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Kitabı oku: «Das Kind», sayfa 9

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Fritz Waldeck nickte, er sah jetzt furchtbar jung und drollig glücklich aus. »O ja, in unserm alten Schulgebäude, da war noch ein wirklicher kleiner Karzer, manche schöne Stunde hab’ ich da verträumt! Da bildete ich mich zum Republikaner aus. Jetzt bin ich etwas vernünftiger geworden und daher monarchisch. In den Karzerzeiten waren meine politischen Ueberzeugungen wild, feuerrot, rebellisch . . . Worüber lächeln Sie?«

»Nur so aus Vergnügen. Aus Begeisterung. Das gefällt mir so!«

»Ja, und da Sie von ›schüchtern‹ sprachen – unser Sonntagsblatt ›Vorwärts! Vorwärts!‹ das wir als Untersekundaner heimlich schrieben, das war auch nicht schüchtern! Darum erlitt ich denn auch manche Verfolgung, vom Direktor, mein’ ich. Er war mehr für ›Rückwärts, Rückwärts!‹ Wir verstanden uns nicht. Er hatte nur leider die Uebermacht. Ich hatte die Zukunft für mich, aber er den Karzer für sich. Von dem machte er mutigen Gebrauch. bis dieses lustige Elend, das sich Schulzeit nennt – —«

Er brach wieder ab. »Nun werd’ ich aber entschieden langweilig!«

Gertrud schüttelte lebhaft den Kopf.

»Und Sie wollten noch eine dritte Frage an mich stellen —«

»Ich?« sagte sie wie im Traum.

»Ja, über – ihn über Herrn van Wyttenbach.

»Ja, freilich,« erwiderte sie langsam. »Das hatt’ ich vergessen. Mir fällt auch im Augenblick nicht ein, was ich fragen wollte . . . Da ist er!« murmelte sie auf einmal und fuhr in die Höhe.

18

Arthur kam gegangen vom Speisesaal her, sein hübsches, glattes Gesicht glänzte von Wohlbehagen, seine Lippen waren förmlich rosenrot, die kleinen Augen leuchteten heiter, nur dem Haar fehlte etwas von seiner kunstvollen Kräuselung, da die dazu nötigen Hilfsmittel draußen in Vico waren. Den Hut in der Hand, schlenderte er zwischen den Büschen und Beeten heran, winkte ›Guten Morgen‹.

»Ich muß sagen,« fing er an, »man frühstückt hier ausgezeichnet!« Nun las er wohl von Gertruds Gesicht, daß diese Fidelität nicht am Platze war, daß eine sehr ernste Spannung sich erst lösen mußte. Er ging zu einer männlichen, charaktervollen, fast tragischen Miene über. In dem Ton, der dazu gehörte, fragte er: »Und seh’ ich Sie nun endlich wieder, Fräulein Gertrud?«

»Ich bin lange hier,« entgegnete sie mit verstecktem Vorwurf. »schon seit einer Stunde.« – Sie sah jetzt, daß Fritz Waldeck zurücktrat, als wolle er gehn. »Wohin wollen Sie?« fragte sie überrascht, im Augenblick fast bestürzt.

Fritz warf einen halben Blick auf Arthur, dann einen ganzen auf sie. »Nur ans Meer hinunter,« erwiderte er. Es lag etwas in seiner Stimme, das zu sagen schien: jetzt seid ihr zwei beisammen, da geh’ ich! – Er deutete am Fels hinunter. »Der Felsenweg da ist so wunderbar,« setzte er ruhiger und harmloser hinzu. »Schon heute nacht hab’ ich ihn entdeckt, im Mondschein, da oben vom Balkon, als ich so viel wachte – und Herr van Wyttenbach so viel schlief. Ich glaube, da hinten raucht auch schon der Dampfer, der von Neapel kommt . . . Eh ich abmarschiere, seh’ ich Sie noch!«

Er grüßte und stieg hinab. »Eh Sie abmarschieren?« rief das Mädchen ihm nach, als wäre sie beinahe erschrocken – »Er hört nicht mehr. – Will er denn schon wieder fort?«

»Lassen wir ihn ziehn« sagte Arthur, etwas geringschätzig lächelnd. »Das ist ein ziemlich langweiliger Bursche. Einer von diesen braven jungen Leuten, mit denen sich leider die Grazien nicht sehr viel befaßt haben.« – Er sah, wie Gertruds Gesicht sich verzog, wie ihre Brauen zuckten und verstummte.

