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Kitabı oku: «Die Cabane und die Sennhütte», sayfa 13

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»Hölle und Teufel! was höre ich da? Es ist das Ende der Welt gekommen! – Du wagst es zu behaupten, und gegen mich? Weib, so belohnst Du meine Thorheit, diesen elenden Burschen auferzogen, ihm mein Brod zu essen gegeben, gestattet zu haben, daß Du meinen Namen führtest, während Du nicht meine Frau warest; denn diese Unglückliche ist nicht meine Frau, wie Ihr geglaubt haben möget,« fügte er hinzu, indem er sich an. Diejenigen wendete, die ihn umgaben. »Ah! Du willst, daß mein Kopf falle, anstatt des seinigen! Du verbindet Dich mit meinen Feinden! – Nun, um zu beginnen, jage ich Dich fort; ich stürze Dich in das Elend zurück, aus welchem ich Dich hervorgezogen. Warte, laß nur den Herrn Maire ankommen, und die Rechnung Deines Schelms von Sohn wird bald abgeschlossen sein.«

Milette wollte mit derselben Heftigkeit antworten, aber einer der Anwesenden erhob seine Stimme.

»O! lassen Sie doch diesen Mann plaudern; sehen Sie nicht, daß die Furcht ihn halb wahnsinnig gemacht hat? Ich war in der Sennhütte, als der Wundarzt kam und Monsieur Riouffe aufhob, und ich hörte Mademoiselle Riouffe schluchzend erzählen, wie die Monsieur Marius den Mörder habe verfolgen sehen. Sie sehen also wohl, daß er nicht der Schuldige war, da er im Gegentheil den verfolgte, der das Verbrechen begangen hatte.«

»Mademoiselle Madeleine!« rief Monsieur Coumbes, »das glaube ich wohl; sie ist wie diese hier, sie wird ihn gegen Alle vertheidigen —«

Monsieur Coumbes hielt plötzlich inne. Er hatte eben den strengen Umriß unseres Marius bemerkt, der seit einigen Augenblicken in das Zimmer eingetreten war und der den größten Theil der voraufgehenden Unterredung gehört hatte. Der junge Mann trat einen Schritt vor; Milette erblickte ihn und warf sich in seine Arme.

»Da bist Du, Gott sei gelobt!« rief sie. »Weißt Du, was hier vorgeht, mein armes Kind? Man beschuldigt Dich; man behauptet, daß Du Monsieur Riouffe getödtet hat. Vertheidige Dich, Marius, beweise denen, welche diese Verleumdung auszusprechen wagen, daß Du eine zu edle, redliche und großmüthige Seele hat, um Dich eines so gemeinen Mordes schuldig gemacht zu haben.«

»Liebe Mutter,« antwortete der junge Mann mit ruhiger Stimme, aber den Kopf sinken lassend, »Monsieur Coumbes hatte soeben Recht: Jeder für sich in dieser Welt. Deshalb muß das Blut auf den Kopf dessen zurückfallen, der es vergossen hat.«

»Was sagst Du da, mein Gott!« rief Milette.

»Ich sage, ich komme, um die Stelle des Monsieur Coumbes einzunehmen, der falsch und ungerecht angeklagt worden; ich sage, ich komme, meine Hände den Fesseln darzubieten, welche die einigen binden; ich sage endlich, wenn Jemand für den Mord verantwortlich sein soll, der begangen worden, so bin ich es, Marius Manas, und nicht Monsieur Coumbes.«

»O! es ist unmöglich!« rief Milette; »Dir, wie eben noch ihm, werde ich antworten: Du lügst! Man kann die Menschen täuschen, man kann die Richter täuschen, aber man täuscht weder Gott noch seine eigene Mutter. Würdest Du wagen, mir ins Gesicht zu sehen, wie Du es eben gethan, wenn Deine Hände mit dem Blute Deines Nächsten gefärbt wären? Nein, nein, es ist nicht das redliche Herz, welches diesen Morgen, sobald es die klägliche Lage erfahren hatte, in die ich mich um seinetwillen versetzt, nicht schwankte zwischen dem Elend und dem Vorwurf des Gewissens; nein, es ist nicht dieser Mann, der mit der Waffe eines Verräthers in der Dunkelheit tödtet.«

Dann, als sie sah, daß die Diener der Gewalt sich der Person ihres Sohnes bemächtigten, ohne aber Monsieur Coumbes loszulassen, rief sie:

»Thun Sie das nicht, meine Herren, thun Sie das nicht! Ich sage Ihnen, daß er nicht strafbar ist, dessen bin ich gewiß. O ! thun Sie das nicht, ich beschwöre Sie!«

