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Kitabı oku: «Das Kind», sayfa 7

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13

Arthur, der mit einem verzeihenden Blick auf sie niedersah seinem Bedauern, öffnete sich aber die kleine Rauchzimmerthür und Rutenberg erschien. »Die Partie ist aus,« sagte er. »Aber anders, als ich mir einbildete. Ich bin arm geworden.«

»Mein ganz ergebenstes Beileid, Herr Rutenberg,« entgegnete Arthur gemütlich lächelnd. Plötzlich fiel ihm ein, daß er ja mit diesem »verarmten« Mann Mitleid haben mußte. Er wurde ernst, sehr weich, schüttelte wie verstohlen den Kopf, warf dann aber einen strahlenden, heimlichen Blick auf seine Gertrud und lächelte ihr ermutigend zu.

Gleich darauf staunte Rutenberg – das Kind trat vor ihn hin, mit einer seltsam triumphierenden Miene und Gebärden sie sah ihm wie anklagend in die Augen. »Ach, bitte! sagte sie dann. Ihr langer, magerer Arm hängte sich in seinen, so zog sie ihn durch den Salon und zu ihrem Zimmer. Er fühlte sich förmlich hineingeschoben die Thür fiel ins Schloß. Als sie ihn losließ und ein wenig zurücktrat, sah er, daß ihr so siegreich strahlendes Gesicht sich verfinstert hatte, die feinen, seidigen Brauen drängten sich zusammen. »Vater!« sagte sie leise, aber wie in tiefer Empörung.

»Na, was giebt’s?« fragte er.

»Vater! O, wie schäm ich mich, daß ich dir geglaubt hab’! – Nein, nicht geglaubt, nein, das nicht; aber doch gezweifelt. Pfui ich an ihm gezweifelt. – O, und was für böse, schlechte Sachen du von ihm gesagt hast und er ist so edel! so großherzig! so gut!«

»Ich versteh’ dich nicht. Was meinst du —«

»Ich bin dir gefolgt!« rief sie laut; er sah dann aber auf die Thür und sprach wieder leise. »Ich hab’ ihm das angethan, hab’ ihn auf die Probe gestellt, wie du sagtest. Hab’ ihm vorgelogen – o, wie schäm’ ich mich – daß wir verarmt wären, daß wir nichts mehr hätten Wir nicht – auch Onkel Schilcher nicht . . . O, wie hab’ ich dann vor ihm dagestanden. Nun weiß ich erst, was für ein großes Herz – — Du kennst ihn nicht! Ihr alle, alle ihr kennt ihn nicht! Für dich, für Onkel Schilcher, für uns alle wollte er leben, schaffen, statt mich zu verlassen. – Und mein Vater verleumdet ihn! vor seinem Kind!«

Sie legte sich bei diesen Worten die Hand aufs Herz die schlanke, noch unreife Knospe stand so tragisch, so rührend pathetisch da, daß Rutenberg unter andern Umständen wohl gelächelt hätte.

Er fuhr nun aber doch auf, wie von einem scharfen Pfeil getroffen. »Ich verleumde ihn!«

»Ja, Vater! Du!« Sie hob den Arm gegen ihn, sie mußte vor Aufregung heftig schlucken, eh’ sie weitersprechen konnte. »Nie hast du mir so weh gethan, wie in dieser Stunde! Nie, nie werd’ ich mehr glauben was du von ihm sagst. Nie, nie, nie werd’ ich an ihm zweifeln – oder ihn verlassen . . . Ihre Stimme bebte. »Das wollte ich dir nur noch sagen, Vater!«

»Das wolltest du mir noch sagen,« wiederholte Rutenberg, dessen Empörung nun auch unaufhaltsam wuchs. »Ich danke dir . . .«