»Sie reden so lieblos von Ihrem Jugendfreund,« erwiderte sie mißmutig. »Er hat besser von Ihnen gesprochen, kann ich Ihnen sagen.«

»Ja, ja,« erwiderte Arthur geschwind, »das ist eine seiner guten, braven Eigenschaften. Ueberhaupt wie gesagt – er ist grundgut! Er hat so was durchaus Rechtschaffenes, Ehrenhaftes . . . Was ist nun schon wieder? Was mißfällt Ihnen denn schon wieder, meine holde Gertrud?«

Sie sah ihn sehr ernsthaft mißbilligend an. »Daß Sie nun ebenso plötzlich sich für ihn begeistern! – Aber lassen wir ihn jetzt. Wir müssen ja endlich – — Was wird nun aus uns? – Ich hatte heute nacht, während Sie schliefen, viele Gedanken, Arthur. Gestern abend – als Sie mich beredeten – Vico und Neapel, mein’ ich – da war ich wie von Sinnen. Das ist nicht mehr so.« Sie lächelte, aber sehr gezwungen. »Seit Sie wasserscheu und seekrank wurden —«

»Ja!« lachte er auf. »Es war ein unglückseliges, tragisches Geschick! Tragikomisch, das fühl’ ich selbst. Aber damit wir doch wieder auf die Hauptsache kommen, meine süße Gertrud —« Er kam aber jetzt nicht weiter: vom Speisesaal rückte der kleine Oberappellationsrat an, Arthur mußte sich mttten im Wort unterbrechen. Schilcher ging so hurtig, als wäre da vorn an der Brüstung etwas sehr Merkwürdiges oder Wichtiges zu sehn. Er hatte eine Serviette unter dem Arm, wie ein Kellner. Gertrud, so ernst sie gestimmt war, lachte, als sie ihn erblickte.

»Onkel Schilcher, Guten Morgen,« sagte sie. »Was hast du da unter dem Arm?«

»Ja, ja,« antwortete er, »in der Zerstreuung mitgenommen. Ich hatte meinen gewöhnlichen Morgengang vor dem Frühstück gemacht und sitze bei der Chokolade, da seh’ ich durch die offene Thür, den Garten entlang, daß Herr van Wyttenbach hier an der Brüstung —«

»Und dem mußtest du so eilig Guten Morgen sagen?«

»Ich dachte, da wird auch die kleine Gertrud sein . . . Ja, und da sehnte ich mich wohl nach der kleinen Gertrud. Und so hab’ ich wie ein Liebender den Rest der Chokolade stehen lassen und bin hergelaufen!«

»Ach, wie rührend. Da ist mein wirklicher Vater kaltblütiger, sieh nur, wie ruhig der aus dem Oelbaumgarten kommt. Guten Morgen, Va —« Jetzt erinnerte sie sich erst, wie es zwischen Vater und Tochter stand. Nie, nie, nie! – Sie hatte sich heute nacht so fest vorgenommen, nicht das erste Wort zu sprechen. An den Wangen rot angeflogen, sah sie vor sich nieder, schaute dann aufs Meer hinaus, wo der Frühmorgendampfer von Neapel mächtig rauchend heranschwamm, auf die kleine Marine zu.

Rutenberg schien nichts zu merken; er begrüßte Arthur und nickte nur zu dem Mädchen hin, als hätten sie sich heute schon gesehn. Bewundernd stellte er sich vor ein Kamelienbäumchen, das herrlich blühte. »Schilcher, was für Blumen!« sagte er. »Mitten im Dezember!«

Schilcher trat zu ihm. »Ja, Alter, beinahe so schön wie ’ne Partie Whist!«

»Sind die beiden schon lange hier?« flüsterte Rutenberg.

»Noch nicht lange,« flüsterte Schilcher zurück.

»Waren sie allein?«

»Keine Minute. Als der dritte Mann, der Fritz Waldeck, fortging, da kam ich sogleich.«

»Du wirst sie nicht allein lassen, Alter?«

Schilcher hob seine Serviette ein wenig, er hielt sie jetzt in der Hand »Unter dieser Fahne werd’ ich weiterdienen!«

Rutenberg lachte still. Er wandte sich beruhigt zu Arthur, der vernachlässigt und unbehaglich dastand, denn Gertruds Augen gingen noch immer mit dem Dampfer. Na, und Sie, Herr van Wyttenbach? Sie sind ganz genesen?«

»Sie beschämen mich,« warf Arthur mit einer Art von Lachen hin »es war ja nur eine Kleinigkeit. Eine – vielleicht etwas unmännliche Schwäche —«

Gertrud zuckte zusammen. Sie zeigte dann ihr blasses, unfrohes Gesicht.

