Kitabı oku: «Das Kind», sayfa 6
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In das Pfeifen hinein erklang gedämpfter Gesang, von einem frischen hübschen Bariton; er schien von dem Fahrweg zu kommen, der zum Hotel und daran vorbei ging. Die Nacht war schon so still, daß man ihn sehr deutlich hörte. Nach einer Weile ließ Rutenberg ab, zu pfeifen, und lauschte angestrengt, mit vorgebeugtem Kopf; seine Brauen zogen sich zusammen. »Du,« sagte er, »was ist das?«
»Gesang,« brummte Schilcher. »Auf der Straße«.
»Das hör’ ich. Aber – aber – die Stimme klingt mir so bekannt . . .«
»Mir nicht. – Italienische Worte. Ein italienisches Lied.« Rutenberg nickte, sehr verstört. »Aber so gesungen, wie es ein Engländer oder ein Deutscher singt. So unitalienisch.«
»Bei Gott, diese Stimme kenn ich!«
»Das wär ja auch noch kein Unglück – »Kein Unglück . . . Mann, ich sag’ dir . . .-«
Rutenberg sagte es aber nicht. Er ging auf den Zehen, als sollte man ihn nicht hören, zu der südlichen Thür, die an einen buntgepflasterten Balkon vor den Südzimmern und zu einer breiteren Terrasse am Fahrweg führte. In der Thür blieb er stehn und schaute zurück: Will nur ’mal nach dem Rechten sehn . . . Damit ging er hinaus.
Was hat er? dachte Schilcher. Ihn verließ nun doch auch die »klassische Ruhe«. Rutenbergs sonderbares, unheimliches Gesicht hatte ihn aufgestört. Er horchte. Der Gesang dauerte nur noch ein paar Takte, ward dann plötzlich still. Er öffnete leise die Thür, die der andre wieder geschlossen hatte; es war nichts zu hören. Endlich kamen gedämpfte Schritte von der dunklen Terrasse her, die bekannte hohe und breite Gestalt tauchte auf, ging rasch auf den kleinen Schilcher zu und schob ihn vor sich her in den Salon zurück.
»Es ist richtig,« sagte Rutenberg, als sie drinnen waren. »Ich hatte recht. Er ist es!«
»Mensch, du bist ja blaß. Wer? Arthur?«
»Da. Dieser Wyttenbach. Draußen auf der Straße . . . Rutenberg mußte erst tüchtig atmen, eh’ er weitersprechen konnte. »Und Gertrud stand an ihrem Fenster. Ich hab’s gesehen. Sie mich nicht; ich sie alle beide . . . Schilcher das war abgekartet! – Jetzt geh’ ich zu meinem Kind – jetzt geh’ ich zu meinem Kind und sag’ ihr —« Er hob die Faust; er war außer sich.
»Ruhig, Mann! ruhig!« nahm nun Schilcher das Wort und hielt ihn am rechten Arm. »Umgekehrt wird ein Schuh daraus, nichts sagen! gar nichts! Nichts?«
»Nein. Den jungen Menschen herausrufen. Erstaunt, ganz harmlos erstaunt, ihn in Sorrent zu sehn. Und das Kind dazu rufen, na, und dann so allmählich herausbringen, was das Ding bedeutet!«
Rutenberg starrte den Oberapellationsrat an. Er sah das kleine, kluge Lächeln, das über das bartlose Gesicht huschte; ihm kam dabei die Fassung wieder, oder doch etwas Aehnliches, er fuhr sich durch das dichte Haar. »Hast recht, Alter. Hast schon wieder recht. Keine Scene. Ruhe. Ohne Uebereilung! – Ich kann den Bengel nicht sehen, aber ich will ihn sehen. Ich will —«
Er war schon wieder bei der Thür.
»Was willst du?« fragte Schilcher.
»Es ganz so machen, wie du meintest. Wie ein Diplomat, Schilcher. Hab’ um mich keine Bangen das mach’ ich. – ’s ist aus, Schilcher! Unser Glück ist aus! – Aber die Sache wird in aller Ruhe —«
Er trat auf den Balkon. Die Thür fiel wieder zu.