Plötzlich aufbrausend trat er einen Schritt auf sie zu: »Jetzt hab’ ich genug! – Dieses Kind, dieses Geschöpf spricht so zu seinem Vater – weil es offenbar in seiner siebzehnjährigen Dummheit Schilcher auch verarmt! Gott im hohen Himmel, was für ein Unsinn das ist! – Und weil dieser junge Herr dafür doch zu klug war – und den Hochherzigen spielte – und das Mädel blind und vernarrt und toll ist – darum wirft es mir jetzt trotzig wie ein Kind sein ›Nie, nie, nie‹ ins Gesicht! – ›Nie, nie, nie!‹ Wart’, ich will dir dann auch so ein Nie zurückgeben – dreimal, so wie deins! Diesen Menschen da, dem du dich an den Hals wirfst, weil du noch ein Kind bist, den du hierher bestellt hast, weil du ein schlechtes Kind bist, den du mir abtrotzen willst, weil du von Sinnen bist, – den wirst du nie bekommen merk’ dir’s nie, nie, nie! – Ich reis’ mit dir ab. Bis ans Ende der Welt geh’ ich mit dir, wenn’s sein muß, morgen – heute noch. Nie sollst du ihn wiedersehn, den da mit seinem großen Herzen . . . Das ist mein ›Nie, nie, nie‹!«

Er stürzte aus der Thür. nicht aus der zum Salon sondern aus der andern, die auf den Balkon der Südseite führte. Gertrud, die Hand auf der Brust – da drinnen stand ihr alles eine Weile still – horchte halb mechanisch auf seine Schritte. Sie hasteten den Balkon entlang, dann auf die Terrasse über dem Fahrweg. Ja, auf die Terrasse, unter der vorhin Arthur das italienische Lied gesungen und dadurch seine Ankunft gemeldet hatte . . .

Trotzig, und erschüttert, und dann wieder trotzig wiederholte sie zwischen ihren kleinen Zähnen: »Nie, nie, nie!«

An der Salonthüre hustete es. So hatte Arthur zuweilen gehustet, wenn er ihr insgeheim etwas sagen wollte . . . Sie zweifelte aber noch. sie konnte sich täuschen, sie war so verstört, verwirrt. Nicht lange, so kam ein zweites Husten, diesmal erkannte sie’s doch gewiß. Sie ging hin und öffnete. Im Salon stand Arthur, allein. Er hielt den Kopf vorgeneigt, als hätte er auch gehorcht. In seinem Gesicht war etwas Banges, Aengstliches, das ihr nicht gefiel. Ach, er bangt ja nur um mich! dachte sie dann geschwind, und trat in den Salon auf ihn zu.

»Ich bin allein,« sagte Arthur mit halber Stimme. »Schilcher sprach von Schachspiel, ist dann aber in sein Zimmer gegangen. wird bald wiederkommen . . . Meine süße Gertrud, was ist denn geschehn? Ihr Papa so laut, so zornig. Und Sie so blaß —«

»Er will uns trennen«, fiel sie ihm ins Wort. »auf ewig, weiter nichts. Ich soll fort von hier . . .«

Herzschlag und Atem vergingen ihr schon wieder; sie legte sich beide Hände auf die Brust. »Ich will nicht,« sagte sie aber, die Zähne zusammendrückend, sobald sie wieder sprechen konnte. »Ich bin nicht mehr sein Kind; ich bin nicht mehr sein Kind . . . Wenn Sie mich jetzt verlassen, Arthur, kann ich nicht mehr leben!«

,Ah‹, dachte Arthur, als er sie so verzweifelt und so wild entschlossen das Kinn vorstrecken, die zarten Nüstern aufblähen sah, jetzt oder nie! – »Hören Sie!« sagte er rasch. »Arme, süße Gertrud. Aus dem Scherz wird Ernst! – Ich Sie verlassen – gewiß nicht. Aber – wenn auch Sie nicht von mir lassen wollen —.«

Sie schüttelte heftig den Kopf.

