Kitabı oku: «Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3», sayfa 7
»Welches Kistchen?« fragte Katharine.
»Ei! Du weißt es wohl.«
»Das Kistchen des Doktors Gilbert?« sagte Frau Billot, die bei Umständen von hoher Bedeutung schwieg und die andern handeln und sprechen ließ.
»Ja, das Kistchen des Doktors Gilbert,« rief Billot, indem er die Hände in seine dichten Haare versenkte. »Das so kostbare Kistchen!«
»Sie erschrecken mich, mein Vater,« sprach Katharine.
»Oh! ich Unglücklicher!« rief Billot voll Wut; »und ich habe mir das nicht ahnen lassen! ich habe gar nicht an dieses Kistchen gedacht! Oh! was wird der Doktor sagen? was wird er von mir halten? Er muß glauben, ich sei ein Verräter, ein Feiger, ein Elender!«
»Aber, mein Gott, was enthielt denn das Kistchen, mein Vater?«
»Ich weiß es nicht; ich weiß nur, daß ich mich dem Doktor mit meinem Leben dafür verbürgt habe, und daß ich mich hätte müssen töten lassen, um es zu verteidigen,« rief Billot.
Und er machte eine so verzweifelte Geberde, daß seine Frau und seine Tochter vor Schrecken zurückwichen.
»Mein Gott, mein Gott, werden Sie wahnsinnig, mein Vater?« sagte Katharine.
Und sie brach in ein Schluchzen aus.
»Antworten Sie mir doch!« rief sie, »um des Himmels willen, antworten Sie mir doch.«
»Mein Freund,« sprach Frau Billot, »antworte doch deiner Frau, antworte doch deiner Tochter.«
»Mein Pferd, mein Pferd!« rief der Pächter; »man führe mir mein Pferd vor.«
»Wohin wollen Sie denn, mein Vater?«
Den Doktor benachrichtigen, der Doktor muß Nachricht haben.
»Aber wo werden Sie ihn finden?«
»In Paris. Hast du in dem Brief, den er uns geschrieben, nicht gelesen, er begebe sich nach Paris? Er muß dort sein. Ich gehe nach Paris. Mein Pferd! mein Pferd!«
»Und Sie verlassen uns so, mein Vater, Sie verlassen uns in einem solchen Augenblick! Sie lassen uns in Angst und Unruhe zurück?«
»Es muß sein, mein Kind; es muß sein,« sagte der Pächter, während er den Kopf seiner Tochter zwischen seine Hände nahm und krampfhaft seinen Lippen näherte. »»Wenn du je dieses Kistchen verlörest,«« hat der Doktor zu mir gesagt, »»oder wenn man es dir vielmehr stehlen würde, brich sogleich auf, komm und benachrichtige mich überall, wo ich auch sein werde; nichts halte dich auf, nicht einmal das Leben eines Menschen.««
»Herr, was kann denn dieses Kistchen enthalten?«
»Ich weiß es nicht; ich weiß nur, daß man es mir zur Aufbewahrung übergeben hatte, und daß ich es mir habe nehmen lassen. Ah! hier ist mein Pferd. Durch den Sohn, der im Kollege ist, werde ich wohl erfahren, wo sich der Vater befindet.«
Hiernach umarmte der Pächter seine Frau und seine Tochter zum letztenmal, schwang sich auf den Sattel und sprengte querfeldein in der Richtung der Straße nach Paris.
IX.
Straße nach Paris
Kehren wir zu Pitou zurück.
Pitou wurde vorwärts getrieben durch die zwei größten Anstachelungsmittel der Welt: die Furcht und die Liebe.
Die Furcht hatte ihm unmittelbar gesagt:
Du kannst verhaftet oder geschlagen werden, nimm dich in acht, Pitou.
Und das genügte, um ihn wie einen Hirsch laufen zu machen.
Die Liebe hatte ihm durch die Stimme von Katharine gesagt:
Entfliehen Sie geschwinde, mein lieber Pitou.
Die zwei Anstachelungsmittel machten, wie gesagt, daß Pitou nicht lief, sondern flog.
Wie kamen ihm seine langen Beine und seine ungeheuren Kniee, die bei einem Ball so unlieblich erschienen, nun so nützlich auf dem Felde vor, wo sein Herz, von Angst beklommen, drei Pulsschläge in der Sekunde that.
Herr von Charny mit seinen kleinen Füßen, seinen feinen Knieen und seinen symmetrisch an ihren Platz gestellten Beinen wäre sicherlich nicht so gelaufen.
