Kitabı oku: «"Und ihr wollt das Land besitzen?" (Ez 33,25)», sayfa 8
92 Vgl. S. Schwertner, Art. Nichtsein, 129-130: „Die Gottesleugnung […] ‘es gibt keinen Gott’ in Ps 10,4;14,1; 53,2 ist nicht theoretisch, sondern wohl im Sinne von 3,3 ‘er hat keine Hilfe bei Gott’ praktisch als ‘Gott ist nicht gegenwärtig/greift nicht ein’ zu verstehen.“ Ähnlich auch P. Joüon, Grammaire, § 154k: „De même § 160 g (originairement où?) exprime d’abord la non-existence dans le lieu, à savoir l’absence, puis, par extension, la non-existence tout court. Ces adverbes ne sont donc pas de simples copules comme le pronom de la 3e p.: à l’idée copulative elles ajoutent celle d’existence, surtout locale […]“.
93 Vgl. P. Joüon, Grammaire, § 160 g. Er kommt dann zu dem Schluß: „ est la négation ordinaire de la proposition nominale ( ne s’emploie guère en proposition nominale que pour une raison particulière […]).“
94 Auffällig ist die Häufigkeit der Partikel in Ez 34. Möglicherweise liegt eine gewollte klangliche Beziehung zwischen
- „nicht ist JHWH sehend“ und
- „weil nicht ist (jemand), der weidet“ (34,8). Wie eng oder weit man diese Verbindung auch sehen will, unzweifelhaft ist, daß in inhaltlicher Hinsicht das Heilshandeln Gottes um seines Namens willen (vgl. Ez 36) in bewußter Entgegensetzung zum Vorwurf seiner Abwesenheit in Kap. 8 u. 9 steht.
95 Siehe Fr. Sedlmeier, „Füchse“, 297: „Denn nach der alten Landgott-Vorstellung waren das Schicksal eines Volkes und das seiner Gottheit deckungsgleich.“
96 D.R. Clark, Citations, 86: „The former statement is new and Ezekiel creatively reinterprets Israel’s understanding of the land. The latter is stereotypical of psalmic and prophetic usage and is employed in a manner similar to this literature.“
97 Vgl. P. Joüon, Grammaire, zur Bedeutung des Partizips, § 121h: „D’une facon générale, le participe exprime l’aspect durative d’une facon plus forte que le yiqtol.“
98 Vgl. D. Vetter, Art. sehen, 692-693.
99 Vgl. D. Vetter, Art. sehen, 697: „[…] schauen’ meint den Empfang von Vision und Audition (z.B. Num 24,4.16; Jes 1,1; Am 1,1; Mi 1,1). Dagegen bezieht sich r’h auf den Vorgang der Schauung, der in der Regel auch das Hören einschließt.“
100 Ähnlich zur unterschiedlichen Bedeutung von „Sehen“ und „Schauen“ urteilt auch R.A. Dus, Las parabolas, 234: „El verbo en Ezequiel tiene una densidad semántica particular pues califica las visiones que el profeta recibe de Yahwe; sólo al habla y ‘hace ver’ (cf. Ez 8,6.12-13.15.17). Con el verbo se indica en cambio otra cualidad de visión, es una manera de ‘ver’, generalmente calificada como vana y enganosa.“
101 M. Greenberg, Ezechiel D1, 250: „Die Kommentatoren des Mittelalters gleichen an das Vorhergehende an und interpretieren die Aussage als die Scham, die die Exilierten aufgrund ihrer Schande empfinden (Raschi; Kimchi verweist auf Jer 9,18: ‘Wir sind völlig zuschanden, weil wir unser Land verlassen und unsere Wohnungen aufgeben müssen.’)“ In Greenbergs englischer Übersetzung der Jeremiastelle wird der Bezug zur Scham noch deutlicher: M. Greenberg, Ezekiel E, 210: „We are covered with shame because we have had to leave our land, to give up our dwellings.“ Ähnlich auch W. Zimmerli, Ezechiel, 262: „Schande (vgl. die Gebärde der Dirne Gn 38 15; ist noch an einen zusätzlichen Schimpf des Wegzugs, wie er Jes 47 2f. Na 3 5f. durchscheint, zu denken?) und Leid (vgl. die Gebärde der Trauer 2 S 15 30 Jer 14 4 Est 6 12 7 8) der Verschleppung sollen in dieser Gebärde, die auch die verlorene Heimat mitleidsvoll dem Blick der Weggeführten entzieht, verhüllt werden.“