»Was haben Sie, Fräulein Gertrud?« fragte Arthur, indem er sie durch einen heimlichen gekränkten Blick einzuschüchtern suchte.

»Gar nichts,« entgegnete sie. Statt auf Arthur schaute sie auf ihren Vater, der seiner Tochter nicht Guten Morgen sagte. Sie fühlte sich so unglücklich . . .

»Kommen Sie,« sagte sie dann zu Arthur, um sich vor dem Vater nicht schwach und »würdelos« zu zeigen. »Sie müssen da hinten die Mandarinen sehn, die nun rot und reif werden.«

»Jawohl,« bemerkte Schilcher, der die Serviette kurz entschlossen in die Tasche steckte. »Trudel und ich, wir zeigen Ihnen die reifenden Mandarinen, denn Sie müssen ja doch mit Nutzen reifen!«

Unten auf der Felsentreppe begann eine männliche, tiefe Stimme zu singen. Goethes Verse in Beethovens Melodie:

 
»Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunklen Land die Goldorangen glühn?«
 

»Ah!« sagte Rutenberg, der über die Brüstung blickte, »das ist Waldeck Sohn! – Er steigt herauf.«

Gertrud horchte andächtig; wie hübsch, wie rührend er singt, dachte sie. – Der Gesang ging weiter:

 
»Ein sanfter Wind von blauen Himmel weht,
Die Myrte still —«
 

Hier verstummte Waldeck; vielleicht summte er noch leise weiter, ohne daß man’s hörte.

»Komisch!« sagte Arthur. »Mitten drin hört er auf!«

Heute verletzte doch Gertrud alles. »Komisch!« sprach sie ihm mißvergnügt nach. »Wenn man so in Gedanken singt! Er war wohl in Gedanken – Kommen Sie lieber! Zu den Mandarinen!«

»Wir kommen!« sagte Schilcher, als gehöre er durchaus mit dazu. Die drei schwenkten ab, zu den Oelbäumen und den Mandarinen. Die Oliven waren im November gepflückt, die kleinen Goldfrüchte reiften noch ihrer Zeit entgegen. Gertrud liebäugelte täglich mit ihnen. Indem sie nun ging, warf sie noch einen traurigen Blick, einen ganz versteckten, auf den harten Vater, ob der ihr wenigstens nachsähe oder nicht. Ja, er sah ihr nach. Er schien aber zu lächeln, er sah heiter aus, statt traurig zu sein wie sie . . . Es ward ihr gar nicht gut, sie ging rascher weiter.

Rutenberg schaute ihr noch immer nach, als sie es längst nicht mehr wahrnahm. »Ah! ah!« sprach er in seiner Freude vor sich hin. »Mir scheint, das Ideal steht nicht mehr so hoch! Hat Schilchers Teufelei so gewirkt? oder was? – Wenn man da noch etwas weiter wirken, den Boden unter dem Ideal unterwühlen könnte . . .«

Fritz Waldeck, »der andere«, kam heraufgestiegen. Rutenberg beobachtete ihn, während die schlanke, kraftvolle Gestalt sich so gut bewegte. Das Gesicht schien aber nicht freudig, eher vergrämt. Der junge Mann stand zuweilen still, legte den Kopf zurück und schloß die Augen. »Herr Waldeck!« rief er ihn an, als er oben stand. Fritz nahm den Hut ab und verneigte sich. Nun ging Rutenberg mit großen Schritteu zu ihm. »Guten Morgen!« sagte er herzlich und fast mit Vorwurf. »Sie geben mir nicht die Hand?« Fritz gab sie rasch, mit einem großen Blick.

»Gestern abend hab’ ich Ihnen gesagt, wie ich für Sie fühle; denken Sie, über Nacht ändr’ ich meinen Sinn, wie ein junges Mädchen? – Ja, und fühlen Sie denn nicht, was mir auf der Seele liegt? Ich möcht’ was gut machen, Fritz Waldeck! Ihnen was Liebes thun, alles, was Sie sich wünschen können. Sagen Sie mir! Was kann ich thun?«

Fritz bemühte sich, so ruhig wie möglich zu antworten: »Ich glaube, Herr Rutenberg, nichts.«

»Nichts?«

Fritz schüttelte den Kopf.

Das wollen wir doch sehn! dachte Rutenberg. So leicht schüchtert man mich nicht ein! – Nun, davon später, sagte er dann, dem Sohn Ferdinand Waldecks in die guten Augen blickend.

»Für diesen Augenblick gestatten Sie mir eine Fragen – gar nichts Besonderes, nichts Indiskretes, nur über Ihren Schulfreund Herrn van Wyttenbach.«

Der auch? dachte Fritz betroffen.