Pitou lief also unaufhaltsam durch das Gehölz, ließ Cayolles zu seiner Rechten, Yvors zu seiner Linken und drehte sich bei jeder Ecke des Waldes, um zu sehen, oder vielmehr, um zu horchen; denn seit langer Zeit sah er nichts mehr, da seine Verfolger durch die Schnelligkeit, von der Pitou eine so glänzende Probe gegeben, gleich von Anfang um tausend Schritte von ihm entfernt waren, eine Entfernung, die jeden Augenblick zunahm.
Es ist wahr, daß sich die Agenten von Pasdeloup, ganz entzückt, ihre Beute in Händen zu haben, nicht im geringsten mehr um Pitou bekümmerten; doch Pitou wußte das nicht. Ihn verfolgten in seiner Angst noch immer die Schatten der Häscher, obgleich sie in Wirklichkeit schon längst von ihm abgelassen hatten.
Was die schwarzen Männer betrifft, so hatten sie das Selbstvertrauen, welches das Geschöpf träge macht.
»Laufe, laufe!« sagten sie, indem sie die Hände in ihre Hosentaschen steckten und darin die Belohnung klingen ließen, mit der sie Herr Pasdeloup beehrt hatte: »laufe, wir werden dich immerhin finden, wann wir wollen.«
Und Pitou lief immer weiter, als ob er die Worte der Agenten von Herrn Pasdeloup hätte hören können.
Als er durch schlaue Kreuzung seiner Laufspuren – wie es die Tiere des Waldes thun, um die Meute von ihrer Fährte abzubringen – seine Fußstapfen in ein so verworrenes Netz verwickelt hatte, daß sich Nimrod selbst nicht ausgekannt haben würde, faßte er plötzlich den Entschluß, nach rechts einen Haken zu machen, um die Straße von Villers-Cotterets nach Paris, ungefähr auf der Höhe der Heide von Gondreville, zu erreichen.
Sobald dieser Entschluß gefaßt war, stürzte er durch das Gehölze, machte einen rechten Winkel und erblickte nach Verlauf von einer Viertelstunde die Landstraße, eingerahmt von ihrem gelben Sandboden und begrenzt von ihren grünen Bäumen.
Eine Stunde nach seinem Abgang vom Pachthofe befand er sich auf dem Pflaster des Königs.
Er hatte ungefähr vier und eine halbe Meile in dieser Stunde gemacht. Das ist alles, was man von einem guten Pferde in scharfem Trab verlangen kann.
Er warf einen Blick rückwärts. Und nirgends zeigte sich was auf dem Wege, nur vor ihm ritten zwei Weiber auf Eseln.
Ein wenig beruhigt durch das, was er sah oder vielmehr nicht sah, machte Pitou einen Purzelbaum auf dem Rasen am Saume des Waldes, trocknete sich mit dem Aermel sein dickes, ganz rotes Gesicht ab, legte sich auf den frischen Klee und überließ sich der Wollust, in Ruhe zu schwitzen.
Doch die süßen Düfte der Luzerne und des Majorans konnten bei ihm das gesalzene Fleisch der Mutter Billot und das anderthalb Pfund schwere Laibchen schwarzes Brot, das ihm Katharine bei jedem Mahl, d. h. dreimal täglich, zuschied, nicht in Vergessenheit bringen.
Pitou sagte sich philosophisch, Mademoiselle Katharine sei die freigebigste Prinzessin der Welt, und der Pachthof des Vaters Billot der kostbarste Palast des Weltalls.
Dann sandte er einen sehnsuchtsvollen Blick in die Richtung des glückseligen Pachthofes und seufzte. Er fühlte, wie seine einen Augenblick sehr verworrenen und sehr gestörten Ideen mit dem ruhigen Atem wieder zu ihrer Regelmäßigkeit zurückkehrten.
»Warum,« sagte er zu sich selbst, »warum sind mir so viele außerordentliche Ereignisse in einem so kurzen Zeitraum begegnet? Warum mehr Vorfälle in drei Tagen, als in der ganzen übrigen Zeit meines Lebens?«
»Weil mir von einer Katze geträumt hatte, die Händel mit mir suchte,« antwortete er sich.
Und er machte eine Geberde, die besagte, die Quelle seines Unglücks sei ihm hinreichend klar.
»Ja,« fügte Pitou bei, nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, »doch das ist keine Logik wie die meines verehrungswürdigen Abbés Fortier. Nicht, weil ich von einer gereizten Katze geträumt habe, begegnen mir alle diese Abenteuer. Der Traum ist den Menschen nur als Warnung gegeben worden.«
»Darum hat, ich weiß nicht welcher Schriftsteller, gesagt:« »»Du hast geträumt, hüte dich: cave, somniasti««.
