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Kitabı oku: «Der Graf von Monte Christo», sayfa 108

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Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Der fünfte October

Es war ungefähr sechs Uhr Abends: ein opalfarbiges Licht, das eine schöne Herbstsonne mit ihren goldenen Strahlen durchdrang, fiel vom Himmel auf das bläuliche Meer.

Die Hitze des Tages war allmälig erloschen und man fing an, jenen leichten Wind zu fühlen, welcher der Atem der nach einer brennenden Siesta des Mittags erwachenden Natur zu sein scheint: ein köstlicher Hauch, die Küsten des mittelländischen Meeres erfrischend und von User zu User die lieblichen Düfte der Bäume vermischt mit dem scharfen Geruche der See tragend.

Auf diesem ungeheuren Gewässer, das sich von Gibraltar bis zu den Dardanellen und von Tunis bis nach Venedig ausdehnt, glitt eine leichte Yacht von reiner, zierlicher Form in dem ersten Dunste des Abends hin.

Nach und nach verschwand am westlichen Horizont die Sonne, deren letzte Strahlen wir begrüßt haben; aber ihre unbescheidenen Feuer, als wollten sie die glänzenden Träume der Götterlehre bestätigen, schienen, auf dem Gipfel jeder Welle wieder erscheinend, zu offenbaren, der Gott der Flammen habe sich an dem Busen von Amphidrite verborgen, welche vergebens ihren Geliebten mit den Falten ihres azurblauen Mantels zu verhüllen suche.

Die Macht rückte rasch vor, obgleich der Wind scheinbar kaum stark genug war, um das Lockenhaar eines Mädchens flattern zu machen.

Aus dem Vorderteile stehend, sah ein Mann von hoher Gestalt, brauner Gesichtsfarbe und mit großem Auge das Land unter der Gestalt einer düsteren, kegelförmigen, aus den Wellen wie ein ungeheurer catalonischer Hut hervortretenden Masse aus sich zukommen.

»Ist das Monte Christo?« fragte mit einer ernsten, von tiefer Traurigkeit zeugenden Stimme der Reisende, dessen Befehlen die Yacht für den Augenblick unterworfen war.

»Ja, Exzellenz,« antwortete der Patron, »wir kommen sogleich dahin.«

, »Wir kommen dahin!« murmelte der Reisende mit einem Ausdrucke unsäglicher Schwermut.

Dann fügte er mit leiser Stimme bei:

»Ja, dort wird der Hafen sein.«

Und er versenkte sich wieder in seine Gedanken, welche sich durch ein Lächeln, trauriger, als Tränen gewesen wären, verdolmetschten.

Einige Minuten nachher erblickte man am Lande den Schimmer einer Flamme, welche sogleich wieder erlosch, und der Lärm eines Feuergewehres drang bis zur Yacht.

»Exzellenz,« sagte der Patron, »das ist das Landsignal; wollen Sie selbst daraus antworten?«

»Was für ein Signal?« fragte dieser.

Der Patron streckte die Hand nach der Insel aus, von der vereinzelt und bläulich eine breite Rauchwolke ausstieg, die sich bei ihrer Ausdehnung zerriß.

»Ah! ja,« sprach er, wie aus einem Traume erwachend.

Der Patron reichte ihm einen geladenen Carabiner, der Reisende nahm denselben, hob ihn langsam empor und schoß in die Luft.

Zehn Minuten nachher geite man die Segel aus und warf den Anker fünfhundert Schritte von einem kleinen Hafen.

Das Boot war bereits mit vier Ruderern und dem Lotsen im Meere; der Reisende stieg hinab und blieb, statt sich aus das für ihn mit einem blauen Teppich geschmückte Vorderteil zu setzen, mit gekreuzten Armen stehen.

Die Ruderer warteten, ihre Ruder halb in die Höhe gehoben, wie Vögel, welche ihre Flügel trocknen lassen.

»Vorwärts!« sprach der Reisende.

Die acht Ruder fielen mit einem einzigen Schlage und ohne einen Tropfen Wasser springen zu machen in das Meer; dann glitt die Barke, dem Antriebe gehorchend, rasch dem User zu.

In einem Augenblick befand man sich in der kleinen Bucht, welche hier ein natürlicher Ausschnitt bildete; die Barke berührte einen Grund von seinem Sand.

»Exzellenz,« sprach der Lotse, »steigen Sie auf die Schultern von zwei von unsern Leuten, sie werden Sie an das Land tragen.«

Der junge Mann erwiderte diese Aufforderung durch eine Gebärde völliger Gleichgültigkeit, hob seine Beine von der Barke auf und sank in das Wasser, das ihm bis zum Gürtel reichte.

