Kitabı oku: «Die Familiensaga der Pfäfflings», sayfa 6

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»Herr Pfäffling ruft immer ›Marianne‹,« sagte sie, »welche von Ihnen heißt so?«

»So heißen wir bloß miteinander,« antworteten sie, »wir können es eigentlich nicht leiden, jede möchte lieber ihren eigenen Namen, Marie und Anne, aber so ist's eben bei uns.«

Das fand nun Fräulein Vernagelding so komisch, dass ihr etwas albernes Lachen über den ganzen Gang tönte. Sie hatte inzwischen abgelegt.

»Mutter sagte, Sie möchten nur einstweilen anfangen, Klavier zu spielen,« richtete Marie aus.

»Ach nein,« entgegnete das Fräulein, »ich möchte viel lieber mit Ihnen plaudern. Klavierspielen ist so langweilig. Aber es muss doch sein. Es lautet nicht fein, wenn man gefragt wird: Gnädiges Fräulein spielen Klavier? und man muss antworten: nein. So ungebildet lautet das, meint Mama. Mein voriger Klavierlehrer war so unfreundlich, er sagte immer, ich sei unmusikalisch. Herr Pfäffling ist schon mein vierter Lehrer. Die Herrn wollen immer nur musikalische Schülerinnen, es kann aber doch nicht jedermann musikalisch sein, nicht wahr? Man muss es doch auch den Unmusikalischen lehren, finden Sie nicht?«

»Bei uns ist das anders,« sagte Anne, »wir sind sieben, da wäre es doch zuviel für den Vater, wenn wir alle Musik treiben wollten; er nimmt bloß die, die recht musikalisch sind.«

Die drei Mädchen, an der Türe stehend, fuhren ordentlich zusammen, so plötzlich stand Herr Pfäffling bei ihnen. Im Bewusstsein seiner Verspätung war er mit wenigen großen Sätzen die Treppe heraufgekommen. Fräulein Vernagelding tat einen kleinen Schrei und rief: »Wie haben Sie mich erschreckt, Herr Pfäffling, aber wie fein sehen Sie heute aus, so elegant.« Herr Pfäffling unterbrach sie: »Wir wollen nun keine Zeit mehr verlieren, bitte um Entschuldigung, dass ich Sie warten ließ.«

»O, es war ein so reizendes Viertelstündchen,« hörte man sie noch sagen, ehe sie mit ihrem Lehrer im Musikzimmer verschwand und einen Augenblick nachher wurde G-dur gespielt ohne jegliches Fis, was immer ein sicheres Zeichen war, dass Fräulein Vernagelding am Klavier saß.

»Habt ihr dem Vater nichts angemerkt, ob er befriedigt heimgekommen ist?« wurden Marie und Anne von den Brüdern gefragt. Sie wussten nichts zu sagen, man musste sich noch eine Stunde gedulden. Das fiel Otto am schwersten, und er passte und spannte auf das Ende der Klavierstunde, und im selben Augenblick, wo Fräulein Vernagelding durch die eine Türe das Zimmer verließ, schlüpfte er schon durch den andern Eingang hinein und fragte: »Vater, wird etwas aus den Russenstunden?« Herr Pfäffling lachte vergnügt. »Wo ist die Mutter,« sagte er, »komm, ich erzähle es euch im Wohnzimmer,« und schon unter der Tür rief er: »Cäcilie, Cäcilie,« und seine Frau konnte nicht schnell genug aus der Küche herbeigeholt werden. Sie kannte aber schon seinen Ton und sagte: »Wenn ich kaum meine Tassen abstellen darf, dann muss es auch im Zentralhotel gut ausgefallen sein!«

»Über alles Erwarten,« rief Herr Pfäffling, »eine durch und durch musikalische Familie, die beiden Söhne feine Violinspieler, ich glaube kaum, dass wir einen solchen Schüler in der Musikschule haben, und ihre Mutter spielt Klavier mit einer Gewandtheit, dass es ein Hochgenuss sein wird, mit ihr zusammen vierhändig zu spielen. Aber nun will ich euch erzählen. Im Vorplatz des Zentralhotels hat mich ein junges Herrchen empfangen, den ich nach deiner Beschreibung, Otto, gleich als Rudolf Meier erkannt habe. Der führt mich nun in einen kleinen Salon, spricht mit mir wie ein Herr, das versteht er wirklich, der Schlingel, kein Mensch denkt, dass man einen Schuljungen vor sich hat, der von so einem Knirps, wie du daneben bist, seine Aufgaben abschreibt. Der sagte mir nun, er habe es für besser gehalten, mich als Herr Direktor einzuführen, und ich möchte nur auch meine Honoraransprüche darnach richten, die Familie würde sonst nicht an den Wert meiner Stunden glauben, solchen Leuten gegenüber müsse man hohe Preise machen. Dann geleitete er mich die breite, mit dicken Teppichen belegte Treppe hinauf. Rudolf Meier fühlte sich ganz als mein Führer, klopfte für mich an und stellte mich dem russischen General als Herrn Direktor Pfäffling vor. Eine Weile blieb er noch im Zimmer, als aber niemand von ihm Notiz nahm, empfahl er sich.

