Kitabı oku: «Der Frauenkrieg», sayfa 35
XI
Die zwei Kriegsgefangenen hatten zwei Zimmer in derselben Festung inne. Diese zwei Zimmer stießen an einander und lagen im Erdgeschoß; aber die Erdgeschosse der Gefängnisse können für dritte Stockwerke gelten. Die Gefängnisse fangen nicht wie die Häuser bei der Erde an, sie haben in der Regel zwei Stockwerke Kerkerlöcher.
Jede Thüre war von einem Piquet aus den Garben der Prinzessin ausgewählter Leute bewacht; aber die Menge, als sie diese Vorkehrung gesehen hatte, welche ihre Rachgier ganz befriedigten, verließ allmälig die Zugänge des Gefängnisses, sobald es ihr zu Ohren kam, Canolles und Cauvignac wären dahin geführt worden. Die Piquets, welche in der innerer Hausflur aufgestellt waren, mehr um die Gefangenen vor der Volkswuth zu beschützen, als aus Furcht, sie könnten entweichen, verließen ihren Posten und begnügten sich, die Schildwachen zu verstärken.
Als das Volk, da wo es war, nichts mehr zu sehen hatte, wandte es sich natürlicher Weise nach dem Orte, wo die Hinrichtungen vollzogen wurden, das heißt nach der Esplanade; die von dem Rathssaale der Menge zu geschleuderten Worte hatten sich im Augenblick in der Stadt verbreitet; Jeder erklärte sie auf seine Weise; aber am Klarsten stellte sich dabei heraus, es würde noch in der Nacht oder spätestens am andern Morgen ein furchtbares Schauspiel stattfinden und es war noch eine Wollust mehr für den Pöbel, daß er nicht wußte, woran er sich in Beziehung auf diesen Schauspiel zu halten hatte, denn es blieb ihm der Reiz des Unerwarteten.
Handwerksleute, Bürger, Frauen, Kinder liefen also nach den Wällen, und da es finstere Nacht war und der Mond erst gegen Mitternacht ausgehen sollte, so trugen viele Fackeln in der Hand. Dabei waren alle Fenster offen und viele Leute hatten auf die Gesimse Lichter oder Lampen gestellt, wie man dies bei Festlichkeiten thut. Doch an dem Gemurmel der Menge, an den bestürzten Gesichtern der Neugierigen, an den sich folgenden Patrouillen zu Fuß und zu Pferd erkannte man, daß es kein gewöhnlichen Fest war, was sich durch so düstere Vorbereitungen ankündigte.
Von Zeit zu Zeit brach wüthendes Geschrei aus den Gruppen hervor, die sich mit einer Geschwindigkeit, welche nur gewissen Ereignissen eigenthümlich ist, bildeten und zerstreuten. Dieses Geschrei war immer dasselbe, wie das, welches sich zwei oder drei Mal in das Innere den Tribunals Bahn gebrochen hatte.
»Tod den Gefangenen! Rache für Richon!«
Das Schreien, der Schimmer der Fackeln, der Lärmen der Pferde entzogen Frau von Cambes ihrem Gebete; sie stellte sich an ihr Fenster und betrachtete voll Schrecken alle die Männer und Frauen mit den verstörten Augen, mit den rauhen Stimmen, welche in einen Circus losgelassene wilde Thiere zu sein schienen, wie sie durch ihr Gebrülle die menschlichen Opfer herbeirufen, die sie verschlingen sollen; sie fragte sich, wie es möglich wäre, daß so viele Wesen, denen die zwei Gefangenen nie etwas gethan hätten, mit solcher Erbitterung den Tod von zweien ihres Gleichen forderten; und die arme Frau, die von den menschlichen Leidenschaften nur diejenigen kannte, welche das Leben versüßen, wußte sich keine Antwort zu geben.
Von ihrem Fenster aus sah Frau von Cambes über den Häusern und Gärten die Firste der hohen, düsteren Thürme der Festung erscheinen. Dort befand sich Canolles, dahin waren hauptsächlich ihre Blicke gerichtet.