»Meine Barke wartet. Ich kann jeden Augenblick abfahren. Gehn Sie mit! nach Vico!«

Im ersten Augenblick doch erschrocken, starrte sie ihn an. »Fürchten Sie sich, Gertrud?«

Nun schüttelte sie trotzig den Kopf.

»Sind wir erst in Vico – das heißt, da bleiben wir ja nur bis morgen, fahren dann nach Neapel, zu meiner Tante – sind wir erst bei der – aber doch ›kompromittiert‹, wie die kalte Welt das nennt – dann kann Ihr Vater nicht mehr Nein sagen, Gertrud dann ist es aus mit seinem ›Nie, nie, nie‹! – Starren Sie nur nicht so. Warum denn? Das haben schon viele so gemacht und zu ihrem Glück. Wenn die Väter so sind . . . Eh jemand kommt – sagen Sie ein Wort!«

»Ich will ja, murmelte sie, ohne sich zu regen. »Ich muß.«

»Ja, ja, ja, Sie müssen. Haben Sie nur Mut! – Ich bedenke alles. Ich geh’ voraus, geh’ ans Meer hinunter, fahre scheinbar ab, in der nächsten Bucht, ganz nah’, da wart’ ich, natürlich so versteckt, daß uns von hier oben niemand sehen kann. Sie gehen unterdessen in Ihr Zimmer, halten sich bereit! Ist dann alles still – hier im Hotel alle Lichter aus – dann geb’ ich ein Zeichen eine Pfeife hab’ ich in der Tasche, hier. Und Sie gehn leise hinunter . . . Hören Sie alles? Merken Sie sich alles?«

»Ja,« hauchte Gertrud tonlos.

»Eh’ ich fortgehe, wissen Sie, bestech’ ich den Faschino, den Hausknecht, daß er eine Thür nach dem Garten für Sie offen läßt. – dem hab’ ich schon vorhin auf den Zahn gefühlt, das ist ein kecker, flotter, habgieriger Bursche. O, das mach’ ich alles, Gertrud. Sagen Sie nur, daß Sie Mut haben, daß Sie sicher kommen! »Ach! seufzte sie und verzog ihr klägliches unschuldiges Gesicht. »Wenn es ein Wahnsinn ist, was ich da thun will, Arthur, so reden Sie mir ab, denn ich – ich – ich weiß nicht, was ich thue. O mein Gott —«

»Ich red’ Ihnen zu, denn Sie müssen es thun! – Und Sie werden es thun?«

Sie nickte.

»Also, wenn ich mit der Pfeife das Zeichen gebe – Still! Man kommt!«

Er sah, daß die Thür zum Korridor sich bewegte, trat schnell von dem Mädchen hinweg an den runden Tisch und griff zu einer Zeitung. Gertrud trat an die Glasthür, ihr aufgeregtes Gesicht zu verbergen. Schilcher kam herein. Er betrachtete beide, erst ihn, dann sie, aus den Augenwinkeln; nicht weit von der Thür blieb er stehn. Es war eine schwüle Stille, Gertrud flog das Herz.

»Herr Oberappellationsrat, mit der Schachpartie wird es nun doch nichts mehr,« sagte Arthur endlich, indem er die Zeitung wieder hinlegte, als hätte er darin gesehn was er wollte. »Ich hab’ mir’s überlegt und ich muß nun doch fort. Anderthalb Stunden etwa brauchen wir bis Vico. Also, gut!«

»Nacht!« ergänzte Schilcher trocken »Kommen Sie gut nach Hause. Glückliche Meerfahrt!«

»Auf Wiedersehn!« sagte Arthur zu Gertrud mit höflicher Verneigung. ermahnte sie noch durch einen hastigen, verständnisvollen Blick über die Schulter, und ging.

»Auf Wiedersehn,« wiederholte das Mädchen fast unhörbar, als der junge Mann schon hinaus war. Sie begann sich dann auch zu bewegen, schien aber noch nicht recht zu wissen, was sie wollte.

Das war ja ein sonderbarer Blick, dachte Schilcher den die beiden noch wechselten. – Wie das Kind verstört ist.