»Somniasti?« fragte sich Pitou bestürzt. »Sollte ich denn abermals einen Barbarismus gemacht haben? Ei! nein, ich habe nur eine Elision gemacht; somniavisti hätte ich in grammatikalischer Sprache sagen müssen.«
»Es ist erstaunlich,« fuhr Pitou in Selbstbewunderung fort, »wie ich das Lateinische kann, seitdem ich es nicht mehr lerne.«
Nach dieser Verherrlichung seiner eigenen Person setzte sich Pitou wieder in Marsch.
Pitou ging mit langen Schritten, aber ruhiger. Diese Schritte konnten zwei Meilen in der Stunde zurücklegen.
Infolgedessen hatte Pitou innerhalb zweier Stunden, nachdem er sich wieder in Marsch gesetzt, Manteuil hinter sich und steuerte auf Dammartine zu.
Plötzlich überbrachte ihm sein feines Gehör, das nicht minder geübt war, als das eines wilden Osagen, das Geräusch eines auf dem Pflaster schallenden Hufeisens.
»Ho! ho!« rief Pitou; und er skandierte den bekannten Vers von Virgil: Quadru pe dante pu trem soni tu quatit ungula campum.
Und er schaute, doch er sah nichts.
Waren es die Esel, die er in Levignan gelassen und die einen Galopp angeschlagen hatten? Nein, denn das klirrende Eisen erscholl auf dem Pflaster; Pitou aber hatte in Haramont und selbst in Villers-Cotterets nur den Esel der Mutter Sabot gekannt, der beschlagen war, und zwar, weil die Mutter Sabot den Postdienst zwischen Villers-Cotterets und Crespy verrichtete.
Er vergaß daher für den Augenblick das Geräusch, das er gehört hatte, um zu seinen Betrachtungen zurückzukehren.
Wer waren die schwarzen Männer, die ihn über den Doktor Gilbert gefragt, die ihm die Hände gebunden, ihn verfolgt hatten, und die er so weit zurückgelassen?
Woher kamen diese im ganzen Kanton völlig unbekannten schwarzen Männer?
Was hatten sie besonders mit Pitou abzumachen? mit ihm, der sie nie gesehen und folglich auch nicht kannte?
Wie, da er sie gar nicht kannte, war es ihnen möglich, ihn zu kennen? Warum hatte ihn Mademoiselle Katharine nach Paris gehen heißen, und warum hatte sie ihm, um ihm die Reise zu erleichtern, einen Louisd'or von achtundvierzig Franken gegeben? das heißt zweihundert und vierzig Pfund Brot, das Pfund Brot zu vier Sous gerechnet, also Mittel, um achtzig Tage oder beinahe drei Monate bei einiger Mäßigkeit zu leben?
Vermutete Mademoiselle Katharine, Pitou könnte oder müsse achtzig Tage vom Pachthause entfernt bleiben?
Pitou bebte plötzlich.
»Ho! ho!« sagte er; »abermals dieses Hufeisen.«
Und er richtete sich auf.
»Diesmal täusche ich mich nicht. Das Geräusch, das ich höre, ist das eines galoppierenden Pferdes, ich will es auf der Steige sehen.«
Pitou hatte sein Selbstgespräch noch nicht vollendet, als ein Pferd auf der Höhe eines kleinen Abhanges hinter ihm auf ungefähr vierhundert Schritt erschien.
Die Furcht, die ihn auf einen Augenblick verlassen hatte, ergriff Pitou abermals und gab ihm noch längere und unerschrockenere Beine, als die, von denen er zwei Stunden vorher einen so wunderbaren Gebrauch gemacht, da er sich von einem der Agenten verfolgt glaubte.
Ohne zu überlegen, ohne rückwärts zu schauen, ohne daß er nur seine Flucht zu verhehlen suchte, schwang sich Pitou, auf die Vortrefflichkeit seines stählernen Kniebugs rechnend, mit einem einzigen Satz auf die andere Seite des Grabens, der die Straße begrenzte, und fing an, querfeldein in der Richtung von Ermenonville zu entfliehen. Pitou wußte nicht, was Ermenonville war. Er erblickte nur am Horizont den Gipfel von einigen Bäumen und sagte zu sich selbst:
»Wenn ich diese Bäume erreiche, die ohne Zweifel der Saum eines Waldes sind, bin ich gerettet.«
Und er eilte gegen Ermenonville.
Diesmal handelte es sich darum, ein Pferd im Laufe zu besiegen. Pitous Füße waren nicht Füße mehr, sondern Flügel. Und das um so mehr, weil Pitou, nachdem er sich ungefähr hundert Schritte querfeldein geflüchtet, im Zurücksehen bemerkt hatte, wie der Reiter sein Pferd den ungeheuern Sprung machen ließ, den er selbst über den Straßengraben gemacht.