»Ah! Exzellenz,« murmelte der Lotse, »was Sie da machen, ist schlimm, und Sie werden uns einen Verweis vom Herrn zuziehen.«

Der junge Mann ging, ohne hieraus zu hören, zwei Matrosen folgend, welche den besten Grund wählten, dem Ufer zu.

Nach etwa dreißig Schritten war man am Lande; der junge Mann schüttelte seine Füße auf einem trockenen Boden, und suchte mit seinen Augen um sich her den Weg, den man ihm wahrscheinlich bezeichnen würde, denn es war bereits völlig Nacht.

In dem Augenblick, wo er den Kopf umwandte, ruhte eine Hand aus seiner Schulter und eine Stimme machte ihn beben.

»Guten Abend, Maximilian,« sagte diese Stimme, »Sie sind sehr pünktlich, und ich danke Ihnen.«

»Sie sind es, Graf!« rief der junge Mann mit einer freudigen Bewegung und mit seinen beiden Händen die Hand von Monte Christo drückend.

»Ja, wie Sie sehen nicht minder pünktlich: doch Sie triefen, mein lieber Freund: Sie müssen die Kleider wechseln, wie Kalypso zu Telemach sagen würde. Es findet sich hier eine für Sie bereit gehaltene Wohnung, in der Sie Müdigkeit und Kälte vergessen werden.«

Monte Christo bemerkte, daß Morrel sich umwandte: er wartete.

Der junge Mann sah wirklich mit Erstaunen, daß kein Wort von denjenigen, welche ihn gebracht hatten, gesprochen worden war, daß er sie nicht bezahlt, und daß sie dennoch sich entfernt hatten. Man hörte sogar das Schlagen der Ruder an der Barke, welche zu der kleinen Yacht zurückkehrte.

»Ah! ja,« sagte der Graf, »Sie suchen Ihre Matrosen?«

»Allerdings; ich habe ihnen nichts gegeben, und sie sind dennoch weggegangen.«

»Kümmern Sie sich nicht darum, Maximilian,« erwiderte lachend Monte Christo, »ich habe einen Vertrag mit der Marine, wodurch der Zugang zu meiner Insel von jeder Fahr- und Reiseabgabe frei ist. Ich bin abonniert, wie man in civilisirten Ländern sagen würde.«

Maximilian schaute den Grafen voll Erstaunen an.

»Wie,« sagte er, »Sie sind hin nicht mehr derselbe, der Sie in Paris waren?«

»Warum dies?«

»Ja, hier lachen Sie.«

Die Stirne von Monte Christo verdüsterte sich plötzlich, und er sprach:

»Sie haben Recht, daß Sie mich an mich selbst erinnern, Maximilian; Sie wiedersehen war ein Glück für mich und ich vergaß, daß jedes Glück vorübergehend ist.«

»Oh! nein, nein, Graf,« rief Morrel, abermals die beiden Hände seines Freundes ergreifend; »lachen Sie im Gegenteil, seien Sie glücklich und beweisen Sie mir durch Ihre Gleichgültigkeit, daß das Leben nur für die Leidenden schlecht ist. Oh! Sie sind menschenfreundlich, Sie sind gut, Sie sind groß, mein Freund, und um mir Mut zu verleihen, heucheln Sie diese Heiterkeit.«

»Sie täuschen sich, Morrel,« erwiderte Monte Christo, »ich war in der Tat glücklich.«

»Dann vergessen Sie mich, desto besser!«

»Wie dies?«

»Ja, denn Sie wissen, Freund, wie der Gladiator in den Circus tretend zu dem erhabenen Kaiser sagte, so sage ich zu Ihnen: Derjenige, welcher sterben wird, begrüßt Dich.««

»Sie sind nicht getröstet?« fragte Monte Christo mit einem seltsamen Blicke.

»Haben Sie wirklich geglaubt, ich könnte es sein?« rief Morrel mit einem Tone voll Bitterkeit.

