Kitabı oku: «Im Nebel auf dem Wasser gehen»
Adrian Plass
Im Nebel auf dem Wasser gehen
Aus dem Englischen
von Christian Rendel
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 978-3-86506-729-6
© 2005 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers
First published under the title „Jesus Tender, Safe and Extreme”
in Great Britain
Copyright © 2005 by Adrian Plass
Einbandgestaltung: Georg Design, Münster
Titelfoto: Getty Images/Image Bank
Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015
WIDMUNG
Dieses Buch ist der Mutter meiner Frau, Kathleen Rosa Ormerod, gewidmet. Ihr Leben war ein Geschenk für andere. Alles, was sie dafür haben wollte, waren ein paar Blumen und die Liebe ihrer Familie und ihrer Freunde.
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Widmung
Einleitung
Teil I: JESUS SICHER
Gedanken und Reflexionen über den sicheren Jesus
Kapitel 1: Sicher in der Liebe Jesu, sicher im Leib Christi
Kapitel 2: Freiheit, Sicherheit und der Wert der Wahrheit
Kapitel 3: Die Wahrheit sagen, Teil zwei
Meine Begegnungen mit dem sicheren Jesus
Schlaflähmung
Ein Zwanzig-Pfund-Schein
Reisesegen
Zurück ins Gleichgewicht
Hinter den leeren Blicken
Zuhause oder Festung?
Teil II: JESUS ZÄRTLICH
Gedanken und Reflexionen über den zärtlichen Jesus
Kapitel 4: Die Welt auf den Kopf stellen
Kapitel 5: Barmherzigkeit – Gottes Standardeinstellung
Meine Begegnungen mit dem zärtlichen Jesus
Ein anderer Ort
Was hältst du von dem, was ich mache?
Jesus in Tränen
Der dunkle Ort in der Tiefe
Geschlossene Wunden
Teil III: JESUS EXTREM
Gedanken und Reflexionen über den extremen Jesus
Kapitel 6: Mit Jesus an den äußersten Grenzen?
Kapitel 7: Auf festen Boden fallen
Kapitel 8: Mit Jesus ins Getümmel
Meine Begegnungen mit dem extremen Jesus
Angemessene Schritte
Was rede ich da?
Verpasste Gelegenheit
Empfangsstörungen
Den Schaden bezahlen
Strom der Herrlichkeit
Epilog: Offenbarung
Gebete für unterwegs
Einleitung
Es war ein seltsames, intensives Erlebnis, dieses Buch zu schreiben. Mit den Worten eines Gärtners ausgedrückt, war meine Absicht, einen ordentlichen kleinen Busch mit einigen sittsam verteilten Blüten und einem allgemeinen Erscheinungsbild würdevoller Symmetrie anzupflanzen. Doch das ging von Anfang an daneben. Die Wurzeln dieses Projekts gruben sich tiefer in die dunkle Erde, als ich je erwartet hatte, während Blätter, Zweige und Ranken unbezähmbar und wild in alle Richtungen wucherten und nach Licht suchten.
Das Licht ist Jesus. So viel zumindest war mir in jeder Phase des Schreibens klar. Ich wollte der Tatsache nachspüren, dass er letzte Sicherheit, Zärtlichkeit und eine unbändige Abenteuerlichkeit in mein Leben hineingebracht hat. Das habe ich, glaube ich, auch getan, und wie jeder gute Forscher bestätigen kann, ist der beste Ausgang jeder Expedition der, dass man nach Hause kommt. Wir fangen bei Jesus an, und wenn wir den richtigen Weg eingeschlagen haben, werden wir gewiss auch bei ihm enden.
