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Kitabı oku: «Abenteuer und Drangsale eines Schauspielers»

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Vorwort

An einem Tage des Monats Oktober 1882 trat mein Bedienter in mein Zimmer ein und debutirte, da es noch ziemlich frühzeitig war, mit den herkömmlichen Worten:

»Will der Herr empfangen?«

Ich schaute ihn an.

»Je nachdem,« erwiederte ich.

»Das habe ich mir auch gesagt.

»Wer ist da?«

»Ein hübscher Junge, mein Herr.«

»Das ist schon Etwas: ich liebe die hübschen Gesichter; doch es ist nicht genug.«

»Das habe ich mir auch gesagt.«

Die Worte: Das habe ich mit auch gesagt. waren eine sprichwörtliche Redensart eines neuen Bedienten, Namens Louis, den ich angenommen.

»Wenn Sie sich das gesagt haben, Louis, haben Sie ihn auch nach seinem Namen gefragt?« versetzte ich.

»Gewiß, mein Herr.«

»Nun! wie heißt er?«

»Ah! mein Herr, er heißt nicht.«

»Wie, er heißt nicht?«

»Ei! das ist kein Name, Herr Gustave.«

»Herr Gustave, wer?«

»Das habe ich mir auch gesagt, mein Herr.«

»Sie hätten besser daran gethan. es ihm zu sagen.«

»Ich habe es ihm auch gesagt. Ah! ich habe mir kein Blatt vor den Mund genommen.«

»Und was hat er geantwortet?«

»Er hat geantwortet: »»Sagen Sie Herrn Dumas, ich komme von Rouen, und ich bringe ihm einen Brief von Madame Dorval.««

»Einen Brief von Dorval! Einfältiger! das hätten Sie mir zuerst sagen müssen.«

Und ich lief selbst an die Thüre.

»Entschuldigen Sie, mein Herr!« rief ich in die Coulissen, »ich habe einen neuen Kammerdiener, und er kennt meine alten Freunde noch nicht; ich hoffe, Sie werden eines Tages zu diesen gehören, da Sie von meiner guten Dorval zu mir kommen.«

Und ich reichte meine Hand dem jungen Mann, den ich im Schatten nur schlecht unterscheiden konnte.

Der junge Mann nahm sie und drückte sie treuherzig.

»Wahrlich, mein Herr,« sagte er, »Ihr Empfang setzt mich nicht in Erstaunen. so wohlwollend er auch ist. Madame Dorval versicherte mich, Sie werden mich so empfangen.«

»Sie ist immer noch in Rouen?«

»Ja, mein Herr.«

»Macht sie Geld?«

»Sie hat viel Succeß.«

»Das ist es nicht gerade, was ich Sie frage.«

»Die Zeit ist nicht sehr günstig für die Theater.«

»Ah!« Sie sind ihr Freund . . . Sie hat mir geschrieben?«

»Hier ist der Brief.«

Der junge Mann reichte mir einen Brief, den er nicht zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger, wie es ein Postbote oder ein Handlungsdiener gethan hätte, sondern zwischen dem Zeigefinger und dem Mittelfinger hielt.

Wenn ich einen Menschen zum ersten Male sehe, bemerke ich Alles, und das Geringste fällt mir auf.

Die Hand, die mir den Brief reichte, war schön, zart, länglich; sie hatte einen etwas langen Daumen, künstlerisches Merkmal, feine Fingerglieder, Kennzeichen der Distinction in der Kunst.

Diese Hand kam aus einem Mantel hervor, der in Falten denen der Draperie einer Bildsäule ähnlich fiel.

Der junge Mann hatte seinen Mantel im Vorzimmer nicht abgelegt; bei einem Anscheine des Sichgehenlassens, war er also schüchtern, an sich zweifelnd, wenig auf sich vertrauend, da er, trotz des Briefes von Dorval, nur einen Augenblick zu bleiben erwartete.

Er sah, daß ich ihn anschaute, und richtete mit einer Schulterbewegung zwei gebrochene Falten seines Mantels zurecht.

Der junge Mann glich einem Bildhauer.

Da er einen Augenblick im Vorzimmer hatte warten müssen, so hatte er wartend eine Cigarette zwischen seinen Fingern gerollt; diese Cigarette hielt er, wie er einen Bleistift gehalten hätte.

Ich öffnete den Brief, überzeugt, es sei dies das beste Mittel, sein Gewerbe kennen zu lernen.

Und ich las.

Es versteht sich von selbst, daß ich ihn, während ich las, über das Papier anschaute.