»Hören Sie,« sprach der Graf, »nicht wahr, Maximilian, Sie verstehen den Sinn meiner Worte ganz wohl? Sie halten mich nicht für einen gewöhnlichen Menschen, nicht für eine Klapper, welche unbestimmte, sinnlose Töne von sich gibt? Wenn ich Sie frage, ob Sie getröstet seien, so spreche ich als ein Mann, für den das menschliche Herz keine Geheimnisse mehr hat. Nun wohl, Morrel, steigen wir mit einander in die Tiefe Ihres Herzens hinab und erforschen wir dasselbe. Ist es noch die heftige Ungeduld des Schmerzes, welche den Körper springen macht, wie der von einem Moskito gestochene Löwe springt? Ist es immer noch der verzehrende Durst, der nur im Grabe erlischt? Ist es jene Idealität des Kummers, welche den Lebenden aus dem Leben schleudert und der Verfolgung des Todes preisgibt? Oder ist es nur die Niederbeugung des erschöpften Mutes, der Ärger, der den Hoffnungsstrahl erstickt, welcher gern glänzen möchte? Ist es der Verlust des Gedächtnisses, der die Ohnmacht der Tränen zur Folge hat? Oh! mein lieber Freund, wenn es dies ist, wenn Sie nicht mehr weinen können, wenn Sie Ihr erstarrtes Herz für tot halten, wenn Sie nur noch Kraft in Gott, nur noch Blicke für den Himmel haben, Freund, dann lassen wir die Worte bei Seite, welche zu eng sind für den Sinn, den ihnen unsere Seele gibt: Maximilian, Sie sind getröstet, klagen Sie nicht mehr.«

»Graf,« sprach Morrel mit seiner weichen und zugleich festen Stimme, »Graf, hören Sie mich, wie man einen Mann hört, der den Finger gegen die Erde ausgestreckt und die Augen zum Himmel ausgeschlagen spricht: Ich bin zu Ihnen gekommen, um in den Armen eines Freundes zu sterben. Allerdings gibt es Menschen, die ich liebe: ich liebe meine Schwester Julie, ich liebe ihren Gatten Emmanuel; aber für mich ist es Bedürfnis, daß man mir starke Arme öffnet, daß man mir in meinen letzten Augenblicken zulächelt; meine Schwester würde in Tränen zerfließen und ohnmächtig werden; ich würde sie leiden sehen, und habe selbst genug gelitten: Emmanuel würde mir die Waffe aus den Händen reißen und das Haus mit seinem Geschrei erfüllen. Sie, Graf, dessen Wort ich habe, Sie, der Sie mehr als ein Mensch sind, Sie, den ich einen Gott nennen würde, wenn Sie nicht sterblich wären, nicht wahr, Sie werden mich sanft und zärtlich bis zu den Pforten des Todes geleiten?«

»Freund,« entgegnete der Graf, »es bleibt mir noch ein Zweifel; sollten Sie so wenig Kraft haben, daß Sie einen Stolz darein setzen, Ihren Schmerz auszukramen?«

»Nein, sehen Sie, ich bin einfach« sagte Morrel, den, Grafen die Hand reichend, »und mein Puls schlägt nicht stärker und nicht langsamer, als gewöhnlich. Nein, ich fühle mich am Ende der Reise; nein, ich werde nicht weiter gehen. Sie sprachen mir von Hoffen und Warten; wissen Sie, was Sie getan haben, unglücklicher Weiser? Ich habe einen Monat gewartet, das heißt, ich habe einen Monat gelitten! Ich habe gehofft (der Mensch ist ein armes, elendes Geschöpf), ich habe gehofft, was? ich weiß es nicht, etwas Unbekanntes, Albernes, Wahnsinniges! ein Wunder, was für ein Wunder? Gott allein vermag es zu sagen, er, der in unsere Vernunft eine Thorheit gemischt hat, die man Hoffnung nennt. Ja, ich habe gewartet; ja, ich habe gehofft, Graf, und seit einer Viertelstunde, die wir hier sprechen, haben Sie hundertmal, ohne es zu wissen, mein Herz gequält, gebrochen, denn jedes von Ihren Worten bewies mir, daß nichts mehr für mich zu hoffen war. Oh! Graf, wie sanft und wollüstig werde ich im Tode ruhen!«

Morrel sprach diese letzten Worte mit einem Ausdrucke von Energie, der, den Grafen beben machte.

»Mein Freund,« fuhr Morrel fort, als er sah, daß der Graf schwieg, »Sie haben mir den fünften Oktober als das Ende der Frist bezeichnet, die Sie von mir verlangen . . . Mein Freund, heute ist der fünfte Oktober . . . «

Morrel zog seine Uhr.

»Es ist neun Uhr, ich habe noch drei Stunden zu leben.«

»Es sei!« sprach Monte Christo, »kommen Sie.«

Morrel folgte maschinenmäßig dem Grafen, und sie, waren bereits in der Grotte, ehe es Maximilian bemerkte.

Er fand Teppiche unter seinen Füßen, eine Thüre öffnete sich, Wohlgerüche umhüllten ihn, ein lebhaftes Licht traf seine Augen.

Morrel zögerte, weiter zu gehen, und blieb stehen: er mißtraute den entnervenden Sinnenreizen, welche ihn umgaben.