Von diesem Augenblicke an gab es für den Flüchtigen keinen Zweifel mehr, daß es der Reiter auf ihn abgesehen habe, und der Flüchtige verdoppelte seine Geschwindigkeit, ohne nur noch den Kopf umzuwenden, weil er hierdurch Zeit zu verlieren fürchtete. Was seinen Lauf nun beschleunigte, war nicht mehr das Geräusch der Hufeisen auf dem Pflaster (denn das Geräusch dämpfte sich im Klee und auf dem Brachfelde); sondern es war etwas wie ein Schrei, der ihn verfolgte, die letzte Silbe seines Namens vom Reiter ausgesprochen, – ein Hu! Hu! welches das Echo seines Zornes zu sein schien und durch die Luft zog, die er durchschnitt.
Doch nach zehn Minuten dieses furchtbaren Laufes fühlte Pitou seine Brust schwer werden, seinen Kopf sich verstopfen. Seine Augen fingen an, in ihren Höhlen zu schwanken. Es kam ihm vor, als erhielten seine Kniee eine beträchtliche Ausdehnung, als füllten sich seine Lenden mit kleinen Steinen. Von Zeit zu Zeit stolperte er in den Furchen, er, der gewöhnlich die Füße beim Laufen so hoch aufhob, daß man alle Nägel an der Sohle seiner Schuhe sah.
Endlich triumphierte das Pferd, das in der Kunst zu laufen erhabener als der Mensch geboren ist, über den zweifüßigen Pitou; und dieser hörte zugleich die Stimme des Reiters nicht mehr: Hu! Hu! sondern: Pitou! Pitou! rufen.
Es war um ihn geschehen: alles war verloren.
Pitou versuchte es indessen, seinen Lauf fortzusetzen; das war eine Art von maschinenmäßiger Bewegung geworden; er ging, durch die repulsive Kraft fortgerissen; plötzlich wichen seine Kniee. Er wankte und fiel, einen großen Seufzer ausstoßend, mit dem Gesicht gegen die Erde nieder.
Zu gleicher Zeit aber, als er niederfiel, fest entschlossen, wenigstens mit seinem Willen nicht mehr aufzustehen, erhielt er einen Peitschenhieb um die Lenden. Ein schwerer Fluch, der ihm nicht fremd war, erscholl, und eine wohlbekannte Stimme rief ihm zu:
»Ah! Tölpel, ah! Dummkopf, du hast also geschworen, Cadet krepieren zu machen!«
Der Name Cadet setzte der Unentschlossenheit von Pitou ein Ziel.
»Ah!« rief er, indem er sich halb um sich selbst wandte, so daß er, statt auf dem Bauch zu liegen, auf den Rücken zu liegen kam. »Ah! ich höre die Stimme von Herrn Billot.«
Es war in der That der Vater Billot. Als sich Pitou von der Identität wohl überzeugt hatte, setzte er sich auf.
Der Pächter hatte seinerseits Cadet, der ganz von Schweiß troff, angehalten.
»Ah! lieber Herr Billot,« rief Pitou, »wie gut sind Sie, daß Sie mir so nachrennen! Ich schwöre Ihnen, daß ich in den Pachthof zurückgekommen wäre, nachdem ich den Doppel-Louisd'or von Mademoiselle Katharine verzehrt gehabt hätte. Doch da Sie da sind, so nehmen Sie hier Ihren Doppel-Louisd'or wieder, denn im ganzen gehört er doch Ihnen, und lassen Sie uns in den Pachthof zurückkehren.«
»Tausend Teufel!« entgegnete Billot, »es handelt sich wohl darum, in den Pachthof zurückzukehren, wo die Mouchards sind.«
»Die Mouchards!«2 fragte Pitou, der die Bedeutung dieses Wortes, das erst seit kurzer Zeit in das Wörterbuch der Sprache aufgenommen worden war, nicht recht begriff.
»Ja, ja, die Mouchards,« sagte Billot, »die schwarzen Männer, wenn du das besser begreifst.«
»Ah, die schwarzen Männer! Sie können sich wohl denken, Herr Billot, daß ich nicht zu meinem Vergnügen auf sie gewartet habe.«
»Bravo! sie sind also zurück.«
»Ich schmeichle mir damit; doch nach einem Laufe, wie ich ihn vollbracht, ist das, wie mir scheint, das Wenigste.«
»Wenn du deiner Sache gewiß warst, warum bist du dann noch immer geflohen?«
»Weil ich glaubte, es sei ihr Anführer, der mich, um mit Ehren zu bestehen, zu Pferde verfolge.«
»Ah! ah! du bist nicht so ungeschickt, als ich dachte. Sobald also der Weg frei ist, auf! auf! nach Dammartine.«
»Wie! auf, auf?«
»Ja, erhebe dich und komm mit mir.«
»Wir gehen also nach Dammartine?«
»Ja, ich werde ein Pferd beim Gevatter Lefranc nehmen; ich lasse ihm Cadet, der nicht mehr weiter kann, und wir marschieren heute Abend bis nach Paris.«
»Gut, Herr Billot, gut.«
»Wohl denn! auf! auf!«
Pitou strengte sich an, um zu gehorchen.