Sie konnte indessen nicht umhin, diese von Zeit zu Zeit in die Straße fallen zu lassen; dann sah sie die drohenden Gesichter, dann hörte sie das Rachegeschrei, und eisiger Schauer, wie der des Todes, durchlief ihre Adern.«
»Oh!« sagte Claire, »sie mögen mir immerhin verbieten, ihn zu sehen, ich muß zu ihm dringen. Dieses Geschrei kann zu ihm gelangt sein; er kann glauben, ich vergesse ihn; er kann mich anklagen; er kann mich verfluchen. Oh! Jeder Augenblick, welcher vergeht, ohne daß ich ein Mittel, ihn zu beruhigen, suche, erscheint mir als ein Verrath gegen ihn; es ist mir nicht möglich, in Unthätigkeit zu verharren, während er mich vielleicht um Hilfe anruft. Oh! ich muß ihn sehen. . . Ja, aber, mein Gott, wie ihn sehen? wer wird mich in sein Gefängniß führen? Welche Macht wird mir die Pforten öffnen? Die Frau Prinzessin hat mir einen Passirschein verweigert, und es war mir unmittelbar vorher so viel bewilligt worden, daß sie wohl das Recht dazu hatte. Es sind Wachen, Feinde um die Festung her; eine ganze brüllende Bevölkerung, welche Blut riecht und sich ihre Beute nicht entreißen lassen will; man wird glauben, ich wolle ihn entführen, retten; oh!i ja, ich würde ihn retten, wenn er nicht bereite unter dem Schutze des Wortes der Frau Prinzessin in Sicherheit wäre. Sage ich ihnen, ich wünsche ihn nur zu sehen, so werden sie mir nicht glauben und mich zurückweisen; und dann: gefährde ich nicht dadurch; daß ich einen solchen Versuch gegen den Willen der Frau Prinzessin wage, die bei ihr erlangte Gnade? setze ich mich nicht dadurch dem aus, daß sie das gegebene Wort zurücknimmt?
»Und doch, ihn so in Angst und Pein die langen Stunden der Nacht zubringen lassen, oh! ich fühle es für ihn, für mich ist das unmöglich.
»Wir wollen Gott anflehen, und er wird mich vielleicht erleuchten.«
Und Frau von Cambes kniete zum zweiten Male vor ihr Crucifix nieder, und begann mit einer Inbrunst zu beten, welche selbst die Frau Prinzessin gerührt haben müßte, wenn die Frau Prinzessin sie hatte hören können.
»Oh! ich gehe nicht, ich gehe nicht,« sagte sie; »denn ich sehe ein, daß es mir unmöglich ist, dahin zu gehen . . . Er wird mich vielleicht die ganze Nacht anklagen . . . Aber morgen, nicht wahr, mein Gott, morgen wird er mich bei sich freisprechen?«
Der Lärmen, die immer mehr zunehmende wilde Begeisterung der Menge, die Reflexe des Unglück weissagenden Lichtes, welche wie Blitze zu ihr drangen und auf Augenblicke ihr dunkel gebliebenes Gemach erhellten, flößten ihr eine solche Angst ein, daß sie sich die Ohren mit den Händen verstopfte und ihre geschlossenen Augen auf das Kissen ihres Betpultes drückte.
Da öffnete sich die Thüre, und ohne daß sie ihn hörte, trat ein Mann ein, der einen Augenblick auf der Schwelle stehen blieb, einen Blick liebevollen Mitleids auf sie heftete, und als er sah, daß sich, durch ihr Schluchzen bewegt, die Schultern der jungen Frau so schmerzlich hoben, sich ihr mit einem Seufzer näherte und seine Hand auf ihre Schulter legte.
Claire schaute erschrocken auf und rief:
»Herr Lenet! . . . Herr Lenet, oh! Ihr habt mich also nicht verlassen?«
»Nein, ich dachte, Ihr wäret noch nicht hinreichend beruhigt, und erdreistete mich, zu Euch zu gehen, um zu fragen, ob ich Euch in irgend einer Beziehung nützlich sein könnte.«
»Oh, lieber Herr Lenet,« rief die Vicomtesse, »wir gut seid Ihr, und wie danke ich Euch!«
»Es scheint, ich täuschte mich nicht,« sprach Lenet. »Oh! mein Gott, man täuscht sich selten, wenn man denkt, Deine Geschöpfe leiden,« fügte er mit einem schwermüthigen Lächeln bei.