Monte Christo zog ihn sanft vorwärts und sprach:

»Geziemt es sich nicht, daß wir die drei Stunden, die uns noch bleiben, wie die alten Römer verwenden, welche von Nero, ihrem Kaiser und Erben, zum Tode verurteilt, sich mit Blumen bekränzt zu Tische setzten und den Tod mit dem Wohlgeruch von Heliotropen und Rosen einatmeten?«

Morrel lächelte,

»Wie Sie wollen,« sprach er; »der Tod bleibt immer der Tod, das heißt die Ruhe, das heißt die Abwesenheit des Lebens und folglich des Schmerzes.«

Er setzte sich, Monte Christo nahm seinen Platz ihm gegenüber.

Man befand sich in dem wundervollen, bereits von uns beschriebenen Speisesaal, wo Marmorstatuen aus ihren Häuptern stets mit Blumen und Früchten gefüllte Körbchen trugen.

Morrel hatte Alles flüchtig angeschaut und ohne Zweifel nichts gesehen.

»Reden wir als Männer,« sagte er mit einem festen Blicke auf den Grafen.

»Sprechen Sie.«

»Graf, Sie sind der Inbegriff aller menschlichen Kenntnisse, und Ihr Wesen macht den Eindruck auf mich, als kämen Sie von einer Welt her, welche weiter vorgerückt und reicher ist. als die unsrige.«

»Es ist etwas Wahres daran, Morrel,« sagte der Graf mit jenen, schwermütigen, Lächeln, das ihn so schön erscheinen ließ; »ich bin von einem Planeten her, abgestiegen, den man den Schmerz nennt.«

»Ich glaubt Alles, was Sie mir sagen, ohne daß ich den Sinn davon zu ergründen suche; zum Beweise hierfür mag dienen: Sie hießen mich leben, und ich lebte, Sie hießen mich hoffen, und ich hoffte beinahe. Ich wage es daher, Graf, Sie zu fragen, als ob Sie schon einmal tot gewesen wären: Graf, tut das wehe?«

Monte Christo schaute Morrel mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit an und erwiderte:

»Ja, allerdings, es tut sehr wehe: wenn Sie auf eine rohe Weise die sterbliche Hülle zerreißen, welche hartnäckig zu leben verlangt, wenn Sie Ihr Fleisch unter den unmerklichen Zähnen eines Dolches kreischen machen, wenn Sie mit einer unverständigen Kugel Ihr Hirn durchbohren, das bei dem geringsten Stoße von Schmerzen befallen wird, so werden Sie sicherlich leiden und mit Widerwillen das Leben verlassen, das Sie mitten unter Ihrem verzweiflungsvollen Todeskampfe immer noch schöner finden, als eine so teuer erkaufte Ruhe.«

»Ja, ich begreife,« sprach Morrel; »der Tod hat wie das Leben seine Geheimnisse des Schmerzes und der Wollust, und es kommt nur daraus an, sie kennen zu lernen.«

»Ganz richtig, Maximilian, Sie haben das große Wort ausgesprochen. Der Tod ist, je nachdem wir dafür besorgt sind, uns gut oder schlimm mit demselben zu stellen, entweder ein Freund, der uns eben so sanft wiegt, als eine Amme, oder ein Feind, der uns mit Gewalt die Seele aus dem Leibe reißt. Eines Tags, wenn unsere Welt noch tausend Jahre gelebt, wenn man sich aller der zerstörenden Kräfte der Natur bemeistert haben wird, um sie der allgemeinen Wohlfahrt der Menschheit dienstbar zu machen; wenn der Mensch einmal, wie Sie so eben sagten, die Geheimnisse des Todes kennt, wird dieser eben so sanft, eben so wollüstig sein, als der Schlummer in den Armen unserer Geliebten.«

»Und wenn Sie sterben wollten, wüßten Sie so zu sterben?«

»Ja.«

Morrel reichte ihm die Hand und sprach: »Ich begreife nun, warum Sie mich hierher beschieden haben, aus diese einsame Insel, mitten in den Ozean, in diesen unterirdischen Palast,  . . . ein Grab, das den Neid eines Pharao erregt haben dürfte: es geschah dies, weil Sie mich liebten, nicht wahr, Graf? weil Sie mich hinreichend lieben, um mir eine von den Todesarten zu geben, von denen Sie so eben sprachen, einen Tod ohne Kampf, einen Tod, der mir den Namen Valentine aussprechend und Ihnen die Hand drückend zu sterben gestartet?«

»Ja, Sie haben richtig erraten, Morrel,« sagte der Graf mit einfacher Betonung, »dies war meine Absicht.«

»Ich danke: die Hoffnung, daß ich morgen nicht mehr leben werde, ist so süß für mein armes Herz.«

»Bedauern Sie keinen Verlust?« fragte Monte Christo,

»Nein!« antwortete Morrel.