Der arme Schilcher stand und horchte, ihm ward nun nachträglich schlecht zu Mut. Dieser dreiste Bengel, dieser Schwerenöter plötzlich abends um Neun in Sorrent! Darum jeden Abend ohne Whist in der Ecke sitzen . . . Damit so ein Kerlchen dann doch – —
Rutenberg schien das Kerlchen zu rufen, dann schien er zu Gertrud zu gehn, die ihr Zimmer auch auf der Südseite hatte, neben dem Salon. Dann war’s eine Weile still. Ob der Bengel wirklich kommt? dachte Schilcher. Ja, natürlich kommt er! Mir ist, als hört’ ich schon seinen schwebenden Adonisgang draußen auf der Treppe . . .«
Auf einmal fiel ihm ein, daß er doch auch das Seinige thun könne, um herauszubringen wie die Sache sei, abgekartet oder nicht? – Er knöpfte sich den Rock zu, für die kühle Nachtluft; darauf ging er geschwind auf den Korridor hinaus. Dort hing auch sein Hut. Er nahm ihn vom Riegel. Richtig, der Schwerenöter kam schon die Treppe herauf, schwarz oder dunkelbraun gekleidet, einen hellen Ueberzieher auf dem Arm, einen von diesen verhaßten Cylindern auf dem Kopf. Mit seinem scharmantesten Lächeln zog er den Hut herunter, Schilcher zu begrüßen. »Welche angenehme Ueberraschung, Herr Oberappellationsrat —«
»Ja, sehr angenehm,« fiel ihm Schilcher ins Wort. »Sie entschuldigen!«
So ging der kleine Herr an ihm vorbei und die Treppe hinab.
Arthur van Wyttenbach verzog das Gesicht, er stand eine Weile still. Drollige Begrüßung, dachte er. Unendlich warme Begrüßung . . . Aus seinem sauren Lächeln ward allmählich ein freieres. »Pah!« blies er zwischen den Lippen hervor. Offene Arme hatte er ja nicht erwartet. Bei dem Mädel, ja, bei den beiden landflüchtigen Jubelgreisen nicht. Jetzt nur ruhig Blut, dachte er, den Hut in der Hand behaltend, und nur immer munter! Mit den Jubelgreisen werden wir wohl fertig!
In dem Zimmer geradeaus hörte er jetzt Stimmen, sie kamen ihm sehr bekannt vor, mit raschem Entschluß trat er ein. Es war der Salon, am Lesetisch und am Klavier sogleich zu erkennen, Gertrud, die jetzt blasser, und ihr auch nicht sehr gesund gefärbter Vater standen am großen Tisch. Arthur machte seine schönste Verbeugung.
»Wir sind sehr erstaunt,« sagte Rutenberg, der nur durch eine unentschiedene Bewegung grüßte, »sehr überrascht, Herr van Wyttenbach. Wir alle —!«
Er warf dabei einen flüchtigen Blick auf Gertrud, die zu lächeln suchte, als fühle sie sich auch überrascht.
»Natürlich,« erwiderte Arthur, »da Sie alle nicht wußten und nicht wissen konnten, daß auch meine unbedeutende Persönlichkeit sich erlauben würde, einen kleinen ›Ritt in das romantische Land‹ zu unternehmen —«
»Und Sie vermuteten wohl auch nicht, uns hier in Sorrent zu finden!«
»Ich? Keine Ahnung! Wie ich plötzlich Ihre Stimme hörte – und Fräulein Gertrud am Fenster sah – in der dämmernden Nacht grad’ noch zu erkennen – da war ich doch wie im Traum! Ich schlenderte so durch die Straßen hin, war eben von Vico hergewandert, denn ich wohne nicht hier, sondern in Vico —«
»Vico?« fragte Rutenberg. »Was ist das?«
»Kennen Sie Vico noch nicht? Vico Equense, einer der angenehmsten Aufenthalte am ganzen Golf, wie man mir gesagt hat, ein Felsennest oben über dem Meer, anderthalb Stunden von hier. An der Straße, die von Castellamare nach Sorrent führt —«