»Ich möchte wohl, lieber Herr Billot, aber ich kann nicht,« sagte er.
»Du kannst nicht aufstehen?«
»Nein.«
»Du hast wohl vorhin den Karpfensprung gemacht?«
»Oh! vorhin, darüber dürfen Sie sich nicht wundern. Ich hörte Ihre Stimme, und bekam zugleich einen Peitschenhieb auf den Rückgrat. Doch dergleichen Dinge gelingen nur einmal; jetzt bin ich an Ihre Stimme gewöhnt, und was Ihre Peitsche betrifft, so bin ich nun fest überzeugt, daß Sie dieselbe nur noch zur Führung des armen Cadet, der beinahe so heiß hat, als ich, anwenden werden.«
Die Logik von Pitou, welche im ganzen genommen keine andre war, als die des Abbés Fortier, überzeugte und rührte beinahe den Pächter.
»Ich habe keine Zeit, mich durch dein Schicksal erweichen zu lassen,« sagte er zu Pitou; »doch strenge dich an und steige auf das Kreuz von Cadet.«
»Ah! ah, da wird der arme Cadet krepieren!«
»Bah! in einer halben Stunde sind wir beim Vater Lefranc.«
»Ei! mein lieber Herr Billot, mir scheint, es ist vollkommen unnütz, daß ich zum Vater Lefranc gehe.«
»Und warum?«
»Weil, wenn Sie etwas in Dammartine bedürfen, ich doch nichts dort bedarf.«
»Ja, aber ich, ich bedarf, daß du nach Paris kommst. In Paris wirst du mir dienen; du hast solide Fäuste, und ich bin fest überzeugt, daß man sich dort demnächst Püffe austeilen wird.«
»Ah! ah!« versetzte Pitou, nicht sehr entzückt über diese Aussicht: »Sie glauben?«
Und er hißte sich auf Cadet, wobei ihn Billot wie einen Mehlsack an sich zog. Der gute Pächter erreichte die Landstraße wieder und agierte so gut mit dem Zaum, mit den Knieen und mit den Sporen, daß man in weniger als einer halben Stunde, wie er gesagt hatte, in Dammartine war.
Billot war in die Stadt durch ein ihm bekanntes Gäßchen eingeritten. Er gelangte in den Pachthof des Vaters Lefranc, ließ Pitou und Cadet mitten im Hof, lief geradeswegs in die Küche, wo der Vater Lefranc, eben im Begriffe auszureiten, um eine Runde in den Feldern zu machen, seine Gamaschen zuknöpfte.
»Geschwinde, geschwinde, Gevatter,« sagte er zu Lefranc, ehe sich dieser von seinem Erstaunen erholt hatte, »Dein stärkstes Pferd.«
»Das ist Margot,« erwiderte Lefranc; »das gute Tier ist gerade gesattelt; ich war im Begriff, aufzusitzen.«
»Gut also, Margot; nur ist es möglich, daß ich sie zu Tode reite, das sage ich dir zum Voraus.«
»Ah! Margot zu Tode reiten, und warum dies?« frage ich dich.
»Weil ich heute Abend in Paris sein muß,« sagte Billot mit düsterer Miene.
Und er machte Lefranc eine äußerst bezeichnende Freimaurergeberde.
»Dann reite Margot zu Tode,« sprach der Vater Lefranc, »du wirst mir Cadet geben.«
»Abgemacht.«
»Ein Glas Wein?«
»Zwei.«
»Doch du bist nicht allein, wie mir scheint?«
»Nein, ich habe einen braven Burschen bei mir, den ich mit mir nehme; er ist so abgemattet, daß er nicht die Kraft gehabt hat, bis hierher zu kommen; laß ihm etwas geben.«
»Sogleich, sogleich,« sagte der Pächter. In zehn Minuten hatten die zwei Freunde jeder seine Flasche Wein getrunken, und Pitou hatte einen zweipfündigen Laib Brot und ein halbes Pfund Speck verschlungen. Wahrend er aß, rieb ihn ein Knecht vom Pachthof, ein guter Teufel, mit einer Handvoll frischer Luzerne, wie er es mit einem Lieblingspferde gemacht hätte.
