Kitabı oku: «Der Graf von Bragelonne», sayfa 10
»Da sprach der König das an mich gerichtete Wort: R e m e m b e r . . . und Ihr seht, Sire, daß ich mich erinnert habe.«
Der König konnte seiner Erschütterung nicht widerstehen. Athos sah, wie seine Schultern krampfhaft bebten. Er hörte ein Schluchzen, das die Brust des Unglücklichen beinahe zersprengte, und schwieg, selbst niedergedrückt durch die Woge bitterer Erinnerungen, die er über dem königlichen Haupte heraufbeschworen hatte.
Karl II. verließ das Fenster mit einer heftigen Anstrengung, verschlang seine Thränen und setzte sich zu Athos.
»Sire,« sagte dieser, »bis jetzt glaubte ich die Stunde, dieses letzte Mittel anzuwenden, wäre noch nicht gekommen; doch die Augen auf England geheftet, fühlte ich, sie nahe. Morgen wollte ich mich erkundigen, an welchem Ort der Welt Eure Majestät sich befinde, um mich zu ihr zu begeben. Sie kommt zu mir, und ich betrachte dies als ein Zeichen, daß Gott für uns ist.«
»Mein Herr,« sprach Karl, mit einer durch die Erschütterung noch gepreßten Stimme, »Ihr seid für mich, was nur ein von Gott gesandter Engel sein könnte; doch glaubt mir, seit zehn Jahren sind die Bürgerkriege über mein Land hingezogen und haben die Menschen niedergeworfen und den Boden durchwühlt; wahrscheinlich ist in den Eingeweiden meiner Erde nicht mehr Gold geblieben, als Liebe in den Herzen meiner Unterthanen.«
»Sire, der Ort, wo Seine Majestät die Million vergraben hat, ist mir wohl bekannt, und Niemand, dessen bin ich sicher, war im Stand, ihn zu entdecken. Ist denn das Schloß Newcastle völlig eingestürzt? Hat man es denn Stein für Stein zerstört und seine Wurzeln bis auf die letzte Fiber aus dem Boden gerissen?«
»Nein, es steht noch! doch in diesem Augenblick hält es der General Monk besetzt, der sein Quartier darin hat. Der einzige Ort, wo mich eine Hilfe erwartet, wo ich eine Quelle besitze, ist, wie Ihr seht, in der Gewalt meiner Feinde.«
»Sire, der General Monk kann den Schatz, von dem ich spreche, nicht entdeckt haben.«
»Ja, aber soll ich mich Monk ausliefern, um diesen Schatz zu erlangen? Oh! Ihr seht wohl, Graf, ich muß mit dem Schicksal abschließen, da es mich immer wieder niederreißt, wenn ich mich erhebe. Was soll ich mit Parry als meinem einzigen Diener, machen, mit Parry, den Monk schon einmal fortgejagt hat? Nein, nein, Graf, unterziehen wir uns diesem letzten Schlag.«
»Was Eure Majestät nicht thun kann, was Parry nicht mehr versuchen kann, glaubt Ihr, es werde mir gelingen?«
»Ihr, Graf, Ihr würdet gehen!«
»Ja, Sire, wenn es Eurer Majestät genehm ist, werde ich gehen,« sagte Athos, sich vor dem König verbeugend.
»Ihr, der Ihr hier so glücklich seid, Graf!«
»Ich bin nie glücklich,« Sire, so lange mir eine Pflicht zu erfüllen bleibt, und der König, Euer Vater, hat mir die hohe Pflicht vermacht, über Eurer Wohlfahrt zu wachen und sein Geld auf eine königliche Weise zu verwenden. Eure Majestät braucht mir also nur ein Zeichen zu geben, und ich breche mit ihr auf.«
»Ah! mein Herr,« sprach Karl II., der alle königliche Etiquette vergaß und Athos um den Hals fiel, »Ihr beweist mir, daß es einen Gott im Himmel gibt, und daß dieser Gott zuweilen den Unglücklichen, welche auf dieser Erde seufzen, Boten zuschickt.«
Tief bewegt durch diesen Erguß des jungen Mannes, dankte ihm Athos voll Ehrfurcht, näherte sich dem Fenster und rief:
»Grimaud, meine Pferde!«
»Wie! so auf der Stelle!« sagte der König; »oh! mein Herr, Ihr seid in der That ein wunderbarer Mann.«
»Sire,« erwiederte Athos, »ich kenne nichts Eiligeres, als den Dienst Eurer Majestät. Ueberdies,« fügte er lächelnd bei, »überdies ist dies eine Gewohnheit, die ich längst im Dienste der Königin, Eurer Tante, und im Dienste des Königs, Eures Vaters, angenommen habe. Warum sollte ich sie gerade in der Stunde verlieren, wo es sich um den Dienst Eurer Majestät handelt?«
»Welch ein Mann!« murmelte der König.
