Kitabı oku: «Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3», sayfa 21
XXVIII.
Eifersucht
Diese Unterbrechung hatte nur einen augenblicklichen Stillstand im Gespräche herbeigeführt, aber durchaus nichts an dem doppelten Gefühle der Eifersucht geändert, das die Königin in diesem Moment beseelte – Eifersucht als Frau, Eifersucht der Macht als Königin.
Den Grafen schien es übrigens, da die Dinge auf diesen Punkt gelangt waren, ebensosehr, als die Königin, zu drängen, eine Erklärung zu erhalten; nachdem die Thüre wieder geschlossen, war er es auch, der sich des Wortes zuerst bemächtigte.
»Sie fragen mich, ob ich Frau von Charny zu Liebe zurückgekommen sei?« sagte er. »Eure Majestät hat also vergessen, daß Verpflichtungen unter uns übernommen worden sind, und daß ich ein Mann von Ehre bin?«
»Ja,« sprach die Königin. »Sie sind ein Mann von Ehre; ja, Sie haben geschworen, sich meinem Glück zu opfern, und dieser Schwur verzehrt mich, denn, indem Sie sich meinem Glück opfern, opfern Sie zu gleicher Zeit eine schöne Frau von edlem Charakter . . . ein Verbrechen mehr.«
»Oh! Madame, nun übertreiben Sie die Anklage. Gestehen Sie nur, daß ich mein Wort als redlicher Mann gehalten habe.«
»Das ist wahr, ich bin wahnsinnig, verzeihen Sie mir.«
»Nennen Sie nicht Verbrechen, was vom Zufall und der Notwendigkeit geboten ist. Wir haben beide diese Heirat beklagt, die allein die Ehre der Königin wahren konnte. Es handelt sich nicht mehr darum, diese Ehe zu erdulden, wie ich es bereits seit vier Jahren gethan.«
»Ja,« rief die Königin. »Doch glauben Sie, ich sehe Ihren Schmerz nicht, ich begreife Ihren Kummer nicht, die sich unter der Form der tiefsten Ehrfurcht verbergen? Glauben Sie, ich sehe nicht alles?«
»Ich bitte, Madame,« sprach der Graf, »sich verbeugend, teilen Sie mir mit, was Sie sehen, damit ich, wenn ich nicht genug selbst gelitten und die andern habe leiden lassen, die Summe der Uebel für mich und für alles, was mich umgiebt, verdoppele, fest überzeugt, immer noch zu wenig zu thun, im Verhältnisse zu dem, was ich Ihnen schuldig bin.«
Die Königin streckte die Hand gegen den Grafen aus. Das Wort dieses Mannes hatte eine unwiderstehliche Macht, wie alles, was einem aufrichtigen und leidenschaftlichen Herzen entfließt.
»Befehlen Sie also, Madame,« fügte er hinzu, »ich beschwöre Sie, fürchten Sie sich nicht, zu befehlen.«
»Ja, ja, ich weiß es wohl, ich habe unrecht, ja, verzeihen Sie mir; ja, es ist wahr. Doch wenn Sie irgendwo ein verborgenes Idol haben, dem Sie einen geheimnisvollen Weihrauch streuen, wenn für Sie in einem Winkel der Welt eine angebetete Frau ist . . . Oh! ich wage es nicht mehr, dieses Wort auszusprechen, es macht mir bange, und ich zweifle daran, wenn die Silben, aus denen es besteht, die Luft treffen und an mein Ohr klingen. Wohl denn! wenn das besteht, allen verborgen, so vergessen Sie nicht, daß Sie vor allen, daß Sie öffentlich für die andern und auch für sich selbst eine junge und hübsche Frau haben, die Sie mit beständigen Gefälligkeiten und Aufmerksamkeiten umgeben; eine Frau, die sich auf Ihren Arm verläßt, und die Stütze Ihres Armes zugleich als Stütze Ihres Herzens betrachtet.«
Olivier faltete die Stirne, und die so reinen Linien seines Gesichts veränderten sich einen Augenblick.
