Kitabı oku: «Der Graf von Bragelonne», sayfa 9
Drittes bis Sechstes Bändchen
I.
Der Geächtete
D’Artagnan war noch nicht unten an der Treppe, als der König seinem Cavalier rief und zu ihm sagte:
»Ich habe Euch einen Auftrag zu geben, mein Herr.«
»Ich bin zu Eurer Majestät Befehlen.«
»So wartet also.«
Und der König schrieb folgenden Brief, der ihn mehr als. einen Seufzer kostete, obschon zu gleicher Zeit etwas wie das Gefühl des Triumphes in seinen Augen glänzte:
»Herr Cardinal,
»Mit Hilfe Eurer guten Rathschläge und besonders Eurer Festigkeit, bin ich im Stande gewesen, eine eines Königs unwürdige Schwäche zu besiegen und zu bezähmen. Ihr habt mein Schicksal zu geschickt geordnet, als daß mich nicht die Dankbarkeit in dem Augenblick, wo ich Euer Werk zu zerstören im Begriff war, hätte zurückhalten sollen. Ich begriff, daß ich Unrecht hatte, mein Leben von dem Weg, den Ihr ihm vorgezeichnet, abbringen zu wollen. Es wäre unleugbar ein Unglück für Frankreich und für meine Familie gewesen, würde ein Mißverständniß zwischen mir und meinem Minister zum Ausbruch gekommen sein.
»Das wäre jedoch sicherlich geschehen, hätte ich Eure Nichte zu meiner Frau gemacht; ich begreife das vollkommen und werde mich fortan in keiner Hinsicht der Erfüllung meines Geschickes entgegensetzen. Ich bin also bereit, die Infantin Maria Theresia zu heirathen, und Ihr könnt sogleich den Zeitpunkt für die Eröffnung der Unterhandlungen bestimmen.
»Euer wohlgewogener
»Ludwig.«
Der König las seinen Brief noch einmal und siegelte ihn sodann selbst.
»Diesen Brief dem Herrn Cardinal,« sagte er.
Der Cavalier entfernte sich. An der Thüre von Mazarin traf er Bernouin, der voll Angst wartete.
»Nun?« fragte der Kammerdiener des Ministers.
»Mein Herr,« sagte der Cavalier, »hier ist ein Brief für Seine Eminenz.«
»Ein Brief! Ah! wir warteten darauf nach dem kleinen Ausflug von diesem Morgen.«
»Ah! Ihr wußtet, daß Seine Majestät . . . «
»In unserer Eigenschaft als erster Minister haben wir die amtliche Verpflichtung, Alles zu wissen. Und Seine Majestät bittet, fleht, denke ich?«
»Ich weiß nicht, doch sie hat oft geseufzt, während sie den Brief schrieb.«
»Ja, ja, ja, wir wissen, was das besagen will. Man seufzt aus Glück wie aus Kummer, mein Herr.«
»Der König hatte indessen bei seiner Rückkehr nicht die Miene eines sehr glücklichen Menschen.«
»Ihr werdet nicht gut gesehen haben. Ueberdies habt Ihr den König nur bei seiner Rückkehr gesehen, da er von seinem Lieutenant der Musketiere allein begleitet war. Ich aber, ich hatte das Fernrohr Seiner Eminenz und ich schaute, wenn sie sich ermüdet fühlte. Beide weinten, dessen bin ich sicher.«
»Nun! geschah es auch aus Glück, daß sie weinten?«
»Nein, aus Liebe, und sie schworen sich tausend zärtliche Dinge, die der König von ganzer Seele zu halten verlangt. Dieser Brief aber ist ein Anfang der Ausführung.«
»Und was denkt Seine Eminenz von dieser Liebe, welche für Niemand ein Geheimniß ist?«
Bernouin nahm den Boten von Ludwig am Arm und erwiederte mit halber Stimme, während er mit ihm die Treppe hinausstieg:
»Im Vertrauen gesagt, Seine Eminenz rechnet auf einen günstigen Ausgang dieser Angelegenheit. Ich weiß wohl, daß wir Krieg mit Spanien bekommen werden. Doch bah! der Krieg wird den Adel zufrieden stellen. Der Herr Cardinal wird seine Nichte königlich, und sogar mehr als königlich ausstatten. Es wird Geld, Feste und Schläge geben; Jedermann wird zufrieden sein.«
»Nun!« sagte der Cavalier den Kopf schüttelnd, »mir kommt dieser Brief sehr leicht vor, wenn er dies Alles enthalten soll.«
»Freund,« entgegnete Bernouin, »ich bin dessen, was ich sage, sicher: Herr d’Artagnan hat mir Alles erzählt.«
»Gut! und was hat er gesagt? laßt hören.«
»Ich habe ihn angeredet, um mich bei ihm im Auftrag des Cardinals zu erkundigen, doch wohl verstanden, ohne ihm unsere Absichten zu entdecken, denn Herr d’Artagnan ist ein seiner Spürhund.