Dann, nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, sprach Karl II.:
»Nein, Graf, ich kann Euch solchen Entbehrungen nicht aussetzen, ich habe nichts, um solche Dienste zu belohnen.«
»Bah!« sagte Athos lachend, »Eure Majestät treibt ihren Spott mit mir, sie hat eine Million. Ah! warum besitze ich nicht nur die Hälfte dieser Summe, ich hätte schon ein Regiment auf den Beinen. Aber, Gott sei Dank, es bleiben mir noch einige Rollen Gold und ein paar Familien-Diamanten. Eure Majestät wird sich hoffentlich herablassen, mit einem ergebenen Diener zu theilen.
»Mit einem Freund. Ja, Graf, doch unter der Bedingung, daß dieser Freund später mit mir theilen wird.«
»Sire,« sagte Athos, indem er eine Cassette öffnete, aus der er Gold und Juwelen nahm, »seht, wir sind nur zu reich. Zum Glück werden wir unserer vier gegen die Räuber sein.«
Die Freude machte das Blut gegen die bleichen Wangen von Karl II. strömen. Er sah Grimaud, der schon für die Reise gestiefelt war, zwei Pferde von Athos vor den Säulengang führen.
»Blaisois, diesen Brief dem Grafen von Bragelonne. Ich bin für Jedermann nach Paris gegangen. Dir ist das Haus anvertraut, Blaisois,« sprach Athos.
Blaisois verbeugte sich, umarmte Grimaud und schloß das Gitter.
III.
Worin man Aramis sucht und nur Bazin findet
Es waren nicht zwei Stunden seit dem Aufbruch des Herrn vom Hause abgelaufen, der im Angesicht von Blaisois den Weg nach Paris eingeschlagen hatte, als ein Reiter auf einem guten Schecken vor dem Gitter anhielt und mit einem schallenden Halloh! den Stallknechten rief, welche noch einen Kreis mit den Gärtnern um Blaisois, den gewöhnlichen Historiker des Schloßgesindes, bildeten. Das ohne Zweifel Meister Blaisois wohlbekannte Halloh! bewog diesen, den Kopf umzudrehen, und er rief:
»Herr d’Artagnan! . . . lauft geschwinde, Ihr Leute, öffnet ihm das Thor.«
Ein Schwarm von acht Burschen eilte an das Gitter, und dieses wurde geöffnet, als ob es von Federn wäre. Und Alle überboten sich in Höflichkeiten, denn man wußte, welchen Empfang der Gebieter seinem Freund zu bereiten pflegte, und für solche Bemerkungen braucht man immer nur den Blick des Dieners zu befragen.
»Ah!« fragte mit einem ganz angenehmen Lächeln Herr d’Artagnan, der sich auf dem Steigbügel wiegte, um zu Boden zu springen, »wo ist denn der liebe Graf?«
»Ei! gnädiger Herr, Ihr habt wahrhaftig Unglück,« sagte Blaisois, »und als ein Unglück wird es auch der Herr Graf, unser Gebieter, betrachten, wenn er erfährt, daß Ihr hier angekommen seid! Der Herr Graf ist durch einen reinen Zufall vor nicht zwei Stunden weggeritten.«
D’Artagnan kümmerte sich nicht um so wenig.