Gertrud bewegte sich weiter gegen ihre Thür.

»Ich geh’ in mein Zimmer,« murmelte sie dann, vom Boden zu ihm aufblickend. Schilcher lächelte. »Habe nichts dagegen!«

»Gute – —«

Sie brachte weiter nichts heraus, machte nur eine kleine Handgebärde. Gleich daraus war sie fort.

»Nacht!« ergänzte Schilcher bei sich. »Das hat sie vergessen.« – — »Die macht noch nicht Nacht, die hat noch was vor! – Sie fuhren ja ganz gewaltig auseinander, als ich kam. Holla, holla, was heißt das?«

14

»Schilcher!« hörte der Appellationsrat jetzt hinter sich, während sein Auge noch an der Thür haftete, hinter der Gertrud verschwunden war. Rutenberg war von der Südterrasse her eingetreten, ohne daß der Versonnene es gehört hatte. Rutenbergs Stimme war beinahe heiser, erst nach und nach kam sie wieder zu sich. »Schilcher! Hast du das Kind gesehen?«

»Jawohl,« antwortete Schilcher; seine blaßgrauen Augen gingen wieder nach Gertruds Thür.

»Wo? War sie hier

»Zu dienen. Jetzt in ihrem Zimmer.«

»Wie war sie, Schilcher?«

»Nu,« sagte der Oberappellationsrat, die Achseln zuckend. »Ziemlich toll, wie mir schien.«

»Daran bin ich schuld! Es ging mit mir durch! – Hab’ mich übereilt. Hab’ ihr gesagt, daß sie mißraten ist, daß sie ihn nie wiedersehen soll, daß ich mit ihr abreise. Hab’ ihr alles gesagt —«

»Natürlich!« setzte Schilcher hinzu und hob die Augen tragikomisch gen Himmel. »Jetzt versteh’ ich die Sache, jetzt ist alles klar: Fräulein Gertrud will fort! Der Adonis hat ihr vorgeschlagen, ihrem Tyrannen zu entfliehn, und als ihres Vaters Tochter hat sie eingewilligt!«

»Entfliehn!« rief Rutenberg fast zu laut. »Eingewilligt!«

»Nicht wieder durchgehen, Alter,« flüsterte Schilcher. Ruhig. Leise, sotto voce. Ja, mit dem Heißgeliebten fort; offenbar. Scheint mir jetzt unzweifelhaft! Sie ihm nach, wenn’s still ist, und ans Meer hinunter —«

»Ans Meer hinunter!«

»Und von da nach Vico. Das Durchgehn hat sie ja von dir —«

»Meine Gertrud! Mein Kind!« Rutenberg hob die Arme, schien wieder fortstürzen zu wollen, gegen Gertruds Thür.

Schilcher hielt ihn fest. »Na, na!« raunte er nur. »Kaltes Blut!«

»Hast recht«, flüsterte Rutenberg. »Eine zweite Uebereilung – Gott bewahre, Schilcher. Ich bin ruhig, Schilcher. – Einsperren? Gewalt? Nichts da. Das Kind ist nicht bei sich, ist in einer kritischen Ueberreizung, der man Zeit lassen muß. Weckt man ihre Leidenschaft, so ist sie zu allem fähig —«

»Als Wilhelm Rutenbergs Kind!«

»Ja, ja . . . Also was thun? – Ruhig Blut behalten – und sie nicht fortlassen. Still sein, aber wachen —«

»Schildwache stehn,« ergänzte Schilcher.