»Was verlangen Sie, Madame?« sagte er, »etwa, daß ich die Gräfin von Charny entferne? Sie schweigen; ist es also das? Wohl! ich bin bereit, diesem Befehl zu gehorchen; doch Sie wissen, sie ist allein in der Welt. Sie ist Waise; ihr Vater, der Baron von Taverney, ist im vorigen Jahre gestorben als ein würdiger Edelmann der alten Zeit, der nicht sehen will, was in der unsern vorgeht. Ihr Bruder – Sie wissen, daß ihr Bruder der Maison-Rouge höchstens einmal im Jahre erscheint; er kommt, umarmt seine Schwester, begrüßt Eure Majestät und geht, ohne daß jemand erfährt, was aus ihm wird.«
»Ja, ich weiß dies alles.«
»Bedenken Sie, Madame, daß diese Gräfin von Charny, sollte Gott mich zu sich rufen, heute ihren Mädchennamen wieder annehmen könnte, ohne daß der reinste Engel des Himmels in ihren Träumen, in ihrem Geiste ein Wort, einen Namen, der an ihren Frauenstand erinnern könnte, erlauern würde.«
»Oh! ja, ja, ich weiß, daß Ihre Andrée ein Engel auf Erden ist, ich weiß, daß sie geliebt zu sein verdient. Darum denke ich, die Zukunft gehöre ihr, während sie mir entschlüpft. Oh! nein, nein. Hören Sie, Graf, ich beschwöre Sie, nicht ein Wort mehr. Ich spreche nicht als Königin mit Ihnen, verzeihen Sie mir. Ich habe mich vergessen. Doch was wollen Sie? . . . In meiner Seele tönen zwei Stimmen: eine, die mir immer von Glück, von Freude und Liebe, die andre, die düster nur von Unglück, Krieg und Tod mir singt. Ich höre darin die Stimme meiner Jugend, die ich überlebe. Charny, verzeihen Sie mir, ich werde nicht mehr jung sein, ich werde nicht mehr lächeln, ich werde nicht mehr lieben.«
Und die arme Frau drückte ihre abgemagerten, zarten Hände an ihre brennenden Augen, und die Thräne einer Königin, ein Diamant glitt zwischen jedem ihrer Finger durch.
Der Graf fiel abermals auf die Kniee.
»Madame, im Namen des Himmels,« sagte er, »befehlen Sie mir, sie zu verlassen, zu fliehen, zu sterben, lassen Sie mich aber nicht sehen, daß Sie weinen.«
Und der Graf war selbst nahe daran, zu schluchzen, während er diese Worte sprach.
»Es ist vorbei,« sagte die Königin, indem sie sich erhob und sanft den Kopf mit einem Lächeln voll Anmut schüttelte.
Und mit einer reizenden Gebärde warf sie ihre dichten gepuderten Haare zurück, die sich auf ihrem schwanenweißen Halse entrollt hatten.
»Ja, ja, es ist vorbei,« fuhr die Königin fort, »ich werde Sie nicht mehr betrüben; lassen wir alle diese Tollheiten. Mein Gott! es ist seltsam, daß das Weib so schwach ist, während die Königin es so sehr bedarf, stark zu sein. Sie kommen von Paris, nicht wahr? Lassen Sie uns plaudern. Sie sagten mir Dinge, die ich vergessen habe; es war jedoch sehr ernst, nicht wahr, Herr von Charny?«
»Gut, Madame, kommen wir auf dies zurück; denn, wie Sie bemerken, ist das, was ich Ihnen zu sagen habe, äußerst ernst; ja ich komme von Paris und habe dem Ruin des Königtums beigewohnt.«
»Ich hatte recht, den Ernst herauszufordern, denn Sie geben mir ihn, ohne zu rechnen, Herr von Charny. Eine glückliche Meuterei, das nennen Sie den Ruin des Königtums. Wie, weil die Bastille genommen ist, Herr von Charny, sagen Sie, das Königtum sei vernichtet? Oh! Sie bedenken nicht, daß die Bastille erst im vierzehnten Jahrhundert in Frankreich Wurzel gefaßt hat, und daß das Königtum Wurzeln von sechstausend Jahren im ganzen Weltall hat.«
»Ich möchte mir gern Illusionen machen können, Madame, erwiderte der Graf, und dann würde ich, statt den Geist Eurer Majestät in Trauer zu versetzen, die tröstlichsten Nachrichten verkündigen. Leider giebt das Instrument keine andern Töne von sich, als die, für die es bestimmt war.«
»Hören Sie, ich will Sie unterstützen, ich, die ich nur ein Weib bin; ich will Sie wieder auf den guten Weg bringen.«
»Ach! das soll mir lieb sein.«
»Die Pariser haben sich empört, nicht wahr?«
»Ja.«
»In welchem Verhältnis?«
»Im Verhältnis von zwölf zu fünfzehn.«
»Wie machen Sie diese Berechnung?«
»Oh! ganz einfach, das Volk beträgt zwölf Fünfzehntel beim Körper der Nation; es bleiben zwei Fünfzehntel für den Adel und eines für die Geistlichkeit.«
»Graf, die Rechnung ist genau, und Sie wissen Ihren Rechenschaftsbericht an den Fingern herzusagen. haben Sie Herrn und Frau von Necker gelesen?«
»Herrn Necker, ja, Madame.«
Ah! das Sprichwort ist gut,« sagte heiter die Königin, »man wird immer nur von den seinigen verrathen. Folgendes ist nun meine Berechnung . . . Wollen Sie dieselbe hören?«
»Mit Ehrfurcht.«
»Auf zwölf Fünfzehntel sechs Weiber, nicht wahr?«
»Ja, Eure Majestät. Doch . . .«
»Unterbrechen Sie mich nicht. Wir sagen sechs Fünfzehntel Weiber, somit bleiben sechs; zwei gebrechliche oder gleichgültige Greise, ist das zuviel?«
»Nein.«
»Es bleiben vier Fünfzehntel, von denen Sie mir wohl zwei für Feige und Laue einräumen werden. Ich schmeichle der französischen Nation. Doch es bleiben noch zwei Fünfzehntel; ich gebe sie Ihnen wütend, standhaft, tapfer und militärisch. Diese zwei Fünfzehntel, schlagen wir sie an für Paris; denn für die Provinz, das ist unnötig, nicht wahr? es handelt sich nur darum, Paris wiederzunehmen.«
»Ja, Madame, aber . . .«
»Immer aber . . . Warten Sie, Sie werden später antworten.«
Herr von Charny verbeugte sich.
