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Kitabı oku: «Adams Söhne», sayfa 22

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»Die Bomben sind dazu da«, murmelte Grabowski.

»Gut«, sagte Afinger. »Gut. Also losen wir, wer sie werfen soll; – sonst behauptet ihr am Ende noch, ich halt’ es auch mit den Bütteln. Wird der Betreffende gefasst, so suchen die andern ihm durch Alibi-Zeugen zu helfen; hat er Familie, so wird für die gesorgt. Sind wir einig?«

»Ja«, murmelten die andern Stimmen.

»Machen wir die Lose; – hernach wird geschworen – Was ist da für ein Geräusch?«

»Wo?« flüsterte Metzner.

»Da oben. Habt ihr nichts gehört? – Es knackt was. Ein Zweig. – Ist das Riedau? – Riedau, machen Sie keine Späße; die passen uns hier nicht. Kommen Sie herunter! – — Nein, das ist nicht Riedau. Steht auf!«

Die jungen Männer erhoben sich, fast alle bleich im Gesicht, und sahen in das Buschwerk und den Wald hinein.

Sie erblickten Berthold; er war in einer Art von Betäubung gegen einen Baum gesunken, seine Augen irrten, und ein leichtes Beben ging über seine Lippen. Zu sprechen versuchte er nicht.

»Das ist ja dieser Wittekind«, stieß Afinger hervor, überaus betroffen. »Wie kommt der hierher? Was heißt das?«

Berthold kam zu sich, er fühlte sich an den Armen und an der Brust ergriffen; seine Augen erkannten nun alles, das milchige Gesicht Grabowskis mit dem blonden Bärtchen, Metzners breiten Kopf und wulstige Stirn, die mageren, harten, vergeistigten Züge Afingers, die der Mond umspielte.

Der Vierte hatte ihn an den Baum gedrückt und fasste seine Schulter. Sie umstanden ihn alle; Metzner öffnete ein Messer, das nun fest im Griff stand. Flussabwärts tauchte noch ein Fünfter auf, eine kurze, schwarzhaarige Gestalt, die nicht ganz herantrat; eine kleine, metallene Pfeife blinkte in dessen Hand.

»Sprechen Sie leise«, murmelte Afinger, hart vor Bertholds Gesicht. »Und sagen Sie die Wahrheit. Sonst liegen Sie gleich auf der Erde, so und so viel Zoll Eisen in der Brust. Wie kommen Sie hierher?«

»Durch Riedau«, antwortete er langsam; noch mit dem Grauen kämpfend, das all’ diese Reden in ihm hervorgerufen, das diese blassen, verwilderten Gesichter noch vermehrten. »Er – er hat mich – —«

»Hierher geschickt? Riedau?«

Berthold nickte.

Metzner schien lachen zu wollen, seine Zähne blinkten.

»Da hast du’s!« sagte er, zu Afinger gewandt. »Der Spitzel schickt den hierher, er soll uns —«

»Still!« unterbrach ihn Afinger kurz. »Lass’ mich! – Warum hat Riedau Sie hierher geschickt? Was sollen Sie hier?«

»Ich weiß es nicht«, murmelte Berthold.

»Was? Sie wissen es nicht?«

»Nein. Was er will, das – das weiß ich nicht. Die Herren ›tagen‹ hier, hat er mir gesagt; sie beraten hier. Hätt’ ich gewusst, was sie hier beraten – lieber wär’ ich gestorben, als hierhergekommen!«

»Sie sind auch noch nicht lebendig wieder fort«, erwiderte Messner grimmig. »Denken Sie nicht, dass wir lange fackeln, wenn sich da jemand in den Schatten stellt und zuhört. Wir tragen unsere Haut zu Markt; da ist die der andern doppelt wohlfeil – das sehen Sie wohl ein. Was hat Ihnen Riedau gesagt?«

»Was ich Ihnen sagte —«

»Hund, du lügst!«

Afinger legte seine Hand auf Metzners Arm, der das Messer so hob, dass es im Mondlicht blinkte.

