Kitabı oku: «Handbuch Ius Publicum Europaeum», sayfa 3
bb) Demokratieprinzip
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Grenzen der Integrationsbereitschaft der Bundesrepublik Deutschland leitete das Bundesverfassungsgericht auch aus dem Demokratiegebot des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) her. In seiner Solange I-Entscheidung führte es als zusätzliches Argument für seine Zuständigkeit für eine Kontrolle des sekundären Gemeinschaftsrechts an, dass die Gemeinschaft noch „eines unmittelbar demokratisch legitimierten, aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Parlaments, das Gesetzgebungsbefugnisse besitzt und dem die zur Gesetzgebung zuständigen Gemeinschaftsorgane politisch voll verantwortlich sind“, entbehre.[75] Dieser Sachverhalt wurde später in der Solange II-Entscheidung freilich nicht als unüberwindliche Hürde für die Rücknahme der Gerichtsbarkeit über das abgeleitete Gemeinschaftsrecht angesehen, zumal die Integration weiter vorangeschritten sei.[76]
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In seinem Maastricht-Urteil stellte das Gericht im Hinblick auf Art. 79 Abs. 3 GG, der eine Änderung der Grundsätze der Art. 1 und 20 ausschließt, fest, dass „der Ausdehnung der Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Gemeinschaften vom demokratischen Prinzip her Grenzen gesetzt“ seien, da demokratische Legitimation maßgeblich „durch die Rückkopplung des Handelns europäischer Organe an die Parlamente der Mitgliedstaaten“ erfolge.[77] Die Vermittlung demokratischer Legitimation durch das Europäische Parlament trete bislang nur „stützend“ hinzu; sie müsse „schritthaltend mit der Integration ausgebaut werden“.[78] Adressat dieser Direktive, die bereits unter Berücksichtigung auch des neuen Art. 23 GG[79] begründet wurde, sind naturgemäß die deutschen Verfassungsorgane, soweit sie auf die Entscheidungen über weitere Integrationsschritte Einfluss nehmen können.
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Der Grundgedanke der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich somit in der einfachen Korrelation zusammenfassen, dass der Umfang der Zuständigkeiten der Europäischen Union das notwendige Maß demokratischer Legitimation der Gemeinschaftsorgane bestimmt.[80] Welche äußersten Grenzen damit der deutschen „Integrationsgewalt“[81] bei den Vertragsverhandlungen gezogen sind, ist freilich eine nicht leicht zu beantwortende Frage. Sie ist auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung des jeweiligen Integrationsschritts zu beantworten, wobei den zuständigen Verfassungsorganen eine Einschätzungsprärogative zukommt.[82]
cc) Bundesstaatsprinzip
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Da der Bund auch Hoheitsrechte übertragen darf, die innerstaatlich Kompetenzen der Länder betreffen, zieht die insofern „länderblinde“ Kompetenzerweiterung der Europäischen Gemeinschaft/Union in der Regel auch Kompetenzeinbußen der Länder nach sich. Die Länder haben sich daher früh über eine Einengung ihrer Gesetzgebungsbefugnisse beklagt, die wegen der Ausschöpfung der konkurrierenden Zuständigkeiten durch den Bundesgesetzgeber ohnehin begrenzt sind.[83] Wenn weitergehend ein drohender Verlust ihrer Eigenstaatlichkeit geltend gemacht wird, so wird damit auf einen möglichen Konflikt mit Art. 79 Abs. 3 GG abgehoben, der die Gliederung des Bundes in Länder und – in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG – das Bundesstaatsprinzip für nicht abänderbar erklärt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss den Ländern ein „Kern eigener Aufgaben als ‚Hausgut‘ unentziehbar“ verbleiben,[84] wobei das Gericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1992 offen ließ, ob dies nur im Verhältnis zum Bund oder auch bei Kompetenzübertragungen auf die Europäische Gemeinschaft gelten soll.[85] Diese Frage wurde bald darauf durch den in das Grundgesetz eingefügten neuen Art. 23 GG explizit im letzteren Sinne beantwortet.
