Kitabı oku: «Die Cabane und die Sennhütte», sayfa 14
Sie hatte sich Anfangs gefragt, ob es ihr nicht möglich sein würde, ihren Sohn zu umarmen, und sogleich war sie zu der Ueberzeugung gekommen, daß sie ihn würde zu sehen bekommen. Auch als sie an der Thüre des Gefängnisses geklingelt hatte, als diese Thüre sich vor ihr öffnete, überschritt sie die Schwelle mit solcher Zuversicht, daß der Portier, welcher herbeigelaufen kam, Gewalt anwenden mußte, um sie hinauszutreiben. Er sagte ihr, daß es mit einer Beglaubigung von dem Staatsanwalte erlaubt sei, die Gefangenen zu besuchen, aber da Marius in Einzelhaft sei, so könne ihm diese Gunst nicht bewilligt werden.
Milette hörte ihn nicht an, sie war mit der Betrachtung dieser schwarzen und dichten Mauern, dieser eisernen Thüren, dieser Gitter, dieser Ketten, dieser Riegel, dieser Bewaffneten, die vor der Thüre Wache hielten, beschäftigt; sie konnte nicht begreifen, daß dieser Luxus von Vorkehrungen angewendet wurde gegen ihren sanften und friedlichen Marius; diese Steinmaße erschien ihr als ein Grab, welches auf dem Körper ihres armen Kindes lastete. Sie schauderte, indem sie sie ansah.
Der Gefangenenwärter wiederholte, was er ihr eben gesagt hatte: sie hielt nicht an, aber sie verlor ihren Muth nicht.
»Ich werde warten,« sagte sie. Und sie überschritt die Straße und setzte sich auf das Pflaster, der Thüre gegenüber.
Milette brachte den Tag auf diesem Platze zu, unempfindlich für die Spöttereien der Vorübergehenden, so wie auch für den Regen, der von dem überhängenden Dache auf ihren Körper niederträufelte; sie antwortete nicht auf die Bemerkungen, die an sie gerichtet wurden hinsichtlich der Nutzlosigkeit ihrer Hoffnung, aufmerksam auf das geringste Geräusch achtend, welches hinter der ungeheuren schwarzen Thüre vorging, erbebend, wenn sie hörte, wie sie sich in ihren Angeln drehte, indem sie immer ihren Sohn erscheinen zu sehen glaubte, und bereit, ihm die Arme entgegenzutrecken durch diesen eisernen Rahmen.
So viele Beharrlichkeit und schmerzliche Resignation rührten endlich den Portier des Gefängnisses selbst, so gestählt er auch durch das tägliche Schauspiel des menschlichen Elends sein mochte.
Gegen Abend kam er aus seiner Wohnung hervor und näherte sich der armen Frau.
Diese glaubte, daß er sie holen wollte, und stieß ein Freudengeschrei aus.
»Meine gute Frau,« sagte der Gefangenwärter, »Sie können hier nicht bleiben.«
»Warum nicht?« antwortete Milette mit sanfter und trauriger Stimme. »Ich thue Niemandem etwas zu Leide.«
»Ohne Zweifel; aber durchnäßt, wie Sie es sind, können Sie die Nacht nicht draußen zubringen, ohne krank zu werden.«
»Um so besser! Gott wird ihm meine Leiden anrechnen.«
»Und dann, wenn die Patrouille Sie hier trifft, wird man Sie verhaften und ins Gefängniß werfen.«
»Zu ihm? Um so besser!«
»Nicht zu ihm; im Gegentheile, wenn eine Einzelhaft aufgehoben ist, können Sie ihn nicht sehen, denn man wird Sie selber als Landstreicherin festhalten.«
O! ich gehe schon, mein guter Herr, ich gehe schon; aber sagen Sie mir, werde ich ihn bald an mein Herz drücken können? Mein Gott! es scheint mir ein Jahrhundert, daß wir getrennt sind; aber es ist nicht auf sehr lange Zeit, nicht wahr, mein guter Herr? Für’s Erste ist er es nicht, der den Mord begangen. Er ist nicht fähig zu einem Verbrechen. Wenn Sie ihn gesehen haben, müssen Sie es sogleich denken. Ist er nicht schön, mein Sohn? Aber das ist jetzt Nichts; als er noch klein war, war er so sanft und so fromm! An einem Frohnleichnamsfeste hatte ich ihn als Johannes den Täufer gekleidet; es ist mir, als wäre es heute gewesen: wenn Sie wüßten, wie hübsch er war mit seinem Hammelfell und mit einem kleinen Kreuze von Holz, welches er auf der Schulter trug! Sie hätten schwören sollen, daß es ein Engel wäre, der aus dem Paradiese entflohen. Am Abend, als wir von der Procession zurückkehrten, begegnete uns ein Armer, der uns die Hand hinreichte; der Knabe hatte Nichts, um es hineinzulegen; er wagte nicht, mich darum zu bitten; Monsieur Coumbes führte mich am Arme. Als ich mich um wendete, war das Gesicht des lieben Kleinen in Thränen gebadet! Und er ist es, den man beschuldigt, das Blut eines Mitmenschen vergossen zu haben. Ist es möglich? Ich berufe mich auf Sie – wenn man ihn verurtheilt, kann ich ihn nicht überleben. Sie begreifen wohl, nicht wahr? Eine Mutter kann nicht nach ihrem Kinde leben. Die Richter sind gerecht, weil die Richter sind; sie werden nicht mit einem Schlage die Mutter und den Sohn treffen wollen. Sie werden ihn mir wiedergeben – nicht wahr, mein Herr, sie werden ihn mir wiedergeben ?«
Während sie so in Ausdrücken sprach, die ihre unterbrochene Aussprache noch unzusammenhängender machte, schüttelte der Gefangenwärter mit großem Geräusch das furchtbare Schlüsselbund, welches er an seinem Gürtel trug und fuhr mehrmals mit der Hand über seine Augen.