Dorval schrieb mir, wie folgt:

»»Mein lieber Dumas,

»Ich adressiere an Dich Herrn Gustave, der in »»Rouen mit mir gespielt hat . . .««

Es war ein Komödienspieler oder vielmehr ein Tragödienspieler denn aufgestellt und drapirt, wie er war, schien er nach einer Statue modellirt zu sein.

Und dennoch war in diesem jungen Mann viel mehr vom Mittelalter, als vom Alterthum viel mehr vom Jahrhundert von Leo X., als von dem von Perikles.

Ich las weiter:

»Es ist, wie Du siehst, ein schöner Charakterspieler, voll Unerfahrenheit und vom besten Willen, dem sein Platz zum Voraus bei der Porte Saint-Martin bezeichnet ist.««

Es war in der That ein stattlicher Cavalier, in dem Sinne, den man unter Ludwig XIII. diesem Worte gab, mit herrlichen Augen, einer geraden Nase von schönem Verhältniß, langen schwarzen Haaren und anmuthigem blassem Teint.

Der einzige Fehler des sehr schönen Gesichtes war vielleicht eine zu starke Verlängerung des unteren Kinnbackens; doch dieser Fehler verlor sich in einem schönen schwarzen, mit röthlichen Tönen, wie man sie bei den Bärten von Titian findet, gemischten Barte.

Er war übrigens groß, trug den Kopf hoch und war sichtbar gewandt in seinem ganzen Körper.

Indem ich ihn anschaute, in seiner Hand einen spitzigem breitkrämpigen Filzhut erblickte, vorn Filzhute zu seinem Gesichte zurückkam, vom Gesichte auf die Tournure überging, war ich ganz erstaunt, daß ich nicht den Korb eines Schwertes aus den so zierlichen Falten seines Mantels hervorkommen sah.

»»Was Du auch für ihn thun magst, er ist der Mann, es Dir dadurch zu erwiedern, daß er Dir eines Tages Deine Rollen spielt, wie sie Dir Niemand spielen wird.««

»Teufel!« murmelte ich, »es ist wahr, mit diesem Kopfe und dieser Tournure kann er es, wenn in diesem Menschen ein Körnchen Talent ist, weit bringen.«

»»Sprich übrigens mit ihm; sage ihm, er soll Dir sein Leben erzählen, und Du wirst sehen, daß Du es mit einem wahren Künstler zu thun hast.

»»Deine sehr gute Freundin

»»Marie Dorval.««

»»NS. Gäbe es für ihn in diesem Augenblicke einen Platz beim Theater der Porte Saint-Martin, so suche ihm dadurch nützlich zu sein, daß Du ihm eine Arbeit als Bildhauer oder als Maler verschaffst.««

»Ah! Herr Gustave,« sagte ich lächelnd, »Sie sind also Universalkünstler?«

»Es ist wahr, man hat Alles ein wenig versucht,« erwiederte er mit jener Bewegung der Schultern, welche dem Menschen eigenthümlich ist, der das Leben unter einem gewissen philosophischen Gesichtspunkte zu betrachten pflegt, »Alles, sogar ein wenig das Seiltanzen.«

»Sie sind Gaukler gewesen!«

»Warum nicht? Kean war es wohl.«

»Sie haben Kean gesehen?«

»Ach! Nein; doch mit Gottes Hilfe werde ich ihn wohl früher oder später sehen: der Canal ist nicht so breit als das Atlantische Meer, und London nicht so weit als Guadeloupe.«

»Sie sind auf den Antillen gewesen?«

»Ich komme in aller Eile von dort an.«

»Ich fange an zu glauben, Dorval hat Recht, wenn sie mir sagt, ich soll Sie bitten, mir Ihr Leben zu erzählen.«

»Oh! das ist nicht interessant, der erste, der beste Zigeuner wird Ihnen so viel sagen als ich.«

»Ei! täuschen Sie sich nicht: es wäre mir nicht unangenehm, das Leben des ersten, des besten Zigeuners von ihm selbst erzählt zu hören.«

»Das wird sehr lang sein.«

»Haben Sie um elf Uhr Probe?« fragte ich lachend.

»Leider, nein.«

»Nun! dann haben wir Beide Zeit. Wir frühstücken mit einander, und nach dem Frühstück erzählen Sie mir das. Ich gebe Ihnen keinen so guten Kaffee, als Sie auf Martinique getrunken haben; doch ich gebe Ihnen besseren Thee, als Sie irgendwo trinken werden, Caravanenthee, den ich von einer hübschen Frau aus Petersburg erhalte. Gehen Sie nach Rußland, so werde ich Sie ihr empfehlen, wie Dorval Sie mir empfohlen hat. Abgemacht, wir frühstücken mit einander, nicht wahr?«

»Oh! sehr gern.«

Ich klingelte Louis.