»Oh! ja Herr, ja, Ihr sagt die Wahrheit: ich leide!«
»Habt Ihr nicht Alles, was Ihr wünschtet, erlangt, Madame? und ich gestehe, sogar mehr noch, als ich zu hoffen wagte.«
»Allerdings; aber . . .«
»Aber . . . ich begreife. Nicht wahr, es macht Euch bange, die Freude dieses blutgierigen Pöbels zu sehen, und das Schicksal des andern Unglücklichen, der statt Eures Geliebten sterben soll, erregt Euer Mitleid?«
Claire erhob sich aus ihre Kniee und blieb eine Minute unbeweglich, die Augen starr auf Lenet geheftet; dann drückte sie ihre eisige Hand an ihre mit Schweiß bedeckte Stirne und sprach:
»Oh! vergebt mir! oder vielmehr verflucht mich! denn in meiner Selbstsucht dachte ich nicht einmal hieran. Nein, Lenet, nein, ich gestehe Euch in aller Demuth meines Herzens, diese Befürchtungen, diese Thränen, diese Gebete gehören demjenigen, welcher leben wird; denn ganz aufgelöst in meiner Liebe, hatte ich den Armen, welcher sterben soll, vergessen!«
Lenet lächelte traurig und erwiederte:
»ja, es muß so sein, denn es liegt in der menschlichen Natur; vielleicht bildet die Selbstsucht der Einzelnen das Heil der Massen. Jeder zieht um sich selbst und um die Seinigen einen Kreis mit dem Schwerte. Sprecht, Madame, legt Euer Geständniß bis zum Ende ab. Bekennt offenherzig, daß Ihr es kaum erwarten könnt, bis der Unglückliche seinem Schicksal unterlegen ist, denn durch seinen Tod sichert dieser Unglückliche Eurem Verlobten das Leben.«
»Oh! Lenet ich schwöre Euch, daran habe ich noch nicht gedacht. Aber nöthigt meinen Geist nicht, hierbei zu verweilen, denn ich liebe ihn so sehr, daß ich nicht weiß, was ich im Wahnsinn meines Herzens zu wünschen im Stande bin.«
»Armes Kind!« sprach Lenet mit einem Tone tiefen Mitleids, »warum habt Ihr alles Dies nicht früher gesagt?«
»Oh! mein Gott, Ihr erschreckt mich. Ist es denn zu spät, ist er noch nicht ganz gerettet?«
»Er ist es, da die Frau Prinzessin ihr Wort gegeben hat; aber . . .«
»Was Aber?«
»Aber, ach! ist man irgend einer Sache sicher auf dieser Welt, und Ihr, die Ihr ihn, wie ich, für gerettet haltet, weint Ihr nicht, statt Euch zu freuen?«
»Ich weine, weil ich ihn nicht besuchen kann, mein Freund,« entgegnete Claire. »Bedenkt« daß er diesen abscheulichen Lärmen hören und an eine ihm nahe bevorstehende Gefahr glauben muß; bedenkt, daß er mich der Lauheit, des Verrathes anklagen kann! Oh! Lenet, Lenet, welche Pein! In der That, wenn die Prinzessin wüßte, was ich leide, sie hätte Erbarmen mit mir.«
»Wohl, Vicomtesse, Ihr müßt ihn sehen . . .«
»Ihn sehen? Unmöglich! Ihr wißt, daß ich die Prinzessin um, Erlaubniß hierzu gebeten habe und daß mir Ihre Hoheit es abgeschlagen hat.«
»Ich weiß es und billige es im Innern meines Herzens, und dennoch . . .«
»Und dennoch ermahnt Ihr mich zum Ungehorsam!« rief Claire erstaunt und schaute Lenet so scharf an, daß dieser verlegen unter ihrem Blicke die Augen niederschlug.
»Ich bin alt, theure Vicomtesse,« erwiederte er, »und mißtrauisch gerade weil ich alt bin; nicht bei dieser Gelegenheit, denn das Wort der Prinzessin ist heilig: es wird nur Einer von den Gefangenen sterben, hat sie gesagt; aber im Verlaufe eines langen Lebens gewohnt, alle Chancen gegen denjenigen sich wenden zu sehen, der sich am meisten begünstigt glaubt, ist es mein Grundsatz, daß man stets die Gelegenheit, welche sich bietet ergreifen muß. Seht Euren Verlobten, glaubt mir, seht ihn, Vicomtesse.«
»Oh! ich schwöre Euch, Ihr erschreckt mich, Lenet,« rief Claire.
»Das ist nicht meine Absicht; wäre es Euch übrigens lieber, wenn ich Euch riethe, Ihr solltet ihn nicht sehen? Nicht wahr, nein? Und Ihr würdet mich ohne Zweifel mehr schelten, wenn ich gekommen wäre, um Euch das Gegentheil von dem zu sagen, was ich Euch sage.«
»Ja, ich gestehe es. Aber Ihr sprecht davon, daß ich ihn sehen soll; das war mein einziges, mein innigstes Verlangen, es war der Gegenstand des Gebetes, das ich an Gott richtete, als Ihr erschienet. Ist es aber nicht etwas Unmögliches?«
»Gibt es etwas Unmögliches für die Frau, welche Saint-George erobert hat?« versetzte Lenet lächelnd.
