Kitabı oku: «Der Graf von Monte Christo», sayfa 107
Einundzwanzigstes Kapitel.
Die Karte von Luigi Vampa
Bei jedem Schlafe, wenn er nicht der von Danglars gefürchtete ist, gibt es ein Erwachen.
Danglars erwachte.
Für einen Pariser, der an seidene Vorhänge, an. Wände mit Sammet überzogen, an den Wohlgeruch, der von dem Holze im Kamin aussteigt und von den atlassenen Gewölben herabströmt, gewöhnt ist, muß das Erwachen in einem Felsen wie ein Traum von schlechtem Gehalte sein. Seine Vorhänge von Bockshäuten berührend, mußte Danglars glauben, es träume ihm von Samojeden oder Lappländern; doch unter solchen Umständen genügt eine Secunde, um den mächtigsten Zweifel in Gewißheit zu verwandeln.
»Ja, ja,« murmelte er, »ich bin in den Händen der Banditen, von denen uns Albert von Morcerf erzählt hat.«
Seine erste Bewegung war, zu atmen, um sich Gewißheit zu verschaffen, daß man ihn nicht verwundet. Dies war ein Mittel, das er im Don Quixote gesunden, in dem einzigen Buche, von dem er, wenn er es auch nicht ganz gelesen, doch wenigstens etwas behalten hatte.
»Nein,« sagte er, »sie haben mich weder umgebracht noch verwundet, aber sie haben mich vielleicht bestohlen.«
Und er fuhr rasch mit seinen Händen nach seinen Taschen. Sie waren unberührt: die hundert Louisd’or, die er sich vorbehalten hatte, um seine Reise von Rom nach Venedig zu machen, waren noch in der Tasche seiner Beinkleider, und das Portefeuille, in welchem er den Creditbrief von fünf Millionen und fünfzig tausend Franken aufbewahrt hatte, fand sich in seiner Rocktasche.
»Sonderbare Banditen, die mir meine Börse und mein Portefeuille lassen!« sagte er zu sich selbst. »Sie werden mich, wie ich es mir gestern Abend gedacht habe, auf Lösegeld setzen. Halt! ich habe auch meine Uhr! Wir wollen ein wenig sehen, wie viel Uhr es ist.«
Die Uhr von Danglars, ein Meisterwerk von Bréguet, am Abend vorher, ehe er sich aus die Reise begeben, sorgfältig von ihm ausgezogen, schlug halb sechs Uhr Morgens. Ohne sie wäre Danglars in völliger Ungewissheit über die Stunde gewesen, denn der Tag drang nicht in die Zelle.
Sollte er eine Erklärung von den Banditen hervorrufen, sollte er geduldig warten, bis sie ihn auffordern würden? Die letzte Alternative war die klügere: Danglars wartete.
Er wartete bis um die Mittagsstunde.
Während dieser ganzen Zeit ging eine Schildwache an seiner Thüre auf und ab. Um acht Uhr Morgens war die Wache abgelöst worden.
Danglars hatte um diese Zeit Lust bekommen, zu sehen, durch wen er bewacht würde.
Er bemerkte, daß Lichtstrahlen, nicht vom Tag sondern von der Lampe herrührend, durch die schlecht zusammengefügten Bretter der Thüre drangen: er näherte sich einer von den Öffnungen in dem Augenblick. i« der Bandit gerade ein paar Schlucke Branntwein trank, welche durch den ledernen Schlauch, der dieselben enthielt, einen Danglars ungemein widerstrebenden Geruch verbreiteten.
»Puah!« machte er, bis in den Hintergrund seiner Zelle zurückweichend.
Zur Mittagsstunde wurde der Branntweinmann von einer anderen Wache abgelöst: Danglars war begierig, seinen neuen Wächter zu sehen: er näherte sich abermals dem Spalte.
Der neue Wächter war ein athletischer Bandit, ein Goliath mit großen Augen, dicken Lippen und eingedrückter Nase: sein rotes Haar hing aus seine Schultern in gedrehten Dochten wie eine Anzahl von Schlangen herab.
»Oh! oh!« sagte Danglars, »dieser gleicht mehr einem Wehrwolf, als einem menschlichen Geschöpfe: in jedem Fall bin ich alt und gehörig zähe, und zähes Fleisch ist nicht gut zu essen.«
Man sieht, Danglars hatte noch ziemlich viel Geistesgegenwart, daß er scherzen konnte.