»Ich schlage also die zwei Fünfzehntel von Paris auf hunderttausend Mann an, wollen Sie?«
Diesmal antwortete der Graf nicht.
Die Königin fuhr fort:
»Nun! diesen hunderttausend schlecht bewaffneten, nicht disziplinierten, nicht an Kriegsstrapazen gewöhnten und, weil sie wissen, daß sie Böses thun, zögernden Menschen stelle ich entgegen fünfzigtausend in ganz Europa durch ihre Tapferkeit bekannte Soldaten, Offiziere wie Sie, Herr von Charny, überdies die geheiligte Sache, die man das göttliche Recht nennt, und endlich meine Seele, die sich leicht rühren, aber schwer brechen läßt.«
Der Graf schwieg abermals.
»Glauben Sie,« fuhr die Königin fort, »daß bei meinem Kampfe auf diesem Terrain zwei Menschen aus dem Volk mehr wert sind, als einer von meinen Soldaten?«
Charny schwieg.
»Sprechen Sie, antworten Sie; glauben Sie das?« rief ungeduldig die Königin.
»Madame,« antwortete endlich der Graf, »auf Befehl der Königin aus der ehrerbietigen Zurückhaltung, die er beobachtet hatte, heraustretend; auf einem Schlachtfelde, wo diese hunderttausend vereinzelten, nicht disziplinierten und schlecht bewaffneten Menschen erscheinen würden, wären sie von Ihren fünfzigtausend Soldaten in einer halben Stunde geschlagen.«
»Ah!« sagte die Königin, »ich habe also recht.«
»Warten Sie. Es ist nicht so, wie Sie denken. Vor allem, sind Ihre hunderttausend Empörten von Paris fünfmalhunderttausend.«
Fünfmalhunderttausend?«
»Gerade so viel. Sie haben die Weiber und die Kinder bei Ihrer Berechnung übergangen. Oh! Königin von Frankreich; oh! muthige und stolze Frau, zählen sie die Weiber von Paris als eben so viele Männer; es wird vielleicht ein Tag kommen, wo diese Weiber Sie nöthigen werden, sie als eben so viel Teufel zu zählen.«
»Was wollen Sie damit sagen, Graf?«
»Madame, wissen Sie, was die Rolle eines Weibes bei den Bürgerkriegen ist? Nein. Wohl, ich will es Ihnen sagen, und Sie werden sehen, daß es nicht zu viel wäre, zwei Soldaten gegen jedes Weib zu rechnen.«
»Graf, sind Sie verrückt?«
Charny lächelte traurig und fuhr fort:
»Haben Sie die Weiber bei der Bastille gesehen, wie sie unter dem Feuer, inmitten der Kugeln zu den Waffen riefen, wie sie Ihre kriegerisch gerüsteten Schweizer mit den Fäusten bedrohten, wie sie über den Leichen der Toten mit jener Stimme, welche die Lebendigen aufspringen macht, Verwünschungen ausstießen? Haben Sie diese Weiber gesehen, wie sie Pech sieden ließen, Kanonen schleppten, unter die berauschten Kämpfer Patronen, unter die furchtsamen Streiter Patronen und Küsse verteilten? Wissen Sie, daß über die Zugbrücke der Bastille ebensoviele Weiber, als Männer stürmten, und daß zu dieser Stunde, wenn die Steine der Bastille stürzen, dies unter der Spitzhaue geschieht, von Weiberhänden gehandhabt? Ah! Madame, rechnen Sie diese Weiber von Paris, rechnen Sie auch die Kinder, die Kugeln gießen, Säbel wetzen, einen Pflasterstein vom sechsten Stock herabwerfen; rechnen Sie dieselben, denn die Kugel, die ein Kind gegossen hat, wird aus der Ferne Ihren besten General darniederstrecken; der Säbel, den es gewetzt hat, wird Ihren Kriegsgenossen die Sehnen entzweischneiden; der blinde Sandstein, der von den Dächern herabfällt, wird Ihre Dragoner und Ihre Garden erschlagen. Rechnen Sie die Greise, Madame, denn wenn sie nicht mehr