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Caritas und Diakonie
Die beiden kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas (katholisch) und Diakonie (evangelisch) gehören weltweit zu den privaten Firmen mit den meisten Mitarbeitern: 617.000 bei der Caritas und 526.000 bei der Diakonie, zusammen 1.143.000. Ihr Umsatz beläuft sich zusammen auf rund 45 Milliarden Euro pro Jahr, von denen 98,2 Prozent öffentlich finanziert werden (Krankenkassen, Pflegeversicherung, Patienten und Staat).
Ein Vergleich mit bekannten deutschen Konzernen zeigt diese ökonomische Glanzrolle der kirchlichen Wohlfahrtsverbände in Deutschland. Sie beschäftigen ein Mehrfaches an Mitarbeitern in Deutschland als die Industriekonzerne und übertreffen sogar den Umsatz der Volkswagen AG in Deutschland.
Es haben: Siemens AG (118.000 Mitarbeiter – 11,1 Milliarden Euro Umsatz), Post AG (215.802 Mitarbeiter – 18,4 Milliarden Euro Umsatz), Daimler AG (170.034 Mitarbeiter – 23,9 Milliarden Euro Umsatz), Deutsche Bahn AG (197.985 Mitarbeiter – 24,1 Milliarden Umsatz) und Volkswagen AG (281.395 Mitarbeiter – 43,7 Milliarden Euro Umsatz).
Von der Wiege bis zur Bahre …
Aber auch außerhalb der bisher genannten drei Finanzräume, der verfassten Kirchen, der Caritas und der Diakonie, sowie den Dienstleistungen, die aus Steuergeldern finanziert werden, gibt es weitere Wirtschaftsbereiche, in denen die Kirchen ökonomisch aktiv sind.
Dazu gab es einen Leitsatz: »Von der Wiege bis zur Bahre: Christliche Talare!« Das will besagen: Sie werden in einem kirchlichen Krankenhaus geboren, gehen in eine kirchliche Kita und in eine Konfessionsschule, machen eine Lehre in einem der vielen kirchlichen Betriebe oder studieren an der Katholischen Universität Eichstätt bzw. einer der vielen kirchlichen Fachhochschulen, arbeiten dann bei einem kirchlichen Unternehmen, lesen eine Kirchenzeitung, schauen Bibel-TV und hören Domradio, fahren mit »Biblischen Reisen« in Urlaub, trinken Bier als »Klosterbräu« oder »Bischofswein«, lassen sich in kirchlichen Krankenhäusern behandeln und gehen, wenn sie alt geworden sind, in ein kirchliches Altersheim, dann in ein kirchliches Hospiz und werden auf einem kirchlichen Friedhof, dem »Gottesacker«, begraben.
Das alles lässt sich auch ökonomisch darstellen: Rechnet man die genannten Finanzkreise zusammen, so kommt man auf eine Größenordnung von rund 130 Milliarden Euro. Die deutsche Automobilindustrie hatte 2013 mit Produktion, Handel und Reparaturen einen Inlandsumsatz von 123 Milliarden Euro – also eine vergleichbare Größenordnung.
Kirche: Beste Geschäftsidee
Damit können Rücklagen gebildet werden, von denen Industriekonzerne nur träumen können. Plausible Schätzungen nennen für beide Amtskirchen eine Größenordnung ihres kirchlichen Vermögens von 300 bis 400 Milliarden Euro. Ihr Grundbesitz beläuft sich dabei auf rund 830.000 Hektar, ihnen gehören, zusätzlich zu den Kirchengebäuden, rund 87.000 Immobilien.