102 M. Greenberg, Ezekiel E, 211: „J. Light suggests, privately, that a symbol is superadded to a predictive act: the furtive fugitive who covers his face so as not to be recognized thereby impedes his sight of the ground - a symbol and omen of his never again seeing his native land; cf. Jer 22:12, the exiled King Jehoahaz […] ‘shall never again see this land’.“
103 D.L. Smith-Christopher, „Ezekiel in Abu Ghraib“, besonders 150: „There is significant evidence to suggest that the metaphor of ‘stripping’ in Hos 2, but especially in Ezek 16, is drawn from the practice of stripping POWs [Prisoners of War, A.R.] in Neo-Assyrian and Neo-Babylonian military practice.“ Und 153: “The ‘humiliation’ of ‘Jerusalem’ as female must be direktly connected to the ideology of, and practice of, Assyrian and Babylonian warfare. I would thus argue that it was the cirumstances and practices of warfare by the Mesopotamian imperial states of the first millennium B.C.E. that suggested the imagery of stripping and not a generally practised punishment of adulterous women in Israelite society.“
104 D.L. Smith-Christopher, „Ezekiel in Abu Ghraib“, 154, macht dabei auf eine etymologische Verwandtschaft aufmerksam: „Consider, finally, the intriguing fact that the common term for exile - ‘Golah’ - derives from the same root as the term often used for ‘stripping’ or ‘uncovering’, the clear meaning of the root in Ezek 16:37.“ Er macht deutlich, wie gerade das, was er „self-blaming ideology“ nennt (etwa Selbst-Bezichtigungs-Ideologie) zur Bewältigung der Krise beitragen kann, 155: „It is arguable […] that such a ‘self-blaming ideology’ does have a creative, even an ironically positive function for defeated peoples.“
105 Vgl. W. Zimmerli, Ezechiel, 57*.
106 A. Ruwe, „Die Veränderung,“ 16, bemerkt dazu: „In der Tempelvision von Ez 10 sieht der Prophet diese Wesen ein weiteres Mal. Nun aber, in der vertrauten Umgebung des Tempels, erkennt er sie als Keruben. Hier ist ihr natürlicher, angestammter Ort, deshalb erkennt er sie hier. […] Die Keruben gehören danach nicht mehr (wie vordem) primär zum Tempel, sondern bilden unabhängig vom Tempel einen Teil der Sphäre Gottes.“
107 Merkwürdigerweise werden gerade die Verse Ez 20,27-29 für sekundär gehalten und einer deuteronomistischen Ergänzung zugeschrieben. Vgl. F.L. Hossfeld, „Ez und die deuteronomisch-deuteronomistische Bewegung“, 288: „Der Hauptgrund für den sekundären Charakter der VV. 27-29 liegt in ihrer vom Konzept des Grundtextes abweichenden Ausrichtung. […] Gemäß dieser Konzeption hat Israel das Gelobte Land nie betreten. Und genau das wird in den VV. 27-29 korrigiert. Die spezifisch ezechielische Pointe wird umgebogen. Israel, d.h. hier die Vorfahren der anwesenden Exulantengeneration, muß ins verheißene Land hineinkommen.“ Zum Charakter der Verse sagt Hossfeld, 290: „Der Abschnitt 20,27-29 folgt einem dem Buch Dtn und dem dtr Geschichtswerk geläufigen Anliegen, der Betonung der Hereinführung ins verheißene Land mit anschließender Verurteilung des Höhendienstes. Die Beziehungen der sprachlichen Bezüge laufen in Richtung priesterlicher-priesterschriftlicher Tradition und deuteronomistischen Sprachbereichs.“ Wie dieser Umstand zu erklären ist, etwa dadurch, daß man alle Stellen mit dem besonderen Verständnis vom „Sehen“ einer solchen dtr Ergänzungsschicht zuweist, kann in dieser Arbeit nicht Thema sein. Es genügt der Hinweis auf den für das Ezechielbuch in seiner Endgestalt typischen Charakter und Stil.