In demselben Augenblick setzte sich sein Wächter, als wollte er ihm beweisen, er wäre kein Wehrwolf, der Thüre seiner Zelle gegenüber, zog aus seinem Schnapssack schwarzes Brot, Zwiebeln und Käse, und fing an mit großem Appetit diese Dinge zu verzehren.
»Der Teufel soll mich holen!« sagte Danglars, indem er durch die Spalte seiner Thüre einen Blick aus das Mahl des Banditen warf: »der Teufel soll mich holen, wenn ich begreife, wie man solchen Unrat essen kann.«
Und er setzte sich aus seine Bockshäute, die ihn an den Geruch des Branntweins der ersten Schildwache erinnerten.
Doch Danglars mochte machen, was er wollte, die Geheimnisse der Natur sind unerforschlich, und es liegt eine Beredsamkeit in gewissen materiellen Einladungen, welche die rohesten Substanzen an fastende Magen ergehen lassen.
Danglars fühlte plötzlich, daß das Nichts in diesem Augenblick keinen Grund hatte, der Mensch kam ihm weniger häßlich, das Brot weniger schwarz, der Käse frischer vor.
Die rohen Zwiebeln endlich, ein abscheuliches Nahrungsmittel des Wilden, erinnerten ihn an gewisse Brühen von Robert und an gewisse Mirotons, die sein Koch auf eine ausgezeichnete Weise bereitete, wenn Danglars zu ihm sagte: »Herr Deniseau, machen Sie mir für heute ein gutes Canaille-Plättchen.«
Er stand aus und klopfte an die Thüre.
Der Bandit hob den Kopf empor.
Danglars sah, daß man ihn gehört hatte, und verdoppelte sein Klopfen.
»Che cosa?« fragte der Bandit.
»Sagen Sie doch! sagen Sie doch, Freund,« rief Danglars, mit seinen Fingern an der Thüre trommelnd, »es scheint mir, es wäre Zeit, daß man daran dächte, mir auch etwas zu essen zu geben.«
Doch mag es nun sein, daß er ihn nicht verstand, mag er keinen Befehl in Beziehung aus die Speisung von Danglars gehabt haben, der Riese setzte sein Mahl fort.
Danglars fühlte seinen Stolz gedemütigt, und da er sich nicht weiter mit diesem Tiere einlassen wollte, so legte er sich auf seine Bockshäute nieder und sprach kein Wort mehr.
Es verliefen abermals vier Stunden: der Riese wurde durch einen andern Banditen ersetzt. Danglars der ein furchtbares Zerren im Magen fühlte, stand sachte auf, hielt sein Auge wieder an die Spalten seiner Thüre, und erkannte das gescheite Gesicht seines Führers.
Es war in der Tat Peppino, der die friedliche Wache bezog, sich der Thüre gegenüber niederließ und zwischen seine Beine einen irdenen Topf, warme, duftende Kichererbsen mit Speck enthaltend, niedersetzte.
Neben diese Kichererbsen stellte Peppino noch ein hübsches Körbchen mit Trauben von Velletri und einen Fiasco Orvietto-Wein.
Peppino war offenbar ein Leckermaul,
Als Danglars diese gastronomischen Vorbereitungen sah, lies ihm das Wasser im Mund zusammen.
»Ah! ah! wir wollen ein wenig sehen, ob dieser traktabler sein wird, als die Andern.
Und er klopfte sachte an seine Thüre.
»On y va,« sagte der Bandit, der, das Haus von Meister Pastrini besuchend, das Französische bis auf seine Eigentümlichkeiten gelernt hatte.
