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Kitabı oku: «Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3», sayfa 20

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XXVI.
Wie der König am 14. Juli 1789 zu Abend speiste

Auf ein Wort von Marie Antoinette wurde dem König auf einem kleinen Tische im Kabinett der Königin aufgetragen. Aber es geschah dann ganz das Gegenteil von dem, was die Königin gehofft hatte. Ludwig XVI. ließ Stillschweigen gebieten, doch nur, um in seinem Abendbrot nicht gestört zu werden.

Während Marie Antoinette sich alle Mühe gab, um den Enthusiasmus anzufachen, verschlang der König.

Die Offiziere fanden diese gastronomische Sitzung nicht würdig eines Abkömmlings vom heiligen Ludwig und bildeten Gruppen, deren Gedanken durchaus nicht so ehrerbietig waren, als die Umstände es heischten.

Die Königin errötete, ihre Ungeduld offenbarte sich in allen ihren Bewegungen. Diese feine, aristokratische, nervöse Natur konnte eine solche Herrschaft der Materie über den Geist nicht begreifen. Sie näherte sich dem König, um diejenigen, welche sich vom Tische entfernten, dahin zurückzuführen.

»Sire,« sagte sie, »haben Sie keine Befehle zu geben?«

»Ah! ah!« erwiderte der König mit vollem Munde, »was für Befehle, Madame? Werden Sie in diesem Augenblick unsre Egeria sein?«

Und während er diese Worte sprach, nahm er mutig ein junges Feldhuhn mit Trüffeln in Angriff.

»Sire,« sagte die Königin, »Numa war ein friedlicher König. Heute aber denkt man allgemein, wir brauchen einen kriegerischen König, und wenn sich Eure Majestät das Altertum zum Muster nehmen soll, so muß sie, da sie nicht Tarquinius sein kann, Romulus sein.«

Der König lächelte mit einer Ruhe, die an Glückseligkeit grenzte.

»Sind diese Herren auch kriegerisch?« fragte er.

Und er wandte sich gegen die Offiziere um, und sein von der Hitze des Mahles belebtes Auge kam den Anwesenden von Mut glänzend vor.

»Ja, Sire!« riefen alle einstimmig, »den Krieg! wir verlangen nur den Krieg!«

»Meine Herren, meine Herren,« sprach der König, »Sie machen mir in der That das größte Vergnügen, indem Sie mir beweisen, daß ich bei Gelegenheit auf Sie zählen kann. Aber ich habe für den Augenblick einen Rat und einen Magen: der erste wird mir raten, was ich thun soll, der zweite rät mir, was ich thue.«

Und er lachte und reichte demjenigen, welcher ihn bediente, seinen Teller voll von Überresten, um einen frischen zu nehmen.

Ein Gemurmel des Erstaunens und des Zorns durchlief wie ein Schauer diese Menge von Edelleuten, die auf ein Zeichen des Königs all ihr Blut vergossen hätten.

Die Königin wandte sich ab und stampfte mit dem Fuß. Der Prinz von Lambescq ging auf sie zu und sagte zu ihr:

»Sie sehen, Madame, Seine Majestät denkt ohne Zweifel wie ich, es sei besser, zu warten. Das ist Klugheit, und obgleich es nicht die meinige ist, so ist die Klugheit doch leider eine in unsern Zeitläuften notwendige Tugend.«

»Ja, mein Herr, ja, sie ist eine sehr notwendige Tugend,« erwiderte die Königin, indem sie sich auf die Lippen biß.

Und traurig zum Tod, lehnte sie sich an den Kamin an, das Auge in der Nacht verloren, die Seele in Verzweiflung versenkt.

Diese zwiespältige Stimmung des Königs und der Königin fiel aller Welt auf. Die Königin hielt nur mit Mühe ihre Thränen zurück. Der König aß mit jenem sprichwörtlichen Appetit der Familie Bourbon fort.

Nach und nach entstand auch eine Leere im Saal. Die Gruppen schmolzen, wie in den Sonnenstrahlen der Schnee in den Gärten schmilzt, der Schnee, unter dem sodann stellenweise die schwarze, trostlose Erde erscheint.

Als die Königin die kriegerische Gruppe verschwinden sah, auf die sie so sehr gerechnet hatte, glaubte sie ihre ganze Macht verschwinden zu sehen. Aus dieser Erstarrung wurde sie durch die sanfte Stimme der Gräfin Jules aufgeweckt, die sich ihr mit Frau Diana von Polignac, ihrer Schwägerin, näherte.