»Meine Mutter, meine Mutter, im Namen des Himmels, zerreißen Sie mir nicht das Herz, wie Sie es thun ! Begreifen Sie denn nicht, daß ich all meines Muths bedarf?«

»Aber so sage ihnen doch mit mir, daß es nicht wahr ist,« fuhr die arme Mutter fort. »Siehst Du denn nicht, daß ich wahnsinnig werde, und soll ich die Einzige sein, mit der Du kein Mitleid hast? O! mein Gott, Marius, habe Erbarmen mit Deiner Mutter!«

Milette sank auf den Boden nieder, indem sie diese letzten Worte aussprach.

Marius streckte seine Arme gegen sie aus, aber er war schon gebunden; er konnte sie also nur aufrichten, und es waren die Nachbarn, die, heftig erschüttert von dieser Scene, die Sorge übernahmen, sie halb todt in das anstoßende Zimmer zu tragen.

Während dieser Zeit war der Maire angekommen; er sammelte die Aussagen, er befragte den, welchen die öffentliche Stimme beschuldigte, und den, der sich selber als den Mörder bezeichnete. Marius war bestimmt in seinen Behauptungen; er erklärte, daß er es sei, der Monsieur Riouffe getödtet habe; nur weigerte er sich entschlossen, den Zweck dieses Verbrechens zu gestehen und die Umstände genau anzugeben, in Folge welcher er sich desselben schuldig gemacht. Der junge Mann war mit einem festen Entschlusse in die Cabane zurückgekehrt, nämlich Pierre Manas nicht anzuklagen; aber als er das Versehen bemerkte, dessen Opfer Monsieur Coumbes war, als er an einer Niedergeschlagenheit den schrecklichen Schlag erkannt hatte, den die Beschuldigung dem ehemaligen Packträger verursachte, als er die Schwierigkeit erkannte, welche dieser haben würde, sich zu rechtfertigen, zauderte er nicht, ihm seine Schuld der Erkenntlichkeit zu zahlen und die Schuld und sogar selbst die Strafe auf sich zu nehmen.

Monsieur Coumbes war viel umständlicher in seiner Aussage, als ein Adoptivsohn es gewesen war. Er erzählte. Alles, was sich an diesem Tage zugetragen hatte; wie er an dem Morgen das Geheimniß unseres Marius entdeckt, wie er den Brief zurückbehalten, den ihm Madeleine geschrieben; endlich wie er sich über die Verwirrung seines Pflegesohnes habe belustigen wollen, so wie über den Zorn des Bruders der Mademoiselle Riouffe.

Es lag in den Angaben des Monsieur Coumbes eine Aufrichtigkeit, die von einer Gemüthsbewegung, die er nicht überwinden konnte, noch verstärkt wurde; es war unmöglich für einen kalten und unparteiischen Menschen, den Ausdruck der Wahrheit zu verkennen, der aus diesem bleichen Munde und von diesen zitternden Lippen kam. Uebrigens legte Monsieur Coumbes den Brief Madeleinen’s zur Unterstützung seiner Aussage vor. Der Maire befahl, ihn loszulassen.

Was Marius betraf, so schienen die Erklärungen, welche eben der ehemalige Packträger gegeben, eine Menge von Wahrscheinlichkeiten zu der Offenheit seiner Geständnisse hinzuzufügen. Indessen blieben zwei Dinge unerklärlich.

Wer war dieser Mann, den die Dienerin und der Kutscher, so wie auch Madeleine deutlich gesehen, und der wie ein Schatten an ihnen vorübergegangen, von Milettens Sohne verfolgt? Wie sollte man endlich die Geschichte dieses Stelldichein der Liebenden mit dem Diebstahle, in dem Zimmer der jungen Dame begangen, in Verbindung bringen, welcher Diebstahl zwiefach bestätigt wurde, erstens durch die Abwesenheit der Börse aus der Schublade, worin sie sich befunden, und endlich durch das Auffinden dieser Börse in dem Garten des Monsieur Coumbes?

Der Maire ließ den Beschuldigten zurückkommen und drang mit Fragen in ihn; aber Marius, der sich wohl eines Mordes für schuldig erklären konnte, wollte einen Diebstahl nicht auf sich nehmen: er war unbeugsam und fuhr fort, sich zu weigern, irgend eine Auskunft zu geben. Man theilte ihm den Brief Madeleinen’s mit, und Anfangs schien er auf ihn einen Eindruck hervorzubringen, fähig, seine Empfindungen zu ändern. Er las ihn weinend zwei Mal; dann bat er den Richter, diesen Brief zu vernichten und die Ehre eines jungen Mädchens zu retten, welches, der Aufrichtigkeit seiner Geständnisse gegenüber, unnöthigerweise kompromittiert werden würde; aber als der Richter erklärte, daß der Brief bei der Instruction figurieren müsse, kehrte Marius zu seinem Schweigen zurück und antwortete auf keine der Fragen mehr, die man ihm vorlegte.

