Kitabı oku: «Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3», sayfa 8
Am Morgen war der Name des jungen Mannes unbekannt, am Abend war er in aller Mund.
Der Name des jungen Mannes war Camille Desmoulins.
Man begrüßte sich, man schloß Brüderschaft, man umarmte sich. Dann marschierte der Zug weiter.
Während des kurzen Haltes, den man gemacht, hatten die Neugierigen, die nichts sehen konnten, selbst wenn sie sich auf den Fußspitzen erhoben, Margot mit einer neuen Last an seinem Zaum, an seinem Sattel, an seinem Schwanzriemen, an seinen Steigbügeln so sehr überbürdet, daß das arme Tier in dem Augenblick, wo es sich wieder in Marsch setzen sollte, buchstäblich unter dem übermäßigen Gewicht zusammensank.
An der Ecke der Rue Richelieu schaute Billot zurück; Margot war verschwunden.
Er stieß, dem Andenken des unglücklichen Tieres gewidmet, einen Seufzer aus. Dann raffte er die Kräfte seiner Stimme zusammen und rief dreimal Pitou, wie es die Römer bei den Leichenbegängnissen ihrer Verwandten thaten; es war ihm, als hörte er aus dem Schoße der Menge eine Stimme hervordringen, die auf die seinige antwortete. Doch diese Stimme ging in dem verworrenen Geschrei verloren, das halb in Drohungen, halb in Beifallsrufen zum Himmel emporstieg.
Der Zug marschierte weiter.
Alle Läden waren geschlossen; doch alle Fenster geöffnet, und aus allen Fenstern kamen Ermutigungen und fielen voll Berauschung auf die Umhergehenden.
So erreichte man die Place Vendôme. Doch hier wurde der Zug durch ein unvorhergesehenes Hindernis aufgehalten.
Jenen Baumstämmen ähnlich, die, von einem ausgetretenen Flusse fortgewälzt, auf einen Brückenpfeiler stoßen und gegen die Trümmer, die ihnen folgen, zurückspringen, fand das Volksheer eine Abteilung von Royal-Allemand auf der Place Vendôme.
Die fremden Soldaten waren Dragoner, die, als sie die durch die Straße Saint-Honoré steigende Volksmasse sahen, die nun gegen die Place Vendôme auszuströmen anfing, ihren Pferden, die durch einen Halt von fünf Stunden ungeduldig geworden, die Zügel schießen ließen und gegen das Volk ansprengten.
Die Träger der Bahre bekamen den ersten Stoß und wurden unter der Last niedergeworfen. Ein Savoyard, der vor Billot ging, stand zuerst wieder auf, ergriff das Bildnis des Herzogs von Orleans, befestigte es auf dem Ende eines Stockes, hob es über seinen Kopf empor und schrie: »Es lebe der Herzog von Orleans!« den er nie gesehen, oder: »Es lebe Necker!« den er nicht kannte.
Billot wollte dasselbe mit der Büste von Necker thun, doch war man ihm zuvorgekommen. Ein junger Mann von vierundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahren, elegant genug gekleidet, um den Namen eines Muscadin4 zu verdienen, war der Büste mit den Augen gefolgt, was für ihn viel leichter, als für Billot war, der sie trug, und hatte sich auf dieselbe gestürzt, sobald sie den Boden berührte.
Der Pächter suchte daher vergebens auf der Erde; die Büste von Necker steckte schon an der Spitze einer Art von Pike und versammelte, neben derjenigen des Herzogs von Orleans getragen, einen großen Teil des Zuges um sich.
Plötzlich beleuchtet ein Feuerschein den Platz. In demselben Augenblick vernimmt man ein Gekrache, Kugeln pfeifen; etwas Schweres schlagt Billot vor die Stirne; er fällt; im ersten Augenblick hält sich Billot für tödlich getroffen.