»Richtig! Man fährt ja durch! – Also da wohnen Sie?« Arthur, immer unbefangener, nickte: »Ja, seit heute früh. Es war nämlich längst mein Wunsch —« er lächelte, mit leichter Selbstverspottung – »wie Mignon, das arme Kind, das immer von dem Land ihrer Sehnsucht träumte, so ungefähr träumte auch ich, seit meiner Knabenzeit . . . Gestatten Sie mir dieses romantische Gefühl! – Ich hatte übrigens auch eine Tante in Neapel zu besuchen, eine sehr liebe, vortreffliche Frau, und in Neapel wurde mir Vico sehr empfohlen, ich muß sagen, mit Recht. Ein sehr komfortables Hotel, alle Achtung, eine prachtvolle Straße führt ans Meer hinunter. Und ebenso, wie von hier, hat man auch von Vico den Blick auf das große Flammenthor der Unterwelt, auf den ewig erhabenen Vesuv! – Ich hab’ da schon sehr geschwelgt, natürlich . . . Im Hotel sagte man mir dann, es giebt hier keinen lohnenderen Spaziergang als den nach Sorrent. Ich mache mich also auf und schlendre nach Sorrent!«
»So spät?« fragte Rutenberg, diplomatisch lächelnd. »Im Dunkeln?«
Arthur lächelte ebenso. »Na ja, die Nacht überraschte mich, . . . aber was thut mir das. Ich kann ja zu Wasser und zu Lande nach Vico zurück, im Boot oder im Wagen. Ich hatte nun einmal die jugendliche Ungeduld, auch Sorrent zu sehn, die Orangenstadt, wenn auch jetzt nur bei Nacht. Und da führt mich mein guter Stern – ich irrte ganz zwecklos herum – an diesem Hotel vorbei. Ich höre meinen Namen rufen – und hier in der Fremde bin ich auf einmal wie in meiner Heimat!«
Rutenberg blickte verstohlen auf Gertrud, ihre nicht mehr blassen Wangen färbten sich etwas stärker, sie lächelte ein wenig. Sie stand aber so unschuldig da . . . Sollte das Kind wirklich nichts gewußt haben? dachte er und atmete schon auf. Er lud den jungen Mann ein, sich zu setzen, noch hatte er’s nicht gethan. Wyttenbach nahm mit einer leichten, eleganten Verneigung Platz, auch Gertrud sank nun langsam auf einen Stuhl. Sie hatte noch kein Wort gesprochen. Eben wollte sie anfangen, zu reden, als vom Korridor her der Mann in die Thür trat, den Rutenberg schon lange mit den Augen suchte. Schilcher, den Rock noch zugeknöpft, den Hut in der Hand, schob sich so ruhig herein, als wäre nichts vorgefallen. Er machte die Thür langsam wieder zu und blieb bei ihr stehn.
»Wo warst du?« fragte Rutenberg, der in plötzlicher Unruhe aufstand.
»Hatte was zu besorgen,« entgegnete Schilcher. Er lächelte dann, da Rutenberg auf Arthur blickte: »Jawohl, jawohl, wir haben uns schon begrüßt. – So kommt man allerwege wieder zusammen, die Welt ist klein, wie schon Dickens sagte. In die kleine Welt!
Er hob einen seiner kurzen Arme ein bißchen, ließ ihn dann wieder sinken. Rutenberg kannte seinen Mann aus dieser kleinen Bewegung entnahm er, daß der andre etwas auf dem Herzen hatte.
»Nun, so mach’ unserm Gast die Honneurs!« sagte er zu Gertrud, »sprich doch endlich auch ein Wort!« Als ihre Lippen dann aufgingen und ihre weiche, jetzt unsichere und befangene Stimme zu zwitschern anfing, trat er zu Schilcher und pflanzte sich breit vor ihn hin. Was giebt’s? fragte sein stummes Gesicht.
»Bin nur die fünf Schritte bis zur Post gegangen,« sagte Schilcher leise. »Die war geschlossen. Aber nebenan im Circolo, im Klub, fand ich den Postdirektor, den gemütlichen alten Burschen. Heut’ nachmittag war deine Tochter auf der Post – Rutenberg packte Schilcher am Rock. »Ruhig,« raunte Schilcher. An dem großen Gegenüber vorbei, das ihn verdeckte, streckte er seinen Kopf hervor und lächelte Gertrud an, die etwas übertrieben feierlich mit ihrem Adonis sprach. »Unsre Gertrud,« sagte er laut, sollte wohl Herrn van Wyttenbach eine Erfrischung anbieten, wie?«
»Ja, ja,« antwortete das Mädchen rasch. »Sie werden hungrig sein, Herr van Wyttenbach.« Arthur lächelte: »So ein wenig, ja!«
»Sie war auf der Post,« flüsterte Schilcher wieder, »und holte einen Brief ab, einen Poste-Restante-Brief. – »Also Korrespondenz hinter meinem Rücken!« flüsterte der empörte Rutenberg.