Louis trat ein.

»Louis, zwei Gedecke, Herr Gustave frühstückt mit mir.«

»Das habe ich mir auch gesagt: Herr Gustave muß mit dem Herrn frühstücken.«

»Nun! desto besser, dann haben Sie den Tisch gedeckt und etwas darauf gesetzt.«

»Nein, mein Herr, nein: das hätte ich mir nicht erlaubt.«

»Sie haben Unrecht gehabt. . . Vorwärts, Louis, geschwinde; ich habe Probe.«

Louis ging ab.

»Ei!« fragte mich der junge Mann, »wenn ich mich vor dem Frühstück eines Theils von meinten Gepäcke entledigen würde?«

»Thun Sie das.«

»Muß ich Alles erzählen?«

»Alles.«

»Sogar die Dummheiten?«

»Besonders die Dummheiten! Was die Anderen die Dummheiten nennen, nenne ich das Pittoreske.«

»So verstehe ich es auch.«

Es sind zwanzig Jahre her, daß mir die Erzählung, die Sie lesen sollen, gemacht worden ist; wundern Sie sich also nicht, mein lieber Leser, wenn ich mich beim Erzähler substituire und er statt ich sage.

Seit jener Zeit ist Herr Gustave einer der ausgezeichnetsten Künstler von Paris geworden. Die Einzelheiten, welche hier folgen sollen. werden also, wie wir hoffen, nicht ohne Interesse für Sie sein.

I

Herr Gustave. – Sein Theatername, sein wahrer Name. – Seine Geburt, seine Mutter, sein Vater, seine erste Jugend. —

Herr Gustave hieß nur Gustave vor den Menschen; das war sein Theatername; vor Gott hieß er Etienne Marin.

Er war geboren in Caen, in der Rue des Carmes, im Jahre 1808; er zählte folglich 1833, zu welcher Zeit ich seine Bekanntschaft sachte, vierundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahre.

Körperlich ist er dem Leser bekannt und ich brauche daher sein Porträt nicht mehr zu geben.

Befragte er seine Erinnerungen, so sah er sich in weitester Entfernung in den Armen einer guten Frau mit seinem wenigstens zwei Jahre jüngeren Bruder Adolphe.

Die gute Frau und die zwei Kinder standen an einem Krankenbette.

In diesem lag eine Sterbende, die Augen vom Fieber entflammt die Zähne an einander gepreßt. Sie zog von dieser Gruppe, die sie nicht erkannte, eine Weintraube zurück und sagte mit einem kurzen, abgestoßenen Tone:

»Das ist für meine Kinder! Das ist für meine Kinder!«

Ein Mann in halb militärischer Tracht saß auf einer Bank beim Kamin und hielt seinen Kopf in seinen Händen.

Diese Sterbende war die Mutter des kleinen Etienne und des kleinen Adolphe; dieser Mann war ihr Vater.

Wir werden dem Kinde seinen Namen Etienne lassen, bis es sich selbst umtauft, um den Namen Gustave anzunehmen.

Das Kind hatte keine andere Erinnerung an seine Mutter als die, welche ihm in einer Entfernung von zwanzig Jahren durch die Dunkelheit dieser Nacht des Sterbekampfes erschien.

Doch diese Erinnerung war so gegenwärtig, daß er, wie er sagte, nach zwanzig Jahren die Scene hätte zeichnen und seine Mutter vollkommen ähnlich machen können.

Uebrigens entsann er sich keines andern Umstandes mehr, weder der letzten Oelung, noch des Todes, noch der Beerdigung mochte man ihn nun durch Entfernung der Reihenfolge dieser traurigen Schauspiele entzogen haben, oder hatte sie sein zu schwaches Gedächtniß entschlüpfen lassen, wie die Hand durch die Spalte der Finger Tropfen um Tropfen das Wasser ablaufen läßt. das sie aus einem Bache geschöpft hat.

Der Vater, den man nie mit seinem Familiennamen, sondern immer den Vater nannte, war zur Zeit, wo wir ihn erscheinen sehen, ein Mann von vierzig bis fünf und vierzig Jahren, Freiwilliger von 92, Soldat vom Lager von Lune, emsiger Kriegsschautspieler, der seine Rolle bei unseren ersten Siegen spielte.

Er hatte den Dienst 1806 verlassen und sodann diejenige geheirathet, welche so frühe gestorben war; er besaß zwei Kinder, von denen das eine seiner Mutter bald ins Grab folgen sollte, von denen das andere unser Held ist.