»Gut,« sagte er, »daß Du immer noch das reinste Französisch der Welt sprichst: Du wirst mir Unterricht in der Grammatik und in der schönen Sprache geben, während ich die Rückkehr Deines Herrn erwarte.«
»Das ist nicht möglich, gnädiger Herr,« entgegnete Blaisois, »Ihr müßtet zu lange warten,«
»Er wird heute nicht zurückkommen?«
»Weder heute, noch morgen, noch übermorgen. Der Herr Graf hat eine Reise angetreten.«
»Eine Reise!« sagte d’Artagnan erstaunt, »Du erzählst mir da eine Fabel.«
»Gnädiger Herr, es ist die strengste Wahrheit, Der Herr Graf erwies mir die Ehre, mir das Haus zu empfehlen, und fügte mit seinem würdevollen und sanften Ton bei: »»Du sagst, ich reise nach Paris.««
»Nun gut!« rief d’Artagnan, »er reitet also gen Paris, das ist Alles, was ich wissen wollte; damit hättest Du anfangen sollen, Einfaltspinsel . . . Er hat zwei Stunden voraus?«
»Ja, gnädiger Herr.«
»Ich werde ihn bald eingeholt haben. Ist er allein?«
»Nein, gnädiger Herr.«
»Wer ist denn bei ihm?«
»Ein Edelmann, den ich nicht kenne, ein Greis und Herr Grimaud.«
»Das Alles wird nicht so schnell lausen als ich, und ich gehe,«
»Will mich der gnädige Herr einen Augenblick anhören?« sagte Blaisois, indem er sachte auf die Zügel des Pferdes drückte.
»Ja, wenn Du mir keine Phrasen machst, oder sie wenigstens rasch machst.«
»Nun, gnädiger Herr, das Wort Paris scheint mir nur ein Köder zu sein.«
»Oho!« rief d’Artagnan ernsthaft, ein Köder.«
»Ja, gnädiger Herr, und der Herr Graf geht nicht nach Paris, darauf wollte ich schwören.«
»Warum glaubst Du das?«
»Herr Grimaud weiß immer, wohin unser Herr geht, und er hatte mir versprochen, sobald man nach Paris gehen würde, ein wenig Geld mitzunehmen, das ich meiner Frau zukommen lasse.«
»Ah! Du hast eine Frau?«
»Ich hatte eine, sie war aus dieser Gegend, doch der Herr Graf fand sie schwatzhaft, und ich schickte sie nach Paris; das ist zuweilen unbequem, in andern Augenblicken aber sehr angenehm.«
»Ich verstehe; doch vollende: Du glaubst nicht, daß der Graf nach Paris geht?«
»Nein, gnädiger Herr, denn damit hätte Herr Grimaud sein Wort gebrochen, er wäre meineidig geworden, und das ist unmöglich.«
»Das ist unmöglich,« wiederholte d’Artagnan ganz träumerisch, weil er völlig überzeugt war. »Ich danke Dir, mein braver Blaisois.«
Blaisois verbeugte sich.
»Höre, Du weißt, daß ich nicht neugierig bin . . . Ich habe durchaus mit Deinem Herrn zu thun . . . Kannst Du nicht . . . Du, der Du so gut sprichst, mir durch ein ganz kleines Wörtchen begreiflich machen . . . Nur eine Sylbe, das Uebrige werde ich errathen.«
»Auf mein Wort, gnädiger Herr, ich könnte das nicht . . . Ich weiß gar nichts vom Zweck der Reise des Herrn Grafen . . . Was das Horchen an den Thüren betrifft, so ist mir das ungemein zuwider, und überdies ist es hier verboten.«
»Mein Lieber,« sagte d’Artagnan, »das ist ein schlimmer Anfang für mich. Doch gleichviel. Du weißt wenigstens die Zeit der Rückkehr des Grafen?«
»Eben so wenig als das Ziel seiner Reise.«
»Auf, Blaisois, auf, suche!«
»Der gnädige Herr zweifelt an meiner Aufrichtigkeit! Ah! der gnädige Herr betrübt mich sehr empfindlich!«
»Der Teufel hole Deine vergoldete Sprache!« brummte d’Artagnan. »Ein Bauernkerl mit einem einzigen Wort ist mehr werth! . . Gott befohlen!«
»Gnädiger Herr, ich habe die Ehre, Ihnen meinen Respect zu bezeigen.«
»Affe!« sagte d’Artagnan halblaut. »Der Bursche ist unerträglich.«
Er schaute das Haus noch einmal an, wandte sein Pferd um, und ritt weiter wie ein Mensch, dessen Geist durch keinen Aerger und durch keine Verlegenheit belästigt wird.