Danglars erkannte in ihm wirklich denjenigen. welcher ihm aus eine so wütende Weise: Dentro la testa, zugerufen. Dock es war nicht die Stunde zu Vorwürfen, er nahm im Gegenteil sein freundlichstes Gesicht an und sagte mit einem anmuthreichen Lächeln:
»Verzeihen Sie, mein Herr, wird man mir nichts zum Mittagsmahle geben?«
»Wie denn?« rief Peppino, »sollte Euere Exzellenz zufällig Hunger haben?«
»Zufällig, das ist herrlich!« murmelte Danglars: »es sind gerade vier und zwanzig Stunden, daß ich nichts mehr gegessen habe. Allerdings, mein Herr,« fügte er mit lauter Stimme bei, »ich habe Hunger, und sogar sehr Hunger.«
»Und Eure Exzellenz will essen?«
»Auf der Stelle, wenn es möglich ist.«
»Nichts kann leichter sein,« sprach Peppino; »man verschafft sich hier Alles, was man haben will, wohlverstanden wenn man bezahlt, wie dies bei allen ehrlichen Christen der Brauch ist.«
»Das versteht sich,« rief Danglars, »obgleich die Leute, die einen verhaften und einsperren, ihre Gefangenen wenigstens auch nähren sollten.«
»Ah! Exzellenz, das ist nicht üblich.«
»Ich finde diesen Grund ziemlich schlecht, begnüge mich jedoch damit,« versetzte Danglars, der seinem Wächter durch seine Liebenswürdigkeit zu schmeicheln suchte. »Doch sehen Sie, daß man mir etwas zu essen bringt.«
»Auf der Stelle, Exzellenz; was wünschen Sie?«
Peppino setzte seinen Napf so aus die Erde, daß der Dampf unmittelbar Danglars in die Nase stieg.
»Befehlen Sie,« sagte er.
»Sie haben also Küchen hier?« fragte der Banquier.
»Wie! ob wir Küchen haben? Vollkommene Küchen!«
»Und Köche?«
»Vortreffliche!«
»Wohl! ein Huhn, einen Fisch, Wildpret, gleichviel was, wenn ich nur zu essen bekomme.«
»Ganz nach dem Belieben Eurer Exzellenz; wir wollen sagen ein Huhn, nicht wahr?«
»Ja, ein Huhn.«
Peppino richtete sich aus und schrie mit voll« Lunge:
»Ein Huhn für Seine Exzellenz!«
Die Stimme von Peppino vibrierte noch unter den Gewölben, als bereits ein hübscher, schlanker, wie die antiken Fischeträger halb nackter, junger Mensch erschien: er trug das Huhn aus einer silbernen Platte, welche allein auf seinem Kopfe hielt.
»Man sollte glauben, man wäre im Café de Paris,« murmelte Danglars.
»Hier, Exzellenz!« sagte Peppino, das Huhn aus den Händen des jungen Banditen nehmend und auf einen wurmstichigen Tisch setzend, der nebst einem Schemel und dem Bette von Bockshäuten die ganze Ausstattung der Zelle bildete.
Danglars forderte ein Messer und eine Gabel.
»Hier, Exzellenz,« rief Peppino und bot ihm ein kleines, stumpfes Messer und eine Gabel von Buchs.
Danglars nahm das Messer mit einer Hand und die Gabel mit der andern, und schickte sich an, das Huhn zu zerschneiden.
»Verzeihen Sie, Exzellenz,« sagte Peppino, eine Hand auf die Schulter des Banquier legend, »Hier bezahlt man, ehe man ißt: man könnte beim Weggehen nicht zufrieden sein.«
»Ah! ah!« murmelte Danglars, »das ist nicht mehr wie in Paris, abgesehen davon, daß sie mich wahrscheinlich schinden werden; doch wir wollen die Sache großartig treiben. Mein Freund, ich habe immer von der Wohlfeilheit des Lebens in Italien reden hören; ein Huhn muß in Rom zwölf Sous kosten; hier,« fügte er, Peppino einen Louisd’or zuwerfend, bei.
Peppino hob den Louisd’or auf. Danglars näherte das Messer dem Huhn.
»Einen Augenblick, Exzellenz.« sprach Peppino sich erhebend; »ah! Sure Exzellenz ist mir noch etwas schuldig.«
»Ich sagte doch, sie würden mich schinden!« murmelte Danglars.
Dann fragte er, entschlossen, diese Auspressung zu benützen:
»Lassen Sie hören, wie viel ist man Ihnen noch für dieses schwindsüchtige Huhn schuldig?«
»Eure Exzellenz hat mir einen Louisd’or auf Abschlag gegeben.«
»Einen Louisd’or auf Abschlag bei einem Huhn?«
»Allerdings auf Abschlag.«
»Gut . . . weiter!«
»Euere Exzellenz ist mir nur noch vier tausend neun hundert und neun und neunzig Louisd’or schuldig.«
Danglars riß die Augen bei diesem riesigen Scherze ungeheuer auf.
