Kitabı oku: «Der Graf von Moret», sayfa 70
XV.
Der Sensenmann
Mehr als je befand sich der König nach der Affaire Cinq-Mars unter der drückenden Vormundschaft des Cardinals, der es seinem Monarchen nicht verzeihen konnte, daß er um die gegen sein Leben geschmiedeten Pläne gewußt und nicht das Mindeste gethan habe, um selbe zu vereiteln, bis das Unglück bei Hennecourt neuerlich die Unentbehrlichkeit Richelieu's bewies.
Ludwig XIII. mußte sich abermals gestehen, daß er zum Herrscher unfähig und die Thyrannei, welche der Cardinal auf ihn ausübte, am Ende eine bittere Nothwendigkeit sei für ihn und Frankreich.
Von da an ergab sich der König auch mit Resignation in sein Geschick und ließ Richelieu sogar über seine eigene Person und nächste Umgebung schalten und walten, wie er wollte.
Der Cardinal entfernte nun aus des Monarchen Umgebung alle Personen, welche ihm irgendwie auch nur bedenklich schienen. Richelieus Stellung war nunmehr in der That unerschütterlich geworden, und jetzt erst hätte er die Früchte seines viel bewegten Lebens und Wirkens ernten, für Frankreich noch Großes leisten können.
Aber gerade im Culminationspuncte seiner Macht befand die Vorsehung, derselben ein Ziel zu stecken.
Der Sensenmann pochte an das Palais des Cardinals und trat an sein Lager, das er, von großen Schmerzen gefoltert, seit seiner Rückkehr nach Paris nur noch zeitweise auf einige Stunden zu verlassen im Stande war.
Bevor jedoch der Sensenmann die rothe Eminenz heimsuchte, hatte er auch der »grauen Eminenz« im Kloster der »Brüder vom Calvarienberge« seinen Besuch abgestattet.
Bei der Nachricht von der Agonie des Pater Joseph befiel Richelieu eine ihm selbst unerklärliche Sehnsucht, seinen ehemaligen rechten Arm nochmals zu sehen.
Er benützte einen Augenblick der Besserung, ließ eine Sänfte bringen und sich nach dem Kloster der »Brüder vom Calvarienberge« tragen. In einem Rollsessel mußte er in die Zelle des Sterbenden geschoben werden.
Beim Anblicke Richelieus gewann Pater Joseph einen Augenblick das Bewußtsein wieder und streckte wie zum Gruße seine Rechte dem Kommenden entgegen. Seine Züge waren weit weniger hart als sonst, und sein zuweist nach der Zimmerdecke gerichtetes Auge schien bereits in die unendlichen Tiefen des Jenseits zu tauchen.
Der Cardinal drückte mit Wärme die Hand seines ehemaligen Freundes; die Todesahnung hatte auch ihn überkommen und, für diesen Augenblick wenigstens, jeden Groll in seinem Herzen ausgelöscht.
Pater Joseph zog ein vielfach zerknittertes Papier, das er auf der Brust verborgen hielt, reichte es dem Cardinal und frug mit schwächer Stimme: »Habt Ihr dies wirklich geschrieben?«
Richelieu las und staunte. Es war dies jene unheilvolle Grabschrift, welche er in einem Ergusse seiner satyrischen Laune vor mehr als zwölf Jahren einstens auf ein Blatt Papier hingeworfen hatte, und welches seine Feinde so geschickt zu benützen verstanden, um Pater Joseph ihm abwendig zu machen.
Wie wir wissen, war es Richelieu's Absicht, dieses Gekritzel verbrennen zu lassen, zu welchem Behufe er es in den Papierkorb geworfen hatte, aus welchem es jedoch sein Schnellschreiber Cheret wieder hervorsuchte und an die Königin-Mutter verkaufte.
Der Cardinal schwur, daß es ihm ein Räthsel sei, wie es komme, daß dieses unglückselige Papier noch existiere. Sein scharfer Geist hatte es bald weg, daß dabei Verrath im Spiele sein müsse, und von seinem Riesengedächtnisse geleitet, lenkte sich sein Verdacht alsbald auf Cheret.