die Kraft haben, ein Schwert zu schwingen, so haben sie doch noch die Kraft, als Schild zu dienen. Bei der Bastille, Madame, waren Greise; wissen Sie, was diese Greise thaten? Sie stellten sich vor die jungen Leute, welche die Flinten auf ihre Schultern legten, so daß die Kugel Ihrer Schweizer den gebrechlichen Greis tötete, dessen Leib sofort einen Wall bildete zum Schutz des starken Mannes. Rechnen Sie die Greise, denn sie sind es, die seit dreihundert Jahren den aufeinander folgenden Generationen von den Beschimpfungen erzählen, die ihre Mütter erlitten, von dem Notstand ihrer vom Wildbret des Adels zerfressenen Felder, von der Schande ihrer unter den Feudalrechten gebeugten Menschenklasse: und dann ergreifen die Söhne die Axt, die Keule, die Flinte, kurz alles, was sie finden, und töten, als Werkzeuge geladen mit den Verwünschungen des Greises, wie die Kanone mit Pulver und Eisen geladen ist. In Paris schreien in diesem Augenblick Männer, Weiber, Greise und Kinder nach Freiheit. Rechnen Sie alles, was schreit, Madame, rechnen Sie achtmalhunderttausend Seelen in Paris.«
»Dreihundert Spartaner haben das Heer von Xerxes besiegt.«
»Ja, doch heute sind Ihre dreihundert Spartaner achtmalhunderttausend, Madame, und Ihre fünfzigtausend Soldaten, das ist das Heer von Xerxes.«
Die Königin erhob sich, die Fäuste krampfhaft geballt, das Gesicht rot von Zorn und Scham.
»Oh! daß ich vom Throne fiele,« sagte sie, «daß ich, von Ihren fünfmalhunderttausend Parisern in Stücke zerhauen, stürbe, aber daß ich nicht einen Charny, einen Mann, der mir gehört, so sprechen hören müßte!«
»Wenn er so mit Ihnen spricht, Madame, so zwingt ihn die Not, denn dieser Charny hat nicht einen Tropfen Blut in den Adern, der nicht würdig ist seiner Ahnen, und der nicht Ihnen gehört.«
»Dann marschiere er mit mir gegen Paris, und wir werden miteinander sterben.«
»Ja mit Schmach,« versetzte der Graf, »ohne einen möglichen Kampf. Wir werden gar nicht kämpfen, wir werden verschwinden wie Philister. Gegen Paris marschieren! Sie wissen also eines nicht? daß in dem Augenblick, wo wir nach Paris kämen, die Häuser über uns einstürzen werden, wie die Wellen des roten Meers über Pharao, und Sie werden in Frankreich einen verfluchten Namen hinterlassen, und Ihre Kinder wird man töten, wie die einer Wölfin.«
»Wie soll ich sterben, Graf?« sagte stolz die Königin; »ich bitte, lehren Sie mich das.«
»Als Opfer, Madame,« antwortete ehrfurchtsvoll Herr von Charny, »wie eine Königin fällt, lächelnd, und denjenigen, welche Sie schlagen, verzeihend. Ah! hätten Sie fünfmalhunderttausend Mann, wie ich, so würde ich Ihnen sagen: Brechen wir auf; brechen wir noch in dieser Nacht auf, brechen wir auf der Stelle auf, und morgen würden Sie in den Tuilerien regieren; morgen hätten Sie Ihren Thron wiedererobert.«
»Oh!« rief die Königin, »Sie sind also verzweifelt, Sie, auf den ich meine erste Hoffnung gesetzt habe?«
»Ja, ich bin verzweifelt, Madame, weil ganz Frankreich denkt wie Paris, weil Ihr Heer, wäre es siegreich in Paris, von Lyon, Rouen, Lille, Straßburg, Nantes und hundert andren Städten verschlungen würde. Auf, auf, Mut, Madame, den Degen in die Scheide!«
»Ah! ah! soll ich darum so viele brave Leute um mich versammelt, darum ihnen Mut eingeflößt haben!« sagte die Königin.