»Ah! sehr drollig,« murmelte er, »in der Tat, äußerst drollig.«
Und er wollte wieder zum Werke schreiten und das Huhn zerlegen; doch Peppino hielt ihm die rechte Hand mit seiner linken zurück und sprach:
»Immer zu, mein Herr.«
»Wie, Sie scherzen nicht?« sagte Danglars.
»Wir scherzen nie, Exzellenz,« erwiderte Peppino ernsthaft wie ein Quaker.
»Wie, hundert tausend Franken für dieses Huhn?«
»Exzellenz, es ist unglaublich, wie viel Mühe man hat, um Geflügel in diesen verfluchten Grotten aufzuziehen.«
»Gehen Sie, gehen Sie! ich finde das sehr komisch, in der Tat äußerst belustigend; doch da ich Hunger habe, lassen Sie mich essen. Hier ist noch ein Louisd’or für Sie, mein Freund.«
»Dann macht es nur noch vier tausend einhundert und acht und neunzig Louisd’or,« sprach Peppino mit derselben Gleichgültigkeit; »mit Geduld werden wir zum Ziele gelangen.«
»Oh! was das betrifft,« versetzte Danglars, empört über diesen beharrlichen Spott, »was das betrifft, niemals. Gehen Sie zum Teufel, Sie wissen nicht, mit wem Sie zu tun haben.«
Peppino machte ein Zeichen, der junge Mensch streckte seine beiden Hände aus und nahm rasch das Huhn weg. Danglars warf sich aus sein Bett von Bockshäuten. Peppino schloß wieder die Thüre und fing an seine Erbsen mit Speck zu essen.
Danglars konnte nicht sehen, was Peppino machte. doch das Krachen der Zähne des Banditen ließ dem Gefangenen keinen Zweifel über die Leibesübung, der er sich hingab.
Es war klar, daß er aß, und sogar, daß er geräuschvoll aß wie ein schlecht erzogener Mensch.
»Tölpel!« sagte Danglars.
Peppino stellte sich, als hörte er es nicht, speiste, ohne den Kopf umzudrehen, mit einer vernünftigen Langsamkeit fort.
Danglars kam sein Magen selbst durchlöchert wie das Faß der Danaiden vor, er konnte nicht glauben, daß es ihm je gelingen würde, ihn zu füllen.
Er faßte übrigens noch eine halbe Stunde Geduld: doch es ist nicht zu leugnen, daß ihm diese halbe Stunde, wie ein Jahrhundert vorkam. Dann stand er auf, ging abermals nach der Thüre und sprach:
»Hören Sie, mein Herr, lassen Sie mich nicht länger schmachten, sagen Sie mir sogleich, was man von mir will.«
»Exzellenz, sagen Sie vielmehr, was Sie von uns wollen. Geben Sie Ihre Befehle, und wir werden sie ausführen.«
»So öffnen Sie vor Allem.«
Peppino öffnete.
»Ich will,« sprach Danglars, »bei Gott! ich will essen.«
»Sie haben Hunger?«
»Ei! Sie wissen es wohl.«
»Was wünscht Euere Exzellenz zu essen?«
»Ein Stück trockenes Brot, da die Hühner in diesen verfluchten Höhlen so ungeheuer teuer sind.«
»Brot! es sei,« sprach Peppino.
»Holla! Brot!« rief er.
Der junge Mensch brachte ein kleines Brot.
»Hier!« sagte Peppino.
»Wie viel?« fragte Danglars.
»Vier tausend neun hundert und acht und neunzig Louisd’or. Ich habe zwei Louisd’or Vorschuß.«
»Wie! ein Brot, hundert tausend Franken!«
»Hundert tausend Franken!« erwiderte Peppino.
»Aber Sie verlangten nur hundert tausend Franken für ein Huhn!«
»Wir bedienen nicht nach der Karte, sondern zu festen Preisen. Ob man wenig, ob man viel ißt, ob man zehn Schüsseln verlangt oder eine einzige, das macht immer dieselbe Summe.«
»Abermals dieser Scherz, mein lieber Freund, ich erkläre Ihnen, daß das einfältig, daß das albern ist! Sagen Sie mir aus der Stelle, daß ich vor Hunger sterben soll, es wird schneller geschehen sein.«
»Nein, Exzellenz, Sie wollen sich selbst um das Leben bringen. Bezahlen Sie und essen Sie.«
»Womit bezahlen, dreifaches Tier?« sagte Danglars außer sich; »glaubst Du, man trage hundert tausend Franken bei sich?«
»Sie haben fünf Millionen und fünfzig tausend Franken in Ihrer Tasche, Exzellenz,« erwiderte Peppino! »das macht fünfzig Hühner zu hundert tausend Franken und ein halbes Huhn zu fünfzig taufend Franken.«
Danglars schauerte; die Binde fiel ihm von den Augen: das war allerdings immer noch ein Scherz, aber er begriff ihn endlich.