Pater Joseph, der nicht mehr zu sprechen vermochte, gab durch Blicke und Zeichen zu erkennen, daß er sich durch die Erklärungen des Cardinals ebenso beruhigt als versöhnt fühle, und daß er nun freudig dem nahen Tode entgegensehe.
Dieser ließ auch nicht lange auf sich warten. Kaum hatte der Cardinal die Zelle des Mönches verlassen, als sich dessen Augen für immer schlossen.
Als Richelieu nach Hause kam, ließ er sogleich Cheret holen. Er hatte zwar keine Beweise wider ihn, aber war fest überzeugt, daß nur er und kein Anderer der Verräther sein könne.
»Was besaßet Ihr, als Ihr in meinen Dienst tratet? frug der Cardinal kurz.
»Nichts, Eminenz!«
»Was besitzt Ihr jetzt?«
Cheret zählte sein Vermögen auf und der Cardinal fiel ein:
»Ihr vergeßt fünfzigtausend Livres.«
»Ich habe dieses Geld noch nicht behoben.«
»Ihr werdet es aber noch heute von Charpentier erhalten, zählt es also nur mit.«
Cheret rechnete es mit und fand, daß er sich seit fünfzehn Jahren bei dem Cardinal ein Vermögen von 120.000 Thalern gesammelt hatte.
»Ihr seid ein schlechter Kerl!« rief nun Richelieu und zeigte ihm das bewußte Papier mit der ominösen Grabschrift, »ein Schuft seid Ihr; laßt Euch nicht wieder vor mir sehen.«
Cheret wurde todtenblaß und zitterte. Er sah im ersten Augenblicke die Bastille vor sich und mochte kaum seinen Ohren trauen, als der Cardinal mit ihm so glimpflich verfuhr. Tief beschämt schlich er sich davon.
Als der falsche Diener sich entfernt hatte, zog Richelieu ein dickleibiges Manuskript aus einer der Laden seines Schreibtisches und murmelte:
»Es ist höchste Zeit, daß ich die letzte Hand daranlege.«
Dieses Manuskript war sein Testament welches in zwei Haupttheile zerfiel, nämlich in einen rein politischen, Frankreich und seine Zukunft betreffenden, und einen auf seine Hinterlassenschaft und seine sonstigen letztwilligen Anordnungen Bezug nehmenden Theil. Er fühlte, daß es mit ihm zu Ende ging.
Als Universalerbin setzte er seine Nichte Frau von Combalet ein.
Gegen Ende November 1642 verschlimmerte sich gar gewaltig sein Leiden. Unter den größten Schmerzen dachte er an er an ein tragikomisches Stück von Desmarets: »Europa« betitelt, das mit großer Pracht in die Scene gesetzt wurde; er bedauerte lebhaft, der Ausführung nicht beiwohnen zu können.
Nach damaliger Sitte zapfte man ihm um so mehr Blut ab, je schlechter er wurde.
Der König besuchte ihn. Zu diesem sagte Richelieu:
»Sire, ich muß sterben und von Ew. Majestät Abschied nehmen; ich sterbe aber in der Ueberzeugung, Euch nach Kräften gedient und Frankreich nicht nur mächtig, sondern auch blühend gemacht zu haben. Ich habe nur eine Bitte an Euch zu richten, nämlich, Euch meiner Verwandten und besonders der armen Marie sich anzunehmen. – Was die Staatsangelegenheiten anbelangt, so sind hiervon die Herren des Royers, Chavigny und der Cardinal Mazarin genau unterrichtet. Wenn Ihr einen guten Rath befolgen wollt, so übergeht Mazarin meinen Posten.«
»Eure Empfehlungen werden mir heilig sein,« antwortete der König, »aber ich hoffe von denselben noch nicht Gebrauch machen zu müssen.«
Man brachte eben eine Tasse Bouillon. Der König nahm sie dem Diener ab und reichte sie eigenhändig dem Cardinal.