»Sei still!« sagte er ungeduldig. »Lass’ mich nur machen; ich – kenne diesen Herrn. Der lügt nicht, das weiß ich. Das seh’ ich ihm auch an. So einer lässt sich nicht aufs Horchen schicken; und dann – Horchen – was heißt das! Riedau weiß ja ohne den, was los ist. Ihr phantasiert in den Tag hinein. Dieser junge Mensch ist hergekommen, weil er sich’s anders gedacht hat; weil er – was wir vorhaben – —«

Hier stockte Afinger selbst. Seine Lippen blieben offen, seine Augen schärften sich und warfen einen gefährlichen Blick seitwärts auf den Jüngling. Berthold erfasste diesen Blick, der zu sagen schien: Nun weißt du aber zu viel; dir ist nicht zu helfen!

»Machen wir ein Ende!« sagte der Vierte rau, der, den Berthold nicht kannte. »Was soll mit dem Menschen gescheh’n?« —

Metzner stieß die Luft zwischen den Zähnen durch.

»Den hat uns dieser Höllensohn, der Riedau, in die Suppe gebrockt; nun müssen wir ihn mit aufessen. Er kann ja nicht wieder fort. Sonst sind wir verloren!«

Berthold sah auf das Dolchmesser und in Metzners schwarzbärtiges Gesicht; plötzlich war ihm, als ringe sich ein schon lange eingesperrter Schrei aus seiner Kehle herauf und wolle in die Luft, als müsse er sonst ersticken.

›Hilfe! Hilfe rufen‹, dachte er … ›Aber ruf’ ich um Hilfe, so hab’ ich ja sofort das Messer in der Brust.‹ … Er starrte wieder auf alle diese Gesichter, wie auf Wahnbilder eines beginnenden Traums, wenn man eben einschläft. ›Kann das wirklich sein?‹ fuhr ihm durch den Kopf. ›Ja, ja, ja, es ist. Da ist es ja schon, dieses Furchtbare, dieses „Gewaltige“‹ – von dem er vor einer halben Stunde phantasiert, in dem er sich berauscht hatte. Eine Stimme ohne Ton schien zu sagen: Sterben … Berthold Wittekind soll sterben … Er fühlte etwas Nasses, Kaltes auf seiner Stirn; mechanisch wollte er die Hand heben, um es wegzuwischen, aber seine beiden Arme waren festgehalten.

Jemand schüttelte ihn; vielleicht war es auch das Grauen; er wusste, er begriff es nicht.

»Nun, was sagen Sie dazu?« fragte Afinger, scheinbar kalt und ruhig.

»Wozu?« fragte Berthold zurück.

»Dass Sie zu viel gehört haben und nun – nicht wieder fort können. Was sagen denn Sie dazu?«

»Ich? Nichts«, antwortete Berthold; mit einer Ruhe, die ihn selber in Erstaunen setzte.

»Da will ich Ihnen noch etwas sagen«, fing Afinger wieder an; »und ihr, redet mir nicht hinein; ihr kennt ihn alle nicht so, wie ich. Was wir uns vorgenommen haben, das gefällt Ihnen nicht —«

Berthold schüttelte heftig den Kopf; das Schütteln ergriff seinen ganzen Körper und rieselte an ihm bis zu den Fersen hinab.

»Nu ja – ich seh’s Ihnen an! – Aber Sie haben Ehre im Leibe, daran zweifl’ ich nicht. Schwören Sie uns – bei allem, was Ihnen heilig ist – dass Sie schweigen wollen; nie ein Wort, versteh’n Sie, über das, was Sie hier gehört haben – und was kommen wird. Schwören Sie das genau und ausführlich. Dann lass’ ich Sie geh’n.«

Metzner knurrte unwillig; Afinger blickte ihn aber scharf und überlegen an. Zugleich zog er ein Dolchmesser hervor, dem des andern ähnlich, und öffnete es. Grabowski tat dasselbe.