108 J.S. Bergsma / S.W. Hahn, „What Laws“, 207-208: „This word occurs repeatedly in Deut 12, in order to emphasize that it is there, that is, at the central sanctuary, that the Israelites should bring their gifts. But Ezekiel uses four times in 20:28, pointing out that it was not to the central sanctuary, but there, to the high places and sacred groves, that the Israelites brought their sacrifices. The contrast and reference to Deut 12 are unmistakable. In short, Israel failed to keep even the laws of the Deuteronomic code, which as we shall argue below, Ezekiel viewed as a lower law than the Priestly Legislation.
109 In den Praktiken am Tempel vermutet M. Greenberg, Ezekiel E, 202: „The public pagan rites of ch. 8 belong historically to the age of Manasseh […]“ Doch gerade die Verse um die Redensart in 8,12 sondert er von diesem Urteil aus; denn: „the secret cults of vss. 10-12 are another story and may have been practised in Ezekiel’s time […].“ Dagegen entdeckt Johannes Schnocks, „Eine intertextuelle Verbindung“, zumindest was das Bild der Eifersucht in Ez 8,5-6 betrifft, mit guten Gründen auch Beziehungen zu dem nachexilischen Text Sach 5,5-11, wobei aber Sacharja von Ezechiel abhängig ist. W. Zimmerli setzt sich ausdrücklich von der Manasse-Theorie ab, die auf Smith und Torrey zurückgehen soll, und erklärt, Ezechiel, 224, den Unterschied Ezechiels zu Jeremia aus seiner besonderen Perspektive: „In Ez dagegen redet der Priester mit dem Empfinden für die gottesdienstliche Reinheit des Dienstes vor dem, der im Heiligtum wohnt.“ Er schlußfolgert darum: „Ohne Zweifel verdichten sich in der Schau Ez’s Erinnerungselemente aus der Zeit Jojakims, die er selber noch in Jerusalem erlebt hat, und Nachrichten, die mündlich oder brieflich (Jer 29) an die Verbannten gekommen sind, zu dem geballten, eindrucksvollen Gesamtbild des von ihm in einem Akt als Gesamtsünde (Vierzahl) Jerusalems Geschauten.“
110 Ähnliche Beobachtungen äußert auch M. Greenberg, Ezekiel E, 201-202: „The data of ch. 8 are generally thought to give a true picture of the state of Judahite religion contemporary with Ezekiel, but their contrast with the data of Jeremiah and Lamentations, whose authors were actually in Jerusalem at the time of the fall, points to an opposite conclusion. Only a visionary and an audience at a remove from the reality of Jerusalem, and suffering the exile threatened for breach of covenant might have accepted and understood at once the point of such a fantasy: to collect and display vividly the notorious instances of cultic pollution of the sanctuary, so as to bring home the awful realization that its sanctity had been hopelessly injured, and its doom irrevocably sealed.“
111 In bezug auf die Bildrede Ez 17 bemerkt O. Keel, „Zeichensysteme“, 40: „Abfall und Rebellion sind dynamische Vorgänge. Das Ezechielbuch aber schildert sie als stark räumlich konnotiert. Zidkija wendet sich von einer Seite (Nebukadnezzar), auf die hin er eingepflanzt wurde, ab und wendet sich der anderen Seite zu. Dieser Vorgang wird so weniger als zeitlicher denn als räumlicher wahrgenommen. Das hängt eng mit der bei Ezechiel sehr starken visuellen Komponente zusammen.“
112 M. Greenberg, Ezekiel E, 196, vergleicht mit verwandten altorientalischen Vorstellungen: „The image in the pagan temple is literally the seat and residence of the deity; through their images, Marduk dwells in his temple in Babylon and Sin in Haran. Analogously, the cherub statues in Jerusalem’s holy of holies (like their antecedents in the tabernacle) were the throne on which YHWH sat, shrouded in darkness. At the same time the pagan god dwells in heaven or on the montain of the gods (the two may not be sharply differentiated), and moves freely about the universe. […] Similarly YHWH dwells in heaven, his majesty covers the heavens and fills the earth, and he rides the clouds or a cherub on his travels.“