Dann ging er, und kaum konnte er seine Freude verbergen, als er sah und auch versichern hörte, daß sein Tyrann nicht mehr lange leben werde. Ludwig XIII., der doch fast nie lachte, lachte im Vorzimmer bei seinem Fortgehen so laut, daß es der Sterbende hörte. – Fürstendank. —
Richelieu verzog über diese Brutalität keine Miene. Er rief blos die Aerzte zu sich und sprach:
»Ich bin vorbereitet zum Tode; sagt mir nur wie lange ich noch zu leben habe.«
Die Aerzte sahen einander an und keiner wagte zu sprechen.
Da winkte er Chicot zu sich und bat ihn, ungescheut die Wahrheit zu sagen.
Chicot ließ sich seine Zunge zeigen, befühlte den Puls und antwortete dann ernst:
»Eminenz, nach zweiundzwanzig Stunden seid Ihr todt oder genesen.«
Richelieu dankte Chicot und winkte dann, daß er allein zu sein wünsche.
In der Nacht ließ er sich das Viaticum reichen. Um drei Uhr Morgens empfing er die letzte Oelung. Er hatte allen Stolz abgelegt, der doch in seinem ganzen Leben alle seine Handlungen kennzeichnete.
»Sprecht zu mir,« sagte er zu dem Geistlichen, »wir zu einem großen Sünder.«
Er betete das Vaterunser und den Glauben andächtig, mit dem Crucifixe zwischen den abgemagerten Händen;« aber so schwach war seine Stimme geworden, daß man jeden Augenblick sein Verscheiden erwartete.
Am Morgen erklärten die Aerzte, daß bei dem Kranken ihre Kunst zu Ende sei. Gegen Mittag erschien ein Charlatan, Namens Lefevre, welcher bat, man möge ihn versuchen lassen den Sterbenden zu retten. Man ließ ihn eintreten. Lefevre gab dem Cardinal eine Pille. – Eine Viertelstunde darauf trat eine merkwürdige Besserung ein.
Nachmittags vier Uhr erschien der König, um die Leiche des Cardinals zu sehen, hörte aber mit Staunen von der Besserung. Er blieb eine Stunde am Bette und ging dann in sehr mürrischer Laune fort.
Die Nacht vom 3. auf den 4. September verging eher gut als schlecht und am anderen Morgen glaubte man allgemein, er sei gerettet. Um acht Uhr nahm er Arznei, welche wieder gut wirkte. Er selbst glaubte nicht an die Besserung, und als die Königin sich nach seinem Befinden erkundigen ließ, antwortete er:
»Es geht schlecht, Wenn ich Ihre Majestät beleidigt haben sollte, bitte ich demüthig, mir zu verzeihen.«
Bald darauf sagte er zu seiner Nichte:
»Ich fühle, daß ich sterbe; gehe, gehe!«
Frau von Combalet wollte bleiben, aber Richelieu sah sie so bittend an, daß sie ging. Kaum hatte die Thür sich hinter ihr geschlossen, so ließ er den Kopf lauf die Kissen sinken und starb.
Er war achtundfünfzig Jahre alt geworden.
Als man dem Könige die Nachricht von dem erfolgten Ableben des Cardinals überbrachte, sagte er blos die Worte:
»Eine große Politik ist todt.« —
Dann machte er auf den Tod Richelieus ein Liedchen, welches anfing::
»Er ist fort, er hat gepackt.«
Diese kurze Leichenrede ist in der That die passendste für den außerordentlichen Staatsmann, der Frankreich als eine verkommene, überall mißachtete, im Innern total zerrüttete Macht kaum zweiten Ranges übernommen und binnen blos achtzehn Jahren es zur ersten Großmacht von Europa poussirt, im Inneren geordnet, Künste und Wissenschaften unterstützt Handel und Gewerbe belebt und gefestigt und eine achtunggebietende Marine aus nichts geschaffen hatte. Und alles dieses unter fortwährenden persönlichen Intriguen und Zänkereien, gehaßt und gefürchtet von seinem eigenen Könige und stets in der Gefahr, durch Meuchelmord oder auf dem Schaffote zu enden. Cheraktere wie Richelieu darf man nie einseitig auffassen, außerordentliche Männer wie er wollen in der Totalität ihres Wirkens und Handelns, sowie aller sich daranknüpfenden Nebenumstände beurtheilt werden.