»Schilcher sagt mir, Sie kennen ihn schon lange.«

»O ja!«

»Wollen Sie mir die Wahrheit über ihn sagen? Wollen Sie mir sagen, ob er – wie mach’ ich das – ob er nicht nur so ein Wasserhase, – ob er ein wirklicher Feigling ist?«

Fritz war eine Weile still. – »Ihnen kann ich sagen,« erwiderte er dann langsam, »daß er – — nun, daß er sein Leben über alles lieb hat. Daß er jede Gefahr meilenweit vermeidet, wenn es möglich ist. – Ihn flog ein schwaches Lächeln an »Und wenn es nicht möglich ist —«

»Dann?«

»Nun – dann macht er es doch möglich.«

»Ah! – Ich danke Ihnen. – Dann macht er es doch – — Ich hab’ ihn also richtig taxiert!« Donnerwetter! fuhr Rutenberg durch den Kopf, wenn ich diesem tapfern Jüngling eine Aufgabe stellen könnte, in der er vor Trudels Augen vergeht, wie ’ne Seifenblase! – Es fiel ihm aber nichts ein, er hatte nicht Schilchers Kopf . . .

19

Die Drei, die zu den Mandarinen gegangen waren, kamen vom Hause her zurück, Schilcher hatte jetzt statt der Serviette etwas wie einen Brief in der Hand, das er wie eine Fahne schwenkte. »Eine Depesche!« rief er, während sie näher kamen. »Ein Telegramm! An dich!«

»Endlich!« sagte Rutenberg und nahm es ihm aus der Hand. »Du, Alter! Errätst du, von wem es ist?«

»Hab’ so eine Ahnung!«

Rutenberg öffnete die Depesche und las sie vor: »Heute, mit dem Dampfer. Whist, Wild, Lugau.«

»Siehst du wohl, sie sind es! Lakonisch, aber deutlich. Schilcher, wir haben sie! Wo ist die Hotelkanone, um sie zur Begrüßung abzufeuern, wo ist eine deutsche Flagge! – ›Mit dem Dampfer‹ steht da. Nach meiner Uhr muß der schon da sein. Schilcher, sie sind schon da!«

Fritz deutete mit dem Arm hinaus. »Der Dampfer hält bei der Marine —«

»Richtig!« rief Rutenberg, der an die Brüstung stürzte und hinuntersah. »Da rudert auch schon eine Barke vom Dampfschiff her. Sie sitzen ja auch drin! Sie sind’s!« – Er zog sein Taschentuch heraus und wedelte damit. Schilcher und Gertrud, von seiner Freude angesteckt, thaten es ihm nach. »Kinder!« rief Rutenberg und blickte triumphierend herum. »Nun werden wir also wieder Lugaus Imitationen und Wilds Erfind – —«

Er sprach das Wort nicht zu Ende. Eben kam ihm Arthurs Gesicht vor die Augen, das rosige, glatte, gleichsam abgeleckte . . . dabei fielen ihm Fritz Waldecks Worte wieder ein: ›jede Gefahr vermeidet er meilenweit, wenn es möglich ist!‹ – Wilds Erfindungen, dachte er. Ah! Wild wäre mein Mann!

Schilcher war auch an die Brüstung getreten, noch immer sein Taschentuch schwenkend. »Sie sehn uns!« rief er jetzt. »Bei Gott, sie sehn uns. Sie ziehn auch ihre Flaggen auf. – Rutenberg, ich geh’ hinunter, geh’ ihnen entgegen, diesen alten Jungen!«

Er wollte sich schon in Bewegung setzen, doch Rutenberg hielt ihn fest. »Nein, nein,« sagte er. »Ich! – Laß mich, Schilcher,« flüsterte er hastig, ihn ein paar Schritte weiter führend. »es ist eine Idee über mich gekommen, von diesem Wild soll sie ausgehn; ich führ’ ihn herauf und sag’ sie ihm. Gieb dann acht, gieb dann acht!«

Er stieß seinen Schilcher freundschaftlich zurück und ging allein zur Felsentreppe. »Ich bin der Hausherr!« rief er noch über die Schulter. »Ich begrüße sie!«

Schilcher sah ihn hinuntersteigen, sah die andern landen. Pasquale und dessen Gehilfe Antonio schifften das Gepäck aus. »Gepäck!« summte er und wandte sich zu Gertrud. »Die müssen also doch auch wohnen, das ist nicht zu leugnen Wo sollen sie wohnen, Kind? Das kleine Hotel ist voll. Wir müssen vorläufig zusammenkriechen wie die Mäuse!«