113 W. Zimmerli, Ezechiel, 55*. Vgl. auch die Einleitung unter A.1.
114 Vgl. K.-F. Pohlmann, „Religion in der Krise“, bes. 54-57, wo er nebst anderen Stellen auch den Ausspruch in Ez 8,12 par. 9,9 als Beispiel für den allgemeinen Umgang des Volkes mit der Katastrophe anführt. Diese gehe der prophetischen Reflexion voraus, werde aber, so 51, gerade bei den Propheten in vereinzelten „Zitatfragmenten“ greifbar. Ob aber mit diesen Fragmenten belegbar ist, was Pohlmann mit ihnen belegen will, daß nämlich die theologische Reflexion ausschließlich unter dem Diktat äußerer Umstände entstanden sei und deshalb keine Vorläufer haben könnte, bleibt dennoch zweifelhaft. Der Spruch äußert, was die meisten dachten, die Propheten dagegen, was nur wenige dachten. Ihre unpopulären Ansichten konnten sie darum auch schon früher entwickelt haben. Nur aus dem Zwang der Umstände lassen sie sich nicht erklären. Es mußte schon einen angelegten Kern geben, der durch äußeren Anstoß zur deutlicheren Entfaltung gebracht wurde. Sonst erklärt sich nicht der Umstand, daß nicht andere besiegte Völker denselben Sprung zu einem geistigen Überleben leisten konnten.
115 Man vgl. aber G. Brin, Ijjunim besefer Jecheskel, 18-52, wo er in dem summarisch den Zitaten gewidmeten Kapitel einige beispielhafte Hinweise auf solche Verflechtungen gibt.
2. Die Wirklichkeit der Menschen in der Sichtweise Gottes: 9,9
2. a) Kontext in Kap. 9
Die nächste Redensart innerhalb der Visionseinheit 8 - 11 begegnet in 9,9. Nach dem Aufweis der Greuel am Heiligtum schaut der Prophet in Kap. 9 die Ankündigung und Durchführung des künftigen Gerichts über Jerusalem. Wie schon zu sehen war (siehe B.1.b)), soll das Gericht vom Heiligtum ausgehend sich mit seiner Zerstörungskraft weiter ausbreiten, und zwar in demselben Maße, wie die Mißbräuche sich mit Annäherung an das Heiligtum steigerten. Das 9. Kap. hat darin einen vom vorhergehenden verschiedenen Charakter, daß nunmehr das Auditionsmoment hervortritt und damit die Verben des Rufens und Hörens. Ist die Häufung auch nicht ganz so auffällig wie diejenige für das Verb „Sehen“ im 8. Kap., so bleibt sie noch deutlich genug.
Gleich zu Beginn wird eine Klammer zum vorhergehenden 8. Kap. geschlossen. V. 9,1 beginnt mit den Worten:
- „Da rief er zu mir (wörtl.: zu meinen Ohren) mit lauter Stimme Folgendes …“. Damit wird 8,18 aufgegriffen, wo Gott verspricht, jegliche Antwort zu verweigern, wenn das Volk einmal verzweifelt „mit lauter Stimme“ zu ihm rufen sollte. Auch wenn das Subjekt durch Nicht-Nennung verschleiert ist, legt der Zusammenhang nahe, daß hier Gott selbst mit lauter Stimme die Vollstrecker des Gerichts ankündigt. Der Gott, der sich den Rufen Israels verweigert, der sich in Bezug auf mögliche Hilfe unsichtbar und unhörbar macht, kündigt in 9,1 dem Propheten mit aufdringlichem, aufrüttelndem Ton das bevorstehende Gericht an, als eine Weise der zuvor ignorierten Gegenwart Gottes. Dieses gibt dem erstarrten Propheten einiges zu „hören“, bis er selbst es nicht mehr aushält, und 9,8 mit ohnmächtiger Stimme einzugreifen versucht.
In V. 3 gibt Gott der Hauptperson unter den Vollstreckern die Befehle, die in V. 4 ausgeführt werden. Diese fangen allerdings in der Hauptsache gerade mit der Schonung all derer an, die über die Mißbräuche „geseufzt“ und „gestöhnt“ haben, also bei aller Ohmacht ihr Mißfallen wenigstens akustisch äußern. In V. 5 spricht er zu den untergebenen Vollstreckern so, daß es der Prophet hören kann - „zu meinen Ohren“ -, indem er den Befehl austeilt, alle anderen schonungslos zu vernichten.