»Sie haben Grund zu hoffen, wackere Frau; die Hoffnung ist unserem Herzen eben so nothwendig, wie die Luft unserer Brust. Aber Sie müssen in Ihre Wohnung zurückkehren; Ihr Sohn befindet sich wohl.«
»Sie haben ihn gesehen?« rief Milette mit Lebhaftigkeit.
»Ohne Zweifel.«
»Und Sie werden ihn wiedersehen?«
»Wahrscheinlich.«
»O! wie glücklich sind Sie! Aber Sie können ihm sagen, daß ich da bin, ihm so nahe, wie es mir möglich ist. O! sagen Sie es ihm, ich beschwöre Sie; Sie werden zwei Unglückliche trösten, denn er liebt mich, mein Herr; er liebt mich, mein armer Sohn, eben so sehr, wie ich ihn selber liebe. Ich bin gewiß, daß seine größte Verzweiflung ist, von mir getrennt zu sein. Sie können ihm sagen, daß ich gekommen bin, daß ich alle Tage wiederkommen werde, bis Sie mir erlauben, dort einzutreten, wo er ist – mein Gott! Sie werden es ihm sagen, nicht wahr?«
»Ich verspreche es Ihnen unter der Bedingung, daß Sie sich ruhig und vernünftig entfernen.«
»O! ich gehe, mein guter Herr, ich gehe im Augenblick; aber Sie werden ihm sagen, daß ich heute an der Thüre eines Gefängnisses war, und alle Tage werde ich Ihren Namen in meinen Gebeten nennen!«
Milette ergriff die Hand des Gefangenenwärters, und ungeachtet der Anstrengungen, die dieser Mann machte, sie zurückzuziehen, führte sie sie zu ihren Lippen und entfernte sich rasch, nachdem sie noch einen Blick auf die düsteren Mauern geworfen, welche einschlossen, was ihr das Theuerte auf der Welt war.
Sie irrte lange in dem Labyrinthe der Straßen des alten Marseille umher; sie durchlief so die ganze Halbinsel, die sich zwischen dem alten Hafen und der Stelle befindet, wo man gegenwärtig die neuen Bassins construiert. Sie suchte weder Schutz noch Obdach; sie ging umher, um die Stunden hinzubringen, die sie von dem so lebhaft ersehnten folgenden Tage trennten, wo sie nicht zweifelte, ihre Hoffnungen in Erfüllung gehen zu sehen. In dem Augenblicke, als sie um die alte Halle bog und in eine der Gassen eintreten wollte, die sie umgeben, ging ein Mann von unruhigem und düsterem Wesen an ihr vorüber.
Der Anblick dieses Mannes machte auf Milette einen außerordentlichen Eindruck. Ihr Gesicht verlor plötzlich den Ausdruck melancholischer Verwirrung, den sie seit dem Unglück vom Tage zuvor zeigte; ihr Gesicht belebte sich; ihre Augen glänzten in der Dunkelheit, und zu gleicher Zeit wurde ihr Körper von einem krampfhaften Zittern bewegt. Sie beschleunigte ihren Schritt, so daß sie diesem Manne zuvorkam. Als Beide unter einer Laterne durchgingen, wendete sich Milette plötzlich um und sah sich dem verspäteten Wanderer gegenüber.
