Kitabı oku: «Der Wolfsführer», sayfa 9
X
Der Amtmann Magloire
Mit solchen waghalsigen Absichten verbrachte Thibault, ohne noch einen festen Entschluß gefaßt zu haben, die letzten Tage des Jahrs, und damit begann er das neue Jahr.
Nur hatte er, ohne Zweifel in Berücksichtigung der kostspieligen Ausgaben, welche der glückselige Neujahrstag für Jedermann mit sich bringt, beim Herannahen dieses furchtbaren Jahreswechsels von seinen Lieferanten die doppelte Ration Wildpret verlangt und natürlich auch beim Wirth zur goldenen Kugel die doppelte Summe dafür eingestrichen.
So kam es denn, daß Thibault, abgesehen von einer rothen Haarlocke von ziemlich beunruhigendem Umfang, materiell in besseren Umständen als je das neue Jahr antrat.
Wohlgemerkt, wir sagen materiell und nicht spirituell, denn wenn auch der Leib in gutem Stand zu sein schien, so war doch die Seele in der schrecklichsten Gefahr.
Aber der Leib war wohl bedeckt, und in den Taschen seines Camisols klapperte lustig ein Dutzend Thaler.
In diesem Aufzug und mit dieser Begleitung von Silbermusik glich Thibault nicht mehr einem Holzschuhmacher, sondern einem wohlhabenden Pächter oder einem ehrenwerthen Bürgersmann, der vielleicht ein Gewerbe treibt, aber blos zu seinem Vergnügen.
Mit einem solchen Schein, den er vor sich her trug, hatte sich Thibault zu einem der ländlichen Feste begeben, die in der Provinz zu Hause sind.
Man fischte in den prächtigen Teichen von Berval und von Poudron.
Das Fischen in einem Teich ist eine wichtige Sache für den Eigenthümer oder den Pächter, und überdies ein großes Vergnügen für die Zuschauer.
Die Fischfänge werden daher auch einen Monat vorher angeschlagen, und zu einer schönen Fischerei kommt man auf zehn Stunden in der Runde.
Und diejenigen von unsern Lesern, welche die Sitten und Gebräuche der Provinz nicht kennen, mögen jetzt nicht glauben, daß es sich um einen Fischfang mittelst der Angelleine, mit einem rothen Wurm oder einem parfümirten Korn als Köder, oder um einen Fischfang mit der Grundleine, mit dem Wurfgarn oder Schlauchgarn handle; nein, es handelt sich darum, daß von Zeit zu Zeit ein Teich in einem Umfang von drei Viertelstunden oder einer ganzen Stunde geleert werden soll, und zwar vom dicksten Hecht an bis zum kleinsten Weißfischchen.
Das Ding geht folgendermaßen zu:
Höchst wahrscheinlich befindet sich unter unsern Lesern nicht ein einziger, der nicht einen Teich gesehen hätte.
Jeder Teich hat zwei Oeffnungen:
Diejenige, durch welche das Wasser hereinkommt, und diejenige, durch welche es abfließt.
Diejenige durch welche das Wasser hereinkommt, hat keinen Namen.
Diejenige, durch welche es abfließt, heißt der Zapfen. Der Fischfang findet am Zapfen statt.
Das Wasser ergießt sich vom Zapfen aus in einen großen Behälter, von wo es durch die Maschen eines starken Netzes rinnt.
Das Wasser fließt ab, allein der Fisch bleibt zurück.
Jedermann weiß, wie zeitraubend es ist, einen Teich abzulassen.
Man lädt daher die Neugierigen und die Liebhaber erst auf den zweiten, dritten oder vierten Tag ein, je nach der Wassermasse, welche der Teich von sich geben muß, ehe es zur Entwicklung kommt.
Die Entwicklung ist das Erscheinen des Fisches am Zapfen.
Zu einem Fischfang in einem Teich erscheint, je nach der Größe und Bedeutung des Triebs, verhältnißmäßig eine ebenso bedeutende und wiederum verhältnißmäßig ebenso elegante Menschenmenge, wie bei den Wettrennen auf dem Marsfeld, in der Marche oder in Chantilly, wenn die berühmten Pferde und Jokeis sich produciren.
Nur wohnt man dem Schauspiel nicht auf Tribünen oder zu Wagen bei.
Nein, Jeder kommt wie er will oder wie er kann: im Cabriolet, im Charabanc, im Phaëton, im Wägelchen, zu Pferd, zu Esel; sodann stellt sich Jeder, abgesehen von dem Respect, den man in den uncivilisirten Ländern immer vor der Behörde hat, je nach dem Augenblick seiner Ankunft oder nach der Kraft seiner Ellbogen und der mehr oder minder energischen Bewegung seiner Hüften.