So gerieben, so erquickt, verschluckte Pitou auch ein Glas Wein von einer dritten Flasche, die mit um so größerer Schnelligkeit geleert wurde, als, wie gesagt, Pitou daran teil nahm, wonach Billot Margot bestieg und Pitou, steif wie ein Stück Holz, auf das Kreuz gesetzt wurde.
Vom Sporne angetrieben, trabte das gute Tier bald unter der doppelten Last mutig gen Paris, wobei es ohne Unterlaß mit seinem kräftigen Schweif nach den Fliegen jagte, dem armen Pitou den staubigen Rücken ausklopfte und von Zeit zu Zeit mit der dicken Rute aus Roßhaar auch an seine dünnen, wegen schlecht aufgezogener Strümpfe schutzlosen Waden schlug.
X.
Was am Ende der Straße, der Pitou folgte, nämlich in Paris vorging
Von Dammartine nach Paris sind es noch acht Meilen. Die vier ersten legte man ziemlich leicht zurück; doch von Bourget an wurden die Beine von Margot, obgleich durch die langen Beine von Pitou angetrieben, am Ende steif.
Als man nach La Villette kam, glaubte Billot in der Nähe von Paris eine große Flamme zu erschauen.
Er machte Pitou auf den rötlichen Schein aufmerksam, der am Horizont aufstieg.
»Sie sehen also nicht,« sagte Pitou, »daß das Truppen sind, die biwakieren und Feuer angezündet haben?«
In der That, indem er aufmerksam zu seiner Rechten schaute, sah der Vater Billot die Ebene von Saint-Denis besät mit schwarzen Abteilungen, die schweigsam, Infanterie und Kavallerie, in der Finsternis marschierten.
Ihre Waffen glänzten zuweilen in den bleichen Strahlen der Sterne. Pitou, der durch seine nächtlichen Wanderungen in der Dunkelheit zu sehen gewöhnt war, zeigte sogar seinem Herrn mitten auf dem feuchten Felde Kanonen, die bis zur Hälfte der Räder im Kot versunken waren.
»Ho! ho!« sagte Billot, »es giebt also neues dort? Beeilen wir uns, Junge, beeilen wir uns.«
»Ja, ja, es giebt Feuer dort,« erwiderte Pitou, der sich auf dem Kreuze von Margot erhoben hatte. »Sehen sie, sehen Sie die Funken!«
Margot blieb stehen. Billot sprang von ihrem Rücken auf das Pflaster und trat zu einer Gruppe blau und gelber Soldaten, die unter den Bäumen an der Straße biwakierten.
»Kameraden,« fragte er sie, »könnt Ihr mir wohl sagen, was es neues in Paris giebt?«
Doch die Soldaten beschränkten sich darauf, daß sie ihm durch einige Flüche in deutscher Sprache antworteten.
»Was Teufel sagen sie?« fragte Billot Pitou.
Pitou antwortete mit gewaltigem Zittern: »Lieber Herr Billot, ich kann Sie bloß versichern, daß es nicht lateinisch ist, was sie reden.«
Billot dachte nach und schaute.
»Ich Dummkopf, der ich bin, daß ich mich an Kaiserliche wende, rief er.«
Und in seiner Neugierde blieb er unbeweglich mitten auf der Straße.
Ein Offizier kam auf ihn zu.
»Ziehen Sie Ihres Weges,« sagte er, »und zwar geschwinde.«
»Verzeihen Sie, Kapitän,« erwiderte Billot, »ich gehe nach Paris.«
»Nun?«
»Und da ich Sie quer auf dem Wege sehe, so befürchte ich, daß man nicht bis zu den Barrièren passiert.«
»Man passiert.«
Billot stieg wieder zu Pferde und passierte wirklich; aber nur, um unter die Husaren von Berchigny zu geraten, die La Villette versperrten.
Diesmal hatte er es mit Landsleuten zu thun, und er fragte daher mit besserem Erfolg.
»Mein Herr,« sagte er, »was giebt es denn neues in Paris?«
»Eure wütenden Pariser,« antwortete ein Husar, »wollen ihren Necker haben, und sie schießen auf uns, als ob das uns anginge.«
»Necker haben!« rief Billot, »Sie haben ihn also verloren?«
»Gewiß, da ihn der König abgesetzt hat.«
»Der König hat Herrn Necker abgesetzt?« sprach Billot mit dem Erstaunen eines Adepten, der über Ruchlosigkeit schreit; »der König hat diesen großen Mann abgesetzt?«
»Oh, mein Gott, ja, mein Braver; dieser große Mann ist sogar schon unterwegs nach Brüssel.«
»Wohl! dann werden wir lachen,« rief Billot mit einer furchtbaren Stimme, ohne sich um die Gefahr zu bekümmern, die er dadurch lief, daß er mitten unter zwölf bis fünfzehnhundert royalistischen Säbeln sich als Aufrührer gebärdete.