»Ach!« sprach Claire, »seit zwei Stunden suche ich ein Mittel, in die Festung zu dringen, und habe jetzt noch keines gefunden.«
»Und was gebt Ihr mir, wenn ich es Euch biete?«
»Ich gebe Euch . . . Oh! ich gehe Euch die Hand, an dem Tage, wo ich mit ihm vor den Altar trete.«
»Ich danke, mein Kind, Ihr habt Recht: in der That, ich liebe Euch, wie ein Vater; ich danke.«
»Das Mittel! das Mittel!«
»Hier ist es. Ich hatte die Prinzessin um einen Passirschein gebeten, in der Absicht, mich mit den Gefangenen zu besprechen; denn wäre es möglich gewesen, den Kapitän Cauvignac zu retten, so hätte ich diesen Menschen gern wieder für unsere Partei gewonnen; nun aber ist dieser Passirschein unnütz, da Ihr ihn durch Eure Gebete für Herrn von Canolles zum Tode verurtheilt habt.«
Claire schauerte unwillkürlich.
»Nehmet also dieses Papier,« fuhr Lenet fort; »es ist, wie Ihr seht, kein Name darin genannt.«
Claire nahm das Papier und las:
»Der Kerkermeister der Festung wird den Inhaber des Gegenwärtigen mit demjenigen von den zwei Kriegsgefangenen mit welchen er sich zu unterreden wünscht, eine Besprechung von einer halben Stunde gewähren.
Claire Clemence von Condé.«
»Ihr habt ein Männergewand?« sagte Lenet, »zieht es an. Ihr habt den Passierschein benützt ihn.«
»Armer Officier,« murmelte Claire, welche den Gedanken an Cauvignac nicht aus ihrem Geiste zu vertreiben vermochte, »hingerichtet an der Stelle von Canolles!«
»Er unterliegt dem gemeinschaftlichen Gesetze,« erwiederte Lenet. »Schwach, wird er von dem Starken verschlungen ohne Stütze, bezahlt er für denjenigen, welchen man begünstigt. Ich beklage ihn, denn er ist ein Bursche von Geist.«
Mittlerweile drehte Claire das Papier in ihren Händen hin und her.
»Wißt Ihr,« sagte sie, »daß Ihr mich mit diesem Passirschein auf eine grausame Weise versucht? Wißt Ihr, daß ich, wenn ich meinen Freund einmal in meinen Armen habe, im Stande bin, ihn bis an das Ende der Welt zu führen?«
»Ich würde es Euch rathen, Madame, wenn es möglich wäre. Aber dieser Schein ist keine Carte blanche, und Ihr könnt ihm keine andere Bestimmung geben, als diejenige, welche er hat.«
»Das ist wahr,« sprach Claire, das Papier noch einmal lesend; »und doch hat man mir Herrn den Canolles bewilligt; er gehört mir, man kann ihn mir nicht mehr entreißen.«
»Es denkt auch Niemand daran. Vorwärts, Madame, verliert keine Zeit; legt Eure Männerkleider an und geht. Dieser Passierschein gewahrt Euch eine halbe Stunde; ich weiß wohl, daß eine halbe Stunde wenig ist; aber nach dieser halben Stunde wird das ganze Leben kommen. Ihr seid jung, das Leben wird lang sein, Gott mache es glücklich.«
Claire faßte Lenet bei der Hand, zog ihn an sich und küßte ihn auf die Stirne, wie sie es nur dem zärtlichsten Vater gethan haben könnte.
Geht, geht,« sprach Lenet, indem er sie sanft fort schob, »verliert keine Zeit, wer wahrhaft liebt, hat keine Resignation.«
Als er sie dann in ein anderes Zimmer gehen sah, wo Pompée von ihr gerufen auf sie wartete, um ihr beim Wechseln der Kleider zu helfen, murmelte er:
»Ach! wer weiß?«
XII
Das Geschrei, das Gebrülle, die Drohungen, die wilde Aufregung der Menge waren Canolles durchaus nicht entgangen. Durch die vor seinem Fenster angebrachten Gitterstangen hatte er das belebte Gemälde wahrnehmen können, das sich unter seinen Augen entrollte und von einem Ende der Stadt zum andern durchherrschte.