In V. 8 fällt der Prophet angesichts der begonnenen Gerichtsvollstreckung nieder und schreit auf, wohl aus Angst, daß der Herr keinen Rest mehr übrig lassen wird. Der in V. 9 mit gewöhnlichem „sagen“ eingeleiteten Antwort JHWHs wird man demgegenüber nicht ein allzu auffälliges akustisches Erscheinungsbild beimessen wollen. Dieser Wechsel von visuellen hin zu auditiven Elementen hat innerhalb der Berufungsgeschichte des Propheten seine Parallele im Wechsel von Kap. 1 (Vision der Herrlichkeit) zu Kap. 2 (Gott redet zum Propheten).
Die Gottesrede in 9,10-11 schlägt wieder den Bogen zurück zu 8,18: Die Unerbittlichkeit des göttlichen Gerichts bemißt sich nach dem unverbesserlichen Schuldverhalten des Volkes. Daß die andeutungsweise erfolgende Erzählung des Gerichts über Jerusalem, das durch die sieben Männer ausgeführt wird (9,2),116 auf Anleihen aus dem babylonischen Erra-Gedicht beruht, dürfte heute zweifelsfrei feststehen.117 Damit besitzt sie mythischen Charakter und erübrigt allzu naturalistisch gedachte Fragestellungen, wie z.B. die nach dem Übergang vom 10. zum 11. Kapitel.
Die im folgenden zu betrachtende Redensart findet sich zu Beginn der Gottesrede 9,9-11. Nach dem Entsetzensruf des Propheten in V. 8 soll sie die schuldhafte Gesinnung des Volkes entlarven und so das Ausmaß des Gerichts begründen.
2. b) Text und Übersetzung von 9,9
9b: - „… und Juda“ möchte Zimmerli als spätere Ergänzung streichen.118 Es ist aber auch damit zu rechnen, daß in 9,9 die Verbindung der beiden bisher getrennt betrachteten Häuser „Israel“ und „Juda“ einer bewußten Steigerung dient und an 4,4-7 zurückerinnern möchte, wo der Prophet in einer Zeichenhandlung nacheinander die Schuld Israels und Judas zu tragen hatte.119
9c: - „da hat sich erfüllt“: LXX scheint ein - „denn“ gelesen und damit ein kausales Verhältnis angenommen zu haben. MT mit imperfectum consecutivum läßt an ein konsekutives Verhältnis denken. Ein solches hat in MT auch die ähnliche Stelle 7,23.
2. c) Analyse von 9,9
Die Redensart von 8,12 wird hier, leicht verändert in der Wortfolge, wieder aufgegriffen. Der verbale Ausdruck - „da sagte er zu mir“ (9,9a) führt das Folgende als unmittelbar an den Propheten gerichtete Gottesrede ein, die im Zusammenhang eine Antwort auf den Aufschrei des Propheten in V. 8 darstellt.
Ohne Umschweife spricht Gott in seiner Rede mit dem ersten Wort die Schuld der vom Gericht Betroffenen aus. Das für „Schuld“ (9b) gebrauchte hebr. Wort ist ein theologisch bedeutungsvoller Begriff. Das Wort kommt von der Wurzel , die im Nifal „krumm sein“, „verkehrt sein“ bedeutet.120 Der schon angeführte Vers Ez 21,29 zeigt, wie gerade für Ezechiel dieses Wort einen grundsätzlich verkehrten Zustand beschreibt, zu dem andere Bezeichnungen für Sünde in unterschiedlicher Weise beitragen.121 Das Wort, das bei Ezechiel als Substantiv am häufigsten vorkommt unter allen Büchern der hebräischen Bibel,122 entscheidet über Eintreffen und Ausmaß eines Gerichtes, über Leben und Tod des Einzelnen (Kap. 18). In 4,4-8 soll Ezechiel in einer Symbolhandlung die „Schuld“ Judas und Israels tragen und dadurch die Dauer ihrer jeweiligen Strafe ausdrücken. Wie dort werden auch in 9,9 das Haus Israel und das Haus Juda zusammen genannt. Nur daß die Unterscheidung - wenn eine solche und nicht Synonyme vorliegen - nicht dieselbe sein kann. Denn während in 4,4-8 infolge des großen Zahlenunterschieds in der Strafdauer Israel im klassischen Sinne das schon lange vorher besiegte Nordreich meinen muß, ist das in 9,9, wo ein unmittelbar bevorstehendes neues Gericht angekündigt werden soll, kaum der Fall. Aber auch, wenn die Bedeutung der Bezeichnungen nicht identisch ist, ist eine bewußte sprachliche Wiederaufnahme nicht auszuschließen. Die drohende Zerstörung Jerusalems würde dann als ein Unglück für das gesamte Volk betrachtet einschließlich des schon untergegangenen alten Israel.