»Pierre Manas!« rief sie, indem sie sein Handgelenk ergriff.
Obgleich die Gasse völlig verlassen war, fühlte sich doch das Gewissen des Pierre Manas nicht ruhig genug, um zufrieden zu sein, seinen Namen mit so lauter Stimme aussprechen zu hören. Mit heftiger Bewegung versuchte er seinen Arm frei zu machen, um zu entfliehen; aber man hätte denken sollen, Miletten’s Finger hätten die Stärke eines Schraubstocks gehabt. Welche Anstrengung der Bandit auch machen mochte, er konnte seine Hand nicht dieser eisernen Hand entziehen, und die Mutter unseres Marius näherte ihr Gesicht dem ihres Mannes, bis sie nur zwei Linien von einander entfernt waren.
»Erkennst Du mich, Pierre Manas?« sagte Millette bebend.
Pierre Manas erblaßte und warf seinen Kopf mit Schrecken zurück.
»Ah! Du erkennst mich!« fuhr die arme Frau fort. »Nun, so gieb mir mein Kind wieder.«
»Dein Kind?« sagte Pierre Mamas mit Bestürzung.
»Ja, mein Kind, meinen Sohn Marius; gieb mir mein Kind wieder, welches sie mir anstatt Deiner weggeführt haben; gieb mir Marius wieder, der die Strafe für Dein Verbrechen erdulden soll. Du mußt mir ihn wiedergeben, hörst Du, Pierre Mamas ?«
»Ah! Hölle und Teufel! willst Du schweigen, oder —«
»Schweigen! Du wirst es doch nicht glauben,« versetzte Milette mit neuer Energie; »schweigen, während seine Hände mit Ketten belastet sind, die an den Deinigen sein sollten; während er gefangen ist und Du frei bist! Schweigen! – aber glaubst Du denn, daß ich nicht weiß, daß Du Mord und Diebstahl begangen hat? Gott stellt Dich mir zum zweiten Mal in den Weg, damit ich sehe, daß Du der Schuldige bist. Ich hatte Dich an demselben Abend wie ein Wolf unser Haus umschleichen sehen, und bei dem Geruch des Blutes, bei der Spur der Beute habe ich mir nicht zugerufen: »Er ist hier gegangen!« Ich war wahnsinnig.«
»Ich verstehe Dich nicht, ich weiß nicht, was Du sagen willst.« —
»Was liegt mir daran? Wenn die Richter nur überzeugt werden, daß Du es bist, der Monsieur Riouffe getödtet hat.«
»Monsieur Riouffe!«
»Und Marius hat sich nur denuncirt,« fuhr Milette fort, welcher ihr mütterlicher Instinct in diesem Momente einen wunderbaren Scharfblick verlieh, »weil er nicht einen Unschuldigen anklagen lassen und seinen Vater nicht dem Beile des Henkers ausliefern wollte.«
»Marius!« sagte Pierre Mamas, welcher zu begreifen begann. »Ist er nicht braun, schlank, mit schwarzem Schnurrbart?«
»Der, welcher bei mir war, als Du Dich gestern vor unserer Thüre einfandest.«
»Und, Hölle und Teufel!« versetzte der Bandit, dem es seit sehr langer Zeit nie an Zuversichtlichkeit fehlte, »das ist ein Bursche, der seinem Namen Ehre machen wird.«
»Denke über das Beispiel nach, welches er Dir giebt, Pierre.«
»Wahrhaftig, das will ich glauben! Ich fühle mich ganz stolz, ein Vater zu sein.«
»Oder vielmehr, folge diesem Beispiele; er ist Dein Sohn, wie er der meinige ist: laß Dich nicht von ihm an Muth und Großmuth besiegen. Der Himmel bietet Dir da eine Sühne an, die alle Deine Vergehungen wieder gut machen wird. Geh’ zu den Richtern, befreie unseren Sohn, und auch ich werde. Alles vergessen, was ich durch Dich habe leiden müssen, und wenn Gott mich auf der Erde läßt, so wird es sein, um für Deine Seele zu beten und Dein Andenken zu segnen.«
Pierre Manas kratzte sich den Kopf, zeigte aber keine Begeisterung für den Vorschlag, welchen Milette ihm eben machte.