»Jawohl, aber ruhig, Alter.« – Schilcher zeigte den jungen Leuten wieder sein Gesicht: »Na, also etwas essen, wenn man hungrig ist!«
Arthur ergriff diesen Gedanken mit Eifer. »Sie haben recht,« erwiderte er, »sehr recht! Ich ging nämlich thörichterweise vor dem Diner von Vico fort, – ich wohne nämlich in Vico. Eh ich nach Hause fahre, sollt’ ich unten im Speisesaal noch ein wenig essen.«
»Ja freilich! sagte Rutenberg, der sich mächtig zusammennahm. »Thun Sie das, thun Sie das, Herr van Wyttenbach. Ehe Sie dann abfahren, sehn wir Sie noch, natürlich, hier im Salon!«
Arthur verneigte sich ehrerbietig. »Sie sind sehr liebenswürdig, Herr Rutenberg. Sein braunes Schnurrbärtchen zuckte heiter. »Von der Luft kann man auch in Italien nicht leben, leider —«
»Sehr richtig!« rief Rutenberg. »Also auf Wiedersehn« – »Guten Appetit!« wünschte Schilcher. Der junge Mann grüßte und ging. Schilcher begleitete ihn bis zur Thür, die er ihm zuvorkommend öffnete, von der Schwelle aus sah er ihm dann nach, sah, wie er die Treppe hinabstieg. Na ja, dachte er sorgenvoll, aber ob er da unten wirklich essen will, das ist noch die Frage. Sah mir so aus, als hätte er was vor! – — Ich kann ja auch noch mal die Treppe hinuntergehn.
Er machte die Thür von außen zu und ging dem Adonis nach.
12
Gertrud, der die innere Bangigkeit nun doch den Atem beklemmte und das Herz nur noch unvernünftig und unordentlich schlagen ließ, trat ans Klavier, um etwas zu thun und schlug einige Tasten an; sie schlug aber wie ein Kind, es ward keine Melodie daraus. Es überlief sie dann, als sie des Vaters Schritt hinter sich hörte, an ihrem Hals seinen Atem fühlte. Er murmelte etwas, das sie nicht verstand, offenbar war er sehr aufgeregt . . . »Gertrud!« sagte er dann laut. Sie fuhr zusammen.
Zu ihrer Ueberraschung, nach einer bangen Pause, sprach er aber mit sanfter, freundlicher Stimme weiter: »Ich war also sehr im Irrtum, meine arme Gertrud. Es war also nicht aus. Im Gegenteil, der zweite Band des Romans beginnt: die Geheimnisse. Die liebende und trotzende Tochter hat Geheimnisse vor dem harten Vater —
»Vater!« rief das Mädchen.
»Heimliche Briefe, ich weiß. Weiß alles. – Das ist immer so. Ist ja auch ganz natürlich! Der Vater ist grausam, unverständig, er will nicht begreifen, daß die Tochter recht hat, er entführt sie tyrannisch in ein wunderschönes Land, wo die Orangen und die Palmen wachsen, – wo ihr alles zuruft: ›Kind, das Leben ist schön, und die Welt ist groß, häng’ dich nicht an den einen Wunsch und den einen Menschen! Mach dein Herz und die Augen auf, laß die Welt hinein, eines Tages wird dann die Stunde kommen, wo du ganz verwundert hinschaust: dieser eine kleine Mensch war mir einst die Welt? – O – nein, das Kind weiß es besser. Es drückt das trotzige junge Herz so klein zusammen, daß nur der eine kleine Mensch darin Platz hat. Und es schreibt heimliche kleine Briefe —‹«
»Vater!« rief das gequälte Mädchen wieder.