Nur ist ein solides Gitterwerk angebracht, damit die Zuschauer nicht in den Behälter fallen.
Man ersieht es an der Farbe und dem Geruch des Wassers, wenn der Fisch herankommt.
Jedes Schauspiel hat seine Unannehmlichkeit.
Je schöner und stärker besetzt eine Opernvorstellung ist, um so mehr fixe Luft athmet man ein.
Je näher bei einem Teichfischen der interessante Augenblick heranrückt, um so mehr Stickstoff athmet man ein.
Anfangs, im Augenblick, wo man den Zapfen öffnet, kommt das Wasser schön, rein und mit einer leichten grünen Färbung, wie Flußwasser.
Die obere Schichte zeigt sich, von ihrem Gewicht hingerissen, zuerst.
Sodann verliert das Wasser allmälig von seiner Durchsichtigkeit und färbt sich grau.
Hierauf leert sich die zweite Schicht, und von Zeit zu Zeit kommt inmitten dieser zweiten Schichte, wenn die Färbung nach und nach dunkler wird, ein Silberblitz zum Vorschein.
Es ist dies ein allzu kleiner Fisch, welcher der Strömung nicht widerstehen konnte und als Plänkler erscheint.
Man nimmt sich nicht einmal die Mühe ihn aufzuheben, sondern man läßt ihn ganz ruhig, im Drang nach den kleinen Wasserpfützen auf dem Grund des Behälters, jene Art von Luftsprüngen machen, welche die Straßenkünstler so pittoresk den Karpfensprung nennen.
Nun kommt das schwarze Wasser.
Dies ist der vierte Act, d. h. die Lösung des Knotens.
So widersteht der Fisch, je nach seinen Kräften, instinctmäßig dieser ungewohnten Strömung, die ihn fortreißt; Nichts hat ihm gesagt, daß die Strömung eine Gefahr ist, aber er erräth es.
Jeder schwimmt daher so gut als möglich wieder den Strom aufwärts.
Der Hecht schwimmt neben dein Karpfen, den er gestern verfolgte und verhinderte, allzu fett zu werden; ohne Streit zu suchen, zieht der Barsch neben der Schleie dahin und denkt nicht einmal daran, in das Fleisch zu beißen, das ein so leckerer Bissen für ihn ist.
So finden die Araber zuweilen in einer und derselben Grube, welche sie dem Wild gegraben, unter einander Gazellen und Schakale, Antilopen und Hyänen, und die Hyänen und die Schakale sind ebenso fromm und zitternd geworden, wie die Gazellen und die Antilopen.
Aber endlich erschöpfen sich die Kräfte der Kämpfer.
Die Plänklen von denen wir so eben gesprochen, werden zahlreicher der Umfang der Fische beginnt respectabler zu werden, und die Aufleser beweisen ihnen, wie sehr man sie schätzt.
Diese Aufleser sind Männer in einfachen Zwilchhosen und Baumwollhemden.
Die Hosen sind bis über die Schenkel hinauf-, die Hemdärmel bis an die Schultern zurückgeschlagen.
Sie legen die Fische haufenweise in Körbe.
Solche, die lebendig verkauft oder zur Wiederbevölkerung des Teiches aufbewahrt werden sollen, versetzt man in besondere Behälter.
Diejenigen, die zum Tod verurtheilt sind, werden ganz einfach auf die Wiese geworfen.
Man verkauft sie noch am selben Tag.
In je größeren Massen der Fisch erscheint, um so lauter wird der Jubel der Zuschauer.
Denn diese Zuschauer hier sind nicht wie die Zuschauer in unsern Theatern.
Sie kommen nicht, um ihre Empfindungen zurückzudrängen und sich durch affectirte Gleichgültigkeit den Anschein von gutem Geschmack zu geben.
Nein, sie kommen, um sich zu amüsiren, und bei jedem schönen Barsch, bei jedem schönen Karpfen, bei jedem schönen Hecht applaudiren sie wacker und mit unverstellter Freude.
Wie bei einer wohlgeordneten Heerschau ein Corps nach dem andern defilirt und, wenn man so sagen darf, nach seinem Gewicht auszieht, leichte Plänkler voran, respectable Dragoner in der Mitte, gewichtige Kürassiere und schwere Artillerie am Ende, so defiliren die verschiedenen Fischarten.
Die kleinsten, d.h. die schwächsten, zuerst.
Die größten, d.h. die stärksten, zuletzt.