»Ei,« sagte er, »Du machst mir Gänsehaut mit Deinen Bitten. Man muß nachdenken, ehe man sich entscheidet; ich thue Nichts unüberlegt.«
»Bedenke doch, daß er mit dem Schaffott bedroht ist; bedenke doch, daß er, um sich dieser Schmach zu entziehen, sein Leben verkürzen kann!«
»Der kleine Schwachkopf! er würde Unrecht thun,« versetzte Pierre Manas kalt, welcher einige Worte aus reinen Wörterbuche der Verbrecher einmischte; »er hat alle Formen eines Herrn,« fuhr er mit einer Art verächtlicher Ueberlegenheit fort, »und er kennt sein Gesetzbuch nicht. Er ist freilich hinüber geklettert; aber was auch der Staatsanwalt thun mag, die überlegte Absicht wird beseitigt, es finden mildernde Umstände statt; man »wird ihn auf die Galeeren schicken, das ist Alles.«
»Auf die Galeeren!« sagte Milette, die bei diesen schrecklichen Ausdrücken erschrak.
»Oder nach Toulon, wenn Dir das besser gefällt.« versetzte Pierre Manas; »oder wenn Du es noch nicht versteht, zu der Zwangsarbeit, wie die Bürger sagen.«
»Auf die Galeeren!« rief Milette.
»Nun ja, man sagt auch noch auf die Galeeren.«
»Aber die Galeeren sind schlimmer, als der Tod!«
»O! welche Thorheit; die Erfrorenen erhitzen sich nicht wieder, während diejenigen, welche die Handschellen tragen —«
»O!« rief Milette, indem sie ihr Gesicht zwischen den Händen verbarg.
»Sie eines Tages zu dem alten Eisen werfen; und der Beweis ist, daß ich hier bin.«
»O!« sagte wieder die arme Frau, ihrem Ausrufe noch mehr Ausdruck gebend und mehr Entsetzen zeigend, als bei dem ersten.
»Ohne zu rechnen,« fügte der ehemalige Sträfling hinzu, »daß, wenn er einmal dort ist, die Eigenschaft als mein Sohn weit entfernt sein wird, ihm zu schaden; ich will ihm das Paßwort schicken, und er wird wissen, woran er sich zu halten hat, um einen Cameraden zu finden, der ihm die kurze Leiter reicht: man hat eine Freunde in der Noth. Sei also ruhig, er wird dort nicht vermodern.«
»Auf die Galeeren! Mein Sohn auf die Galeeren!« rief Milette; »aber Du weißt nicht, Pierre, so groß auch meine Liebe zu ihm ist, will ich ihn doch lieber als todt beweinen, als über ihn erröthen. – Auf die Galeeren! Marius ein Galeeren-Sclave! Aber Du bist wahnsinnig geworden, Pierre!«
»Höre! komm morgen um dieselbe Stunde wieder; Du wirst mich in dieser Straße treffen; wir wollen sehen, was wir thun können.«
»Nein,« sagte entschlossen Milette, »ich habe kein Vertrauen zu Dir, Pierre; wenn Du ein Vaterherz hättest, würdest Du das auf morgen verschieben, was Du heute thun kannst, wenn er leidet, wenn er das Stroh, auf welches man ihn geworfen, mit seinen Thränen benetzt? Nein, nein; o! ich verlasse Dich nicht.«
Milette streckte die Hand aus, um die Blouse des Pierre Manas zu ergreifen; aber dieser beugte sich nieder, schlüpfte unter ihrem Arme durch, den sie ausstreckte, und übersprang mit einem Satze die Straße.
»Folge mir doch!« rief er.
So rasch und plötzlich die Flucht des Banditen gewesen, verzichtete Milette doch nicht darauf, ihn zu erreichen.
Sie überschritt die Straße mit eben so vieler Stärke, wie er entwickelt hatte, und da ihr mütterliches Gefühl ihr übernatürliche Kraft verlieh, folgte sie ihm in der Entfernung von einigen Schritten.
Im Laufen rief sie um Hilfe.
Pierre Manas wendete sich um.
»Ah! ich habe Dich,« rief Milette, indem sie sich an seine Kleider anklammerte; »glaube nicht, mir zu entfliehen, ich verlasse Dich nicht mehr, ich hänge mich an Dich an, wie Dein Schatten.«
Und bemerkend, daß der Elende die Hand gegen die aufhob, fuhr sie fort, indem sie ihm ihre Brust darbot:
»Stoße zu, stoße zu, ich fürchte Dich nicht mehr; tödte mich, wenn Du willst! Gott wird nicht wollen, daß der Unschuldige anstatt des Schuldigen umkomme, und aus meinem zuckenden und leblosen Körper wird sich eine Stimme erheben, welche wiederholen wird, wie ich es wiederhole: es ist Pierre Manas, der Galeeren-Sclave, der ein Dieb und Mörder ist; Pierre Manas ist es, welcher Monsieur Riouffe bestohlen und ermordet hat; es ist nicht mein Kind.«
Die Lage des Pierre Manas wurde kritisch.