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Die Länder versuchten früh, zur Kompensation ihrer Kompetenzverluste stärker an der Willensbildung in Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaften beteiligt zu werden. Bereits das Zustimmungsgesetz zu den Römischen Verträgen von 1957[86] hatte die Verpflichtung der Bundesregierung statuiert, nicht nur den Bundestag, sondern auch den Bundesrat (und auf diesem Wege die Landesregierungen) über die Entwicklungen im Rat der Wirtschaftsgemeinschaft und im Rat der Atomgemeinschaft laufend zu unterrichten. Gesteigerte Beteiligungsrechte des Bundesrates sah das Zustimmungsgesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 (EEA) vor,[87] mit der die Weichen für die Weiterentwicklung der Gemeinschaften und der Europäischen Politischen Zusammenarbeit zu einer Europäischen Union gestellt wurden. Da auch dieses Gesetz der Zustimmung des Bundesrates bedurfte, konnten die Länder ihre Forderungen im Wesentlichen durchsetzen. In dem Gesetz wurde nunmehr auch die Verpflichtung der Bundesregierung festgelegt, Stellungnahmen des Bundesrates zu Vorhaben der Europäischen Gemeinschaften, welche die Interessen der Länder berühren, bei den Verhandlungen zu berücksichtigen und, soweit es um Stellungnahmen geht, die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betreffen, davon nur „aus unabweisbaren außen- und integrationspolitischen Gründen“ abzuweichen.[88] Da das Zustimmungsgesetz zur EEA Rechtsbeziehungen zwischen Verfassungsorganen regelte, konnte es ohne Grundgesetzänderung nur dann als verfassungsmäßig qualifiziert werden, wenn man in ihm eine zutreffende Konkretisierung der Pflichten erblickte, die sich aus den verfassungsrechtlichen Prinzipien der Bundestreue oder der Organtreue ergeben.[89] Auch hinsichtlich der Beteiligungsrechte der Länder durch den Bundesrat brachte der 1992 in das Grundgesetz eingefügte neue Art. 23 GG bald eine explizite Regelung.
c) Fortentwicklung des Europaverfassungsrechts
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Angesichts der fortschreitenden Integration der Europäischen Gemeinschaften hatte es seit den 1970er Jahren Überlegungen zu einer Reform der auf die europäische Integration bezogenen Bestimmungen des Grundgesetzes gegeben. Die im Jahr 1973 vom Bundestag eingesetzte Enquête-Kommission Verfassungsreform befasste sich auch näher mit den Art. 24, 25, 32 und 59 des Grundgesetzes.[90] Eine der im Bericht aus dem Jahr 1976 formulierten Empfehlungen ging dahin, die Übertragung von Hoheitsrechten der Länder künftig nur auf der Grundlage eines von der Zustimmung des Bundesrates abhängigen Vertragsgesetzes zu erlauben.[91] Ein entsprechender Vorschlag war bereits im Parlamentarischen Rat diskutiert worden.
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Den entscheidenden Anlass für die Einfügung spezifischen Europaverfassungsrechts in das Grundgesetz lieferte der Maastrichter Unionsvertrag. In der im Januar 1992 konstituierten Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat kam man, nicht zuletzt auf der Basis einer Sachverständigenanhörung,[92] zu dem Schluss, dass mit dem Unionsvertrag ein „neues Stadium“ der europäischen Integration erreicht werde.[93] Bei der Expertenanhörung im Mai 1992 hatte die Mehrzahl der Sachverständigen vertreten, dass die mit dem Unionsvertrag erreichte Integrationsstufe nicht mehr durch das geltende Verfassungsrecht gedeckt sei. Art. 24 Abs. 1 GG gehe von der Übertragung einzelner Hoheitsrechte aus und nicht von einem Zusammenschluss, der weite Bereiche der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland bestimme. Entgegen dieser engen Interpretation des Art. 24 Abs. 1 GG hat man in anderen europäischen Ländern vergleichbare, nach dem deutschen Vorbild formulierte Integrationsklauseln weiter ausgelegt und sieht keine Schwierigkeit, auf ihrer Grundlage auch den Europäischen Verfassungsvertrag zu ratifizieren.[94]
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Mit ihrem Vorschlag für eine besondere Regelung der europäischen Integration wollte die Gemeinsame Verfassungskommission freilich nicht nur weitere Integrationsschritte ermöglichen, sondern auch gewährleisten, dass die Sicherung bestimmter vom Grundgesetz besonders geschützter Strukturprinzipien von der Bundesrepublik Deutschland zur Voraussetzung weiterer Integrationsschritte gemacht wird. Der neue „Europa-Artikel“ sollte dabei symbolträchtig die Stelle der früheren nationalen Integrationsklausel, der Bestimmung über das Inkrafttreten des Grundgesetzes in „anderen Teilen Deutschlands“, einnehmen. Der alte Art. 23 GG war mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik,[95] d.h. mit der am 3. Oktober 1990 wirksam gewordenen Wiedervereinigung, gegenstandslos geworden.