»»Mein lieber, Herr Bernouin,«« hat er geantwortet, »»der König ist wahnsinnig in Fräulein von Mancini verliebt. Das ist Alles, was ich Euch sagen kann.««
»»Wie!«« fragte ich, »»dergestalt, daß Ihr glaubt, er wäre fähig, sich über die Pläne Seiner Eminenz wegzusetzen?««
»»Ah! fragt mich nicht, ich glaube, daß der König zu Allem fähig ist. Er hat einen eisernen Kopf, und was er will, will er sehr. Hat er sich in den Kopf gesetzt, Fräulein von Mancini zu heirathen, so wird er sie auch heirathen.««
»Und hiernach verließ er mich und ging in den Stall, nahm ein Pferd, sattelte es selbst, schwang sich darauf und jagte fort, als ob ihn der Teufel holte.«
»Und so glaubt Ihr? . . . «
»Ich glaube, daß der Herr Lieutenant von den Musketieren mehr wußte, als er sagen wollte.«
»Es ist also Eure Ansicht, daß Herr d’Artagnan . . . «
»Aller Wahrscheinlichkeit nach folgt er in größter Eile den Verbannten, um alle ersprießlichen Schritte für den günstigen Erfolg der Liebe des Königs zu thun.«
So plaudernd kamen die zwei Vertrauten vor die Thüre des Cabinets Seiner Eminenz. Der Cardinal hatte die Gicht nicht mehr; er ging voll Angst in seinem Zimmer auf und ab, horchte auf die Thüren und schaute nach den Fenstern.
Bernouin trat ein, gefolgt von dem Cavalier, der vom König Befehl hatte, den Brief Seiner Eminenz eigenhändig zu übergeben. Mazarin nahm den Brief, doch ehe er in öffnete, componirte er sich ein den Umständen angemessenes Lächeln, ein bequemes Mittel, die Gemüthsbewegungen, welcher Art sie auch sein mochten, zu verbergen. Auf diese Weise konnte der Eindruck, den der Brief auf ihn hervorbrachte, sich nicht durch den mindesten Reflex auf seinem Gesichte verrathen.
»Gut,« sagte er, als er den Brief gelesen und noch einmal gelesen hatte, »vortrefflich, mein Herr; meldet dem König, daß ich ihm für seinen Gehorsam gegen die Wünsche der Königin Mutter danke, und daß ich Alles thun werde, um seinen Willen in Erfüllung zu bringen.«
Der Cavalier ging ab. Kaum war die Thüre geschlossen, als der Cardinal, der für Bernouin keine Maske hatte, diejenige abwarf, welcher er sich einen Augenblick zu Verhüllung seiner Physiognomie bedient hatte, und mit seinem düstersten Ausdruck zu seinem Kammerdiener sagte:
»Ruft mir Herrn von Brienne.«
Nach fünf Minuten trat der Secretaire ein.
»Mein Herr,« sprach Mazarin, »ich habe der Monarchie einen großen Dienst geleistet, den größten, den ich ihr vielleicht je geleistet. Ihr werdet diesen Brief, der dies beglaubigt, zu Ihrer Majestät der Königin Mutter bringen, und wenn sie ihn Euch zurückgegeben hat, legt Ihr ihn in den Carton B, der von Documenten und Acten bezüglich auf meinen Dienst voll ist.«
Brienne trat wieder ab, und da dieser so interessante Brief entsiegelt war, so verfehlte er nicht, ihn unter Weges zu lesen. Es versteht sich von selbst, daß Bernouin, der mit aller Welt gut stand, nahe genug auf den Secretaire zutrat, um über seine Schulter lesen zu können. Die Nachricht verbreitete sich mit solcher Schnelligkeit im Schloß, daß Herr von Mazarin einen Augenblick befürchtete, sie könnte zu den Ohren der Königin gelangen, ehe Herr von Brienne ihr den Brief von Ludwig XIV. überreicht hätte. Ein paar Minuten nachher waren alle Befehle zum Ausbruch ertheilt und Herr von Condé, der den König bei seinem angeblichen Lever begrüßt hatte, schrieb in seine Tabletten die Stadt Poitiers als Aufenthalts- und Ruheort für Ihre Majestäten ein.