»O nein, sagte Fritz Waldeck. »das müssen Sie nicht. Mein Zimmer wird frei . . . bald . . . in einer Stunde.«

»Was? Sie wollen fort?«

Auch Schilcher war erschrocken. Gertrud sah den jungen Mann herzlich an und schüttelte den Kopf. Indem er that, als bemerk’ er das nicht, indem er ihr seine Gefühle mit Gewalt zu verbergen suchte, entgegnete Fritz auf Schilchers Fragen »Ja, natürlich. Was ich hier zu thun hatte, das ist ja gethan! . . .«

Wie rührend freundlich schauen Sie mich an, Herr Oberappellationsrat. Sie drücken mir gar die Hand. Sie schütteln den Kopf . . . Ich muß ja fort.«

»Warum müssen Sie? . . .«

»Meine Reisegesellschaft, in Pompeji . . . morgen wollen sie nach Neapel zurück. Von da dann nach Rom . . . – und von Rom wieder nach Haus!«

Schilcher ließ verzagend den Kopf hängen. So gefällt mir’s! dachte er. ›Der andre geht uns durch und wir sitzen wieder da‹ – er warf einen grimmigen Blick auf Arthur, der über die Brüstung dem Ausschiffen zusah . . . mit den Wasserkuchen, der Taucherente allein!

»Und was wollen Sie dann zu Hause?« fragte er verdrießlich.

Fritz Waldeck lächelte, ihm war selber nicht gut dabei. »Was ich will? Was lernen.«

»Und was lernen Sie denn eigentlich, wenn ich fragen darf?«

»So ungefähr Kunstgeschichte,« erwiderte Fritz, die Achseln zuckend. »Das sieht ja nicht nach Broterwerb aus. aber mein Professor – der uns jetzt nach Neapel und Rom führt – der macht mir auf jede Weise Mut. Er glaubt an mein Talent, mein Auge, meinen – und so weiter. Ich soll an seiner Zeitschrift mitarbeiten, Mitredakteur werden, sobald ich so weit bin. Ein Lehrstuhl, meint er, wird mir dann auch nicht fehlen. Er will mir auf jede Weise beistehn,« sagt er. Fritz zuckte wieder lächelnd die Achseln. »Er hat mich eben merkwürdig gern!«

»Kann ich ihm gar nicht verdenken,« brummte Schilcher. »Und das nötige Geld haben Sie einstweilen?«

»Mein Onkel hat’s, er will aber durchaus Vater an mir spielen. Studier’ du nur drauf los, sagt er, ich lass’ dich nicht im Stich, darauf kannst du Gift nehmen! – Kurz – es ging mir früher so schlecht – aber seit einiger Zeit geht’s unsinnig gut. Auch dieser Onkel hat mich sehr lieb – wie ein eignes Kind —«

»Kann’s ihm auch nicht verdenken,« fiel Schilcher ein. »Aber daß Sie uns so unmittelbar wieder verlassen wollen – — das hatt’ ich mir schöner gedacht!«

Man hörte jetzt Wilds und Rutenbergs Stimmen, die beiden stiegen voran herauf, Lugau folgte mit den Gepäckwagen den Schiffern Der kleine Oberappellationsrat lief ihnen entgegen, auf der obersten Stufe der Treppe blieb er stehn, mit beiden Armen zum Willkomm grüßend.

»Aber das ist ja ein Felsenmärchen« sagte Wild, der entgegenwinkte, »wie aus dem alten Vater Homer. Nu, was sagen Sie, Gottfried Schilcher? Auf Tassos heiligem Boden sehen wir uns wieder!«

Schilcher drückte ihm die Hand, dann streichelte er ihm mit drolliger Zärtlichkeit das volle, humoristisch behagliche Gesicht. »So gescheit waren Sie noch nie, lieber Wild, wie in dieser Sache. – Ich freue mich! Sehr! – Lugau! Mensch!«

Etwas atemlos keuchte. nun auch Lugau zur Terrasse hinauf; er winkte mit dem Taschentuch, mit dem er sich die Schläfen getrocknet hatte. »Man hat uns gerufen,« sagte er, »und wir sind gekommen. Uebrigens, Sie sind noch am Geben, Schilcher!«

»Bin ich noch am Geben?«

»Ja. – Sehen Sie mich an. Wild behauptet, ich wär’ auf der langen Fahrt von der Ostsee bis Neapel um hundert Pfund magerer geworden. Finden Sie das auch?«