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Die Vorschläge der Gemeinsamen Verfassungskommission, die auch eine Reihe weiterer Bestimmungen des Grundgesetzes betrafen, wurden durch das 38. Änderungsgesetz zum Grundgesetz am 21. Dezember 1992[96] umgesetzt. Die weiteren durch dieses Gesetz eingefügten Grundgesetzbestimmungen betreffen u.a. die Einrichtung eines Europa-Ausschusses im Bundestag (Art. 45 a GG) und einer Europakammer im Bundesrat (Art. 52 Abs. 3a GG) sowie die Regelung des Kommunalwahlrechts von Unionsbürgern (Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG).
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Der vorerst letzte Schritt eines Ausbaus des Integrationsverfassungsrechts erfolgte im Jahr 2000[97] mit der Regelung von Ausnahmen des Verbotes der Auslieferung Deutscher an das Ausland im Interesse der Mitwirkung Deutschlands an einer internationalen Strafgerichtsbarkeit sowie an einer integrierten justiziellen Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Union (Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG).
2. Die Integrationsklauseln im Einzelnen
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Art. 23 GG n.F. ist seit der Grundgesetzänderung von 1992 die entscheidende Grundlage für die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der Fortentwicklung der EU. Wie seinerzeit bei Art. 24 Abs. 1 GG, der späteren Verfassungen als Vorbild diente, handelt es sich um einen in rechtsvergleichender Perspektive ungewöhnlichen Integrationsartikel, der an Regelungsdichte nur – allerdings erheblich – von der österreichischen Verfassung übertroffen wird.[98]
a) Art. 23 GG
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Anders als Art. 24 Abs. 1 GG weist Art. 23 GG eine mehrschichtige Normenstruktur auf. Er statuiert erstens eine inhaltlich qualifizierte, d.h. mit konkreten materiellen Vorgaben verbundene Staatszielbestimmung[99] (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG), er erteilt zweitens eine Integrationsermächtigung (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG), und er stellt drittens eine Reihe prozeduraler Anforderungen auf, die einerseits einen breiteren innerstaatlichen Konsens bei weiteren Integrationsschritten sichern (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 GG), andererseits den innerstaatlichen Willensbildungsprozess in europäischen Angelegenheiten generell auf eine breitere Basis stellen sollen, indem der Bundestag (Art. 23 Abs. 2 und 23 Abs. 3 GG) und für die Länder in abgestufter Weise der Bundesrat stärker einbezogen werden (Art. 23 Abs. 2 und 23 Abs. 4 bis 7 GG). Der im Zusammenhang mit dem Zustimmungsgesetz zum Maastrichter Vertrag eingefügte Europa-Artikel wirkt somit nicht nur integrationsöffnend, sondern auch stark integrationssteuernd.[100]
aa) Erweiterung der Integrationsperspektive
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Mit der Aussage, die Bundesrepublik Deutschland wirke zur „Verwirklichung eines vereinten Europas [...] bei der Entwicklung der Europäischen Union“ mit, benennt Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG zwei Staatsziele: erstens in Bekräftigung der Präambel das übergreifende Ziel eines „vereinten Europa“ und zweitens als dafür konkret und vorrangig anzustrebendes Ziel die Entwicklung der Europäischen Union.[101] Die nachfolgenden inhaltlichen Vorgaben beziehen sich demgemäß auf die EU. Mit ihrem Namen verbindet sich trotz der prozesshaften Konnotation des Begriffs „Union“[102] ein Integrationsziel, welches zwar über den Integrationsstand des Maastrichter Vertrages hinausreicht, jedoch nicht die Schaffung eines Bundesstaats einschließt. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Sinne einschränkend von der Europäischen Union als einem „Staatenverbund“ gesprochen.[103] In Übereinstimmung mit der Entstehungsgeschichte wird bis heute ganz überwiegend angenommen, dass Art. 23 GG nicht zur Aufgabe der völkerrechtlichen Souveränität der Bundesrepublik Deutschland durch Eingliederung in einen europäischen Bundesstaat ermächtigt. Dieser Punkt wäre spätestens dann erreicht, wenn die Europäische Union für sich die Verfassungsautonomie und damit die „Kompetenz-Kompetenz“ reklamierte. Der am 29. Oktober 2004 von den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union unterzeichnete Verfassungsvertrag[104] überschreitet diese Grenze nicht, auch wenn im Hinblick auf diesen Vertrag mit guten Gründen von der Entstehung einer „Republik“ gesprochen wurde.[105] Zwar führt vor allem die Reduzierung der Anwendungsfälle des Einstimmigkeitsprinzips im Rat zu einer Stärkung der Union. Doch beruht die Kompetenzverteilung zwischen nationaler und unionaler Ebene weiterhin auf dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung.[106]
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Die Aussage, dass Art. 23 GG nicht zur Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in einen europäischen Bundesstaat ermächtigt, bedeutet nicht, dass ein solches Ziel nicht durch Verfassungsänderung zu erreichen wäre. Allerdings ist in der deutschen Staatsrechtslehre streitig, ob in diesem Falle die Verfassungsänderungsschranke des Art. 79 Abs. 3 GG, der auf die Grundsätze des Art. 20 GG verweist, greifen würde. Soweit man in Art. 20 Abs. 1 GG („Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“) oder in Art. 20 Abs. 2 GG (Prinzip der Volkssouveränität) eine Garantie der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland im völkerrechtlichen Sinne erblickt, wäre in der Tat für die Dauer der Geltung des Grundgesetzes ein solcher Schritt ausgeschlossen. Nach zutreffender Ansicht ist indes ein Fortbestand der Bundesrepublik Deutschland mit ihren zwei staatlichen Ebenen auch in einem europäischen Bundesstaat denkbar. Jedenfalls im staatsrechtlichen Sinne bliebe die Bundesrepublik auch als zweite Ebene in einem dreigliedrigen Staatsgebilde Staat, solange ihr in der bundesstaatlichen Ordnung substanzielle Kompetenzen im Bereich der Legislative, der Exekutive und der Judikative verblieben. Vergleichbar wird den deutschen Ländern Staatsqualität im staatsrechtlichen Sinne zugeschrieben.[107]
bb) Inhaltliche Steuerung des Integrationsprozesses und Struktursicherung
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Während Art. 23 Abs. 1 GG einerseits den Weg zur Mitwirkung an einer politischen Integration Europas öffnet, schränkt er andererseits die Integrationsmöglichkeiten durch inhaltliche Vorgaben für die Gestaltung der Europäischen Union ein.
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Die in Art. 23 Abs. 1 GG statuierten inhaltlichen Direktiven für eine Beteiligung der Bundesrepublik an weiteren Integrationsschritten sind freilich keine unbekannten Beschränkungen, sondern positivieren im Wesentlichen die durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie das verfassungsrechtliche Schrifttum herausgearbeiteten verfassungsimmanenten Begrenzungen. Die Verpflichtung der deutschen Staatsorgane, nur an einer Entwicklung der Europäischen Union mitzuwirken, die „einen diesem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet“, knüpft erkennbar an die Solange I-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts[108] an.