So entwickelte sich in einigen Augenblicken eine Intrigue, welche auf eine dumpfe Weise alle Diplomatien Europas beschäftigt hatte. Sie hatte indessen keinen andern klaren und scharf sich herausstellenden Erfolg, als daß ein armer Lieutenant der Musketiere seine Stelle und seine Anwartschaft auf erfreulichere Glücksumstände verlor, wogegen er aber seine Freiheit gewann.
Wir werden bald erfahren, wie Herr d’Artagnan diese Freiheit benützte. Für jetzt müssen wir, wenn es uns der Leser erlauben will, nach dem Gasthause zu den Medicis zurückkehren, in welchem sich ein Fenster in dem Augenblick öffnete, wo im Schloß die Befehle zur Abreise des Königs gegeben wurden.
Dieses Fenster, das sich öffnete, war das von einem der Zimmer von Karl. Den Kopf in seinen beiden Händen und die Ellenbogen auf einem Tisch, hatte der unglückliche König die Nacht in Thränen hingebracht, während der alte, schwächliche Parry, müde an Körper und Geist, in einem Winkel eingeschlafen war. Er hatte ein seltsames Schicksal, dieser getreue Diener, der bei der zweiten Generation die schreckliche Reihenfolge von Unglücksfällen, die auf der ersten gelastet, wieder anfangen sah. Als Karl II. die neue Niederlage, die er erlitten, wohl überdacht, als er die völlige Vereinzelung begriffen hatte, in die er, da seine neuste Hoffnung abermals entschwunden, versunken war, da ergriff ihn ein Schwindel und er fiel rückwärts in den Lehnstuhl, auf dessen Rand er gesessen hatte.
Nun aber bekam Gott Mitleid mit dem unglücklichen Prinzen und sandte ihm den Schlaf, den unschuldigen Bruder des Todes. Er weckte ihn erst um halb sieben Uhr, als die Sonne bereits in sein Zimmer schien und Parry, unbeweglich, aus Furcht, ihn aufzuwecken, mit tiefem Schmerz die schon durch das Wachen gerötheten Augen, die schon durch das Leiden und die Entbehrungen gebleichten Wangen betrachtete.
Endlich erwachte Karl beim Lärmen einiger schweren Wagen, welche gegen die Loire hinabfuhren. Er stand auf, schaute umher wie ein Mensch, der Alles vergessen hat, erblickte Parry, drückte ihm die Hand und befahl ihm, die Rechnung mit Meister Cropole in Ordnung zu bringen. Genöthigt, mit Parry zu rechnen, entledigte sich Meister Cropole dieses Geschäftes als ein ehrlicher Mann, was nicht zu leugnen ist; er machte nur seine gewöhnlichen Bemerkungen, nämlich daß die zwei Reisenden nichts gegessen, was ein doppelter Nachtheil für sein Haus sei, einmal, weil es demüthigend für seine Küche erscheinen müsse, und dann, weil es ihn nöthige, den Preis für ein Mahl zu verlangen, das unbenutzt geblieben, darum aber nicht minder verloren gehe. Parry wußte nichts hiergegen zu bemerken und bezahlte.
»Ich hoffe,« sagte der König, »es wird nickt dasselbe bei den Pferden der Fall gewesen sein . . . Ich ersehe aus Eurer Rechnung nicht, daß sie gefressen haben, und es wäre ein Unglück für Reisende, denen eine lange Reise bevorsteht, geschwächte Pferde zu finden.«
Doch bei diesem Zweifel nahm Cropole seine majestätische Miene an und erwiederte, die Krippe der Medicis sei nicht minder gastfreundlich, als ihre Speisekammer.
Der König stieg also zu Pferde. Sein alter Diener that dasselbe, und Beide schlugen den Weg nach Paris ein, beinahe ohne daß sie irgend Jemand in den Straßen und in den Vorstädten der Stadt begegneten.
Für den Prinzen war der Schlag um so grausamer, als eine neue Verbannung darin lag. Die Unglücklichen hängen sich an die kleinsten Hoffnungen an, wie die Glücklichen an das größte Glück, und wenn sie den Ort, wo diese Hoffnung ihrem Herzen geschmeichelt hat, verlassen müssen, fühlen sie den tödtlichen Kummer, den der Verbannte fühlt, wenn er den Fuß auf das Schiff setzt, das ihn in die Verbannung fortführen soll. Das schon oft verwundete Herz leidet offenbar bei dem geringsten Stich: es betrachtet wie ein Gut die augenblickliche Abwesenheit des Uebels, welche nur die Abwesenheit des Schmerzes allein ist; in das gräßlichste Unglück hat Gott die Hoffnung geworfen, wie jenen Wassertropfen, den der böse Reiche in der Hölle von Lazarus forderte.