Als er am Ende der Mauer und den Nachschauenden aus dem Gesicht war, sprach er heftig aufathmend:
»Laß sehen, ist Athos zu Hause? Nein. Alle diese Taugenichtse, die im Hofe die Arme kreuzten, wären in vollem Schweiß gewesen, wenn sie der Herr hätte sehen können. Athos auf der Reise? . . . Das ist unbegreiflich. Ah bah! dieser ist teufelsmäßig geheimnißvoll . . . Und dann ist er nicht der Mann, den ich brauchte. Ich bedarf eines schlauen, ruhigen Geistes. Was ich will, findet sich in Melun, in einem gewissen mir bekannten Pfarrhaus. Fünf und vierzig Lieues, vier und ein halber Tag! Vorwärts, das Wetter ist schön und ich bin frei. Verschlingen wir den Raum.«
Und er setzte sein Pferd in Trab, nahm die Richtung gegen Paris, und stieg am vierten Tag nach seinem Wunsch in Melun ab.
D’Artagnan pflegte nie einen Menschen nach dem Weg oder um eine alltägliche Auskunft zu fragen. Bei dergleichen Dingen, wenn nicht ein sehr wesentlicher Irrthum zu befürchten war, verließ er sich auf seinen Scharfsinn, der ihn nie trügte, auf eine dreißigjährige Erfahrung, und auf die Gewohnheit, in den Physiognomien der Häuser wie in denen der Menschen zu lesen.
In Melun fand er sogleich das Pfarrhaus, ein reizendes Haus von rothem Backstein mit Gypsanwurf, mit Jungfernreben, die sich an den Dachrinnen hinrankten, und einem steinernen Kreuz. Aus der unteren Stube dieses Hauses drang ein Geräusch oder vielmehr ein Gemische von Stimmen hervor, ähnlich dem Gezwitscher der Vögelchen, wenn die Brut unter dem Flaum ausgeschlüpft ist. Eine von diesen Stimmen buchstabirte ganz deutlich das Alphabet. Eine fette und zugleich flötenartige Stimme zankte die Schwätzer und corrigirte die Fehler des Lesers.
D’Artagnan erkannte diese Stimme, und da das Fenster der unteren Stube offen war, so neigte er sich, noch zu Pferde sitzend, unter den Zweigen der Weinstöcke und der rothen Ranken der Jungfernreben und rief:
»Bazin, mein lieber Bazin, guten Morgen.«
Ein kurzer, dicker Mann mit glattem Gesicht und einem Schädel, der mit einem Kranze kurzgeschnittener grauer Haare geschmückt war, was eine Nachahmung der Tonsur bildete, stand auf, als er d’Artagnan hörte. Wir hätten nicht sagen sollen, stand auf, sondern sprang auf. Bazin sprang auf und warf dabei seinen niedrigen kleinen Stuhl um, welchen die Kinder mit lebhafteren Schlachten wieder aufzuheben suchten, als die Griechen schlugen, da sie den Trojanern den Leichnam des Patroklos entreißen wollten. Bazin sprang nicht nur, sondern er ließ sogar das Alphabet, das er in der Hand hielt, und die Ruthe fallen.
»Ihr!« sagte er, »Ihr, Herr d’Artagnan!«
»Ja, ich. Wo ist Aramis . . . nein, der Herr Chevalier d’Herblay . . . nein, ich irre mich abermals, der Herr Generalvicar?«
»Ah! gnädiger Herr,« antwortete Bazin voll Würde, »Monseigneur ist in seiner Diöcese.«
»Wie beliebt?« fragte d’Artagnan.
Bazin wiederholte seinen Satz.
»Ah! Aramis hat eine Diöcese?«
»Ja, gnädiger Herr, warum nicht?«
»Er ist also Bischof?«
»Woher kommt Ihr denn, daß Ihr das nicht wißt?« versetzte Bazin ziemlich unehrerbietig.