»Der General ist schon ein älterer Herr mit grauem Bart und ist nicht mehr im Dienst, aber er hat eine imponierende Haltung und einen durchdringenden Blick. Er stellte mich seiner Frau und seinen zwei jungen Söhnen vor und bot mir einen Platz an. Aber sie waren alle ziemlich zurückhaltend, vielleicht hatten sie nicht viel Vertrauen in die Empfehlung von Rudolf Meier. Sie sprachen nur ganz unbestimmt davon, dass die Söhne später vielleicht einige Violinstunden nehmen sollten, und ich hatte das Gefühl: es wird nichts daraus werden. Die Unterhaltung war auch ein wenig schwierig, sie sprechen nicht geläufig Deutsch, versuchten es mit Französisch, als sie aber mein Französisch hörten, da meinte die Dame, es gehe eher noch Deutsch.

»Mir wurde die Sache ungemütlich, es beengten mich auch die ungewohnten Glacéhandschuhe, dazu musste ich in einem weich gepolsterten, niedrigen Lehnsessel ruhig sitzen und wusste gar nicht, wohin mit meinen langen Beinen, dabei war es mir immer, als müssten sie mir ansehen, dass ich kein Direktor bin. Endlich hielt ich es nimmer aus, sprang auf, worüber allerdings die Dame ein wenig erschrak, zog meine Handschuhe herunter und sagte: ›Ich denke, es ist besser, wir machen ein wenig Musik, dabei lernt man sich viel schneller kennen,‹ und ich fragte die Dame, für welchen deutschen Komponisten sie sich interessiere? Sie schien etwas überrascht, nannte aber gleich Wagner, was mir recht war. Da ging ich ohne weiteres an das Instrument, machte es auf und fragte, aus welcher Oper sie etwas hören wollte? ›Bitte, etwas aus den Nibelungen, Herr Direktor,‹ antwortete sie, da drehte ich mich rasch noch einmal nach ihr um und sagte: ›Nennen Sie mich nur mit meinem Namen Pfäffling; ich wäre allerdings fast Direktor geworden, werde es auch vielleicht einmal, aber zur Zeit habe ich noch kein Recht auf diesen Titel.‹ Dann spielte ich.

»Es war ein prächtiges Instrument; die beiden jungen Herren kamen immer näher heran und hörten mit sichtlichem Interesse zu, ich merkte, dass wir uns verstanden, und bald war alles gewonnen. Sie spielten dann Violine, und die Dame versicherte mich, dass vierhändiges Klavierspiel ihre größte Passion sei und endlich wurde ich aufgefordert, jeden Tag ein bis zwei Stunden zu kommen. Zuletzt fragte der General noch nach dem Preis, der war ihnen auch recht, eine unbescheidene Forderung mochte ich nicht machen; das kann Herr Rudolf Meier tun, wenn er seine Hotelrechnung stellt, aber ich kann das nicht so. Als ich fortging, begleiteten die Herren mich ganz freundlich an die Türe, alle Steifheit war vorbei und die Dame reichte mir noch die Handschuhe, die ich vergessen hatte.

»Hinter einem Pfeiler im Treppenhaus kam Rudolf Meier zum Vorschein. Er hat offenbar die Verhandlungen von außen beobachtet und wird morgen in der Klasse wieder versichern, zum Arbeiten habe er keine Zeit gehabt. Er ist aber, wie mir scheint, nebenbei ein gutmütiger Mensch, schien sich wirklich zu freuen, dass die Sache gut abgelaufen war, und flüsterte mir zu: ›Sie sind von allen drei Herren zur Türe begleitet worden, diese Ehre ist keinem der Professoren zuteil geworden.‹ Ich habe ihm auch gedankt für seine Vermittlung, und wenn ich ihn öfter sehe, werde ich ihm einmal sagen: Sei doch froh, dass du noch ein junger Bursch bist, gib dich wie ein solcher und wolle nicht mehr vorstellen, als du bist! Er macht sich ja nur lächerlich; wer verlangt von ihm das Auftreten eines Geschäftsmannes? Der General hat ihn natürlich längst durchschaut.«