Einen Augenblick war die Hoffnung von Karl II. mehr als eine flüchtige Freude gewesen. Dies war so, als er sich von seinem Bruder Ludwig gut aufgenommen sah. Da hatte sie einen Körper angenommen und sich zur Wirklichkeit gestaltet; dann aber hatte plötzlich wieder die Weigerung von Mazarin die scheinbare Wirklichkeit in den Zustand eines Traumes versenkt. Das so bald von Ludwig XIV. zurückgenommene Versprechen war nur ein Hohn gewesen. Ein Hohn wie seine Krone, wie sein Scepter, wie seine Freunde, wie Alles, was seine königliche Kindheit umgeben und seine geächtete Jugend verlassen hatte. Hohn! Alles war Hohn für Karl II. außer der kalten, schwarzen Ruhe, die ihm der Tod versprach.
Dies waren die Gedanken des unglücklichen Prinzen, als er über sein Roß gebeugt, dem er die Zügel überließ, unter der warmen, milden Sonne des Monats Mai hinritt, in der die finstere Menschenfeindlichkeit des Verbannten eine letzte Verspottung seines Schmerzes sah.
II.
Remember!
Ein Reiter, der rasch auf der Straße, welche gegen Blois hinaufführte, einherkam, kreuzte die zwei Reisenden und lüpfte, so große Eile er auch hatte, seinen Hut, als er an ihnen vorüberritt. Der König merkte kaum auf diesen jungen Mann, denn der Reiter, der sie kreuzte, war ein junger Mann von vierundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahren, der sich zuweilen umwandte und freundschaftliche Zeichen einem andern Mann machte, welcher vor dem Gitter eines schönen Hauses stand: dieses Haus war weiß und roth, nämlich von Backstein und Stein, hatte ein Schieferdach und lag links von der Straße, der der Prinz folgte.
Dieser Mann, ein großer, magerer Greis mit weißen Haaren, – wir sprechen von demjenigen, welcher bei dem Gitter stand, – erwiederte die Zeichen, die ihm der jüngere machte, durch Zeichen des Abschieds so zärtlich, als ob es sein Vater gewesen wäre. Der junge Mann verschwand am Ende bei der ersten Biegung der mit schönen Bäumen besetzten Straße, und der Greis schickte sich an, in das Haus zurückzukehren, als die zwei Reisenden, welche bis vor das Gitter gekommen waren, seine Aufmerksamkeit erregten.
Der König ritt, wie gesagt, den Kopf gesenkt, die Arme träge, im Schritt einher und überließ sich beinahe ganz der, Laune seines Pferdes, während Parry hinter ihm, um von dem warmen Einfluß der Sonne besser durchdrungen zu werden, seinen Hut abgenommen hatte und seine Blicke rechts und links vom Weg umherschweifen ließ. Seine Augen begegneten denen des Greises, der am Gitter lehnte und, als ob er von einem seltsamen Schauspiel berührt worden wäre, einen Schrei ausstieß und einen Schritt gegen die zwei Reisenden machte.
Von Parry gingen seine Augen unmittelbar auf den König über, auf den er sie einige Secunden lang heftete. Diese prüfende Beschattung, so rasch sie auch war, hatte sogleich auf eine sichtbare Weise einen Wiederschein auf den Zügen des langen Greises zur Folge. Denn kaum hatte er den jüngeren von den Reisenden erkannt, und wir sagen erkannt, denn nur ein bestimmtes, wirkliches Erkennen vermochte einen solchen Act zu erklären, kaum, sagen wir, hatte er den jüngeren von den zwei Reisenden erkannt, als er zuerst mit einem ehrfurchtsvollen Erstaunen die Hände faltete, sodann seinen Hut vom Kopfe nahm und sich so tief verbeugte, daß man hätte glauben sollen, er wolle niederknieen.
Diese Kundgebung, so zerstreut, oder vielmehr so sehr der König auch in seine Gedanken versunken war, erregte sogleich seine Aufmerksamkeit,
Karl hielt sein Pferd an, wandte sich gegen Parry um und sagte:
»Mein Gott! Parry, wer ist denn dieser Mensch der mich so grüßt? Sollte er mich zufällig kennen?«
Ganz bewegt, ganz bleich, war Parry schon auf das Gitter zugeritten.
»Ah! Sire,« sagte er, indem er plötzlich fünf bis sechs Schritte von dem Greis, welcher wirklich niedergekniet war, sein Pferd anhielt, »Sire, Ihr seht mich ganz erstaunt, denn mir scheint, ich erkenne diesen braven Mann. Ja wohl! er ist es. Erlaubt mir Eure Majestät, daß ich mit ihm spreche?«
»Gewiß.«
»Seid Ihr es denn, Herr Grimaud?« fragte Parry.