Wir haben billiger Weise anzuführen, daß er ihn nicht mehr so platt fand, wie einen Augenblick vorher.
»Hören Sie,« sagte er, »wenn ich Ihnen diese hundert tausend Franken gebe, werden Sie sich dann wenigstens für bezahlt erklären und mich nach Belieben essen lassen?«
»Allerdings,« sprach Peppino.
»Doch wie soll ich sie Ihnen geben?« versetzte Danglars freier atmend,
»Nichts leichter; Sie haben einen offenen Credit aus Thomson und French, Via dei Bauchi in Rom; geben Sie mir eine Anweisung von vier tausend neunhundert und achtundneunzig Louisd’or auf diese Herren, unser Banquier wird sie uns abnehmen.«
Danglars wollte sich wenigstens das Verdienst des guten Willens geben, nahm die Feder, die ihm Peppino nebst Papier reichte, schrieb den Zettel und unterzeichnete
»Hier,« sagte er, »hier ist Ihre Anweisung, au porteur.«
»Und hier ist Ihr Huhn.«
Danglars zerschnitt seufzend das Huhn: es kam ihm sehr mager für eine so fette Summe vor.
Peppino aber las aufmerksam das Papier, steckte es in seine Tasche, und aß wieder von seinen Kichererbsen.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Die Vergebung
Am andern Morgen hatte Danglars abermals Hunger: die Luft dieser Höhle war im höchsten Maße Appetit erregend; der Gefangene glaubte an diesem Tage müßte er keine Ausgabe machen; als sparsamer Mann hatte er die Hälfte von seinem Huhn und, ein Stück von seinem Brot in einer Ecke seiner Zelle versteckt.
Doch er aß nicht sobald, als er Durst bekam: darauf hatte er nicht gerechnet.
Er kämpfte gegen den Durst bis zu dem Augenblick, wo er fühlte, daß sich seine vertrocknete Zunge an seinem Gaumen anklebte.
Als Danglars dem verzehrenden Feuer nicht mehr widerstehen konnte, rief er.
Eine Wache öffnete die Thüre; es war ein neuer, Bandit.
Er dachte, es wäre für ihn mehr wert, wenn er es mit einem allen Bekannten zu tun hätte, und rief Peppino.
»Hier bin ich, Exzellenz,« sagte Peppino mit einem Eifer herbei eilend, den Danglars als ein gutes Vorzeichen betrachtete, »was wünschen Sie?«
»Zu trinken,« sprach der Gefangene.
»Exzellenz, Sie wissen, daß der Wein in der Gegend von Rom übermäßig teuer ist.«
»So geben Sie mir Wasser,« erwiderte Danglars, der den Stoß zu parieren suchte.
»Exzellenz, das Wasser ist noch viel seltener, als der Wein; es herrscht gegenwärtig eine so große Trockenheit!«
»Gehen Sie doch, Sie fangen wieder an, wie es scheint!« sagte Danglars lächelnd, um sich den Anschein zu geben, als scherzte er.
Der Unglückliche fühlte, wie der Schweiß seine Schläfe befeuchtete.
»Nun, mein Freund,« fuhr er fort, als er sah, daß Peppino unempfindlich blieb, »ich bitte Sie um ein Glas Wein; werden Sie es mir abschlagen?«
»Ich habe Ihnen bereits gesagt, Exzellenz, daß wir den Wein nicht im Kleinen verkaufen,« erwiderte Peppino mit ernstem Tone,
»Wohl! so geben Sie mir eine Flasche.«
»Von welchem?«
»Von dem, welcher am wenigsten kostet.«
»Sie haben alle denselben Preis.«
»Und was ist dieser Preis?«
»Fünfundzwanzig tausend Franken die Flasche.«
»Sagen Sie,« rief Danglars mit einer Bitterkeit, welche nur Harpagon allein im Umfange der menschlichen Stimme mit Noten zu bezeichnen im Stande gewesen wäre, »sagen Sie, Sie wollen mich ganz und gar ausziehen; das wird schneller geschehen sein, als wenn Sie mich so, Fetzen für Fetzen auffressen.«
»Es ist dies möglicher Weise der Plan des Herrn.«
»Wer ist der Herr?«
»Derjenige, zu welchem man Sie vorgestern geführt hat.«
»Und wo ist er?«
»Hier.«
»Machen Sie, daß ich ihn sehen kann.«
»Das ist leicht.«
Einen Augenblick nachher stand Luigi Vampa vor Danglars.