Doch da ihn das Bewußtsein nicht verlassen hat, da ihm, abgesehen von einem heftigen Schmerz am Kopfe, durchaus nichts wehe thut, so begreift Billot, daß er höchstens verwundet ist; fährt mit der Hand an die Stirne, um sich der Bedeutung seiner Wunde zu versichern, und bemerkt zugleich, daß er nur eine Quetschung am Kopfe hat, und daß seine Hände von Blut gerötet sind.
Dem jungen Manne mit den schönen Kleidern, der Billot voranging, hatte eine Kugel die Brust in der Mitte durchbohrt. Er war tot. Dieses Blut, es war das seinige. Der Schlag, den Billot empfunden hatte, war die Büste von Necker, die ihm, ihre Stütze verlierend, auf den Kopf gefallen war.
Billot stößt einen Schrei aus, halb vor Wut, halb vor Schrecken.
Er tritt von dem jungen Manne zurück, der sich in den Konvulsionen des Todeskampfes zerarbeitet. Diejenigen, welche ihn umgeben, treten, wie er, zurück, und von der Menge wiederholt, verlängert sich der Schrei, den er ausgestoßen, wie ein Leichenecho in den letzten Gruppen der Rue Saint-Honoré.
Dieser Schrei ist ein neuer Aufruhr; man vernimmt ein zweites Krachen, und alsbald bezeichnen tiefe, in die Masse gegrabene Löcher den Durchzug des Geschosses.
Die Büste, deren ganzes Gesicht mit Blut befleckt ist, aufraffen, sie über seinen Kopf erheben, mit seiner männlichen Stimme Einsprache thun, auf die Gefahr hin, sich töten zu lassen gleich dem schönen jungen Mann, dessen Körper zu seinen Füßen liegt, daß ist es, was die Entrüstung Billot eingießt, und was er im ersten Augenblicke seines Enthusiasmus thut.
Doch bald legt sich eine breite, kräftige Hand auf die Schulter des Pächters und drückt dergestalt darauf, daß er genötigt ist, sich unter dem Gewichte zu biegen. Der Pächter will sich dem Druck entziehen, eine andere Hand, nicht minder schwer als die erste, fällt auf seine andere Schulter. Er dreht sich entrüstet um, um zu schauen, mit was für einem Gegner er es zu thun habe.
»Pitou?« ruft er.
»Ja, ja,« antwortet Pitou, »bücken Sie sich ein wenig und Sie werden sehen.«
Und er verdoppelt seine Anstrengung, bis es ihm gelingt, den widerspenstigen Pächter neben sich niederzudrücken.
Kaum hat er ihm das Gesicht gegen die Erde gedrückt, da ertönt eine zweite Salve. Der Savoyard, der die Büste des Herzogs von Orleans trägt, bückt sich auch, von einer Kugel in den Schenkel getroffen.
Dann hört man das Aufschlagen der Hufeisen auf dem Pflaster. Die Dragoner greifen zum zweiten Mal an; ein Pferd mit zerzauster Mähne und wütend, rennt über den unglücklichen Savoyarden, und er fühlt die kalte Spitze einer Lanze in seine Brust eindringen. Er fällt auf Billot und Pitou.
Der Sturm zieht, Schrecken und Tod verbreitend, weiter und weiter bis in die Tiefe der Straße! Die Leichname allein bleiben auf dem Pflaster. Alles flieht durch die anliegenden Gassen. Die Fenster schließen sich. Eine Todesstille folgt auf die Rufe der Begeisterung und auf das Geschrei des Zorns.
Billot wartete einen Augenblick, immer noch durch den klugen Pitou niedergehalten. Als er dann fühlte, daß die Gefahr sich mit dem Lärmen entfernte, erhob er sich auf ein Knie, während Pitou, nach Art der Hafen im Lager, nicht den Kopf aufzurichten, sondern das Ohr zu spitzen anfing.