Beim Tone dieser Stimme erschien die süße Zukunft, mit ihren Blumen und ihren Palmen, wieder im Herzen dieser stolzen Frau; eine aufrichtige und wahrhaft ergebene Freundin war mehr wert, als zehn Königreiche.

»Oh! du, du,« murmelte sie, die Gräfin Jules in ihre Arme schließend, »es bleibt mir also eine Freundin?«

Und lange zurückgehalten, entschlüpften die Thränen ihren Augenlidern, rollten an ihren Wangen herab und übergossen ihre Brust; doch statt bitter zu sein, waren diese Thränen süß, statt zu bedrücken, erleichterten sie ihr Herz.

Während eines kurzen Stillschweigens, das nun eintrat, hielt Marie Antoinette die Gräfin beständig in ihren Armen.

Die Herzogin, ihre Schwägerin an der Hand haltend, brach das Stillschweigen.

»Madame,« sagte sie mit einer so schüchternen Stimme, daß sie beinahe beschämt klang, »ich glaube nicht, daß Eure Majestät den Plan tadelt, den ich ihrem Urteil unterwerfen will.«

»Welchen Plan?« fragte die Königin aufmerksam; »sprechen Sie, Herzogin, sprechen Sie!«

Und während sie sich anschickte, auf die Herzogin Diana zu hören, lehnte sich die Königin auf die Schulter der Gräfin.

»Madame,« fuhr die Herzogin fort, »die Meinung, die ich aussprechen will, kommt von einer Person, deren Autorität Eurer Majestät nicht verdächtig sein wird, sie kommt von Ihrer Königlichen Hoheit Madame Adelaide, der Tante des Königs.«

»Welche Umschweife, liebe Herzogin,« sagte die Königin heiter, zur Sache.

»Madame, die Umstände sind traurig. Man hat die Gunst, der sich unsre Familie bei Eurer Majestät erfreut, sehr übertrieben. Die Verleumdung befleckt die erhabene Freundschaft, die Sie uns im Austausch für unsre ehrfurchtsvolle Ergebenheit huldreich bewilligen.«

»Nun!« versetzte die Königin mit einem Anfang von Erstaunen, »finden Sie nicht, daß ich herzhaft genug gewesen bin? Habe ich nicht gegen die öffentliche Meinung, gegen den Hof, gegen das Volk, selbst gegen den König meine Freundschaften aufrecht erhalten?«

»Oh! Madame, im Gegenteil, Eure Majestät hat ihre Freunde so edelmütig in Schutz genommen, daß sie ihre Brust allen Streichen entgegengesetzt, so daß heute, da die Gefahr groß, sogar furchtbar ist, die von Eurer Majestät so edel verteidigten Freunde feige und schlechte Diener wären, wenn sie nicht ihrer Königin Gleiches mit Gleichem vergelten würden.«

»Oh! das ist gut, das ist schön,« sagte Marie Antoinette, indem sie die Gräfin, die sie immer noch an ihre Brust gepreßt hielt, voll Begeisterung küßte und Frau von Polignac die Hand drückte.

Aber statt das Haupt unter dieser Liebkosung ihrer Königin stolz zu erheben, sah man beide erbleichen.

Madame Jules Polignac machte eine Bewegung, um sich von den Armen der Königin loszuwinden, doch diese hielt sie gegen ihren Willen an ihrem Herzen zurück.

»Aber,« stammelte Diana von Polignac, »Eure Majestät begreift wohl nicht recht, was wir ihr anzukündigen die Ehre haben, um die Schläge abzuwenden, die ihren Thron, ihre Person, vielleicht wegen der Freundschaft, mit der sie uns beehrt hat, bedrohen. Es ist ein schmerzliches Mittel, ein für unsre Herzen bitteres Opfer, wir müssen uns jedoch demselben unterziehen, denn es ist uns von der Notwendigkeit geboten.«

Bei diesen Worten war die Reihe, zu erbleichen, an der Königin. Denn sie fühlte nicht mehr die mutige und treue Freundschaft, sondern die Furcht; aus dieser Einleitung sprach die Furcht, unter dem Schleier dieser schüchternen Zurückhaltung war die Angst versteckt.