»Ja, ich bin es,« erwiederte der lange Greis, indem er sich erhob, jedoch ohne etwas von seiner ehrerbietigen Haltung zu verlieren.
»Sire«’ sprach nun Parry, »ich täuschte mich nicht, dieser Mann ist der Diener des Grafen de la Fère, und der Graf de la Fère ist, wenn Ihr Euch entsinnt, der würdige Edelmann, von dem ich so oft mit Eurer Majestät gesprochen habe, daß die Erinnerung an ihn nicht nur in ihrem Geiste, sondern auch in ihrem Herzen zurückgeblieben sein muß.«
»Es ist der, welcher meinem Vater in seinen letzten Augenblicken beistand?« fragte Karl.
Und er bebte sichtbar bei dieser Erinnerung.
»Ganz richtig, Sire.«
»Ach! seufzte Karl.
Dann sich an Grimaud wendend, dessen lebhafte, gescheite Augen, wie es schien, in seinem Geist zu lesen suchten, fragte er:
»Mein Freund, sollte Euer Gebieter, der Herr Graf de la Fère, in dieser Gegend wohnen?«
»Dort,« antwortete Grimaud und bezeichnete mit seinem rückwärts ausgestreckten Arm das Gitter des weiß und rothen Hauses.
»Und der Herr Graf de la Fère ist in diesem Augenblick zu Hause?«
»Hinten, unter den Kastanienbäumen.«
»Parry.« sagte der König, »ich will sie nicht versäumen, diese für mich so kostbare Gelegenheit, dem Edelmann zu danken, dem unser Haus für ein so schönes Beispiel von Ergebenheit und Großmuth verpflichtet ist. Ich bitte Euch, haltet mein Pferd. Freund.«
Und der König warf den Zügel Grimaud zu und trat ganz allein bei Athos wie bei seines Gleichen ein. Karl war durch die so bündige Erklärung von Grimaud unterrichtet, – hinten unter den Kastanienbäumen; er ließ also das Haus links und ging gerade auf die bezeichnete Allee zu. Die Sache war leicht; die Gipfel dieser schon mit Blättern und Blüthen bedeckten Bäume überragten die von allen andern.
Als er unter die abwechselnd beleuchteten und düsteren Rauten kam, welche den Boden dieser Allee je nach den Launen ihres mehr oder minder belaubten Gewölbes verschiedenartig erscheinen ließen, erblickte der junge Prinz einen Herrn, der, die Hände auf dem Rücken, spazieren ging und in eine heitere Träumerei versunken zu sein schien. Ohne Zweifel hatte er sich oft wiederholen lassen, wie dieser Edelmann war, denn ohne zu zögern, ging Karl II. gerade auf ihn zu. Bei dem Geräusch seiner Tritte erhob der Graf de la Fère das Haupt, und als er sah, daß ein Unbekannter von edlem Anstand auf ihn zuschritt, lüpfte er seinen Hut und wartete. Einige Schritte von ihm nahm Karl II. ebenfalls seinen Hut in die Hand und sagte, als wollte er die stumme Frage des Grafen beantworten:
»Herr Graf, ich komme, um eine Pflicht bei Euch zu erfüllen. Seid langer Zeit habe ich Euch den Ausdruck einer tiefen Dankbarkeit zu überbringen. Ich bin Karl II., Sohn von Karl Stuart, der über England regierte und auf dem Schaffot starb.«
Bei diesem erhabenen Namen fühlte Athos einen Schauer seine Adern durchlaufen, und bei dem Anblick des jungen Prinzen, der entblößt vor ihm stand und ihm die Hand reichte, trübten zwei Thränen ein paar Secunden lang das durchsichtige Azur seiner schönen Augen.
Er verbeugte sich ehrfurchtsvoll; doch der Prinz nahm ihn bei der Hand und sprach:
»Seht, wie unglücklich ich bin, Herr Graf; es bedurfte des Zufalls, um mich in Eure Nähe zu bringen. Ach! müßte ich nicht die Leute, die ich liebe und ehre, bei mir haben, während ich darauf beschränkt bin, ihre Dienste in meinem Herzen und ihre Namen in meinem Gedächtniß zu behalten, so daß ich ohne Euren Diener, der den meinigen erkannte, vor Eurem Hause wie vor dem eines Fremden vorübergeritten wäre.«
»Es ist wahr,« sagte Athos, der mit der Stimme den ersten Theil der Worte des Prinzen und mit einer Verbeugung den zweiten erwiederte; »es ist wahr, Eure Majestät hat sehr schlimme Tage gesehen.«
»Und die schlimmsten werden leider vielleicht erst kommen!« sprach Karl.