Er befand sich vor einem der schwärzesten und schmutzigsten Häuser der verachtetsten Gassen, welche die Schande des alten Marseille bilden, in einer jener offenen Kloaken, wo unter dem abscheulichsten Schmutz ein Fünftel der Bevölkerung der phokäischen Stadt sich regt und wimmelt, entsetzliche Höhlen, vor welchen der Reisende mit Schrecken zurückweicht, indem er sich, ungeachtet des lebendigen Zeugnisses, welches seine Augen empfangen, fragt, ob Menschen sich entschließen können, in solchen Löchern zu vegetieren.
Diese Gruben von pestilenzialischem Schmutz, sind zugleich die Vorhölle aller Laster; sie dienen den Saturnalien der Matrosen zum Schauplatze; das Geheul der Trunkenheit, das Geräusch der Schläge, das Röcheln der Verwundeten sind hier herkömmlich; auch öffnete sich kein Fenster, kein Bewohner erschien in einer Thüre, ungeachtet Milettens Geschrei.
Aber die Polizei übt eine thätige Wachsamkeit über diese Quartiere aus, und eine Patrouille konnte kommen. Pierre Manas begriff wohl, daß seiner Sicherheit wegen, diese Scene sich nicht verlängern dürfe; eine große Hand umfaßte den unteren Theil des Gesichts seiner Frau und drückte ihr den Mund zusammen.
Milette setzte ihre Zähne in das Fleisch und biß mit wilder Wuth.
Ungeachtet des heftigen Schmerzes, den er empfand, zog Pierre Manas seine Hand nicht zurück; nur drückte er mit der anderen so kräftig die Kehle der Mutter unseres Marius zusammen, daß die Erstickung bald darauf folgte.
Dann fuhr er fort, ihr diesen blutigen Knebel auf den Mund zu drücken, er hob Milette mit dem Arme, der ihm noch frei blieb, und eilte mit seiner Last in den schwarzen und schmutzigen Gang eines der Häuser, von welchen wir eben gesprochen.
Er kam in einen so dunklen und engen Hof, daß er einem Brunnen glich. Dort, ohne Zweifel in einem Asyl sich befindend, wo er Nichts zu befürchten hatte, warf er, ohne sich um das Geräusch zu kümmern, welches er machte, seine Frau durch einen halb zerbrochenen Fensterrahmen, in gleicher Höhe mit dem Pflaster.
Was noch von Fensterscheiben übrig war, wurde zerschmettert, und Miletten’s lebloser Körper, einige verfaulte Bohlen einschlagend, fiel in eine Art Grube, die vermöge ihrer Lage unter dem Boden in Marseille für einen Keller gelten konnte.
Pierre Manas verschwand auf fünf Minuten; als er zurückkehrte, trug er eine Laterne und einen Schlüssel.
Er öffnete den Keller, stieg die Stufen hinunter, ließ das Schloß und die Riegel einer Thüre im Winkel dieses Kellers spielen, faßte Miletten’s Körper um die Schultern und schleppte ihn in die zweite Höhlung, welche diese Thüre schloß.
Milette machte keine Bewegung; Pierre Manas legte ihr die Hand auf die Brust und fühlte das Herz, welches noch schlug.
»Hölle und Teufel!« sagte er, »ich wußte wohl, daß ich nicht aus der Uebung gekommen; ich wollte nicht mehr, als zwei Tempo‘s ausführen. Teufel! man tödtet eine Frau nicht, wenn man sie nach einer Trennung von zwanzig Jahren wiederfindet. Wir wollen sehen, ob sie während dieser zwanzig Jahre gut für die Interessen des Haushalts gesorgt hat.«
Darauf stellte er seine Laterne neben Milettens Gesicht und begann die Taschen der armen Frau mit einer Geschicklichkeit umzukehren, welche eine alte Erfahrung zeigte.
Er fand Schlüssel und einiges Geld darin. Er warf verächtlich die Schlüssel auf den Boden, steckte das Geld in seine Tasche, verriegelte sorgfältig die Thüre des Verstecks, wo er sein Opfer zurückließ, und die des Kellers, stellte aus übergroßer Vorsicht einige Fässer vor das zerbrochene Fenster und ging, um seine Nacht in einer Schenke zu beenden.