Er war ein Mann von hohem Wachse, mit starker Stimme und mächtigen durchdringendem Blicke. Er hatte schon weiße Haare, aber seine Augenbrauen und sein Bart deuteten, vollkommen schwarz, an, daß er noch in der Kraft des Alters.

Als er den Dienst quittirt, erhielt er den Posten eines Douanier mit einem Gehalte von sechshundert Franken. Zu jener Zeit waren die Douaniers eine Art von Soldaten: sie trugen einen grünen Rock, einen dreieckigen Hut, den Säbel an der Seite, den Carabiner auf der Schulter und Pistolen im Gürtel. Sie mußten, auf den Küsten der Normandie besonders, jeden Augenblick bereit sein, Flintenschüsse mit den Corsaren und den englischen Schmugglern zu wechseln, welche ihrerseits immer bereit waren, an unsern Ufern zu landen.

Seinen Dienst, der streng war, – denn er hielt ihn zuweilen acht Tage, zuweilen vierzehn Tage, zuweilen einen Monat von Hause entfernt, – seinen Dienst, sagen wir, der streng war, und dessen Pflichten er gewissenhaft erfüllte, verrichtete er, der Mann, den man nie hatte lachen sehen, mit einem ewigen Geträller im Munde. Allerdings war das Lied, das er mehr brummte, als sang, ein gräßliches Lied, welches bei Balmy und Jemappes denjenigen, die es hörten, den Tod brachte.

Dieses Lied war die Marseillaise.

Als die Bourbonen auf das Kaiserreich folgten, fuhr der Vater fort, sein Lied zu singen; doch man war so sehr daran gewöhnt, den Einen nicht zu sehen, ohne das Andere zu hören, daß man nicht darauf merkte.

Hatte er nicht den Dienst auf der Küste, und nach 1815 als der Friede mit England unterzeichnet war wurde sein Geschäft minder beschwerlich, – hatte er nicht den Dienst auf der Küste, so trug er Sorge für die Kinder, und nie sorgte eine Kammerfrau oder die Gouvernante von vornehmen Hause besser für Fürstenkinder.

Die Kinder waren immer gleich gekleidet; ihre Tracht hatte etwas Milltärisches; sie trugen Seemannsjacken mit einer doppelten Reihe von runden Knöpfen, wie sie die Husaren haben, dunkelfarbige Beinkleider und Holzschuhe im Winter, weiße Beinkleider und Halbstiefel im Sommer.

Nur waren die Holzschuhe von einer besonderen Zierlichkeit, welche den Kindern ungemein schmeichelte, weil sie dieselben von ihren Kameraden unterschied; das Vordertheil war oben mit einem Stücke Leder, alten Stiefelschäften entlehnt, bedeckt und mit englischer Wichse glänzend gemacht. Es versteht sich, daß der alte Grenadier seine Wichse selbst bereitete und sie aus ihm bekannten Ingredienzien, Wohlthätern und Freunden des Leders, das sie erhielten und weich machten, zusammensetzte.

Alle Jahre um Ostern legten die Kinder die Holzschuhe ab und bekamen dafür ein Paar neue lederne Halbstiefel.

Diese Schuhe mußten bis zum Winter halten.

Wie war aber auch der Vater besorgt für diese Jacken mit den messingenen Knöpfen, für diese Holzschuhe mit ledernem Besatze, für diese an Ostern neue Halbstiefel, welche an Allerheiligen abgetragen, aber immer noch glänzend waren.

Jeden Morgen war er vor Tagesanbruch auf, Jacken und Beinkleider, Holzschuhe oder Halbstiefel wurden aus dem Hause getragen, Schuhe oder Halbstiefel gewichst, Beinkleider und Jacken gebürstet. Knöpfe mit der größten Geduld polirt.

Alles das glänzte in der aufgehenden Sonne. Dann ließ man die Kinder ausstehen. Im Winter wie im Sommer setzte man sie ins kalte Wasser, und mit rother Haut im Winter, mit weißer im Sommer schlüpften sie in ihre Kleider.

Gehen wir nun vom Hauptbewohner zum Hause über.

Das Haus verdient wohl eine besondere Erwähnung.

Das wird ein Gemälde von Gerhard Dow oder Mieris sein, welches, wie wir hoffen, geduldig auf einen Stich von Tallot warten macht.

II

Das Haus des Vaters

Das Innere des Hauses bestand aus einer großen Stube und einem Cabinet.

Diese Stube wurde durch einen ungeheuren Kamin geheizt.