»Ja, ja! Schildwache stehn. Bis zum Morgen, wenn’s sein muß! – Sie hat noch eine Thür nach der Südterrasse; die verschließ’ ich, Schilcher, leise, ohne daß sie’s merkt. Dann kann sie nur noch durch diesen Salon hinaus, und da wachen wir – du und ich!«

»Ich mit dir, versteht sich. Statt der Whistpartie haben wir eine andre Unterhaltung —«

»Ich verschließ’ die Thür!«

Hurtig, aber auf leisen Füßen schlich Rutenberg auf den Südbalkon hinaus, in die jetzt dunklere Nacht. Er war eben draußen, als von der andern Seite, wie vom Ufer oder vom Meer herauf, ein gedämpfter Gesang sich vernehmen ließ. Sollte das schon ein Zeichen sein? dachte Schilcher, der über diese Katastrophe des Hauses Rutenberg nun doch auch den Kopf zu schütteln anfing. Sachte, nicht wie ein Oberappellationsrat, sondern wie ein Verbrecher, bewegte er sich bis an die Glasthür, die nach Norden sah, und öffnete sie. Nein. Er konnte nun deutlich hören, es war ein italienisches Lied, echt italienisch gesungen, er erkannte auch Pasquales Stimme, der offenbar auf der zum Meer hinunterführenden Felsentreppe sang. Also jedenfalls waren Pasquale und Wyttenbach noch nicht fort! – Eine Weile horchte er halbverloren hin. Auf einmal durchfuhr ihn ein Gedanke, daß es ihn ein wenig schüttelte und er leise lachen mußte. Mit Pasquale reden und ihm —! Er schloß die Balkonthür, er knöpfte seinen Rock wieder zu, unternehmungslustig. Als Schildwache auf dem Posten mußte er hier noch warten bis Ablösung kam. —

Rutenberg kam zurück. »Du, ich hab’ noch einen Gang,« flüsterte er jetzt. »Wach’ so lang’ allein. Ich bin gleich wieder da!« Er ging auf den Korridor hinaus, sich ein Liedchen pfeifend.

Rutenberg setzte sich auf einen Stuhl an dem runden Tisch, mit den Augen auf Gertruds Thür, rieb sich die Kniee mit den Händen und wiegte sich vor und zurück. So, dachte er, meine tollgewordene Trudel hab’ ich eingeschlossen. Leise wie ein alter Dieb. Das wird jetzt eine lustige Nacht! – Wenn dann der Mond noch kommt, können wir hier schwärmen . . . Ist man selber nicht mehr jung, so verschaffen einem die Jungen solche italienischen Nächte, und die glücklichen Väter segnen sie dafür und bedanken sich! Er verlor aber den Humor doch nicht, das thaten er und seine Landsleute nicht. Eine Nachtcigarre begann ihm jetzt vorzuschweben, in den Salon kamen nun keine Gäste mehr, die gingen alle zu Bett, rauchen war gestattet. Er zündete sich eine seiner guten, milden Cigarren an auch ein Trost, ein Glück! dachte er, ich danke! – Wenn ich nun das Schachspiel hole, sind wir ganz geborgen und wenn ich uns aus demselben »Fumoir« die halbe Flasche Wein hole, die wir da vorhin stehen ließen —

Er stand wieder auf, schlenderte gemütlich ins Rauchzimmer und nahm das Schachbrett, auf dem die Figuren noch herumlagen, von dem kleinen Tisch. Auf dem größeren stand die Flasche mit den beiden Gläsern, halb? Er hatte sich geirrt, sie war noch beinahe voll. Ein unerwarteter Segen. So viel Glück konnte er ja gar nicht verlangen, er blickte wieder gen Himmel: ich danke! Diese Schätze im Arm, kam er in den Salon zurück. Er stellte sie auf den runden Tisch, langsam, um die Zeit zu füllen, ließ er die durcheinandergeworfenen Schachfiguren wieder aufmarschieren. Als er damit fertig war, belohnte er sich durch einen guten Schluck, den er sich aus der Flasche einschenkte. Das macht noch nicht müde, murmelte er. Schildwachen muß man bei guter Laune erhalten . . . »Ach!« entfuhr ihm plötzlich, da er die Augen wieder auf Gertruds Thür hatte, er seufzte.