Schilcher betrachtete den kleinen dicken Mann mit ernsten Naturforscheraugen. »Ich kann keinen Unterschied wahrnehmen, Lugau, aber es mag ja doch sein!«

Alle hatten die Höhe erreicht, alles begrüßte sich, Rutenberg schickte die Schiffer, die mit Handkoffern und Reisetaschen beladen waren, einstweilen in sein Zimmer hinauf. Er stellte die jungen Männer vor, »junge Wandervögel«, er drückte dann vor Vergnügen die wohlbeleibten alten Herren gegeneinander und an seine Brust. »So, und nun seht euch hier gefälligst um, so wohnen wir und so leben wir. Unter uns die Brandung, vor uns der Vesuv!«

»Bei Gott, ein Irrtum ist nicht mehr möglich,« sagte Wild, der die vertretenden Schelmenaugen rundum wandern ließ, »wir sind wirklich hier. Vierzig Jahre lang hab’ ich mir’s gewünscht, auf diesem Felsen zu stehn, vierzehn Tage lang hab’ ich euch beneidet, jetzt steh’ ich da! Das ist schon der Mühe wert, meine Freunde, sich in Gefahr zu begeben, da werden wir uns denn auch mit dem nötigen jugendlichen Leichtsinn —«

»Gefahr? Wieso?« fragte Schilcher.

Rutenberg, der Schilcher gegenüberstand, winkte ihm heimlich, fast nur mit den Augen. der andre bemerkte es auf der Stelle. »Wieso?« antwortete Wild, mit seinem unerschütterlich behaglich ernsten Gesicht. »Nu, in Neapel war man heute früh sage nur nach, was die alten Bücher sagen. Auch das schöne Sorrent, Surrentum, ging damals bekanntlich größtenteils zu Grunde, – wieviel Menschen mit umkamen, davon erzählt allerdings die Geschichte nichts. Der Historiker Dio Cassius berichtet nur – — Aber wir haben da eine junge Dame. Ich glaube, unser Fräulein Gertrud wird blaß. Schweigen wir jetzt vom Vesuv!«

»O nein,« sagte Gertrud ruhig, »Sie irren. Ich bin nicht so bange. So schlimm wird’s wohl auch nicht werden —«

Arthur fiel ihr ins Wort. »Bitte, Herr Doktor, was berichtet der Historiker Dio Cassius?«

»Dio Cassius?« antwortete Wild, den diese Frage ein wenig in Verlegenheit setzte. »Ja, der alte Dio Cassius . . . Es ist mir im Augenblick nicht ganz gegenwärtig. Er oder andre Geschichtsschreiber nehmen aber an, das unglückliche Stabiä, das ja damals auch vom Erdboden verschwand, hat nicht bei Castellamare gelegen, wie einige glauben, sondern hier bei Sorrent! – Na, die Hauptsache ist ja in solchen Fällen, sich nicht überrumpeln zu lassen, denn daß man wenigstens mit dem Leben davon kommt, ist ja doch zu wünschen. Das möcht’ ich dir nur noch sagen, lieber Rutenberg, – ohne dich zu kränken – deine liebenswürdige Einladung in allen Ehren – wir sind sehr gerührt – aber du hast uns da eigentlich in eine schöne Mausefalle gelockt. Denn sag’ mir gefälligst, wo sollen wir hin wenn das Wetter losbricht? So weit ich mich auf der Landkarte orientiert habe – ich hab’ sie ziemlich gründlich studiert . . . Uebers Meer zurück? Das ist dann unmöglich, das Meer wird von Erdstößen hin- und hergeschleudert —«

»Von Erdstößen!« rief Arthur aus.

»Natürlich. – Zu Lande zurück, nach Castellamare – das hieße dem Löwen in den Rachen laufen! – Hier bleiben und abwarten – bis man vor Dampf und Asche und Bimssteinen am hellen Tag nicht mehr seine Hand sehen kann – das gefällt mir auch nicht, muß ich ehrlich sagen. Da könnte man also nur vom Vesuv hinweg in die Berge klettern – na, und diese kleine Halbinsel, die ist bald zu Ende!«

Rutenberg ging wieder unruhig umher, was Arthur nervös machte, er stand jetzt vor dem Doktor still. »Wild – mach’ uns nicht toll. Mit deiner verwünschten Logik und deinen schwarzen Phantasien.« —

»Ich hab’ durchaus keine schwarzen Phantasien. dazu neig’ ich bekanntlich gar nicht! Aber wenn Palmieri sagte: ich fürchte einen Ausbruch, wie noch keiner da war, allerdings, junger Herr, in seinem letzten Telegramm drückt er sich so aus, buchstäblich wie noch keiner da war – dann muß ich mir doch die Bemerkung erlauben weiter weg wär’ besser!«

