Kitabı oku: «Die Fünf und Vierzig», sayfa 2
»Ja, mein Herr.«
»Geschah es im Gedränge?«
»Nein, ich hatte einen Brief von meiner Geliebten erhalten. Cap de Bious, ich las ihn am Flusse, eine Viertelmeile von hier, als mir plötzlich ein Windstoß den Brief und den Hut entriß. Ich lief dem Brief nach, obgleich der Knopf meines Hutes ein einziger Diamant war. Meinen Brief erwischte ich, als ich aber zum Hut zurückkehrte, hatte ihn der Wind in den Fluß fortgenommen, in den Fluß von Paris!… Er wird das Glück von irgend einem armen Teufel machen. Desto besser!«
»Somit seid Ihr barhaupt?«
»Findet man keine Hüte in Paris, Cap de Bious! Ich werde einen herrlicheren kaufen und einen Diamant zweimal so groß, als der erste war, daran setzen.«
Der Officier zuckte unmerklich die Achseln, aber so unmerklich auch diese Bewegung war, entging sie doch dem Gascogner nicht.
»Wenn es beliebt!« sagte er.
»Ihr habt eine Karte?« fragte der Officier.
»Gewiß habe ich eine, und eher zwei als eine.«
»Eine einzige wird genügen, wenn sie in Ordnung ist.«
»Aber täusche ich mich nicht?« fuhr der Gascogner die Augen weit aufsperrend fort, »nein, Cap de Bious, ich täusche mich nicht, ich habe das Vergnügen, mit Herrn von Loignac zu sprechen?«
»Es ist möglich, mein Herr,« antwortete trocken der Officier, sichtbar wenig erfreut über diese Wiedererkennnng.
»Mit Herrn von Loignac meinem Landsmann?«
»Ich sage nicht nein.«
»Mit einem Vetter?«
»Es ist gut, Eure Karte?«
»Hier ist sie…«
Der Gascogner zog aus seinem Handschuh eine kunstvoll abgeschnittene Karte.
»Folgt mir,« sagte Loignac, ohne die Karte anzuschauen, »Ihr und Eure Gefährten, wenn Ihr habt, wir wollen die Einlaßscheine untersuchen.«
Und er nahm seinen Posten beim Thor.
Der barhaupte Gascogner folgte ihm.
Fünf andere Männer folgten dem barhaupten Gascogner.
Der Erste war mit einem herrlichen Panzer von so wunderbarer Arbeit bedeckt, daß man hätte glauben sollen, er käme aus den Händen von Benvenuto Cellini. Da indessen das Muster, nach dem dieser Panzer gemacht worden, etwas aus der Mode gekommen war, so erregte dieses Prachtstück eher Gelächter als Bewunderung.
Allerdings entsprach kein anderer Theil des diesen Panzer tragenden Menschen der beinahe königlichen Herrlichkeit des Prospectus.
Der Zweite, der gleichen Schrittes hinter ihm ging, wurde von einem dicken Lakeien mit gräulichen Haaren gefolgt, und mager und gebräunt, wie er war, schien er der Vorläufer von Don Quicote zu sein, wie sein Diener für den Vorläufer von Sancho gelten konnte.
Der Dritte erschien mit einem Kinde auf seinen Armen; ihm folgte eine Frau, die sich an seinem ledernen Gurte! anklammerte, während zwei Kinder, das eine von vier, das andere von fünf Jahren, sich an dem Rock der Frau festhielten.
Der Vierte erschien hinkend und gleichsam an einen langen Degen befestigt.
Um den Zug zu beschließen, rückte ein junger Mann von schönem Aussehen auf einem Rappen herbei, der zwar mit Staub bedeckt, aber von edler Race war.
Dieser hatte gegen die Andern die Miene eines Königs.
Genöthigt, ziemlich sachte zu marschiren, um nicht seinen Gefährten voranzukommen, übrigens vielleicht innerlich zufrieden, nicht zu nahe bei ihnen reiten zu müssen, blieb dieser junge Mann einen Augenblick an den Gränzen der vom Volke gebildeten Hecke.
In diesem Augenblick fühlte er, daß man ihn an der Scheide seines Degens zog, und neigte sich rückwärts.
Derjenige, welcher seine Aufmerksamkeit durch diese Berührung rege machte, war ein junger Mensch mit schwarzen Haaren, funkelndem Auge, klein, schmächtig, anmuthig und sorgfältig behandschuht.
»Was steht zu Dienst, mein Herr?« fragte unser Reiter.
»Mein Herr, eine Bitte.«
»Sprecht, aber sprecht geschwinde, ich bitte Euch, man wartet aus mich.«
»Ich muß nothwendig in die Stadt hinein, mein Herr, es ist eine gebieterische Nothwendigkeit für mich, versteht Ihr? Ihr Eurerseits seid allein und braucht einen Pagen, der Eurem guten Aussehen Ehre macht.«
»Nun.«
»Nun! gebt und es wird gegeben; nehmt mich mit hinein und ich werde Euer Page sein.«
»Ich danke,« sprach der Reiter, »aber ich will von Niemand bedient sein.«
»Nicht einmal von mir?« fragte der junge Mann mir einem so seltsamen Lächeln, daß der Reiter fühlte, wie die eisige Hülle schmolz, mit der er sein Herz zu umschließen versucht hatte.
»Ich wollte sagen, ich könnte nicht bedient sein.«
»Ja. ich weiß, Ihr seid nicht reich, Herr Ernauton von Carmainges,« sagte der junge Page.
Der Reiter bebte, aber ohne diesem Beben eine Aufmerksamkeit zu schenken, fuhr der Jüngling fort:
»Auch werden wir nicht vom Gehalt sprechen; wenn Ihr mir bewilligt, was ich von Euch fordere, sollt Ihr im Gegentheil und zwar hundertfach, für die Dienste, die Ihr mir leistet, belohnt werden; ich bitte also, laßt mich Euch bedienen und bedenkt, daß derjenige, welcher bittet, zuweilen befohlen hat.«
»Kommt,« sagte der Reiter, unterjocht durch diesen Ton der Beredung und zugleich der Autorität.
Der Jüngling reichte ihm die Hand, was sehr vertraulich für einen Pagen war; dann sich gegen die uns schon bekannte Gruppe umwendend, sprach er:
»Ich komme hinein, das ist das Wichtigste; Ihr, Mayneville, sucht dasselbe zu thun, durch welches Mittel es auch sein mag.«
»Damit ist nicht Alles geschehen, daß Ihr hinein kommt,« erwiederte der Edelmann, »er muß Euch sehen.«
»Oh! seid unbesorgt, sobald ich dieses Thor im Rücken habe, wird er mich sehen.«
»Vergeßt nicht das verabredete Zeichen.«
»Zwei Finger auf den Mund, nicht wahr?«
»Ja; Gott helfe Euch!«
»Nun!« rief der Herr des Rappen, »Herr Page, entschließen wir uns?«
»Hier bin ich, Herr,« antwortete der junge Mann, und er sprang leicht auf das Kreuz hinter seinen Gefährten. der den fünf anderen Auserwählten nachfolgte, welche eben damit beschäftigt waren, ihre Karten vorzuweisen und ihre Rechte darzuthun.
»Alle Wetter!« sagte Robert Briquet, der ihnen nachschaute, »das ist eine ganze Landung von Gascognern, oder der Teufel soll mich holen!«
Drittes Kapitel
Revue
Diese Prüfung, welcher die sechs Bevorzugten sich zu unterziehen hatten, die wir aus den Reihen des Volkes hervortreten sahen, um sich dem Thore zu nähern, war weder sehr lang, noch sehr verwickelt.
Man mußte die Hälfte einer Karte aus der Tasche ziehen und sie dem Officier überreichen, der sie mit einer andern Hälfte verglich, und wenn sich bei dieser Vergleichung die beiden Hälften zusammenfügten und ein Ganzes bildeten, so waren die Rechte des Inhabers der Karte nachgewiesen.
Der barhaupte Gascogner näherte sich zuerst. Mit ihm begann folglich die Revue.
»Euer Name?« fragte der Officier.