Endlich in einem gegebenen Augenblick scheint das Wasser zu versiegen.
Der Weg wird buchstäblich versperrt durch die Reserve, d.h. durch alle großen Bewohner des Teiches.
Die Aufleser haben mit wahren Ungeheuern zu kämpfen.
Dies ist die Entwicklung.
Dies ist die Stunde des Jubelgeschreis, der Augenblick des Bravorufens.
Zuletzt nach beendetem Schauspiel steht man nach den Spielern.
Diese sinken vor Mattigkeit beinahe ohnmächtig ins Gras.
Ein Theil gewinnt seine Kräfte wieder im Wasser.
Man sucht die Aale, man fragt nach den Aalen, und man zeigt Euch drei oder vier Aelchen, daumendick und von halber Armlänge.
Den Aalen ist es nämlich, vermöge ihrer Leibesbeschaffenheit, wenigstens für den Augenblick gelungen, sich dem allgemeinen Gemetzel zu entziehen.
Die Aale haben ihre Köpfe in den Schlamm gesteckt und sind verschwunden.
Deshalb sehet ihr Männer mit Flinten an den Ufern des Teichs auf und ab gehen, und deßhalb höret ihr von Zeit zu Zeit einen Schuß.
Fragt ihr: »Was bedeutet dieser Schuß?« so antwortet man euch:
»Man will die Aale heraustreiben.«
Warum kommen nun die Aale aus dem Schlamm hervor, wenn man schießt? Warum ziehen sie in die Pfützen, die fortwährend im Teiche entstehen und bleiben? Und wenn sie unten im Schlamm sicher sind wie so viele Leute aus unserer Bekanntschaft, die Verstand genug zeigen, da zu bleiben, warum bleiben sie nicht da, statt nach dem Bach vorzudringen, der sie in seinem Lauf mitreißt und zuletzt zum Behälter, d.h. zum gemeinsamen Grabe führt?
Nichts leichter für das Collége de France, als diese Frage zu beantworten, nachdem es jetzt in directer Verbindung mit den Fischen steht.
Ich stelle also den Gelehrten die Frage. Sollte das Schießen nicht auf einem Vorurtheil beruhen, und sollte es nicht ganz einfach folgendermaßen zugehen, daß der Anfangs flüssige Schlamm, in welchen der Aal sich geflüchtet hat, allmälig gleich einem ausgepreßten Schwamme vertrocknet und dadurch nach und nach unbewohnbar wird, so daß sich der Fisch zuletzt genöthigt sieht, sein natürliches Element, das Wasser, zu suchen?
Ist das Wasser einmal gefunden, so ist er verloren.
Erst fünf oder sechs Tage nach Ablassung des Teiches geht man den Aalen zu Leibe.
Zu einer solchen Lustbarkeit war also die ganze Gesellschaft von Villers-Coterets, von Crespy, von Montgobert und den umliegenden Dorfschaften eingeladen.
Thibault stellte sich ein wie andere Leute.
Thibault arbeitete nicht mehr; er fand es weit einfacher, seine Wölfe für sich arbeiten zu lassen.
Er war aus einem Handwerker Herr vom Mittelstand geworden.
Es blieb ihm seht Nichts mehr zu thun übrig, als daß er sich zum Edelmann emporschwang.
Er hatte es auch fest im Sinn.
Thibault war nicht der Mann, der sich hinter den Andern hielt.
Er arbeitete also mit Händen und Füßen, um sich einen Platz, in der vordersten Reihe zu verschaffen.
Bei Ausführung dieses Manövers streifte er das Kleid einer großen, schönen Dame, neben die er zu kommen bemüht war.
Die Dame hielt auf ihren Putz, und ohne Zweifel war sie gewöhnt zu gebieten, folglich auch geringere Leute wegwerfend zu behandeln, denn sie drehte sich um, und als sie sah, wer sie gestreift hatte, ließ sie sich das Wort »Bauernlümmel!« entschlüpfen.
Aber die Dame war so hübsch, das allerdings grobe Wort war aus einem so schönen Munde gekommen, dieser augenblickliche Zorn contrastirte so garstig mit dem Zauber ihrer Züge, daß Thibault, statt mit einem Ehrentitel vom gleichen oder sogar von einem noch stärkeren Caliber zu antworten, ganz bescheiden zurücktrat und eine Art von Entschuldigung stammelte.
Man mag sagen was man will, unter allen Aristokratien ist und bleibt die Schönheit die erste.
Wäre die Dame alt und häßlich, wenn auch zehnmal eine Marquise gewesen, so würde Thibault sie zum wenigsten eine dumme Gans geschulten haben.