»Ich soll schweigen«, fragte Berthold, »was Sie dann auch tun? Und Sie werden es tun?«

»Fragen Sie nicht lange; machen Sie geschwind, wir haben keine Zeit, zu warten.«

»Sie wollen es tun, und ich soll still sein, als wüsste ich von nichts? Ich soll es geschehen lassen, ohne mich zu rühren? – Dann tu’ ich’s ja mit. Dann bin ich ja —«

›Ein Ungeheuer wie ihr‹, wollte er sagen; er hielt es aber zurück. Seine Lippen bebten. ›Vater! Vater!‹ dachte er plötzlich. ›Es ist um mich gescheh’n!‹

»Mach’ ein Ende!« murmelte Metzner, indem er Afingers Arm fasste. »Sonst beim Teufel tu’ ich’s!«

»Ich werd’s schon machen, sei ruhig«, antwortete Afinger und riss seinen Arm los. Er wandte sich dann wieder zu Berthold; das Blut stieg ihm in die Augen und in das fahle Gesicht. »Nun ist’s aus«, sagte er. »Nun hören Sie mein letztes Wort. Es geht um unser Leben; danach handeln wir also; danach richten Sie sich. Wollen Sie so schwören, Wort für Wort, wie ich es verlange, oder wollen Sie’s nicht?«

›Ich kann mich also retten‹, dachte Berthold. ›Ich kann’s!‹ – Die Angst der Kreatur lief ihm durch die Glieder.

Schnell wie der Wetterschlag erhob sich aber in ihm ein anderes, wunderbares Gefühl; ein wildes Schwellen seiner Lebenskraft, ein aufbäumender Stolz, eine flammenheiße Empfindung von sich selbst: der bin ich – und der bleib’ ich!

›Und wenn die Stunde kommt‹, hörte er sich sagen, ›werd’ ich es beweisen.‹ …

»Nein!« rief er aus, und wiederholte es lauter. »Das schwör ich euch nicht!«

»Dann fahr’ ab, du Hund!« sagte Metzner mit verhaltener Stimme und hob seinen Dolch.

Afinger aber, der Gesicht gegen Gesicht vor Berthold stand, kam ihm zuvor; ohne zu sprechen, stieß er dem Jüngling sein Messer tief in die Brust. Berthold fühlte den stechenden Schmerz; er sah nun auch Metzners Klinge in der Luft, von der Seite her gegen sein Gesicht gerichtet; unwillkürlich warf er den Kopf zurück. Der Dolch traf ihn nur seitwärts von der Schläfe.

Er empfand noch die Wärme des hervorquellenden und hinabfließenden Bluts; dann taumelte er, seine Augen schlossen sich, und er fiel zur Erde.

»Hat er genug?« hörte er noch sagen. Irgendjemand schien es durch einen Laut zu bejahen. Einen Augenblick danach ertönte ein schwacher Pfiff; er schien von der Warnungspfeife jenes Fünften da unten am Fluss zu kommen.

Sogleich entfernten sich hastige, leise, zuweilen knackende Schritte; nach allen Seiten, wie es Berthold däuchte. Nicht lange, so war alles still.

»Hat er genug?« wiederholte er sinnlos flüsternd vor sich hin. Sein halb erloschenes Bewusstsein flackerte heller auf; er dachte an seinen Vater, an Marie – und auch an die sich schärfenden Schmerzen oben und in der Brust. ›Könnt’ ich zu Hause sterben‹, dachte er, und richtete sich auf. Zu seinem Erstaunen regten sich die gleichsam träumenden Kräfte; der Schmerz schien sie zu stacheln, statt sie wegzuzehren. Nach einer Weile stand er, sah den Mond, die Sterne, sah wie ein Lebender aufrecht in die nächtliche, schlafende Welt hinein. Die andern waren alle wie ein Spuk verschwunden. Dort hinunter lag Salzburg: er wusst’ es, er kannte seinen Weg. Langsam, zuweilen leise erschwankend ging er am Ufer hin, so wie er hatte kommen wollen: es stand alles klar vor seinem Hirn, das zu brennen schien.

Nur ward es kühler darin, je weiter ihn seine taumelnden Schritte führten; zuletzt verbreitete sich vom Scheitel her ein frierendes Gefühl, in dem auch sein Wissen von sich und der Welt ohne Schmerz verging. Er hatte den gebahnten Fußweg, den der Mond beglänzte, noch nicht ganz erreicht, als er, alles vergessend, nur noch einmal den Vaternamen seufzend, neben einem der letzten Bäume ins Moos sank.