Der Tod Richelieus erlöste den König von einem drückenden Alpe. Er berief mehrere Verbannte zurück und gab einigen politischen Gefangenen die Freiheit. Unter ersteren befand sich auch sein Leibgardecapitän Herr von Treville, welcher mit dem Exil seine Mitwissenschaft an dem Complotte des Cinq-Mars büßen gemußt. Als Herr von Treville sich dem Könige vorstellte, sagte er:
»Sire! wenn der Cardinal zur Stunde im Paradies sich befindet, so muß der Teufel ihn unterwegs verfehlt haben.«
Die Gnadenbezeigungen des Königs erstreckten sich jedoch nicht auch auf ans Gaston von Orleans, welcher es sich endlich einmal bei seinem Bruder gründlich verdorben hatte. Der König erließ vielmehr bald nach dem Tode des Cardinals, um Monsieur gleich in vorhinein jede Lust zu weiteren Intriguen zu benehmen, eine Ordonanz, worin alle bisherigen Verbrechen und Schliche Gastons haarklein aufgezählt waren und derselbe in Folge dessen der Undankbarkeit und des wiederholten Hochverrathes schuldig, eines jeden Staatsamtes für alle Zukunft für verlustig und besonders zur Führung der Regentschaft für unfähig erklärt wurde.
Mit dieser famosen Ordonnanz inaugurirte Mazarin seine Nachfolgerschaft auf dem Posten des großen Cardinals auf eine ebenso zweckmäßige als den Intentionen seines verstorbenen Meisters und Gönners ganz und gar entsprechende Weise.
Gegen Weihnachten 1642, also schon zwanzig Lage noch dem Tode Richelieus, ließ der König die Ueberreste seiner Mutter von Köln nach Paris bringen.
Inzwischen verschlimmerte sich auch sein Gesundheitszustand immer mehr.
Gegen Ende Februar 1643 erkrankte er heftig, doch schien er sich gegen Anfang des Aprils zu erholen. Er stand auf und fing wieder an Caricaturen zu malen, ahmte die Wasserkünste von St. Germain durch Federspulen nach und trommelte sogar zweimal, worin er ein großer Virtuose war.
Einige Male verlegte er sich auch wieder auf das Barbieren worin er schon in früheren Jahren durch große Uebung eine Meisterschaft erlangt hatte.
Die boshaften Pariser machten hierauf ein Spottgedicht, von welchem sich noch folgende Strophe erhalten hat:
»Ach Du mein armer Bart,
Wer hat Dich so gemacht?
Das that der große Ludwig
Der Dreizehnte genannt,
Der Alle abbarbirte.«
Bei solchen Passionen, zu welchen auch noch das Spielen gehörte, darf es nicht Wunder nehmen, daß nach seinem Tode eine Grabschrift auf ihn, welche mit den Worten schloß:
»Er hatte hundert gute Eigenschaften eines Bedienten, aber keine einzige eines Herrn.«
ungeheuren Beifall fand.
Hierzu paßt sehr schlecht das pornpöse Distichon, welches bei seiner Geburt am 27. September 1601 Stephan Bernard, Generallieutenant in dem Bezirke von Chalons, gemacht hatte.
Es lautete:
LVCe IOVIs prIMA, qVa soL sVb LanCe refVLget, nata saLVs regno est, IvstItIaeqVe CapVt.