Es dauerte noch eine gute Weile, wie ihm deuchte, bis die Korridorthür wieder ging. Schilcher trat geräuschlos ein. »Das wär’ abgemacht!« sagte er leise, mit einem kaum erkennbaren Lächeln im stillen Gesicht, und setzte sich neben die andre Schildwache auf den nächsten Stuhl.

»Was?« fragte Rutenberg.

»Ich hab’ ihn noch erwischt, den Pasquale mein’ ich. Für italienisches Papiergeld ist der gute Kerl wunderbar empfänglich, thut dafür auch alles, der Spitzbube. Er und sein Campino sollen, wenn unser Seefahrer eingestiegen ist und sie mit ihm an den Felsen hinfahren —« Schilcher hielt inne und schmunzelte in seinem stillen Vergnügen vor sich hin.

»Na, was sollen sie?«

»In der Dunkelheit etwas Brandung machen das heißt, hin und her schaukeln, ohne daß der kühne Seefahrer es merkt. Das wird ihm vielleicht nicht gefallen, kann vielleicht nützlich sein!«

Rutenberg lächelte: »Du wirst ja auch ein Spitzbube unter diesen Welschen! – Das kann uns nützen, meinst du?«

»Vielleicht! Chi lo sa! Man muß nichts versäumen. Wir sind jetzt auf Kriegslisten angewiesen, Vater Rutenberg. Wenn sich das bewährt, daß der junge Held und Entführer keine Wellen vertragen kann . . .« Er rieb sich noch einmal vergnügt die Hände, dann nahm er einen weißen und einen schwarzen Bauer vom Schachbrett, um mit dem andern zu losen, wer den ersten Zug hätte.

»Wie spät ist es denn?« seufzte Rutenberg.

»Zehn Stunden vor Sonnenaufgang,« antwortete Schilcher nach einem Blick auf die Uhr.

»Also noch hübsch viel Zeit! – — Nicht wahr, du alter Romantiker, so ’ne Nacht gefällt dir.

»Zu Hause spielen sie Whist! – — Schildwach’ sitzen ist ja aber auch eine hübsche Sache, für uns alte Kerle. – Ich dank’ dir, schenk’ mir nicht ein; trinken mag ich nicht. Rauchen mag ich auch nicht – Das Merkwürdigste ist, daß ich gerade heute abend plötzlich müde werde . . .«

Er riß die Augen auf und schüttelte unwillig den Kopf.

»Armer Schilcher!« summte Rutenberg, und seufzte dann wieder. »Ich bin nur zu wach! Ich hab’ hier ein niederträchtiges Gefühl – er wies auf sein Herz – »hier in dieser Gegend. Vater sein! Ja, ja! All das Thun und Sorgen, Schaffen und Hoffen, siebzehn Jahre lang – damit man dann so wie eine Feldwacht da sitzt und horcht in der toten Nacht . . .« Er stand plötzlich auf. »Rührte sich was?«

Schilcher horchte. – »Nein. Die Flurlampe wird gelöscht.– Ich hatte mal einen Hund, der immer fortlaufen wollte . . .«

»Schilcher!« sagte Rutenberg, nachdem er sich wieder gesetzt hatte.

»Was?«

»Ich verzage, Schilcher.«

»Das geht dir zuweilen so.«

»Wir sitzen hier . . . Wir sind wieder am Anfang, Schilcher! Wie auf diesen labyrinthischen Wegen hier zu Lande —«

»Ja, über die schimpfst du gern —«

»Wo man zwischen den hohen Gartenmauern fortgeht, ohne zu sehn, wohin, und der Weg windet sich und windet sich – und endlich kommt man ungefähr da wieder heraus, wo man angefangen hat. – Wie soll’s denn enden, Schilcher? Morgen ist’s ebenso. Das Kind ist von Sinnen; das Kind giebt nicht nach. An dieses ›Ideal‹ hat es sein Herz, seinen Kopf, seine Vernunft verloren, ja, ja, seine Vernunft!«

Schilcher stellte die beiden Bauern wieder auf den Tisch; als er den zweiten den weißen hinstellte, deutete er mit dem Finger auf den.