Ist das nun eine spezifische deutsche Situation? Die Antwort ist: Ja und Nein. Die Größenordnung in anderen Ländern ist zumeist eine andere, und die innige Geschäftspartnerschaft mit dem Staat in Deutschland ist insofern einmalig. Aber um nur einige Beispiele zu nennen: Für die Konfessionsschulen gibt es aus Steuergeldern in Österreich 453 Millionen, in Deutschland 2,3 Milliarden, in Italien 530 Millionen und in Spanien 4,4 Milliarden Euro. Für Religionslehrer zahlt der Staat aus Steuergeldern in Österreich 253 Millionen, in Deutschland 1,7 Milliarden, in Italien 500 Millionen und in Spanien 600 Millionen Euro.
Für die USA haben Brian und Melissa Grimm eine empirische Analyse zum »Sozio-ökonomischen Beitrag der Religion für die amerikanische Gesellschaft« vorgelegt (Interdisciplinary Journal of Research on Religion, Vol. 12, 2016). Sie untersuchten verschiedene Teilbereiche und kommen zu einer Gesamtschätzung von 1.159,2 Milliarden US-Dollar. Das ist mehr, als die zehn größten Industrieunternehmen der USA (einschließlich Microsoft, Amazon und Google) zusammen auf dem US-Markt umsetzen.
Das muss natürlich alles beschützt und organisiert werden. Wie jede Organisation, die politisch etwas zu ihren Gunsten bewirken will, pflegen auch die Kirchen ihren Lobbyismus. Dafür haben die Kirchen ihre Lobby-Büros in Berlin und in den Landeshauptstädten.
Oberkirchenrat Hermann Kalinna, von 1977 bis 1994, also 28 Jahre lang, stellvertretender Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland in Bonn, hat das einmal auf den Punkt gebracht: »Staat und Kirche sind jedoch zu komplexe institutionelle Gebilde, als dass man ihre Kontakte und Beziehungen auf einen Begriff bringen könnte. Dabei sind vorgegeben das komplexe staatskirchenrechtliche System und die ungeschriebenen Regeln des Umgangs. Die Beherrschung beider ist wichtig, damit das Verhältnis Staat-Kirche nicht der Steuerung durch die Kirchenleitung entgleitet.« Man muss es noch ein zweites Mal lesen: »… damit das Verhältnis Staat-Kirche nicht der Steuerung durch die Kirchenleitung entgleitet.« Das hat er nicht hinter verschlossenen Türen geäußert, sondern so steht es – für jeden nachlesbar – im »Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland«.
Wie steht es nun um den Erfolg des kirchlichen Lobbyismus in Deutschland? Die Bewertung dessen möchte ich einem der kompetentesten Insider überlassen. Er sagte zum einen: »Wir sind die einzigen Lobbyisten, die alles auf dem Schirm haben«, und zum anderen: »Unser Erfolg beeindruckt manchmal auch die Bankenlobby oder die Atomlobby.« Das sagte Prälat Dr. Karl Jüsten, als Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe der katholische Chef-Lobbyist in Berlin.
Mit Goethe hatte dieser Beitrag begonnen, mit dem Geheimrat soll er auch schließen:
»Die Kirche hat einen guten Magen, / Hat ganze Länder aufgefressen, / Und doch noch nie sich übergessen; / Die Kirch’ allein, meine lieben Frauen, / Kann ungerechtes Gut verdauen.« (Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, 1808. Spaziergang, Mephistopheles zu Faust) Und: »Die Kirche liegt in ewigem Streit mit dem Staat, der ihr die Oberherrschaft nicht zugestehn will.« (Goethe, Autobiographisches. Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, 1811, 3. Teil, 11. Buch)
CONSTANZE KLEIS
Fifty Shades of Gott
Die Weltreligionen stimmen in seltener Eintracht seit Jahrtausenden darin überein, die Frau als ein Mängelexemplar zu betrachten.