»Lassen Sie hören, Herzogin,« sagte sie, »sprechen Sie, was für ein Opfer ist das?«

»Oh! es ist durchaus nur ein Opfer für uns, Madame,« antwortete die Herzogin. »Wir sind, Gott weiß warum, in Frankreich verhaßt. Indem wir Ihren Thron von unsrer Last befreien, werden wir ihm den Glanz, die ganze Wärme der Liebe des Volkes wiedergeben, eine Liebe, die durch unsre Gegenwart erstickt oder zurückgedrängt worden ist.«

»Sie sollen sich entfernen,« rief die Königin betroffen aus, »wer hat das gesagt? wer hat das verlangt?«

Und sie schaute die Gräfin, die den Kopf senkte, voll Bestürzung an, und schob sie sanft mit der Hand von sich.

»Ich nicht, erwiderte die Gräfin Jules. Ich verlange im Gegenteil zu bleiben.«

Doch diese Worte wurden mit einem Ton gesprochen, der besagen wollte: Befehlen Sie mir zu reisen, Madame, und ich werde reisen.

O heilige Freundschaft, heilige Kette, die aus einer Königin und einer Dienerin zwei unauflöslich verbundene Herzen machen kann! O heilige Freundschaft, welche Heroismus übt, als die Liebe, als der Ehrgeiz, diese edlen Krankheiten des menschlichen Herzens! Diese Königin zerbrach plötzlich den goldenen Altar, den sie dir in ihrem Herzen errichtet hatte: sie bedurfte nur eines Blickes, eines einzigen um zu sehen, was sie seit zehn Jahren nicht wahrgenommen hatte: Kälte und Berechnung, entschuldbar, zu rechtfertigen, legitim vielleicht, aber entschuldigt, rechtfertigt, legitimiert etwas das Verlassen in den Augen desjenigen von zwei Wesen, welche noch liebt, während das andere zu lieben aufhört?

Marie rächte sich für den Schmerz, den sie empfand, nur durch den eiskalten Blick, mit dem sie ihre Freundin umhüllte.

»Ah! Herzogin Diana, das ist Ihre Ansicht?« sagte sie, während sie ihre Brust mit ihrer fieberhaften Hand zusammenpreßte.

»Ach! Madame,« erwiderte diese, »es ist nicht meine Wahl, es ist nicht mein Wille, der mir diktiert, was ich zu thun habe, es ist das Gebot des Geschicks.«

»Ja, Herzogin,« sprach Marie Antoinette. Und sich zur Gräfin Jules umwendend: »Und Sie, Gräfin, was sagen Sie?«

Die Gräfin antwortete durch eine Thräne, so brennend wie ein Gewissensbiß, doch ihre ganze Kraft hatte sich in der Anstrengung, die sie gemacht, erschöpft.

»Gut,« sagte die Königin, »gut; es ist mir süß, zu sehen, wie sehr ich geliebt bin. Ich danke, meine Gräfin, ja, Sie sind hier Gefahren preisgegeben, ja, die Wut dieses Volkes kennt keinen Zügel; ja, Sie haben recht, und ich allein war wahnsinnig. Sie verlangen, zu bleiben, das ist Aufopferung, aber ich nehme diese Aufopferung nicht an!«

Die Gräfin Jules schlug die Augen zur Königin auf. Doch statt die Ergebenheit der Freundin darin zu lesen, las die Königin nur die Schwäche des Weibes.

»Herzogin,« sagte Marie Antoinette, »Sie sind also entschlossen, abzureisen?«

Und sie legte einen besondern Nachdruck auf das Wort Sie.

»Ja, Eure Majestät.«

»Ohne Zweifel auf eines Ihrer Güter  . . . auf ein entferntes  . . . sehr entferntes.«

»Madame, um zu reisen, um Sie zu verlassen, sind fünfzig Meilen ebenso schmerzlich, als fünfhundert.«

»Sie gehen also ins Ausland?«

»Ach! ja, Madame.«

Ein Seufzer zerriß das Herz der Königin, kam aber nicht über ihre Lippen.