»Nun, Herr Billot,« fügte Pitou, »ich glaube, Sie haben wahr gesprochen, wir sind im rechten Augenblick angekommen.«
»Auf, hilf mir!«
»Wobei? zu entfliehen?«
»Nein; der junge Muscadin ist tot, doch der arme Savoyard ist, wie ich denke, nur ohnmächtig. Hilf mir ihn auf meinen Rücken laden, wir können ihn nicht hier lassen, daß ihm die verdammten Deutschen den Rest geben.«
Billot sprach eine Sprache, die Pitou gerade zum Herzen ging. Er fand nichts zu antworten und konnte nur gehorchen. Darum nahm er den Körper des ohnmächtigen, blutenden Savoyarden, lud ihn, wie er es mit einem Sacke gethan hätte, auf die Schulter des kräftigen Pächters, und dieser schlug, als er die Rue Saint-Honoré frei und scheinbar verlassen sah, mit Pitou den Weg nach dem Palais-Royal ein.
XI.
Die Nacht vom 12. auf den 13. Juli
Die Straße war anfangs Billot und Pitou leer und verlassen vorgekommen, weil sich die Dragoner, in Verfolgung der Masse der Flüchtigen begriffen, in den Rues Louis-le-Grand und Gaillon verbreitet hatten, als aber Billot, instinktartig und mit halber Stimme das Wort Rache brummend, dem Palais-Royal näher kam, erschienen Menschen an den Straßenecken, in den Öffnungen der Gänge, auf der Schwelle der Thorwege; sie schauten anfangs stumm und erschrocken umher, versicherten sich der Abwesenheit der Dragoner, schlossen sich dann diesem Leichenzuge an, und wiederholten zuerst mit halber Stimme, dann laut, und endlich mit gewaltigem Geschrei das Wort: »Rache! Rache!«
Pitou ging, die schwarze Mütze des Savoyarden in der Hand, hinter dem Pächter.
Sie kamen so, eine unheimliche, traurige Prozession, auf den Platz des Palais-Royal, wo ein ganzes, vor Zorn trunkenes Volk beratschlagte und die Unterstützung der französischen Soldaten gegen die fremden forderte.
»Was für Menschen in Uniform sind das?« fragte Billot, als er vor die Fronte einer Kompagnie kam, die, das Gewehr bei Fuß, den Platz des Palais-Royal vom großen Thore des Schlosses bis zur Rue de Chartres versperrt hielt.
»Es sind französische Garden,« riefen mehrere Stimmen.
»Ah!« sagte Billot, indem er näher auf sie zutrat und den Soldaten den Körper des Savoyarden zeigte, der nur noch eine Leiche war. »Ah! ihr seit Franzosen, und laßt uns durch Deutsche erwürgen!«
Die französischen Garden machten unwillkürlich eine Bewegung rückwärts.
»Tot!« murmelten einige Stimmen in den Reihen.
»Ja, tot, ermordet, er und viele Andere.«
»Und durch wen?«
»Durch die Dragoner von Royal-Allemand. Habt ihr denn das Geschrei, die Schüsse, den Galopp der Pferde nicht gehört?«
»Doch! doch! riefen zwei- bis dreihundert Stimmen; man ermordete das Volk auf der Place Vendôme.«
»Und ihr seid vom Volk, tausend Götter!« rief Billot den Soldaten zu. »Es ist also eine Feigheit von euch, daß ihr eure Brüder ermorden laßt!«
»Eine Feigheit! murmelten einige drohende Stimmen in den Reihen.«
»Ja . . . eine Feigheit! ich habe es gesagt und wiederhole es. Ah,« fuhr Billot fort, indem er drei Schritte gegen den Punkt machte, woher die Drohungen gekommen waren, »werdet ihr mich nicht töten, um zu beweisen, daß ihr keine Feige seid?«
»Es ist gut . . . es ist gut,« sagte einer von den Soldaten; »Sie sind ein Braver, mein Freund; doch Sie sind Bürger und können thun, was Sie wollen; aber der Militär ist Soldat und hat einen Befehl.«
»Somit,« rief Billot, »wenn ihr den Befehl bekämet, auf uns, das heißt, auf Unbewaffnete, zu schießen, so würdet ihr schießen, die Nachfolger der Männer von Fontenoy!«
»Ich, ich weiß wohl, daß ich nicht feuern würde,« rief eine Stimme in den Reihen.