»Mein lieber Bazin, wir Heiden, wir Kriegsleute, wir wissen wohl, daß ein Mann Oberster, oder Chef eines Reiterregiments, oder Marschall von Frankreich ist, aber ob Einer Bischof, Erzbischof oder Papst, ist . . . der Teufel soll mich holen, wenn wir das eher erfahren, als bis drei Viertel der Erde ihren Nutzen daraus gezogen haben!«
»St! st!« sagte Bazin, die Augen aufreißend, »verderbt mir diese Kinder nicht, denen ich so gute Grundsätze einpräge.«
Die Kinder hatten sich wirklich um d’Artagnan gestellt, um sein Pferd, sein großes Schwert, seine Sporen und seine martialische Miene zu bewundern. Besonders aber bewunderten sie seine mächtige Stimme, so daß, als er seinen Schwur aussprach, die ganze Schule: »Der Teufel soll mich holen!« rief und dabei durch Gelächter, durch Jauchzen und Stampfen mit den Füßen einen Lärmen machte, bei dem sich der Musketier ganz behaglich fühlte, während der alte Pädagog darüber den Kopf verlor.
»Ruhig, stillgeschwiegen, ungezogene Brut!« sagte er . . . »Ah! nun, da Ihr gekommen seid, Herr d’Artagnan, entfliegen alle meine guten Grundsätze. Mit Euch reißt wie gewöhnlich die Unordnung wieder ein . . . Babel ist wiedergefunden . . . Ach! die Wüthenden! ah, guter Gott! welch ein Lärmen!«
Und der würdige Bazin theilte rechts und links Püffe aus, welche das Geschrei, die Natur desselben verändernd, mehr als verdoppelten.
»Ihr werdet wenigstens Niemand mehr hier verführen, mein Herr!« sagte er.
»Du glaubst?« erwiederte d’Artagnan mit einem Lächeln, bei dem Bazin ein Schauer über die Schultern lief.
»Er ist dazu fähig,« murmelte er.
»Wo ist die Diöcese Deines Herrn?«
»Monseigneur René ist Bischof von Vanne.«
»Wer hat ihn dazu ernennen lassen?«
»Der Herr Oberintendant, unser Nachbar.«
»Wie! Herr Fouquet?«
»Gewiß.«
»Aramis steht also gut mit ihm?«
»Monseigneur predigte alle Sonntage bei dem Herrn Oberintendanten in Vaux; dann jagten sie miteinander.«
»Ah!«
»Und Monseigneur arbeitete oft seine Homilien… nein, ich will sagen seine Predigten mit dem Herrn Oberintendanten aus.«
»Bah! dieser würdige Bischof predigt also in Versen?«
»Gnädiger Herr, scherzt um Gottes willen nicht über religiöse Dinge!«
»Gut, Bazin, gut. Somit ist Aramis in Vanne?«
»In Vanne in der Bretagne.«
»Du bist ein Duckmäuser, Bazin, das ist nicht wahr.«
»Seht selbst nach, die Zimmer des Pfarrhauses sind leer.«
»Er hat Recht,« sagte d’Artagnan das Haus betrachtend, das wirklich einsam und verlassen aussah.
»Aber Monseigneur mußte Euch wohl seine Beförderung schreiben?«
»Wann hat sie stattgefunden?«
»Vor einem Monat.«
»Ah! dann ist keine Zeit verloren. Aramis kann mich noch nicht nöthig gehabt haben. Aber, Bazin, warum folgst Du Deinem Hirten nicht?«
»Gnädiger Herr, ich kann nicht, ich habe Geschäfte.«
»Dein Alphabet?«
»Und meine Beichtkinder.«
»Wie! Du hörst Beichte? Du bist also Priester.«
»Es ist gerade, als ob ich es wäre. Ich habe so viel Beruf dazu.«
»Aber die Weihen?«
»Ah!« sprach Bazin mit würdevollem Ausdruck, »nun, da Monseigneur Bischof ist, werde ich schnell meine Weihen oder wenigstens meine Dispensationen haben.«
Und er rieb sich die Hände.
»Diese Leute sind offenbar nicht auszurotten,« sagte d’Artagnan zu sich selbst. Dann sprach er laut: »Laßt mir auftragen, Bazin.«
»Mit der größten Bereitwilligkeit, gnädiger Herr.«
»Fleischbrühe, ein Huhn und eine Flasche Wein.«
»Es ist heute Sonnabend, ein Fasttag also,« entgegnete Bazin.