Eine Confrontation konnte. Alles aufklären, aber der Zustand des Verwundeten war so bedenklich, daß der Wundarzt erklärte, man dürfe in diesem Augenblicke nicht daran denken; folglich befahl der Maire, Marius in das Stadtgefängniß zu bringen.

Man hatte Milette umringt, um sie zu verhindern, bei der Hinwegführung ihres unglücklichen Sohnes zugegen zu sein.

Nach und nach entfernten sich alle Fremden. Monsieur Coumbes, der die Entfernung eines Jeden von ihnen beobachtete, folgte dem Letzten, um forgfältig die Pforte nach der Straße hin zu schließen; dann trat er in die Cabane zurück. Er fand die arme Mutter unbeweglich an der Stelle, wo er sie gelassen hatte; sie saß auf dem Fußboden, die Kniee ihrer Brust genähert, die Hände auf ihre Kniee gestützt, das Kinn auf ihren Händen ruhend, die Augen starr und wild. So stark auch die Kruste war, womit der Egoismus das Herz des ehemaligen Packträgers umgeben hatte, so schien doch dieser stumme Schmerz sein Recht haben zu wollen. Dieses Herz, bis dahin unempfindlich, schien zum ersten Mal sich zusammenzuziehen bei den Leiden, welche nicht die seinigen waren, und seine Augen, leicht befeuchtet, schienen glänzender, als sie es gewöhnlich waren.

Er näherte sich dieser armen verzweifelten Mutter und rief sie mit fast zärtlicher Stimme. Milette schien ihn nicht einmal gehört zu haben.

»Du darfst nicht böse auf mich sein, Frau,« fuhr er fort. »Was Teufel! bei einem Nervenanfall kann man nicht immer für das einstehen, was man thut, und man giebt zuweilen der Person, die man am meisten liebt, einen Faustschlag. Es war eine ärgerliche Sache in der Sennhütte, und da ich unschuldig war, schien es mir ganz natürlich, mich zu wehren, als ich sah, daß man mich anklagte.«

Milette blieb in ihrer traurigen und erstarrten Stellung; man hätte glauben sollen, sie wäre eine Statue, so unbeweglich war sie, so wenig bemerkbar war ihr Athemzug.

»Nun, rede doch mit mir, Frau, es ist kein Grund vorhanden, daß wir ihn nicht retten sollten. Man behauptet, daß sich mit Geld. Alles machen läßt in dieser Welt; nun, und wenn es mir auch einige Hunderte kosten sollte, so ist man ja kein Jude gegen die, welche man liebt. Sei also ruhig, Mutter, wir wollen ihn schon weiß wie der Schnee von dort herausbringen.«

Als er aber sah, daß er vergebens seine Beredtsamkeit verschwendete und sich erbot, ein Opfer zu bringen, hielt Monsieur Coumbes inne und stieß einen tiefen Seufzer aus. Nur müssen wir gestehen, um bei dieser Genauigkeit zu bleiben, die den wahren Geschichtsschreiber ausmacht, daß dieser Seufzer sich nicht an die arme Mutter richtete, sondern an einen Schrank, in welchem Milette die Lebensmittel aufbewahrte und wozu sie die Schlüssel in ihrer Tasche hatte, und welchen Monsieur Coumbes seit einigen Augenblicken mit Augen voll Begehrlichkeit betrachtete.

Monsieur Coumbes war nicht aufgeregt, weder von dem Unglück unseres Marius, noch von dem Miletten’s; Monsieur Coumbes hatte Hunger. Er blieb einige Augenblicke schwankend zwischen dem Bedürfnisse, welches seinen Magen quälte, und dem Gefühle des Respects, welchen das Unglück einflößt.

Unter anderen Umständen wäre der Streit nicht zweifelhaft gewesen, und der Appetit des Monsieur Coumbes würde über jede fremde Rücksicht gesiegt haben; aber eine Seele war offenbar auf dem Wege der Besserung; er blieb beinahe eine halbe Stunde bei Miletten, indem er erwartete, daß sie aus diesem Zustande der Erstarrung hervorgehen werde; aber als er endlich sah, daß seine Geduld eben so unnütz war, wie seine Bitten es gewesen waren, entschloß er sich endlich zu einem großen Bedauern, ohne Abendessen zu Bette zu gehen.