Und er bestieg abermals Margots Rücken und trieb sie mit grausamen Fersenstößen bis zur Barrière.
Während er immer weiter ritt, sah er den Brand um sich greifen und sich röten; eine lange Feuersäule stieg von der Barrière zum Himmel auf. Die Barrière selbst brannte.
Eine brüllende, wütende Menge, vermischt mit Weibern, die ihrer Gewohnheit gemäß lauter drohten und schrieen als die Männer, schürte die Flamme mit Trümmern von Zimmerwerk, Hausgeräte und Effekten des Octroieinnehmers.
Auf der Straße schauten die ungarischen und deutschen Regimenter, das Gewehr bei Fuß, der Verwüstung zu und verzogen keine Miene.
Billot hielt nicht bei diesem Flammenwall an. Er trieb Margot durch den Brand. Margot setzte mutig über die weißglühende Barrière; doch jenseits der Barrière mußte Billot vor einer dichtgedrängten Volksmenge anhalten, die aus dem Mittelpunkte der Stadt in die Vorstädte zurückströmte, wobei die einen sangen, die andern: Zu den Waffen! riefen.
Billot hatte das Aussehen von dem, was er war, nämlich von einem guten Pächter, der in seinen Geschäften nach Paris kommt. Er schrie, vielleicht ein wenig zu laut: »Platz! Platz!« Doch Pitou wiederholte so artig hinter ihm: Platz, »wenn's beliebt! Platz!« daß der eine den andern verbesserte. Niemand hatte ein Interesse dabei, Billot zu verhindern, zu seinen Geschäften zu gehen: man ließ ihn vorüber.
Margot hatte ihre Kräfte wiedergefunden! das Feuer hatte ihr die Haare versengt: all dieses ungewöhnliche Geschrei ängstigte sie. Billot war nun genötigt, ihre letzte Anstrengung zu zügeln, denn er befürchtete, die zahlreichen, vor den Thoren zusammengescharten Neugierigen niederzureiten.
Billot rückte immerhin vor, indem er Margot, bald rechts, bald wieder links lenkte, bis zum Boulevard.
Es defilierte eben ein Zug, der von der Bastille kam und nach dem Garde-Meubles marschierte. Dieser Zug versperrte den Boulevard und folgte einer Bahre, auf der zwei Büsten getragen wurden: die eine durch einen Flor verschleiert, die andere mit Blumen bekränzt.
Die durch einen Flor verschleierte Büste war die Büste von Necker, dem nicht in Ungnade gefallenen, aber entlassenen Minister; die andere war die Büste des Herzogs von Orleans, der bei Hofe für den Finanzmann von Genf offen Partei genommen hatte.
Billot erkundigte sich, was diese Prozession bedeute. Man sagte ihm, es sei eine Herrn Necker und seinem Verteidiger, dem Herrn Herzog von Orleans, vom Volke dargebrachte Huldigung.
Billot war in einer Gegend geboren, wo man den Namen des Herzogs von Orleans seit anderthalb Jahrhunderten verehrte. Billot gehörte zur philosophischen Sekte und betrachtete folglich Necker nicht nur als einen großen Minister, sondern auch als einen Apostel der Menschheit. Das war mehr, als es brauchte, um Billot zu begeistern. Er sprang von seinem Pferde, ohne genau zu wissen, was er that, und schrie: »Es lebe der Herzog von Orleans! es lebe Necker!« und mischte sich unter die Menge.
Hat man sich einmal unter die Menge gemischt, so verschwindet die individuelle Freiheit. Billot war es übrigens um so leichter, sich fortreißen zu lassen, als er vielmehr an der Spitze, als an dem Schweife der Bewegung ging.
Der Zug rief aus vollem Halse: »Es lebe Necker! Keine fremden Truppen mehr! Nieder mit den fremden Truppen!«
Billot vermischte seine mächtige Stimme mit allen diesen Stimmen,
Ein Vorzug, welcher es auch sein mag, wird immer vom Volke geschätzt. Der Pariser der Vorstädte mit der schwächlichen, heiseren, durch die Entkräftung geschwächten, oder durch den Wein zerfressenen Stimme würdigte die frische, reine, klangreiche Stimme von Billot und machte ihm Platz, so daß Billot, ohne zu sehr gepufft, mit den Ellbogen gestoßen, des Atems beraubt zu werden, bis zu der Bahre gelangte.
Nach Verlauf von zehn Minuten trat ihm einer von den Trägern, dessen Enthusiasmus seine Kräfte überstieg, seinen Platz ab.