Ein Memoire ist dies sicherlich nicht. Wie Sie wissen, sind zeugnishafte Taschenbücher abgeschlossene Geschichten, meist den Lesern zuliebe so ordentlich und zusammenhängend wie möglich erzählt. Sie haben ihre Daseinsberechtigung, aber sie treffen nicht das Bedürfnis gewöhnlicher, beladener Christen, zu verstehen, dass sie Anteil an der Herrlichkeit des Wirkens Gottes in dieser Welt haben können, auch wenn ihr Glaube und ihre Gefühle unsortiert und unbeständig sind und es wohl auch bis zum Grabe bleiben werden. Nachdem ich kürzlich einige Wochen lang von zu Hause weg war, musste ich mich hinsetzen und fast zweihundert E-Mails aus allen Teilen der Welt beantworten. Die überwiegende Mehrzahl dieser Nachrichten kam von Leuten, die es schaffen, weiterzumachen, zu Christus zurückzukehren, zum ersten Mal zu Christus zu kommen oder einfach nur ein bisschen Licht am Ende des Tunnels zu sehen, weil Gott durch Berichte über persönliche Verwundbarkeit zu ihnen gesprochen hat. Das ist genau das, was ich mache. Das scheint mein Job zu sein. Ich bin kein Lehrer im orthodoxen Sinne. Ich bin kein Theologe. Ich bin kein Prediger. Ich könnte nicht predigen, wenn mein Leben davon abhinge. Ich darf lediglich ein Mann mit einem Besen sein, der den Unrat wegkehrt, der andere daran hindert, weiter hinein und weiter hinauf zu gehen, und meistens tue ich das, indem ich darüber rede, was Jesus in meinem Leben tut und nicht tut. Er ist sicher, er ist zärtlich und er ist extrem. Von solchen Dingen ist dieses Buch durchtränkt.
Ein einzigartiges Problem bei der Zusammenstellung dieses Buches, wenn es denn wirklich ein Problem war, ergab sich aus unserer unmittelbaren familiären Situation. Kurz bevor ich mit dem Schreiben beginnen wollte, wurde die Mutter meiner Frau mit der Diagnose einer aggressiven, unheilbaren Krebserkrankung aus dem Krankenhaus nach Hause gebracht. Jeden Tag, wenn ich mich zum Arbeiten hinsetzte, hatte das Bewusstsein, dass sie sich in unserem umfunktionierten Esszimmer befand und litt, eine tiefgreifende Wirkung auf meine Gedanken und Gefühle. Alles in mir und besonders in meinem Glauben wurde gleichsam ausgegraben und bloßgelegt durch die unmittelbare Gegenwart eines Menschen, der bald herausfinden würde, was genau eigentlich hinter all diesen geistlichen Begriffen steckt, die uns so leicht über die Lippen gehen. Das machte mich entschlossen, bei allem, was ich sagte, Himmel und Erde unauflöslich zusammenzuhalten. Es gab mir den Willen, ohne Umschweife die schonungslose Wahrheit zu sagen. Eine Menge Wahrheit. Wahrheit über all die guten, schlechten, wunderbaren, blöden, furchtbaren, verwirrenden, enttäuschenden, herzerwärmenden Dinge, die passieren, wenn gewöhnliche Christen wie Sie und ich uns ernsthaft vornehmen, Jesus in der realen Welt nachzufolgen. Jedenfalls hatte ich kein Interesse daran, eine jener unerbittlich positiven Abhandlungen zu schreiben, in denen das Leben so, wie es wirklich gelebt wird, überhaupt nicht vorkommt. Das Ergebnis ist vielleicht weniger klar gegliedert, als ich es geplant hatte, aber dafür hoffentlich viel authentischer. Jesus ist nicht sicher am Montag, zärtlich am Dienstag und extrem am Mittwoch. Was täten wir auch sonst während der übrigen Woche?