»Bedauern Sie es nicht, von mir scheiden zu müssen?« fragte der Graf mit tiefer Rührung,

Morrel hielt inne: sein so reines Auge trübte sich plötzlich, und glänzte dann wieder in ungewöhnlichem Feuer; eine große Träne strömte hervor und rollte, eine silberne Furche grabend, an seiner Wange herab.

»Wie!« rief der Graf, »Sie beklagen den Verlust von irgend Etwas aus Erden, und wollen sterben?«

»Oh! ich flehe Sie an!« rief Morrel mit matten, Tone, »kein Wort mehr, verlängern Sie meine Qualen nicht, Graf!«

Der Graf glaubte, Morrel werde schwach, werden.

Dieser Glaube erweckte in ihm abermals den furchtbaren, bereits einmal im Castell If niedergeschlagenen Zweifel.

»Ich beschäftigte mich damit, diesen Menschen dem Glück zurückzugeben,« sagte er zu sich selbst, »ich betrachtete diese Wiedererstattung als ein Gewicht in die Wage geworfen, in Rücksicht auf die andere Schale, in welche ich das Übel habe fallen lassen. Wenn ich mich nun täuschte, wenn dieser Mensch nicht unglücklich genug wäre, um das Glück zu verdienen, ach! was würde aus mir werden, der ich das Böse nur vergessen kann, indem ich mir das Gute wieder vorzeichne?«

»Hören Sie, Morrel,« sprach er; »Ihr Schmerz ist ungeheuer, das sehe ich, aber dennoch glauben Sie an Gott und wollen das Heil Ihrer Seele nicht wagen.«

Morrel lächelte traurig und erwiderte:

»Graf, Sie wissen, daß ich nicht mit kaltem Herzen Poesie treibe; aber ich schwöre Ihnen, meine Seele gehört nicht mehr mir.«

»Hören Sie, Morrel, ich habe keinen Verwandten aus der Welt, ich habe mich daran gewöhnt, Sie als meinen Sohn zu betrachten; um meinen Sohn zu retten, winde ich mein Leben und noch viel mehr mein Vermögen opfern.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich will damit sagen, Morrel, daß Sie das Leben verlassen, weil Sie nicht alle Genüsse kennen, die es einem großen Vermögen verheißt, Morrel, ich besitze hundert Millionen: mit einem solchen Vermögen können Sie jedes Ziel erreichen, das Sie sich vorsetzen. Sind Sie ehrgeizig? jede Laufbahn ist Ihnen geöffnet. Setzen Sie die Welt in Aufruhr, verändern Sie das Angesicht derselben, geben Sie sich den. wahnsinnigsten Streichen hin, seien Sie ein Verbrecher, wenn es sein muß, aber leben Sie.«

»Graf, ich habe Ihr Wort,« erwiderte Morrel mit kaltem Tone, »und,« fügte er seine Uhr ziehend bei, »es ist halb zwölf Uhr.«

»Morrel! bedenken Sie auch, unter meinen Augen, in meinem Hause?«

»Dann lassen Sie mich gehen,« sprach Morrel düster, »oder ich glaube, Sie lieben mich nicht meinetwegen, sondern Ihretwegen!«

Und er stand auf.

»Es ist gut,« sagte Monte Christo, dessen Gesicht sich bei diesen Worten aufklärte: »Sie wollen es, Morrel, und sind unbeugsam; ja! Sie sind tief unglücklich, und es könnte Sie, wie Sie gesagt haben, nur ein Wunder heilen; setzen Sie sich, Morrel, und warten Sie.«

Morrel gehorchte; Monte Christo stand ebenfalls auf und holte aus einem sorgfältig verschlossenen Schranke, dessen Schlüssel er an einer goldenen Kette an sich hängen hatte, ein kleines, silbernes, wunderbar gearbeitetes Kästchen, dessen Ecken vier Figuren darstellten, jenen Karyatiden ähnlich, Figuren von Frauen, Symbolen von Engeln, welche zum Himmel aufstreben.

Er stellte dieses Kästchen auf den Tisch, öffnete es und zog eine kleine, goldene Kapsel daraus hervor, deren Deckel sich durch den Druck einer geheimen Feder hob.

Diese Kapsel enthielt eine salbenartige, halbfeste Substanz, deren Farbe in Folge der Reflexe des polierten Goldes, der Saphire, der Rubine und der Smaragde, welche die Kapsel schmückten, sich nicht bestimmen ließ.

Es war wie das schnell wechselnde Spiel von Azur, Purpur und Gold.

Der Graf schöpfte eine kleine Quantität von dieser Substanz mit einem goldenen Löffel und bot sie Morrel mit einem langen Blicke.

Man konnte nun sehen, daß diese Substanz grünlich war.