Siebentes Kapitel
Pierre Manas scheint entschlossen, seiner väterlichen Liebe sein Vaterland zum Opfer zu bringen
Wir wollen Pierre Manas nicht in die Höhlen des Lasters folgen, wohin wir ihn haben gehen sehen. Unsere Feder hat selten, wenn nicht in der äußersten Nothwendigkeit, versucht, dergleichen Lokalitäten zu beschreiben, und nur mit großem Widerstreben ziehen wir aus der Finsterniß, welche ihr natürlicher Zufluchtsort zu sein scheint, einige von jenen entarteten Wesen, welche gegen die Gesellschaft einen strafbaren oder feindlichen Kampf unternommen haben. Wie wir haben sehen können, sind wir von der Nothwendigkeit unserer Erzählung dazu gezwungen worden. Aber auf die Gefahr hin, den Reiz des Malerischen und die Schönheit des Colorits zu verlieren, werden wir keiner unüberlegten Neugierde Vorschub leisten, indem wir in den folgenden Blättern Schilderungen der Sitten der modernen Gauner entwerfen; wir wollen das anatomische Tableau, worauf wir versuchen, einige Geheimnisse der menschlichen Seele darzustellen, nicht durch die Berührung mit dem schmutzigen Schlamm, der sich in dem socialen Hintergrunde anhäuft, verunreinigen.
Wir wollen also Pierre Manas verlassen und zu Milette zurückkehren.
Pierre Manas hatte sich nicht geirrt; sie war nicht todt; aber es verging eine ziemlich lange Zeit, ehe sie wieder zu sich kam.
Als die arme Frau die Augen wieder öffnete, befand sie sich in einer tiefen Dunkelheit. Vermöge einer natürlichen Bewegung richtete sie sich auf ihre Füße und berührte das Gewölbe mit ihrem Kopf.
Ihr erster Gedanke war nicht, daß sie selber lebendig in einer Art von Grab begraben, ihr erster Gedanke war, daß Marius im Gefängnisse sei.
Vielleicht war die Stunde gekommen, wo dieses Gefängniß sich für sie geöffnet hatte; vielleicht rief sie diese Stunde, ohne daß sie dieselbe benutzen konnte.
Ungeachtet der Finsterniß, die sie umgab, führte sie ihr Instinct zu der Thüre; sie versuchte die massiven Bohlen derselben zu erschüttern, sie wendete ihre Hände und Füße gegen das Holz an, sie zerriß ihre Nägel daran und rief Marius mit verzweifelter Stimme.
Aber Pierre Mamas hatte nicht vergebens auf die Festigkeit und Sicherheit des Gewölbes gerechnet, welches ihm für die einstand, von welcher ein Wort ihn zu Grunde richten konnte.
Die Thüre hielt sich gut gegen die wüthenden Anstrengungen der armen Frau, und ihr Geschrei wurde bei der Todesstille, die um sie her herrschte, nicht gehört.
Darauf gerieth sie in einen Anfall von Wuth, der an Wahnsinn grenzte. Sie rollte sich am Boden, die riß sich das Haar aus; sie zerfleischte sich die Brust, sie stieß mit dem Kopfe gegen die Mauer. Bald sprach sie den Namen ihres Sohnes Marius aus, indem sie den Himmel zum Zeugen nahm, daß es nicht ihre Schuld sei, wenn sie sich nicht bei ihm befinde, bald flehte sie ihren Henker in kläglichem Tone an und beschwor ihn, ihr ihren Sohn wiederzugeben.
Endlich, erschöpft, darniedergebrochen, vernichtet, blieb sie am Boden ausgestreckt liegen, indem ihre Verzweiflung sich nur durch ihr Schluchzen zu erkennen gab, welches in ein schmerzliches Schlucken überging.
Sie war zu diesem Zustande der Schwäche gelangt, als eine Klappe, die in dem oberen Theile der Thüre angebracht war, und die Milette nicht bemerkt hatte, sich plötzlich öffnete. Miletten’s Augen, die sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, unterschieden einen unbekannten Kopf, der sich gegen das Gitter legte, welches den inneren Theil der Klappe einnahm.
»Ah! wirst Du nicht bald schweigen, Närrin!« rief eine rauhe Stimme. »Hat die Lungen! Sie sind stärker, als ein Schmiedeblasebalg; das schreit vom Morgen bis zum Abend ohne Unterlaß.«
»Ah! mein Herr, mein Herr!« rief sie ihre Hände ringend.