Es gibt eine Menge Geschichten auf diesen Seiten. Nach meiner Erfahrung lernen die Leute aus Geschichten über das, was tatsächlich passiert, viel mehr über dieses merkwürdige Unternehmen namens „Jesus nachfolgen”, als sie je aus der Theorie lernen könnten. Damit versuche ich, wenn auch unzulänglich, dem Beispiel Jesu zu folgen. Die Berichte aus meinem eigenen Leben mit ihm, die ich hier aufgezeichnet habe, handeln nicht nur von dem, was mir passiert, sondern von dem, was uns passiert. Mal machen wir Dinge falsch, mal richtig. Mal lernen wir schnell, mal sehr langsam. Mal schöpfen wir großen Mut, mal versinken wir in dem tiefsten Sumpf, den es geben kann. Mal scheint Gott weit weg, mal scheint er mit seiner ganzen Herrlichkeit anwesend zu sein. Mal löst der Nebel sich auf, mal bildet er sich. Mal glauben wir von ganzem Herzen, mal zweifeln wir an allem. Mal bringt er uns zum Lachen, mal zum Weinen. Mal fordert er uns zu unserem Schrecken auf, Leute in der Schlange im Supermarkt anzusprechen, mal weist er uns zu unserer Enttäuschung an, in einem Dorfcaf den Mund zu halten. Mal spendiert er uns kleine Belohnungen, mal weist er uns streng zurecht. In den schlimmsten Momenten flüstert er uns liebevolle Worte zu. Das sind nur einige der Dinge, die das Herzblut des Lebens mit Jesus ausmachen. Ich wünsche mir, dass meine Leser beruhigt und getröstet, herausgefordert und aufgeschreckt, belehrt und aufgewühlt, überführt und belustigt und aufgeregt werden durch die breite, handfeste Wirklichkeit dessen, was Christen passiert, die mit ihrem Meister zu leben versuchen – nicht durch das, was ihnen angeblich passieren soll.
Die längeren Abschnitte dieses Buches verbinden Erfahrungen und Gedanken über jene christlichen Themen, die mir heute, an der Schwelle meines zwanzigsten Jahres als einer, der über Jesus redet und schreibt, immer wichtiger erscheinen. In gewissem Sinne verschwende ich wahrscheinlich meine Zeit, denn ich bin wie einer, der durch ein Labyrinth läuft und immer wieder zu dessen Mittelpunkt zurückkehrt. Jeder Weg, den ich je in meinem Denken und Schreiben eingeschlagen habe, scheint mich zurück zu einem Ort zu führen, an dem ich daran erinnert werde, dass die totale Hingabe an Jesus der einzige Weg ist, um wahrhaft sicher und wirklich brauchbar zu sein. Habe ich das geschafft? Nein, habe ich nicht, aber ich möchte gern, und ich versuche es weiter.
Am Ende jedes Abschnitts finden Sie verbale Schnappschüsse von Meilensteinen und Ereignissen aus meinem Leben mit Jesus. Sie sind im Präsens geschrieben und berichten von Dingen, die wirklich passiert sind. Sie sind wahr. Manche stammen aus der Vergangenheit, während andere, wie Sie sehen werden, passierten, während ich mitten in der Arbeit an diesem Buch steckte. Unter diesen Schnappschüssen werden Sie vom Jubel bis zur Verzweiflung, vom inneren Frieden bis zur Panik, vom Gehorsam bis zur Rebellion, vom Humor bis zur Tragik alles finden. Bitte begleiten Sie mich durch diese Momente und denken Sie dabei an die Geschichte Ihrer eigenen Reise mit dem Sohn Gottes. Wir sitzen alle im selben Boot, und ich weiß, dass manchmal ziemlich heftige Stürme aufkommen, aber das ist in Ordnung so. Der, der die Macht hat, die Stürme zu beruhigen, ist immer noch bei uns und wird es immer sein.
Am Ende des Buches habe ich einen Abschnitt mit Gebeten angefügt. Sprechen Sie sie mit mir, wenn Sie meinen, dass sie Ihnen auf Ihrem Weg weiterhelfen können.
Sicher, zärtlich und extrem. Das sind die Aspekte an Jesus, die mir schon immer lieb waren. Ich hoffe und bete, dass Sie diese Eigenschaften an ihm entdecken, während Sie sich Ihren Weg durch das verworrene Gestrüpp bahnen, das ich Ihnen hier zumute. Gott segne Sie, alle, die Sie lieben, und natürlich jeden Einzelnen Ihrer Feinde.