Er hatte sich freilich vorgenommen, sich mit Resignation zu waffnen; denn als er am folgenden Morgen aufstand, suchte er Milette vergebens in der Cabane und in der Umgebung.

Die arme Frau war verschwunden, und als sie das Haus verlassen, hatte sie ohne Zweifel aus Versehen – ungeachtet seiner üblen Laune beschuldigte die Monsieur Coumbes keines anderen Verbrechens, als der Unbesonnenheit – die Schlüssel mitgenommen, so daß Monsieur Coumbes, der einen Einbruch in eine eigene Wohnung fürchtete, das Frühstück ebenso entbehren mußte, wie er das Abendessen hatte entbehren müssen.

Sechstes Kapitel
Die Mutter und die Geliebte

In dem Gefängnisse blieb Marius, wie in den ersten Augenblicken einer Verhaftung, fest und entschlossen. Seine leidenschaftliche Liebe zu Madeleine gewährte ihm diese Ruhe und diesen Muth. Je mehr er daran dachte, desto mehr hielt er sich überzeugt, daß es unmöglich sei, was auch geschehen möchte, daß Mademoiselle Riouffe den Sohn des Banditen Pierre Manas heirathen könne.

Da er die, welche er liebte, und die ihm zuerst die Hand gereicht, nicht heirathen konnte, so schien ihm der Tod süß, und er rief ihn mit allen seinen Wünschen herbei, als das einzige Mittel gegen seine Leiden.

Er dachte an seine Mutter; aber der religiöse Glaube kam ihm zu Hilfe, um die Bitterkeit dieser Erinnerung zu ertragen. Er würde sich zugleich aufgeopfert haben, um seinen Vater und seinen Wohlthäter zu retten. Gott konnte ihn nicht verlassen; er würde das letzte Gebet erhören, welches er an ihn zu richten dachte, nämlich Milette auf dem rauhen Wege zu unterstützen, den sie noch auf dieser Erde zu durchlaufen hatte.

Er blieb also unerschütterlich in einem ersten Verhör, welches am folgenden Tage stattfand. Der Instructionsrichter hatte eben anbefohlen, ihn in seine Zelle zurückzuführen, als man diesem Beamten ankündigte, daß eine junge Dame dringend bitte, zu ihm geführt zu werden.

Die Ungeduld der Person, welche dieses Gehör verlangte, war so groß, daß sie nicht die Rückkehr des Abgesandten erwartete, und durch die halb offene Thüre erblickte man im Halbdunkel des Vorzimmers ihren Umriß.

Der Instructionsrichter ging ihr entgegen, deutete ihr mit der Hand einen Sitz an und setzte sich ihr gegenüber: Sie wartete nicht, bis der Beamte das Wort an sie richtete.

»Meine Bitte wird Ihnen ohne Zweifel seltsam und unüberlegt erscheinen, mein Herr,« sagte sie mit einer Stimme, deren Aufregung die Festigkeit nicht verminderte. »Vielleicht werden Sie sie zurückweisen; aber mein Gewissen und, um aufrichtig zu sein, noch ein anderes Gefühl erklären sie für rechtmäßig; das reicht mir hin, um sie vorzutragen. Ich bin Mademoiselle Madeleine Riouffe.«

Der Richter nickte. Das junge Mädchen hob den Schleier auf, der bisher heruntergelassen gewesen war, und der Andere konnte dieses Gesicht bewundern, welches, ungeachtet seiner Blässe, ungeachtet der tiefen Züge, welche die Seelenqual von jener schrecklichen Nacht, die eben vergangen, darin zurückgelassen, durch seinen Adel und seine Schönheit ein wahrhaftes Interesse in ihm erregte.

»Ich habe das Bett verlassen, wo mein armer Bruder in Todesqual liegt,« fuhr Madeleine fort, »um bei Ihnen eine gebieterische Pflicht zu erfüllen, welcher jede andere Rücksicht weichen muß.«

»Ich glaube zu errathen, was Sie hierher führt, Mademoiselle,« entgegnete der Richter, »und unglücklicherweise glaube ich auch zu meinem großen Bedauern vorherzusehen, daß ich genöthigt sein werde, mit einer Weigerung auf Ihre Bitte zu antworten. Als Mann empfinde ich ein lebhaftes Widerstreben, den Ruf einer Dame der öffentlichen Bosheit zu überliefern, besonders wenn diese Dame, so wie Sie, einer höchst ehrenwerthen Familie angehört; aber der Richter muß über diesen Rücksichten stehen. Er ist mehr von Gott, als von Seinesgleichen abhängig, und in seinem Berufe muß er, gleich wie Gott, die Vorrechte und Bestimmungen dieser Welt für eitel und nichtig halten.«

»Ich verstehe Sie nicht, mein Herr,« versetzte Madeleine.