»Und wohin gehen Sie?«

»An den Rhein, Madame.«

»Gut. Sie sprechen deutsch, Herzogin,« sagte die Königin mit einem unbeschreiblich traurigen Lächeln, »und ich habe es Sie gelehrt. Die Freundschaft Ihrer Königin wird Ihnen wenigstens zu etwas genützt haben, und das macht mich glücklich.«

Dann wandte sie sich an die Gräfin Jules und sprach:

»Ich will Sie nicht trennen, meine liebe Gräfin. Sie wünschen zu bleiben, und ich schätze diesen Wunsch. Aber ich, die ich für Sie fürchte, will, daß Sie reisen, ich befehle Ihnen zu reisen.«

Und sie hielt an dieser Stelle inne, erstickt durch Gemütsbewegungen, die sie, trotz ihres Heldenmutes, vielleicht nicht die Kraft gehabt hätte zu bewältigen, wäre nicht plötzlich die Stimme des Königs an ihr Ohr gedrungen, der an allem, was wir hier erzählten, keinen Anteil genommen.

Seine Majestät war beim Nachtisch.

»Madame,« sagte der König, »es ist jemand bei Ihnen; man macht Sie darauf aufmerksam.«

»Aber, Sire,« rief die Königin, jedes andre Gefühl, als das der königlichen Würde, abschwörend, vor allem haben Sie Befehle zu geben. »Sehen Sie, es sind nur drei Personen hier geblieben, doch das sind diejenigen, mit welchen Sie zu thun haben: Herr von Lambescq, Herr von Bezenval und Herr von Broglie. Befehle, Sire, Befehle!«

Mit schwerfällig zögerndem Auge schaute der König auf.

»Herr von Broglie,« sagte er, »was denken Sie von alledem?«

»Sire,« antwortete der alte Marschall, »wenn Sie Ihre Armee aus der Nähe der Stadt Paris entfernen, so wird man sagen, die Pariser haben Sie geschlagen. Lassen Sie aber dieselbe in Ihrer Nähe, so muß Ihre Armee die Pariser schlagen.«

»Gut gesprochen!« rief die Königin, dem Marschall die Hand drückend.

»Gut gesprochen!« wiederholte Herr von Bezenval.

Der Prinz von Lambescq allein schüttelte stillschweigend den Kopf.

»Nun! und hernach?« sagte der König.

»Befehlen Sie: Marsch!« erwiderte der alte Marschall.

»Ja  . . . Marsch!« rief die Königin.

»Gut! da Sie es alle wollen: Marsch!« versetzte der König.

In diesem Augenblick übergab man der Königin ein Billet folgenden Inhalts:

»Um Gottes willen! keine Übereilung, Madame! Ich erwarte eine Audienz von Eurer Majestät.«

»Seine Handschrift!« murmelte die Königin.

Dann wandte sie sich um und fragte:

»Ist Herr von Charny bei mir?«

»Er kommt soeben ganz staubig und, ich glaube sogar, ganz blutig an,« antwortete die Vertraute.

»Einen Augenblick Geduld, meine Herren,« sagte die Königin zu Herrn von Bezenval und Herrn von Broglie; »erwarten Sie mich hier, ich kehre bald zurück.«

Und sie ging in größter Eile in ihr Boudoir.

XXVII.
Olivier von Charny

Als die Königin in ihr Boudoir eintrat, fand sie daselbst denjenigen, welcher das von der Kammerfrau überbrachte Billet geschrieben hatte.

Es war ein Mann von fünfunddreißig Jahren, von hoher Gestalt, mit einem Kraft und Entschlossenheit bezeichnenden Gesicht. Sein graublaues, lebhaftes Auge, so durchdringend wie das eines Adlers, seine gerade Nase, sein scharf ausgeprägtes Kinn gaben seiner Physiognomie einen martialischen Charakter, erhöht durch die Eleganz, mit der er das Kleid des Leutnants bei den Gardes-du-corps trug.

Seine Hände zitterten noch unter seinen zerrissenen und zerknitterten Battistmanschetten. Sein Degen war verbogen und fügte sich nicht mehr gut in die Scheide.

Bei der Ankunft der Königin ging er mit hastigen Schritten von tausend fieberhaften Gedanken bewegt, im Zimmer auf und ab.

Marie Antoinette trat gerade auf ihn zu.

»Herr von Charny!« rief sie, »Herr von Charny, Sie hier?«

Und als sie sah, daß er sich der Etikette gemäß ehrfurchtsvoll verbeugte, winkte sie einer Kammerfrau; diese entfernte sich und schloß die Thüre.

Die Königin ließ der Thüre kaum Zeit sich zu schließen, nahm Herrn von Charny kräftig bei der Hand und rief:

»Graf, warum sind Sie hier?«

»Weil ich glaubte, es sei meine Pflicht, zu kommen, Madame,« erwiderte der Graf.