Teil I
Gedanken und Reflexionen über den sicheren Jesus
Kapitel 1
Sicher in der Liebe Jesu, sicher im Leib Christi
In diesem Moment, während ich schreibe, liegt im Zimmer am Ende des Flurs gegenüber von meinem Arbeitszimmer jemand im Sterben.
Kathleen Rosa Ormerod ist die Mutter meiner Frau und meine gute Freundin. Sie ist achtundachtzig Jahre alt und leidet unheilbar an Krebs. Vor drei Wochen, eine Woche vor Weihnachten, haben wir entschieden, Kathleen aus dem Krankenhaus zu holen, damit sie ihre letzten Tage, Wochen oder Monate bei uns zu Hause verbringt. Sie ist ans Bett gefesselt – und was für ein Bett! Eines von diesen elektrisch gesteuerten Spezialbetten, denen man sogar zutrauen würde, einen Purzelbaum rückwärts zu schlagen, wenn man nur in der richtigen Reihenfolge auf die unzähligen Knöpfe drückt. Dieses Superbett steht in dem Zimmer, das bisher als unser Esszimmer fungierte.
Wir möchten gerne, dass sie dort einen Platz zum Wohnen hat, nicht nur das Äquivalent eines Krankenhauszimmers. Zum Glück ist das Zimmer hervorragend dafür geeignet -hell, gemütlich und abgeschlossen, erweckt es dennoch den Eindruck, mit dem Rest der Welt verbunden zu sein. Für diese Wirkung sind die Fenster und die Glastüren verantwortlich. Es gibt drei Fenster, zwei große, die auf den Bereich an der Vorderseite des Hauses hinausblicken, und ein kleineres mit Blick nach hinten in den Garten. Dazu gibt es zwei Türen mit Glaseinsatz, eine direkt vor ihr, die ihr den Blick in den Flur und auf die Treppe ermöglicht, und die andere schräg rechts von ihr mit Blick in die Küche, wo sich bei uns zu Hause schon immer alles wirklich Wichtige abgespielt hat – Reden, Essen, Zusammensitzen, all diese wesentlichen Dinge. Somit steckt sie genau in der Mitte unserer Familienaktivitäten. Sie kann sehen, wie die Leute kommen und gehen, von einem Zimmer ins andere wandern, in der Küche arbeiten und die Treppe hinauf- und hinuntersteigen. Ihr Zimmer ist ein Meer von Blumen, geschickt oder abgegeben von Freunden und Verwandten, die wissen, wie sehr Bridgets Mutter schon immer alles geliebt hat, was wächst. So stoisch sie alles nimmt, eine Sache, die Kathleen sehr traurig macht, ist, dass sie dieses Frühjahr nicht die Blumen im Garten ihres eigenen Hauses wachsen sehen kann. Was für ein trauriges Gefühl muss es sein, zu wissen, dass man wahrscheinlich seinen letzten Frühling erlebt hat.
Allerdings ist es noch nicht der schlimmste Winkel, in den das Leben einen verschlagen kann, wenn man keine Wahl hat, als zu sterben, und sein Bett nicht verlassen kann. Das ist die Ansicht, die Kathleen immer wieder äußert, und ich stimme ihr zu. Sie verdient diesen Trost und diese Rücksicht. Sie ist eine Schafferin der alten Schule, ein Mensch, der sich sein Leben lang für andere eingesetzt hat. Als hart arbeitende, beständig gehorsame Dienerin des Herrn seit mehr als acht Jahrzehnten hat sie jede Annehmlichkeit und Hilfe verdient, die man ihr geben kann.
Freilich zahlen wir alle einen Preis. Für Kathleen ist es das frustrierende Gefühl, in dieser letzten Phase ihres Lebens ständig auf andere angewiesen zu sein. An dem Tag, als sie nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus bei uns eintraf, sagte sie, sie wolle mich etwas fragen.
„Adrian”, sagte sie, „ich möchte, dass du mir die absolute Wahrheit sagst. Wird mein Hiersein eure Familienfeier stören oder eurem Alltag in die Quere kommen? Sei ehrlich zu mir.”