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Zum verfassungsrechtlichen Essentiale des Grundgesetzes zählen auch die in Art. 20 verankerten Prinzipien. An sie anknüpfend fordert Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG die Weiterentwicklung einer Union, die „demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen“ verpflichtet ist. Die Verpflichtung auf demokratische Grundsätze ist insbesondere im Lichte des Monitums des Bundesverfassungsgerichts zu interpretieren, die Vermittlung demokratischer Legitimation durch das Europäische Parlament müsse „schritthaltend mit der Integration ausgebaut werden“ und dem Deutschen Bundestag müssten angesichts der Tatsache, dass der EU über die nationalen Parlamente demokratische Legitimation vermittelt werde, „Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben“.[109] Zum Kern der rechtsstaatlichen Prinzipien zählen neben den Freiheitsrechten das Recht auf effektiven Rechtsschutz sowie die Gewaltenteilung, die Rechtsbindung der Verwaltung und die Rechtssicherheit.[110] Bei den „sozialen Grundsätzen“ stehen die soziale Sicherheit und die Förderung der Chancengleichheit im Vordergrund.[111]
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Einigkeit herrscht dabei, dass die genannten Grundsätze nicht eine strukturelle Kongruenz oder Homogenität fordern,[112] sondern dass es nur darum gehen kann, funktional vergleichbare Ziele und Strukturen auf der Unionsebene sicherzustellen.[113] Insbesondere kann die Verpflichtung auf föderative Grundsätze nicht bedeuten, das deutsche Bundesstaatsmodell auf die EU zu übertragen. Es geht vielmehr darum, die Vielfalt in der Einheit, die vertikale Gliederung und damit Gewaltenteilung als Bauprinzip der Union zu wahren und weiterzuentwickeln. Betrachtet man die bisherige Entwicklung des primären Gemeinschaftsrechts, insbesondere die vom EuGH herausgearbeiteten allgemeinen Rechtsgrundsätze und Prinzipienbestimmungen wie Art. 6 Abs. 1 EU, so findet man nicht nur eine funktionale Vergleichbarkeit, sondern sogar eine weitgehende Kongruenz der maßgeblichen Prinzipien des deutschen Rechts einerseits und des Gemeinschaftsrechts andererseits.[114] An prominenter Stelle sind die mittlerweile zum europäischen Gemeingut zählenden Werte bzw. Verfassungsgrundsätze im Europäischen Verfassungsvertrag niedergelegt,[115] was das spanische Verfassungsgericht zu der Feststellung veranlasst hat, dass damit den von verschiedenen Verfassungsgerichten erklärten inhaltlichen Integrationsvorbehalten in vollem Umfang Rechnung getragen werde.[116]
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Erstmals im Grundgesetz erwähnt findet sich der Grundsatz der Subsidiarität. Mit der in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG genannten Verpflichtung der Integrationsgewalt auf diesen Grundsatz wird zum einen eine Richtschnur für die Regelung der Kompetenzverteilung von der supranationalen bis zur kommunalen Ebene in den zu verhandelnden neuen Integrationsverträgen gegeben, zum anderen eine Direktive für die vertraglich vorzusehende Kompetenzausübung der Union[117] und damit zugleich der insbesondere auf Betreiben Deutschlands in das Primärrecht eingeführte Subsidiaritätsgrundsatz[118] als aus deutscher Sicht unverzichtbarer acquis festgeschrieben.[119]
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Die so genannte „Struktursicherungsklausel“ des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG zielt in erster Linie darauf, eine Kompatibilität der grundlegenden Verfassungsprinzipien auf Unionsebene und auf der Ebene des deutschen Verfassungsrechts zu gewährleisten. Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG erklärt darüber hinaus den durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungskern für integrationsfest. Hat die Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG die positive Gestaltung der Verfassungsordnung der EU im Blick, so steht bei der Verfassungsbestandsklausel des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG die Abwehr von Verletzungen der nationalen Verfassungssubstanz im Vordergrund. Funktional dient dabei die durch Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG bewirkte indirekte Steuerung der Verfassungsentwicklung auf Unionsebene der Vermeidung von Konflikten, für die die absolute Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG relevant werden könnte. Der Sache nach wird insoweit auch den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 24 Abs. 1 GG entwickelten Integrationsschranken Rechnung getragen.