»Sire, hoffen wir.«
»Graf, Graf!« fuhr Karl den Kopf schüttelnd fort, »ich habe bis gestern Abend gehofft, und zwar wie ein guter Christ, das schwöre ich Euch.«
Athos schaute den König an, als wollte er ihn befragen.
»Oh! die Geschichte ist leicht zu erzählen,« sagte Karl II. »Geächtet, von Allem entblößt, verachtet, entschloß ich mich, trotz meines tiefen Widerwillens, das Glück zum letzten Male zu versuchen. Steht es nicht da oben geschrieben, für unsere Familie werde. alles Glück und alles Unglück ewig von Frankreich kommen! Ihr wißt etwas davon, Ihr, mein Herr, der Ihr einer von den Franzosen seid, die mein unglücklicher Vater am Fuße seines Schaffots an seinem Todestag fand, nachdem er sie an den Schlachttagen zu seiner Rechten gefunden hatte.«
»Sire,« erwiederte Athos bescheiden, »ich war nicht allein, und meine Gefährten und ich haben unter diesen Umständen nur einfach unsere Pflicht als Edelleute gethan. Doch Eure Majestät wollte mir die Ehre erweisen, mir zu erzählen . . . «
»Es ist wahr. Ich hatte die Protection . . . verzeiht mein Zögern, doch für einen Stuart, wie Ihr leicht hegreifen werdet, Ihr, der Ihr Alles begreift, ist es hart, das Wort auszusprechen; ich hatte, sage ich, die Protection meines Vetters, des Stadhouders von Holland; aber ohne den Dazwischentritt oder wenigstens ohne die Genehmigung von Frankreich will der Stadhouder nicht die Initiative ergreifen. Ich kam also, um den König von Frankreich um diese Genehmigung zu bitten, die er mir verweigerte.«
»Er hat sie Euch verweigert, Sire?«
»Oh! nicht er; ich muß meinem Bruder Ludwig jede Gerechtigkeit widerfahren lassen, nicht er, sondern Mazarin.«
Athos biß sich auf die Lippen.
»Ihr findet vielleicht, ich hätte auf diese Weigerung gefaßt sein mäßen,« sagte der König, der die Bewegung bemerkt hatte.
»Das war in der That mein Gedanke, Sire,« erwiederte ehrfurchtsvoll der Graf; »ich kenne diesen Italiener seit langer Zeit.«
»Da beschloß ich, die Sache bis zum Ende zu treiben und sogleich das letzte Wort meines Verhängnisses zu erfahren; ich sagte meinem Bruder Ludwig, um weder Frankreich, noch Holland zu compromittiren, würde ich das Glück selbst versuchen, wie ich es schon gethan, mit zweihundert Edelleuten, wenn er mir sie geben, und mit einer Million, wenn er mir sie leihen wollte.«
»Nun, Sire?«
»Mein Herr, ich fühle in diesem Augenblick etwas Seltsames, das ist die Genugthuung der Verzweiflung. Es liegt für gewisse Seelen, und ich habe nun bemerkt, daß die meinige zu dieser Zahl gehört, eine wirkliche Genugthuung in der Sicherheit darüber, daß Alles verloren, und daß die Stunde, zu unterliegen, gekommen ist.«
»Oh!« rief Athos, »ich hoffe, Eure Majestät hat noch nicht die äußerste Grenze erreicht.«
»Um so zu sprechen, Herr Graf, um es zu versuchen, die Hoffnung in meinem Herzen wiederzubeleben müßt Ihr das, was ich Euch sagte, nicht gut begriffen haben. Ich kam nach Blois, Graf, um von meinem Bruder Ludwig das Almosen einer Million zu fordern, mit der ich meine Angelegenheiten wieder ins Geleise zu bringen die Hoffnung hatte, und mein Bruder Ludwig schlug mir meine Bitte ab. Ihr seht also wohl, daß Alles verloren ist.«
»Wird mir Eure Majestät erlauben, mit einer entgegengesetzten Ansicht zu antworten?«
»Wie, Graf, Ihr haltet mich für einen so gewöhnlichen Geist, daß Ihr glaubt, ich vermöge meine Lage nicht ins Auge zu fassen?«
»Sire, ich habe immer gesehen, daß in verzweifelten Lagen plötzlich die großen Umschläge des Schicksals zu Tage ausgehen.«
»Ich danke, Graf; es ist schön, Herzen wie das Eurige zu finden, Herzen, welche so sehr auf Gott und die Monarchie vertrauen, daß sie nie an einem königlichen Geschick verzweifeln, so tief es auch gesunken sein mag. Leider sind Eure Worte, lieber Graf, wie jene Mittel, die man unfehlbare nennt, während sie dennoch, da sie nur bei heilbaren Wunden Hilfe zu leisten vermögen, am Tod scheitern. Ich danke Euch für die Beharrlichkeit, mit der Ihr mich tröstet; ich danke Euch für Euer treu ergebenes Andenken, aber ich weiß, woran ich mich zu halten habe. Nichts wird mich nunmehr retten. Und hört, mein Freund, ich war so sehr überzeugt, daß ich den Weg der Verbannung mit meinem alten Diener einschlug; ich kehre zurück, um meine brennenden Schmerzen in der kleinen Einsiedelei zu verzehren, die man mir in Holland anbietet! dort, glaubt mir, Graf, dort wird Alles bald beendigt sein, und der Tod wird rasch kommen; er ist so oft von diesem Leib, den die Seele zernagt, und von dieser Seele, die zum Himmel aufathmet, herbeigerufen worden.«