VI. Kapitel

Wittekind war an diesem Abend in unfrohen Gedanken bis Anif gegangen, und darüber hinaus; nicht auf der Fahrstraße, die über Hellbrunn führt, sondern auf dem Fußweg, der in der Nähe der Salzach bleibt. Er ging rasch, sah nicht viel um sich her, und ging ebenso rasch zurück; erst als ihn die Nacht ganz umfangen hatte, begann sich gleichsam das Rad in seiner Seele schwerer, zögernder zu wälzen und verlangsamte auch seinen Schritt. Gewohnt, nach Klarheit zu ringen und jede Halbheit zu flieh’n, kämpfte er mit dem Entschluss, das gastliche Haus am Kapuzinerberg schon jetzt zu verlassen; denn wohin sollte es führen, wenn er länger blieb? Marie zu gewinnen musste er verzweifeln; er konnte nur an diese Frau so viel von sich verlieren, dass ihm zu wenig zum Leben blieb. Ihr Herz wollte ihn nicht, bedurfte seiner nicht. Neigte es sich noch irgendeinem anderen Herzen zu, oder konnte seine Erstarrung noch einmal in Neigung schmelzen, so würde das dem Sohn, nicht dem Vater gelten … Er fühlte das, und suchte es ohne Neid zu fühlen; wie konnte er seinem Kind, seinem geliebten Einzigen, irgendwas missgönnen? Aber bleiben? Wozu? In nutzloser Qual mit anschauen, wie die Erwiderung, die seinem Gefühl versagt ward, etwa einem andern zufiel, der noch so ganz werdende Blüte war, der an ein ernstes Band fürs Leben nicht denken konnte? Es war für alle gut, wenn dies endete … Und doch war ›Scheiden und Meiden‹ so schwer. Die Augen zu Boden gesenkt, die Brauen hinabgezogen, ging er desto unlustiger, gedämpfter, je näher er Salzburg kam, je mehr er den Magnet dieses Orts und den Schmerz der Entscheidung fühlte.

Gedankenlos wich er endlich vom Wege ab und trat nach rechts auf die Bäume zu, da ein unklarer Eindruck ihn beschäftigte. Er sah bewusster auf und betrachtete die am Boden liegende Gestalt, die seine Augen auf sich gezogen hatte. Der Mond drang zwischen den Zweigen eines Baumes durch, der weiter rückwärts hoch aufragte, und zeigte ihm nun ein Gespenst, an dessen Leibhaftigkeit selbst sein männlicher Geist zu glauben für unmöglich hielt: es lag da jemand wie sein Sohn, regungslos, leichenfahl, die Haare klebend von Blut, das Gesicht rot überflossen, aus der Brust sickerten die Tropfen auf die Erde hin. Berthold, sein Sohn, den er vor ein paar Stunden in jenem Hause verlassen, der ihm in seiner blühenden Schönheit nachgelächelt hatte; der hier am Wald in der Nacht, allein, sterbend oder tot … Er stand zuerst, starrte und rührte sich nicht. Ein Mann, der von seiner Insel aufs Meer hinausgefahren ist und zurückkommt und sie versunken und verschwunden findet, könnte nicht versteinerter hinschauen und das Unbegreifliche vergeblicher zu fassen suchen. Und hätte ein Blitz vom reinen Himmel herab vor seinen Augen Berthold niedergeschlagen, es hätte ihn nicht furchtbarer betroffen.

»Allmächtiger!« rief er endlich, mit so veränderter Stimme, dass er selber sie nicht erkannt hätte. »Ist das wirklich mein Kind!«

Das sickernde Blut gab ihm die Besinnung wieder.