Vielleicht wurde indeß Thibault auch durch den Anblick der seltsamen Personnage zerstreut, welche die Cavaliersdienste bei der Dame versah.
Es war ein dickes Männchen von etwa sechzig Jahren, in schwarzen Kleidern von blendender Eleganz aber so klein, so klein, daß sein Kopf kaum bis, an die Ellbogen der Dame reichte, und daß diese, da sie seinen Arm nicht hätte nehmen können, ohne sich eine Qual anzuthun, sich bloß majestätisch auf seine Schulter stützte.
Man hätte sie für eine antike Cybele, gelehnt an einen modernen Poussah, halten können.
Aber welch ein allerliebster Poussah mit seinen kurzen Beinchen, seinem Wanst, der beinahe die Höschen sprengte und bis auf die Kniee herabging, seinen dicken runden Aermchen, seinen weißen Händchen, die unter den Spitzen hervorschauten, und seinem röthlichen, fleischigen Kopf, wohl gekämmt, wohl gepudert, wohl frisirt und mit einem Zöpflein versehen, das bei jeder Bewegung auf dem Frackkragen herumtänzelte!
Man konnte an jene schwarzen Käfer denken, deren Rückenschild mit ihren Beinen so wenig harmonirt, daß sie eher zu rollen als zu gehen scheinen.
Und bei all dem war sein Gesicht so jovial, seine hervorstehenden Augen strahlten eine solche Herzensgüte aus, daß man sich sympathisch zu ihm hingezogen fühlte, denn man ahnte leicht, daß das liebe Männlein allzu sehr beschäftigt war, sich selbst auf alle mögliche Arten angenehme Zeit zu verschaffen, als daß es mit dem vagen und unbestimmten Wesen, das sich Nebenmensch nennt, Streit gesucht hätte.
Auch schien das dicke Männlein ganz in Verzweiflung zu gerathen, als es hörte, wie seine Gefährtin unsern Thibault so von oben herab behandelte.
»Ei, ei, Madame Magloire! ei, ei, Frau Amtmännin! sagte er, indem er in diesen wenigen Worten seinen Nachbarn den Namen und Titel der Dame zu wissen that, »Ihr habt da ein sehr garstiges Wort zu einem armen Jungen gesagt, der diesen Zufall mehr bedauert als Ihr selbst.«
»Ach was! Herr Magloire,« antwortete die Dame, »ich soll ihm wohl noch dafür danken, daß er mir mein schönes blaues Damastkleid zerknittert und ganz verderbt hat, davon gar nicht zu reden, daß er mir auf die kleine Zehe getreten hat?«
»Bitte, verzeiht mir meine Ungeschicklichkeit, edle Dame,« versetzte Thibault. »Als Ihr Euch umdrehtet, da hat mich Euer wunderbares Gesicht geblendet wie ein Maisonnenstrahl, so daß ich nicht mehr sah, wohin ich den Fuß setzte.«
Dieses Compliment war kokett genug gedrechselt für einen Menschen, dessen gewöhnliche Gesellschaft seit drei Monaten aus einem Dutzend Wölfe bestand.
Und dennoch brachte es eine geringe Wirkung auf die schöne Dame hervor, denn sie antwortete nur mit einer höhnischen Gesichtsverziehung.
Sie hatte nämlich, trotz der Anständigkeit von Thibaults Costüm, seine Eigenschaft mit jenem merk würdigen Tact beurtheilt, welchen die Frauen aus allen Ständen in dieser Beziehung besitzen.
Der kleine dicke Herr war nachsinniger, denn er klatschte laut in seine fetten Händchen, die er vermöge der von seiner Frau angenommenen Haltung vollkommen frei hatte.