»Mein Name? »Herr Officier, er steht auf der Karte geschrieben, auf der Ihr noch etwas Anderen sehen werdet.«
»Gleichviel! Euer Name?« wiederholte der Officier ungeduldig, »wißt Ihr Euren Namen nicht?«
»Doch wohl, ich weiß ihn, Cap de Bious! Und wenn ich ihn auch vergessen hätte, so könntet Ihr mir ihn sagen, da wir Landsleute und Vettern sind.«
»Euer Name? tausend Teufel! Glaubt Ihr, ich habe Zeit in Wiedererkennungen zu verlieren?«
»Es ist gut – Ich heiße Perducas von Pincorney.«
»Perducas von Pincorney,« versetzte Herr von Loignac, welchem wir fortan den Namen geben werden, mit dem ihn sein Landsmann begrüßt hatte; dann die Augen auf die Karte werfend:
»Perducas von Pincorney, am 26. October 1585, auf den Schlag zwölf Uhr.«
»Porte Saint-Antoine,« fügte der Gascogner bei, indem er seinen schwarzen, dürren Finger auf die Karte ausstreckte.
»Sehr gut! in Ordnung; tretet ein,« sagte Herr von Loignac, um jedes weitere Gespräch zwischen ihm und seinem Landsmann kurz abzuschneiden. »Nun ist die, Reihe an Euch!« sprach er zum Zweiten.
Der Mann. mit dem Panzer näherte sich.
»Eure Karte?« fragte Loignac
»Wie, Herr von Loignac,« rief dieser, »erkennt Ihr nicht den Sohn von einem Eurer Jugendfreunde, den Ihr zwanzigmal auf Euren Knieen geschaukelt habt?«
»Nein.«
»Pertinax von Montcrabeau,« versetzte der junge Mann erstaunt, »Ihr erkennt ihn nicht?«
»Wenn ich im Dienste bin, erkenne ich Niemand, mein Herr. Eure Karte?«
Der junge Mann mit dem Panzer reichte seine Karte.
Pertinax von Montcrabeau, am 26. Oktober, auf den Schlag zwölf Uhr, Porte Saint-Antoine. Geht zu.«
Der junge Mann ging vorüber und folgte etwas verblüfft über den Empfang Perducas nach, der ihn am Thor erwartete.
Der dritte Gascogner näherte sich; es war der mit der Frau und den Kindern.
»Eure Karte?«« fragte Loignac.
Seine gehorsame Hand tauchte sogleich in eine kleine Waidtasche von Ziegenfell, weiche an seiner rechten Seite hing.
Aber es war vergeblich: belästigt durch das Kind, das er auf dem Arme trug, konnte er das Papier nicht finden, das man von ihm forderte.
»Was Teufels macht Ihr mit dem Kinde, mein Herr, Ihr seht wohl, daß es Euch hindert?«
»Es ist mein Sohn, Herr von Loignac.«
»Nun! so setzt Euren Sohn auf die Erde.«
Der Gascogner gehorchte, das Kind fing an zu heulen.
»Ihr seid also verheirathet? fragte Loignac.
»Ja, Herr Officier.«
»Mit zwanzig Jahren?«
»Man heirathet jung bei uns, Ihr wißt es wohl, Herr von Loignac, Ihr, der Ihr mit achtzehn geheirathet habt.«
»Gut,« sagte Loignac »das ist abermals einer, der mich kennt.«
Die Frau hatte sich mittlerweile genähert, und die an ihrem Rocke hängenden Kinder waren ihr gefolgt.
»Und warum sollte er nicht verheirathet sein?« fragte sie, indem sie sich aufrichtete und von ihrer sonngebräunten Stirne ihre schwarzen Haare strich, die der Staub des Weges wie einen Teig daran kleben machte, »ist es in Paris aus der Mode gekommen, zu heirathen? Ja, mein Herr, er ist verheirathet und hier sind noch zwei Kinder, die ihn Vater nennen.«
»Ja, aber es sind nur die Söhne meiner Frau, Herr von Loignac, wie auch dieser große Junge, der hinten steht; tritt vor, Militor, und grüße Herrn von Loignac, unsern Landsmann.«
Ein junger Mensch von sechzehn bis siebzehn Jahren, kräftig, lebhaft und durch sein rundes Auge, sowie durch seine Nase einem Falken ähnlich, näherte sich, die Hände in seinem Gürtel von Büffelleder; er war in eine gute Kasake von gestrickter Wolle gekleidet, trug auf seinen muskeligen Beinen eine Hose von Gemsleder und ein entstehender Schnurrbart beschattete seine zugleich freche und sinnliche Lippe.
»Es ist Militor, mein Stiefsohn, Herr von Loignac, der älteste Sohn meiner Frau, die eine Chavantrade, eine Verwandte der Loignac Militor von Chavantrade, ist, Euch zu dienen. Verbeuge dich, Militor.«
Dann sich zu dem Kinde bückend, das sich schreiend auf der Straße wälzte, fügte er bei, während er seine Karte in allen Taschen suchte:
»Schweige, Scipion, schweige, Kleiner.«
Um dem Befehle seines Vaters zu gehorchen verbeugte sich Militor während dieser Zeit leicht und ohne seine Hände aus dem Gürtel zu ziehen.
»Um Gottes willen, mein Herr, Eure Karte,« rief Loignac ungeduldig.
»Kommt und helft mir, Lardille,« sagte der Gascogner errötend zu seiner Frau.
Lardille machte nacheinander die an ihrem Rocke angeklammerten Hände los und suchte selbst in dem Weidsack und in den Taschen ihres Mannes.
»Wir müssen sie verloren haben,« sagte sie.
»Dann lasse ich Euch verhaften,« versetzte Loignac.
Der Gascogner wurde bleich und erwiderte:
»Ich heiße Eustache von Miradoux und werde mich durch Herrn von Sainte-Maline, meinen Vetter, empfehlen.«
»Ah! Ihr seid ein Verwandter von Sainte-Maline,« sagte Loignac, ein wenig besänftigt… »Freilich, wenn man sie hört, sind sie mit allen verwandt; so sucht noch einmal und sucht mit Erfolg!«
»Lardille, seht in den Kleidern Eurer Kinder nach,« sprach Eustache, zitternd vor Ärger und Unruhe.
Lardille kniete vor ein kleines Päckchen bescheidener Effekten nieder und drehte es murrend um.
Der junge Scipion fuhr fort, sich heiser zu schreien, daß seine Brüder von der Mutter her, als sie sahen, daß man sich um nicht um sie bekümmerte, sich zu belustigen, ihm Sand in den Mund zu stopfen.
Militor regte sich nicht; es war, als gingen die Erbärmlichkeiten des Familienlebens unter oder über diesen großen Burschen hin, ohne ihn zu berühren.
»Ei!« rief plötzlich Herr von Loignac, »was sehe ich dort auf dem Ärmel dieses Schöpses in einem ledernen Umschlag?«
»Ja, ja, das ist es,« rief Eustache triumphierend, »das ist ein Gedanke von Lardille; ich erinnere mich nun, sie hat die Karte Militor angenäht.«
»Damit er doch etwas trage,« sagte Loignac spöttisch. »Pfui! das große Kalb, das nicht einmal mit den Armen schlenkert, aus Furcht, seine Arme zu tragen.«
Militors Lippen erbleichten vor Zorn, während sein Gesicht auf der Nase, auf dem Kinn und auf der Stirn marmorartig rot wurde.
»Ein Kalb hat keine Arme,« brummte er mit boshaften Augen, »es hat Klauen wie gewisse Leute von meiner Bekanntschaft.«
»Friede!« sagte Eustache, »du siehst wohl, Militor, daß Herr von Loignac uns die Ehre erweist, mit uns zu scherzen.«
»Nein, bei Gott! ich scherze nicht,« erwiderte Loignac, »dieser große Bursche soll im Gegenteil meine Worte so nehmen, wie ich sie sage. Wenn er mein Stiefsohn wäre, ließe ich ihn Mutter, Bruder, Gepäck tragen und würde selbst noch darauf steigen und ihm die Ohren verlängern, um ihm zu beweisen, daß er nur ein Esel ist.«
Militor kam ganz aus der Fassung; Eustache wurde unruhig; aber unter dieser Unruhe trat eine gewisse Freude über die Demüthigung hervor, welche seinem Stiefsohn wiederfuhr.
Um jede Schwierigkeit zu beseitigen und ihren Erstgeborenen von den Sarkasmen von Herrn von Loignac zu retten, überreichte Lardille dem Officier die von ihrer ledernen Umhüllung befreite Karte.
Herr von Loignac nahm sie und las:
»Eustache von Miradoux, am 26. Oktober, Schlag zwölf Uhr, Porte Saint-Antoine.«
»Geht,« sagte er, »und seht, daß Ihr keine von Euern Meerkatzen, schön oder häßlich, verliert.«
Eustache von Miradoux nahm den jungen Scipion wieder auf seine Arme; Lardille hing sich abermals an seinen Gürtel; die zwei Kinder klammerten sich wieder am Rock ihrer Mutter an; und diese Familientraube schloß sich, mit dem schweigsamen Militor, denjenigen an, die nach überstandener Prüfung warteten.
»Die Pest!« murmelte Loignac zwischen den Zähnen, während er Eustache von Miradoux und den Seinigen mit den Augen folgte, »welchen Auswurf von Soldaten wird Herr von Épernon da haben.«
Dann wandte er sich um und rief dem vierten zu:
»Nun kommt Ihr dran!«
Diese Worte waren an den vierten Bittsteller gerichtet.
Er war allein und sehr steif, hielt den Daumen um den Mittelfinger zusammen, um seinem eisengrauen Wamms Schneller zu geben und den Staub zu vertreiben; sein Schnurrbart, der von Katzenhaaren gemacht zu sein schien, seine grünen, funkelnden Augen, seine Brauen, deren Bogen einen Halbkreis über zwei hervorspringenden Backenknochen bildete, seine dünnen Lippen endlich verliehen seinem Gesichte den Typus des Mißtrauens und karger Zurückhaltung, woran den Menschen erkennt, der eben so sorgfältig den Grund seiner Börse als den seines Herzens verbirgt.
»Chalabre, am 26. Oktober, auf den Schlag zwölf Uhr. Es ist gut, geht!« sagte Loignac.
»Ich denke, es sind Reisekosten bewilligt,« bemerkte mit süßlichem Tone der Gascogner.
»Ich bin nicht Zahlmeister, mein Herr,« erwiederte Loignac trocken, »ich bin nur Thorwart, geht.«
Chalabre ging vorüber.
Hinter Chalabre kam ein blonder junger Reiter, der, als er seine Karte zog, aus seiner Tasche einen Würfel und mehrere Tarokkarten fallen ließ.
Er nannte sich Saint-Capautel, und da seine Erklärung durch die Karte bestätigt wurde, welche der Officier in Ordnung fand, so folgte er Chalabre.
Es blieb noch der sechste, der zufolge der Aufforderung des improvisierten Pagen vom Pferde gestiegen war und Herrn von Loignac eine Karte überreichte, auf der man las:
»Ernauton von Carmainges, am 26. Oktober, auf den Schlag zwölf Uhr.«
Während Herr von Loignac die Karte las, war der Page, der ebenfalls abgestiegen, bemüht, seinen Kopf zu verbergen, indem er die Kinnkette am Pferde seines Herrn noch fester anzog.
»Der Page gehört Euch?« fragte Loignac, mit dem Finger auf den jungen Menschen deutend.
»Ihr seht, Herr Kapitän,« erwiderte Ernauton, der weder lügen noch verraten wollte, »daß er mein Pferd zäumt.«
»Geht zu,« sagte Herr von Loignac, der mit großer Aufmerksamkeit Herrn von Carmainges betrachtete, dessen Gesicht und Haltung ihm mehr zu gefallen schien, als die aller anderen.
»Das ist doch wenigstens ein Erträglicher,« murmelte er.
Ernauton stieg wieder zu Pferde, der Page war ihm, gleichsam absichtslos, aber nicht langsam, vorangegangen und hatte sich schon mit der Gruppe der übrigen vermischt.
»Öffnet das Tor,« rief Loignac, »und laßt diese sechs Personen und die Leute ihres Gefolges hinein.«
»Vorwärts, rasch,« sagte der Page, »in den Sattel und Marsch!«
Ernauton wich abermals der Gewalt, die dieses seltsame Geschöpf über ihn ausübte, und da das Tor offen war, so gab er seinem Pferd den Sporn und drang, von dem Pagen geleitet, bis in das Herz des Faubourg Saint-Antoine.
Loignac ließ hinter den sechs Auserwählten das Tor wieder schließen zur großen Unzufriedenheit der Menge, welche nach Erfüllung der Förmlichkeit ebenfalls passieren zu dürfen glaubte und nun geräuschvoll ihre Mißbilligung äußerte.
Meister Miton, der nach einem unbändigen Laufe querfeldein, allmählich wieder Mut gefaßt hatte, und während er das Terrain auf jedem Schritte sondierte, am Ende wieder auf den Platz zurückgekommen war, wagte es, einige Klagen über die Willkür vorzubringen, mit der die Soldateske die Verbindung unterbrach.