Die Zahlenbuchstaben des Distichons geben das Jahr 1601 und enthält dasselbe überdies das Jahr, den Tag der Woche, das Zeichen des Thierkreises, den Monat und die Stunde der Geburt Ludwigs XIII.
Indessen nahm die Schwäche des Königs auffallend zu.
Am 20. April ernannte er die Königin zur Regentin.
Sonderbarer Weise hatte der schon fast fünf Jahre alte Dauphin bis zu dieser Stunde nur die Nothtaufe erhalten. Am 21. wünschte der König, daß diese Ceremonie endlich vor sieh gehe. – Als Pathe wählte er den Cardinal Mazarin und als Pathin die Prinzessin Margarethe von Montmorency. Das Kind wurde in der Capelle des alten Schlosses von St. Germain in dem kostbaren Gewande getauft, welches Papst Urban VlII. gesandt hatte.
Nach der Ceremonie brachte man das Knäblein in das Zimmer des Königs, der es auf sein Bett setzen ließ und frag:
»Wie heißest Du?«
»Ludwig XIV.« antwortete das Kind rasch.
Der König runzelte einen Augenblick die Stirn und sagte:
»Noch nicht, noch nicht; aber,« setzte er düster hinzu, »bete zu Gott, daß es bald geschehe.«
Am 22. April verschlimmerte sich sein Zustand noch mehr und er wollte das heilige Abendmahl nehmen.
Am andern Tage empfing er die letzte Oelung, und als der Geistliche sich entfernte, fiel ein Sonnenstrahl in das Zimmer, gerade dem Könige ins Gesicht.
Einer der Höflinge stellte sich dienstfertig zwischen den Kranken und den Strahl; aber Ludwig XIII. sagte:
»Nehmt mir doch nicht, was Ihr mir nicht geben könnt!«
Bis zum 9. Mai wechselte sodann sein Zustand von Tag zu Tag zwischen Verschlimmerung und scheinbarer Besserung. Im Ganzen ging es aber alle Tage schlechter.
Am 9. schlief er in sehr beunruhigender Weise, denn es wurde schwer ihn zu wecken.
Am 14. nahm er von der Königin zärtlich Abschied. Dann forderte er den ersten Arzt auf, ihm nach dem Pulse zu fühlen.
»Sire,« sagte der Arzt, »Gott wird Euch bald erlösen; ich fühle den Puls nicht mehr.«
Der König blickte empor und sagte: »Mein Gott« nimm meine Seele barmherzig auf.«
Der Bischof von Meaux las unter Assistenz mehrerer anderer Geistlichen die Gebete für den Sterbenden.
Um ein Uhr Nachmittag sprach und hörte der König nicht mehr. Die Lebensgeister schienen sich nacheinander zu entfernen.
Alle Theile des Körpers starben nämlich nacheinander ab; zuerst die Füße, zuletzt die Arme.
Er lebte nur noch durch eine Art Röcheln, – aber auch dieses setzte von Zeit zu Zeit aus.
Endlich um drei Viertel auf drei Uhr Nachmittags hauchte er seine Seele aus, nachdem er genau dreiunddreißig Jahre regiert hatte, ohne auch nur eine Stunde lang geachtet oder geliebt zu sein.
Ein sonderbarer Zufall bleibt es immerhin, daß er an einem 14. Mai starb, nämlich dem Tage, an welchem Heinrich IV. vor dreiunddreißig Jahren von Ravaillac's Mörderhand den Tod gefunden hatte.
Epilog
Ein fürchterlicher Sturm aus Nordost wüthete am Christi Himmelfahrtstage des Jahres 1643 im ganzen mittelländischen Meere. Glücklich jedes Fahrzeug, welches entweder die hohe See zu halten oder bei Zeiten einen Hafen oder wenigstens eine Bucht zu erreichen vermochte.