»Wenn das nicht Ihre Ansicht ist, Madame, befehlen Sie, und noch in dieser Nacht marschieren wir gegen Paris. Sprechen Sie.«
Es lag so viel Ergebenheit in diesem Anerbieten des Grafen, daß es die Königin mehr erschreckte, als es eine Weigerung gethan hätte; sie warf sich in Verzweiflung auf ein Sopha, wo sie lange gegen ihren Stolz kämpfte.
Endlich erhob sie das Haupt und sprach:
»Graf, Sie wünschen, daß ich unthätig bleibe?«
»Ich habe die Ehre, es Eurer Majestät zu raten.«
»Das wird geschehen. Kommen Sie wieder.«
»Ach! Madame, ich habe Sie erzürnt?« sagte der Graf, während er die Königin anschaute mit einer Traurigkeit, voll unaussprechlicher Liebe.
»Nein; Ihre Hand.«
Sich vor der Königin verbeugend, reichte ihr der Graf seine Hand.
»Daß ich Sie schelte,« sprach Marie Antoinette, indem sie zu lächeln suchte.
»Und worüber, Madame?«
»Wie! Sie haben einen Bruder im Dienst, und ich erfahre es durch Zufall!«
»Ich verstehe nicht.«
»Heute Abend, ein Offizier von den Husaren von Berchigny . . .«
»Ah! mein Bruder Georges!«
»Warum haben Sie mir nie von diesem jungen Mann gesprochen? Warum hat er nicht einen hohen Rang in einem Regiment?«
»Weil er noch ganz jung und ganz unerfahren ist; weil er nicht würdig ist, als Chef zu befehligen; weil endlich, wenn Eure Majestät die Gnade gehabt hat, ihre Blicke auf mich herabzusenken, der ich Charny heiße, um mich mit ihrer Freundschaft zu beehren, dies noch kein Grund ist, daß ich meine Familie auf Kosten einer Menge von braven Edelleuten unterzubringen suche, die würdiger sind als meine Brüder.«
»Sie haben also noch einen Bruder?«
»Ja, Madame, und er ist bereit, für Eure Majestät zu sterben, wie die zwei andern.«
»Er braucht nichts?«
»Nichts, Madame; wir sind so glücklich, daß wir nicht nur eine Existenz, sondern auch ein Vermögen zu den Füßen Eurer Majestät zu legen haben.«
Als er diese letzten Worte sprach, wobei die Königin ganz durchdrungen war von dieser zarten Redlichkeit, wobei er ganz bebte von dieser anmutreichen Majestät, erweckte sie plötzlich ein Stöhnen, das aus einem anstoßenden Zimmer kam.
Die Königin stand auf, lief nach der Thüre, öffnete sie und stieß einen gewaltigen Schrei aus.
Sie hatte eine Frau erschaut, die, von entsetzlichen Konvulsionen befallen, sich auf dem Teppich krümmte.
»Oh! die Gräfin! sagte sie ganz leise zu Herrn von Charny; sie hat uns wohl gehört.«
»Nein, Madame,« erwiderte Charny; »sonst würde sie Eure Majestät darauf aufmerksam gemacht haben, daß man uns hören könne.«
Und er eilte auf Andrée zu und hob sie in seinen Armen auf.
Die Königin stand zwei Schritte davon, kalt, bleich, zitternd vor Angst.
XXIX.
Szene zu Drei
Andrée kam allmählich wieder zu sich, ohne zu erkennen, wer ihr Hilfe leistete, nur instinktartig begriff sie, daß man ihr beistand.
Ihr Körper erhob sich, ihre Hände klammerten sich an die unerwartete Stütze an, die sich ihr bot.
Doch ihr Geist erwachte nicht mit ihrem Körper; er blieb einige Augenblicke betäubt, schwankend, schlaftrunken.
Nachdem er es versucht hatte, sie zum physischen Leben zurückzurufen, beeiferte sich Herr von Charny, sie zum geistigen Leben zurückzurufen. Doch er strengte seine Kräfte nur gegen einen konzentrierten Irrsinn an.
Endlich hefteten sich die offenen, aber stieren Augen auf ihn, und mit einem Reste von Delirium gab Andrée, ohne den Mann zu erkennen, der sie unterstützte, einen Schrei von sich und stieß ihn hart zurück.
Während dieser ganzen Zeit wandte die Königin den Blick ab, sie, deren Aufgabe es gewesen wäre, die Schwache zu stärken, zu trösten.
Charny hob Andrée in seinen kräftigen Armen auf, obgleich sie sich zur Wehr zu setzen suchte, wandte sich gegen die Königin um, die immer noch steif und eiskalt da stand, und sagte:
»Verzeihen Sie, Madame . . . es hat sich ohne Zweifel etwas Außerordentliches ereignet. Frau von Charny hat nicht die Gewohnheit, in Ohnmacht zu fallen, und es ist heute das erstemal, daß ich sie des Bewußtseins beraubt sehe.»