„Meine Güte, nein”, erwiderte ich. „Wir haben es immer gern, wenn zur Weihnachtszeit jemand in einem Krankenhausbett in unserem Esszimmer schläft. Alles andere würde uns geradezu merkwürdig vorkommen.”
Kathleen lachte herzhaft darüber, aber es war zugleich ein Schritt auf dem Weg dahin, sich mit der Tatsache abzufinden, dass die Unabhängigkeit, die ihr so viel bedeutet, jetzt nicht mehr möglich ist. Es ist nicht ihre Art, etwas zu nehmen, ohne etwas dafür zu geben. Doch jetzt hat sie keine andere Wahl.
Für meine Frau sind manche Dinge sehr schmerzlich zu sehen. Erst vor einigen Monaten saß Bridget am Bett ihres demenzkranken Vaters, als er starb, und seither ist ihr kaum Zeit oder Raum geblieben, um über seinen Tod zu trauern. Kathleen war noch nie besonders stämmig, doch jetzt ist sie sehr dünn – entsetzlich, beängstigend dünn. Uns beiden fällt es sehr schwer, ihren ausgestreckten, fleischlosen Arm anzuschauen, zu sehen, wie die Haut an jenen brüchigen Knochen herabgleitet, wie Seide über eine Vorhangstange aus poliertem Holz. Daran ist der Krebs schuld. Auch wenn sie mehr essen würde, würde das nichts ändern. Wie ein gieriges, pilzartiges Monster frisst der hungrige Killer in ihr alles Gute und Nahrhafte auf, was ihrem Körper zugeführt wird, nährt sich davon und wird mit jedem Tag größer und breitet sich blindlings in alle Richtungen aus. Es ist seltsam für uns, sie anzusehen, so zierlich, so zerbrechlich und unanstößig, und zu wissen, dass dieses hässliche Ding sie Zoll um Zoll umbringt.
Am Ende des Tages schläft sie, unterstützt von Medikamenten, wie eine Tote, die Haut weiß wie Porzellan, der Unterkiefer auf die Brust gesunken, der Kopf zur Seite geneigt. Als wir kürzlich unsere Eindrücke austauschten, entdeckten wir, dass wir uns beide angewöhnt haben, nachdem sie abends das Licht ausgemacht hat, ängstlich durch die Glastür zwischen ihrem Zimmer und dem Flur zu spähen und sie mit weit aufgerissenen Augen eingehend zu beobachten, in der Hoffnung, an dem Auf und Ab der ausgemergelten Brust unter dem Nachthemd zu sehen, dass sie noch bei uns ist. So schwer es ist, das zuzugeben, es gibt auch Momente, besonders, wenn sie einen niederschmetternd schweren, unangenehmen Tag hinter sich hat, wo wir halb hoffen, ihr flaches Atmen würde aufhören. Dann fragen wir uns, ob Gott ihr vielleicht erlaubt, sich leise davonzustehlen zu ihrem geliebten George, der schon an einem Ort ist, wo es für ihn keine panische Verwirrung mehr und für sie keine Nachtstühle und Katheter und wund gelegenen Stellen und all die anderen Arten persönlicher Demütigung mehr gibt, die wohlerzogenen und gesitteten Menschen so zuwider sind.