»Ja, ja,« stimmte Frau Pfäffling zu, »er soll von dir lernen, dass man sich sogar klein macht, wenn andere einen zum Direktor erhöht haben.«

»Ja,« sagte Pfäffling vergnügt, »und dass man trotz allem Stunden bekommt. Kinder, kommt mit herüber, jetzt muss noch ein gehöriges Jubellied gesungen werden!«

Während im Haus Pfäffling in fröhlichem Chor gesungen wurde, sagte der General im Zentralhotel zu seiner Familie: »Der Mann ist ein ehrlicher Deutscher.«

Rudolf Meier sagte zu sich selbst: »Der Pfäffling wird mir morgen meinen Aufsatz machen.«

Und Fräulein Vernagelding sprach an diesem Abend zu ihrer Mama: »Die Marianne ist süß, ich möchte ihr etwas schenken.« Da überlegte Frau Privatiere Vernagelding und entschied: »Das beste sind immer Glacéhandschuhe.«

5. Kapitel Schnee am unrechten Platz.

Der Dezember war schon zur Hälfte vorüber, bis endlich, endlich der erste Schnee fiel. Der richtige Schnee, der in feinen, dichten Flöckchen stundenlang gleichmäßig zur Erde fällt und in einem einzigen Tag das ganze Land überzieht mit seiner weichen, weißen Decke; der alles verhüllt, was vorher braun und hässlich war, der alles rundet und glättet, was rau und eckig aussah. Immer ist sie schön, die Schneelandschaft, aber am allerschönsten doch, wenn das lautlose Fallen des Schnees sich verbindet mit dem geheimnisvollen Reiz der deutschen Weihnacht.

Dezember – Schnee – Tannenbaum – Weihnacht, ihr gehört zusammen bei uns in Deutschland. In manchen Ländern hat man versucht, unsere Feier nachzumachen, und wir wollen ihnen auch die Freude gönnen, aber solch eine Sitte muss aus dem Boden gewachsen sein. Wenn man sie künstlich verpflanzt, wird etwas ganz anderes daraus.

Es wurde einmal eine junge Deutsche in die Fremde verschlagen, um die Weihnachtszeit. »Wir kennen auch den Christbaum,« sagten die fremden Kinder zu ihr, »wir bekommen einen.« Die Deutsche freute sich. Aber wie wurde es? Viele Kinder waren eingeladen worden und fuhren an in hellen Kleidern. Sie versammelten sich, und als der Baum hineingetragen wurde, klatschten sie Beifall wie im Theater. Sie nahmen die kleinen Geschenke herunter, die man für sie hinaufgehängt hatte. Dann wurden die Lichter ausgeblasen, damit kein Ästchen anbrenne und der Diener gerufen, dass er sogleich den Baum, der in einem Kübel voll Erde steckte, zurücktrage zu dem Gärtner, von dem er gemietet war. Keine Stunde war der Christbaum im Haus gewesen, keinen Duft hatte er verbreitet.

»Bei uns bleibt der Christbaum bis nach Neujahr,« sagte die junge Deutsche und sah ihm wehmütig nach. Es wurde ihr entgegnet, das sei doch unpraktisch, er nehme ja so viel Platz weg.

Ja, das tut er allerdings, aber welche deutsche Familie gönnt dem Christbaum nicht den Platz?

Im Dunkel des frühen Dezembermorgens waren die jungen Pfäfflinge durch den frischgefallenen Schnee in ihre Schulen gegangen und mit dickbeschneiten Mänteln und Mützen angekommen. Im Schulhof flogen die Schneeballen hin und her, und bis zu der großen Pause um 10 Uhr waren die zahllosen Spuren der Kinderfüße schon wieder von frischem Schnee bedeckt und die größten Schneeballenschlachten konnten ausgeführt werden.

Daheim hatte Elschen sich einen Stuhl ans Fenster gerückt, kniete da und sah vom Eckzimmer aus hinunter nach den Brettern und Balken, die wie ein großer weißer Wall vor dem Kasernenzaun aufgetürmt lagen. Und von diesem Zaun hatte jeder Stecken sein Käppchen, jeder Pfosten seine hohe Mütze auf.