»Ah! bravo,« sagte er, »bravo! das nenne ich schön gesprochen, Herr; Ihr seid ein gescheiter Junge und scheint mir studiert zu haben, wie man mit den Frauen sprechen muß. Ich hoffe, meine Liebe, daß Ihr das Compliment ebenso gut zu schätzen wisset wie ich, und um dem Herrn zu beweisen, daß wir als gute Christen ihm durchaus keinen Groll nachtragen, ersuche ich ihn, wenn er aus der Gegend ist und ihn das nicht allzu weit von seinem Weg abführt, mit uns nach Hause zu kommen und eine gute Flasche Alten mit uns auszustechen, die uns Perrine herausholen soll.«
»Ja das sieht Euch wieder gleich, Herr Nepomuk; Euch sind alle Mittel gut, wenn es sich um’s Zechen handelt, und fehlt es an Gelegenheit, so besitzet Ihr eine eigene Kunst, irgendwo eine aufzutreiben. Ihr wißt jedoch, Herr Magloire, daß der Doctor Euch ausdrücklich verboten hat, zwischen Euern Mahlzeiten zu trinken.«
»Das ist wahr, Frau Amtmännin,« versetzte Herr Nepomuk; »aber er hat mir nicht verboten, einem Charmanten Jungen, wie dieser Herr mir zu sein scheint, eine Höflichkeit zu erweisen. Seid also nachsichtig, Susann; hinweg mit dieser griesgrämigen Miene, die Euch so schlecht läßt! Zum Teufel, Madame, wer Euch nicht kennt, der könnte meinen, wir müssen so genau auf ein Kleid sehen. Nun wohl, um diesem Herrn das Gegentheil zu beweisen, will ich Euch, falls Ihr ihn bewegen könnt, uns nach Hause zu begleiten, daheim sogleich das Geld zu dem schönen Lampaskleid geben, das Ihr Euch schon so lange wünschet.«
Dieses Versprechen wirkte zauberhaft. Es besänftigte augenblicklich den Zorn der Frau Magloire, und da der Fischfang zu Ende ging, so nahm sie mit minder ungeberdiger Miene den Arm an, welchen ihr Thibault sehr linkisch, wir können es nicht leugnen, anbot.
Thibault seinerseits war ganz entzückt über die Schönheit der Dante, und da er aus den wenigen Worten der beiden Gatten ersah, daß sie die Frau eines Beamten war, so zertheilte er stolz die Menge und schritt aufrechten Hauptes und mit so entschlossener Miene, als wollte er das goldene Vließ erobern, dahin.
Und in der That dachte er, der Bräutigam der armen Agnelette, er, der schnöd zurückgewiesene Liebhaber der schönen Müllerin, nicht bloß an all das Vergnügen, das ihm die Liebe einer Amtmännin bereiten könnte, sondern auch an den Stolz, wozu sie ihn berechtigen würde, und an die Verweile, die er von einer solang ersehnten und doch so unerwarteten Eroberung zu hoffen hätte.
Da nun Madame Magloire ihrerseits nicht bloß sehr nachdenklich, sondern auch sehr zerstreut war, so daß sie bald rechts, bald links, bald vor, bald hinter sich schaute, wie wenn sie Jemand suchte, so würde es mit der Unterhaltung unterwegs ziemlich flau ausgesehen haben, wenn nicht der vortreffliche kleine Herr, der bald neben Thibault, bald neben Susanna einhertrippelte und gleich einer vollwanstigen vom Feld heimziehenden Ente herumwatschelte, so ziemlich alle Kosten derselben getragen hätte.
Thibault in Berechnung, die Amtmännin in Betrachtungen versunken, der Amtmann trippelnd, plaudernd und mit einem seinen Batisttuch seine Stirne abwischend,so kam die Gesellschaft im Dorf Erneville an, das etwas mehr als eine halbe Stunde von den Teichen von Poudron entfernt ist.
In diesem reizenden Dörfchen, das zwischen Haramont und Bonneuil, bloß hier oder fünf Büchsenschüsse vom Schloß Vez, der Wohnung des Herrn Jean, liegt, hatte Herr Magloire seinen Amtssitz.
XI
David und Goliath
Man ging durch das ganze Dorf und machte auf der Straße von Longpré und von Haramont vor einem schönen Hause Halt.
Der kleine Herr, der galant war wie ein französischer Ritter, ging schon zwanzig Schritte von dem Hause voraus, stieg flinker, als man ihm zugetraut hätte, die fünf oder sechs Stufen der Freitreppe hinan, stellte sich auf seine Zehen und erreichte so mit seinen Fingerspitzen die Klingel.
Als er sie einmal festhielt, zog er auch mit einer Energie, welche die Rückkehr des Hausherrn ankündete.
Es war in der That nicht bloß eine Rückkehr, sondern ein Triumph.
Der Amtmann brachte einen Gast mit.
Eine Zofe in schönem Sonntagsstaat öffnete.
Der Amtmann flüsterte ihr ganz leise einige Worte zu, und Thibault, der bei all seiner Verehrung für schöne Frauen auch gute Mahlzeiten nicht verschmähte glaubte zu verstehen, daß er Perrine den Küchenzettel vorschrieb.
Dann wandte er sich um und sagte:
»Mein werther Gast, seid willkommen im Hause des Amtmanns Nepomuk Magloire!«
Thibault ließ ehrerbietig die Frau Amtmännin vorangehen und wurde von dem kleinen Herrn in den Salon geführt.