»Sag nur ruhig ›Vater‹ auf den Namen hör ich. Darum nehm’ ich es auch nicht so schwer mit den Heimlichkeiten, wie es andre thäten. Das Kind ist krank, sag’ ich mir. Laß ihm Zeit. Laß ihm sein Fieber. Laß es nur genesen! – — Da haben wir ihn also wieder, deinen Arthur. Siehst du ihn denn wirklich noch mit denselben Augen? noch als Ideal? Wenn du ihn sprechen hörst – und was er spricht – ist er dir noch immer der Inbegriff alles Herrlichen, über alle Menschen? Und sagst du dir immer noch, wie auch die andern, die mich lieben über ihn denken, ich will mit ihm leben und sterben?«
Gertruds schlanker Körper wand sich, der Vater stand noch immer hinter ihrem Rücken.
»Ach,« seufzte sie, »wie quälst du mich. – Bitte, laß mich gehn!« – Sie drehte sich nach der Thür, die zu ihrem Zimmer führte.
»Bitte sehr,« entgegnete er jetzt mit ganz andrer Stimme. »Wie Sie wünschen, Fräulein Rutenberg.«
»Vater!« rief sie, wandte sich plötzlich zu ihm und warf sich ihm an die Brust. »Ach, Vater, Vater! Ich lieb dich ja so sehr! Bist so lieb, so gut! – Ach, wie schäm’ ich mich, daß ich vor dir, vor dir diese Heimlichkeit – —«
Er küßte sie auf den Kopf.
»Und du küßt mich noch,« schluchzte sie. – »Ach, wie bin ich unglücklich. – Ach, vergieb, vergieb!«
»Arme, gute Gertrud, sagte Rutenberg, der sie liebevoll fest im Arm hielt, sie lag still wie ein Hühnchen, das sich an die Henne drückt. »könnt’st du fühlen, wie hart es für so ’nen Vater ist, daß er seinem jungen Kind den Angebeteten nie so vor die Seele hinstellen kann, wie sein Aug’ ihn sieht daß er nicht auf eine, eine Stunde ihr sein Gefühl, seine Einsicht leihen kann, – Trudel, das ist hart! – Bist doch sonst so klug, und so wohlgeraten. Wirst diesem Arthur eines Tages weit, weit über den Kopf wachsen —«
Sie schüttelte ihren Kopf.
»Doch, Trudel, doch! – Und was für eine innige, tiefe, große Liebe das ist, da in deinem Herzen, das ahnt er ja nicht, das versteht er nicht! – Ja, Starr’ mich nur an, als wär’ ich wohl nicht recht gescheit. Der hat dich gern, Trudel, wie du deine Puppe gern hattest. Sein Herz ist gegen deins, was eine gute warme Suppe gegen den glühenden Vesuv da ist; und es wird einmal eine kalte, stille Suppe werden – glaub’ mir, Kind, ich kenn’ ihn. Wenn er erst hat, was er wollte, dich hübsche kleine Person, und dein Geld dazu . . .«
Gertrud zog sich aus des Vaters Arm. Ihr jetzt totenblasses Gesicht starrte ihm immer fassungsloser in die Augen.
»Was sagst du da?« stammelte sie. »Und mein Geld dazu?«
»Ja, denkst du denn, junge Männer wie der werben um so ’ne Erbtochter um des Herzens willen? Laß uns heut’ arm werden, Kind morgen ist er fort! – Du zitterst ja. Was ist dir? Glaubst du, ich verleumd’ ihn? Glaubst du, es ist nicht so? Stell’ ihn mal auf die Probe, und du wirst’s erleben!«
Gertrud zuckte zusammen. Sie wollte etwas erwidern. die Lippen öffneten sich, es kam aber kein Wort heraus. Es ging nur ein langer, scheuer, qualvoller Blick aus ihren hellen Augen zum Vater hinüber, ihr schien vor ihm oder vor irgend etwas zu grauen. Sie schüttelte sich. Auf einmal wandte sie sich ab, doch nicht rasch, eher wie eine mechanische Figur, die sich langsam dreht, und ging stumm in ihr Zimmer hinter ihr schloß sich die Thür.
Rutenberg sah ihr etwas verlegen nach. Er blickte auf ihre Thür wie auf einen Vorhang, hinter dem gespielt werden soll – man weiß noch nicht, was? – Fort! dachte er ohne einen Laut! – Hab’ ich das nun klug gemacht oder unklug? – So tappen wir durch diese siebzehnjährigen Labyrinthe . . . Ach du lieber Gott!