»Bei Gott!« sagte er, »es ist ein sehr verdrießlicher Vorfall . . . der Tod von Richon . . . Armer Richon! er war ein Braver; sein Tod wird unsere Gefangenschaft verdoppeln; man wird mich nicht mehr, wie bis jetzt, in der Stadt umherlaufen lassen; kein Rendezvous und sogar keine Heirath mehr, wenn sich Claire nicht mit einer Feier in der Gefängnißzelle begnügt. Sie wird sich begnügen. Man heirathe sich eben so gut in der einen Kapelle, als in der andern. Es ist indessen ein trauriges Vorzeichen . . . Warum, des Teufels, ist die Nachricht nicht morgen statt heute eingelaufen?«
Dann sich dem Fenster nähernd, um hinauszuschauen, fuhr er fort:
»Welche Bewachung! zwei Soldaten vor der Thüre. Und wenn ich bedenke; daß ich hier acht Tage, vielleicht vierzehn Tage eingeschlossen bleiben soll, bis irgend ein Ereigniß vorfällt, das dieses vergessen läßt! Es ist nur gut, daß sich die Ereignisse sehr rasch in den gegenwärtigen Zeitläuften folgen, und daß die Bordelesen einen leichten Sinn haben; mittlerweile werde ich darum nicht minder unangenehme Augenblicke hinbringen. Arme Claire! sie muß in Verzweiflung sein; glücklicher Weise weiß sie, daß ich verhaftet bin. Ja, es ist ihr bekannt, und folglich weiß sie auch, daß es nicht mein Fehler ist. Aber wohin, des Teufels, gehen denn alle diese Leute? Man sollte glauben, nach der Esplanade. Dort gibt es aber zu dieser Stunde weder eine Parade, noch eine Hinrichtung zu sehen; sie laufen insgesamt in derselben Richtung. Es ist, als ob sie wüßten, daß ich hier wie ein Bär hinter meinem Gitter eingesperrt bin . . . «
Canolles ging einige Male mit gekreuzten Armen im Zimmer auf und ab; die Mauern eines wahren Gefängnisses hatten ihn für den Augenblick zu philosophischen Gedanken zurückgeführt, mit denen er sich in gewöhnlichen Zeiten wenig beschäftigte.
»Es ist ein albernes Ding um den Krieg!« murmelte er. »Der arme Richon, mit dem ich vor kaum einem Monat zu Mittag speiste, ist nun todt. Der Unerschrockene hat sich sicherlich auf feinere Kanonen tödten lassen, wie ich es auch hatte thun sollen, wie ich es gethan haben würde, hätte mich irgend eine andere Person als die Vicomtesse belagert. Dieser Frauenkrieg ist der furchtbarste von allen Kriegen. Wenigstens habe ich in keiner Beziehung zu dem Tode meines Freundes beigetragen. Gott sei Dank! ich zog nie das Schwert gegen einen Bruder, und das tröstet mich. Dies habe ich abermals meinem guten kleinen weiblichen Genius zu verdanken.«
In diesem Augenblick trat ein Officier ein und unterbrach das Selbstgespräch von Canolles.
»Wollt Ihr Abendbrod, mein Herr?« fragte der Officier. »Befehlt nur, der Kerkermeister ist angewiesen, Euch ein Mahl ganz nach Euren Wünschen bereiten zu lassen.«
»Ah! gut,« sagte Canolles, »sie gedenken wenigstens mich die Zeit, die ich hier zubringen werde, auf eins anständige, ehrenhafte Weise zu behandeln. Ich befürchtete einen Augenblick das Gegentheil, als ich das gekniffene Gesicht der Prinzessin und die widerwärtige Miene aller Anwesenden gewahrte . . .«
»Ich warte,« wiederholte der Officier sich verbeugend.
»Ah! richtig; verzeiht. Eure Frage führte mich durch ihre außerordentliche Höflichkeit auf gewisse Betrachtungen . . . Doch zur Sache: ja, mein Herr, ich werde zu Nacht speisen, denn ich habe starken Hunger; aber ich pflege sehr mäßig zu leben, und ein Soldatenmahl genügt mir.«
»Sodann,« versetzte der Officier, indem er sich thut voll Theilnahme näherte: »habt Ihr keinen Auftrag . . . in der Stadt zu besorgen . . . erwartet Ihr nichts? Ihr sagtet, Ihr wäret Soldat, ich bin es auch; handelt also gegen mich, wie gegen einen Kameraden.«
Canolles schaute den Officier erstaunt an und erwiederte:
»Nein, Herr, nein, ich habe keinen Auftrag in der Stadt; nein, ich erwarte nichts, wenn nicht eine Person, die ich nicht nennen kann. Was den Punkt betrifft, daß ich gegen Euch handeln soll, wie gegen einen Kameraden, so danke ich Euch; hier ist meine Hand, und wenn ich später etwas brauche, so werde ich mich dessen erinnern, mein Herr.«
Diesmal war es der Officier, welcher Canolles erstaunt anschaute.
»Gut, mein Herr,« sagte er. »Ihr sollt sogleich bedient werden.« Und er entfernte sich.
Einen Augenblick nachher traten zwei Soldaten ein und brachten ein vollständiges Abendbrod, bestehend aus viel ausgesuchteren Gerichten, als Canolles dies verlangt hatte. Canolles setzte sich an den Tisch und speiste mit gutem Appetit.
Die Soldaten schauten ihn ebenfalls erstaunt an. Canolles hielt dieses Erstaunen für Lüsternheit, und da der Wein ein vortrefflichen Guinne-Gewächs war, so sagte er:
»Meine Freunde, verlangt zwei Gläser.«
Einer von den Soldaten ging hinaus und kehrte bald mit den verlangten Gläsern zurück.