»Nein; Ihre Pflicht war, Versailles zu meiden, zu thun, was beschlossen war, mir zu gehorchen, es zu machen, wie es alle meine Freunde machen, – die Angst vor meinem Glück haben . . . Ihre Pflicht ist, nichts meinem Geschick zu opfern; Ihre Pflicht ist, sich von mir zu entfernen, mich zu fliehen.«

»Sie zu fliehen! Und wer flieht Sie denn, Madame?«

»Diejenigen, welche vernünftig sind.«

»Ich glaube sehr vernünftig zu sein, und darum bin ich nach Versailles gekommen.«

»Und woher kommen Sie?«

»Von Paris, vom kochenden, trunkenen, mit Blut besudelten Paris.«

Die Königin drückte ihre beiden Hände an ihr Gesicht.

»Oh!« sagte sie, »nicht einer, nicht einmal Sie kommen, um mir eine gute Nachricht zu bringen!«

»Madame, unter den Umständen, in denen wir uns befinden, verlangen Sie von Ihren Boten, daß sie Ihnen nur eines verkündigen: die Wahrheit.«

»Wollen Sie mir die Wahrheit sagen?«

»Wie immer, Madame.«

»Sie sind eine ehrliche Seele, ein wackres Herz.«

»Ich bin ein treuer Unterthan, Madame, nichts andres.«

»Nun denn! ich bitte für den Augenblick, mein Freund, sagen Sie mir nicht ein Wort. Sie kommen zu einer Stunde, wo mein Herz bricht; meine Freunde erdrücken mich heute zum ersten mal mit der Wahrheit, die Sie mir immer gesagt haben. Oh! Graf, es war unmöglich, mir diese Wahrheit länger zu verschweigen, sie bricht in allem hervor: am Himmel, der rot ist, in der Luft, die sich mit dumpfen Geräuschen erfüllt, in der Physiognomie der Höflinge, die bleich und ernst sind. Nein! nein! Graf, zum ersten mal in Ihrem Leben sagen Sie mir nicht die Wahrheit.«

Der Graf schaute die Königin an.

»Ja, ja,« sagte sie, »nicht wahr. Sie, der Sie mich als mutig kennen. Sie erstaunen? Oh! Sie sind mit Ihrem Erstaunen noch nicht zu Ende!«

Herr von Charny machte eine fragende Gebärde.

»Sie werden sogleich sehen,« sagte die Königin mit einem nervösen Lachen.

»Eure Majestät leidet?« fragte der Graf.

»Nein, mein Herr, setzen Sie sich zu mir, und nicht ein Wort mehr über diese abscheuliche Politik  . . . Machen Sie, daß ich vergesse.«

Der Graf gehorchte mit einem traurigen Lächeln.

Marie Antoinette legte ihre Hand auf seine Stirne.

»Ihre Stirne glüht,« sagte sie.

»Ja, ich habe einen Vulkan im Kopfe.«

Ihre Hand ist eiskalt.

Und sie drückte die Hand des Grafen in ihren Händen.

»Mein Herz ist von der Kälte des Todes berührt,« sagte er.

»Armer Olivier, ich sagte es ihnen wohl, vergessen wir.Ich bin nicht mehr die Königin; ich bin nicht mehr bedroht; ich bin nicht mehr gehaßt! Nein, ich bin nicht mehr Königin! ich bin Weib. Was ist das Weltall für mich? Ein Herz, das mich liebt, das würde mir genügen.«

Der Graf kniete vor der Königin nieder und küßte ihr die Füße mit jener Ehrfurcht, welche die Ägypter für die Göttin Isis hegten.

»Oh! Graf, mein einziger Freund,« sprach die Königin, »während sie ihn aufzuheben suchte, wissen Sie, was mir die Herzogin Diana that?«

»Sie wandert aus,« antwortete Charny, ohne zu zögern.