Besonders schienen Aeolus und Neptunus es auf die balearischen Inseln und die Ostküste Spaniens abgesehen zu haben. Wehe dem Seefahrer, welcher heute der Küste zu nahe kam, denn an ihr toste und brauste die Brandung ärger als zur Zeit der Aequinoctialstürme. Unfehlbar mußte sein Schiff, von Wind und Strömung ergriffen, elendiglich zerschellen an den spitzigen Klippen, oder in dem Sande festsitzen, alsbald zum Wrack zertrümmert von den schweren, darüber hinwegtanzenden Sturzwogen.
Das Cap di Peramira der Insel Majorka gilt bei einem Nordoststurme den Schiffern, welche von Barcellona oder Marsseille her kommen, für den gefährlichsten Punkt, und schon mancher Segler ging hier mit Mann und Maus zu Grunde, wenn der Steuermann nicht die Mitte des breiten Canales zwischen den Inseln Majorka und Minorka inne zu halten verstand oder vermochte.
Eine zahlreiche Menschenmenge hatte sich am gedachten Tage in bereits vorgerückter Nachmittagsstunde an der äußersten Spitze des Cap di Peramira eingefunden und betrachtete mit gespanntester Aufmerksamkeit den verzweiflungsvollen Kampf eines Dreimasters, der die französische Flagge aufgehißt hatte, und durch die Strömung unaufhaltsam der Küste näher getrieben wurde. Vermochte das Schiff glücklich die Bucht zu erreichen, welche sich unweit des Standpunktes der neugierigen Zuschauer befand, so war es gerettet, verfehlte es aber die noch dazu sehr schmale Einfahrt, oder wußte der Steuermann nicht, daß er sich dabei etwas leewärts halten sollte, um einem gefährlichen Riffe auszuweichen, so mußte der prächtige Dreimaster jetzt, wo er sich bereits anschickte, die Anker auszuwerfen, unfehlbar scheitern.
Niemand von den Leuten am Ufer vermochte zu rathen und zu helfen, obwohl darunter viele tüchtige, ebenso erfahrene als muthige Theerjacken sich befanden. Diesem Sturme und dieser Strömung diametral entgegen war es unmöglich, dem Franzosen einen Lootsen zu senden.
Zum Glücke bemerkte und verstand man am Bord des Dreimasters, der glücklich den Eingang der Bucht gewann, die Zeichen, welche vom Lande aus gemacht wurden, um vor dem Riffe zu warnen.
Ein hundertstimmiges Hurrah erscholl am Lande und am Bord, als die gefährliche Stelle glücklich passiert war und das Schiff im ruhigeren Wasser lag.
Mannschaft und Passagiere durften in der That von Glück sagen, denn das Schiff war auf seiner Leeseite nur auf Klafterbreite an den gefährlichen, tückischen, von den Wellen nur einige Schuh tief bedeckten Felsenzacken vorbeigeschossen.
Der Dreimaster, welcher von Marseille kam und die Insel Madeira zum Ziele hatte, war bereits fünf Tage unterwegs.
Außer einer werthvollen Ladung an Manufacturen hatte er auch ein Dutzend Passagiere am Bord.
Unter diesen befand sich eine schwer brustkranke Dame, welche durch die schlimme Fahrt außerordentlich gelitten hatte und auf Anbringen des sie begleitenden Arztes schleunigst an's Land gebracht wurde; eine schöne Gelegenheit, welche sich auch alle übrigen Mitreisenden zu Nutzen machten, da an ein Wiederauslaufen des Schiffes vor zwei bis drei Tagen wohl nicht zu denken war.