Vom Korridor kam Schilcher zurück, mit seinem unergründlich stillen Gesicht. »Na?« sagte Rutenberg beklommen. »Bist du wieder da?«
»Wollte nur unserm Hirsch auf den Wechsel passen«, gab Schilcher zur Antwort, eine Hand mit der andern reibend. »Hab’ mich in den kleinen Garten neben dem Speisesaal begeben und durch die Glasthür hineingesehn. Ein Stückchen Brot hat der Herr gegessen kam sicher pumpsatt hier an! – Aber mit dem Marinajo, mit unserm Pasquale, hat er verhandelt, der noch unten war. Die Thür war halb offen, so viel hab’ ich von der Unterhaltung verstanden, daß das Süßholz heut’ abend zu Wasser nach seinem Vico zurück will. Fragte aber zweimal, das Herrchen, mit einem Nachdruck und einer Unruhe wie ’ne junge Damen ob das Meer auch still wär’? Er scheint also eine unbändige Furcht vor dem Wasser zu haben —«
»Das ist ja komisch!« warf Rutenberg ein.
»Na ja, komisch ist es. Aber sag’ mir nur eins: warum will er dann doch auf diesem Wasser zurück, statt auf dem festen Land? Ich finde das auffallend, Rutenberg . . .«
»Mag sein! Ja, ja! – Rutenberg sprach das gleichgültig hin, als dächt’ er an anderes.
»Mein Pasquale versicherte auf Tod und Leben, das Meer sei ungefähr wie ein Spiegel oder wie seine flache Hand. – Da kommt der kühne Seefahrer!«
Schilcher hatte recht. Der leichte Geschwindschritt kam den Korridor entlang, Arthur trat wieder ein. Er schüttelte die braunen Löckchen auf seiner niedrigen Stirn und tändelte mit den Lippen, wie wenn er sich nach einem wiederherstellenden Mahl recht behaglich fühlte.
»Man ist doch ein anderer Mensch,« sagte er heiter, »wenn man gegessen hat. Da bin ich denn also wieder, mit Ihrer gütigen Erlaubnis.«
»Bitte! Sehr wohl!« erwiderte Ruteuberg verbindlich, ›Lügenlügner!‹ dachte er. Der schöne Bariton Arthurs war offenbar durch Gertruds Thür gedrungen, nach wenigen Augenblicken öffnete das Kind und schob sich langsam herein. Sie grüßte den Jüngling noch förmlicher und befangener als vorhin nach einer Weile flog dann aber ein schräger Blick auf ihn, der offenbar an ihm herumforschte. Die Männer begannen sich zu unterhalten, sie hörte zu, hörte wohl auch nichts. Sie ging zur Thür, die auf den großen Balkon führte, und schien durch das Fenster nach den Lichterzeilen von Neapel hinüberzusehn. Plötzlich wandte sie sich und schaute auf Arthur zurück.
Wie sie blickt! dachte Rutenberg. Sie denkt an ihm herum, meine Rede hat doch gewirkt. Wenn ich jetzt das Kind mit ihm sprechen ließe! – Er gab Schilcher, der alles verstand, einen Wink und sagte dann so gemütlich, wie er’s über die Lippen brachte:
»Nun müssen Sie uns aber entschuldigen, Herr von Wyttenbach, wir haben da nebenan im Rauchzimmer eine Schachpartie stehen lassen, Herr Oberappellationsrat Schilcher erzürnt sich mit mir, wenn wir die nicht ausspielen. Es dauert nicht mehr lange, ich krieg’ ihn; Sie nehmen so lange mit dem Kind vorlieb!«
»O, ich bitte sehr!« erwiderte Arthur, der seine freudige Ueberraschung im ersten Augenblick nicht unterdrücken konnte, dann faßte er sich aber geschwind. »Wenn ich irgendwie störe, so geh’ ich . . .«
»Sie stören ja nicht,« sagte Rutenberg schlicht. Der thürenreiche Salon hatte noch eine, kleiner als die andern, auf der »Fumoir« gemalt stand, sie führte in ein Zimmerchen, das Schilcher den Käfig nannte. Dort spielten sie täglich eine oder zwei Partien Schach, wenn auch Schach »kein Whist« war. Die beiden Männer gingen in das Fumoir hinein, der kleine voran, Arthur sah mit inwendig lachendem Entzücken, daß die Thür sich dann schloß. Er sah nur noch Gertrud und sich . . . Gertrud stand noch bei der Balkonthür. Er ging auf seinen leichten Füßen zu ihr.