Er ist mächtig, unglaublich reich und sehr dominant. Ein richtiges Alphatierchen, das nichts von Augenhöhe, dafür aber viel von Unterwerfung hält. Beziehungen mit ihm gibt es nur, wenn Frauen einen Vertrag abnicken, der ihnen vorschreibt, wie sie sich kleiden, mit wem sie Sex haben und was sie dabei empfinden dürfen. Es sollte vor allem Dankbarkeit sein. Denn eigentlich hält er Frauen für unrein, befleckt, irrational, minderwertig. »Eine verdorbene Speise, eine stinkende Rose, ein süßes Gift, immer der Sache hinterher, die ihr verboten ist«, wie es Salimbene von Parma, einer seiner Sprecher, Franziskaner und Historiker im 13. Jahrhundert formulierte.1 In »Bondage-Discipline-Dominance-Submission-Sadism-Masochism«-Fachkreisen nennt man so etwas einen BDSM-Vertrag. Ein Schriftstück, das die Beziehung zwischen Herrn und Sklavin definiert. Im Rest der Welt heißt es »Religion«.
Egal, ob man an Gott, Mohammed, Konfuzius, Buddha oder Brahman glaubt – überall gelten die Frauen als Montagsproduktionen des Schöpfers. Als minderwertig. Dazu gemacht, unterworfen zu werden. Kein Wunder, wenn der Talmud ein Morgengebet vorsieht, in dem der Gläubige seinem Schöpfer täglich dafür dankt, dass er nicht als Nichtjude, Sklave oder Frau zur Welt kam. Zumal das Judentum selbst ein paar exzellente Argumente für diese Empfehlung lieferte. Unter anderem gilt das Menstruations- und Geburtsblut von Frauen als schmutzig. Sie müssen sich durch bestimmte Riten erst wieder »rein« für die Religionsausübung und den Mann machen. Auch im Islam werden den Frauen herrische Vorschriften gemacht, haben sie Dienerin des Mannes zu sein, wird zur Zähmung von Widerspenstigen schon mal empfohlen: »Ermahnt sie, meidet ihr Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch dann gehorchen, so sucht gegen sie keine Ausrede.«2 Selbst der Buddhismus, dieser vermeintlich so zweifelsfreie Hort des Friedens und der Menschlichkeit konnte der Versuchung nicht widerstehen, den Frauen die niedersten Ränge zuzuweisen. Bis heute beten Tibeterinnen darum, als Mann wiedergeboren zu werden, um dann die Buddhaschaft zu erlangen. Aus buddhistischer Sicht kann eine Frau nämlich schon aus Prinzip keine Erleuchtung erlangen. Wie auch? Schließlich wird sie in der tibetischen Sprache konsequent als »Kyenmen«, als von minderer Geburt bezeichnet.
Als hätte es niemals Kreuzzüge, Hugenottenkriege, den Dreißigjährigen Krieg, die Bürgerkriege in Afrika, in Irland oder im Libanon gegeben, stimmen die Weltreligionen in seltener Eintracht seit Jahrtausenden wenigstens darin überein, die Frau als ein Mängelexemplar zu betrachten, das dringend unter männliche Aufsicht gehört, und ist das Patriarchat der größte gemeinsame Nenner, auf den sich so ziemlich das gesamte religiöse Vielfache einigen kann.