Canolles füllte sie, goß ein paar Tropfen Wein in sein Glas und sprach:
»Auf Eure Gesundheit, meine Freunde.«
Die zwei Soldaten nahmen ihre Gläser, stießen maschinenmäßig mit Canolles an, und tranken, ohne seinen Toast zu erwiedern.
»Sie sind nicht höflich,« dachte Canolles, »aber sie trinken gut; man kann nicht Alles haben.«
Und er setzte sein Abendbrod siegreich bis zum Schlusse fort.
Als er geendigt hatte, stand er auf, und die Soldaten trugen die Tafel weg.
Der Officier kehrte zurück.
»Ah! bei Gott!« sagte Canolles zu ihm, »Ihr hättet mit mir speisen sollen; das Abendbrod war vortrefflich.«
»Ich hätte nicht die Ehre haben können, mein Herr, denn ich komme selbst diesen Augenblick von Tische. Und ich kehre zurück . . .«
»Um mir Gesellschaft zu leisten? Wenn es sich so verhält, empfangt mein Kompliment; denn das ist sehr liebenswürdig von Euch.«
»Nein, mein Herr, mein Auftrag ist minder angenehm. Ich komme, um Euch zu benachrichtigen, daß es keinen protestantischen Geistlichen im Gefängniß gibt, und daß der Kaplan ein Katholik ist. Ich weiß aber nun, daß Ihr Protestant seit, und die Verschiedenheit des Cultus wird Euch vielleicht widrig sein.«
»Mir, mein Herr; warum fragte Canolles sehr naiv.
»Um Euer Gebet zu verrichten . . .« erwiederte der Officier verlegen.
»Mein Gebet!« sagte Canolles lachend, »ich werde, morgen daran denken; ich bete nur Morgens.«
Der Officier schaute Canolles mit einem Erstaunen an, das sich allmälig in tiefes Mitleid verwandelte. Er verbeugte sich und trat ab.
»Ah! die Welt verrückt sich also?« sprach Canolles. »Seit dem Tode des armen Richon haben alle Leute, die mir begegnen, das Aussehen von Dummköpfen oder von Narren. Teufel! werde ich denn nicht irgend ein vernünftiges Gesicht sehen?«
Kaum hatte er diese Worte vollendet, als die Thüre seines Gefängnisses sich abermals öffnete, und ehe er die eintretende Person erkennen konnte, warf sich Jemand in seine Arme, schlang seine beiden Hände um seinen Hals und übergoß sein Antlitz mit Thränen.
»Holla!« rief der Gefangene, sich von der Umarmung losmachend; »abermals ein Narr. In der That, ich bin in den Petites-Maison!«
Aber bei der Bewegung, die er zurückweichend machte, warf er den Hut des Unbekannten zu Boden, und die schönen blonden Haare von Frau von Cambes entrollten sich auf ihre Schultern.
»Ihr hier?« In rief Canolles auf sie zueilend, um sie in seine Arme zu fassen; »Ihr! ah, verzeiht, daß ich Euch; nicht erkannt oder vielmehr nicht errathen habe.
»Stille!« sagte Claire ihren Hut aufhebend und rasch wieder auf den Kopf sehend. »Stille! denn wenn man wüßte, daß ich eo bin, so würde man mir vielleicht mein Glück entziehen. Endlich ist es mir also gestattet, Euch noch zu sehen. Oh! mein Gott, mein Gott, wie glücklich bin ich.«
Und sie fühlte, wie ihre Brust sich erweiterte, und brach in ein heftigen Schluchzen aus.
»Noch!« sprach Canolles, »es ist Euch gestattet, mich noch zu sehen, sagt Ihr? Und Ihr sagt mir dass, unter Thränen. Ah! Ihr solltet mich also nicht mehr sehen?« fuhr er lachend fort.
»Oh! lacht nicht, mein Freund,« versetzte Claire; »Eure Heiterkeit thut mir wehe, Lache nicht, ich bitte Euch. Wenn Ihr wüßtet, wie viel Mühe ich gehabt habe, um zu Euch zu gelangen . . . und es fehlte nicht viel, daß ich nicht gekommen wäre! . . . Ohne Lenet, ohne diesen vortrefflichen Mann . . . Doch sprechen wir von Euch, armer Freund. Mein Gott! Ihr seid also hier? Euch finde ich wieder! Euch kann ich abermals an mein Herz drücken.«
»Ja, ich, ich bin es,« erwiederte Canolles lächelnd.