»Das ist es, was Sie von mir verlangten,« sagte er, »das ist es, was ich Ihnen versprochen habe.«

»Noch lebend,« erwiderte dir junge Mann, den Löffel aus den Händen von Monte Christo nehmend, »noch lebend, danke ich Ihnen aus dem Grunde meines Herzens.«

Der Graf nahm einen zweiten Löffel und schöpfte abermals aus der goldenen Kapsel.

»Was wollen Sie machen, Freund?« fragte Morrel, seine Hand zurückhaltend.

»Meiner Treue, Morrel,« erwiderte er lächelnd, »Gott vergebe mir! ich glaube, ich bin des Lebens so müde, als Sie, und da sich eine Gelegenheit bietet . . . «

»Halten Sie ein!« rief der junge Mann. »Oh! Sie, der Sie lieben, den man liebt, der Sie den Glauben und die Hoffnung haben, tun Sie nicht, was ich zu tun im Begriffe bin; von Ihrer Seite wäre es ein Verbrechen, Gott befohlen, mein edler und hochherziger Freund; Gott befohlen, ich werde Valentine Alles sagen, was Sie für mich getan haben.«

Und ohne ein anderes Zögern, als einen langen Druck der linken Hand, die er dem Grafen reichte, verschlang oder schlürfte vielmehr Morrel die geheimnisvolle, von Monte Christo ihm dargebotene Substanz.

Dann schwiegen Beide. Ali brachte stille und aufmerksam den Tabak und die persischen Pfeifen, trug den Kaffee aus und verschwand.

Allmälig erbleichten die Lampen in den Händen der Marmorstatuen, und der Geruch der Räucherpfannen kam Morrel minder durchdringend vor.

Ihm gegenüber sitzend, schaute Monte Christo Maximilian aus der Tiefe des Schattens an, wahrend Morrel nur die Augen des Grafen glänzen sah.

Ein ungeheurer Schmerz bemächtigte sich des jungen Mannes; er fühlte die, Pfeife seinen Händen entschlüpfen; die Gegenstände verloren unmerklich ihre Form und ihre Farbe; seinen getrübten Augen War es, als öffneten sich die Thüren und Vorhänge in der Wand.

»Freund,« sprach er, »ich fühle, daß ich sterbe; Meinen Dank!«

Er machte eine Anstrengung, um dem Grafen zu« letzten Male die Hand zu reichen; aber diese Hand fiel kraftlos an seiner Seite nieder.

Dann kam es ihm vor, als lächelte Monte Christo nicht mit seinem seltsamen, furchtbaren Lächeln, das ihn wiederholt die Geheimnisse dieser tiefen Seele im Halbdunkel hatte erschauen lassen, sondern mit dem wohlwollenden Mitleid, welches die Väter für ihre kleinen Kinder offenbaren, wenn sie unvernünftige Dinge sprechen.

Zu gleicher Zeit wuchs der Graf in seinen Augen: seine beinahe verdoppelte Gestalt trat aus den roten Tapeten hervor; er hatte seine schwarzen Haare zurückgeworfen und erschien aufrecht und stolz, wie einer von jenen Engeln, mit denen man die Bösen am Tage des jüngsten Gerichtes bedroht.

Gelähmt, gebändigt, warf sich Morrel in seinem Stuhle zurück, eine sanfte Erstarrung durchdrang jede von seinen Adern. Ein Wechsel der Gedanken stattete gleichsam seine Stirne aus, wie eine neue Anlage von Zeichnungen das Kaleidoskop ausstattet.

Liegend, entkräftet, keuchend, fühlte Morrel nichts Lebendes mehr in sich, als diesen Traum: es kam ihm vor, als liefe er mit vollen Segeln in den schwankenden Irrwahn ein, der dem unbekannten Dunkel vorhergeht, welches man den Tod nennt.

Noch einmal versuchte er es, dem Grafen seine Hand zu geben, diesmal aber rührte sich seine Hand nicht mehr; er wollte ein letztes Lebewohl aussprechen, doch seine Zunge wälzte sich schwerfällig in seinem Munde umher, wie ein Stein, der ein Grab verstopfen würde.

Seine mit betäubender Schlafsucht belasteten Augen schlossen sich unwillkürlich; hinter seinen Augenlidern aber bewegte sich ein Bild, das er erkannte, trotz der Dunkelheit, mit der er sich umhüllt glaubte.

Es war der Graf, der eine Thüre öffnete.

Sogleich übergoß eine unermeßliche, aus einem anstoßenden mit unendlicher Pracht ausgeschmückten Gemache hervorstrahlende, Klarheit den Saal, in welchem sich Morrel seinem süßen Todeskampfe hingab.