Hier blamirte sich der Holzschuhmacher.
Noch nicht sehr an Luxus gewöhnt, war der Waldbewohner nicht schlau genug, die Bewunderung zu verhehlen, womit die Einrichtung des Amtmanns ihn erfüllte.
Thibault befand sich zum ersten Mal in seinem Leben Damastvorhängen und vergoldeten Lehnstühlen gegenüber.
Er glaubte, daß bloß der König oder allerhöchstens der Herr Herzog von Orleans solche Vorhänge und solche Lehnstühle haben könnte.
Thibault bemerkte nicht, daß Madame Magloire ihn aufs Genaueste beobachtete, und daß keine seiner verwunderten Mienen, keiner von seinen naiven Ausbrüchen des Erstaunens der schlauen Hexe entging.
Gleichwohl schien sie nach reiflicher Erwägung den Cavalier, den Herr Magloire ihr aufgenöthigt hatte, mit freundlicheren Blicken zu betrachten.
Sie bemühte sich die Härte ihrer schwarzen Augensterne für ihn zu sänftigen.
Doch ging sie in ihrer Herablassung nicht so weit, daß sie sich auf den dringenden Wunsch ihres Mannes eingelassen hätte, welcher verlangte, seine Frau solle den Wohlgeschmack und das Bukett des Champagners dadurch verdoppeln, daß sie ihn eigenhändig ihrem Gast einschenke.«
Trotz der inständigen Zureden ihres erhabenen Gemahls weigerte sich die Frau Amtmännin dieser Zumuthung und nahm bald Müdigkeit zum Vormund, um aus ihr Zimmer zu gehen.
Aber ehe sie ging, sagte sie zu Thibault, da sie ihr Unrecht gegen ihn abzubüßen wünschte, so hoffe sie, daß er den Weg nach Erneville nicht vergessen werde.
Ein Lächeln, das die niedlichsten Zähne zum Vorschein brachte, bildete den Schluß dieser Rede.
Thibault antwortete darauf mit einer Lebhaftigkeit, welche die vielleicht etwas unpolirten Ausdrücke übersehen ließ: er schwur, daß er eher das Essen und Trinken vergessen würde, als eine Dame, die ebenso höflich als schön sei.
Madame Magloire machte eine Verbeugung, die eine Stunde weit nach der Frau Amtmännin roch, und trat ab.
Kaum hatte sie die Thüre hinter sich zugezogen, als Herr Magloire zu ihrer Ehre eine Kreiswendung ausführte, die zwar weniger leicht, aber beinahe ebenso bedeutsam war, als die eines Schuljungen, der sich von seinem Zuchtmeister erlöst sieht; dann ging er auf Thibault zu, ergriff seine beiden Hände und sagte zu ihm:
»Ach, lieber Freund, wie wollen wir jetzt trinken, da keine Weiber mehr da sind, um uns zu geniren! O die Weiber! Sie sind allerliebst bei der Messe und auf dem Ball; aber zum Teufel, bei Tisch, da sind Männer nöthig. Nicht wahr, Gevatter?«
Perrine kam herein, um ihren Gebieter zu fragen, was für einen Wein sie heraufholen solle.
Aber das lustige Männchen war ein zu guter Feinschmecker, um Geschäfte dieser Art einem Frauenzimmer anzuvertrauen.
In der That hegen die Frauen vor gewissen ehrwürdigen Flaschen nicht all den Respect, den sie verdienen, und widmen ihnen nicht all die Zartheit, womit sie behandelt werden wollen.
Er zerrte Perrine am Kleid, wie wenn er ihr Etwas ins Ohr sagen wollte.
Das gute Mädchen bückte dich um dem kleinen Mann gerecht zu werden.
Aber er drückte einen tüchtigen, derben Kuß auf ihre noch frische Wange, die nicht genug erröthete, um glauben zu machen, daß dieser Kuß etwas Neues für sie sei.
»Ei nun, wie ist’s jetzt?« fragte die Dirne lachend.
»Die Sache ist die, meine liebe Perrinette,« sagte der Amtmann, »daß ich die guten Gruppen allein kenne, und da Du nun in Anbetracht ihrer Mannigfaltigkeit leicht unter ihnen fehlgehen könntest, so will ich selbst in den Keller.«
So sprechend trippelte der gute Alte auf seinen kurzen Beinchen davon, so lustig, so flink und so drollig, wie die Nürnberger Maschinenmänchen, die man mit einem Schlüssel aufzieht, worauf sie sich im Kreis herumdrehen und rechts oder links gehen, so lange die Triebfeder gespannt ist.