Die blutigste Religion von allen – die christliche (nur gegen eine Glaubensgruppe führten Christen öfter Krieg als gegen Muslime und Juden – gegen Christen mit einer anderen Konfession) – hat dabei auch in Sachen radikaler Frauenverachtung zuverlässig brutalstmögliche Spitzenwerte erreicht. Allein bis zu 60.000 Menschen sollen den Hexenverfolgungen im frühneuzeitlichen Europa zum Opfer gefallen sein. Die meisten von ihnen Frauen. Den Freibrief zum Foltern, Verbrennen, Verachten lieferte zuverlässig die Bibel: Das Alte Testament mit seiner Schöpfungsgeschichte, laut der die Frau aus der Rippe des Mannes gemacht wurde und damit also quasi von Geburt an als zweitrangig zu betrachten sei, und natürlich mit dem Sündenfall. Schließlich war es die charakterschwache Eva, die sich von der Schlange verführen ließ. Seitdem waren praktisch alle Frauen qua christlicher Genetik Sünderinnen, lief der Shitstorm gegen alles Weibliche. Ganz wie es Quintus Septimus Florens Tertullian (160 bis 225), ein lateinischer Kirchenschriftsteller, den Frauen von der Kanzel predigte: »Weiß du nicht, dass du auch Eva bist? Der göttliche Richterspruch hat auch heute noch seine volle Gültigkeit für dieses Geschlecht, also besteht auch seine Sünde weiterhin. Du bist das Tor zum Teufel, du hast seiner Versuchung nachgegeben, du hast das göttliche Gebot als erste übertreten.«3 Frauen seien missratene Männer, verkündete später der Kirchenlehrer Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert, und Odo von Cluny, der zweite Abt der berühmten gleichnamigen Benediktinerabtei, äußerte sich im 15. Jahrhundert über das »Gefäß der Sünde« (Martin Luther) wie folgt: »Die Schönheit des Leibes wohnt nur in der Haut. Und wahrlich, wenn die Männer sähen, was sich unter der Haut befindet, würde der Anblick der Frauen ihnen Ekel einflößen. Wir würden es nicht ertragen, Auswurf und Kot auch nur mit den Fingerspitzen anzufassen; wie können wir dann den Wunsch haben, einen solchen Haufen Kot zu umarmen?«4
Ja, wie kann man nur? Das war ja gerade das Perfide, das sich so schwer im Männerkopf vereinen ließ: Dass man gleichzeitig heiß begehrt, was man doch zutiefst verachten soll, sich fürchten muss vor den weiblichen Reizen und ihnen dennoch nicht widerstehen kann. So ziemlich alle Religionen stellen ihn her: Diesen so beunruhigenden Zusammenhang zwischen extremer Lüsternheit und massiver Abscheu. Und lösen das Dilemma damit, die Frauen auch noch dafür verantwortlich zu machen. Sollte der Mann nicht mehr an sich halten können, trägt selbstverständlich die Frau die Schuld. Er hatte keine Wahl. Sie schon. Sie hätte sich ja was Ordentliches anziehen können. Etwas, das ihre per se »sündige« Sexualität vergessen macht und sie als das ausweist, was sie ja ohnehin sein sollte: Eine Heilige. Eine Jungfrau. Eine, die es idealerweise sogar schafft, schwanger zu werden, ohne jemals Sex zu haben.
Das ist total verrückt und ziemlich paranoid. Und es sollte heutzutage eigentlich kaum mehr Relevanz besitzen als die Behauptung, dass die Erde eine Scheibe ist und man herunterfällt, wenn man zu weit läuft. Keine moderne aufgeklärte Gesellschaft würde es tolerieren, dass jemand mit diesem flachen Weltbild maßgeblich Einfluss nimmt auf unseren Lebensstil, auf politische und damit auch auf Entscheidungen des Gesetzgebers. Außer, die bekloppte Idee ist Teil eines Glaubenssystems und zementiert ein traditionelles und immer noch sehr willkommenes Frauenbild. Als hätten es die Erfinder der Weltreligionen geahnt, dass es eines Tages argumentativ eng werden könnte für das Patriarchat und man dann immer noch wird sagen können: Dass es Gott oder Mohammed oder Jahwe oder John Smith oder Buddha eben so gewollt hat. Als hätten sich die Kirchenväter schon vor Tausenden von Jahren vorsorglich für den Tag abgesichert, an