Dieser Kamin war geschmückt mit einer Pendeluhr mit einer Zwiebel in der Mitte; auf jeder Seite dieser Pendeluhr, und die Augen auf sie geheftet, bockten zwei Löwen von Tannenholz mit krausen Mähnen, Troddelschweifen, und einen angenehmen Harzgeruch um sich her verbreitend. Ein wenig davon entfernt, – die Pendeluhr war immer der Mittelpunkt dieser Schmückung, – erhoben sich zwei messingene Leuchter, glänzend wie Spiegel, und in diesen Leuchtern waren zwei Kerzen, welche nur ein einziges Mal angezündet gesehen zu haben das Kind sich erinnert; wir werden sagen, bei welcher Veranlassung. Die Garnitur wurde vervollständigt durch eine Flasche und eine kleine chinesische Vase.

Alles Feuergeräth war von Eisen und glänzte wie der Lauf des Carabiners und der Pistolen des Vaters; das Feuergitter war ein Viertelsreif der einst als Beschläge an einem Rade gedient hatte; der Schlosser hatte ihn in der Schmiede neu bearbeitet, die Löcher durch Hammerschläge verstopft, und ihn, seine gewölbte Form beibehaltend, damit er allein stehen konnte, polirt.

Ein ungeheures Bett von Eichenholz hob sich, von der Thürschwelle aus, in der Perspective gesehen, mit seinen grünen Sarschevorhängen von einer Wand ab, welche nie mit einer Tapete bedeckt gewesen und nur mit Sand und Kalk getüncht war. Von Zeit zu Zeit zog eine kleine Muschel, ein Ueberrest von einer erloschenen Welt, die einst diesen Sand bewohnt hatte, das Auge der Kinder an, und diese belustigten sich damit, daß sie dieselbe mit der Spitze eines Messers aus der Wand ausgruben und vertilgten.

In der andern Ecke, parallel mit dem großen Bette, war das schmälere und besonders kürzere Bett der zwei Kinder, welche beisammen schliefen.

Ein großer Tisch von massivem Mahagoniholz stand mitten in der Stube; er war umgeben von Strohstühlen mit blau-grau angemaltem Gestell. Zwölf Stühle waren unveränderlich aufgestellt: drei um den Tisch; sieben längs der Wand, einer vor einem Secretär, an welchem der Vater seine Berichte schrieb, und einer beim Kamin, einem hölzernen Bänkchen gegenüber.

Wurden diese Stühle aus irgend einem Grunde, wegen eines Besuches, eines Frühstücks, eines Mittagsmahles oder einer einfachen Erfrischung, verrückt und der Grund war verschwunden, so nahmen die Stühle unveränderlich wieder den gewohnten Posten ein, und man hätte glauben sollen, sie kehren, wie in den Zauberstücken, von selbst an ihren Platz zurück.

Vier Rahmen von schwarzem Holze, welche vier Stiche, die Vier Jahreszeiten vorstellend, enthielten,« bildeten die artistische Zierrat der vier Wände.

Die militärische Zierath bildete eine Trophäe aus dem Carabiner, den Pistolen und dem Säbel des Vaters bestehend.

Ein großer eichener Schrank vervollständigte das Mobiliar.

Als die Mutter gestorben war, – ihr Tod mußte sich im Jahre 1811 ereignen, – als die Mutter gestorben war und der Vater den Dienst auf der Küste bekam, schloß man das Haus, und die zwei Kinder wurden in Pension zu zwei Demoiselles gegeben, welche eine Schule in Caen hatten: man nannte sie Mademoiselle Meulan und Mademoiselle Poupinette.

Die zwei Kinder, welche hinzukamen, schliefen in einem Zimmer mit den zwei alten Jungfern.

Doch, wie gesagt, diese Abwesenheiten hörten mit dem Kaiserreiche auf. Der Friede erlaubte den Küsten, sich ganz allein zu bewachen, oder wenigstens, sich mit ihren gewöhnlichen Wachen zu begnügen, und die längsten Dienstrunden dauerten nur vierundzwanzig, achtundvierzig, höchstens zweiundsiebzig Stunden.

Während dieser Stunden brachten die Kinder den ganzen Tag bei den zwei Schullehrerinnen zu: aber man führte sie am Abend zurück, und sie schliefen in dem großen Bette, was ein Fest für sie war.