Nur schien das gute alte Männlein vom lieben Gott selbst aufgezogen zu sein und niemals ruhig bleiben zu wollen.
Thibault war allein im Zimmer.
Er rieb sich die Hände und wünschte sich Glück, in ein so gutes Haus gerathen zu sein, zwischen eine so schöne Frau und einen so liebenswürdigen Ehegmahl.
Nach fünf Minuten ging die Thüre wieder auf.
Der Amtmann kam mit einer Flasche in jeder Hand und einer Flasche unter jedem Arm herein.
Die beiden Flaschen, die er unter den Armen hielt, waren moussirender Sillery erster Qualität, und da sie nicht zu fürchten brauchten, geschüttelt zu werden, so konnten sie wohl ihre horizontale Lage beibehalten.
Die beiden andern, die er in den Händen trug und mit wahrhaft ergötzlichem Respect vor sich hin hielt, waren Chambertin Ausstich und Hermitage.
Es war Zeit zum Souper geworden.
In der Epoche, von welcher wir erzählen, dinierte man Mittags zwölf Uhr und soupirte Abends um sechs.
Ohnehin ist es im Januar um sechs Uhr schon lange Nacht, und wenn man bei Licht ißt, sei es nun um sechs Uhr oder um Mitternacht, so scheint mir das immer ein Souper zu sein.
Der Amtmann stellte seine vier Flaschen ganz sachte auf einen Tisch, dann klingelte er.
Perrinette trat ein.
»Wann können wir uns zu Tisch setzen, mein schönes Kind?« fragte Herr Magloire.
»Sobald Ihr es wünschet, Herr,« antwortete Perrine. »Da ich weiß, daß der Herr Amtmann nicht gerne wartet, so ist Alles bereit.«
»So frage die Frau Amtmännin, ob sie nicht kommen will; sag’ ihr, Perrine, daß wir uns nicht ohne sie zu Tische setzen wollen.«
Perrine ging.
»Laßt uns immerhin in den Speisesaal gehen,« sagte der kleine alte Herr; »Ihr müßt Hunger haben, und wenn ich Hunger habe, so Pflege ich dem Appetit der Augen vor dem Appetit des Magens gütlich zu tun.«
»O!« sagte Thibault, »Ihr müßt ein famöser Feinschmecker sein.«
»Es ist nicht ganz ohne. Ich gehe voraus, aber nur um Euch den Weg zu zeigen.«
So sprechend verfügte sich Herr Magloire wirklich aus dem Salon in den Speisesaal.
»Ah! « machte er beim Eintreten, indem er sich vergnügt auf seinen Wanst tätschelte, »sagt einmal selbst, ob dieses Mädchen nicht verdiente, die Oberköchin eines Cardinals zu werden. Schaut nur einmal dieses kleine Souper an; es ist ganz einfach, und dennoch erfreut es wahrlich meine Augen mehr, als das berühmte Festmahl des Königs Balthasar hätte thun können.«
»Auf Ehre,« sagte Thibault, »Ihr habt Recht, Herr Amtmann; das ist ein Anblick, der Einem in der Seele wohlthut.«
Und Thibaults Augen begannen ihrerseits karfunkelartig zu leuchten.
Und dennoch war es, wie der Amtmann sagte, nur ein kleines Souper, aber so appetitlich, daß es eine wahre Lust war.
Es bestand aus einem schönen blaugekochten Karpfen, der auf einer Lage von Petersilie, ringsum mit Möhrenschnittchen belegt, in seiner Milch ruhte.
Er nahm eines der Enden des Tisches ein.
Das andere Ende war mit einer Schwarzwildkeule besetzt oder, wie wir zum Frommen derjenigen, denen dieser Ausdruck nicht vertraut sein sollte, erläutern wollen, mit der Keule eines jährigen Wildschweins, die weich in einer Spinatplatte lag und gleich einer grünen Insel in einem Ocean von duftiger Sauce schwamm.
In der Mitte prangte eine feine Rebhühnerpastete, von bloß zwei jungen Rebhühnern, die ihre Köpfe über die Kruste hervorstreckten und drein schauten, als wollten sie sich jeden Gegner mit ihrem Schnabel vom Leibe halten.
Die Zwischenräume waren mit Plättchen ausgefüllt, worauf feingeschnittene Arler Würste, viereckige Thunfischstücke, in schönem grünem Provencer-Oel schwimmend, Sardellen, die auf einer Lage von kleingehacktem Eigelb und Eiweiß unbekannte Phantastische Lettern beschrieben, und muschelförmige Butter, augenscheinlich erst im Laufe des Tages ausgerührt, den eßlustigen Gästen entgegenlachten.