»Eure Majestät hat eine Mutter, eine Schwester, Brüder, Eure Majestät ist das Haupt der Familie, sie muß also Gott um ein langes Leben, statt um einen schnellen Tod bitten. Eure Majestät ist geächtet, flüchtig, doch sie hat ihr Recht für sich, sie muß nach Kämpfen, nach Gefahren, nach Thätigkeit und nicht nach der Ruhe des Himmels trachten.«
»Graf,« sprach Karl II. mit einem Lächeln voll unaussprechlicher Traurigkeit, »hörtet Ihr je sagen, ein König habe sein Reich mit einem Diener vom Alter von Parry und mit dreihundert Thalern, die dieser Diener in seiner Börse trägt, wiedererobert?«
»Nein, Sire, aber ich hörte sagen, und zwar mehr als einmal, ein entthronter König habe sein Reich mit einem festen Willen, mit Beharrlichkeit, mit Freunden und einer gut angewendeten Million Franken wieder gewonnen.
»Ihr habt mich also nicht begriffen? Ich habe diese Million von meinem Bruder Ludwig verlangt, und sie ist mir abgeschlagen worden.«
»Sire, will mir Eure Majestät einige Minuten gewähren und aufmerksam anhören, was ich ihr zu sagen habe?«
Karl II. schaute Athos fest an und erwiederte:
»Gern, mein Herr.«
»Dann werde ich Eurer Majestät den Weg weisen,« sagte der Graf und wandte sich nach dem Haus.
Und er führte den König in sein Cabinet, bat ihn zu sitzen und sprach:
»Sire, Eure Majestät hat mir so eben gesagt, bei dem Zustand der Dinge in England würde ihr eine Million genügen, um ihr Reich wieder zu erobern,«
»Wenigstens, um es zu versuchen und als König zu sterben, sollte es mir nicht gelingen.«
»Wohl, Sire, Eure Majestät geruhe, nach dem Versprechen, das sie mir geleistet, anzuhören, was mir zu sagen bleibt.«
Karl machte mit dem Kopf ein Zeichen der Beistimmung, Athos ging gerade auf die Thüre zu, schloß sie mit dem Riegel, nachdem er hinausgeschaut hatte, ob Niemand in der Nähe horche, und kam dann zurück.
»Sire,« sagte er, »Eure Majestät hat die Gnade gehabt, sich zu erinnern, daß ich dem edlen und unglücklichen König Karl Beistand leistete, als ihn seine Henker von Saint-James nach White-Hall führten.«
»Ja, gewiß, ich habe mich dessen erinnert und werde mich stets erinnern.«
»Sire, diese Geschichte ist traurig für einen Sohn anzuhören, der sie sich ohne Zweifel schon oft hat erzählen lassen; doch ich muß sie Euer Majestät wiederholen, ohne einen einzigen Umstand zu übergehen.«
»Sprecht, mein Herr.«
»Als der König, Euer Vater, das Schaffot bestieg, oder vielmehr von seinem Zimmer auf das vor seinem Fenster errichtete Schaffot ging, war Alles für seine Flucht vorbereitet. Der Henker war entfernt worden, man hatte ein Loch unter seiner Wohnung gemacht. Ich selbst endlich befand mich unter dem unseligen Gerüste und hörte dieses plötzlich unter seinen Tritten krachen.«
»Parry hat mir diese furchtbaren Umstände erzählt, mein Herr.«
Athos verbeugte sich und sprach:
»Hört, was er Euch nicht erzählen konnte, Sire, denn was folgt, ist zwischen Gott, Eurem Vater und mir vorgefallen, und nie habe ich es irgend einem Menschen, ich habe es nicht einmal meinen,theuersten Freunden anvertraut. »»Entferne Dich!«« sprach der König zu dem verlarvten Henker, »»nur für einen Augenblick, ich weiß wohl, daß ich Dir gehöre; vergiß nicht, daß Du erst, wenn ich das Signal gebe, zu schlagen hast. Ich will frei mein Gebet verrichten.««
»Verzeiht,« sagte Karl II. erbleichend, »aber Ihr, der Ihr so viele Einzelheiten von diesem unseligen Ereigniß wißt, Einzelheiten, welche, wie Ihr so eben sagtet, Niemand enthüllt worden sind, wißt Ihr den Namen dieses höllischen Henkers, dieses Feigen, der sein Gesicht verbarg, um ungestraft einen König zu ermorden?«
Athos erbleichte leicht.