»Er hat es erraten,« rief Marie Antoinette; »er hat es erraten! Ach! Man konnte das also erraten?«

»Oh! mein Gott, ja Madame,« erwiderte der Graf, »alles läßt sich in diesem Augenblick denken.«

»Aber Sie und die Ihrigen,« rief die Königin, »warum wandern Sie nicht ebenfalls aus, da das eine so natürliche Sache ist?«

»Ich, vor allem, Madame, thue es nicht, weil ich Eurer Majestät tief ergeben bin, und weil ich mir gelobt habe, nicht ihr, sondern mir selbst, sie nicht einen Augenblick während des Sturmes, der heranzieht, zu verlassen. Meine Brüder werden nicht auswandern, weil mein Benehmen das Beispiel sein wird, nach dem sie das ihrige richten; Frau von Charny endlich wird nicht auswandern, weil sie Eure Majestät – wenigstens glaube ich das – aufrichtig liebt.«

»Ja, Andrée ist ein sehr edles Herz,« sprach die Königin mit einer sichtbaren Kälte.

»Darum wird sie Versailles nicht verlassen,« fügte Herr von Charny bei.

»Somit werde ich sie immer bei mir haben,« sagte die Königin mit demselben eiskalten Ton, der schattiert war, um nur ihre Eifersucht oder ihre Verachtung fühlen zu lassen.

»Eure Majestät hat mir die Ehre erwiesen, mich zum Leutnant der Garden zu ernennen,« sagte der Graf von Charny, »mein Posten ist in Versailles, ich würde meinen Posten nicht verlassen haben, hätte mir Eure Majestät nicht die Bewachung der Tuilerien übertragen. Das ist eine notwendige Verbannung, hat mir die Königin gesagt, und ich bin in diese Verbannung abgegangen. Bei alledem, Eure Majestät weiß das, hat mich die Gräfin von Charny ebenso wenig getadelt, als sie um Rat gefragt worden ist.«

»Das ist wahr,« erwiderte die Königin, immer eisig.

»Heute,« fuhr der Graf unerschrocken fort, »heute glaube ich, daß mein Posten nicht mehr in den Tuilerien, sondern in Versailles ist. Wohl denn! möge es der Königin nicht mißfallen, ich habe mein Gebot verletzt, meinen Dienst selbst gewählt, und hier bin ich. Mag Frau von Charny vor den Ereignissen bange haben oder nicht, mag sie auswandern wollen oder nicht, ich bleibe bei der Königin  . . . wenn nicht etwa die Königin meinen Degen zerbricht. Wäre das der Fall, sollte ich nicht mehr das Recht haben, für sie im Gemach hier in Versailles zu kämpfen, zu sterben, so bleibt mir immerhin noch das Recht, mich vor der Thüre, auf dem Pflaster töten zu lassen.«

Der junge Mann sprach so mutig, so bieder diese einfachen aus dem Herzen gekommenen Worte, daß die Königin von ihrem Stolze herabfiel, hinter den sie sich zurückgezogen hatte, um mehr ein menschliches als königliches Gefühl zu verbergen.

»Graf,« erwiderte sie, »sprechen Sie nie wieder dieses Wort aus, sagen Sie nicht, Sie werden für mich sterben, denn wahrhaftig, ich weiß, daß Sie es thun werden, wie Sie es sagen.«

»Oh! ich werde es im Gegenteil immer sagen, rief Herr von Charny. Ich werde es allen und überall sagen; ich werde es sagen, wie ich es thun werde, weil, ich befürchte es, die Zeit gekommen ist, wo alle diejenigen sterben müssen, welche die Könige der Erde geliebt haben.«

»Graf! Graf! was giebt Ihnen denn diese unseligen Ahnungen ein?«

»Ach! Madame,« erwiderte Charny, den Kopf schüttelnd, »zur Zeit des leidigen amerikanischen Kriegs bin ich auch von dem Unabhängigkeitsfieber befallen gewesen, das die ganze Gesellschaft durchlaufen hat. Ich wollte auch einen thätigen Anteil an der Emancipation der Sklaven nehmen, wie man zu jener Zeit sagte, und ließ mich als Maurer aufnehmen. Ich schloß mich mit den Lafayette, mit den Lameth einer geheimen Gesellschaft an. Wissen Sie, Madame, was der Zweck dieser Gesellschaft war? Die Zerstörung der Throne. Wissen Sie, was der Wahlspruch der drei Buchstaben: L.P.D. war? Lilia pedibus destrue Tritt die Lilien mit Füßen.«

»Was haben Sie dann gethan?«

»Ich habe mich mit Ehren zurückgezogen; doch für einen, der sich zurückzog, ließen sich zwanzig aufnehmen. Was nun heute geschieht, Madame, ist der Prolog des großen Dramas, das sich in der Stille und in der Nacht, seit zwanzig Jahren, im Kopfe der Menschen vorbereitet hat, die gegenwärtig Paris in Bewegung setzen, das Stadthaus regieren, im Besitze des Palais-Royal sind und die Bastille genommen haben. Ich habe die Gesichter meiner alten Bundesbrüder erkannt. Täuschen Sie sich nicht, Madame, alle Ereignisse der jüngsten Zeit sind keine Ereignisse des Zufalls, es sind seit langer Zeit vorbereitete Aufstände.«

»Oh! Sie glauben! Sie glauben, mein Freund!« rief die Königin, in Thränen zerfließend.