Oft kam der Vater bei Nacht nach Hauses doch halb vermöge des guten Schlafes, der der Wiederherstellungsengel der Kräfte der Kindheit ist, halb vermöge der Vorsichtsmaßregeln, die der alte Soldat, zärtlich wie eine Mutter, nahm, um seine zwei Söhne nicht aufzuwecken, bemerkten diese die Rückkehr des Vaters erst am andern Morgen, wenn sie auf dem Boden die kothige Verlassenschaft des Douanier sahen; auf dem Mahagonitische gewahrten sie seinen Säbel, seinen Carabiner, seine Pistolen, und im Bette der Kinder den Douanier selbst, dessen auf einen Stuhl gelegten Beine um anderthalb Fuß über die Matratze hinausgingen und ihnen durch die Vergleichung noch viel größer schienen.

Und dann erhoben sich die Kinder halb nackt, stiegen geräuschlos aus dem großen Bette, näherten sich dem kleinen und betrachteten mit großen Augen den republikanischen Riesen, erstaunt, wie jene Bauern von Virgil beim Anblick der gewaltigen Knochen, die die Pflugschaar aus den fruchtbaren Ebenen zog, welche Schlachtfelder gewesen waren.

Der Vater war für sich selbst indevot: er nannte die Priester Pfaffen und die Mysterien der Religion Albernheiten. Er fing indessen zuweilen in die militärische Messe und schickte regelmäßig die Kinder zum Hochamt. Die Kinder verfehlten nicht, ein Stück geweihtes Brod daraus zurückzubringen. Der Vater legte sodann seine Pfeife aus den Mahagonitisch oder auf den Secretär, nahm das Brod zart zwischen den Zeigefinger und den Daumen der rechten Hand, zog mit der linken Hand seine Polizeimütze oder seinen Hut ab, machte das Zeichen des Kreuzes mit dem geweihten Brode. Schob es in seinen Mund und verschluckte es, indem er es so wenig als möglich zermalmte.

Alles dies geschah in drei Tempi auf militärische Weise.

Doch schon waren die Kinder herangewachsen und aus den Händen der zwei alten Jungfern in die eines ehemaligen Unterofficiers übergegangen, der, da er die Tochter eines Professors geheirathet, eine Schule gegründet hatte, wo der Schwiegervater das Lateinische und das Französische lehrte, während der Schwiegersohn Lectionen in der Geographie und in der Mathematik gab.

An den Abenden, wo der Vater nicht im Dienste war, gingen Vater und Kinder um acht Uhr im Winter und um neun Uhr im Sommer zu Bette, und Alles schlief bis zum Tage, der gewöhnlich mit seinem ersten Strahle die Augen von Jedermann wieder öffnete.

An den Tagen oder vielmehr in den Nächten, wo der Vater wachte, machten ihm gewöhnlich die Kinder einen Besuch in der Wachstube, welche am Ufer des Flusses lag.

Um zehn Uhr, manchmal um elf Uhr, – und sogar um Mitternacht, aus besonderer Gnade und wenn die Douaniers, die Kameraden des Vaters, sich an dem Geplauder der zwei Kinder belustigten, – schickte man sie zum Schlafengehen nach dem Hause, dessen Schlüssel man ihnen anvertraute unter der Bedingung, daß sie weder Feuer, noch Licht anzünden würden.

Die Kinder entfernten sich sodann, jedoch mit einem sichtbaren Widerwillen; sie baten, in der Wachstube bleiben und aus dem Feldbette schlafen zu dürfen, eine Bitte, die ihnen unbarmherzig abgeschlagen wurde.

Der Vater führte sie bis zur Thüre zurück und sagte zu ihnen: »Geht!« Die Kinder gingen, ohne das weiter zu widerstreben wagten, und der Vater schloß die Thüre hinter ihnen.

Sie marschirten Anfangs sachte, flüsterten leise, und suchten in den dunklen, nebeligen Nächten eine unentschiedene Form, die sich am Himmel zeichnete, – in den vom Monde erleuchteten Nächten, hatten sie nicht nöthig, etwas zu suchen, – diese Form hob sich kräftig oder klar, je nachdem sie im Schatten oder im Lichte war, vom gestirnten Azur des Firmamentes ab.

Diese Form war die eines hohen Thurms, und es geschah zuweilen, daß die zwei Fenster seiner Spitze, von einem röthlichen Feuer erleuchtet, wie Wehrwolfsaugen glänzten

Die Kinder waren genöthigt, am Fuße dieses Thurmes vorbeizugehen.