Nachts nehmen wir Kathleens Atmung mit ins Bett. Bridget hat ein Babyphon gekauft, damit ihre Mutter nachts nach ihr rufen kann, wenn sie dringend Hilfe braucht. Der Sender steht unten neben Kathleen und der Empfänger oben in unserem Schlafzimmer. Mir kam das anfangs sehr seltsam vor und richtig gewöhnen werde ich mich wohl nie daran. Es ist, als wäre die Seele eines anderen Menschen in der kleinen Vorrichtung aus weißem Plastik mit dem roten Lämpchen gefangen, die auf einem Regal in der Ecke unseres Schlafzimmers steht. Jetzt sind jeden Abend, wenn ich meine Nachttischlampe ausgeschaltet habe, enervierenderweise zweierlei menschliche Geräusche neben meinen eigenen zu hören, und dazu das nicht ganz taktgleiche Ticken zweier Uhren, von denen eine an unserer Wand hängt und die andere auf dem kleinen Tischchen neben der schlafenden Kathleen steht. Das Ticken ihres kleinen, quadratischen Weckers läuft weiter wie das Schlagen eines gesunden Herzens, doch es gibt Momente, in denen Kathleens Atemgeräusche ganz aufzuhören scheinen. Wenn das passiert, setzt sich Bridget manchmal im Bett kerzengerade auf und lauscht angespannt auf das kleinste Anzeichen eines Atemzuges. Mehr als einmal hat sie mich gebeten, nach unten zu gehen und durch die Glastür zu schauen, um zu sehen, ob ihre Mutter noch lebt. Die Nächte sind zurzeit alles andere als einfach. Liebe und Tod und Furcht höhlen die Seele aus und produzieren seltsame, verworrene Träume und Stunden unruhigen Wachliegens.
Wenn Angehörige von weiter her angereist kommen, um Kathleen zu besuchen, beobachte ich eine tiefe Traurigkeit bei ihr, nachdem sie sich wieder verabschiedet haben. Wie sie sagt, ist ihr jedes Mal bewusst, dass dies vielleicht das letzte Mal ist, dass sie den Besucher in dieser Welt sieht. Manchmal weint sie ein wenig, besonders über ihre nachlassenden Kräfte, ihr allgemeines Gefühl, nichts Nützliches oder Praktisches mehr zu der Welt um sie her beitragen zu können. Natürlich versuchen wir ihr das auszureden, aber sie ist ja nicht dumm. Genau dasselbe würde sie auch zu uns sagen, wenn wir in ihrer Situation wären.
All das ist zutiefst beunruhigend. Bridget weint viel. Mir liegt das nicht, das heißt, wenn ich weine, tue ich es meist allein, aber ich bin angefüllt mit Gefühlen. Wir brauchen einander sehr im Moment. Zwei Dinge sind es vor allem, die uns als Ehepaar helfen. Das eine ist die Tatsache, dass wir – Gott sei Dank – sehr gute Freunde sind, seit wir vor dreiunddreißig Jahren geheiratet haben. Das andere ist, dass wir immer den Wunsch hatten, dass Jesus im Mittelpunkt unseres Alltags steht. Ich glaube, die meiste Zeit war er auch da, obwohl ich der Aufrichtigkeit halber zugeben muss, dass er an manchen Punkten unseres Lebens vielleicht seinen Platz räumen musste. Wem mache ich etwas vor? Ich weiß genau, dass es so war. Aber das macht nichts. Gott ist mindestens so vergebungsbereit, wie es meine eigene Mutter war, und sie war ein Mensch, der mit diesem kostbaren Gut um sich warf, als stünde ihr ein unerschöpflicher Vorrat davon zur Verfügung.
Heute sind wir froh, dass die beiden erwähnten Dinge zutreffen. Es ist eine schwierige Zeit. Wir müssen uns umeinander kümmern. Das gelingt uns nicht allzu schlecht. Ein paar Mal, wenn die Anspannung unerträglich wurde, haben wir dumme, sinnlose kleine Streitereien miteinander angefangen und uns wegen nichts und wieder nichts gegenseitig angegiftet. Aber sie dauern nicht lange. Wir sind wie Kinder. Gott ist unser Vater. Mit uns wird alles gut werden.
Da stehen wir also. Oder besser, da sitze ich vor meinem Computer und versuche, ein Buch über die Nachfolge Jesu zu schreiben, während im Zimmer am anderen Ende des Flurs jemand im Sterben liegt. Die Anwesenheit von Bridgets Mutter und ihr bevorstehender Aufbruch zu dem Ort, wo, wie wir hoffen, alle Fragen beantwortet und alle Probleme gelöst werden, hat eine Wirkung auf alles, was ich denke und schreibe, die ich nur als zutiefst „lektorierend“ bezeichnen kann.
Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?
Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.