Als aber die Kranke am Lande sich befand, gerieth ihre Begleitung in große Verlegenheit wegen einer passenden Unterkunft, denn die Dame war von hohem Range, und man konnte wohl nicht daran denken, sie in den schmutzigen, ärmlichen, übelriechenden und von Rauch erfüllten Fischerhütten am Strande unterzubringen. Ein vornehmer Cavalier, welcher der Kranken sehr nahe zu stehen schien, dachte ebenso verdrießlich als besorgt darüber nach, was nun anzufangen, als einer seiner Diener, der sehr gut spanisch sprach und bereits Erkundigungen eingezogen hatte, mit der höchst angenehmen Botschaft vortrat, daß ganz in der Nähe, im Thale hinter jenem Hügel, kaum ein halbes Stündchen entfernt, die prachtvolle Besitzung der sehr reichen Gräfin de Vasquez liege. Sowohl der Landessitte, als den obwaltenden außerordentlichen Umständen gemäß war es ganz selbstverständlich, daß die Gräfin in die verlangte Gastfreundschaft auf das bereitwilligste gewähren werde. Die Kranke, welche dicht verschleiert halbohnmächtig in einem großen Lehnstuhle ruhte, wurde von vier Dienern sanft aufgehoben und achtsam den ziemlich steilen Hügel hinangetragen. Als man dessen Höhe erreicht hatte, bot sich dem Auge ein entzückender Anblick auf das Thal unterhalb dar.
Selbst auf die arme Kranke machte das wundervolle Panorama einen angenehmen Eindruck. Sie winkte ihren Begleiter, den Cavalier, zu sich und bat ihn, sie einen Augenblick dieses herrliche Bild der Natur genießen zu lassen, bevor man in das Thal hinabstiege, um jene prachtvolle Villa, inmitten eines bezaubernd schönen, von einem Bächlein schlangenförmig durchrieselten Parkes, zu erreichen.
»Wie schön müßte es sein, hier zu sterben,« hauchte die Kranke, »warum wollen wir nach Madeira? Laßt mich auf dieser Zauberinsel, die mich so anheimelt und wo ich, ich weiß es selbst nicht warum, plötzlich mein Herz so heftig und freudig pochen fühle, wie seit Jahren nicht.«
»Isabella,« rief der Cavalier wehmüthig und eine Thräne perlte in seinen Augen, »sprecht mir nicht vom Tode, von Eurem Tode, der auch der meinige wäre.«
»Zürnt mir nicht, mein guter Pontis,« entgegnete mit sanfter Engelsstimme die Kranke, »aber ich kann nicht anders, als an ihn denken und den lieben Gott bitten, daß er mich recht bald mit ihm dort im Himmel vereinigen möge.«
Der Cavalier, dessen schöne, edle Züge den namenlosen, tiefen Kummer einer großen Seele verriethen, wandte stumm sein Haupt ab, und ein Seufzer der bittersten Resignation entwand sich seiner Brust.
Als die Kranke sich etwa ein Viertelstündchen an den Herrlichkeiten« die sich den Blicken nach allen Richtungen darboten, gelabt hatte und die Sonne bereits im Scheiden begriffen war, gab der Cavalier den Dienern ein Zeichen, worauf dieselben den Tragsessel wieder ergriffen und thalabwärts, auf die Villa zu, den Weg einschlugen.
Das Auge der Kranken blieb starr an der Sonnenscheibe haften, welche bereits mehr als zur Hälfte im Meere untergetaucht war.
»Wo werde ich sein, wenn Du wieder aufgehst?« murmelte sie ahnungsvoll vor sich und fröstelnd hüllte sie sich in den warmen Shawl, welchen ihr ihr aufmerksamer Begleiter inzwischen um die Schultern gelegt hatte.
Lange bevor man noch den Eingang der Villa erreichte, « eilte den Ankommenden bereits der voraus gesandte Diener mit der Botschaft entgegen, daß die Frau Gräfin es sich zum besonderen Vergnügen anrechnen werde, die Fremden als Gäste zu empfangen.
Am halben Wege zwischen dem Eingange des Parkes und der Villa kam den Fremden die Herrin des Hauses bereits entgegen. In der Eile hatte sie vergessen, den Diener um den Namen seiner Herrschaft zu befragen.
Die Gräfin war eine schöne stolze Figur, etwa dreißig Jahre alt, so viel ihr dichter Schleier, welchen sie der Mosquitos wegen Abends zu tragen pflegte, errathen ließ.