Wenn sie nur noch zwanzig Schritte vom Granitriesen, der in der Dunkelheit mit der Majestät der unbeweglichen Dinge emporragte, entfernt waren, nahmen sie sich bei der Hand und liefen, ohne ein Wort, ohne ein anderes Geräusch, als das, welchen ihrer keuchenden Brust entschlüpfte, unaufhaltsam bis sie am Hause angekommen waren. Hier erst blieben sie stehen; derjenige welcher den Schlüssel hatte, steckte ihn mit einer zitternden Hand ins Schloß, der Schlüssel drehte sich den Riegel ergreifend, die Thüre öffnete sich, die Knaben traten rasch ein, und der Muthigere, das heißt der Aeltere schloß die Thüre wieder.

Dann kleidete man sich rasch aus, man legte sich in einem Nu zu Bette, man schwatzte noch einen Augenblick leise; bald aber erlosch das Geplauder und es Folgte darauf ein doppeltes Athmen, sanft und rein, wie das von zwei entschlummerten Tauben.

Warum machte nun dieser Thurm den Kindern so sehr bange? Was hatte dieser Thurm Erschrecklicheres, als jeden andere Gebäude? Woher kam es, daß die zwei Kinder, welche doch sonst nicht furchtsam waren, so stark zitterten und so schnell liefen, wenn sie am Fuße dieses Thurmes vorbeigehen mußten?

Wir wollen es sagen.

Dieser Thurm hieß der Thurm des Amphiteaters; in diesem Thurme versammelten sich, um die Todten der Hospitäler von Caen zu seciren, die Studenten der Medicin. Die Tradition versicherte, diese glühenden Schüler der Wissenschaft studiren nicht nur in anima vili, sondern es liefern ihnen auch Entheiliger der Kirchhöfe Todte, die an Krankheiten verschieden, welche aristokratischer als die, die den Armen zu treffen pflegen und in den Hospitälern herrschen.

Die zwei glänzenden Augen des Thurmes waren entflammt durch das innere Licht, bei dessen Helle die Studenten arbeiteten.

Die schwarzen, krächzenden Raben, die sich vom Morgen bis zum Abend in einem unheimlichen Wirbel um die Spitze des Thurmes drehten, was suchten sie hier? was forderten sie mit heftigem Geschrei, wenn man sie warten ließ? Die Fetzen Menschenfleisch, die ihnen so reichlich Nahrung lieferten, daß sie, wenn sie ihre Tafel auf der Spitze des Thurmes halten, ihr Futter nicht anderswo zu suchen brauchten.

Das war es, was den Kindern bange machte, wenn sie am Fuße dieses Thurmes vorüberkamen; das ließ sie bleicher werden; das machte reichlicher den Schweiß von ihren eiskalten Stirnen fließen, besonders wenn sie auf ihren Wege einem verspäteten Arbeiter begegneten, der eine Last trug; denn sie hielten diesen Arbeiter für einen Todtendieb! denn sie hielten diese Last für eine Leiche!

Ein Lied der Leute vom Hafen, ein Lied so häßlich, so erschrecklich als die Sache, auf die es sich bezog, bestätigte die Tradition und erhob sie zum Range der Legende

Dieses Lied heißt:

 
C’est à l’Amphitéâtre
Qu’y a des écorheux,
Tant mieux!
 
 
Qu’ecochent les bell’ dames
Ainsi que les beaux messieux,
Tant mieux!1
 

Wie der Vater Tag und Nacht die Marsellaise trällerte, so erwachte dieses unglückliche Lied der Ecorcheux mit dem Schimmer der ersten Sterne im Geiste der Kinder, die es, wenn sie es nicht trällerten, wenigstens beständig im Gedächtniß gegenwärtig hatten.

Der Aeltere von den Knaben hatte indessen sein zwölftes Jahr erreicht und der Jüngere sollte sein zehntes erreichen, als dieser eines Abends sich über heftiges Kopfweh beklagte und sich früher als gewöhnlich zu Bette legte.

Man hielt dieses Kopfweh für eine Unpäßlichkeit ohne Folge, und man schenkte diesem Umstande keine große Aufmerksamkeit.

Am andern Tage wollte Adolphe aufstehen: man ließ ihn gewähren; doch er konnte nur eine Stunde aufbleiben.

Nach einer Stunde ging er ganz schwankend wieder zu Bette. Fünf Minuten nachher klapperten seine Zähne; er hatte das Fieber. In der darauf folgenden Nacht sang er das Lied der Ecorcheux. Er hatte das Delirium.

Man ließ den Arzt kommen. Der Knabe war von einer Hirnentzündung befallen.

Was auch der Mann der Wissenschaft that, es war zu spät. Am fünften Tage der Krankheit erklärte er dem Vater, jede Hoffnung, das Kind zu retten, sei verloren.