Während freilich in 4,4-8 von der Schuld des Hauses Israel und derjenigen Judas nacheinander die Rede ist, treffen sie hier innerhalb desselben Verses unmittelbar aufeinander und sind innerhalb einer Konstruktusverbindung beide von der nur einmal genannten „Schuld“ abhängig. Unmittelbarer wird sich die Verbindung der beiden Bezeichnungen auf die Gegenüberstellung derselben im vorhergehenden Kapitel (8,12; 8,17) beziehen und diese damit bewußt abschließen. Einen solchen Abschluß möchte vielleicht auch gerade das folgende Wort - „groß“ (9b) andeuten, durch das die Schuld als „groß“ genug, und damit als ausreichend qualifiziert wird, um ein anschließendes Gericht auf diese Weise zu rechtfertigen. Eigentümlicherweise ist dies die einzige Stelle im Ezechielbuch, in der „groß“ prädikativ verwendet wird. Jedenfalls wird in 37,10 das „sehr große Heer“ gewöhnlich als Apposition zum Subjekt des vorangehenden Verbalsatzes gezogen. Theoretisch möglich wäre auch hier das Verständnis eines selbständigen Nominalsatzes: „Das Heer war sehr, sehr groß.“ Die Formulierung bietet trotzdem durch die zusätzliche Steigerung mit dem doppelten „sehr“ die nächste Parallele innerhalb des Ezechielbuches. Ob am Ende der Totenbeinvision Ez 37,1-10, nach Zimmerli der Ursprung der unkonditionierten Heilszusage im Ezechielbuch,123 das Aufstehen der Gebeine als „sehr, sehr großes Heer“ die ausschließlich gottgewirkte Aufhebung der „sehr, sehr großen Schuld“ angedeutet werden soll? Mosis macht darauf aufmerksam, daß bei solchem Gebrauch die rhetorische Funktion vorherrscht, indem durch die damit ausgedrückte Steigerung ein Folgegeschehen eingeleitet und vorbereitet wird.124
Die hier vorliegende negative Bedeutung von wird durch die adverbiale Hinzufügung - „so ganz und gar“ (9b) noch zusätzlich zu dieser rhetorischen Funktion gesteigert und unterstrichen. Daß die Schuld so „groß“ ist, motiviert das Gericht aber erst in einem zweiten Schritt, während in einem ersten die im Satz folgenden sozialen Mißstände daraus abgeleitet werden. In Verbindung mit der vorherrschenden rhetorischen Funktion des Prädikats „groß“ an dieser Stelle, könnte auch der Gedanke an eine gewisse Einmaligkeit der Schuld mitschwingen. Sie ist nicht nur sehr groß, sie hat auch ein gefülltes Maß erreicht, das kaum noch steigerungsfähig ist. Die dazu gebrauchte Partikel „sehr“ erscheint in dieser Verdoppelung mit vorgestellter Präposition sonst in positiven Zusammenhängen. So wird in Ez 16,13 damit die Schönheit der Braut Jerusalem gelobt, um jedoch zugleich auf die Gefahr des Hochmuts vorzubereiten. In Gen 17 wird davon an drei Stellen (VV. 2.6.20) in Zusammenhang von Mehrung der Nachkommenschaft in bezug auf den Abraham-Bund Gebrauch gemacht, wozu noch Ex 1,7 tritt, wo zusätzlich zur Vermehrung des Volkes in Ägypten sein „Stark“-Sein unterstrichen wird. Ohne vorgeschaltete Präposition wird die Wortdoppelung in der Sintfluterzählung in Gen 7,19 verwendet, wenn von dem Anschwellen der Wasser die Rede ist. Hier scheint es sich um einfache Naturbeschreibung zu handeln. Bei Auffassung des Ereignisses als Gericht könnte zumindest an dieser Stelle auch ein negativer Unterton mitgehört werden. Jedenfalls verleiht der Vergleich der Stellen auch der Schuld in Ez 9,9 einen sich mehrenden, anwachsenden, anschwellenden Charakter. Die Vergleichsstellen aus dem Buch Genesis werden alle P zugewiesen. Desgleichen Ex 1,7, auch wenn es sich hier um eine sehr späte redaktionelle Ergänzung handeln könnte, die den P-Stil lediglich nachahmt, um auf diese Weise die Bücher Genesis und Exodus miteinander zu verbinden.