dem dereinst eine Frau sagen wird: Ich will studieren! Oder: Ich kann selbst denken! Oder: Ich werde das Kind nicht bekommen! Oder: Ich werde Kanzlerin! Oder: Ich weiß, dass ich Spaß haben kann beim Sex und nach ausreichenden Vergleichen auch, dass du dafür ganz sicher nicht der geeignete Kandidat bist. Oder: Ich verlange, dass das Anforderungsprofil für die Papst-Stelle von »katholisch, ledig, männlich« auf »katholisch, weiblich, verpartnert, gern auch mit einer Frau« erweitert wird. Aber – wie Martin Luther schon sagte: »Die Vernunft ist das größte Hindernis in Bezug auf den Glauben, weil alles Göttliche ihr ungereimt erscheint.«
Die Vernunft hat dafür gesorgt, dass im Grundgesetz der Gleichheitsgrundsatz verankert wurde. Sie hat zig wissenschaftliche Belege dafür gefunden, dass die vermeintlich von der Natur gegebene männliche Überlegenheit dorthin gehört, wo auch Schneewittchen und die sieben Zwerge zuhause sind. Dass Männer darüber hinaus sowohl physisch als auch psychisch durchaus in der Lage sind, ihre Hosen geschlossen zu halten, selbst wenn Frauen praktisch nackt unterwegs sind, wissen wir aus Beobachtungen auf den Straßen europäischer Großstädte, aus Schwimmbädern und aus Sauna-Anlagen. Anders als die Weltreligionen, die gerade von den Frauen einfach nicht ihre Finger lassen können. Und das weitgehend unbehelligt. Denn darin offenbart sich ja angeblich gerade das Göttliche: Dass es bar jeder Einsicht auskommt. Der Glaube ist deshalb nach wie vor ein exzellenter Grund, Toleranz für etwas zu fordern, das in jedem anderen Kontext keinesfalls zu tolerieren und sogar justiziabel wäre: Sexismus, Frauenfeindlichkeit und Unterdrückung. Sobald die Männer im Windschatten einer Religion segeln, gilt für sie immer noch Immunität. Eine verstörende Erfahrung für die, die in diesem so hermetisch geschlossenen System gefangen sind. Eine Erfahrung, wie sie Deborah Feldman in ihrem Welterfolg »Unorthodox« beschreibt. Sie schildert dort, wie sie in der chassidischen Gemeinschaft der Sathmarer in New-York aufwächst. Von den Frauen wird strikte Unterwerfung erwartet. Sie sollen gute Ehefrauen und Mütter von möglichst vielen Kindern sein. Sie dürfen nicht lesen. Ihre Kleidung muss den Körper vollständig bedecken, und ihnen ist es nicht erlaubt, ihr Haar zu zeigen. Sie tragen deshalb Perücken. Als Deborah Feldman heimlich beginnt, die Universität zu besuchen, erfährt sie ausgerechnet in einem Seminar mit dem Titel »Vielfalt und Demokratie«, wie Religion und Toleranz zu einer Art Zweikomponentensprengstoff für Frauenrechte geworden sind. Sie trifft auf eine gläubige Muslimin, die genau diesen Dualismus preist, weil er es ihr erlaube, Teil der amerikanischen Gesellschaft zu sein und zugleich ihre Religion, ihre Kultur zu leben. Deborah Feldman antwortet ihr damals: »Das ist ja alles schön und gut, aber was ist mit Leuten wie mir? Ich sitze in einer Welt fest, in der ich dazu gezwungen bin, mich an religiöse Gesetze zu halten, die über der Verfassung stehen. Ich bin Amerikanerin, aber meine Bürgerrechte zählen nicht, weil meine Gemeinschaft anders entschieden hat. Und niemand läuft Sturm, um meine Persönlichkeitsrechte zu schützen, nur weil die Rechte einer Gemeinschaft wichtiger sind?«5 Feldman, die inzwischen in Berlin lebt, war damals fassungslos und ist es heute noch. Darüber, wie auch hierzulande Frauenrechte der »Herrschaft der Religion und der Nachsicht des Staates« geopfert werden. Sie schreibt in einem Beitrag für die taz: »Unsere Gesellschaft ist weiterhin auf erhabene, großzügige Weise nachsichtig mit Gemeinschaften, die Kinder und Frauen unterdrücken, denn dann kann man sich auf die Schulter klopfen für die eigene Großzügigkeit und weitermachen wie bisher.«6 So wird die religiöse Kampfzone sukzessive auf Kosten der Frauen ausgeweitet.