Frau Pfäffling suchte die Kleine. »Elschen, komm, du darfst etwas sehen,« und schnell führte sie das Kind mit sich in das Wohnzimmer und öffnete das Fenster. Eine frische Winterluft strich herein. Am Haus vorbei, nach der Stadt zu, fuhr eine ganze Reihe von Leiterwagen, alle beladen mit Christbäumen.

»Christbäume, Christbäume,« jubelte Elschen so laut, dass einer der Fuhrleute, der selbst wie ein Schneemann aussah, herausschaute, und als er das glückselige Kindergesicht bemerkte, rief: »Für dich ist auch einer dabei!« Die Kleine erglühte vor Freude und winkte dem Schneemann nach.

Aber alles auf der Welt ist nur dann schön und gut, wenn es an seinem richtigen Platz ist, das gilt auch von dem Schnee. Eine einzige Hand voll von diesem schönen Dezemberschnee kam an den unrichtigen Platz und richtete dadurch Unheil an.

Das ging so zu: Im Heimweg von der Schule an einer Straßenecke, wo einige Lateinschüler mit Realschülern zusammentrafen, gab es ein hitziges Schneeballengefecht. Wilhelm Pfäffling war auch dabei. Einer der Realschüler hatte ihn und seine Kameraden schon mehrfach getroffen, indem er sich hinter der Straßenecke verbarg, dann rasch hervortrat, seinen Wurf tat und wieder hinter dem Eckhaus verschwand, ehe die anderen ihm heimgeben konnten. Nun aber wollten sie ihn aufs Korn nehmen. Es waren ihm einige tüchtige Schneeballen zugedacht, wurfbereit warteten sie gespannt, bis er sich wieder blicken ließe. Jetzt wurde eine Gestalt sichtbar, die Ballen sausten auf sie zu. Aber es war nicht der Realschüler gewesen, sondern ein gesetzter Herr. Zwei Schneeballen flogen dicht an seinem Kopf vorüber, zwei trafen ihn ganz gleichmäßig auf die rechte und linke Achsel. Und das war nicht der richtige Platz für den Schnee!

Herr Sekretär Floßmann, der so ahnungslos um die Ecke gebogen war und so schlecht empfangen wurde, stand still, warf böse Blicke und kräftige Worte nach den Jungen. Dass sie ihn getroffen hatten, war ja nur aus Ungeschick geschehen, dass nun aber einige laut darüber lachten und dicht an ihm vorbei weiter warfen, das war Frechheit.

Zu den ungeschickten hatte auch Wilhelm gehört, zu den frechen nicht. Nach Pfäfflingscher Art ging er zu dem Herrn, entschuldigte sich und erklärte das Versehen, half auch noch die Spuren des Schnees abschütteln. Der Herr schien die Entschuldigung gelten zu lassen und Wilhelm ging nun seines Wegs nach Hause. Er sah nicht mehr, dass Herr Sekretär Floßmann, als er ein paar Häuser weit gegangen war, einem Schutzmann begegnete, sich bei ihm beschwerte und verlangte, er solle die Burschen aufschreiben und bei der Polizei anzeigen. Das war nun freilich nicht so leicht zu machen, denn alle, die den Schutzmann kommen sahen, liefen auf und davon.

Aber einen von Wilhelms Kameraden fasste er doch noch ab und fragte nach seinem Namen. Der zögerte mit der Antwort und sah sich um, keiner der Kameraden war noch so nahe, um seine Antwort zu hören.

»Also, dein Name,« drängte der Schutzmann. »Wilhelm Pfäffling,« lautete die Antwort, die vom Schutzmann aufgeschrieben wurde.

»Die Wohnung?«

»Frühlingsstraße.«

»Jetzt rate ich dir, heim zu gehen, wenn du nicht lieber gleich mit mir auf die Polizei willst.« Er ließ sich's nicht zweimal sagen. Ein »Wilhelm« war er allerdings auch, aber kein Pfäffling. Baumann war sein Name.

»Das hast du klug gemacht,« sagte er bei sich selbst. »Dem Pfäffling schadet das nichts, der ist überall gut angeschrieben, aber bei mir ist das anders, wenn ich noch eine Rektoratsstrafe bekomme, dann heißt's: fort mit dir. Ich sehe auch gar nicht ein, warum gerade ich aufgeschrieben werden sollte, der Pfäffling hat ebenso gut geworfen wie ich.«