»Sie rufen mich?« fragte er den Gefangenen. »Sie, mein Herr, sind der Anführer der Personen, die mich hierher gebracht haben?«
»Ja, Exzellenz.«
»Wie viel verlangen Sie Lösegeld von mir? sprechen Sie.«
»Ganz einfach die fünf Millionen, welche Sie bei sich tragen.«
Danglars fühlte einen ungeheuren Krampf sein Herz zermalmen.
»Ich habe nur dieses aus der Welt, mein Herr, es ist der Rest eines ungeheuren Vermögens: wenn Sie mir es nehmen, so nehmen Sie mir mein Leben.«
»Es ist uns verboten, Ihr Blut zu vergießen, Exzellenz.«
»Und durch wen ist Ihnen dies verboten?«
»Durch denjenigen, welchem wir gehorchen.«
»Sie gehorchen also irgend Jemand?«
»Ja, einem Führer.«
»Ich glaubte, Sie wären selbst der Führer?«
»Ich bin der Führer dieser Menschen, doch ein Anderer ist mein Führer.«
»Und dieser Führer gehorcht auch Jemand?«
»Ja.«
»Wem?«
»Gott.«
Danglars blieb einen Augenblick nachdenkend, und sprach sodann:
»Ich begreife Sie nicht.«
»Das ist möglich.«
»Und dieser Führer hat Ihnen gesagt, Sie sollen mich so behandeln?«
»Ja.«
»Was ist sein Zweck?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber meine Börse wird sich erschöpfen.«
»Das ist wahrscheinlich.«
»Hören Sie, wollen Sie eine Million?«
»Nein.«
»Zwei Millionen?«
»Nein.«
»Drei Millionen? . . . vier? . . . Hören Sie, vier? ich gebe sie Ihnen unter der Bedingung, daß Sie mich gehen lassen.«
»Warum bieten Sie uns vier Millionen für das was fünf wert ist,« versetzte Vampa; »das ist Wucher, Herr Banquier, oder ich verstehe mich nicht darauf.«
»Nehmen Sie Alles! nehmen Sie Alles! sage ich Ihnen, und töten Sie mich!« rief Danglars.
»Stille, stille! beruhigen Sie sich, Exzellenz, Sie peitschen Ihr Blut dergestalt unter einander, daß Sie einen Appetit bekommen, bei dem Sie eine Million täglich verzehren; Mord und Tod! seien Sie sparsamer, lieber Herr.«
»Doch wenn ich kein Geld mehr besitze, um Sie zu bezahlen, mein Herr?« rief Danglars in Verzweiflung.
»Dann werden Sie Hunger haben.«
»Ich werde Hunger haben?« fragte Danglars erbleichend.
»Das ist wahrscheinlich . . . « antwortete Vampa phlegmatisch.
»Aber Sie sagen, Sie wollen mich nicht töten?«
»Nein.«
»Und dennoch wollen Sie mich Hungers sterben lassen?«
»Das ist nicht dasselbe.«
»Wohl! Ihr Elende,« rief Danglars, »ich werde Euere schändlichen Berechnungen vereiteln; soll ich einmal sterben, so will ich lieber sogleich ein Ende machen: laßt mich leiden, martert mich, tötet mich, doch Ihr sollt meine Unterschrift nicht bekommen.«
»Wie es Ihnen beliebt, Exzellenz,« sagte Vampa.
Und er verließ die Zelle.
Danglars warf sich brüllend auf seine Bockfelle.
Wer waren diese Menschen? wer war dieser sichtbare Führer? wer war der unsichtbare Führer? welche Pläne verfolgten sie gegen ihn? und wenn die ganze Welt sich loskaufen konnte, warum vermochte er allein dies nicht?