»Ich werde mich bestimmter ausdrücken. Sie kommen ohne Zweifel, die Bitte zu erneuern, die dieser Unglückliche – ich thue ihm diese Gerechtigkeit an – schon gestern Abend an mich gerichtet hat: diesen Brief verschwinden zu lassen, welcher beweist, daß Beziehungen, welche zu schätzen mir nicht obliegt, zwischen Ihnen und dem Angeklagten vorhanden waren.«

»Nein, mein Herr, nein, Sie irren,« versetzte Madeleine mit stolzer Energie, »und ich protestiere gegen diese Annahme, weil sie mir verhaßt ist. Ich liebe Marius, ich erröthe heute nicht mehr, es zu gestehen, als ich gestern erröthete, es ihm zu schreiben. Ich bin zu Ihnen gekommen, nicht um Sie zu bitten, die Wahrheit zu verbergen, sondern sie wieder herzustellen. Erst eben habe ich eine Verhaftung erfahren; ich weiß die Einzelheiten nur sehr unvollkommen; ich fürchte, daß er sich in seiner Großmuth und seiner edlen Aufopferung geweigert hat zu gestehen, was ihn zu dem Aufenthalte auf meinem Gebiete berechtigte, und ich bin gekommen, um Sie davon in Kenntniß zu setzen.«

»Dieser Adel der Gesinnung macht Ihnen Ehre, mein Fräulein, aber sie ist unnütz; wenn das Geständniß des Angeklagten uns irgend einen Zweifel hätte übrig lassen können, so würden das Zusammentreffen der Umstände und die Erklärungen des Monsieur Coumbes sie vollends auf heben. Es wird behauptet, mein Fräulein, daß der, den Sie geliebt, sich des Mordversuches schuldig gemacht hat, der Sie vielleicht eines Bruders berauben wird, den Sie auch lieben müssen.«

Der Richter betonte diese letzten Worte.

Aber Madeleine blieb unempsindlich.

»Ich werde Ihnen als ein sehr seltsames Mädchen erscheinen, mein Herr; aber auf die Gefahr, mir Ihren Tadel zuzuziehen, werde ich den Kopf nicht beugen, so gewiß bin ich, daß Ihre Achtung mich später entschädigen wird wegen des Irrthums, worin Sie sich in diesem Augenblick befinden. Indem ich den liebe, von dem wir reden, habe ich mich nicht einer frivolen Laune hingegeben; er hat mich, Gott sei Dank! ebenso wenig verführt. In frühen Jahren mir selber überlassen, hatte ich bald gelernt, daß im Leben. Alles ernst ist. Ich habe ihn selbst und freiwillig gewählt; ich habe lange über das nachgedacht, was ich thun wollte, und um es zu bedauern, würde noch etwas ganz Anderes nöthig sein, als die Muthmaßungen, worauf sich ohne Zweifel. Ihre Anklage gründet. Was Ihren letzten Satz betrifft, so werde ich Ihnen sagen, daß, wenn ich das Schmerzenslager verlassen habe, an welches meine Pflicht mich fesselt, es geschehen ist, weil mein Bruder selbst, wenn er hätte sprechen können, mir mit seinem letzten Athemzuge gesagt haben würde: Geh’, einen Unschuldigen zu retten!«

»Einen Unschuldigen?« versetzte der Richter.

»Ja, mein Herr, einen Unschuldigen,« antwortete Madeleine mit Zuversicht.

»In Wahrheit, mein Fräulein, ich beklage Ihre Verblendung. Selten ist es uns erlaubt, eine Meinung über die Strafbarkeit des Angeklagten vor dem Ende des Zeugenverhörs auszusprechen; aber diesmal bei den überreichlichen Beweisen, die ich auf jedem Schritte finde, den ich in dieser unglücklichen Sache thue, kann ich im Gegentheil schon heute versichern, nicht nur, daß der Angeklagte schuldig ist, sondern ich kann ihm auch Schritt für Schritt auf dem Wege des Verbrechens folgen und die Umstände der Ausführung desselben bestimmen. Er sucht Sie in dem Garten; er dringt in das Haus ein, er begegnet Ihrem Bruder; bei der Unmöglichkeit, seine Gegenwart bei Ihnen zu dieser Stunde zu erklären, stößt er ihn nieder. Ei! mein Gott! das sieht man alle Tage.«