Arthur kämpfte noch immer gegen seine beklemmenden Gefühle. Er trat nur einen Schritt näher auf den Doktor zu. »Sie glauben, daß Palmieri – —«

Plötzlich stand Schilcher auf, der sich auf eine Steinbank gesetzt hatte, Arthur fuhr zusammen. »Sag’ mal,« fragte Schilcher, um die Sache doch auch ein bißchen zu fördern, »war das eben schon ein kleiner Erdstoß, oder irr’ ich mich?«

Gertrud hob den Kopf. Sie warf einen unwillkürlichen Blick auf Fritz Waldeck. Der saß etwas weiter weg auf der Brüstung und hörte in lebhafter, aber offenbar völlig furchtloser Erregung zu. Darüber wuchs ihr auch der Mut. »Ich hab’ nichts gespürt«, antwortete sie ruhig.

»Doch, doch,« meinte Lugau. »Ich glaube, es war so ein leises Zucken —«

Rutenberg unterbrach ihn geschwind. »Haben Sie die Güte, Lugau, es nicht nachzumachen. das regt uns auf!«

Unterdessen hatte Arthur den Erdboden rechts und links mit argwöhnischen Augen beobachtet. Er wandte sich wieder an Wild. »Sie glauben, daß Palmieri – —«

»Das Meer wird unruhiger, fiel Schilcher ein, der über die Brüstung guckte, »das ist keine Frage.«

»Natürlich wird es unruhig,« entgegnete Wild, »wenn man unter ihm zittert. Damit fängt die Sache an. Palmieris Instrumente empfinden ja mit mathematischer Genauigkeit, was sich vorbereitet. Nach Palmieris Meinung bricht es noch heute los —«

»Aber um Gottes willen« brach es nun aus Arthur heraus, »so sollten wir doch etwas thun – etwas thun – um uns beizeiten zu retten!«

Gertrud, schon eine Weile durch sein Benehmen gereizt, sah ihm scharf ins Gesicht. »Haben Sie denn Angst, Herr van Wyttenbach?«

»Ich?« sagte er und suchte sich zu fassen. »Nicht für mich, für die andern; für Sie!«

»Für mich? Das lassen Sie nur. Ich fürcht’ mich nicht sehr. Einen ordentlichen, tüchtigen Ausbruch wünscht’ ich mir immer zu erleben und ich denke, uns thut er nicht viel, wir sind weit davon!«

»Das sagen Sie, Fräulein Gertrud, weil Sie die Gefahr nicht kennen.« Arthur lächelte ein wenig. »Sie sind eben noch sehr jung!«

»Und wie alt sind Sie denn?«

Er bemühte sich, wieder zu lächeln. »Ich glaube, wir sollten uns jetzt nicht über solche Nebendinge unterhalten. Die Hauptsache ist ja doch, daß wir diesem Vesuv da aus dem Wege gehen.« Sein wohlklingender Baryton hob sich vor Aufregung. »Mein Gott, so ein feuerspeiender Berg hat ja keine Vernunft! Wir müssen sie haben, wir!«

Doktor Wild nickte bedächtig: »Dem zu widersprechen, wär’ gewiß sehr thöricht —«

»Nicht wahr?« sagte Arthur rasch. »Ich schlag’ ja nur vor, aus dem Wege zu gehn nach der andern Seite der Halbinsel- oder bis zum Vorgebirge – oder wie Sie denken. Das Schauspiel eines großen Ausbruchs mag ja sehr interessant, sehr romantisch sein, aber man will doch vor allem als verständiger Mensch sich am Leben erhalten . . .«

Er sah rund herum, blickte jedem nach den Augen. Keiner rührte sich. »Also —!« fuhr er unruhiger fort. »Also – gehn wir! Machen wir uns davon! – Auch Sie, Fräulein Gertrud, die Sie jetzt noch so zuversichtlich sind, nachher werden Sie uns danken, wenn wir Sie gerettet haben —«

»Bitte, bemühen Sie sich nicht,« unterbrach sie ihn kalt. »Ich hab’s gar nicht eilig. Ich bleibe!«

Er starrte sie fassungslos an; das begriff er nicht.