»Sie muß also sehr leiden,« sagte die Königin, »zu der dumpfen Idee zurückkehrend, Andrée habe das ganze Gespräch mit angehört.«
»Ja, ohne Zweifel leidet sie, erwiderte der Graf, und darum bitte ich Eure Majestät um Erlaubnis, sie in ihre Wohnung bringen zu lassen. Sie bedarf der Pflege ihrer Frauen.«
»Thun Sie das,« sprach die Königin, die Hand nach einer Klingel ausstreckend.
Doch als das Glöckchen ertönte, erstarrte Andrée und rief in ihrem Wahnwitz:
»Oh! Gilbert! dieser Gilbert!«
Bei diesem Namen bebte die Königin, und der Graf legte erstaunt seine Frau auf ein Sopha.
In diesem Augenblick trat der herbeigerufene Diener ein.
»Nichts,« sagte die Königin; und sie winkte ihm mit der Hand, daß er sich entferne.
Als sie allein waren, schauten der Graf und die Königin einander an. Andrée hatte die Augen wieder geschlossen und schien von einer neuen Krise befallen.
Herr von Charny kniete am Sopha und hielt sie darauf fest.
»Gilbert,« wiederholte die Königin, »was für ein Name ist das?«
Man müßte sich erkundigen.
»Ich glaube, ich kenne ihn,« sagte Marie Antoinette; »ich glaube, es ist nicht das erstemal, daß ich die Gräfin diesen Namen aussprechen höre.«
Doch als ob sie von dieser Erinnerung der Königin bedroht worden wäre, als ob diese Drohung sie mitten aus ihren Konvulsionen zurückgeholt hätte, öffnete Andrée die Augen, streckte die Arme zum Himmel aus und richtete sich mit einer Anstrengung völlig auf.
Ihr erster Blick, diesmal ein verständiger Blick, wandte sich Herrn von Charny zu, den sie erkannte und mit einer liebkosenden Flamme umhüllte.
Dann, als ob diese unwillkürliche Kundgebung ihres Gedankens ihrer spartanischen Seele unwürdig gewesen wäre, wandte Andrée die Augen ab und erblickte die Königin. Sie verneigte sich sogleich.
»Oh! mein Gott, was haben Sie denn, Madame?« fragte Herr von Charny; »Sie haben mich erschreckt. Sie, sonst so stark, so mutvoll, sind einer solchen Ohnmacht preisgegeben?«
»Mein Herr, erwiderte sie, es gehen in Paris so erschreckliche Dinge vor, daß, wenn die Männer zittern, die Frauen wohl in Ohnmacht fallen können. Sie haben Paris verlassen? Oh! Sie haben wohl daran gethan.«
»Großer Gott! Gräfin, sagte Charny mit dem Tone des Zweifels, sollten Sie meinetwegen all dies Schlimme erlitten haben?«
Andrée schaute abermals ihren Gatten und die Königin an, antwortete jedoch nicht.
»Gewiß, Graf, das ist es, warum sollten Sie daran zweifeln?« versetzte Marie Antoinette. »Die Frau Gräfin ist nicht Königin, sie hat das Recht, für ihren Mann Furcht zu hegen.«
Charny fühlte die unter diesen Worten verborgene Eifersucht.
»Oh! Madame,« sagte er, »ich bin fest überzeugt, daß die Gräfin noch mehr für ihre Königin, als für mich bange hat.«
»Aber Gräfin, warum und wie haben wir Sie ohnmächtig in diesem Kabinett gefunden?« fragte Marie Antoinette.
»Oh! es wäre mir unmöglich, das zu erzählen, Madame. Ich weiß es selbst nicht; doch bei diesem Leben der Beschwerlichkeiten, der Schrecken und der Gemütsbewegungen, das wir seit drei Tagen führen, ist, wie mir scheint, nichts natürlicher, als die Ohnmacht einer Frau.«
»Das ist wahr,« murmelte die Königin, die bemerkte, daß Andrée die Absicht habe, sich in ihrer Zurückhaltung keinen Zwang gefallen zu lassen.
»Aber,« sprach Andrée mit der seltsamen Ruhe, die sie nicht verließ, sobald sie wieder Herrin ihres Willens geworden war, und die in schwierigen Umständen um so peinlicher wurde, als man leicht sah, sie sei nur Maske, und bedecke völlig menschliche Gefühle, »aber Eure Majestät hat ganz feuchte Augen.«
Und diesmal glaubte der Graf in den Worten seiner Frau den ironischen Ausdruck zu finden, den er einen Augenblick zuvor in den Worten der Königin bemerkt hatte.