»Weinen Sie nicht, Madame, begreifen Sie!« sagte der Graf.

»Ich soll begreifen! ich soll begreifen!« fuhr Marie Antoinette fort; »ich, die geborene Gebieterin von fünfundzwanzig Millionen Menschen, soll es begreifen, wenn diese fünfundzwanzig Millionen Unterthanen, die bloß da sind, um mir zu gehorchen, sich empören und meine Freunde töten! Nein, ich werde das nie begreifen.«

»Sie müssen es aber begreifen; denn von diesen Unterthanen, die Ihnen gehorchen sollen, sind Sie, sobald dieser Gehorsam ihnen zur Last wird, eine Feindin geworden; und bis diese widerwillig Gehorchenden die Macht besitzen, Eure Majestät zu verschlingen – wozu sie bereits ihre hungrigen Zähne wetzen – verschlingen sie Ihre Freunde, die noch mehr verhaßt sind als sie.«

»Und finden Sie vielleicht, daß die Leute recht haben, Herr Philosoph?« rief gebieterisch die Königin, das Auge weit aufgerissen, die Nasenflügel bebend.

»Ach! ja, Madame, sie haben recht,« antwortete der Graf mit seinem sanften, liebevollen Ton, »denn wenn ich mit meinen schönen englischen Pferden, mit meinem goldenen Rock und mit meinen Leuten, deren silberne Tressen mehr kosten, als man brauchte, um drei Familien zu ernähren, auf den Boulevards spazieren fahre, so fragt sich Ihr Volk, das heißt, es fragen sich diese fünfundzwanzig Millionen ausgehungerte Menschen, wozu ich ihnen diene, ich, der ich nur ihresgleichen sei.«

»Sie dienen ihnen mit diesem, Olivier,« rief die Königin, indem sie den Degen des Grafen am Griff faßte, »Sie dienen ihnen mit diesem Degen, den Ihr Vater als Held bei Fontenoy gehandhabt hat; den Ihr Großvater bei Steenkerke, Ihr Urgroßvater bei Lens und Rocroi, Ihre Ahnen bei Ivry, bei Marignan, bei Aziencourt geführt haben. Der Adel dient dem französischen Volk durch den Krieg, er hat das Gold, das seine Röcke verbrämt, das Silber, das seine Livreen bedeckt, durch den Krieg um den Preis seines Blutes gewonnen. Fragen Sie sich also nicht mehr, Olivier, wozu Sie dem Volke dienen, Sie, der Sie ebenfalls als Braver diesen Degen führen, den Ihnen Ihre Väter vermacht haben!«

»Madame, Madame, sprechen Sie nicht so viel vom Blute des Adels! das Volk hat auch Blut in den Adern; sehen Sie die vor der Bastille fließenden Bäche; zählen Sie seine auf dem geröteten Pflaster ausgestreckten Toten und erfahren Sie, daß deren Herz, das nicht mehr schlägt, an dem Tage, wo Ihre Kanonen gegen dieselben donnerten, so edel geschlagen hat, als das eines Ritters; an dem Tage, wo das Volk, eine für seine Hand unbekannte Waffe schwingend, mitten unter dem Kartätschenhagel Lieder anstimmte, was unsre braven Grenadiere nicht immer thun. Ei! Madame, ei! meine Königin, ich bitte Sie inständig, schauen Sie mich nicht mit diesen zornigen Augen an. Was ist ein Grenadier? Es ist ein blauer verbrämter Rock auf dem Herzen des Volks, von dem ich soeben sprach. Was ist der Kugel, die durchbohrt und tötet, daran gelegen, ob das Herz mit blauem Tuch oder mit einem Fetzen Zwillich bedeckt ist? Was liegt dem Herzen, das bricht, daran, ob die Hülle, die es beschützte, von Drillich oder von Tuch war? Die Zeit ist gekommen, an alles das zu denken, Madame; Sie haben nicht mehr fünfundzwanzig Millionen Sklaven in Frankreich; Sie haben nicht mehr fünfundzwanzig Millionen Unterthanen, Sie haben sogar nicht mehr fünfundzwanzig Millionen Menschen, Sie haben fünfundzwanzig Millionen Soldaten.«