»Ich habe eine Dispensation,« erwiederte d’Artagnan.
Bazin schaute ihn mit einer argwöhnischen Miene an,
»Ah! Meister Scheinheiliger, für wen hältst Du mich denn?« rief der Musketier; »wenn Du, der Du der Diener bist, auf Dispensation hoffst, um ein Verbrechen zu begehen, sollte ich, der Freund des Bischofs, keine Dispensation bekommen, um nach dein Belieben und Wunsche meines Magens an Fasttagen Fleisch zu essen? Bazin, sei liebenswürdiger gegen mich, oder, bei Gott! ich beklage mich beim König, und Du wirst nie Beichte hören. Du weißt, daß die Ernennung der Bischöfe dem König zukommt. Ich aber habe das Ohr des Königs und bin der Stärkere.«
Bazin lächelte heuchlerisch.
»Oh! wir haben den Herr Oberintendanten für uns, wir,« sagte er.
»Und Du kümmerst Dich also nichts um den König?«
Bazin antwortete nichts sein Lächeln war beredt genug.
»Mein Abendbrod,« sprach d’Artagnan. »Es geht auf sieben Uhr.«
Bazin wandte sich um und befahl dem Aeltesten von seinen Schülern, die Köchin zu benachrichtigen. D’Artagnan schaute mittlerweile das Pfarrhaus an.
»Puh! Monseigneur hat Seine Hochwürdigkeit hier sehr schlecht quartiert!« sagte er mit verächtlichem Tone.
»Wir haben das Schloß Vaux!« entgegnete Bazin.
»Das vielleicht so viel werth ist, als der Louvre,« sagte d’Artagnan höhnend.
»Mehr werth,« erwiederte Bazin mit der größten Kaltblütigkeit der Welt.
»Ah!« machte d’Artagnan.
Der Lieutenant hätte vielleicht den Streit fortgesetzt und für den Vorzug des Louvre gekämpft, aber er bemerkte, daß sein Pferd noch an einer Thüre angebunden war.
»Teufel!« sagte er, »laß doch für mein Pferd sorgen. Dein Herr, der Bischof, hat kein solches in seinen Ställen.«
Bazin warf einen schiefen Blick auf das Pferd und erwiederte:
»Der Herr Oberintendant hat ihm vier aus seinem Stalle geschenkt, und ein einziges von diesen vieren ist vier wie das Eurige werth.«
Das Blut stieg d’Artagnan ins Gesicht. Die Hand juckte ihn und er suchte auf dem Kopf von Bazin die Stelle, wohin seine Faust fallen sollte. Doch dieser Blitz ging vorüber, die Ueberlegung trat wieder ein und d’Artagnan sagte nur:
»Teufel! Teufel! ich habe wohl daran gethan, den Dienst des Königs zu verlassen. »Sprich, würdiger Bazin,« fügte er bei, »wie viel Musketiere hat der Herr Oberintendant?«
»Mit seinem Geld wird er alle Musketiere des Königreichs bekommen,« erwiederte Bazin, indem er sein Buch schloß und die Kinder mit Ruthenstreichen verabschiedete.
»Teufel! Teufel!« sagte d’Artagnan zum letzten Mal.
Und da man ihm meldete, es sei aufgetragen, folgte er der Köchin, die ihn in das Speisezimmer führte, wo das Abendbrot, seiner harrte.
D’Artagnan setzte sich zu Tische und griff das Huhn muthig an.