Gegenüber diesem dynamischen Charakter, der im Steigerungsadverb mitgehört werden kann, drückt die anschließende Verbform - „da hat sich erfüllt“ (9c) das gegenwärtige Ergebnis aus. Die Folgen der Schuldaufhäufung werden in zwei aufeinanderfolgenden Aussagen beschrieben, beide mit der Wurzel bestritten. In der ersten mit der schon zitierten Verbform im imperfectum consecutivum Nifal, in der zweiten durch das entsprechende Perfekt Qal aktiv. In der ersten Aussage ist das Land Subjekt, in der zweiten die Stadt. Das, womit Land und Stadt jeweils erfüllt bzw. voll sind, besteht in konkreten moralischen Fehlverhalten, die beim Namen genannt werden. Die dabei angesprochenen Bluttaten werden mit dem bloßen Plural von „Blut“, also mit wiedergegeben. Besonders bei Ez erhält der sonst weiter gefaßte Ausdruck die Bedeutung von Mord125 und prägt damit das 22. Kap., das von Jerusalem als der Blutstadt handelt (Vgl. VV. 22,3.4.6.9.12.27). Aber auch in den Gebotsreihen wie z.B. Ez 18,10, anhand deren die einzelnen Beispielpersonen nach ihrem Verhalten überprüft werden, enthalten den Ausdruck offensichtlich in dieser übertagenen Bedeutung. Das andere, diesmal der Stadt zur Last gelegte Vergehen ist die - die „Rechtsbeugung“ (9d), wie es für gewöhnlich übersetzt wird. Auf - „ausstrecken“, „ausspannen“ geht es zurück. In dieser übertragenen Bedeutung, für die man im modernen Deutsch vielleicht „Justizverbrechen“ oder wenigstens „Rechtsübergriff“ sagen würde, kommt das Wort nur bei Ez vor. In wörtlicher Bedeutung und im Plural im Sinne der Ausdehnung des die assyrische Macht versinnbildlichenden Flusses ist es noch in Jes 8,8 zu finden, wobei ein über die Ufer tretender Fluß und eine ausufernde Unrechtspraxis zumindest für die deutsche Idiomatik nicht allzu weit voneinander entfernt lägen. Die Bluttaten auf dem Land sind die Folge der Rechtsmißbräuche, die in der Stadt, als der zentralen Verwaltungsmacht, geschehen.126 Man kann die beiden Spruchaussagen in ihrer Aufeinanderfolge so verstehen, daß die zweite Aussage den kausalen Grund für die erste angibt. Sie führen die Einforderung sozialer Gerechtigkeit weiter, die zum ersten Mal schon 8,17 angeklungen ist. Ez 9,9 stellt damit das Ergebnis der in 8,17 ausgesprochenen Haltung vor Augen. In Sprache und Inhalt erinnern beide Verse stark an eine Stelle aus dem priesterschriftlichen Sintflutbericht. In Gen 6,13 heißt es:
- „fürwahr voll ist die Erde von Gewalttat.“ Es klingt wie eine Zusammenschau der Aussagen in Ez 8,17 und 9,9 infolge der aus beiden Stellen schöpfenden Wortwahl.