»Oh! laßt das, es ist unnöthig, heuchelt nicht dieses lustige Wesen, es ist mir Alles bekannt. Man wußte nicht, daß ich Euch liebte, und verheimlichte nichts vor mir.«
»Aber was wißt Ihr denn?« fragte Canolles.
»Nicht wahr!» fuhr die Vicomtesse fort, »nicht wahr, Ihr erwartetet mich? Nicht wahr, Ihr wurdet unzufrieden über mein Stillschweigen? Nicht wahr, Ihr klagtet mich bereits an?«
»Ich, unzufrieden! allerdings, aber ich klagte Euch nicht an; ich vermuthete, daß irgend ein Umstand, stärker als Euer Wille, Euch von mir entfernt hielt; und bei allem Dem ist mein größtes Unglück, daß unsere Heirath verschoben, vielleicht auf acht, auf vierzehn Tage verschoben wurde.«
Claire schaute Canolles mit, demselben Erstaunen an, das der Officier einen Augenblick vorher kundgegeben hatte.
»Wie,« sagte sie, »sprecht Ihr im Ernste oder seid Ihr in der That nicht mehr erschrocken?«
»Ich erschrocken! worüber? sollte ich etwa einer nur unbekannten Gefahr preisgegeben sein?« fragte er lachend.
»Oh! der Unglückliche,« rief Claire; »er wußte nichts.«
Dann aber befürchtete sie ohne Zweifel, sie könnte ohne Vorbereitung die ganze Wahrheit demjenigen enthüllen, welchen diese Wahrheit so grausam bedrohte, und hielt mit einer gewaltigen Anstrengung gegen sich selbst die Worte zurück, welche aus ihrem Herzen auf ihre Lippen gesprungen waren.
»Nein, ich weiß nichts,» sprach Canolles mit ernstem Tone. »Aber nicht wahr Ihr werdet mir Alles sagen? Ich bin ein Mann; sprecht, Claire, sprecht.«
»Ihr wißt, daß Richon todt ist.«
»Ja, ich weiß es.«
»Ihr wißt, wie er gestorben ist?«
»Nein, aber ich vermuthe es. Nicht wahr, er ist auf seinem Posten, auf der Presche von Vayres getödtet worden?«
Claire schwieg einen Augenblick; dann erwiederte sie ernst wie das Erz, dass ein Todtengeläute erschallen läßt:
»Er ist in der Halle von Libourne gehenkt worden.«
Canolles machte einen Sprung rückwärts und rief:
»Gehenkt! Richon, ein Soldat, gehenkt!«
Dann erbleichte er plötzlich, fuhr mir zitternder Hand über seine Stirne und fügte bei:
»Ah! ich begreife nun Alles; ich begreife meine Verhaftung; ich begreife mein Verhör; ich begreife die Worte des Officiers, das Stillschweigen der Soldaten; ich begreife Euren Schritt und Eure Thränen, als Ihr mich so heiter saht; ich begreife endlich das Gedränge, das Geschrei, die Drohungen. Richon ist ermordet worden, und an mir wird man Richon rächen! . . .«
»Nein, nein, mein Vielgeliebter! nein, armer Freund meines Herzens,« rief Claire, ergriff strahlend vor Freude die Hände von Canolles und tauchte ihre Augen in die seinigen; »nein, nicht Dich werden sie opfern, theuerer Gefangener. Ja, Du täuschtest Dich nicht, Du warst bezeichnet! ja, Du warst verurtheilt; ja, Du hast den Tod von Nahem gesehen, mein schöner Bräutigam. Aber sei unbesorgt, Du kannst jetzt lachen; Du kannst von Glück und Zukunft sprechen. Diejenige, welche Dir ihr ganzen Leben widmete wird, hat das Deinige gerettet! Sei freudig! . . . aber ganz leise, denn Du wirst vielleicht Deinen unglücklichen Gefährten erwecken, denjenigen, auf welchen der Sturm fallen soll, denjenigen, welcher statt Deiner sterben muß.«
»Oh! schweigt, schweigt, theuere Freundin! Ihr macht mich zu Eis,« erwiederte Canolles, der sich trotz der glühenden Liebkosungen von Claire nur wenig von dem furchtbaren Schlage erholte, den er erhalten hatte. Ich, der ich so ruhig, so vertrauensvoll, so kindlich lustig war, lief Gefahr, sterben zu müssen! Und wann dies? in welchem Augenblick? gerechter Himmel in dem, wo ich Euer Gatte werden sollte. Oh! bei meiner Seele, es wäre ein doppelter Mord gewesen.«
»Sie nennen das Repressalien,« sagte Claire.