»Mir dünkt,« sagte d’Artagnan, während er kräftig in das Geflügel biß, das man ihm vorgesetzt und das man sichtbar zu mästen vergessen hatte, »mir dünkt, ich habe Unrecht gehabt, nicht sogleich Dienst bei diesem Herrn zu suchen. Dieser Oberintendant ist, wie es scheint, ein mächtiger Herr. In der That, wir wissen nichts, wir Leute bei Hof, und die Strahlen der Sonne verhindern uns, die großen Gestirne zu sehen, welche auch Sonnen sind, obschon ein wenig entfernter von unserer Erde.«
Da es d’Artagnan zu seinem Vergnügen und aus System ungemein liebte, die Leute über die Dinge, die ihn interessirten, plaudern zu machen, so gab er sich alle Mühe, Meister Bazin zum Sprechen zu bringen; doch das war rein vergebens: außer dem ermüdenden und übertriebenen Lob des Herrn Oberintendanten der. Finanzen gab Bazin, der auf seiner Hut war, der Neugierde von d’Artagnan durchaus nichts preis, als Plattheiten, weshalb d’Artagnan, hierüber schlechter Laune, schlafen zu gehen verlangte, sobald sein Mahl beendigt war.
D’Artagnan wurde von Bazin in ein ziemlich mittelmäßiges Zimmer geführt, wo er ein ziemlich schlechtes Bett fand. Man sagte ihm, Aramis habe die Schlüssel seiner Privatwohnung mitgenommen, und da er wußte, daß Aramis ein Mann von Ordnung war und gewöhnlich viele Dinge in seiner Wohnung zu verbergen hatte, so setzte ihn dies durchaus nicht in Erstaunen. Er griff also, obschon es ihm vergleichungsweise noch härter vorkam, das Bett ebenso muthig an, als er das Huhn angegriffen hatte, und da sein Schlaf so gut war als sein Appetit, so brauchte er kaum mehr Zeit, um zu entschlummern, als er gebraucht hatte, um den letzten Knochen seines Bratens auszusaugen.
Seitdem er bei Niemand mehr im Dienst stand, war es Vorsatz von d’Artagnan, einen ebenso harten Schlaf zu haben, als er früher einen leichten gehabt hatte; aber wie redlich und entschieden er auch diesen Vorsatz gefaßt, und wie groß sein Verlangen war, ihn gewissenhaft zu halten, er wurde dennoch mitten in der Nacht durch einen gewaltigen Lärmen von Wagen und berittenen Lackeien aufgeweckt. Eine plötzliche Beleuchtung überströmte die Wände seines Zimmers: er sprang im Hemd aus dem Bette und lief ans Fenster.
»Kommt der König zufällig zurück?« dachte er, sich die Augen ausreibend; »denn das ist in der That ein Gefolge, das nur einer königlichen Person gehören kann.«
»Es lebe der Herr Oberintendant!« rief oder schrie vielmehr an einem Fenster des Erdgeschosses eine Stimme, in welcher er die von Bazin erkannte, der, während er schrie, mit einer Hand ein Sacktuch schwang und in der andern einen großen Leuchter hielt.
D’Artagnan sah nun etwas wie eine glänzende menschliche Gestalt sich aus dem Schlage der HauptCarosse neigen; zu gleicher Zeit ließ ein, ohne Zweifel durch das seltsame Aussehen von Bazin erregtes, langes Gelächter, das aus derselben Carosse hervorkam, wenn man so sagen darf, einen freudigen Streifen auf dem Wege des raschen Zuges zurück.
»Ich hätte wohl sehen müssen, daß es nicht der König ist,« sagte d’Artagnan, »man lacht nicht so treuherzig, wenn der König vorüber kommt.«
»He! Bazin!« rief er seinem Nachbar zu, der sich zu drei Vierteln mit seinem Leibe aus dem Fenster neigte, um dem Wagen länger folgen zu können,
»He! was ist das?«
»Es ist Herr Fouquet,« antwortete Bazin mit einer Protectorsmiene.
»Und alle diese Leute?«
»Das ist der Hof von Herrn Fouquet.«
»Oho! was würde Herr von Mazarin sagen, wenn er das hörte!«
Und er legte sich ganz träumerisch wieder nieder und fragte sich, wie es komme, daß Aramis stets von den Mächtigsten des Reiches protegirt werde.
»Sollte er mehr Glück haben als ich, oder sollte ich dummer sein als er? – Bah!«
Dies war das Schlußwort, mit welchem d’Artagnan, weise geworden, nun jeden Gedanken und jede Periode seines Styls endigte. Früher sagte er: Mordioux, was ein Spornstreich war, aber nun, da er alt, murmelte er dieses philosophische Bah! das allen Leidenschaften als Ziel diente.