»Nein, mein Herr, die Sache ist nicht so geschehen, denn Marius war im Garten neben mir beim ersten Schrei, den mein Bruder ausgestoßen. Und dieser Diebstahl, wie wollen Sie den erklären?«

»In einer Verwirrung, als er daran dachte, zu entfliehen und ohne eigene Hilfsmittel war, nahm er das erste Geld, welches ihm unter die Hand kam.«

»Und diesen erbrochenen Secretair, und den Mann, den wir sahen, und den er verfolgte ?«

»Ihre Einwendungen, mein Fräulein, können nur die Lage des Unglücklichen verschlimmern, sie lassen eine Mitschuld, eine Absichtlichkeit annehmen, woran wir bis jetzt nicht gedacht haben; denn bis jetzt haben wir keine andere Zeugen gegen ihn gesucht, als ihn selbst.«

»Haben Sie denn nicht gesehen, mein Herr, Sie, dem Nichts entgeht,« fuhr Madeleine mit einer zunehmenden Lebhaftigkeit fort, »daß er sich nur für schuldig erklärt hat, um den Verdacht abzuwenden, der auf diesen Greis, seinen Vater, gerichtet war?«

»Diese Aufopferung wäre in der That sehr schön,« fuhr der Richter kalt fort, »wenn sie nur wahrscheinlich wäre; aber ach! es fehlt ihr die Grundlage: Monsieur Coumbes ist nicht der Vater des Angeklagten.«

»Was sagen Sie? Monsieur Coumbes ist nicht der Vater des jungen Marius!«

»Die wenigen Augenblicke der Unterredung, die ich mit Ihnen, mein Fräulein, gehabt, haben mich in den Stand gesetzt, Ihren Charakter zu schätzen. Ich beklage Sie; aber Sie erregen in mir Interesse genug, um zu versuchen, die Binde hinwegzureißen, die Sie vor Ihren Augen behalten wollen, um die Wunde durch Eisen und Feuer zu heilen. Nein, mein Fräulein, Marius ist nicht der Sohn des Monsieur Coumbes. Wir leben in einem Jahrhundert, wo man den thörichten Vorrechten der Geburt Gerechtigkeit widerfahren läßt; indessen hat das Gefühl der menschlichen Billigkeit nicht gewagt, sich von dem zu befreien, welches Sie finden würden, wenn Sie bei Ihrem Willen beharrten, sich mit diesem jungen Manne verbinden zu wollen.«

»Reden Sie zu Ende, mein Herr ; bitte, reden Sie zu Ende!« rief Madeleine in athemloser Aufregung.

»Der Vater des Marius ist mit Recht von der Justiz bestraft worden. Der Vater des Marius heißt nicht Monsieur Coumbes, sondern Pierre Manas.«

Madeleine war aufgestanden, um zu hören, was der Richter ihr antworten würde. Als er ausgesprochen hatte, sank sie auf ihren Lehnsessel zurück, als ob seine Worte ihr Todesurtheil enthalten hätten. Die Stärke, die sie bis dahin unterstützt hatte, verließ sie plötzlich. Das Schluchzen erstickte sie, und sie bedeckte ihr mit Thränen überfluthetes Gesicht mit den Händen.

Der Richter neigte sich zu ihr.

»Fassen Sie Muth, mein Kind, sagte er zu ihr; »Sie sagten mir eben, daß Sie früh den Ernst des Lebens kennen gelernt, es ist der Augenblick, daraus Nutzen zu ziehen. Was man in Ihrem Alter Liebe nennt, geht mehr aus der Einbildungskraft, als aus dem Herzen hervor. Was Sie empfinden, darf Sie also nicht übermäßig betrüben. Stellen Sie sich vor, daß Sie einen Traum gehabt haben und daß der Augenblick des Erwachens gekommen ist. Sein. Sie künftig vorsichtiger; hegen Sie Mißtrauen gegen diese Exaltation der Gefühle, die zuweilen, um besser diejenigen zu täuschen, die sie hintergeht, den Schein der Vernunft annimmt. Erinnern Sie sich, daß wir nicht mehr in der fabelhaften Zeit der Römer leben, daß in unserer gegenwärtigen Gesellschaft Alles anständig ist; daß die Tugend, um geehrt und geachtet zu werden, Nichts übertreiben darf, nicht einmal die Seelengröße; daß Sie diesen Mann, und wäre er auch nicht strafbar, wie es die Verhandlung erweisen wird, vergessen müssen. Die Verbrechen seines Vaters sind freilich nicht die seinigen; er ist nicht verantwortlich für den Zufall, der ihn gerade in diese und nicht in eine andere Wiege geworfen, das ist auch wahr; dieses erbliche Verbrechen ist ungerecht, widersinnig, das gebe ich zu, aber am Ende hat die Welt ihre Gesetze; man muß sich vor ihnen beugen, wenn man nicht unter ihrer eisernen Hand zerbrochen werden will. Und jetzt verzeihen Sie mir diese Predigt, welche meine weißen Haare und meine Eigenschaft als Familienvater rechtfertigen.«