Diese Mosquitos werden nämlich in der heißen Jahreszeit in den künstlich bewässerten Theilen der Insel Majorka, mit Untergang der Sonne« eine solche Plage, daß selbst die Männer eine Art Maske von Tüll aufzusetzen pflegen.
Der Gräfin zur Seite schritt ein hochgewachsener, beinahe etwas beleibter junger Mann einher, der aber statt sie am Arme zu führen, in ihren Arm eingehängt war.
In der Haltung und dem Gange dieses Mannes sprach sich eine gewisse Unbeholfenheit und Willenlosigkeit aus und er drückte sich, als er die Fremden gewahrte, so ängstlich und scheu an seine Begleiterin, als ob er ein kleines, furchtsames Kind wäre. Von seinen Gesichtszügen war, zumal bei der eintretenden Abenddämmerung, nichts zu erkennen, da er eine große Tüllhaube trug.
Nachdem die ersten kurzen Begrüßungen zwischen dem Cavalier und der Gräfin vorüber waren, die Kranke hüstelte stark und war außer Stande zu sprechen, begab man sich vorerst in einen großen ebenerdigen Gartensalon, welcher soeben von den Dienern beleuchtet wurde.
Schon während des Weges hatte die Gräfin dem fremden Cavalier in's Ohr geflüstert, daß ihr Begleiter ein geisteskranker Verwandter sei, er also dessen linkisches und scheues Benehmen entschuldigen möge.
Im Salon legten nun sowohl die Gräfin als ihr Verwandter die lästigen Masken ab. Der fremde Cavalier that desgleichen mit seinem Hute.
Voll Erstaunen blieb jetzt eine Weile sein Blick auf der Greisin und deren ihr zur Seite stehendem Verwandten haften.
»Unmöglich!« rief er unwillkürlich aus.
Auch die Gräfin fuhr zusammen, als sie den Fremden näher betrachtete.
Bevor aber noch die Greisin oder der Cavalier ein Wort zu sprechen vermochten, erscholl aus dem Lehnstuhle der Kranken ein herzzerreißender Schrei und die Kranke, die sonst kaum im Stande war sich zu regen, schnellte empor und wankte auf den Irren zu.
Dieser horchte auf und trat der Fremden einen Schritt näher.
»Anton! Anton! « rief die Kranke und riß ihren Schleier vom Gesichte.
Der Wahnsinnige stieß einen gellenden Schrei aus, griff nach seiner Stirne mit beiden Händen, eine Erinnerung, eine furchtbare Erinnerung durchzuckte sein Gehirn. Endlich bebte er, wie von einem kräftigen elektrischen Schlage getroffen, am ganzen Leibe zusammen und, auf die Kranke zustürzend, welche in seine Arme fiel, rief er:
»Isabella! Isabella!«
Die Finsterniß seiner geistigen Nacht war gewichen vor dem einzigen Strahle der Erinnerung, die die Erscheinung seiner Braut in ihm wachrief.
»Isabella! Isabella!« schluchzte der Graf von Moret, für welchen von dieser Secunde an der Name eines Wahnsinnigen nicht mehr passend ist, »Isabella« Du lebst, Du liegst in meinen Armen?«
Isabella drückte einen langen, langen Kuß auf Moret's Lippen, dann ließ sie ihr Haupt auf seine Schulter sinken; sie war – todt.
Mit starrem Entsetzen sahen die Gräfin Urbano, welche
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geben, ging einige Jahre später für die Mitwelt das große Geheimniß zu Grabe, welches mit der Geburt Ludwigs XIV. in so innigem Zusammenhange stand.
Erst der Nachwelt war es vorbehalten, aus dem durch die Revolution der Zwanzigerjahre in alle Winde zerstreuten Archive eines spanischen Klosters handschriftliche Aufzeichnungen des unglücklichen Grafen von Moret durch Zufall zu erhalten; Aufzeichnungen, welchen wir die Anhaltspuncte zur Erzählung von einigen bisher unbekannten, im vorliegenden Werke von uns mitgetheilten Thatsachen verdanken.