Ahnungslos und mit dem besten Gewissen saß am nächsten Abend unser Wilhelm an seiner lateinischen Aufgabe. Vielleicht war er ein wenig zerstreuter als sonst, denn er hatte sich heute bemüht, seinen Frieder, mit der Harmonika in der Hand, abzuzeichnen, und da war Frieders Gesicht so ausgefallen, dass allen davor graute. Nun musste er unwillkürlich auf seinem Fließblatt Studien machen über des kleinen Bruders gutmütiges Gesichtchen, das sich über die biblische Geschichte beugte, die vor ihm lag. Dazu kam, dass die Mutter und Elschen nicht am Stricken und Flicken saßen, wie sonst, sondern Zwetschgen und Birnenschnitze zurichteten zu dem Schnitzbrot, das alle Jahre vor Weihnachten gebacken wurde. So waren Wilhelms Gedanken heute zwischen Weihnachten und Latein geteilt; er achtete gar nicht darauf, dass Herr Pfäffling eintrat und gerade hinter seinen Stuhl kam.

»Du, Wilhelm, sieh mich einmal an!« sagte er. Der wandte sich, sah überrascht auf und begegnete einem scharfen, durchdringenden Blick. »Was ist's, Vater?« fragte er.

»Das frage ich dich,« sagte Herr Pfäffling, »ein Polizeidiener war da und hat dich vorgeladen, für morgen, auf die Polizei. Was hast du angestellt?«

»Gar nichts,« rief Wilhelm und dann, nach einem Augenblick: »es kann doch nicht sein, weil wir gestern beim Schneeballen einen Herrn getroffen haben, der gerade so ungeschickt daher gekommen ist?«

»Der Herr wird wohl nicht ungeschickt gekommen sein, sondern ihr werdet ungeschickt geworfen haben. Könnt ihr nicht aufpassen?« rief Herr Pfäffling, und bei dieser Frage kam Wilhelms Kopf auch so ungeschickt an des Vaters Hand, dass es klatschte.

»Aber, Wilhelm,« rief die Mutter und schob ihr Weihnachtsgeschäft beiseite, »warum hast du dich denn wieder nicht entschuldigt?« Aber auf diesen Vorwurf versicherte Wilhelm so eifrig, er habe darin sein Möglichstes getan, dass man ihm glauben musste. Die ganze Geschwisterschar fing nun an, aufzubegehren über den unguten Mann, der trotzdem auf der Polizei geklagt habe, bis die Mutter sie zur Ruhe wies; sie wollte noch genau hören, wie die Sache sich zugetragen, und woher man seinen Namen gewusst habe. Das letztere konnte aber Wilhelm nicht erklären. »Muss ich denn wirklich auf die Polizei?« fragte er, »um welche Zeit?«

»Um 11 Uhr.«

»Aber da kann ich doch nicht, da haben wir Griechisch. So muss ich es dem Professor sagen, dann erfährt es der Rektor und schließlich kommt die Sache noch ins Zeugnis!«

»Natürlich erfährt das der Rektor,« sagte Herr Pfäffling, »die anderen sind jedenfalls auch vorgeladen. Warum machst du so dumme Streiche!«

Es war eine Weile still, jedes dachte über den Fall nach. »Könntest du nicht etwa mit ihm auf die Polizei gehen,« sagte Frau Pfäffling zu ihrem Mann, »und ein gutes Wort für ihn einlegen?«

Herr Pfäffling überlegte. »Morgen, Freitag? Da ist Probe in der Musikschule, da kann ich unmöglich fort. Das muss er schon allein ausfechten. Es kann ihm auch nicht viel geschehen, wenn es sich nur um einen Schneeballen an die Schulter handelt; war auch gewiss sonst gar nichts dabei, Wilhelm, ich kann es kaum glauben!«

»Gar nichts, als dass die andern gelacht und ungeniert weitergeworfen haben, dicht um den Herrn herum, das hat ihn am meisten geärgert. Besonders der Baumann war so frech, du kennst ihn ja, Karl.«

»Warum treibst du dich auch mit solchen herum? Da heißt es mitgefangen, mitgehangen.« Elschen drückte sich an die Mutter und sagte kläglich: »Jetzt wird Weihnachten gar nicht schön.« Und es widersprach ihr niemand, für diesen Abend wenigstens war die ganze Weihnachts-Vorfreude aus dem Hause gewichen.

Noch spät abends, im Bett, flüsterten die beiden Schwestern zusammen, berieten, ob Wilhelm bei Wasser und Brot in den Arrest gesperrt würde, und als Anne eben im Einschlafen war, rief Marie sie noch einmal an und sagte: »Das ärgste ist mir erst eingefallen! Wenn Herr Hartwig von der Polizei hört, dann kündigt er uns!«

Da war es denn schon wieder in der Familie Pfäffling, das Schreckgespenst, die Kündigung!