Das Dessert bestand aus zwei oder drei Sorten Käse, die wegen ihres Hauptvorzuges, nämlich den Durst zu reizen, ausgewählt worden, aus Reimser Biscuit, das schon zum Voraus unter den Zähnen krachte, und aus einigen Birnen, die sich so prachtvoll erhalten hatten, daß man deutlich sah, daß der Hausherr selbst sich die Mühe genommen hatte, sie mit eigener Hand auf dem Obstbrett umzudrehen.
Thibault war dermaßen in die Betrachtung dieses Liebhabersoupers versunken, daß er kaum die Antwort Perrine’s hörte, welche meldete, die Frau Amtmännin habe die Migraine und lasse sich deßhalb zum zweiten Male bei ihrem Gast entschuldigen, gedenke sich aber bei seinem baldigen neuen Besuch schadlos zu halten.
Das alte Herrlein vernahm die Antwort mit sichtlicher Freude, athmete laut auf, klatschte applaudirend in die Hände und rief:
»Sie hat die Migraine! sie hat die Migraine! Schnell jetzt zu Tisch, zu Tisch.«
Und neben den beiden alten Flaschen Macon, die bereits als Tischwein zur Rechten jedes der beiden Schmausbrüder standen, zwischen die Plättchen mit Zwischenspeisen und die Dessertteller, schob er die vier anderen Flaschen ein, die er so eben aus dem Keller geholt hatte.
Ich glaube, daß die Frau Amtmännin weislich daran gethan hatte, sich nicht zu diesen wilden Streitern zu sehen, die einen solchen Hunger und Durst entwickelten, daß der halbe Karpfen und die beiden Flaschen verschwanden, ohne daß die Herren andere Worte mit einander gewechselt hätten, als:
»Gut! nicht wahr?«
»Delikat!«
»Gut! nicht wahr?«
»Famös!«
Delicat bezog sich aus den Karpfen.
Famös auf den alten Macon.
Vorn Karpfen und vom Macon ging man zur Pastete und zum Chambertin über.
Hier begannen die Zungen sich zu lösen.
Besonders die des Amtmanns.
Bei der Hälfte des ersten Rebhuhns und am Ende der ersten Flasche Chambertin wußte Thibault die Geschichte des Herrn Nepomuk Magloire.
Diese Geschichte war übrigens ganz und gar nicht verwickelt.
Herr Magloire war der Sohn eines Kirchenschmuckfabrikanten, der für die Capelle des Herrn Herzogs von Orleans gearbeitet hatte, welcher aus eitel Frömmigkeit für vier- bis fünfmal hunderttausend Franken Gemälde von Albano und Titian verbrannte.
Chrysostomus Magloire brachte seinen Sohn Nepomuk Magloire als ersten Mundkoch bei Herrn Philipp von Orleans, dem Sohne Ludwigs, unter. Der junge Mann hatte schon als zartes Kind einen entschiedenen Beruf für die Küche an den Tag gelegt; er war hauptsächlich im Schloß zu Villers-Coterets beschäftigt, und dreißig Jahre lang dirigirte er die Mahlzeiten des erlauchten Herrn, der Magloire seinen Freunden als den Spiegel aller Kochkünstler pries und ihn von Zeit zu Zeit herauskommen ließ, um mit dem Herrn Marschall von Richelieu über Küchenangelegenheiten zu Plaudern.
Mit fünfundvierzig Jahren war Magloire so kugelrund geworden, daß er nicht mehr ohne eine gewisse Schwierigkeit durch die kleinen Thüren der Corridore und Küchenzimmer gehen konnte.
Er fürchtete, daß er sich eines Tages gleich dem Wiesel Lafotitaines in seinem Speicher gefangen seyen könnte, und bat daher um seinen Abschied.
Der Herzog bewilligte ihm denselben zwar ungern, aber doch weniger ungern als unter allen andern Umständen.
Er hatte vor Kurzem Frau von Montesson geheirathet und kam nur noch selten nach Villers-Coterets.
Zu den Religionsartikeln des erlauchten Herrn gehörte, daß er alte Diener nicht vergaß.
Er ließ Magloire herauskommen.
Er fragte ihn, wie viel er in seinen Diensten erspart habe.
Magloire antwortete, er habe das Glück, nicht gerade mit leeren Händen auszutreten.
Der Prinz verlangte den Betrag seines kleinen Vermögens genau zu erfahren.
Magloire gestand neuntausend Franken Rente.