»Seinen Namen?« sprach er; »ja, ich weiß ihn, doch ich kann ihn nicht sagen.«
»Und was ist aus ihm geworden? . . . denn Niemand in England hat sein Schicksal erfahren.«
»Er ist gestorben.«
»Doch nicht in seinem Bett gestorben, nicht eines sanften, ruhigen Todes, nicht des Todes ehrlicher Leute?«
»Er ist eines gewaltsamen Todes gestorben . . . in einer schrecklichen Nacht, zwischen dem Zorn der Menschen und dem Sturm Gottes. Von einem Dolchstoße durchbohrt, ist sein Leib in die Tiefe des Meeres gesunken. Gott vergebe seinem Mörder!«
»So gehen wir weiter,« sprach König Karl II., da er sah, daß der Graf nicht mehr sagen wollte.
»Der König von England, nachdem er, wie ich es erzählt, zu dem verlarvten Henker gesprochen hatte, fügte bei: »»Du wirst nicht eher schlagen, hörst Du wohl, als bis ich die Arme ausstrecke und rufe: R e m e m b e r!««
»In der That,« sagte Karl mit dumpfem Tone, »ich weiß, daß dies das letzte Wort ist, welches mein unglücklicher Vater gesprochen hat. Doch in welcher Absicht, für wen?«
»Für den französischen Edelmann, der unter seinem Schaffot stand.«
»Für Euch also, mein Herr?«
»Ja, Sire, und jedes der Wortes das er durch die Bretter des mit einem schwarzen Tuch bedeckten Blutgerüstes gesagt hat, tönen noch in meinem Ohr. Der König setzte also ein Knie auf die Erde. »»Graf de la Fère,«« sagte er, »»seid Ihr da?«« »»Ja, Sire,« antwortete ich. Da neigte sich der König,«
Ganz zitternd vor Theilnahme, ganz brennend vor Schmerz, neigte sich auch Karl II. gegen Athos, um eines nach dem andern die Worte aufzufassen, welche von den Lippen des Grasen kamen. Sein Kopf streifte den von Athos.
»Da neigte sich der König,« fuhr der Graf fort. »»Graf de la Fère,«« sagte er, »»ich konnte nicht von Dir gerettet werden, ich sollte es nicht sein. Nun aber, und würde ich eine Ruchlosigkeit begehen, sage ich: Ja, ich habe zu den Menschen, ich habe zu Gott gesprochen, und spreche zuletzt mit Dir. Um eine Sache aufrecht zu hatten, die ich für heilig hielt, habe ich den Thron meiner Väter verloren und das Erbe meiner Kinder verschleudert.««
Karl II, verbarg sein Gesicht in seinen Händen, und eine brennende Thräne drang durch seine weißen, abgemagerten Finger.
»»Eine Million in Gold bleibt mir,«« fuhr der König fort. »»Ich habe sie in den Gewölben des Schlosses von Newcastle in dem Augenblick vergraben, wo ich diese Stadt verließ.««
Karl II. erhob das Haupt mit einem Ausdruck schmerzlicher Freude, welcher Jedem, der dieses ungeheure Unglück kannte, ein Schluchzen entrissen hätte.
»Eine Million!« murmelte er, »oh! Graf!«
»»Du allein weißt, daß dieses Gold vorhanden ist; mache Gebrauch davon, wann Du es zum Wohle meines ältesten Sohnes für zeitgemäß hältst. Und nun, Graf de la Fère, nimm Abschied von mir.««
»»Gott befohlen, Sire!«« rief ich.
Karl II. stand auf und drückte seine glühende Stirne an ein Fenster. Athos aber fuhr fort: