Kitabı oku: «Die drei Musketiere», sayfa 49
XXXI
Der Mann mit dem rothen Mantel
Die Verzweiflung von Athos hatte einem tiefen innern Schmerz Platz gemacht, der die glänzenden Eigenschaften dieses Mannes noch leuchtender hervortreten ließ.
Nur mit einem Gedanken beschäftigt, nämlich an das Versprechen, das er geleistet, und an die Verantwortlichkeit, die er übernommen hatte, zog er sich zuletzt in sein Zimmer zurück, bat den Wirth, ihm eine Karte von der Gegend zu verschaffen, beugte sich über diese, betrachtete die auf derselben gezogenen Linien, fand, daß vier verschiedene Wege von Bethune nach Armentières führten, und ließ die Bedienten rufen.
Planchet, Grimaud, Mousqueton und Bazin erschienen und erhielten klare, pünktliche und ernste Befehle von Athos. Sie sollten mit Tagesanbruch abgehen und sich jeder auf einem andern Wege nach Armentières begeben. Planchet, der Gescheiteste von allen, sollte denselben einschlagen, welchen, von den Bedienten von Rochefort begleitet, der Wagen verfolgt hatte, auf den die drei Freunde schossen.
Athos ließ die Bedienten zuerst ins Feld rücken, einmal weil er, seitdem diese Leute in seinem und seiner Freunde Dienst standen, bei jedem von ihnen verschiedenartige und wesentliche Eigenschaften erkannt hatte, und dann, weil Bedienten, wenn sie sich nach etwas erkundigen, den Bauern weniger Mißtrauen einflößen, als ihre Herren, und mehr Sympathie bei denjenigen finden, an welche sie sich wenden. Endlich kannte auch Mylady die Herren, während ihr die Knechte fremd waren.
Alle vier sollten sich am andern Tag um elf Uhr an einem bezeichneten Orte einfinden. Wenn sie den Aufenthalt Myladys entdeckt hätten, sollten drei zu ihrer Bewachung zurückbleiben, der vierte aber sollte wieder nach Bethune kommen, um Athos Kunde zu geben und den drei Freunden als Führer zu dienen.
Als diese Anordnungen getroffen waren, gingen auch die Bedienten schlafen.
Athos erhob sich nun von seinem Stuhl, gürtete sein Schwert um, hüllte sich in seinen Mantel und verließ die Herberge; es war zehn Uhr, um zehn Uhr finden sich bekanntlich in der Provinz nur selten Menschen auf den Straßen. Athos aber suchte offenbar irgend Jemand, an den er eine Frage richten könnte. Endlich ging ein Verspäteter vorüber, er näherte sich ihm und sagte einige Worte. Der Mann, an den er sich wandte, wich erschrocken zurück; er beantwortete jedoch die Frage des Musketiers durch ein Deuten. Athos bot diesem Menschen eine halbe Pistole, wenn er ihn begleiten würde, aber er schlug es aus.
Athos wandte sich nach einer Straße, die ihm der Befragte mit dem Finger bezeichnet hatte, aber als er auf einen Kreuzweg gelangte, gerieth er abermals in eine sichtbare Verlegenheit. Da er jedoch auf diesem Kreuzweg mehr als irgendwo einem Menschen zu begegnen hoffen durfte, so blieb er stille stehen. Bald kam auch wirklich ein Nachtwächter. Athos wiederholte die Frage, die er bereits an die erste Person, die er getroffen, gerichtet hatte. Der Nachtwächter gab denselben Schrecken kund, weigerte sich ebenfalls, Athos zu begleiten, und zeigte ihm mit der Hand den Weg, den er einzuschlagen hatte.
Athos ging in der ihm angegebenen Richtung vorwärts und erreichte die am entgegengesetzten Ende liegende Vorstadt. Hier schien er abermals unruhig und verlegen und stand zum dritten Male still.
Zum Glück kam ein Bettler vorüber, der sich Athos näherte und ihn um ein Almosen bat. Athos bot ihm einen Thaler an, wenn er ihn begleiten würde. Der Bettler zögerte einen Moment, aber beim Anblick des in der Dunkelheit schimmernden Geldstückes entschloß er sich und marschirte Athos voraus.
Als sie die Ecke einer Straße erreicht hatten, zeigte er ihm von ferne ein kleines, einsam gelegenes düsteres Haus. Athos eilte auf dasselbe zu, während der Bettler, nachdem er seine Belohnung erhalten hatte, aus Leibeskräften davonlief.
Athos ging rings um das Haus, ehe er die Thüre unter der rothen Farbe unterscheiden konnte, mit der es angemalt war. Kein Licht schien durch die Spalten der Fensterläden, kein Geräusch ließ vermuthen, daß es bewohnt wurde; es war stumm und traurig wie ein Grab.
Athos klopfte dreimal, ohne daß man antwortete; bei dem dritten Schlag näherten sich im Innern Tritte, die Thüre öffnete sich halb, und ein Mann von hohem Wuchse, bleicher Gesichtsfarbe, schwarzen Haaren und schwarzem Barte erschien.
Athos und er wechselten einige Worte mit leiser Stimme, dann machte der Mann von hohem Wuchse dem Musketiere ein Zeichen, daß er eintreten könne. Athos benützte sogleich diese Erlaubniß und die Thüre schloß sich hinter ihm.
Der Mann, den Athos in so großer Entfernung aufgesucht und nur mit Mühe gefunden hatte, ließ ihn in ein Laboratorium eintreten, wo er eben daran arbeitete, die klappernden Knochen eines Skelets mit Eisendraht an einander zu befestigen. Der ganze Körper war bereits zusammengefügt, nur der Kopf allein lag noch auf dem Tische.
Alles übrige Geräthe deutete an, daß der Mann, bei dem man sich befand, sich mit den Naturwissenschaften beschäftigte; es waren hier gläserne Gefäße voll von Schlangen mit Aufschriften nach den Gattungen, getrocknete Eidechsen glänzend wie Smaragde in großen Rahmen von Holz; Bündel von wildwachsenden, wohlriechenden Kräutern, ohne Zweifel mit Eigenschaften und Kräften ausgerüstet, die dem großen Haufen unbekannt waren, hingen an der Decke und in den Ecken der Stube.
Keine Familie, kein Gesinde war zu bemerken; der Mann von hohem Wuchse bewohnte das Haus allein.
Athos warf einen kalten, gleichgültigen Blick auf alle diese Gegenstände und setzte sich auf die Einladung des Mannes, den er aufgesucht hatte, zu diesem.
Er erklärte ihm die Ursache seiner Erscheinung und den Dienst, den er von ihm forderte; aber kaum hatte er ihm sein Verlangen auseinandergesetzt, als der Unbekannte, der vor dem Musketier stehen geblieben war, voll Schrecken zurückwich und Gehorsam verweigerte. Athos zog aus seiner Tasche ein kleines Papier, auf welches zwei mit einer Unterschrift uns einem Siegel versehene Zeilen geschrieben waren, und bot es demjenigen dar, welcher zu frühzeitig Zeichen des Widerstrebens kundgab. Der Mann von hohem Wuchse hatte kaum diese zwei Zeilen gelesen, die Unterschrift gesehen und das Siegel erkannt, als er sich verbeugte, zum Beweise, daß er keine Einwendung mehr zu machen habe und zu gehorchen bereit sei.
Athos verlangte nicht mehr, stand auf, verließ das Haus, ging auf demselben Wege, auf dem er gekommen war, wieder durch die Straßen, kehrte in das Hotel zurück und schloß sich in seinem Zimmer ein.
Mit Tagesanbruch trat d'Artagnan bei ihm ein und fragte, was zu thun sei.
»Warten,« antwortete Athos.
Einige Augenblicke nachher ließ die Aebtissin des Klosters die Musketiere benachrichtigen, daß die Beerdigung des Opfers von Mylady um die Mittagsstunde stattfinden solle. Von der Giftmischerin hatte man keine Kunde. Nur wußte man, daß sie durch den Garten entflohen war, man hatte auf dem Boden die Spur ihrer Tritte erkannt und die Thüre wieder geschlossen gefunden; der Schlüssel war verschwunden.
Zur bezeichneten Stunde begaben sich Lord Winter und die vier Freunde in das Kloster, alle Glocken wurden geläutet, die Kapelle war geöffnet, nur das Gitter des Chors war geschlossen. Mitten im Chor war der Leichnam des Opfers in seinen Novizenkleidern ausgestellt. Auf jeder Seite des Chors und hinter dem Gitter war die ganze Gemeinde der Karmeliterinnen versammelt, welche von hier aus den Gottesdienst hörte und ihren Gesang mit dem Gesänge des Priesters vermischte, ohne die Laien zu sehen und von ihnen gesehen zu werden.
An der Thüre der Kapelle fühlte d'Artagnan, daß ihn der Muth abermals verließ; er wandte sich, um Athos zu suchen; aber Athos war verschwunden.
Seiner Rachesendung getreu, hatte sich Athos in den Garten führen lassen, folgte auf dem Sande den leichten Tritten der Frau, von der überall, wo sie erschien, eine blutige Spur zurückblieb, gelangte bis zu der Thüre, öffnete diese und drang in den Wald.
Alle seine Zweifel wurden nun beseitigt: der Weg auf welchem der Wagen verschwunden war, lief um den Wald. Athos folgte diesem Wege eine Zeit lang, die Augen auf den Boden geheftet: leichte Blutspuren, welche entweder von einer Verwundung des Mannes, der den Wagen als Curier begleitete, oder von einem verwundeten Pferd herrührten, besprenkelten den Weg. Nach ungefähr einer Dreiviertelsmeile, fünfzig Schritte von Festubert entfernt, erschien ein größerer Blutfleck; der Boden war von den Pferden vertreten. Zwischen dem Walde und dieser verrätherischen Stelle, etwas hinter der vertretenen Erde, fand man dieselbe Spur von kleinen Tritten: der Wagen hatte stille gehalten.
Hier hatte Mylady den Wald verlassen und war in den Wagen gestiegen.
Befriedigt durch diese Entdeckung, welche alle seine Vermuthungen bestätigte, kehrte Athos in das Gasthaus zurück, wo er Planchet fand, der ungeduldig seiner harrte.
Alles war, wie es Athos vorhergesehen hatte.
Planchet hatte seinen Weg verfolgt und wie Athos die Blutspuren bemerkt, wie Athos hatte er die Stelle erkannt, wo die Pferde anhielten; aber er war weiter gegangen, als Athos, und hatte im Dorfe Festubert, im Wirthshause trinkend, ohne viel fragen zu müssen, erfahren, daß um halb neun Uhr am Abend vorher ein verwundeter Mann, der eine in einer Postchaise reisende Dame begleitete, habe einkehren müssen, weil ihm seine Schmerzen das Weiterreisen nicht gestatteten. Der Unfall war auf Rechnung von Räubern gesetzt worden, welche den Wagen im Walde angehalten haben sollten. Der Mann war im Dorfe zurückgeblieben, die Frau hatte frische Pferde genommen und ihre Reise fortgesetzt.
Planchet suchte den Postillon auf und fand ihn auch. Er hatte die Dame bis Fromelles geführt und von Fromelles war sie nach Armentières gereist. Planchet schlug einen Seitenweg ein, und erreichte Armentières um 8 Uhr Morgens. Es war hier nur ein Wirthshaus, das zur Post. Planchet gab sich für einen Lakai ohne Stelle aus, der einen Herrn suche. Er hatte noch keine zehn Minuten mit den Leuten vom Hause gesprochen, als er bereits wußte, daß um elf Uhr Abends eine Frau ganz allein angekommen war, ein Zimmer genommen, den Wirth gerufen und diesem gesagt hatte, sie wünsche einige Zeit in der Gegend zu bleiben.
Planchet brauchte nicht mehr zu wissen. Er lief nach dem zum Zusammentreffen bestimmten Ort, fand die drei Lakaien pünktlich auf ihrem Posten, stellte sie als Schildwachen vor alle Ausgänge des Gasthauses und kehrte zu Athos zurück, der gerade die letzte Meldung von Planchet angehört hatte, als seine Freunde wieder erschienen.
Auf allen Gesichtern waren finstere Wolken gelagert, selbst auf dem sanften Antlitz von Aramis.
»Was soll geschehen?« fragte d'Artagnan.
»Warten,« antwortete Athos.
Jeder zog sich in sein Zimmer zurück.
Abends um acht Uhr gab Athos Befehl, die Pferde zu satteln und Lord Winter und seine Freunde zu benachrichtigen, sie möchten sich zu dem Zuge bereit halten.
In einem Augenblick waren alle fünf fertig. Jeder untersuchte seine Waffen und setzte sie in gehörigen Stand. Athos ging zuletzt hinab und fand d'Artagnan bereits ungeduldig zu Pferde.
»Geduld, d'Artagnan,« sprach Athos, »es fehlt noch Einer.«
Die vier Freunde schauten erstaunt um sich her, denn sie besannen sich vergeblich, wer der Eine sein möge, der noch fehlen sollte.
In diesem Augenblick führte Planchet das Pferd von Athos herbei. Der Musketier sprang leicht in den Sattel.
»Wartet auf mich,« sagte er, »ich komme sogleich.«
Und er sprengte im Galopp davon.
Eine Viertelstunde nachher kam er wirklich in Begleitung eines maskierten und in einen großen rothen Mantel gehüllten Mannes zurück.
Lord Winter und die drei Musketiere fragten sich gegenseitig mit den Blicken. Keiner von ihnen konnte die Andern belehren, denn sie wußten insgesammt nicht, wer dieser Mann war. Sie dachten jedoch, es müsse so sein, da es auf Befehl von Athos geschah.
Um neun Uhr setzte sich die kleine Reitertruppe, von Planchet geführt, in Marsch und schlug den Weg ein, den der Wagen verfolgt hatte.
Sie boten einen traurigen Anblick, die sechs Männer, welche in der Stille hinritten, jeder in seine Gedanken vertieft, düster wie die Verzweiflung, ernst wie die Strafe.
XXXII.
Das Gericht
Es war eine stürmische, finstere Nacht. Schwere Wolken jagten am Himmel hin und verschleierten den Glanz der Gestirne; der Mond sollte erst um Mittemacht aufgehen. Zuweilen gewahrte man beim Schimmer eines Blitzes, der am Horizont zuckte, die Straße, wie sie sich weiß und einsam entrollte. Erlosch der Blitz, so trat wieder dieselbe Finsterniß ein.
Jeden Augenblick rief Athos d'Artagnan zu, der stets an der Spitze der kleinen Truppe ritt, und nöthigte ihn, in sein Glied zurückzukehren, das er nach einem Augenblick abermals verließ. Er hatte nur einen Gedanken, nämlich vorwärts zu kommen, und es drängte ihn. Man zog in der Stille durch das Dorf Festubert, wo der verwundete Bediente zurückgeblieben war, und dann längs dem Dorfe Richebourg. In Herlier angelangt, wandte sich Planchet, der den Zug stets anführte, nach links.
Wiederholt hatten es Lord Winter, Porthos oder Aramis versucht, den Mann mit dem rothen Mantel anzureden, aber auf jede Frage, die man an ihn richtete, verneigte er sich, ohne zu antworten. Die Reisenden begriffen sodann, daß der Unbekannte sein Stillschweigen aus triftigen Gründen beobachtete, und hörten auf, ihn auszuforschen.
Ueberdies nahm das Gewitter immer mehr zu, die Blitze folgten sich rascher, der Donner fing an zu rollen, und der Wind der Vorläufer des Orkans, pfiff durch die Federn und Haare der Reiter.
Die Reitertruppe schlug einen Trab an.
Jenseits Fromelles kam der Sturm zum Ausbruch. Man zog die Mäntel an. Es waren noch drei Meilen zurückzulegen, man machte sie unter Strömen von Regen. D'Artagnan hatte seinen Hut abgenommen und den Mantel nicht angezogen. Es war ihm eine Erquickung, das Wasser über seine glühende Stirne und seinen von Fieberschauern geschüttelten Körper rinnen zu lassen.
Im Augenblick, nachdem die kleine Truppe durch Goscal geritten war und sich vor der Post befand, machte sich ein an einen Baum gelehnter Mann von dem Stamme los, wo man ihn in der Dunkelheit nicht erkannt hatte, und trat, seinen Finger auf die Lippen legend, bis an die Mitte der Straße vor.
Athos erkannte Grimaud.
»Was gibt es?« rief d'Artagnan. »Sollte sie Armentières verlassen haben?«
Grimaud machte mit dem Kopfe ein bejahendes Zeichen. D'Artagnan knirschte mit den Zähnen.
»Stille, d'Artagnan!« sprach Athos, »ich habe Alles übernommen, und es ist folglich meine Sache, Grimaud zu befragen.«
»Wo ist sie?« fragte Athos.
Grimaud streckte die Hand in der Richtung der Lys aus.
»Fern von hier?«
Grimaud zeigte seinem Herrn einen gebogenen Finger.
»Allein?«
Grimaud bejahte durch ein Zeichen.
»Meine Herren,« sagte Athos, »sie ist eine halbe Meile von hier, in der Richtung des Flusses.«
»Gut,« sprach d'Artagnan; »führe uns, Grimaud.«
Grimaud ging querfeldein und diente der Cavalcade als Führer.
Nach ungefähr fünfhundert Schritten fand man einen Bach, den man durchwatete.
Beim Schimmer eines Blitzes gewahrte man das Dorf Erquinheim.
»Ist es hier?« fragte d'Artagnan.
Grimaud schüttelte verneinend den Kopf.
»Stille also,« sprach Athos.
Und die Truppe setzte ihren Weg fort.
Ein anderer Blitz leuchtete. Grimaud streckte den Arm aus, und bei dem bläulichen Schein unterschied man ein kleines, einzeln stehendes Haus am Rande des Flusses, hundert Schritte von einer Fähre.
Ein Fenster war erhellt.
»Wir sind an Ort und Stelle,« sprach Athos.
In diesem Augenblick erhob sich ein in einem Graben liegender Mann: es war Mousqueton. Er deutete mit dem Finger nach dem erleuchteten Fenster.
»Sie ist hier,« sagte er.
»Und Bazin?« fragte Athos.
»Während ich das Fenster bewachte, bewachte er die Thüre.«
»Gut,« sagte Athos, »Ihr seid Alle getreue Diener.«
Athos sprang von seinem Pferde, dessen Zügel er Grimaud überließ, und ging auf das Fenster zu, nachdem er den übrigen Mitgliedern seiner Truppe durch ein Zeichen angedeutet hatte, sie möchten sich nach der Thüre wenden.
Das kleine Haus war von einer lebendigen, zwei bis drei Fuß hohen Hecke umgeben. Athos sprang über die Hecke und gelangte bis zu dem Fenster, das der Läden entbehrte, dessen Halbvorhänge aber sorgfältig zugezogen waren.
Er stieg auf die steinerne Randleiste, damit sein Auge über die Höhe der Vorhänge reichen möchte.
Beim Schimmer einer Lampe sah er eine in einen dunkelfarbigen Mantel gehüllte Frau auf einem Schemel in der Nähe eines erlöschenden Feuers sitzen.
Sie stützte ihren Ellenbogen auf einen schlechten Tisch und hatte ihren Kopf in ihre elfenbeinweiße Hände gelegt.
Man konnte ihr Gesicht nicht unterscheiden, aber ein finsteres Lächeln zog über die Lippen von Athos. Es war keine Täuschung möglich. Er sah diejenige, welche er suchte.
In diesem Augenblick wieherte ein Pferd. Mylady schaute empor, erblickte dicht vor dem Fenster das bleiche Antlitz von Athos und stieß einen Schrei aus.
Athos begriff, daß sie ihn erkannt hatte, stieß mit dem Knie und der Hand an das Fenster, dieses gab nach, die Scheiben zerbrachen und Athos sprang, dem Gespenst der Rache ähnlich, in das Zimmer.
Mylady lief nach der Thür und öffnete sie. Noch bleicher, noch drohender als Athos, stand d'Artagnan auf der Schwelle.
Mylady wich kreischend zurück. D'Artagnan glaubte, sie habe ein Mittel zu entfliehen, und zog, ihr Entkommen befürchtend, eine Pistole aus seinem Gürtel. Aber Athos hob die Hand und sprach:
»Stecke die Waffe wieder an ihren Ort, d'Artagnan. Diese Frau soll gerichtet und nicht ermordet werden. Warte noch einen Augenblick, d'Artagnan, und Du sollst befriedigt sein. Tretet ein, meine Herren.«
D'Artagnan gehorchte, denn Athos hatte die feierliche Stimme und die mächtige Geberde eines vom Herrn im Himmel abgesandten Richters. Hinter d'Artagnan traten Porthos, Aramis, Lord Winter und der Mann im rothen Mantel ein.
Die vier Lakaien bewachten die Thüre und das Fenster.
Mylady war auf ihren Sitz zurückgesunken und streckte die Hände aus, als wollte sie diese furchtbare Erscheinung beschwören. Als sie ihren Schwager erblickte, stieß sie einen gräßlichen Schrei aus.
»Was verlangt Ihr?« rief Mylady.
»Wir verlangen,« antwortete Athos, »Anna von Breuil, die sich Anfangs Gräfin de la Fère und sodann Lady Winter, Baronin von Sheffield genannt hat.«
»Ich bin es,« murmelte sie in höchster Bestürzung. »Was wollt Ihr von mir?«
»Wir wollen Euch richten nach Euren Verbrechen,« sagte Athos. »Es steht Euch frei, Euch zu vertheidigen; rechtfertigt Euch, wenn Ihr könnt. Herr d'Artagnan, Euch kommt die erste Anklage zu.«
D'Artagnan schritt vor und sprach:
»Vor Gott und den Menschen klage ich diese Frau an, Constance Bonacieux, welche gestern Abend verschieden ist, vergiftet zu haben.«
Er wandte sich gegen Porthos und Aramis um.
»Wir bezeugen es,« sagten mit einer Bewegung die zwei Musketiere. D'Artagnan fuhr fort:
»Vor Gott und den Menschen klage ich diese Frau darüber an, daß sie mich mit dem Weine vergiften wollte, den sie mir von Villeroy mit einem falschen Briefe zuschickte, als ob der Wein von meinen Freunden käme. Gott hat mich gerettet, aber ein Mann, Namens Baisemout, ist statt meiner gestorben.«
»Wir bezeugen es,« sagten einstimmig Porthos und Aramis.
»Vor Gott und den Menschen,« sprach d'Artagnan weiter, »klage ich diese Frau an, mich zur Ermordung des Grafen von Wardes angereizt zu haben, und da Niemand hier ist, um die Wahrheit dieser Beschuldigung zu bezeugen, so bezeuge ich sie. Ich habe es gesagt.«
Nach diesen Worten trat d'Artagnan mit Porthos und Aramis auf die andere Seite des Zimmers.
»An Euch, Mylord,« sagte Athos.
Der Baron trat ebenfalls vor und sprach:
»Vor Gott und den Menschen klage ich diese Frau darüber an, daß sie den Herzog von Buckingham ermorden ließ.«
»Der Herzog von Buckingham ermordet!« riefen alle Anwesenden wie aus einem Munde.
»Ja,« erwiderte der Baron, »ermordet! Auf Euer warnendes Schreiben hin ließ ich diese Frau verhaften und übergab sie einem redlichen Diener zur Bewachung. Sie verführte diesen Menschen, drückte ihm den Dolch in die Hand, hieß ihn den Herzog ermorden, und in diesem Augenblick bezahlt Felton vielleicht mit seinem Kopfe das Verbrechen dieser Furie.«
Ein Schauer durchlief die Richter bei der Enthüllung dieser noch unbekannten Verbrechen.
»Das ist noch nicht Alles,« versetzte Lord Winter. »Mein Bruder, der Euch zu seiner Erbin eingesetzt hatte, ist in drei Stunden an einer seltsamen Krankheit gestorben, welche auf dem ganzen Körper schwarzblaue Flecken zurückläßt. Meine Schwester, wie ist Euer Gatte gestorben?«
»Gräulich!« riefen Porthos und Aramis.
»Mörderin Buckinghams! Mörderin Feltons! Mörderin meines Bruders! ich verlange Gerechtigkeit von Euch, und wenn sie mir nicht gegeben wird, so werde ich sie mir selbst nehmen!«
Und Lord Winter stellte sich neben d'Artagnan und ließ den Platz für einen andern Ankläger frei.
Myladys Stirne sank in ihre beiden Hände, sie suchte ihre durch einen tödtlichen Schwindel verwirrten Gedanken zu entwirren.
»Nun ist es an mir,« sprach Athos selbst, indem er zitterte, wie ein Löwe beim Anblick einer Schlange zittert, »nun ist es an mir. Ich heirathete diese Frau, als sie noch ein junges Mädchen war; ich heirathete sie wider den Willen meiner Familie; ich übergab ihr mein Vermögen, ich gab ihr meine Hand, und eines Tages bemerkte ich, daß diese Frau gebrandmarkt war. Diese Frau trug das Brandmal einer Lilie auf der linken Schulter.«
»Oh!« rief Mylady, sich erhebend, »ich fordere Euch auf, das Tribunal, welches diesen schändlichen Spruch über mich verhängt hat, aufzufinden. Ich fordere Euch auf, denjenigen, welcher ihn vollstreckte, zu finden.«
»Stille!« ließ sich eine Stimme vernehmen, »dies zu beantworten kommt mir zu!«
Und der Mann im rothen Mantel trat ebenfalls näher.
»Wer ist dieser Mann? wer ist dieser Mann?« rief durch den Schrecken niedergeschmettert Mylady, deren Haare sich lösten und auf dem leichenblassen Haupte empor starrten, als ob sie lebendig gewesen wären.
Aller Augen wandten sich nach diesem Manne, denn mit Ausnahme von Athos war er allen unbekannt. Doch auch Athos schaute ihn mit eben so großer Verwunderung an, wie die Andern; er wußte nicht, wie derselbe im Zusammenhang mit dem furchtbaren Drama stehen konnte, das sich in diesem Augenblicke entwickelte.
Nachdem der Unbekannte sich langsam und feierlich Mylady genähert hatte, so daß ihn nur noch der Tisch von ihr trennte, nahm er seine Maske ab.
Mylady schaute einige Zeit mit allen Zeichen wachsenden Schreckens das bleiche, mit schwarzen Haaren und schwarzem Bart umgebene Gesicht an, dessen einziger Ausdruck eine eisige Unempfindlichkeit war. Dann rief sie plötzlich aufstehend und bis an die Wand zurückweichend:
»Oh! nein, nein, nein! Das ist eine höllische Erscheinung! Er ist es nicht! Zu Hilfe, zu Hilfe!« schrie sie mit rauher Stimme, und wandte sich nach der Wand um, als ob sie sich mit ihren Händen einen freien Durchgang hätte öffnen können.
»Aber wer seid Ihr denn?« riefen alle Zeugen dieser Scene. »Fragt diese Frau,« antwortete der Mann mit dem rothen Mantel; »denn Ihr seht wohl, daß sie mich wieder erkannt hat.«
»Der Henker von Lille! der Henker von Lille!« rief Mylady, von wahnsinnigem Schrecken erfaßt und sich mit den Händen an die Wand klammernd, um nicht zu fallen.
Alle Anwesenden wichen zurück und der Mann im rothen Mantel stand allein mitten in der Stube.
»Oh! Gnade! Barmherzigkeit!« rief die Elende, auf die Kniee stürzend.
Der Unbekannte wartete, bis es wieder stille geworden war, und sprach sodann:
»Ich sagte Euch, daß sie mich wiedererkannt hat. Ja, ich bin der Henker der Stadt Lille. Hört meine Geschichte.«
Aller Augen waren auf den Mann geheftet, dessen Worten man mit ängstlicher Gier entgegenharrte.
»Diese Frau war einst ein junges Mädchen, so schön, wie sie heute ist. Sie war eine Nonne im Kloster der Benedictinerinnen von Templemar. Ein junger Priester von schlichtem, gläubigem Herzen versah den Gottesdienst in der Kirche dieses Klosters. Sie unternahm es, ihn zu verführen, und es gelang ihr. Sie hätte auch einen Heiligen verführt.
»Ihre Gelübde, die Gelübde Beider, waren heilig, unwiderruflich: ihre Liebschaft konnte nicht lange dauern, ohne Beide in das Verderben zu stürzen. Sie bewog ihn, mit ihr die Gegend zu verlassen; aber um gemeinschaftlich nach einem andern Theil Frankreichs zu entfliehen, wo sie als Unbekannte ruhig leben könnten, brauchten sie Geld, und keines von Beiden besaß Geld. Der Priester stahl die heiligen Gefäße und verkaufte sie; aber als sie eben abreisen wollten, wurden Beide verhaftet.
»Acht Tage nachher hatte sie den Sohn des Kerkermeisters verführt und sich geflüchtet. Der junge Priester wurde zu zehn Jahren Kettenstrafe und zur Brandmarkung verurtheilt. Ich war der Henker der Stadt Lille, wie diese Frau sagt. Ich mußte den Schuldigen brandmarken, und der Schuldige, meine Herren, war mein Bruder.
»Ich schwor, daß diese Frau, welche ihn zu Grunde gerichtet hatte und mehr als seine Mitschuldige war, weil sie ihn zum Verbrechen antrieb, wenigstens seine Strafe theilen sollte. Ich vermuthete, an welchem Orte sie verborgen war, verfolgte, erreichte, knebelte sie, und drückte ihr dasselbe Mal auf, das ich meinem Bruder aufgedrückt hatte.
»Am Tage nach meiner Rückkehr nach Lille gelang es meinem Bruder, ebenfalls zu entweichen. Man klagte mich der Mitschuld an und verurtheilte mich, so lange im Gefängniß zu bleiben, bis er sich wieder gestellt hätte. Mein armer Bruder wußte nichts von diesem Urtheil. Er war mit der ehemaligen Nonne wieder zusammengetroffen und mit ihr nach Berry gezogen, wo er eine kleine Pfarre erhielt. Diese Frau galt für seine Schwester.
»Der Herr des Gutes, auf welchem die Kirche des Pfarrers lag, sah die angebliche Schwester und verliebte sich in sie, so daß er ihr die Ehe antrug. Da verließ sie denjenigen, welchen sie ins Verderben gestürzt hatte, um dem Manne zu folgen, den sie ins Verderben stürzen sollte, und wurde Gräfin de la Fère.«
Aller Augen wandten sie gegen Athos, dessen wirklicher Name dies war. Athos aber bestätigte mit einem Zeichen seines Kopfes, daß Alles, was der Henker gesagt hatte, der Wahrheit entsprach. Dieser fuhr fort:
»In Verzweiflung, entschlossen sich eines Daseins zu entledigen, dem sie Ehre, Glück, Alles geraubt hatte, kam mein armer Bruder nun nach Lille zurück, und als er von dem Spruche hörte, der mich statt seiner verurtheilt hatte, gab er sich freiwillig in Haft und erhing sich an demselben Abend am Luftloche seines Kerkers.
»Um denjenigen, welche mich verurtheilt hatten, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß ich bemerken, daß sie Wort hielten. Kaum war die Identität des Leichnams nachgewiesen, als man mich wieder in Freiheit setzte. Dies ist das Verbrechen, dessen ich sie anklage, dies die Ursache, warum ich sie gebrandmarkt habe.«
»Herr d'Artagnan,« sprach Athos, »welche Strafe verlangt Ihr gegen diese Frau?«
»Die Todesstrafe!« antwortete d'Artagnan.
»Mylord von Winter.« fuhr Athos fort, »welche Strafe verlangt Ihr gegen diese Frau?«
»Die Todesstrafe!« antwortete Lord Winter.
»Meine Herren Porthos und Aramis,« sagte Athos, »Ihr, die Ihr ihre Richter seid, welche Strafe verhängt Ihr gegen diese Frau?«
»Die Todesstrafe!« antworteten mit dumpfer Stimme die zwei Musketiere.
Mylady stieß ein furchtbares Geheul aus und schleppte sich auf den Knieen einige Schritte gegen ihre Richter.
Athos streckte die Hand gegen sie aus.
»Anna von Breuil, Gräfin de la Fère, Mylady Winter,« sagte er, »Eure Verbrechen haben die Menschen auf Erden und Gott im Himmel ermüdet. Wenn Ihr ein Gebet wißt, so sprecht es, denn Ihr seid verurtheilt und müßt sterben.«
Bei diesen Worten, die ihr keine Hoffnung mehr übrig ließen, richtete sich Mylady in ihrer ganzen Höhe auf und wollte reden. Aber es fehlten ihr die Laute. Sie fühlte, daß eine mächtige, unwiderstehliche, unversöhnliche Hand sie an den Haaren faßte und unwiderruflich fortzog, wie das Verhängniß den Menschen fortzieht. Sie versuchte daher nicht einmal Widerstand zu leisten, und verließ die Hütte.
Lord Winter, d'Artagnan, Athos, Porthos und Aramis gingen nach ihr hinaus; die Bedienten folgten ihren Herren, und die Stube blieb verlassen mit ihren zerbrochenen Fenstern, ihrer offenen Thüre und ihrer rauchigen Lampe, welche düster auf dem Tische fortbrannte.