So bangen Herzens, wie am nächsten Morgen, hatte sich Wilhelm noch nie auf den Schulweg gemacht. Zwar hatte der Vater ihm an den Professor ein Briefchen mitgegeben, und die Mutter hatte ihm gesagt: »Habe nur keine Angst, ein Unrecht ist's nicht, was du getan hast,« aber er hatte ihr doch angemerkt, wie unbehaglich es ihr selbst zumute war, und hatte zufällig gehört, wie der Vater zu ihr gesagt hatte: »Eine Mutter von vier Buben muss sich auf allerlei gefasst machen.«

In der Schule war es sein erstes, sich nach den anderen Übeltätern zu erkundigen. »Müsst ihr auch auf die Polizei?« fragte er Baumann und die übrigen Kameraden, die mitgetan hatten. Kein einziger war vorgeladen!

»Du wirst wohl auch noch vorgeladen werden,« sagte ein dritter zu Baumann, »dich hat der Schutzmann aufgeschrieben.«

»Es ist nicht wahr.«

»Freilich ist's wahr, ich war doch noch ganz in der Nähe und habe es deutlich gesehen.«

Baumann leugnete und wurde grob, und es war ein erbitterter Streit, als der Professor in die Klasse trat. Er bemerkte gleich die Erregung seiner Schüler und hatte keine Freude daran. Als ihm Wilhelm nun Herrn Pfäfflings Brief reichte und er las, um was es sich handelte, erkundigte er sich gleich, ob noch mehrere vorgeladen seien, und als er hörte, dass Pfäffling der einzige sei, sagte er: »Dann möchte ich mir auch ausbitten, dass die anderen sich nicht darum kümmern. Es ist schon störend genug, dass einer vor Schluss der Stunde fort muss, gerade heute, wo die letzte griechische Arbeit vor Weihnachten gemacht wird. Wer sich sein Zeugnis nicht noch verderben will, der nehme seine Gedanken zusammen!«

So wurde äußerlich die Ruhe in der Klasse hergestellt, und es war nicht zu bemerken, wie dem einen Schüler das Herz klopfte vor innerer Entrüstung, dass er allein zur Strafe gezogen werden sollte, dem anderen vor Angst darüber, dass sein Betrug an den Tag kommen würde.

Kurz vor elf Uhr verließ Wilhelm auf einen leisen Wink des Professors das Zimmer. Unheimlich still kam es ihm vor auf den sonst so belebten Gängen und auf der breiten Treppe, die nicht für so ein einzelnes Bürschlein berechnet war, sondern für einen Trupp fröhlicher Kameraden. Heute begleitete ihn keiner, den sauern Gang auf die Polizei musste er ganz allein tun. Und nun betrat er das große Gebäude, in dem er ganz fremd war, hielt sein Vorladungsformular in der Hand und las: Erster Stock, Zimmer Nr. 12. Leute gingen hin und her, keiner kümmerte sich um ihn; vor mancher Zimmertüre standen Männer und Frauen und warteten. Nun war er bei Nr. 10, die übernächste Türe musste die richtige sein, Nr. l2. Vor diesem Zimmer stand ein Mann – und das war Herr Pfäffling.

»Vater!« rief Wilhelm, »o Vater!« und in diesem Ausruf klang die ganze Qual, die Angst und die ganze Wonne der Erlösung. Herr Pfäffling fasste ihn bei Hand. »Ich habe mich doch auf eine Viertelstunde los gemacht,« sagte er, »jetzt komm nur schnell herein, dass wir bald fertig werden!«

Im Zimmer Nr. 12 saß ein Polizeiamtmann.

Nach einigen Fragen und Antworten kam die Hauptsache zur Sprache: Wilhelm war angezeigt worden, weil er Herrn Sekretär Floßmann mit Schneeballen getroffen, darnach in frecher Weise gelacht und das Schneeballenwerfen in unmittelbarer Nähe fortgesetzt habe.

»So hat sich's verhalten, nicht wahr?« fragte der Amtmann.