Diese aufrüttelnden Worte aus dem elften Kapitel des Johannesevangeliums müssen einfach wahr sein, oder? Um Kathleens willen, meine ich. Wenn man sicher weiß, dass seine Tage auf dieser Erde gezählt sind, dann muss es einfach irgendeine positive Aussicht geben, um einen über das unvermeidliche letzte Hindernis des Sterbens hinwegzuheben und zu ziehen. Neulich habe ich sie danach gefragt.
„Machst du dir Sorgen wegen des Sterbens?”
Sie antwortete ohne jedes merkliche Zögern.
„Oh nein, um das Totsein mache ich mir überhaupt keine Gedanken. Ich weiß, was ich glaube. Mir geht es gut, ich bin gut versorgt und habe im Moment keine Schmerzen.“ Dann hielt sie einen Moment lang inne und fuhr dann mit leiserer Stimme fort: „Aber es gefällt mir gar nicht, euch alle zurückzulassen.”
Ich hoffe, wenn meine Zeit kommt, werde ich mir meines Glaubens so sicher sein, wie Kathleen es zu sein scheint. Sie fühlt sich völlig sicher in ihrem Glauben. Kein Wunder, dass Jesus sagte, dass wir werden müssen wie die Kinder. Manche Dinge lassen sich viel müheloser glauben, wenn man noch klein ist. Als zum Beispiel die Mutter meiner Mutter starb, war ich am Boden zerstört. Ich vermisste sie schrecklich, aber als meine Mama mir sagte, Oma sei jetzt im Himmel und eines Tages würde ich sie wiedersehen, da war ich zutiefst getröstet und vertraute fest darauf, dass es so war. Habe ich immer noch dieses feste Vertrauen, auf dieselbe naiv optimistische Weise? Nein. Ja. Manchmal. Absolut, ohne jede Frage. Nicht im Mindesten. Nur donnerstags.
Ich arbeite daran, Kind zu sein, wie Jesus es möchte, und er hilft mir dabei. Ich hebe meine Arme zu meinem Vater im Himmel hinauf und bitte ihn, seine Arme um mich zu legen, so wie ich bin, nicht so, wie ich eigentlich sein sollte. Was bleibt mir anderes übrig?
Ein heiliges Geheimnis
Wie gesagt, dieses Buch soll von Jesus handeln, und ich habe mich gefragt, wo er denn ist in alledem, was mit meiner Schwiegermutter passiert, und was wir aus dieser Situation über ihn lernen können. Ein paar der Antworten, die ich gefunden habe, finde ich interessant und ermutigend.
Eine davon hat damit zu tun, wie Christen umgehen mit dem Gedanken des Todes und des Abschieds von den Menschen, die sie lieben. Obwohl sie fest an ein Leben nach dem Tod bei Gott glaubt, ist Kathleen die Aussicht zuwider, uns alle zurückzulassen, und sie würde sich bestimmt nicht für den Tod entscheiden, wenn ihr die Möglichkeit geboten würde, ihre Gesundheit zurückzubekommen und noch ein paar Jahre zu bleiben. Aber gibt es nicht in den Evangelien reichlich Hinweise darauf, dass es bei Jesus genauso war? Armer Jesus. Wahrer Mensch und wahrer Gott. Mehr als einmal war er genau aus diesem Grund angefüllt mit Schmerz.
Als Jesus auf das Ende seines Wirkens auf der Erde zuging, weinte er und war tief betrübt, wie wir wissen. Wen überrascht das? Der Schatten des bevorstehenden Auseinanderbrechens von Erde und Himmel verfinsterte sein Herz. Er weinte, weil ihn all die Liebe in ihm in verschiedene Richtungen zerrte und ihn bald in Stücken über das ganze Universum verteilen würde. Schauen Sie sich den folgenden Abschnitt aus dem Johannesevangelium an:
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten zum ewigen Leben. Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.
Jetzt ist meine Seele betrübt. Und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde? Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen! Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn verherrlicht und will ihn abermals verherrlichen.