Da sah er auf die Schwelle dieses Saales und aus die Grenze der beiden Gemächer eine Frau von wunderbarer Schönheit treten.

Bleich und sanft lächelnd, schien sie der Engel der Barmherzigkeit den Engel der Rache beschwörend.

»Öffnet sich schon der Himmel für mich?« dachte der Sterbende; »dieser Engel gleicht demjenigen, welchen ich verloren habe.«

Monte Christo bezeichnete mit dem Finger der jungen Frau den Sopha, auf dem Morrel ruhte.

Sie ging auf ihn zu, die Hände gefaltet und ein Lächeln aus den Lippen.

»Valentine! Valentine!« rief Morrel auf dem Grunde seiner Seele.

Aber sein Mund brachte keinen Ton hervor, und er stieß, als wären alle seine Kräfte in dieser innern Bewegung vereinigt, einen Seufzer aus und schloß die Augen.

Valentine stürzte auf ihn zu.

Die Lippen von Morrel machten abermals eine Bewegung,

»Er ruft Sie,« sprach der Graf, »er ruft Sie aus der Tiefe seines Schlummers, er, dem Sie Ihr Schicksal anvertraut hatten, und von welchem Sie der Tod trennen wollte! Aber zum Glück war ich da; und ich habe den Tod besiegt! Valentine, fortan sollt Ihr Euch auf Erden nicht mehr trennen; denn damit Ihr einander wiederfändet, stürzte er sich in das Grab. Ohne mich wäret Ihr Beide gestorben; ich gebe Euch einander zurück; möge mir Gott Rechnung tragen für das doppelte Dasein, das ich rette!«

Valentine ergriff die Hand von Monte Christo und drückte sie in einem Ergusse unwiderstehlicher Freude an ihre Lippen.

»Oh! danken Sie mir sehr,« sprach der Graf, »oh! wiederholen Sie mir, ohne des Wiederholens müde zu werden, daß ich Sie glücklich gemacht habe: Sie ahnen nicht, wie sehr ich dieser Gewißheit bedarf.«

»Oh! ja, ja, ich danke Ihnen von ganzer Seele,« sprach Valentine, »und wenn Sie an der Aufrichtigkeit meines Dankes zweifeln, so fragen Sie Hayde, meine geliebte Schwester Hayde, die mich seit unserer Abreise von Frankreich geduldig, von Ihnen sprechend, den glücklichen Tag, der heute für mich erglänzt, zu erwarten bewog.«

»Sie lieben also Hayde?« fragte Monte Christo mit einer Rührung, die er vergebens zu verbergen bemüht war.

»Oh! von ganzer Seele!«

»Nun wohl, so hören Sie, Valentine,« sprach der Graf, »ich habe mir eine Gunst von Ihnen zu erbitten.«

»Von mir? Großer Gott! hin ich so glücklich? . . . «

»Ja; Sie haben Hayde Ihre Schwester genannt, möge Sie in der Tat ihre Schwester sein, Valentine; geben Sie ihr Alles zurück, was Sie mir schuldig zu sein glauben, beschützen Sie mit Morrel die arme Hayde, denn (die Stimme des Grafen war nahe daran, in seiner Kehle zu erlöschen), denn sie wird fortan allein aus der Welt sein . . . «

»Allein aus der Welt!« wiederholte eine Stimme hinter dem Grafen; »und warum?«

Monte Christo wandte sich um.

Hayde stand da, bleich und in Eis verwandelt, und schaute den Grafen mit einer Gebärde tödlicher Starrheit an.

»Weil Du morgen frei sein wirst, meine Tochter,« antwortete der Graf; »weil Du in der Welt, den Dir gebührenden Platz einnehmen wirst, weil mein Verhängnis das Deinige nicht verdunkeln soll. Fürstentochter! ich gebe Dir die Reichtümer und den Namen Deines Vaters zurück!«

Hayde erbleichte, öffnete ihre durchsichtigen Hände, wie es die Jungfrau tut, die sich Gott befiehlt, und sprach mit einer von Tränen heiseren Stimme:

»Also Du verläßt mich, mein Herr?«

»Hayde! Hayde! Du bist jung, Du bist schön; vergiß mich bis auf meinen Namen und sei glücklich.«

»Es ist gut,« sprach Hayde, »Deine Befehle sollen vollzogen werden, mein Herr, ich werde Dich bis auf Deinen Namen vergessen und glücklich sein.«

Und sie machte einen Schritt rückwärts, um sich zu entfernen.