»Ja, ja; sie haben Recht.«
»Ah! nun seid Ihr düster und träumerisch.«
»Oh!« rief Canolles, »ich habe nicht vor dem Tode bange; aber der Tod trennt von Euch.«
»Wäret Ihr gestorben, mein Vielgeliebter, so wäre ich auch gestorben. Alter statt Euch so zu betrüben, freut Euch mit mir. In dieser Nacht, in einer Stunde vielleicht werdet Ihr das Gefängniß verlassen. Wohl! entweder hole ich Euch selbst, oder ich erwarte Euch am Ausgang. Dann fliehen wir, ohne eine Minute, ohne eine Sekunde zu verlieren. Ja, auf der Stelle; ich will nicht warten. Diese verfluchte Stadt erfüllt mich mit Schrecken. Heute ist es mir noch gelungen, Euch zu retten; aber morgen würde Euch vielleicht irgend ein unerwarteten Mißgeschick mir abermals entreißen.
»Oh! wißt Ihr, viel geliebte Claire, daß Ihr mir zu viel Glück mit einem Schlage verleiht. Oh! ja, zu viel Glück, ich werde daran sterben . . . «
»Wohl! so überlaßt Euch wieder Eurer Sorglosigkeit, nehmt Eure Heiterkeit wieder an.«
»Und Ihr, nehmt die Eurige auch wieder.«
»Seht, ich lache.«
»Und dieser Seufzer?«
»Dieser Seufzer, mein Freund, gilt dem Unglücklichen, der unsere Freude mit seinem Leben bezahlt.«
»Ja, ja, Ihr habt Recht. Oh! warum könnt Ihr mich nicht sogleich fortführen! Auf, mein guter Engel, öffne Deine Flügel und trage mich von hinnen.«
»Geduld, Geduld, mein theuerer Gatte, morgen trage ich Dich fort . . . ja, in das Paradies unserer Liebe. Einstweilen bin ich hier . . .«
Canolles nahm sie in seine Arme und drückte sie an seine Brust; sie hing sich mit ihren Händen an den Hals des jungen Mannes und sank zitternd an dieses Herz, das zusammengepreßt von so verschiedenartigen Gefühlen, kaum mehr schlug.
Plötzlich und zum zweiten Male drang ein schmerzliches Schluchzen aus ihrer Brust aus ihre Lippen, und so glücklich Claire auch war, so übergoß sie doch mit ihren Thränen das Antlitz von Canolles, das sich zu dem ihrigen herabgeneigt hatte.
»Nun!« sagte er, »ist dies Eure Heiterkeit, armer Engel?«
»Es ist der Rest meines Schmerzes.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre, und der Officier, welcher bereite bei Canolles gewesen war, verkündigte, die in dem Passirscheine bewilligte halbe Stunde sei abgelaufen.
»Lebe wohl,« flüsterte Canolles, »oder verbirg mich in einer Falte Deines Mantels und nimm mich mit.«
»Armer Freund,« versetzte Claire mit leiser Stimme, »schweige doch, denn Du brichst mir das Herz. Siehst Du nicht, daß ich vor Verlangen Dich fortzuführen sterbe? Habe Geduld für Dich, habe Geduld für mich; in einigen Stunden sind wir wiedervereinigt, um uns nie mehr zu verlassen.«
»Ich habe Geduld,« erwiederte Canolles, durch dieses Versprechen völlig beruhigt; »doch wir müssen uns trennen; auf Muth gefaßt! Sprechen wir das Abschiedswort: Gott befohlen, Claire.«
»Gott befohlen,« sprach sie, bemüht zu lächeln; »Gott be . . . «
Aber sie konnte das Abschiedswort nicht vollenden; zum dritten Male erstickte das Schluchzen ihre Stimme.
»Gott befohlen!« rief Canolles, die Vicomtesse abermals in die Arme fassend und ihre Stirne mit Küssen bedeckend, »Gott befohlen.«
»Teufel,« murmelte der Officier, »zum Glück weiß ich, daß der arme Junge nicht mehr viel zu befürchten hat, sonst würde mir diese Scene das Herz brechen.«
Der Officier geleitete Claire bis an die Thüre, kam dann zurück und sagte zu Canolles, der noch voll Aufregung auf einen Stuhl gesunken war:
»Es genügt nun nicht, glücklich zu sein, man muß auch Mitleid haben. Euer Nachbar, Euer unglücklicher Gefährte, derjenige, welcher sterben soll, ist allein; Niemand beschützt ihn, Niemand tröstet ihn: er wünscht Euch zu sehen; ich habe es auf mich genommen, ihm diese Bitte zu gewähren; aber Ihr müßt ebenfalls einwilligen.«
»Ob, ich einwillige!« rief Canolles, »der Unglückliche! ich erwarte ihn, ich öffne ihm die Arme! Ich kenne ihn nicht, aber gleichviel.«
»Doch er scheint Euch zu kennen.«