Hier, in diesen beiden Absätzen, können wir Göttlichkeit und Menschlichkeit zugleich im Geist Jesu sehen, das eine hart auf den Fersen des anderen. Die Aussage und die Anstrengung, die Predigt und die Pein, die Kraft und das Kreuz. Die Theorie ist richtig, die Theologie unanfechtbar, die Absicht rein, und dennoch schreit das ganz und gar menschliche Herz Jesu wie ein Kind angesichts des Unfassbaren, das vor ihm liegt. Manchmal sage ich mir diese Worte in Gedanken vor, so wie Sie oder ich sie vielleicht sagen würden.
„Das ist zu viel! Ich kann das nicht ertragen. Oh, Vater, ich könnte dich bitten, mich zu retten. Ich könnte dich anflehen, doch diese schreckliche, grausige Aussicht von mir zu nehmen, und du würdest es sogar tun, weil du mich liebst, aber was wäre der Sinn? Dazu bin ich ja gekommen. Das ist der Grund, warum ich hier lebe. Für dich. Okay, es geht schon wieder. Verherrliche deinen Namen.”
Und hier ist Matthäus' Schilderung von Jesus im Garten Gethsemane. Versuchen Sie einmal, so zu tun, als hätten Sie sie noch nie gelesen. Es wird Ihnen nicht gelingen, aber tun Sie Ihr Bestes.
Da kam Jesus mit ihnen zu einem Garten, der hieß Gethsemane, und sprach zu den Jüngern: Setzt euch hier, solange ich dorthin gehe und bete.
Und er nahm mit sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus und fing an zu trauern und zu zagen.
Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wacht mit mir! Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!
Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Könnt ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.
Zum zweiten Mal ging er wieder hin, betete und sprach: Mein Vater, ist's nicht möglich, dass dieser Kelch an mir vorübergehe, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille!
Und er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voller Schlaf. Und er ließ sie und ging abermals hin und betete zum dritten Mal und redete dieselben Worte.
Dann kam er zu seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr weiter schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist da, dass der Menschensohn in die Hände der Sünder überantwortet wird. Steht auf, lasst uns gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät.
Lukas fügt in einigen Versen, die in manchen alten Manuskripten ausgelassen werden, hinzu, als Jesus in dem Garten gebetet habe, sei „sein Schweiß wie Blut zur Erde“ getropft.
Ein herkulischer Kampf.
Folgende Frage stellt sich mir: Als Jesus sagte, der Geist sei willig, aber das Fleisch sei schwach, von wem, denken Sie, sprach er da? Ich verbringe mein Leben damit, hinter Dinge zu kommen, die andere schon längst wissen, sodass mir eben erst in den Sinn kam, dass Jesus hier ebenso oder sogar noch mehr von sich selbst spricht als von den armen, müden Jüngern, die ja nicht die leiseste Ahnung haben konnten, was da vor sich ging oder was bald geschehen würde. Jesus war ohne Sünde, aber nicht ohne Versuchung. Er hatte wirklich keine Lust, das nächste Stadium seiner Aufgabe auf sich zu nehmen, oder? Wer könnte es ihm verdenken?
Wie für Bridgets Mutter war auch für Jesus die Aussicht, die Menschen, die er liebte, verlassen zu müssen, unaussprechlich traurig, aber natürlich steckte noch unermesslich viel mehr dahinter. Es liegt ein heiliges Geheimnis in dem Leiden, das Jesus bald durchmachen würde. Das Kreuz war ein entsetzliches Folterinstrument, aber in körperlicher Hinsicht haben andere vor und nach ihm ebenso oder sogar noch beträchtlich mehr gelitten. Nein, da war ein Element oder eine Art von Schmerz in der Kreuzigung Jesus, die ich nicht einmal im Entferntesten zu begreifen imstande bin. Wir wissen, dass er die Qual durchlebte, von seinem Vater verlassen zu sein, und dass das vielleicht der finsterste, bitterste Moment von allen war. Ist es möglich, dass in diesem unvorstellbar grauenhaften Augenblick sein schlimmster Albtraum Wirklichkeit zu werden schien?