»Getroffen habe ich einen Herrn aus Versehen,« sagte Wilhelm, »aber weiter nichts.« Nun mischte sich Herr Pfäffling ins Gespräch: »Du hast mir erzählt, dass du dich ausdrücklich entschuldigt habest und sofort heimgegangen seiest.« Da lächelte der Amtmann und sagte: »Damit sollte wohl der Vater besänftigt werden, in Wahrheit verhielt sich's aber, nach der Aussage des Herrn Sekretärs und des Schutzmanns ganz anders, und Sie werden begreifen, dass ich diesen mehr Glauben schenke als dem Angeklagten; es liegt auch gar nicht in der Art des Herrn Sekretär Floßmann, einen Jungen zur Anzeige zu bringen, der sich wegen eines Vergehens entschuldigt hat.«

»Ich darf wohl behaupten,« sagte Herr Pfäffling, »dass sowohl Frechheit als Lüge auch nicht im Wesen dieses Kindes liegen. Ich wäre sonst nicht mit ihm gekommen, sondern hätte mich seiner geschämt. Wäre es nicht möglich, den Herrn Sekretär oder den Schutzmann zu sprechen?«

»Gewiss,« sagte der Amtmann, »Herr Sekretär hat seine Kanzlei oben und der Schutzmann Schmidt war eben erst bei mir.« Er rief einen Polizeidiener. »Bitten Sie Herrn Sekretär Floßmann, einen Augenblick zu kommen und rufen Sie den Schutzmann Schmidt herein.«

»Wir machen zwar gewöhnlich nicht so viel Umstände, wenn es sich um solch eine Bubengeschichte handelt,« sagte der Amtmann, »aber wenn Sie es wünschen, können Sie von den beiden selbst hören, wie der Verlauf der Sache war.«

Ein paar Minuten später trat der Sekretär Floßmann und gleich darnach der Schutzmann ein. »Da ist der Junge,« sagte der Amtmann, »der wegen der Schneeballengeschichte aufgeschrieben wurde,« aber ehe der Beamte noch weiter sprechen konnte, fiel ihm Herr Sekretär Floßmann ins Wort, indem er sich an den Schutzmann wandte: »Aber warum haben Sie denn gerade diesen Jungen aufgeschrieben, den einzigen, der sofort aufgehört hat zu werfen, und der sich in aller Form entschuldigt hat, der mir selbst noch den Schnee abgeschüttelt hat?« und indem er auf Wilhelm zuging, sagte er ganz vertraulich zu ihm: »Wir zwei sind in aller Freundschaft auseinandergegangen, nicht wahr, dich wollte ich nicht anzeigen.« Da wandte sich der Amtmann ärgerlich an den Schutzmann: »Haben Sie Ihre Sache wieder einmal so dumm wie möglich gemacht?« Der rechtfertigte sich: »Das ist nicht der Wilhelm Pfäffling, den ich aufgeschrieben habe. Der meinige hat einen dicken Kopf und ein rotes Gesicht. Sag' selbst, habe ich dich aufgeschrieben?«

»Nein, aber es heißt keiner Wilhelm Pfäffling außer mir.«

»Oh,« sagte der Amtmann, »da kommt es auf eine falsche Namensangabe hinaus, das muss ein frecher Kamerad sein. Kannst du dir denken, wer dir den Streich gespielt hat?« fragte er Wilhelm. Der besann sich nicht lange. »Jawohl,« sagte er, »es ist nur ein solcher Gauner in unserer Klasse.«

»Wie heißt er?« Da sah Wilhelm seinen Vater an und sagte zögernd: »Ich kann ihn doch nicht angeben?«

»Nein,« sagte Herr Pfäffling, »du weißt es ja doch nicht gewiss, und deine Menschenkenntnis ist nicht groß.«

»Den Schlingel finde ich schon selbst heraus, den erkenne ich wieder,« sagte der Schutzmann, »ich fasse ihn ab um 12 Uhr, wenn die Schule aus ist.«

Nun wandte sich der Amtmann an Herrn Pfäffling: »Ich bedaure das Versehen,« sagte er, und Wilhelm entließ er mit den Worten: »Du kannst nun gehen, aber halte dich an bessere Kameraden und pass auf mit dem Schneeballenwerfen, in den Straßen ist das verboten, dazu habt ihr euren Schulhof!«

Vater und Sohn verließen miteinander das Polizeigebäude. »O Vater,« rief Wilhelm, sobald sie allein waren, »wie bin ich so froh, dass du gekommen bist! Mir allein hätte der Polizeiamtmann nicht geglaubt.«

»Du hast dich auch nicht ordentlich verteidigt, hast ja nicht einmal erzählt, wie der Verlauf war. Bei uns zu Hause hast du deine Sache viel besser vorgebracht.«

»Mir geht das oft so, Vater, wenn ich spüre, dass man mir doch nicht glauben wird, dann mag ich gar nichts zu meiner Verteidigung sagen. Oft möchte ich etwas erzählen oder erklären, wie es gemeint war, dann denke ich: ihr haltet das doch nur für Schwindel und Ausreden, und dann schweige ich lieber.«