»Madame,« sagte er zu Andrée mit einer leichten Strenge, bei der man fühlte, daß seine Stimme nicht daran gewöhnt war, »man darf sich nicht wundern, daß die Königin Thränen in den Augen hat; die Königin liebt ihr Volk, und das Blut des Volkes ist geflossen.«
»Gott hat zum Glück das Ihrige verschont, mein Herr,« versetzte Andrée, immer gleich kalt, immer gleich unerforschlich.
»Ja, doch es handelt sich nicht um Ihre Majestät, sondern um Sie, Madame! kommen wir also auf Sie zurück, die Königin erlaubt es?«
Marie Antoinette nickte beistimmend mit dem Kopf.
»Sie haben bange gehabt, nicht wahr?«
»Ich?«
»Sie haben gelitten, leugnen Sie es nicht! es ist Ihnen ein Unfall begegnet, welcher? ich weiß es nicht, doch Sie werden es uns sagen.«
»Sie irren sich, mein Herr.«
»Sie haben sich über jemand, über einen Mann zu beklagen gehabt?«
Andrée erbleichte.
»Ich habe mich über niemand zu beklagen gehabt, ich komme vom König.«
»Unmittelbar?«
»Unmittelbar. Ihre Majestät kann sich erkundigen.«
»Wenn es sich so verhält, so hat die Gräfin recht,« sagte Marie Antoinette. »Der König liebt sie zu sehr und weiß, daß ich ihr zu sehr gewogen bin, um ihr in irgend einer Hinsicht unverbindlich begegnet zu sein.«
»Aber Sie haben einen Namen ausgesprochen,« versetzte Charny beharrlich.
»Einen Namen?«
»Ja, als Sie wieder zu sich kamen.«
Andrée schaute die Königin an, als wollte sie dieselbe zu sich rufen; aber, sei es nun, daß die Königin sie nicht verstand oder nicht verstehen wollte, erwiderte sie der Gräfin:
»Ja, Sie haben den Namen Gilbert ausgesprochen.«
»Gilbert! Ich habe den Namen Gilbert ausgesprochen!« rief Andrée mit einem Ausdruck so voll Schrecken, daß sich der Graf mehr von diesem Schrei betroffen fühlte, als er es von der Ohnmacht gewesen war.«
»Ja,« sagte er, »Sie haben diesen Namen ausgesprochen.«
»Ah! wahrhaftig,« erwiderte Andrée, »das ist seltsam.«
Allmählich, wie sich der Himmel nach dem Blitze wieder schließt, nahm die Physiognomie der jungen Frau, die bei dem unseligen Namen so gewaltig verstört ausgesehen hatte, wieder ihre Reinheit und Ruhe an, und nur einige Muskeln dieses schönen Gesichts bebten noch fort, wie wenn am Horizont die letzten Zeichen des Sturmes verschwinden.
»Gilbert,« wiederholte sie, »ich weiß es nicht.«
»Ja, Gilbert,« sagte die Königin. »Suchen Sie, meine liebe Andrée.«
»Aber, Madame,« sprach der Graf zu Marie Antoinette, »wenn das nur Zufall und dieser Name der Gräfin ganz fremd ist?«
»Nein,» erwiderte Andrée; »nein, er ist mir nicht fremd. Es ist der eines gelehrten Mannes, eines geschickten Arztes, welcher, glaube ich, von Amerika ankommt und dort mit Herrn von Lafayette in Verbindung stand.«
»Nun?« fragte der Graf.
»Nun!« wiederholte Andrée auf eine vollkommen natürliche Weise, »ich kenne ihn nicht persönlich, aber es soll ein sehr ehrenwerter Mann sein.«
»Warum dann diese Bewegung, liebe Gräfin?« fragte die Königin.
»Diese Bewegung? Bin ich bewegt gewesen?«
»Ja, es war, als empfänden Sie, indem Sie diesen Namen aussprachen, eine Qual.«
»Das ist möglich; vernehmen Sie, was geschehen ist: ich traf im Kabinett des Königs einen schwarzgekleideten Mann, einen Mann mit strengem Gesicht, der von düsteren, erschrecklichen Dingen sprach; er erzählte mit einer gräßlichen Wirklichkeit die Ermordungen des Herrn de Launay und des Herrn von Flesselles. Ich bin darüber erschrocken und in Ohnmacht gefallen, wie Sie gesehen. Dann habe ich vielleicht gesprochen; dann habe ich vielleicht den Namen dieses Herrn Gilbert genannt.«
»Das ist möglich,« wiederholte Herr von Charny, »offenbar geneigt, das Verhör nicht weiter zu treiben; doch zu dieser Stunde sind Sie beruhigt, nicht wahr?«
»Vollkommen.«
»Dann will ich Sie um eines bitten, Herr Graf,« sagte die Königin. »Suchen Sie die Herren von Bezenval, von Broglie und von Lambescq auf, sagen Sie ihnen, sie sollen ihre Truppen in ihren gegenwärtigen Stellungen kantonieren lassen, der König werde morgen im Rate sehen, was zu thun ist.«
Der Graf verbeugte sich, doch im Begriff, wegzugehen, warf er einen letzten Blick auf Andrée.