»Was meinst du? – Was willst du damit sagen?«

»Ja, ja,« brummte Schilcher, »so geht’s nicht. – Er deutete nochmals auf den zweiten Bauer. – »Uns fehlt der andre, Rutenberg.«

»Was heißt das?«

»Na, der andre. Der Ablenker

Rutenberg sah eine Weile nachdenkend in das bewegungslose kluge Gesicht. Er stand dann auf, ging durchs Zimmer; that noch ein paar Züge aus seiner Cigarre, warf sie über den großen Balkon hinaus und kam zurück. »Mensch, du hast ja recht!« sagte er. »›Der andre!‹ Da liegt’s. Das ist es. Sagt man so einem Kind nur immer: ›den nicht!‹ das ist in den Wind gesprochen. Von dem läßt sie nicht; von dem einen nicht – so lang’ nicht ein andrer kommt! der den einen verdunkelt, ihm über den Kopf wächst, dem Kind ins Herz wächst!«

»Nu ja,« murmelte Schilcher. »Das ist’s.«

Rutenberg schenkte sich wieder ein, trank ein wenig mit einem Seufzer stellte er darauf das Glas auf den Tisch zurück. »Na ja, und wenn es das ist – hast du diesen andern? Einen Arthur für uns? Einen Jüngling, der uns beglückt – und der sie beglückt? der ihr die Augen aufmacht? der uns so gefällt, daß wir alle vier Hände über ihnen ausstrecken und sie segnen: ›Kinder, Kinder, liebt euch?‹ – Hast du den?«

»Nein. Wenn ich ihn hätte, würd’ ich es ja sagen.«

»Hm! —« Rutenberg sah den Alten wieder mitleidig, mit zunehmender Rührung an. »Und statt dessen wachst du hier. Märtyrer. – Wie spät ist es denn?«

Schilcher schaute auf seine Uhr: »Zehn Stunden vor Sonnenaufgang, weniger fünf Minuten.«

»Schilcher, es ist hart!« – Rutenberg warf sich auf seinen Stuhl.

Eine Glocke ward angeschlagen er fuhr wieder in die Höhe. »Was ist das?« fragte er. »Ein Zeichen für das Kind?«

Schilcher schüttelte den Kopf. »Die Hotelglocke wird geläutet.«

»Ja, ja. Hast recht —«

»Es kommen wohl noch Fremde.«

»So spät? – Das kleine Hotel ist ja ganz besetzt.«

Schilcher schüttelte wieder den Kopf: »Ein Zimmer ist noch frei. Mit zwei Betten. Hat mir der Facchino gesagt.

»Man steigt die Treppe herauf!«

»Zwei Stimmen.«

»Der Kellner – und der Fremde.«

»Also ist nur einer gekommen.«

»Wahrscheinlich. – Das Ganze ist eine angenehme Unterbrechung, Schilcher!«

Der Oberappellationsrat nickte ernsthaft; beide horchten wieder.– »Sie gehn richtig in das einzige Zimmer, das noch frei war, am Korridor!« bemerkte Schilcher.

»Ja, was sollten sie sonst auch thun?«

»Jetzt ist alles still.

»Dieselbe Beobachtung,« entgegnete Rutenberg, »hab’ ich auch gemacht.«

»Der Kellner geht wieder fort.«

»Wie scharfsinnig du das alles in dich aufnimmst, Schilcher. Ich wollt’, es kämen im Lauf der Nacht noch ein Dutzend Fremde, damit dein Geist immer Arbeit hätte!«

»Bitte, still,« raunte Schilcher jetzt.

»Was giebt’s?«

»Der Fremde kommt ja hierher

»Zu uns?«

»Offenbar. Da geht er.«

»Wahrhaftig! – Na, er darf ja auch. Es ist der Salon!«

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04 aralık 2019
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