»Die gegen mich kämpfen werden, Graf?«

»Ja, gegen Sie, denn sie kämpfen für die Freiheit, und Eure Majestät steht zwischen ihnen und der Freiheit.«

Ein langes Stillschweigen folgte auf diese Worte des Grafen. Die Königin brach es zuerst.

»Nun,« sprach sie, »die Wahrheit, die ich Sie mir nicht zu sagen bat, Sie haben Sie mir also gesagt?«

»Ach! Madame,« antwortete Charny, »unter welcher Form sie meine Ergebenheit auch verbirgt, unter welchem Schleier sie auch meine Ehrfurcht erstickt, wider meinen Willen, wider Ihren Willen, schauen Sie, hören Sie, fühlen Sie, betasten Sie, denken Sie, träumen Sie: die Wahrheit ist da, Madame, ewig da, und Sie werden nicht mehr imstande sein, sie von Ihnen zu verbannen, wie sehr Sie sich auch anstrengen mögen! Schlummern Sie, schlafen Sie, um zu vergessen, und sie wird sich zu Ihren Häupten setzen, und sie wird das Gespenst Ihrer Träume, die Wirklichkeit Ihres Erwachens sein.«

»Oh! Graf,« sagte die Königin stolz, »ich kenne einen Schlaf, den sie nicht stören wird.«

»Diesen, Madame, fürchte ich so wenig, als Eure Majestät, und ich wünsche ihn vielleicht ebensosehr, als sie.«

»Oh!« sprach die Königin mit Verzweiflung, »Ihrer Ansicht nach ist dies also unsre einzige Zuflucht?«

»Ja, – doch übereilen wir nichts, Madame! gehen wir nicht schneller, als unsre Feinde, und wir gehen eben durch die Beschwerlichkeiten, die uns so viele Tage des Sturms bereiten, geradeswegs zu dem Schlaf.«

Und ein neues Stillschweigen, noch düsterer, als das erste, lastete auf Marie Antoinette und Olivier von Charny. Sie saßen, er bei ihr, sie bei ihm. Sie berührten sich, und dennoch war eine unermeßliche Kluft zwischen ihnen! Es war der Zwiespalt ihrer Geister, die getrennt auf den Wogen der Zukunft schwebten.

Die Königin kam zuerst auf den Gegenstand des Gesprächs zurück, doch auf einem Umweg. Sie schaute den Grafen starr an und sprach:

»Mein Herr, ein letztes Wort über uns; – und  . . . Sie werden mir alles sagen, alles, alles, alles, hören Sie wohl!«

»Ich höre, Madame.«

»Sie schwören mir, daß Sie nur meinetwegen gekommen sind?«

»Oh! Sie zweifeln daran?«

»Sie schwören mir, daß Ihnen Frau von Charny nicht geschrieben hat? Hören Sie: Ich weiß, daß sie ausgehen wollte; ich weiß, daß sie eine Idee im Kopfe hatte  . . . Schwören Sie mir, Graf, daß Sie nicht ihr zu Liebe zurückgekommen sind.«

In diesem Augenblicke klopfte man an die Thüre.

»Herein!« sagte die Königin.

Die Kammerfrau erschien wieder.

»Madame,« sagte sie, der König hat zu Abend gespeist.

Der Graf schaute Marie Antoinette mit Erstaunen an.

»Nun,« sagte sie, die Achseln zuckend, was ist dabei so Erstaunliches? Muß der König nicht zu Abend speisen?«

Olivier faltete die Stirne.

»Sagen Sie dem König,« antwortete die Königin, ohne sich stören zu lassen, »ich erhalte Nachrichten von Paris, und ich werde sie ihm mitteilen, sobald ich sie vernommen habe.«

Dann wandte sie sich gegen Charny um und sprach:

»Fahren wir fort; da nun der König zu Abend gespeist hat, ist es billig, daß er verdaut.«

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06 aralık 2019
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754 s. 7 illüstrasyon
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