Der Vater beugte unter diesem Worte einen Kopf, der sich nie unter dem Pfeifen der Kugeln gebeugt hatte, wischte eine Thräne ab, die einzige, die ihn der kleine Etienne hatte vergießen sehen, wandte sich gegen die Frau um, welche die zwei Kinder an das Bett ihrer Mutter in jener Nacht gestellt, wo die Mutter selbst das Delirium gehabt hatte, und sagte:

»Holt den Priester.«

Die Frau ging hinaus.

Eine Stunde nachher ertönte das Glöckchen der letzten Oelung in der Rue des Carmes, die Thüre der großen Stube öffnete sich und entblößte das kleine Bett der Kinder, beleuchtet durch die zwei jungfräulichen Kerzen vom Kantine, welche die eine am Haupte, die andere am Fuße des Bettes in ihren großen messingenen Leuchtern, von denen jeder auf einem Stuhle stand, brannten.

Es war Abends neun Uhr; das Fieber hatte das Kind verlassen und dieses schien eingeschlafen zu sein.

Der Priester trat ein, gefolgt von zwei Chorknaben, welche Kerzen trugen, und vom Kirchendiener, der das Kreuz trug.

Hinter ihnen ging jener fromme Theil der Einwohnerschaft, der immer bereit ist, seine Gebete ans Bett der Sterbenden zu bringen.

Der Vater nahm seine Mütze ab, als er den Priester, die Chorknaben und den Kirchendiener erblickte, kniete nieder und ließ Etienne an seine Seite knieen.

Die heilige Ceremonie ging in Erfüllung; die Füße und die Stirne des Sterbenden wurden mit dem Chrisam gesalbt; hiernach entfernte sich der Priester, wie er eingetreten war, gefolgt von den Chorknaben und den zwölf bis fünfzehn Gläubigen, welche für das Kind um einen glücklichen und leichten Uebergang von dieser Welt in jene gebetet hatten.

Die Thüre schloß sich wieder hinter dem Letzten von ihnen. Der Vater und der Bruder blieben allein bei dem Sterbenden.

Der Vater stand sodann auf, löschte die zwei Kerzen aus, stellte die Leuchter wieder auf den Kamin an ihren gewöhnlichen Plan, und setzte sich auf das Bänkchen dem Feuer gegenüber, das allein noch die Stube erleuchtete.

Der kleine Etienne setzte sich zu seinem Vater.

Der Vater stützte seine Ellenbogen auf seine Kniee und versenkte seinen Kopf in seine Hände; sein Gesicht war verschleiert wie das von Agamemnon.

Das Kind saß, die Hände auf seinem Schooße ausgestreckt, da.

Der Wiederschein des Herdes beleuchtete diese zwei wie Statuen unbeweglichen Gestalten und spielte zitternd an der Wand gegenüber.

Nur dehnte er sich nicht weit genug aus, um die Finsterniß der Ecke zu zerstreuen, in der das Bett des Kindes stand.

Alles schwieg in der Stube, wo der doppelte Schmerz wachte.

Man fühlte, daß der Tod nicht mehr fern war.

Plötzlich unter dieser unheimlichen Stille, erhob sich ein sanftes, liebkosendes, klares Stimmchen, vom Bette herkommend.

Es war die Stimme des Kindes.

»Vater,« sagte sie mit einem Ausdrucke der Angst, der sich nicht schildern läßt, »sprich, die Schinder vom Amphitheater, welche die schönen Herren und die schönen Damen schinden, schinden sie auch die kleinen Knaben wie mich?«

Etienne schauerte und fing an zu weinen.

Der Vater stand auf, und die Hand an der Kehle, als hätte er eine unsichtbare Zange davon entfernen wollen, sank er auf das Bett des Kindes und erwiederte:

»Nein, nein, mein Kind, sei ruhig! überdies wache ich über Dich.«

»Ich danke, Vater,« sagte die sanfte Stimme des Kindes.

Das waren die letzten Worte, die Etienne seinen Bruder sprechen hörte.

Eine Stunde nachher fing der Sterbende an zu röcheln.

»Geh zur Tante,« sagte zu Etienne der Vater der nicht wollte, daß er Zeuge vom Todeskampfe und vom Tode seines Bruders sein sollte.

Das Kind gehorchte, ohne ein Wort zu erwiedern.

Zum Glück brauchte man, um zur Tante zu gehen, nicht am Fuße des Thurmes zu passiren.

Nach dem, was Etienne seinen Bruder hatte sagen hören, würde er eher die Nacht auf der Thürschwelle zugebracht, als dem Granitriesen getrotzt haben.

1.Im Amphitheater gibt es Schinder, desto besser!
  welche die schönen Damen schinden, sowie die schönen Herren, desto besser!