Billot hatte, wie man sieht, rasch seinen Weg gemacht.
Am Tage vorher noch einfacher Verbreiter der Broschüre des Doktors Gilbert, war er am andern Abend eines der Werkzeuge des Triumphes von Necker und vom Herzog von Orleans.
Doch kaum zu diesem Posten gelangt, durchzuckte ein Gedanke seinen Geist. Was war aus Pitou, was war aus Margot geworden?
Während er seine Bahre trug, wandte Billot seinen Kopf um und sah beim Scheine der Fackeln, die den Zug begleiteten und erhellten, beim Schimmer der Lämpchen, die alle diese Fenster beleuchteten, mitten im Zuge eine Art von wandernder Erhöhung, gebildet von fünf bis sechs gestikulierenden und schreienden Menschen.
Unter diesen Gestikulationen und unter diesem Geschrei war die Stimme von Pitou leicht zu unterscheiden, ließen sich seine langen Arme leicht erkennen.
Pitou that, was er konnte, um Margot zu verteidigen, aber trotz seiner Anstrengung war Margot gleichsam im Sturme genommen worden. Margot trug nicht mehr Pitou und Billot, schon eine ehrenwerte Last für das arme Tier.
Margot trug alles, was auf ihrem Rücken, auf ihrem Kreuz, auf ihrem Hals und auf ihrem Widerrist Platz hatte finden können.
Margot glich in der Nacht, die durch die Phantasie alle Gegenstände vergrößert, einem mit Schützen, die auf eine Tigerjagd ausziehen, beladenen Elephanten.
Auf dem breiten Rückgrat von Margot hockten fünf bis sechs Besessene und schrieen: »Es lebe Necker! es lebe der Herzog von Orleans! nieder mit den Fremden!«
Worauf Pitou erwiderte:
»Ihr werdet Margot erdrücken!«
Die Trunkenheit war allgemein.
Billot hatte einen Augenblick den Gedanken, Pitou und Margot Hilfe zu bringen; doch hielt ihn die Furcht wieder davon ab, er könnte, wenn er nur eine Minute auf die von ihm eroberte Ehre, eine von den Stangen der Bahre zu tragen, verzichtete, den Platz an seiner Stange verlieren. Dann dachte er, daß durch den mit dem Vater Lefranc abgeschlossenen Tausch von Cadet gegen Margot, Margot ihm gehörte, und daß, sollte Margot Unglück widerfahren, dies nur eine Sache von drei- bis vierhundert Livres wäre, und daß er, Billot, reich genug sei, um dem Vaterland drei- bis vierhundert Livres zum Opfer zu bringen.
Mittlerweile marschierte der Zug immer weiter; er hatte eine schräge Richtung angenommen und war von der Rue Montmartre bis zur Place des Victoires hinabgegangen. Als man zum Palais Royal kam, fand man eine große Zusammenscharung, die den Weg völlig versperrte. Ein Haufen Menschen mit grünen Blättern am Hut schrie: »Zu den Waffen!«
Man mußte sich erst erkundigen, waren die Menschen, welche die Rue Vivienne versperrten, Freunde oder Feinde? Grün war die Farbe des Grafen d'Artois. Warum die grünen Kokarden?
Nach einer kurzen Verhandlung erklärte sich alles.
Als man die Entlassung Neckers erfuhr, war ein junger Mann aus dem Kaffee Foy herausgetreten, auf einen Tisch gestiegen und hatte, eine Pistole zeigend, gerufen:
»Zu den Waffen!«
Bei diesem Rufe hatten sich alle Spaziergänger des Palais um ihn versammelt und geschrieen: »Zu den Waffen.«
Alle fremden Regimenter waren, wie gesagt, um Paris zusammengeschart. Man hatte glauben sollen, es wäre eine österreichische Invasion; die Namen dieser Regimenter klangen entsetzlich für französische Ohren. Sie hießen: Reynac, Salis Samade, Diesbach, Esterhazy, Römer;3 man brauchte sie nur zu nennen, um der Menge begreiflich zu machen, man spreche feindliche Namen aus. Der junge Mann nannte sie und verkündigte, Schweizer seien auf den Champs-Elysees mit vier Kanonen gelagert und müssen an demselben Abend im Gefolge der Dragoner des Prinzen von Lambesq in Paris einziehen. Er schlug eine neue Kokarde vor, die nicht die ihrige wäre, riß ein Blatt von einem Kastanienbaume und steckte es auf seinen Hut. In demselben Augenblick ahmten ihm alle Anwesenden nach, und in zehn Minuten hatten dreitausend Personen die Bäume des Palais Royal geplündert.