Ein Phänomen, vor dem die Autorin Djemila Benhabib bereits am 13. November 2009 in ihrer Rede vor dem Senat von Paris warnte: »Es gab eine Zeit, da machte man sich in Frankreich Gedanken um das Tragen des islamischen Kopftuchs in der Schule. Heute geht es um den Ganzkörperschleier.« In mehreren Stadtvierteln würden die Röcke länger »und die Farbpalette eintöniger.«7 Und während sich die Frauen in den Straßen Teherans und Khartums in Lebensgefahr begeben, zeigen sie auch nur den Haaransatz, wird das Verhüllen in den westlichen Demokratien als Ausdruck von Freiheit gefeiert, als Banner weiblicher Selbstbestimmung, als modisches Accessoire der Stunde. Wie groß die Empörung über diese Haltung bei denen ist, für die der Begriff »Must have« bittere und lebensbedrohliche Realität ist, zeigte sich anlässlich eines »World Hijab Day«, der jeden 1. Februar begangen wird. Aktivistinnen aus den USA hatten diesen Tag ins Leben gerufen, um der Welt zu zeigen, wie viele muslimische Frauen das Kopftuch gern und aus freien Stücken tragen. Frauen wurden aufgefordert, ein Selfie zu posten, auf dem sie ein Schild mit dem Hashtag »#FreeInHijab« in die Kamera halten – also »frei im Kopftuch«. Außerdem sollte man in einem Post erklären, was genau das Kopftuch zu einem Symbol der Freiheit macht. Anders als gedacht, meldeten sich aber vor allem Frauen, die das Kopftuch als Instrument der Unterdrückung und Diskriminierung erleben. »Die Mehrheit der Frauen hat keine Wahl, sie wird gezwungen. Ich bin eine von ihnen«, schrieb eine Frau – nach eigenen Angaben – aus Saudi Arabien. Und Ensaf Haidar, Freiheitsaktivistin aus Saudi-Arabien und Ehefrau des Bloggers Raif Badawi, der 2013 wegen »Beleidigung des Islam« zu 1000 Peitschenhieben und zehn Jahren Haft verurteilt wurde, twitterte: »Wenn ihr unter der Scharia geboren und gezwungen worden wäret, einen Niqab zu tragen, wenn eure Menschlichkeit gestohlen worden wäre – dann würdet ihr wissen, warum ich dagegen bin.«
Im Namen der Toleranz soll es in Ordnung sein, wenn mit dem Kopftuch weibliche Sexualität wieder unter männliche Deutungshoheit gestellt wird. Aber auch: dass männliche Sexualität auf dieselbe Kulturstufe gestellt wird wie die eines Bonobo. Ganz abgesehen davon, dass das Kopftuch diejenigen Frauen als moralisch minderwertig herabsetzt, die keins tragen. Schließlich gilt: Wo eine Heilige ist, da muss immer auch irgendwo ein Luder sein.
