halten?“ Er zog seinen Stuhl zum Fenster und begann, stumm an dem Gerät herumzudrücken. Der Ural 4320 war für heute vergessen. Ich musste nun ohne Volo an meinem Bild weitermalen.

Immer wieder blickte ich auf die neuen Rahmen, die den Raum nun zur Hälfte verstellten. Zwei Meter mal eins vierzig. Es würden sehr große Bilder entstehen. Stadt- und Hafenbilder. Ich müsste mir vielleicht eine größere Staffelei bauen.

Schon lang dachte ich über Reliefs auf meinen Bildern nach, um stärker in die nächste Dimension vorzustoßen. Flachreliefs mit einem starken Farbausdruck, der Eigenschaft ausdrücken, der etwas erzählen konnte. Oft hatte ich die Farbaufschichtung mit Ölfarben versucht. Aber es war mir zu teuer geworden, so viel Farbe aufzutragen. Jetzt spielte Geld offensichtlich keine große Rolle. Ich würde sehr viel Farbe für eine der neuen Jutewände verbrauchen. Später dann würde ich die Farben wie in den letzten Jahren mit einer breiten, weichen Gummileiste weiß überschieben. Oder ich könnte Farbe mit Druck aufspritzen, zumal ich so etwas wie Rasanz ausdrücken und neue Techniken aufnehmen wollte. Vielleicht würde ich den letzten Farbauftrag durch eine weitere Farbe ergänzen. Aber all das waren nur technische Details, Fertigkeiten, die ich mir in vielen Jahren angeeignet hatte.

Würde es mir helfen können, etwas zu schaffen, durch das ich mich annäherte an die aktuelle Veränderung dieser Gesellschaft, dieser Welt sogar? An einen Umbruch unserer Entwicklung? Konnte ich dieses Lebensgefühl mit meinen Bildern ausdrücken? War das heute überhaupt noch mit Malerei möglich? Vielleicht musste man neue Kommunikationsmedien nutzen. Mir stand allerdings nur die Malerei zur Verfügung. Und hatte Kunst in Wirklichkeit nicht immer mit all ihren verfügbaren Mitteln auf Veränderungen reagieren können? Auch mit der Malerei?

Die Tür wurde aufgedrückt. Frau Morgan erschien kurz danach auf der Holztreppe, René dicht hinter ihr. Als er mich sah, blieb er stehen, blickte kurz und prüfend zu Volo hinüber und stieg wieder ins Parterre hinab. Dr. Morgan sah heute eher leger aus, trug einen Trenchcoat und Hosen. Einen Teil der Haare hatte sie hochgesteckt. Ihre Lippen waren mit dem gleichen zarten Rot geschminkt wie auf ihren Fingernägeln. Noch nie zuvor hatte jemand wie diese Frau den Schuppen betreten.

„Hier arbeiten Sie also. Und wie es hier nach Malerei riecht“, begrüßte sie mich.

Dann entdeckte sie Volo, der sich von seinem Klappstuhl erhoben hatte, mit etwas steifen Bewegungen auf sie zuwatete und elegant das Liften seines Hutes andeutete. Ich hätte ihn gern mal ohne Hut gesehen.

„Volodymyr Lypar“, stellte er sich förmlich vor und hätte Frau Morgan wohl am liebsten einen Handkuss verpasst. Er hatte sich sofort in sie verguckt.

„Ein Freund von Mattis“, fügte er hinzu.

„Helen Morgan. Sind Sie auch Maler, Herr Lypar?“

„Herr Lypar bewacht hier den Hafen“, wollte ich sagen, doch Volo kam mir zuvor: „Nein, Kaufmann. Im- und Export.“ Er konnte ja auch wie ein ukrainischer Kaufmann aussehen.

„Interessant“, sagte Frau Morgan, und es entstand eine kleine Pause, bis Volo noch etwas unentschieden mit dem Telefon zum Fenster zurückstakte. Ich hatte ihn noch nie in der Nähe einer Frau gesehen.

„Nun, Herr Jensen, wir haben da einiges miteinander zu besprechen“, begann Frau Morgan, zog den Trenchcoat aus, suchte einen Bügel oder zumindest einen Haken und legte ihn schließlich über die Bilder, die an der Wand lehnten. Unschlüssig warf ich mein bekleckstes Konstlerhemd daneben.

Sie drang hier ein, holte mich zurück.

Wie konnte ich den Besuch kurzhalten?

Volo kam wieder näher, ließ die Frau nicht aus den Augen, bot ihr galant den Klappstuhl an, schenkte vorsichtig Tee ein und suchte den Raum nach Halva ab. Er war der Gastgeber, der ich nicht sein wollte. Dr. Morgan wischte schnell und unauffällig über den Sitz des Stuhls, bevor sie sich setzte. Volo fand nur die angebrochene Keksrolle aus Hepes Büro und legte sie zuvorkommend und vorsichtig neben das Teeglas, als wäre es ein sehr wertvolles Gut. Dann schob er sich einen leeren Bierkasten vor das Fenster und erkundete weiterhin das Telefon. Ich fand einen bekleckerten, niedrigen Schemel, der uns manchmal als Tisch diente und legte einige dicke Kunstbücher drauf, um mich ungefähr auf Augenhöhe mit Frau Morgan zu begeben.

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