»Ich kenne das, Wilhelm, es kommt daher, weil es so wenig Menschen genau mit der Wahrheit nehmen, dann trauen sie auch den andern keine strenge Wahrhaftigkeit zu. Aber da darf man sich nicht einschüchtern lassen. Wer recht wahrhaftig ist, darf alles sagen und Glauben dafür fordern. Halte du es so, und wird dir etwas angezweifelt, so sage du ruhig zu demjenigen: ›Habe ich dich schon einmal angelogen?‹ Aber freilich musst du sicher sein, dass er darauf ›nein‹ sagt.«

Die Beiden waren inzwischen dem Marktplatz nahe gekommen, wo ihre Wege auseinandergingen.

»War es dir recht ungeschickt, Vater, aus der Probe wegzukommen?« fragte Wilhelm. »Höllisch ungeschickt!« sagte Herr Pfäffling, »ich mochte den Grund nicht angeben, ich sagte nur schnell den Nächstsitzenden etwas von Familienverhältnissen und lief davon; wer weiß, was sie sich gedacht haben. Der junge Lehrer wird mich inzwischen vertreten haben, so gut er es eben versteht.«

»Ich danke dir, Vater,« sagte Wilhelm, als er sich trennte, und ganz gegen die Gewohnheit der Familie Pfäffling griff er rasch nach des Vaters Hand, küsste sie und lief davon.

Als Herr Pfäffling zu der musikalischen Jugend zurückkam, sah er viele freundlich lächelnde Gesichter und dachte sich: Die haben es doch schon erfahren, dass du mit deinem Wilhelm auf der Polizei warst, es bleibt nichts verborgen. »Darf man gratulieren?« fragte ihn leise eine Bekannte, als er nahe an ihr vorbeiging. »Jawohl,« sagte er, »es ist gut vorübergegangen.« Nach ein paar Minuten war er mit vollem Eifer bei der Musik, und Wilhelm in gehobener Stimmung bei seinem griechischen Schriftsteller.

»Dir ist es offenbar gnädig gegangen auf der Polizei,« sagte der Professor nach der Stunde zu Wilhelm.

»Ja, Herr Professor, es war eine Verwechslung, ich war gar nicht aufgeschrieben worden, ein anderer hat meinen Namen statt seinem angegeben.«

»Wer? Einer aus meiner Klasse?«

»Wer das war, will der Schutzmann erst herausbringen,« antwortete Wilhelm.

Der Professor hatte kaum das Schulzimmer verlassen, als alle Kameraden sich um Wilhelm drängten und näheres erfahren wollten, auch Baumann war unter ihnen. Der eine, der schon am Morgen behauptet hatte, dass Baumann aufgeschrieben worden sei, sagte ihm frei ins Gesicht: »Du hast den falschen Namen angegeben.« Da versuchte er nimmer zu leugnen, sondern fing an, sich zu entschuldigen: »Dem Pfäffling hat das doch nichts geschadet, für mich wäre es viel schlimmer gewesen. Du musst mir's nicht übel nehmen, Pfäffling, ich habe ja vorher gewusst, dass dir das nichts macht.«

»So? frage einmal meinen Vater, ob ihm so etwas nichts macht?« rief Wilhelm, »du bist ein Tropf, ein Lügner, das sage ich dir; aber dem Polizeiamtmann habe ich dich nicht verraten. Wenn dich der Schutzmann nicht wieder erkennt, dann kann es ja wohl sein, dass du dich durchgeschwindelt hast.« Nun sprang einer der Kameraden die Treppe hinunter, um zu sehen, ob ein Polizeidiener unten stehe. Richtig war es so. Da wurde verabredet, Baumann in die Mitte zu nehmen, einige Größere um ihn herum und dann in einem dichten Trupp die Treppe hinunter und bis um die nächste Straßenecke zu rennen. So geschah es. Die meisten Klassen des Gymnasiums hatten sich schon entleert; der Schutzmann stand lauernd am Tor. Da, plötzlich tauchte ein Trupp von Knaben auf und schoß an ihm vorbei, in solcher Geschwindigkeit, dass er auch nicht ein Gesicht erkannt hatte. Ärgerlich ging er seiner Wege, aber hatte er den Übeltäter auch noch nicht fassen können, das war ihm jetzt sicher, dass er zu dieser Klasse gehörte, und er sollte ihm nicht entgehen.

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