Dieser Blick war voll liebreicher Besorgnis.
Er entging der Königin nicht.
»Gräfin,« sagte sie, »kehren Sie nicht mit mir zum König zurück?«
»Nein, Madame, nein,« antwortete Andrée lebhaft.
»Warum nicht?«
»Ich bitte Eure Majestät um die Erlaubnis, mich in meine Wohnung zurückziehen zu dürfen; die Gemütsbewegungen, die ich erlitten habe, lassen mich das Bedürfnis nach Ruhe fühlen.«
»Seien Sie offenherzig, Gräfin,« sagte Marie Antoinette, »haben Sie etwas mit dem König?«
»Oh! nichts, Madame, durchaus nichts.«
»Oh! sprechen Sie, wenn dies der Fall ist. Der König schont meine Freunde nicht immer.«
»Der König ist wie gewöhnlich voll Güte gegen mich, aber . . .«
»Aber es ist Ihnen ebenso lieb, ihn nicht zu sehen, nicht wahr? Es steckt offenbar etwas dahinter, Graf,« sagte die Königin mit einer geheuchelten Heiterkeit.
In diesem Augenblick schaute Andrée die Königin so ausdrucksvoll, so stehend, so voll von Offenbarungen an, daß Marie Antoinette begriff, es sei Zeit, diesen kleinen Krieg zu beendigen.
»In der That, Gräfin,« sagte sie, »lassen wir Herrn von Charny den Auftrag besorgen, den ich ihm gegeben habe, und gehen Sie in Ihre Wohnung oder bleiben Sie hier, wie es Ihnen beliebt.«
»Ich danke, Madame,« erwiderte Andrée.
»Gehen Sie also, Herr von Charny,« fuhr Marie Antoinette fort, während sie den Ausdruck von Dankbarkeit, der sich auf dem Gesichte von Andrée verbreitete, bemerkte.
Diesen Ausdruck bemerkte der Graf nicht; er nahm seine Frau bei der Hand und wünschte ihr Glück zu der Wiederkehr ihrer Kräfte und ihrer Farbe.
Dann verbeugte er sich mit tiefer Ehrfurcht vor der Königin und ging weg.
Während er aber wegging, kreuzte er einen letzten Blick mit Marie Antoinette.
Der Blick der Königin sagte: Kommen Sie schnell zurück.
Der des Grafen antwortete: So schnell als ich kann.
Andrée folgte stöhnend, mit gepreßter Brust jeder Bewegung des Grafen.
Sie schien mit ihren Wünschen diesen langsamen, edlen Gang zu beschleunigen, der ihn der Thüre näher brachte, sie trieb ihn mit aller Macht ihres Willens hinaus.
Sobald er die Thüre hinter sich hatte, verschwanden auch alle Kräfte, die Andrée zu Hilfe gerufen, um der Lage die Stirne zu bieten; ihr Gesicht erbleichte, ihre Beine wankten unter ihr, und sie sank in einen Lehnstuhl, der sich in ihrer Nähe fand, während sie es versuchte, sich bei der Königin wegen dieses Verstoßes gegen die Etikette zu entschuldigen.
Die Königin lief an den Kamin, nahm einen Flacon mit Riechsalz und ließ Andrée daran riechen: die junge Frau kam diesmal mehr durch die Macht ihres Willens, als durch die Wirksamkeit der Pflege zu sich, die sie von einer königlichen Hand erhielt. Es waltete in der That etwas Seltsames zwischen diesen zwei Frauen ob. Die Königin schien Andrée wohlgewogen zu sein, Andrée hegte eine tiefe Ehrfurcht für die Königin, und nichtsdestoweniger schienen sie in gewissen Augenblicken, nicht eine wohlgewogene Königin, nicht eine ergebene Dienerin, sondern zwei Feindinnen zu sein.
Ihr allmächtiger Wille hatte auch, wie gesagt, Andrée bald ihre Stärke wiedergegeben. Sie erhob sich, schob ehrerbietig die Hand der Königin auf die Seite, neigte den Kopf vor ihr und sagte:
»Eure Majestät hat erlaubt, daß ich mich in mein Zimmer zurückziehe.«
»Ja, allerdings, und Sie sind immer frei, liebe Gräfin, Sie wissen es wohl: die Etikette ist nicht für Sie gemacht. Aber haben Sie mir nicht etwas zu sagen, ehe Sie sich entfernen?«
»Nein, in welcher Beziehung?«