Madeleine hatte den Beamten angehört, ohne zu versuchen, ihn zu unterbrechen; so wie er sprach, nahm das Schluchzen des jungen Mädchens an Heftigkeit ab; als er ausgeredet hatte, erhob sie ihre edle und stolze Stirn.

»Ich danke Ihnen, mein Herr,« sagte sie zu ihm, »für die wohlwollende Theilnahme, wovon Sie mir eine Probe geben. Ich rechne darauf, daß Sie mir dieselbe bewahren werden, denn je mehr Sie mich kennen, desto mehr werden Sie mich derselben würdig finden. Ich bin gewiß, wenn Sie mich mit der Welt verdammen, wird mich Ihr Herz wenigstens freisprechen.«

»Was!« rief der Richter, welcher Madeleine überzeugt zu haben glaubte; »was! Sie denken noch —«

»Mein Herr, Sie haben selber gesagt, daß ein solches Vorurtheil ungerecht und widersinnig ist. Als Weib und Christin gebe ich nicht zu, daß das, was ungerecht und widersinnig ist, ehrenvoll und anständig sein kann; ich gebe nicht zu, daß eine Widersinnigkeit, eine Ungerechtigkeit mich von einem Eide befreien kann, welchen ich mit meinem vollständigen Willen abgelegt habe. Wenn Marius unschuldig ist, wofür ich fortfahre, ihn zu halten, werde ich mit ihm die Fehler seines Vaters beklagen, ohne mehr als er darüber zu erröthen, und ich werde an seiner Seite arbeiten, den Namen wieder herzustellen, den wir mit einander theilen werden.«

»Ich bewundere Sie, mein Fräulein, aber ich gestehe es, ohne Ihnen Recht geben zu können.«

»Ohne der Zukunft vorzugreifen, will ich mich mit der Gegenwart beschäftigen. Ich bin die erste Ursache seines Unglücks; ich habe dazu beigetragen, Marius in den Abgrund zu stürzen, und an mir ist es, alles Mögliche zu thun, um ihn wieder daraus zu erretten.«

»Ich zweifle, daß es Ihnen gelingen wird, mein Fräulein,« versetzte traurig der Richter. »Alle Muthmaßungen sprechen gegen ihn, und noch mehr als die Muthmaßungen, die Geständnisse.«

»Es waltet freilich ein Geheimniß ob, welches ich nicht durchschauen kann, aber mit Gottes Hilfe wird es uns vielleicht gelingen.«

»Eine einzige Person könnte es aufklären, mein Fräulein; das würde Ihr Herr Bruder sein, aber unglücklicherweise ist es nach dem, was mir der Wundarzt noch diesen Morgen gesagt, zweifelhaft, ob Ihr Herr Bruder die Sprache wieder erlangen wird, ehe er unterliegt.«

»Er wird sie wieder erlangen, mein Herr; Gott wird sie ihm wiedergeben zur Bestrafung des Schuldigen und zur Rechtfertigung des Unschuldigen.«

Mademoiselle Riouffe begrüßte den Instructionsrichter und verließ ihn ganz erstaunt über die männliche Energie, die er bei diesem jungen Mädchen gefunden hatte.

Der Tag war noch nicht angebrochen, als Milette die Cabane des Monsieur Coumbes verließ.

Indem Gott den Menschen für den Kampf schuf maß er weise das Verhältniß der Gefühle des Menschen zu seinen Kräften ab. Wenn das Herz sich mit Schmerz gesättigt hat, wenn ein Tropfen, zu dem bitteren Kelche hinzugefügt, ihn zerbrechen würde, trocknen die Thränen, der Gedanke erlahmt, die Wahrnehmung wird ohnmächtig; es würde scheinen, als habe die Seele den Körper verlassen, indem sie ihn einem Zustande der Erstarrung übergiebt, welcher die Mitte hält zwischen dem Schlummer und dem Tode, und als wäre sie, von dem Leiden überwältigt, zu den Regionen der Unendlichkeit dahingeflohen, wo sie sich ihrer Einwirkung entzieht.