»Meine teure Gertrud!« sagte er, die Stimme so viel dämpfend, als gut war. »Hier in Sorrent, ich mit dir allein!«
Er ergriff ihre niederhängende Hand, die bewegte sich aber, als wollte sie sich ihm entziehen. Mit leiser, doch sichtbarer Scheu, die er nur auf ihren flatternden Blick nach dem Rauchzimmer bezog, hauchte sie so hin:
»Bitte, lassen Sie jetzt meine Hand. – Sagen Sie jetzt nicht du. – — Ja, ja! Welches Glück!«
Arthur lächelte, mit sich zufrieden »Es war ein kluger, feiner Einfall von mir, nicht wahr, daß ich mein Hauptquartier nicht hier, sondern in Vico aufschlug! Von da erreich’ ich Sie leicht, und es ist doch weniger auffällig. Hab’ ich das gut gemacht?«
Sie nickte, sah ihn aber immer ernsthaft an. Er betrachtete sie auch, und auch heimlich forschend, er hätte ihr gern vom Gesicht gelesen, ob sie jetzt in der Stimmung sei, auf seinen kühnen Plan romantisch, schwärmerisch einzugehn . . . Ich versuch’s! dachte er. Mehr als Nein sagen kann sie nicht! – »Hm!« seufzte er dann, indem seine rosigen Lippen sich recht rührend spitzten. »Heute nacht muß ich nun freilich wieder in meine Einsamkeit, in meine Verbannung zurück! – Ich fahr’ in einer Barke heim, meine holde Gertrud, mit zwei Ruderern. In der stillen Nacht. Auch das Meer ist still. Später kommt der Mond. – Er hielt sich geschickt zwischen Scherz und Ernst, während er langsamer fortfuhr: »Wollen Sie mit, meine süße Gertrud? Dann – sagen Sie – dann hätten wir all dieser Not bald ein Ende gemacht! Dann brächt’ ich Sie morgen zu meiner Tante in Neapel, eine liebe vortreffliche Frau und die nähm’ uns auf, das bezweifl’ ich nicht, und wenn die Alten hier das erführen, dann müßten sie wohl nachgeben . . . Wie?«
»Ach,« sagte Gertrud unschuldig, »Sie sollten jetzt nicht so scherzen, Arthur, mir ist nicht danach zu Mut!«
Schnell lenkte der geschmeidige Arthur ein: »Wenn Sie diesen – Scherz nicht mögen, nun dann laß ich das. Dann – dann weg damit! – Es war nur so ein Einfall ein Kind der Not, süße Gertrud. Da ich mich doch damit beschäftigen muß, wie ich Ihrem tragischen Geschick ein Ende mache – denn auf mir ruht nun doch diese Pflicht!«
»Ach ja«, seufzte sie, »es ist schwer. – Sie betrachtete ihn wieder mit so einem langen Blick, der ihm nun doch unbequem zu werden anfing. Nach einem starken Atemzug brachte sie die überraschende, unlogische Frage heraus; »Werden Sie mich nie verlassen, Arthur?«
»Ich?« – Er sah sie sehr beleidigt an. – »Diese Frage! Gertrud!«
»Würden Sie mich auch nie verlassen, wenn ich – — wenn ich arm wäre? wenn ich nichts mehr hätte?«
»Gertrud,« sagte er mit vorwurfsvollem Lächeln, »ich sehe, Sie wollen mich erzürnen. Was hat das Geld mit unsrer Liebe zu thun —?«
»Ach, das sag’ ich auch!« seufzte sie. «Wenn ich nun aber – — wenn ich nun wirklich arm geworden wäre. Ganz, ganz arm. – Nach einem letzten Zögern überwand sie sich; »Ich bin es, Arthur. Nein, lächeln Sie nicht. Es ist wirtlich so. Es ist – — ganz plötzlich ist es gekommen. Alles, alles, alles hat mein Vater verloren. Seit gestern wissen wir es!«
»Gertrud! Alle Teu —«
Der sehr erschrockene Arthur hielt noch im letzten Augenblick an.