Oh! allerdings, der Tod, ein rascher und gewaltsamer Tod war ein gutes Mittel, diese erbitterten Feinde zu hintergehen, welche eine unbegreifliche Rache gegen ihn zu verfolgen schienen.
Ja, aber sterben!
Zum ersten Male vielleicht in seiner langen Laufbahn dachte Danglars an den Tod zugleich mit dem Verlangen und der Furcht, zu sterben: doch die Stunde war für ihn gekommen, seinen Blick auf das unversöhnliche Gespenst zu heften, das im Inneren jedes Geschöpfes lebt und bei jedem Pulsschlage des Herzens zu ihm sagt: Du wirst sterben.
Danglars glich jenen wilden Tieren, welche die Jagd belebt, in Verzweiflung bringt, und denen es durch die Gewalt der Verzweiflung zuweilen gelingt, sich zu retten.
Danglars dachte an eine Flucht.
Doch die Mauern waren der Felsen selbst, und vor dem einzigen Ausgang, der aus der Zelle führte, lag ein Mensch; hinter diesem Menschen sah man mit Flinten bewaffnete Schatten hin und her gehen.
Sein Entschluß, nicht zu unterzeichnen, dauerte zwei Tage, dann verlangte er Nahrungsmittel und bot eine Million.
Man trug ihm ein vortreffliches Abendbrot auf und nahm seine Million.
Von da an war das Leben des unglücklichen Gefangenen eine beständige Ausschweifung. Er hatte so viel gelitten, daß er sich keinen weiteren Leiden mehr aussetzen wollte und sich allen Forderungen unterzog. Nach Verlauf von acht Tagen machte er eines Nachmittags, als er wie in den schönen Tagen seines Glückes gespeist hatte, seine Rechnung und bemerkte, daß er so viele Anweisungen au porteur abgegeben, daß ihm nur noch fünfzig tausend Franken übrig blieben.
Da ging eine seltsame Umwandlung in ihm vor; er, der fünf Millionen hingegeben hatte, suchte die fünfzig tausend Franken zu retten, die ihm blieben; er beschloß, eher ein Leben der Entbehrungen wieder aufzunehmen, als diese fünfzig tausend Franken herzugeben; der Unglückliche nährte einen Schimmer von Hoffnung, der an Wahnsinn grenzte; er, der seit so langer Zeit Gott vergessen hatte, dachte an ihn, um sich zu sagen, Gott hätte zuweilen Wunder getan; die Höhle könnte versinken; die päpstlichen Carabiniere könnten diesen verfluchten Aufenthaltsort entdecken und ihm zu Hilfe kommen: dann würden ihm noch fünfzig tausend Franken bleiben; fünfzig tausend Franken wären eine hinreichende Summe, um einen Menschen vor dem Hungertode zu schützen: er bat Gott, ihm diese fünfzig tausend Franken zu erhalten, und indem er bat, weinte er.
So vergingen drei Tage, wahrend welcher der Name Gottes beständig, wenn nicht in seinem Herzen, doch aus seinen Lippen war; in Zwischenräumen hatte er Augenblicke des Irrsinnes, in denen er, durch die Fenster, in einer armseligen Kammer einen Greis im Todeskampfe aus einem elenden Lager zu erblicken glaubte.
Dieser Greis starb auch vor Hunger.
Am vierten Tage war es kein Mensch mehr, sondern ein lebendiger Leichnam; er hatte aus dem Boden die letzten Krümchen seiner früheren Mahle zusammengerafft und sing an das Stroh zu verzehren, mit dem der Boden bedeckt war.
Dann flehte er Peppino an, wie man einen Schutzengel anfleht, ihm etwas Speise zu geben: er bot ihm tausend Franken für einen Mund voll Brot.
Peppino antwortete nicht.
Am fünften Tage schleppte er sich an den Eingang der Zelle.
»Ihr seid also kein Christ?« sagte er, sich aus seine Knie erhebend: »Ihr wollt einen Menschen töten, der Euer Bruder vor Gott ist?
»Oh! meine ehemaligen Freunde!« murmelte er.
Und er fiel mit dem Gesichte aus die Erde.