»Nun, was willst Du ? Sprich!«
»Ich will Marius sehen, ich will Marius sehen; um des Himmelswillen lassen Sie mich Marius sehen!«
»Der Kerl ist glücklich, der so sehnlich gewünscht wird; da ich aber nicht beauftragt bin, Dich Marius sehen zu lassen, so kann ich Dich nur zu einer Sache auffordern, nämlich zu schweigen, oder wenn nicht, so will ich dem Cameraden sagen, der Dir Deine schmale Kost bringen wird, Dich zu lehren, wie man hier die Kinder einschläfert, die nicht artig sind.«
Hierauf schloß sich die Klappe wieder. Diese Erscheinung und diese unheimlichen Worte beunruhigten die arme Frau ein wenig, ohne sie einzuschüchtern. Dagegen hatte sie aus diesen Worten die Gewißheit geschöpft, daß sie nicht, wie sie einen Augenblick hätte fürchten können, von der Welt der Lebendigen getrennt sei, und daß sie diesen Sohn, für den sie bereit war, ihr Leben hinzugeben, noch wiederfinden könne. Uebrigens konnte der, welchen der Unbekannte den Cameraden nannte, nur Pierre Manas sein; sie würde ihn also wiedersehen, er würde ihr Speise bringen, er wollte also nicht, daß sie sterbe.
Wenn ihm also noch ein Rest von Mitleid für seine unglückliche Frau im Herzen übrig blieb, sollte es ihr nicht gelingen können, ihn zu rühren? Die Gedanken drängten sich von jetzt an in Folge der eben angestellten Betrachtung, wozu sie seit einigen Stunden unfähig gewesen. Sie dachte anfangs an eine Flucht; sie suchte sich Rechenschaft abzulegen von dem Orte, wo sie sich befand; sie durchsuchte ihn gänzlich und ersetzte das Gesicht durch den Tastsinn.
Dieser Ort war ein Gewölbe, welches etwa zwölf Fuß lang und sechs bis acht Fuß breit war, ohne Oeffnung, um Licht hereinzulassen, und ohne eine andere Oeffnung, durch welche die Luft eindringen konnte, als die Klappe, von der wir gesprochen. Ueberall, wohin sich die Hände der Gefangenen bewegten, fand sie nur die Mauer, die von Feuchtigkeit triefte, was hinlänglich andeutete, daß sie sich unter dem Boden befand. Ueberdies waren die Steine, welche diese Mauer bildeten, so groß, daß, wenn sie ihre Dicke nach ihrer Breite berechnete und es ihr auch wirklich gelänge, einen Stein zu lösen, es doch sehr unwahrscheinlich war, daß ihre Kräfte hinreichen würden, ihn aus seiner Oeffnung zu ziehen.
Sie setzte sich also tief niedergeschlagen und entmuthigt nieder; eine einzige Wahrscheinlichkeit blieb ihr übrig, nicht zu leben – was lag ihr am Leben? – sondern ihren Sohn wiederzufinden; diese Wahrscheinlichkeit bezog sich gänzlich auf Pierre Manas: er war es, welcher das Geschick unseres Marius in seinen Händen hielt. Dann stellte sich nach und nach, ungeachtet der tugendhaften Neigungen Miletten’s, ihr die Sache unter einem neuen Gesichtspunkte dar. Das Galeeren-Sclaven-Gefängniß, welches Pierre Manas unserem Marius in Aussicht gestellt hatte, erschien ihr von dem Augenblicke an, wo das Gefängniß den unschuldigen Marius zu einem Märtyrer machte, weniger schrecklich; wenigstens war er noch am Leben; im Gefängnisse konnte sie ihn wiedersehen; der rothe Rock des Galeeren-Sclaven, der dieses redliche Herz bedeckte, welches sich für seinen Vater geopfert hatte, erschien ihr weniger entsetzlich und weniger abstoßend. Sie warf sich vor, den Vater mit dem Sohne verwechselt zu haben, indem sie von dem Ersteren die erhabene Aufopferung forderte, wozu die Seele des Zweiten fähig gewesen war, und nach und nach stellten sich die Fehler, die sie während des Abends begangen hatte, nach einander ihrem Geiste dar.
Sie beschloß alles mögliche zu thun, um den Banditen zu rühren, anstatt ihn zu bedrohen, wie sie es gethan. Sie überlegte vorher, was sie ihm sagen wollte, wenn sie ihn wiedersehen sollte. Sie durchforschte alle Winkel ihres Herzens, um darin zu finden, was diese verhärtete Seele erweichen könnte; aber die Worte, die sie ganz leise bei ich selber aussprach, gaben nicht jenen mächtigen Schrei der Mutterliebe wieder, der von ihren Lippen gekommen und den sie wieder auszustoßen im Begriff war. Dieser Schrei ertönte in ihrem Innern und konnte nicht bis zu ihrem Munde gelangen; sie verzweifelte wegen dieser Unzulänglichkeit der menschlichen Sprache. Sie rief:
»Das ist es nicht! Das ist es nicht!« Und sie begann dasselbe Thema, indem sie ihm eine neue Form zu geben versuchte.