Gertruds Hände ballten sich. »Junge Leute, dacht’ ich, lieben die Gefahr, statt davonzulaufen. Warten Sie doch wenigstens ab, bis sich die älteren Herren aus dem Staube machen!«

Dem Vater Rutenberg lachte das Herz im Leibe, die Sache geht ja gut! dachte er, und mein Mädel ist ganz famos! – »Na,« warf er dann hin, um den Wagen nun rollen zu lassen, wie er rollte, »ich hoffe immer noch, Wild sieht zu schwarz! Palmieri irrt sich! Bis wir darüber klarer werden, sollten wir vorläufig ins Haus gehen, unsern lieben Gästen Quartier schaffen, sie erfrischen, stärken.« Er lächelte: »Auch das ist ja Lebensrettung. Lugau, kommen Sie. Wild, Schwarzseher, voran!«

»Meinetwegen,« sagte Wild, indem er sich mit scheinbar widerstrebendem Gehorsam in Bewegung setzte. »Ich wasche meine Hände in Unschuld.«

»Warten wir’s noch ab,« rief Schilcher im Gehn »mit Philosophie!«

Die drei Whistbrüder und Rutenberg marschierten dem Hause zu. Arthur sah ihnen kopfschüttelnd mit heimlicher Erbitterung nach. Mit Philosophie! dachte er. Dieser Unsinn! – Der eine ist ein alter Phlegmatiker, der andre ein Optimist. – Sich beizeiten aus dem Staube machen, das ist Philosophie!

Er wandte sich zu Gertrud zurück, die sich in einiger Entfernung von Fritz Waldeck auch auf die Brüstung gesetzt hatte und ihr Ideal schmerzlich zornig betrachtete. »Sie wollen also nicht fort?« fragte er.

Sie schlug ihre Füße gegeneinander. »Nein,« sagte sie.

»Fräulein Gertrud, Sie sind unbesonnen. Sie sind unvernünftig!«

»Kann sein. Wohl möglich. Und ich will es auch bleiben. Retten Sie sich!«

Er trat ihr näher, so gut es ging. So leise wie möglich, mit schmerzlichem Vorwurf, hauchte er ihr zu: »Sie wollen mich kränken —«

»Ich Sie?« gab sie ihm zurück. – »Retten Sie sich!«

»Mit Ihnen ist jetzt nicht zu reden, seh’ ich . . .«

Er trat wieder zurück, sie schwieg. – So werd’ ich mit einem andern reden, dachte er, mit dem Marinajo, dem Pasquale. Verschütten lass’ ich mich nicht! Nachdem er flüchtig mit dem Hut gegrüßt hatte, ging er mit großen Schritten davon, hinter den Männern her.

Gertrud lächelte bitter, so lange sie ihn mit den Augen verfolgte. »Na, und Sie?« fragte sie dann, den Kopf auf die Seite wendend.

Fritz stand auf, ohne zu antworten.

»Wohin?« fragte sie.

»Fliehen nicht!« erwiderte er mit einem sonderbaren Lächeln. »Vor dem Berg da nicht!«

»Sie haben keine Furcht?«

»Nein. – Im Gegenteil.«

Er murmelte das nur und brach ab.

»Sie glauben, es ist keine Gefahr? – Wenn wir hier nun aber wirklich zu Grunde gingen – alle miteinander —«

»Das wär’ es ja, was ich mir wünschte, mein Fräulein,« fiel er ihr ins Wort, wieder mit so einem sonderbaren, ernsthaften Lächeln. »Ich mit Ihnen . . .«

»Warum?« fragte sie, da sie plötzlich etwas durchflog, und sah ihn mit großen Augen an.

Ihr erregtes, holdes Gesicht, ihr Blick riß ihn hin. »Warum? – Weil es für mich die einzige Möglichkeit wäre, mit Ihnen vereint zu werden, und weil ich – —«

Mit einer zornigen Bewegung, aber wie gegen sich selbst unterbrach er sich. »Adieu!« stieß er nur noch heraus. Nach einer Art von Verbeugung ging er. Plötzlich war er fort. Hinter den Oelbäumen und den Mandarinen sah sie ihn verschwinden.

»O Gott!« dachte sie, regungslos auf ihrem Platz. Was hat er? Was will er? – ›Mit Ihnen vereint zu werden . . . Und weil ich . . .‹ Was wollt’ er noch sagen? – Mit den schwermütigen Augen sah er, wie durch mich hindurch – daß mir bange wurde . . . Und nun will er fort! fiel ihr auf einmal aufs Herz. – Sie stand auf. Sie mochte nicht mehr denken. Ihr war so wirr und wunderlich zu Mut, wie noch nie im Leben und sie hatte doch schon viel erlebt! Sie fühlte nur – ach, nicht ungern – daß ihr etwas Schweres, Trauriges, Süßes auf der Seele lag. So stand sie noch da, wer weiß wie lange . . .

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