So wird weibliche Sexualität zu etwas, das begrenzt, entschärft und »neutralisiert« gehört und für den einen reserviert bleibt, der darauf Exklusivrechte geltend machen kann. Mit absurden Folgen. Eine davon nennt sich »VirginiaCare«, kostet 53,50 Euro und kann im Internet bestellt werden. Es handelt sich um ein künstliches Jungfernhäutchen. Der Händler rät, es sich spätestens dreißig Minuten vor dem entscheidenden Akt, wenn der Bräutigam per Penetration kontrolliert, ob die Braut noch ihr Jungfernhäutchen hat, also formal noch Jungfrau ist, einzuführen, damit es punktgenau die so wichtigen Blutstropfen produziert. Bei Gynäkologen kostet die Umwandlung der vermeintlichen Hure in eine Heilige um die eintausend Euro und gehört mittlerweile zum Berufsalltag. Die »Hymenrekonstruktion« ist auch deshalb ein einträgliches Geschäft, weil man sich selbst als Jungfrau nicht sicher sein kann, beim Sex den Nachweis der Unschuld erbringen zu können. Immerhin kommt es bloß bei fünfzig Prozent der Entjungferungen überhaupt zu Blutungen. Dafür steigt wenigstens zuverlässig die Zahl der jungen Männer, für die das wichtig ist. In einem ZDF-Beitrag »Die Frauen, der Islam und ihr Jungfernhäutchen« erklärt ein junger Moslem, Schüler an einem Gymnasium im Berliner Wedding, dass es ihn ekeln würde, mit einem Mädchen ins Bett zu gehen, dass keine Jungfrau mehr wäre. Und auf die Frage, was ehrloser sei: Einen Sohn zu haben, der mit Drogen dealt oder eine Tochter, die keine Jungfrau mehr ist – ist die ganze Schulklasse sich mehrheitlich einig, dass die Tochter die größere Schande für die Familie wäre. »Nicht ich als Frau habe meine Ehre, sondern ich trage die Ehre des Mannes zwischen meinen Beinen,« hat die deutsch-türkische Anwältin, Frauenrechtlerin und Autorin Seyran Ates die Rolle der Frauen im traditionellen Islam einmal beschrieben.8
Was nützt es, wenn endlos darüber diskutiert wird, ob der Koran überhaupt an irgendeiner Stelle ein Kopftuch vorschreibt und ob die Sure, in der es heißt, man soll eine widerspenstige Frau schlagen, nicht doch falsch übersetzt und ganz anders gemeint ist. Es gilt gerade hier, was ein sehr katholischer Deutscher einmal meinte: Wichtig ist, was hinten raus kommt, und das ist eine Atmosphäre, die zunehmend in krassem Widerspruch zu Artikel 3 unseres Grundgesetzes steht:
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Aber genau das tut er gerade eben nicht. Er duldet es im Gegenteil, dass die Kampfzonen der Religionen auf Kosten von Frauenrechten ausgeweitet werden. Jüngstes Beispiel: Der Streit um den § 219a, der das Werbeverbot für Abtreibungen regelt. Als »Werbung« wird in diesem Fall die fachliche Information über die Risiken und den Ablauf des Eingriffs missverstanden.
Die Große Koalition konnte sich nicht dazu durchringen, ihn ersatzlos zu streichen. Folge auch eines erneuten Erstarkens religiös motivierter Abtreibungsgegner, die zunehmend aggressiv auch vor Beratungsstellen demonstrieren, beten, singen, Hilfesuchende ansprechen, sie mit dem Handy fotografieren und es ihnen nach Kräften erschweren, eine ihnen gesetzlich zustehende Leistung in Anspruch zu nehmen. Plötzlich geht es vor allem wieder »um ungeborenes menschliches Leben«, wie es ausgerechnet der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn formuliert. Kein Zufall, dass er sich mit seiner Wortwahl im Fundus christlich-fundamentalistischer »Lebensschützer« bedient, die auch schon mal Plastik-Embryonen verteilen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Und nur konsequent, wenn man ihm die innigen Sympathien für das christlich-traditionelle Frauenbild aus Steuergeldern finanziert: Für eine Studie zu den seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen bewilligte ihm das Bundeskabinett fünf Millionen Euro zusätzliche Haushaltmittel. In schöner biblischer Tradition hält der Bundesgesundheitsminister Frauen offenbar für geistig und psychisch so unterentwickelt, dass man ihnen noch erklären muss, dass eine Abtreibung kein Ponyhof ist. Und zweitens findet er anscheinend, dass Männer mit unbeabsichtigtem Nachwuchs eigentlich nichts zu schaffen haben. Damit arbeitet er mit an Umständen, die Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer, so beschreibt: »Wir haben großes Verständnis für jeden Arzt, der unter den derzeit herrschenden Bedingungen keine Schwangerschaftsabbrüche vornehmen möchte.«9