»Ich auch nicht, ich auch nicht,« wiederholten hundert Stimmen.
»So verhindert also die andern, auf uns zu schießen. Uns durch die Deutschen ermorden lassen, ist gerade, als ob ihr uns selbst ermorden würdet.«
»Die Dragoner! die Dragoner!« schrieen mehrere Stimmen, während zugleich die Menge, zurückgedrängt und durch die Rue Richelieu fliehend, auf den Platz auszuströmen anfing.
Und man hörte noch in der Ferne, aber näher kommend, den Galopp einer schweren Kavallerie auf dem Platze schallen.
»Zu den Waffen! zu den Waffen!« schrieen die Flüchtigen.
»Tausend Götter!« sagte Billot, während er den Körper des Savoyarden, den er bis jetzt noch nicht losgelassen, auf den Boden warf; gebt uns wenigstens eure Gewehre, wenn ihr euch derselben nicht bedienen wollt.«
»Doch, doch, tausend Donner! wir wollen uns derselben bedienen,« sagte der Soldat, an den sich Billot gewendet, während er aus den Händen des Pächters sein Gewehr losmachte, das der andere schon gepackt hatte. »Auf, auf, ergreift die Patronen, und wenn die Österreicher etwas zu diesen braven Leuten sagen, so werden wir sehen.«
»Ja, ja, wir werden sehen,« schrieen die Soldaten, und sie griffen mit der Hand an die Patrontasche, um Patronen herauszuholen.
»Oh! Donner!« rief Billot, mit dem Fuße stampfend, »daß ich mein Jagdgewehr nicht mitgenommen habe! Doch es wird wohl einer von diesen österreichischen Schuften getötet werden, dem nehme ich seine Muskete.«
»Mittlerweile,« sagte eine Stimme, »nehmen Sie diese Büchse, sie ist geladen.«
Und zugleich schob ein unbekannter Mann Billot eine reiche Büchse in die Hände.
Gerade in diesem Augenblicke mündeten die Dragoner, alles, was sich vor ihnen fand, niederwerfend und niedersäbelnd, auf den Platz aus.
Der Offizier, der die französischen Garden kommandierte, machte vier Schritte vorwärts.
»Holla! meine Herren Dragoner, halt da, wenn's beliebt!« rief er.
Sei es nun, daß die Dragoner nicht hörten, sei es, daß sie nicht hören wollten, sei es, daß sie durch einen zu stürmischen Lauf fortgerissen wurden, um anzuhalten, sie schwenkten rechts auf den Platz ein und warfen eine Frau und einen Greis nieder, die unter den Füßen der Pferde verschwanden.
»Feuer also, Feuer!« rief Billot.
Billot war ganz nahe bei dem Offizier, und man konnte glauben, der Offizier selbst rufe. Die französischen Garden schlugen an und machten ein Rottenfeuer, worauf die Dragoner rasch anhielten.
»Ei! meine Herren Garden,« sagte ein deutscher Offizier, der vor die Front der in Unordnung gebrachten Schwadron ritt, »wissen Sie, daß Sie auf uns feuern?«
»Bei Gott! ob wir das wissen!« rief Billot.
Und er schoß den Offizier vom Pferde.
Da gaben die französischen Garden eine zweite Salve, und die Deutschen, als sie sahen, daß sie es diesmal nicht mit Bürgern, die beim ersten Säbelhieb entflohen, sondern mit Soldaten zu thun hatten, die sie festen Fußes erwarteten, kehrten um und erreichten die Place Vendôme wieder unter einem so furchtbaren Ausbruch von Bravos und Triumphgeschrei, daß viele Pferde durchgingen und sich die Hirnschale an den geschlossenen Fensterläden zerschmetterten.