Gevatter Friard, dem es gelungen war, seine Frau wiederzufinden, und der, von ihr beschützt, nichts mehr zu befürchten schien, erzählte seiner erhabenen Ehehälfte die Neuigkeiten des Tages, bereichert und geschmückt mit Kommentaren seiner Art.
Die Reiter endlich, von denen einer von dem kleinen Pagen Mayneville genannt worden war, beratschlagten, ob sie nicht die Ringmauer umgehen sollten in der Hoffnung, irgendeine Bresche daran zu finden und durch diese Bresche in die Stadt hineinzukommen, ohne daß sie nötig hätten, sich länger an diesem oder einem andern Tore zu zeigen.
Robert Briquet als ein analysirender Philosoph und als ein Gelehrter, der die Quintessens auszieht, Robert Briquet, sagen wir, bemerkte, daß die ganze Entwickelung der so eben von uns erzählten Scene bei dem Thore so vorgehen würde, und daß er aus den einzelnen Gesprächen der Reiter, der Bürger und den Bauern nichts mehr erfahren könnte.
Er näherte sich also immer mehr einer kleinen Baracke, welche dem Torwart als Loge diente und durch zwei Fenster erhellt wurde, von denen eins gegen Paris, das andere gegen das Feld ging.
Kaum hatte er sich auf seinem neuen Posten aufgestellt, als ein Mann, der im schnellsten Galopp herbeieilte, von seinem Pferde sprang, in die Loge trat und am Fenster erschien.
»Ah! ah!« machte Loignac.
»Hier bin ich, Herr von Loignac,« sagte er.
»Gut, woher kommt Ihr?«
»Von der Porte Saint-Victor.«
»Euer Sortenzettel?«
»Fünf.«
»Die Karten?«
»Hier sind sie.«
Loignac nahm die Karten, untersuchte sie und schrieb auf eine Schiefertafel, welche zu diesem Behufe bereit zu sein schien, die Ziffer 5.
Der Bote entfernte sich wieder.
Es waren kaum fünf Minuten vorüber, als zwei andere Boten kamen.
Loignac befragte sie nach einander und immer durch sein Fenster.
Der eine kam von der Porte Bourdelle und brachte die Ziffer 4.
Der andere kam von der Porte du Temple und meldete die Ziffer 6.
Die Boten verschwanden und wurden nach und nach von vier anderen ersetzt, welche kamen:
Der erste von der Porte Saint-Denis mit der Ziffer 5.
Der zweite von der Porte Saint-Jacques mit der Ziffer 3.
Der dritte von der Porte Saint-Honoré mit der Ziffer 8.
der vierte von der Porte Montmartre mit der Ziffer 4.
Es erschien ein letzterer, der von der Porte Bussy kam und die Ziffer 4 brachte.
Nun reihte Loignac aufmerksam und ganz leise folgende Ziffern an einander:
Gesamtsumme fünfundvierzig.
»Es ist gut.«
»Nun öffnet die Tore, und es trete ein, wer will,« rief Loignac mit starker Stimme.
Die Tore öffneten sich.
Sogleich drängten sich Pferde, Maultiere, Weiber, Kinder nach der Stadt, auf die Gefahr, unter dem Pressen der zwei Pfeiler der Zugbrücke erstickt zu werden.
In einer Viertelstunde verlief durch diese weite Arterie, die man Rue Saint-Antoine nennt, die Anhäufung der Volksmenge, welche sich vom Morgen um diesen augenblicklichen Damm aufhielt.
Das Geräusch entfernte sich allmälig.
Robert Briquet, der bis zuletzt geblieben, nachdem er der Erste gewesen war, stieg phlegmatisch über die Kette der Brücke und sagte:
»Alle diese Leute wollten etwas sehen und haben nichts gesehen, nicht einmal in ihren Angelegenheiten; ich wollte nichts sehen und bin der einzige, der etwas gesehen hat. Das ist aufmunternd; fahren wir fort; doch wozu fortfahren? Ich weiß bei Gott genug. Wird es für mich von Nutzen sein, Herrn von Salcède in vier Stücke zerreißen zu sehen? Wahrlich! nein. Überdies habe ich auf die Politik Verzicht geleistet.«
»Gehen wir zum Mittagessen; die Sonne würde Mittag bezeichnen, wenn es eine Sonne gäbe; es ist Zeit.«
Er sprach es und kehrte nach Paris zurück mit seinem ruhigen, boshaften Lächeln.