»Hm!« machte er dann langsam, um etwas Zeit zu gewinnen, und that, was er konnte, um im Gesicht einen edlen Ausdruck zu behalten. »Sie – . . . Sie erzählen mir da ja etwas Schreckliches; etwas Entsetzliches. Alles, sagen Sie?«
Das arme Kind sah ihn ängstlich an »Sie finden es also sehr entsetzlich, Arthur . . . Werden Sie mich nun verlassen, weil wir nichts mehr haben?«
»Ich? Wie können Sie denken . . . Aber wie können Sie das denken, Gertrud! Ich werd’ Ihnen ewig, ewig treu sein natürlich. Werd’ Sie nie verlassen das ist selbstverständlich . . . Alles? Ist das wahr?«
Sie nickte.
»Alles? Wirklich alles?«
»Ich sagte es Ihnen ja!«
»Sie sagen es aber so merkwürdig ruhig. Mein Gott, das ist ja ein Schicksal, um sich alle Haare – —«
Er brach wieder ab, nahm sich wieder gewaltig zusammen, da ihn ihr Gesicht erschreckte auch stieg in seinem schwindelnden Gehirn eine Hoffnung auf. »Nur um Ihretwillen,, natürlich!« verbesserte er sich. »Um Ihretwillen ist es traurig, Gertrud . . . Wir haben da zum Glück Ihren zweiten Vater, den Oberappellationsrat Schilcher, der sehr wohlhabend ist, und der für Sie sorgen wird, von dem Sie einst erben werden, wie man mir gesagt hat —«
»Der? fiel sie ihm rasch ins Wort »Der hat auch —!«
»Alles verloren?«
»Ja!«
Sie zögerte vor dem »Ja« einen Augenblick, Lügen war nicht ihre Stärke. Unschuldig verlegen stand sie dann da und wandte ihr Köpfchen, ihre Schultern seitwärts, um es zu verbergen.
Ah! ging es erleichternd durch Arthur, der dies alles erfaßte; er lächelte, da ihre Augen wegschauten. Das erfindet sie! fuhr ihm durch den Kopf. Oder Papachen hat’s ihr eingegeben oder der alte Nußknacker. Ach, du kleines dummes Mädchen, das mußt du nicht glauben, daß Arthur van Wyttenbach so leicht anzuschmieren ist! – Er fand jetzt all seine edlen, vornehmen Züge wieder und sagte mit seinem weichsten Bariton. » Meine teure Gertrud! Wie traurig ist das alles. Sie und Ihr Vater und Herr Schilcher – drei so edle Menschen! – Zum Glück bin ich da. Ich. Jetzt fühl’ ich erst, daß die Vorsehung mich neben Sie gestellt hat!«
Sie blickte ihm mit noch zagender Freude in die kleinen, aber so schön aufleuchtenden Augen. »Arthur – Sie werden mich nicht —«
»Verlassen? – Sagen Sie nie mehr so ein abscheuliches Wort! Nein, auch nicht im Scherz; es kränkt mich zu tief! . . .«
Ich bin nicht reich, meine geliebte Gertrud – leider nicht – — das heißt, ich sage leider nur um Ihretwillen. Aber ich werde arbeiten! wirken! schaffen! ich für alle vier! Alle meine Gaben, meine Fähigkeiten werde ich entfalten, daß man staunen soll, o, die Welt weiß noch nicht was hier in mir steckt! Ich werde Wunder thun, Gertrud – denn die Liebe thut Wunder – die Liebe, die allmächtige. Und Sie Kleinmütig Verzagte, Ungläubige – ja ja, mein süßes Kind war etwas ungläubig und verzagt – Sie sollen eines Tages sagen: dieses Unglück damals war mein schönstes Glück, denn es hat mir erst gezeigt, was mein Arthur ist, was ich an ihm habe!«
»Arthur!« seufzte das Mädchen vor Rührung und Glück; ihre feucht schimmernden Augen lächelten ihn an. »O, wie lieb’ ich Sie! Wie sind Sie edel und gut. – O und wie schlecht war ich, daß ich zweifeln konnte. Verzeihen Sie mir das, Arthur! Nie mehr! Nie mehr!«