cc) Prozedurale Steuerung, insbesondere Föderalisierung der deutschen Integrationsgewalt
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Art. 23 GG soll ausweislich der Entstehungsgeschichte nicht zuletzt eine „Verschiebung der innerstaatlichen Gewichte zwischen Bund und Ländern“ verhindern, indem „die deutschen Mitwirkungs- und Wahrnehmungsrechte in Europa entsprechend der [...] Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern verteilt werden“.[120] Eine Stärkung der Position der Länder bedeutet es zunächst, dass die Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU, anders als bei Art. 24 GG, nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG stets der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Bei Verträgen grundgesetzändernden Inhalts soll sogar das Verfahren der Verfassungsänderung gelten (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.Vm. Art. 79 Abs. 2 GG), so dass das Zustimmungsgesetz eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat benötigt. Damit die Grundregel des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG (einfaches Zustimmungsgesetz) nicht leer läuft, ist Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG so zu verstehen, dass nicht jede Hoheitsübertragung, sondern nur solche von einigem Gewicht das Erfordernis verfassungsändernder Mehrheiten auslöst.[121] Freilich bleibt bei dieser Auslegung eine Zone der Unsicherheit, die im Falle eines fehlenden Konsenses der tragenden politischen Kräfte zusätzliches Konfliktpotential birgt.
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Abgesehen von der Beteiligung des Bundesrats bei der Verabschiedung der Vertragsgesetze zielt die Verankerung von Unterrichtungs- und Beteiligungsrechten des Bundesrates bei der Willensbildung in Angelegenheiten der EU auf eine prozedurale Effektivierung einer gebührenden Berücksichtigung der Belange der Länder. Die in den Absätzen 4 bis 6 geregelten Beteiligungsverfahren, die durch ein Ausführungsgesetz weiter konkretisiert werden,[122] sehen eine gestufte Intensität der Beteiligung vor. Danach hat die Bundesregierung neben den Stellungnahmen des Bundestages nach Art. 23 Abs. 3 GG[123] auch solche des Bundesrates zu berücksichtigen; soweit es um Vorhaben im Schwerpunkt der Gesetzgebungsmaterien der Länder geht, steigert sich die Berücksichtigung in eine „maßgebliche“. Am weitesten geht die Beteiligung, wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind. In diesem Falle soll die Position der Länder nicht nur berücksichtigt bzw. „maßgeblich“ berücksichtigt werden, sondern nach Art. 23 Abs. 6 die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen werden, wobei allerdings die Wahrnehmung der Rechte in Abstimmung mit der Bundesregierung zu erfolgen hat.
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Die in Art. 23 GG vorgesehenen Beteiligungsverfahren wirken sich auf die Koordinierung und die Konsensbildung in der Mehrebenenpolitik freilich keineswegs nur fördernd aus, wenngleich die subnationalen Untergliederungen anderer europäischer Staaten, etwa die Autonomen Gemeinschaften Spaniens, die deutsche Lösung häufig loben. In der jüngsten Diskussion über eine Reform des deutschen Föderalismus zogen unter dem Gesichtspunkt der Europafähigkeit des Grundgesetzes gerade die Kooperationsregelungen des Art. 23 GG Kritik auf sich. Befürchtet wird insbesondere, dass die durch Art. 23 GG geforderten Abstimmungsprozesse die Handlungsfähigkeit der deutschen Vertreter im Rat beeinträchtigen und so letztlich der deutsche Einfluss im Hauptrechtsetzungsorgan der Europäischen Gemeinschaft sinke.[124] Dass solche Auswirkungen bereits festzustellen sind, wird freilich von Vertretern der Länder und des Bundesrates bestritten. In dem Maße, in dem die subnationale Ebene auch anderer europäischer Mitgliedstaaten ähnliche Wege der Einflussnahme auf die Entscheidungen des Rates suchen, dürfte die Länderbeteiligung als solche nicht mehr in Frage gestellt werden. Dies schließt freilich die notwendige Suche nach neuen, funktional geeigneteren Beteiligungslösungen keineswegs aus.[125]