Dies war der Mutter unseres Marius begegnet. Sie liebte ihren Sohn so leidenschaftlich, daß diese Katastrophe sie getödtet haben würde, wenn die Heftigkeit des Schlages, der sie traf, und welchen die Vernunft zu begreifen sich weigerte, fiel nicht in diese Erstarrung versetzt hätte, worin wir sie gesehen. Lange blieb sie auf dem Steine filzen, leblos und kalt wie er. Als sie eine Anstrengung machte, ihre Gedanken zu sammeln, als sie sich der Umstände dieses entsetzlichen Abends zu erinnern suchte, glaubte sie von einem entsetzlichen Alp heimgesucht zu werden, und doch blieb ihr genug von dem Gefühl der Selbsterhaltung, um das Erwachen zu fürchten.

Sie dachte an Marius, und an Nichts, als an Marius; aber vermöge eines seltsamen Contrastes ging das sorglose und freudige Kind und nicht der eines Mordes Angeklagte an ihren Blicken, in ihren Sinnentäuschungen vorüber. Zuweilen freilich, als hätte ihr Geist Scham empfunden wegen dieser schmerzlichen Unruhe, als hätte er geurtheilt, daß es noch kein so grausames Märtyrerthum sei für ihren mütterlichen Glauben, empfand sie eine heftige nervöse Spannung; ein Chaos von Dolchen, von Fesseln, von Schaffotten stellte sich in der Mitte einer blutrothen Wolke ihren Augen dar. Alle Fibern ihres Gehirns zuckten und vibrierten zugleich: es schien ihr, als ob ihr Schädel in dem Augenblicke platzen würde, wenn die Thränen endlich aus ihren Augenlidern hervorbrechen könnten, aber sie blieben trocken und glühend. Ihre Fähigkeit der Erinnerung erlosch von Neuem, und sie sank in ihre Gefühllosigkeit zurück. Diese Gefühllosigkeit war so tief, daß sie, ohne die Stelle und die Lage zu verändern, einschlief.

Als sie erwachte, schimmerten die ersten Strahlen der Sonne, von den weißen Gipfeln der Hügel von Marchia-Veyre zurückgeworfen, durch die Fensterscheiben und erleuchteten das Zimmer, in welchem sie sich befand, mit einem blassen Lichte. Der erste Gegenstand, welchen ihr Blick in der Dunkelheit unterschied, war die Jacke, die ihr Sohn am Tage zuvor bei dem Fischfange getragen und die er bei seiner Rückkehr auf einen Stuhl geworfen. Dann erinnerte sie sich der Umstände.

Sie hörte die Stimme des Monsieur Coumbes, der ihren Sohn anklagte; dann wie dieser sich selber anklagte. Sie sah die dichten Gruppen der Neugierigen, den Richter, die Gensdarmen; und die Wirklichkeit, das heißt die Verhaftung ihres Sohnes Marius stellte sich zuerst klar und deutlich ihrem Geiste dar.

Sie stürzte sich über das arme Kleidungsstück her, den stummen Zeugen, der ihr bewies, daß dieses Drama kein Traum gewesen. Sie drückte es an ihre Brust; sie bedeckte es mit wahnsinnigen Küssen, als hätte sie in seinem dichten Gewebe eine Erinnerung an den suchen wollen, der es getragen. Sie brach in krampfhaftes, erschütterndes, unartikuliertes Schluchzen aus, in Folge dessen einige Thränen ihre gerötheten Augen erfrischten. Plötzlich warf die arme Mutter diese kostbare Reliquie wieder weg und stürzte sich hinaus.

Sie hatte bedacht, daß man sie ohne Zweifel nicht verhindern würde, ihren Sohn zu umarmen, so strafbar er auch sein möchte. Sie brachte kaum eine halbe Stunde zu, um von Montredon nach Marseille zu gelangen. Unterwegs fragte sie die, welche ihr begegneten, nach dem Wege zu dem Gefängnisse, und als sie sie so blaß, so verwirrt sahen, indem ihr von grauen Fäden durchzogenes Haar sich ihrer Haube entzogen hatte und um ihr Gesicht flatterte, mußten die Vorübergehenden glauben, daß sie selber ein Verbrechen begangen habe.

Der Schlag, den Milette erhalten, hatte ihr Gehirn geschwächt und sie zu jenem milden Wahnsinne geneigt gemacht, den man Monomanie nennt, und welche Monomanie sich gänzlich auf ihren Sohn concentrirte.

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06 aralık 2019
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