Als Frau dagegen hat man vor allem großes Verständnis zu haben für die irische Stand-up-Komikerin Gráinne Maguire, die auf Twitter Frauen in Irland dazu aufrief, den Stand ihres Menstruationszyklus an den irischen Premierminister Enda Kenny zu tweeten. Als Reaktion auf Irlands strikte Abtreibungsgesetze – auch Folge jahrhundertelanger Vormachtstellung der katholischen Kirche. Wenn der Staat sich so sehr für ihre Reproduktionsorgane interessiere, so die zwingende Logik, dann sollte er auch vollständig Bescheid wissen. Tweets wie »Hi Enda Kenny! Heute keine Periode. Nur normaler vaginaler Ausfluss, aber nichts Besorgniserregendes, denke ich«, zeigten durchaus Erfolg. Im letzten Jahr wurde das Abtreibungsgesetz per Referendum gelockert. Leider eine Ausnahme. Denn die sehr gut vernetzten Aktivisten der »Pro-Life-Bewegung«, unterstützt etwa von Evangelikalen und der katholischen Kirche, sorgen weltweit gerade für ein Rollback. In Polen soll das Abtreibungsverbot sogar noch verschärft werden, und in Argentinien wurde eine Liberalisierung des Abtreibungsrechtes gerade ausgebremst. Religionen haben sich schon immer vor allem in das Leben von Frauen eingemischt – in einem manchmal kaum erträglichem Umfang. Dass sie es immer noch und wieder tun, und zwar ungehemmt und ungebremst, verdankt sich auch einer Haltung, wie sie Laura Fritzsche in ihrem prämierten Zeitungsbeitrag »Auf Tuchfühlung«10 favorisiert. Sie fragt: »Bilden Frau und Mann, Weiße, Schwarze, Christen, Muslime und Behinderte in der Summe überhaupt erst dieses Land ab?« Und: »Wahrt es nicht gerade durch Pluralität seine Neutralität?« Nein, Frauendiskriminierung ist nicht bloß einfach eine weitere lustig-bunte Farbe im menschlichen Regenbogen. Schon weil eben nicht all diese Gruppen gleichermaßen Einfluss darauf nehmen, was in diesem Land geschieht und was Vorrang hat: Das Recht der Frauen, als gleichwertig behandelt zu werden, oder der Glaube, dass Gott oder Mohammed oder Buddha das nicht gewollt haben?!
Bleibt am Ende nur die Frage, weshalb eigentlich so viele Frauen Letzterem den Vorrang geben. Ohne Frauen keine Kirchen. Denn sie stellen immer noch das Fundament der Religionen, das Salz der Kirchen. Die Mehrheit der Gläubigen. Handelt es sich vielleicht um eine Art metaphysisches Stockholm-Syndrom? Ist das die legendäre »Identifikation mit dem Aggressor«? Eines der biblischen Wunder – ähnlich dem brennenden Busch? Viele hoffen offenbar, es gäbe da noch einigen Interpretationsspielraum in den »heiligen« Texten. Dass die Abwertung der Frau und die oft nicht mal klammheimliche Legitimation von Gewalt und Unterdrückung irgendwie gar nicht so, sondern vielmehr ganz anders gemeint sei. Auf einem Missverständnis beruhe, das sich aufklären wird. Dass sie einen tieferen Sinn enthält, eine naturgemäße Ordnung schafft, die gut ist, weil sie jedem seinen Platz zuteilt und eine Aufgabe. Daran kann man sich natürlich abarbeiten, muss man aber nicht. Denn Religion ist hierzulande immer noch Privatvergnügen. Auch wenn immer wieder versucht wird, die »Fifty Shades of Gott« zu behandeln, als wäre der BDMS-Vertrag eine Abo-Falle, die alle Frauen haftbar macht für das, was zunehmend weniger unterschreiben, und ihnen dann noch erklärt, dass genau das nur zu ihrem Besten wäre.
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