Berthold – er rief ihn bei seinem Namen an – rührte sich nicht; Wittekind kniete aber neben ihm ins Moos, und während er noch das Entsetzen wie eine kalte Faust in seinem Nacken fühlte, suchte er die Wunden, betastete sie, riss die Tücher aus seiner und aus Bertholds Tasche, zerriss sein geöffnetes Hemd und eilte an Kopf und Brust die Wunden zu verbinden, so gut, wie es eben ging. Eine Wonne war ihm, das leise Seufzen des Beunruhigten, seinen matten Atem zu hören, der sein Leben kundgab; den Herzschlag zu fühlen, der mit seiner gestauten Kraft doch immer noch Tropfen aus dem blutenden Spalt hervortrieb.

»Berthold!« rief er wieder, als hoffte er dann die Augen sich öffnen zu sehen und ein neues Leben in der armen, erschöpften Gestalt zu wecken. Die blassen Lider hoben sich aber nur zur Hälfte, wie die Blätter einer Knospe, die von der sinkenden Sonne gestreift werden, und fielen wieder zu. Wittekind nahm sein Herz und seine Kraft zusammen, hob den Jüngling mit beiden Armen, lehnte ihn gegen seine linke Schulter und trug ihn auf dem Wege fort.

Wie segnete er seine Stärke, die er so gern geübt, gestählt hatte, und die in dieser nie gekannten Not zu wachsen schien; es kam eine Art von Raserei über ihn, er schritt so gewaltig aus, dass er zuweilen in ein Taumeln geriet, er warf die immer schwerere Last höher über die Schulter, um länger auszuhalten, und murmelte ermutigende Worte vor sich hin, die ihn, als kämen sie von außen, in seinem Innersten aufzustacheln schienen. Endlich stöhnte er doch vor Grimm und Schmerz: die Muskeln, die schon lange bebten, widerstanden nicht mehr. Die Arme erlahmten und die Knie wankten. Er sah in der Ferne wohl die ersten Häuser, sie zu erreichen hoffte er nicht mehr. Nirgends ein Mensch oder eine Stimme. Noch einmal versuchte er, verborgene Kräfte aufzurütteln, und wankte noch eine Strecke weiter; dann sah er ein, er müsse zusammenbrechen. Erschrocken ließ er ihn, der noch immer ohne Bewusstsein war, langsam niedergleiten, warf sich neben ihm hin, und fühlte, während er zu den kalten Sternen aussah, das Zittern seiner Glieder, das wütende Hämmern seines überreizten Herzens und die bittere Not in seinen ruhelos fliegenden Gedanken.

Als ihm ein wenig Ruhe und Stärke wiederkam, stand er auf und begann zu rufen. Seine Stimme war geschwächt und rau, als hätte er sie durch Missbrauch erschöpft. ›Hätt’ ich jetzt Saltners „Trompetenstimme“‹, dachte er; ›könnt’ ich wie der Donner losbrechen, dass alle Fenster in Salzburg zitterten und bebten!‹ – Er rief allmählich kräftiger, durchdringender; aber lange umsonst. Endlich kam ein Mensch gelaufen, ein halberwachsener Bursch, der, an der Salzach umherlungernd, die heisere Stimme gehört hatte. Wittekind schickte ihn mit großer Belohnung und größerer Versprechung nach der Stadt zurück: mit dem ersten Wagen, den er finde solle er hierher eilen. Der Bursche lief, und war bald verschwunden. Endlose Zeit verging; unterdessen kniete Wittekind im Gras, Berthold auf seinem Schoß, den Kopf an seiner Brust; küsste die blutigen Wangen und die reinen Lippen, und horchte immer wieder auf das leise Leben, das in dem unbewussten Körper atmete und pochte. Die Nacht war kühl, und so unbeschützt, in seinem leichten Rock, lag der Jüngling da. Wittekind zog den eigenen aus und deckte ihn damit zu. Ihn schauerte und fror; ›ach!‹ dachte er, ›könnt’ ich ihn nur durch irgendein Opfer retten!‹ – Und immer starrte er wieder dieses Rätsel an, fragte vor sich hin:

»Wer hat das getan? Was ist ihm gescheh’n?«

Ein Wagen rollte endlich durch die Stille heran; der Bursch sprang heraus, sie hoben Berthold hinein und fuhren zu Saltners Haus. Die Tür stand noch offen; der Alte und Marie, irgendeines Unglücks gewärtig, da Vater und Sohn nicht heimkamen, eilten ihnen entgegen. Sie sahen nun, dass ihre Ahnung nicht gelogen hatte. Marie ward blass wie der Tod; Saltner stand erschüttert, fasste sich aber mit erstaunlicher Kraft. Die beiden Männer trugen Berthold in sein Zimmer hinauf und legten ihn aufs Bett. Er seufzte und stöhnte zuweilen, stärker als zuvor; dann versank er wieder in die starre Ruhe. Sie öffneten seine Kleider; nun erschien aber auch schon Marie, noch blass, doch still und gesammelt, mit allem, was ihre Hausapotheke hergab. Es fehlte nichts, das vonnöten war; sie breitete alles aus, mit zuweilen zitternden Händen, aber überlegt, ohne Hast, wie eine barmherzige Schwester, die ihren Dienst verrichtet. Bald hatte sie den ersten Notverband gelöst und legte einen andern, kunstgerechten an; nachdem sie die Wunden gewaschen, gereinigt und dieses edle, marmorbleiche Gesicht von aller Entstellung befreit hatte.

Wittekind wollte ihr wehren und es selber tun; sie sah ihn aber groß an:

»Haben Sie vergessen«, sagte sie mit einem leise bebenden Lächeln, »dass ich der ›Leibarzt‹ war? – Lassen Sie mich nur. Die Männer können so vieles, um das ich sie beneide; das da können wir besser!«

Wittekind schwieg, dankte ihr durch einen Blick, und sah nun in dumpfer Erstarrung zu. Nach einer Weile kam Kathi, mit Eisstücken in einer Schale; Marie hatte sie ausgeschickt. Kathis Tränen flossen. Sie blieb aber ganz still; die ›barmherzige Schwester‹ hatte ihr’s befohlen. Endlich erschien auch der Arzt, dem man den Wagen geschickt hatte; ein schon ergrauter, rüstiger Mann, mit Saltner befreundet und vom Winter her mit Marie und ihren ärztlichen Einsichten bekannt, wie er sie denn auch sofort mit seiner vertraulich trockenen Herzlichkeit begrüßte. Jetzt erwachte wieder Wittekinds tiefe Seelenangst. Er trat an das von der Wand abgerückte Bett, dem Doktor gegenüber, ließ die Augen nicht von ihm und suchte von jeder seiner Mienen das Urteil abzulesen: Leben oder Tod!

»Was haben Sie mir zu sagen?« fragte er, sich fassend, als der Arzt seine lange Prüfung beendet hatte. »Schonen Sie mich nicht; ich will alles wissen!«

»Wir müssen’s abwarten«, erwiderte der Doktor bedächtig. »Da unten, das ist nicht so schlimm; er hat Glück gehabt die edlen Teile sind nicht betroffen, kann ich Ihnen sagen. Viel Blut ist verloren – das ersetzt sich wieder. Auch die Hirnschale ist gut davongekommen; aber der Riss ist lang, und dass sich die Hirnhaut entzündet, das kann uns leicht geschehen. Was sich dagegen tun lässt, daran wird’s ja nicht fehlen. Auf diese junge Frau können Sie sich verlassen; sie hat mir auch schon zugeflüstert, ich soll keine Pflegerin schicken, sie will alles selbst tun. Das Beste ist, wir tun ihr einstweilen den Willen; das Weitere findet sich. – Sie versteht’s. Also guten Mut!«

Wittekind nickte stumm. Der Arzt wandte sich zu Marie und ordnete mit gedämpfter Stimme an, was zunächst zu tun sei; dann grüßte er und ging. Marie ging ihm nach. Saltner blieb noch eine Weile; Kathi war schon fort. Endlich bat Wittekind den Alten, dessen langes, ernstes Gesicht weich auf den Jüngling hinuntersah, er möge nun schlafen gehen und ihm die Nachtwache bei seinem Sohn überlassen. Saltner sträubte sich; Wittekind drängte ihn fort.

An der Tür wandte sich der Alte und umarmte ihn so heftig, dass er fast einen Schmerzenslaut ausgestoßen hätte; dann schritt er aus der Tür.