»Oh! mein Gott!« rief Valentine, während sie den erstarrten Kopf von Morrel aus ihre Schulter hob, »sehen Sie nicht, wie bleich sie ist? begreifen Sie nicht, was sie leidet?«

Hayde entgegnete mit einem herzzerreißenden Ausdrucke:

»Warum soll er mich begreifen? er ist mein Herr, und ich bin seine Sklavin; er hat das Recht, nichts zu sehen.«

Der Graf bebte bei den Tönen dieser Stimme, die selbst die geheimsten Fibern seines Herzens erweckte; seine Augen begegneten denen des jungen Mädchens und konnten den Glanz derselben nicht ertragen.

»Mein Gott! mein Gott!« sprach Monte Christo, »was ich ahnen durfte, wäre also wahr! Hayde, Du wärest glücklich, wenn ich Dich nicht verlassen würde?«

»Ich bin jung,« antwortete sie mit sanftem Tone; »ich liebe das Leben, das Du mir stets so süß gemacht hast, und würde es beklagen, wenn ich sterben müßte.«

»Damit willst Du mir sagen, wenn ich Dich verließe, Hayde . . . «

»So würde ich sterben, Herr, ja!«

»Du liebst mich also?«

»Oh! Valentine, er fragt, ob ich ihn liebe! Valentine, sage ihm doch, ob Du Maximilian liebst!«

Der Graf fühlte, wie seine Brust sich erweiterte und sein Herz sich ausdehnte: er öffnete seine Arme und Hayde fiel ihm, einen Schrei ausstoßend, um den Hals.

»Oh! ja, ich liebe Dich!« sprach sie. »ich liebe Dich, wie man seinen Vater, seinen Bruder, seinen Gatten liebt, ich liebe Dich, wie man sein Leben, seinen Gott liebt, denn Du bist für mich das schönste, das beste und das größte der geschaffenen Wesen.«

»Also geschehe, wie Du willst, mein geliebter Engel,« sagte der Graf. »Gott, der mich gegen meine Feinde angetrieben und mich zu ihrem Sieger gemacht hat, Gott will nicht diese Reue an das Ende meines Sieges setzen, das sehe ich: ich wollte mich bestrafen. Gott will mir verleihen. Liebe mich also, Hayde! Wer weiß? Deine Liebe wird mich vielleicht vergessen lassen, was ich vergessen muß.«

»Aber was sprichst Du denn, Herr?« fragte das junge Mädchen.

»Ich sage, daß ein Wort von Dir, Hayde, mich mehr erleichtert hat, als zwanzig Jahre meiner langsamen Weisheit: ich habe nur Dich auf dieser Welt: durch Dich verbinde ich mich mit dem Leben, durch Dich kann ich leiden, durch Dich kann ich glücklich sein.«

»Hörst Du, Valentine?« rief Hayde, »er sagt, durch mich könne er leiden, durch mich, die ich mein Leben für ihn geben würdet«

Der Graf sammelte sich einen Augenblick und sprach:

»Habe ich die Wahrheit erschaut? Oh! mein Gott, gleichviel, Belohnung oder Strafe, ich nehme diese Bestimmung an. Komm Hayde, komm . . . «

Seinen Arm um den Leib des Mädchens schlingend, drückte er Valentine die Hand und verschwand.

Es verging ungefähr eine Stunde, während der Valentine, keuchend, ohne Stimme, die Augen starr, bei Morrel verharrte. Allmälig fühlte sie sein Herz schlagen, ein unmerklicher Atem öffnete seine Lippen, und dieses leichte, die Rückkehr des Lebens verkündigende Beben durchlief den ganzen Leib des jungen Mannes.

Endlich öffneten sich seine Augen, aber starr und wie im Irrwahne; dann kehrte das Gesicht zurück, und mit dem Gesicht das Gefühl, mit dem Gefühl der Schmerz.

»Oh!« rief er im Tone der Verzweiflung, »ich lebe noch, der Graf hat mich getäuscht!«

Und er streckte die Hand nach dem Tische aus und griff nach einem Messer.

»Freund,« sprach Valentine mit ihrem wunderbaren Lächeln, »erwache und schaue mich an.«

Morrel stieß einen gewaltigen Schrei aus und fiel mit irrem Geiste, voll Zweifel, geblendet wie von einer himmlischen Erscheinung, aus seine Knie nieder . . .

Am anderen Morgen, bei den ersten Strahlen des Tages, gingen Morrel und Valentine Arm in Arm am Gestade hin. Valentine erzählte Morrel, wie Monte Christo in ihrem Zimmer erschienen, wie er ihr Alles entschleiert, wie er sie das Verbrechen mit dem Finger hatte berühren lassen, und sie endlich auf eine wunderbare Weise, indem er die Leute aus dem Glauben ließ, sie wäre wirklich gestorben, vom Tode errettet.

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10 aralık 2019
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1870 s. 17 illüstrasyon
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