»Es leben die französischen Garden!« rief das Volk.
»Es leben die Soldaten des Vaterlandes!« rief Billot.
»Wir danken,« antworteten diese, »wir haben das Feuer gesehen und sind nun getauft.«
»Und ich habe das Feuer auch gesehen,« sagte Pitou.
Nun? fragte Billot.
»Nun! ich finde es nicht so erschrecklich, als ich es mir vorstellte.«
»Wem gehört nun das Gewehr?« sagte Billot, der die Büchse zu untersuchen Zeit gehabt und in derselben eine Waffe von großem Wert erkannt hatte.
»Meinem Herrn,« erwiderte dieselbe Stimme, die schon einmal hinter ihm gesprochen. »Doch mein Herr findet, Sie bedienen sich desselben zu gut, um es von Ihnen zurückzunehmen.«
Billot wandte sich um und erblickte einen Piqueur in der Livree des Herzogs von Orleans.
»Und wo ist dein Herr?« fragte er.
Der Piqueur deutete auf eine halb geöffnete Jalousie, hinter der der Prinz alles, was vorgefallen war, gesehen hatte.
»Er ist also mit uns, dein Herr?« fragte Billot.
»Mit Herz und Seele beim Volk,« erwiderte der Piqueur.
»Dann noch einmal: Es lebe der Herzog von Orleans!« rief Billot: »Freunde, der Herzog von Orleans ist für uns; es lebe der Herzog von Orleans!«
Und er deutete auf den Laden, hinter dem der Prinz stand.
Der Laden wurde ganz geöffnet, und der Herzog von Orleans verbeugte sich dreimal.
Dann schloß sich der Laden wieder.
So kurz die Erscheinung gewesen war, sie hatte die Begeisterung auf den höchsten Grad gesteigert.
»Es lebe der Herzog von Orleans!« schrieen zwei- bis dreitausend Stimmen.
»Brechen wir die Buden der Waffenschmiede auf,« sagte eine Stimme in der Mitte.
»Laufen wir ins Invalidenhaus!« riefen einige alte Soldaten. »Sombreuil hat zwanzigtausend Gewehre.«
»Ins Invalidenhaus!«
»Ins Stadthaus!« riefen mehrere Stimmen; der Stadtvogt Flesselles hat den Schlüssel zum Waffendepot der Garden, er wird sie uns geben.«
»Ins Stadthaus!« wiederholte ein Teil der Anwesenden.
Und alle Welt lief in den drei Richtungen weg, die bezeichnet worden waren.
Mittlerweile hatten sich die Dragoner wieder um den Baron Bezenval und den Prinzen von Lambesq auf der Place Louis XV. gesammelt. Das wußten Billot und Pitou nicht; sie waren keinem von den drei Haufen gefolgt und befanden sich beinahe allein auf dem Platze des Palais-Royal.
»Nun, lieber Herr Billot, wohin gehen wir, wenn ich fragen darf?« sagte Pitou.
»Ei! ich hätte große Lust, diesen braven Leuten zu folgen, nicht zu den Waffenschmieden, da ich eine so schöne Büchse habe, sondern nach dem Stadthause, oder ins Invalidenhaus. Insofern ich aber nach Paris gekommen bin, nicht um mich zu schlagen, sondern um die Adresse von Herrn Gilbert zu erfahren, so müßte ich, wie mir scheint, in das College Louis-le-Grand gehen, wo sein Sohn ist, mit dem Vorbehalt, wenn ich den Doktor gesehen habe, mich wieder in diesen ganzen Wirrwarr zu stürzen.«
Und die Augen des Pächters schleuderten Blitze.
»Zuerst in das College Louis-le-Grand zu gehen, kommt mir logisch vor, da wir zu diesem Ende nach Paris gekommen sind,« sprach Pitou pathetisch.
»Nimm also einen Musketon, einen Säbel, irgend eine Waffe von einem der Faulenzer, die dort liegen, sagte Billot, auf einen der fünf bis sechs auf der Erde ausgestreckten Dragoner deutend, und laß uns nach dem College Louis-le-Grand gehen.«
»Aber diese Waffen,« entgegnete Pitou zögernd, »gehören nicht mir.«
»Wem gehören sie denn?« fragte Billot.
»Sie gehören dem König.«
»Sie gehören dem Volk,« sagte Billot.
Stark durch das Gutheißen des Pächters, den er als einen Mann kannte, der seinen Nachbar nicht um ein Hirsenkörnchen hätte benachteiligen wollen, näherte sich Pitou mit allen Arten von Vorsichtsmaßregeln dem Dragoner, der ihm am nächsten lag, und nahm ihm, nachdem er sich versichert hatte, daß er wirklich tot war, seinen Säbel, seinen Musketon und seine Patrontasche.
Pitou hatte große Lust, ihm auch seinen Helm zu nehmen. nur wußte er nicht, ob das, was der Vater Billot von den Angriffswaffen gesagt hatte, sich auch auf die Verteidigungswaffen erstreckte.
Doch während er sich bewaffnete, horchte Pitou nach der Place Vendôme hin.
»Ho! ho!« sagte er, »mir scheint, Royal-Allemand kommt zurück.«
Man hörte in der That das Geräusch eines Reiterhaufens, der im Schritt zurückkehrte. Pitou neigte sich an die Ecke des Kaffees de la Regence und erblickte auf der Höhe des March Saint-Honoré eine herbeireitende Dragoner-Patrouille.
»Geschwinde, geschwinde, sie kommen zurück,« sagte Pitou.
Billot schaute umher, um zu sehen, ob man Widerstand zu leisten im Stande wäre. Der Platz war beinahe leer.
»Gehen wir ins College Louis-le-Grand,« sagte er.
Und er nahm den Weg nach der Rue de Chartres, gefolgt von Pitou, der, mit dem Gebrauche des Wehrgehängs nicht vertraut, seinen großen Säbel schleppte.
»Tausend Götter! Du siehst aus wie ein Alteisenhändler. Hänge dir doch diese Latte an.«
»Wo?«
»Ei! bei Gott! hier,« antwortete Billot.
Und er befestigte den Säbel von Pitou an seinem Wehrgehänge, was ihm eine Schnelligkeit im Gehen gab, die er ohne dieses Mittel nicht erlangt hätte.
Der Marsch wurde ohne einen Unfall bis zur Place Louis XV. fortgesetzt; hier aber fanden Billot und Pitou die Kolonne wieder, die sich nach dem Invalidenhause begeben wollte und plötzlich angehalten worden war.
»Nun! fragte Billot, was giebt es denn?«
»Man passiert nicht auf dem Pont Louis XV.«
»Und auf den Quais?«
»Auch nicht.«
»Und durch die Champs Elysees?«
»Ebenso wenig.«
»So kehren wir um und gehen über die Brücke der Tuilerien.«
Der Vorschlag war ganz einfach, und die Menge zeigte dadurch, daß sie Billot folgte, sie sei bereit, ihm beizutreten; doch ungefähr auf der Hälfte des Wegs zum Garten der Tuilerien sah man Säbel glänzen. Der Quai war durch eine Schwadron Dragoner abgeschnitten.
»Ah! diese verfluchten Dragoner sind also überall?« murmelte der Pächter.
»Hören Sie, lieber Herr Billot, sagte Pitou, ich glaube, wir sind gefangen.«
»Bah!« erwiderte Billot, »man fängt nicht nur so fünf- bis sechstausend Menschen.«
Die Dragoner des Quais rückten allerdings langsam doch merklich vor.
»Es bleibt uns die Rue Royal,« sagte Billot, »komm hier durch, komm, Pitou.«
Pitou folgte dem Pächter wie sein Schatten.
Doch eine Linie von Soldaten schloß die Straße auf der Höhe der Porte Saint-Honoré.
»Ah! ah!« sagte Billot, »du konntest wohl recht haben, Pitou, mein Freund.«
»So!« begnügte sich Pitou zu erwidern.
Doch dieses einzige Wort bezeichnete durch den Ausdruck, mit dem es Pitou gesprochen, wie sehr er es bedauerte, sich nicht getäuscht zu haben.
Die Menge bewies durch ihre Bewegungen und durch ihr Geschrei, daß sie nicht minder empfindlich für die Lage war, in der sie sich befand.
Durch ein geschicktes Manöver hatte der Prinz von Lambesq in der That Neugierige und Aufrührer, fünf bis sechstausend an der Zahl, umringt und hielt sie, indem er den Pont Louis XV., die Quais, die Champs-Elysees, die Rue Royale und die Feuillans absperrte, in einen großen eisernen Bogen eingeschlossen, dessen Sehne die schwer zu erkletternde Mauer des Gartens der Tuilerien und das beinahe nicht zu sprengende Gitter des Pont Tournant bildeten.
Billot erwog die Lage der Dinge: sie dünkte ihm nicht gut. Da er aber ein ruhiger, kalter Mann war, ein Mann, nicht verlegen wegen Hilfsmittel in der Gefahr, so schaute er umher und sagte, als er einen Haufen Zimmerstücke auf dem Ufer des Flusses erblickte, zu Pitou:
»Ich habe einen Gedanken, komm.«
Pitou folgte dem Vater Billot, und Billot ging auf die Zimmerstücke zu, faßte eines an und sagte einfach zu Pitou:
»Hilf mir.«
Pitou half Billot, ohne ihn zu fragen, wozu; daran war ihm wenig gelegen. Er hatte zu dem Pächter ein solches Vertrauen, daß er mit ihm in die Hölle hinabgestiegen wäre.
Der Vater Billot hatte den Balken am einen Ende genommen, Pitou nahm ihn am andern. Beide kehrten nach dem Quai zurück; sie trugen eine Last, die fünf bis sechs Männer von gewöhnlicher Stärke kaum hätten aufheben können.
Die Stärke ist immer ein Gegenstand der Bewunderung für die Menge; so geschäftig sie auch war, sie trat vor Billot und vor Pitou auf die Seite.
Nachdem man begriffen hatte, daß das Manöver, ohne Zweifel ein Manöver von allgemeinem Interesse sei, gingen einige Menschen vor Billot her und riefen:
»Platz! Platz!«
»Sagen Sie, Vater Billot,« fragte Pitou nach ungefähr dreißig Schritten, »gehen wir sehr weit so?«
»Wir gehen bis zum Gitter der Tuilerien.«
»Ho! ho!« rief die Menge, die begriff.
Und sie trat noch rascher, als zuvor, auf die Seite.
Pitou schaute und sah, daß er von dem Platz, wo er war, bis zum Gitter nur noch ungefähr dreißig Schritte zu machen hatte.
»Ich werde gehen!« sagte er mit der Kürze eines Pythagoräers.
Die Arbeit wurde indessen Pitou um so leichter, als fünf bis sechs Männer von den Stärksten am Tragen der Last teilnahmen.
In fünf Minuten war man vor dem Gitter.
»Auf!« sagte Billot, »alle zugleich.«
»Gut,« sprach Pitou, »ich verstehe, wir haben eine Kriegsmaschine gemacht. Die Römer nannten das einen Sturmbock.«
Sogleich in Bewegung gesetzt, zerschmetterte der Balken mit einem furchtbaren Stoß das Schloß des Gitters.
Die Soldaten, die im Innern der Tuilerien die Wache bezogen, liefen herbei, um sich dem Einfall zu widersetzen. Doch beim dritten Stoß gab die Thüre nach, drehte sich ungestüm auf ihren Angeln, und die Menge stürzte in den gähnenden, düsteren Schlund.
Aus der hiebei stattfindenden Bewegung ersah der Prinz von Lambesq, daß ein Ausgang für diejenigen geöffnet war, die er für seine Gefangenen hielt. Der Zorn bemächtigte sich seiner. Er ließ sein Pferd einen furchtbaren Sprung vorwärts machen, um die Lage besser beurteilen zu können. Die hinter ihm aufgestellten Dragoner glaubten, es sei ihnen Befehl zum Angriff gegeben, und folgten ihm. Schon erhitzt, konnten die Pferde ihren Lauf nicht mäßigen; die Männer, die eine Genugthuung für ihre Niederlage auf dem Platze des Palais-Royal zu nehmen hatten, versuchten es wahrscheinlich nicht, sie zurückzuhalten.
Der Prinz, als er sah, daß es ihm unmöglich war, die Bewegung zu mäßigen, ließ sich fortreißen, und ein von den Weibern und Kindern ausgestoßenes herzzerreißendes Geschrei stieg zum Himmel auf, um Rache von Gott zu verlangen.
Es ereignete sich in der Finsternis eine gräßliche Scene. Die Angegriffenen wurden wahnsinnig vor Schmerz, die Angreifer wahnsinnig vor Zorn.
Von den Terrassen herab wurde schnell eine Art Verteidigung organisiert. Die Stühle flogen auf die Dragoner. An den Kopf getroffen, erwiderte der Prinz von Lambesq den Streich durch einen Säbelhieb, ohne zu bedenken, daß er einen Unschuldigen schlug, statt einen Schuldigen zu bestrafen, und ein siebzigjähriger Greis sank zu Boden.
Billot sah den Mann fallen und stieß einen Schrei aus.
Flugs war seine Büchse an seiner Schulter, ein Feuerstreif durchzuckte die Finsternis, und der Prinz wäre tot gewesen, hätte sich nicht in diesem Augenblick aus Zufall sein Pferd gebäumt. Das Pferd erhielt die Kugel in den Hals und stürzte nieder.
Man hielt den Prinzen für tot. Da sprengten die Dragoner in die Tuilerien und verfolgten die Flüchtigen mit Pistolenschüssen.
Doch die Flüchtigen hatten nun einen großen Raum, sie zerstreuten sich unter den Bäumen.
Billot lud wieder ruhig seine Büchse, indem er sagte, »Pitou, ich glaube bei meiner Treue, du hattest recht; wir sind zur rechten Zeit angekommen.«
»Wenn ich tapfer würde,« versetzte Pitou und feuerte seinen Musketon in das dichteste Gedränge der Dragoner ab; »mir scheint, das ist nicht so schwer.«
»Ja,« erwiderte Billot, »doch die unnütze Tapferkeit ist keine Tapferkeit. Komm hieher, Pitou, und nimm dich in acht, daß du dir die Beine nicht in deinem Säbel verwickelst.«
»Warten Sie auf mich, lieber Herr Billot. Wenn ich Sie verlöre, wüßte ich nicht, wohin ich gehen sollte. Ich kenne Paris nicht, wie Sie; ich bin nie hier gewesen.«
»Komm, komm,« sagte Billot, und er schlug den Weg über die Terrasse am Rande des Wassers ein, bis er die Linie der Truppen überschritten hatte, die auf den Quais vorrückten, doch diesmal so rasch, als sie konnten, um, wenn es nötig wäre, den Dragonern des Prinzen von Lambesq Verstärkung zu bringen.
Am Ende der Terrasse angelangt, setzte sich Billot auf die Brüstung und sprang auf den Quai hinab. Pitou that dasselbe.