Der Vater war wieder allein; plötzlich verließ ihn die Fassung, er warf sich neben dem Bett auf die Knie hin.

»Berthold! Mein Sohn! Mein Sohn!« schluchzte er. »Darfst mich nicht verlassen! Alles auf Erden – du nicht! Was haben sie dir getan – welches Ungeheuer – — diese holde Blüte, dieses schuldlose Herz! – Bringt sie mir her, ich will sie zerreißen, ich will sie vernichten. Ich will ihr Blut vergießen, wie sie deins vergossen. Mit diesen Händen will ich sie – — Berthold! Mein letztes Kind! Stirbst du, so geh’ ich mit. Lasst mir meinen Berthold! Lasst ihn mir nicht sterben! Lasst ihn mir nicht sterben!«

Er fühlte eine leichte Hand auf seinem Haar und wandte langsam den Kopf. Marie war auf ihren leisen Füßen wieder eingetreten; sie hatte ein bequemeres Gewand angelegt und Kissen gebracht, auf denen sie Bertholds Kopf besser betten wollte. Ihre weiche, beruhigende Stimme sagte gedämpft, doch mit Festigkeit:

»Er wird Ihnen nicht sterben. Seien Sie getrost. Armer – und doch noch glücklicher Vater. Ihr Sohn lebt; und liebt Sie; und er wird auch leben. O verzagen Sie nicht!«

›Wie Musik‹, dachte er, ihrer Stimme lauschend. Er hatte ihre Hand gefasst, hielt sie fest, legte sie auf seine glühende Stirn und auf seine Wangen. Noch einmal musste er aufschluchzen; dann atmete er wieder, wenn auch schwer, doch still. Marie bewegte sich nicht, sie neigte sich nur ein wenig, um ihm die Hand zu lassen. So blieben sie eine geraume Zeit, sie stehend, er auf den Knien, an das Bett gelehnt.

Erst Bertholds unerwartete Stimme trennte sie; er begann zu sprechen. Es erwachten in ihm offenbar Fieberphantasien; seine Arme bewegten sich, sein bisher so starres Gesicht geriet in ausdrucksvolle Erregung. Das Eis, das auf seinem Kopf lag, konnte die Glut in dem träumenden Gehirn nicht löschen; die Bilder darin jagten einander, wie sich in einer seichten Brandung die Wellen überstürzen. Von Zeit zu Zeit hörten ihn Wittekind und Marie ihre Namen nennen; dann flog seine Phantasie wieder in unverständlichem Murmeln davon, oder stieß mit Heftigkeit und Leidenschaft Namen aus, die sie beide nicht kannten. Auch das Gespräch von gestern tauchte in seinen Gedanken auf: er fühlte sich als wandernde Seele, die durchs Weltall irrte, die auf dem Mond erschien, die sich dann in irgendeine verhasste Gestalt versetzt sah, von der sie sich mit Messer und Dolch zu befreien suchte. Zuweilen ward er ruhiger, ward still; dann atmete der Vater auf und täuschte mit der ›barmherzigen Schwester‹ einen Blick der Erleichterung. Bald begannen aber wieder die gehetzten Träume, die gemurmelten Phantasien. So verging die Nacht.

Umsonst versuchte Wittekind, Marie zu bewegen, dass sie schlafen gehe; mit ihrem ernsten Lächeln schüttelte sie den Kopf.

»Wozu reden Sie«, sagte sie; »der Doktor, wissen Sie ja, hat mich angestellt. Sie aber sollten schlafen. Ich bedarf Ihrer Hilfe nicht.«

»Ich? Ich bin der Vater«, antwortete er. »Aber Sie – — Ihre zarte Gesundheit —«

»Ich bin viel zu gesund«, antwortete sie leise. »Und in all diesem Jammer macht es mich so glücklich, dass ich etwas zu tun habe, dass ich helfen kann.«

»Helfen – aber nicht die Nächte verwachen —«

Sie fiel ihm ins Wort, auf Berthold blickend:

»Ist er nicht Ihr Sohn?«

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04 aralık 2019
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