Endlich ertönten schwere Fußtritte in dem Keller; alles Blut Milettens floß zu ihrem Herzen zurück, ihr Athem stockte: der Verurtheilte, der den Henker hört, zittert nicht mehr, als die arme Frau.
Pierre Mamas seinerseits – denn er war es – Pierre Manas, wenn sie ihn hätte sehen können, würde ihr unruhig und sorgenvoll erschienen sein. Und in der That hatten diese Unruhe und diese Sorgen ihren Grund.
Der Besitzer der Gaunerherberge, in welcher er logierte, und wozu das Gewölbe gehörte, worin er sein Opfer untergebracht, hatte ihm unumwunden erklärt, daß er sie nicht länger bei sich behalten wollte; das Verbrechen der Beschlagnahme war von dem Strafgesetzbuche vorhergesehen worden. Er hatte hinzugefügt, daß er um so weniger wolle, daß ein Mord in einem Hause begangen werde. Pierre Manas war nahe daran, zu bedauern, daß er nicht bis zum dritten Tempo der Strangulierung gegangen sei, und gezeigt habe, was er selber als Schwäche bezeichnete.
Er trat also sehr gedankenvoll in das Gewölbe ein, schloß sorgfältig die Thüre, stellte in einen Winkel einen Krug mit Wasser und ein Stück schwarzes Brod, welches er auf alle Fälle und um eine guten Absichten zu beweisen, mit sich genommen hatte, und hielt sich aufrecht an die Mauer gelehnt.
»Nun,« sagte er, »Du hast Dich endlich entschlossen zu schweigen, wie es scheint? Es versteht sich von selbst, daß Du wohl gethan, ja zum Henker!«
Die arme Frau schleppte sich zu der Stelle hin, woher die Stimme kam, und umfaßte die Kniee ihres Mannes. —
»Pierre,« sagte sie im Tone des sanften Vorwurfs zu ihm, und als hätte sie den Charakter dessen vergessen, mit dem sie sprach; »Pierre, Du hast mich diese Nacht sehr übel behandelt, und warum das? Weil ich das arme Kind, welches ich von Dir habe, so sehr wie mein Leben liebe.«
»Aber Hölle und Teufel! ich werfe Dir nicht vor, daß Du ihn so sehr liebt, wie Dein Leben, sondern daß Du ihn mehr liebst, als das meine!« antwortete Pierre spottend, obgleich er übrigens sichtlich bezaubert war von dem Entschlusse, zu welchem die unglückliche Frau gekommen war, und welcher ihm erlaubte, die Wünsche des Besitzers dieser entsetzlichen Wohnung zu erfüllen.
»Ich will nicht mehr von der Aufopferung Deines Lebens mit Dir sprechen, Pierre; eine Mutter träumt wohl von solchen Dingen. Ich war wahnsinnig, siehst Du; diese Verhaftung, dieser Kerker, wo Marius eingeschlossen ist, dies Alles hat gemacht, daß ich den Kopf verloren. Ich dachte, daß Du glücklich sein würdest, wie ich es an Deiner Stelle sein würde, Deinen Sohn um den Preis Deines Blutes zu retten. Du darfst deshalb nicht böse sein, ich hatte vergessen, daß eine Mutter auf ihre Weise liebt und ein Vater auf die seine; aber Deinerseits mußt Du mir Eins versprechen, Pierre, daß Du mich nicht in dieser Höhle begraben willst, und daß ich lebendig wieder herauskommen soll.«
»Ah! Du hast Furcht, wie es scheint; Du zeigtest Dich doch eben noch so tapfer.«
»O ja, ich habe Furcht; aber nicht meinetwegen, das schwöre ich Dir zu, nur des armen Jungen wegen habe ich Furcht. Denke nur, Pierre, wenn ich todt wäre, hätte er Niemand mehr, um ihn zu trösten, seine Schmerzen zu theilen und ihm zu helfen, die Last seiner Ketten zu tragen. O! ich beschwöre Dich, Pierre, beraube unser Kind nicht der Zärtlichkeit seiner Mutter, deren er gegenwärtig so sehr bedarf. Laß mich zu ihm zurückkehren.«
»Ich sollte Dich laufen lassen, damit Du mich anklagtest, und wenn man erst Pierre Mamas hätte, von dem Du gewiß gern befreit wärest, Du mit dem Kleinen über ihn spotten könntest? Ah! Du hältst mich für einen Anderen, meine Gute!«
»Bei dem Kreuze unseres Erlösers, bei dem Haupte unseres Kindes schwöre ich Dir, Dich nicht anzuzeigen, Pierre – ich lege Dir meinen heiligen Eid ab.«