Dann fuhr er plötzlich wieder aus und rief:
»Der Führer! der Führer!«
»Hier bin ich!« sagte Vampa, sogleich erscheinend, »was wünschen Sie noch?«
»Nehmen Sie mein letztes Geld,« stammelte Danglars, ihm sein Portefeuille reichend, »nehmen Sie es und lassen Sie mich in dieser Höhle; ich verlange meine Freiheit nicht mehr, ich verlange mein Leben nicht mehr.«
»Sie leiden also sehr?« fragte Vampa.
»Oh! ja, ich leide grausam.«
»Es gibt jedoch Menschen, welche mehr gelitten haben, als Sie.«
»Ich glaube es nicht.«
»Doch! diejenigen, welche vor Hunger gestorben sind.«
Danglars dachte an den Greis, den er während der Stunden seines Irrsinnes durch die Fenster seiner armseligen Kammer auf seinem Lager ächzen sah.
Er schlug mit der Stirne aus die Erde und stieß einen Seufzer aus.
»Ja,« sagte er, »es ist wahr; es gibt Leute, welche mehr gelitten haben, als ich, aber diese waren Märtyrer.«
»Sie bereuen wenigstens?« sprach eine düstere, feierliche Stimme, welche die Haare aus dem Haupte von Danglars sich sträuben machte.
Sein geschwächter Blick suchte die Gegenstände zu unterscheiden, und er sah hinter dem Banditen einen Mann in einen Mantel gehüllt und vom Schatten eines steinernen Masters bedeckt.
»Was soll ich bereuen?« stammelte Danglars.
»Das Böse, das Sie getan haben,« sprach dieselbe Stimme.
»Oh! ja, ich bereue es, ich bereue es,« rief Danglars.
Und er schlug mit seiner abgemagerten Faust an seine Brust.
»Dann vergebe ich Ihnen,« sprach der Unbekannte seinen Mantel abwerfend und vorschreitend, um sich in das Licht zu stellen.
»Der Graf von Monte Christo!« rief Danglars, bleicher vor Schrecken, als er es einen Augenblick zuvor vor Hunger und Elend gewesen war.
»Sie täuschen sich; ich bin nicht der Graf von Monte Christo.«
»Und wer sind Sie denn?«
»Ich bin derjenige, welchen Sie verkauft, preisgegeben, entehrt haben; ich bin derjenige, dessen Braut Sie mit Schmach bedeckten; ich bin derjenige, auf welchen Sie traten, auf dem Sie fortschritten, um sich zum Glück aufzuschwingen: ich bin derjenige, dessen Vater Sie vor Hunger sterben ließen, den Sie verurteilt hatten, ebenfalls vor Hunger zu sterben, und der Ihnen dennoch vergibt, weil er selbst der Vergebung bedarf; ich bin Edmond Dantes.«
Danglars stieß einen Schrei aus und stürzte mit dem ganzen Leibe aus die Erde nieder.
»Stehen Sie auf,« sprach der Graf, »Ihr Leben bleibt unverletzt; ein solches Glück ist Ihren zwei Genossen nicht widerfahren: der eine ist wahnsinnig, der andere ist tot. Behalten Sie die fünfzig tausend Franken, die Sie noch haben, ich mache sie Ihnen zum Geschenk. Die fünf Millionen, die Sie den Hospitälern gestohlen, sind diesen bereits von einer unbekannten Hand wiedererstattet worden.
»Und nun essen Sie und trinken Sie; für beute Abend mache ich Sie zu meinem Gaste.
»Vampa, wenn dieser Mensch sich beruhigt bat, lassen Sie ihn frei.«
Danglars blieb aus der Erde liegen, bis sich der Graf entfernte; als er das Haupt erhob, sah er nur noch einen im Gange verschwindenden Schalten, vor dem sich die Räuber verbeugten.
Danglars wurde dem Befehle des Grafen gemäß von Vampa bedient, der ihm den besten Wein und die besten Früchte Italiens bringen ließ: als er seinen Hunger gestillt hatte, ließ ihn der Anführer der Banditen in eine Postchaise steigen, begleitete ihn eine Strecke weit und lehnte ihn dann unsern von der Straße an einen Baum,
Hier blieb er bis zum Anbruch des Tages, ohne zu wissen, wo er war.
Beim Morgenlichte bemerkte er, daß er sich in der Nähe eines Baches befand; er hatte Durst und schleppte sich bis zu diesem Bache.
Als er sich neigte, um daraus zu trinken, sah er, daß seine Haare weiß geworden waren.