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Kitabı oku: «Die Fünf und Vierzig», sayfa 50

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Fünfzehntes Kapitel
Der Gatte und der Liebhaber

Nicht ohne eine mächtige Gemüthsbewegung sah Chicot wieder die so ruhige und so öde Rue des Augustins, die Ecke, welche die dem seinigen vorhergehenden Häuser bildeten, und endlich sein Haus selbst mit seinem dreieckigen Dach, seinem wurmstichigen Balcon und den mit Drachenköpfen verzierten Dachrinnen.

Er hatte so sehr Angst gehabt, nur eine Leere an der Stelle dieses Hauses zu finden, er hatte dergestalt die Straßen durch den Rauch eines Brandes geschwärzt zu finden befürchtet, daß ihm Straße und Haus als Wunder der Reinlichkeit, der Freundlichkeit und des Glanzes erschienen.

Chicot hatte in der Aushöhlung eines Steines, der als Base einer der Säulen seines Balcon diente, den Schlüssel seines geliebten Hauses verborgen. In jener Zeit war der Schlüssel irgend einer Kiste oder eines Schrankes an Gewicht und Umfang den größten Schlüsseln der Häuser in unseren Tagen gleich; die Schlüssel der Häuser glichen also nach den natürlichen Verhältnissen den Schlüsseln moderner Städte.

Chicot hatte berechnet, wie schwierig es für seine Tasche wäre, den ehrenwerthen Hausschlüssel zu tragen, er hatte sich dem zu Folge entschlossen, ihn an der von uns genannten Stelle zu verbergen.

Es läßt sich nicht leugnen, Chicot empfand auch einen leichten Schauer, als er seinen Finger in den Stein steckte; auf diesen Schauer folgte eine unsägliche Freude, sobald er die Kälte des Eisens fühlte.

Der Schlüssel war wirklich an dem Platz, wo er ihn gelassen hatte.

Dasselbe war bei den Geräthschaften des ersten Stockes, bei dem auf den Balken genagelten Brettchen und endlich bei den tausend Thalern der Fall, welche immer noch in ihrem eichenen Verstecke schlummerten.

Chicot war nicht geizig: im Gegentheil; oft hatte er das Gold mit vollen Händen weggeworfen, wobei er die Materie dem Triumph der Idee opferte, was die Philosophie jedes Menschen von einem gewissen Werthe ist; doch wenn die Idee für den Augenblick die Materie zu beherrschen aufgehört hatte, wenn nämlich kein Bedürfniß nach Geld, nach Opfer mehr vorhanden war, wenn mit einem Wort die sinnliche Intermittenz in der Seele von Chicot herrschte, und diese Seele dem Körper zu leben und zu genießen gestattete, so nahm das Geld, diese erste, diese beständige, diese ewige Quelle thierischer Genüsse, wieder seinen Werth in den Augen unseres Philosophen an. Niemand wußte besser als er, in wie viele angenehme Parcellen das unschätzbare Ganze, das man einen Thaler nennt, sich abtheilt.

»Alle Wetter,« murmelte Chicot, als er, seine Platte offen, sein Brettchen an seiner Seite und seinen Schatz unter seinen Augen, mitten im Zimmer gekauert war, »alle Wetter, ich habe da einen vortrefflichen Nachbar, einen würdigen Mann, der mein Geld in Respect erhalten und selbst respektirt hat; das ist wahrhaftig eine unschätzbare Handlung in diesen Zeitläufen. Bei Gott! ich bin diesem artigen Mann einen Dank schuldig, und er soll ihn noch diesen Abend haben.«

Hiernach setzte Chicot sein Brettchen wieder auf den Balken, die Platte auf das Brettchen, trat an das Fenster schaute nach dem Hause gegenüber.

Es hatte immer noch die graue, düstere Farbe, welche die Einbildungskraft als eine natürliche Färbung den Gebäuden leiht, deren Charakter sie kennt.

»Es muß noch nicht die Stunde zum Schlafengehen sein,« sagte Chicot, »und überdies sind diese Leute, dessen bin ich sicher, keine wüthende Schläfer; wir wollen also sehen.«

Er stieg hinab und klopfte, nachdem er seiner lachenden Miene allen Liebreiz zu geben bemüht gewesen, an die Thüre des Nachbars.

Er bemerkte das Geräusch der Treppe, das Krachen eines behenden Schrittes, und wartete dennoch ziemlich lange, ehe er zum zweiten Male klopfen zu müssen glaubte. Bei dieser neuen Aufforderung öffnete sich die Thüre und ein Mann erschien im Schatten.

»Meinen Dank und guten Abend,« sagte Chicot indem er die Hand ausstreckte, »ich bin nun zurückgekehrt, und komme, um Euch meine Erkenntlichkeit auszudrücken, lieber Nachbar.«

»Was beliebt?« machte eine Stimme, deren Ton Chicot sehr in Erstaunen setzte.

Zu gleicher Zeit that der Mann, der die Thüre geöffnet hatte, einen Schritt rückwärts.

»Ah! ich täusche mich,« sagte Chicot, »Ihr waret nicht mein Nachbar im Augenblick meiner Abreise, und Gott vergebe mir, dennoch kenne ich Euch.«

»Und ich kenne Euch auch,« ewiederte der junge Mann.

»Ihr seid der Herr Vicomte Ernauton von Carmainges.«

»Und Ihr, Ihr seid der Schatten.«

»In der That,« rief Chicot, »ich falle aus den Wolken.«

»Was wünscht Ihr, mein Herr?« fragte der junge Mann ein wenig ärgerlich.

»Verzeiht, ich störe Euch vielleicht, mein lieber Herr.«

»Nein, doch Ihr werdet mir wohl erlauben, Euch zu fragen, was zu Euren Diensten steht?«

»Nichts, wenn nicht, daß ich mit dem Herrn des Hauses sprechen wollte.«

»Sprecht also.«

»Wie so?«

»Der Herr des Hauses bin ich.«

»Ihr? ich bitte, seit wann?«

»Seit drei Tagen.«

»Gut! das Haus war also zu verkaufen?«

»Es scheint, da ich es gekauft habe.«

»Aber der ehemalige Eigenthümer?«

»Bewohnt es nicht mehr, wie Ihr seht.«

»Wo ist er?«

»Ich weiß es nicht.«

»Verständigen wir uns, mein Herr,« sagte Chicot,

»Das ist mir ganz lieb,« erwiederte Ernauton mit sichtbarer Ungeduld, »nur wollen wir uns rasch verständigen.«

»Der ehemalige Eigenthümer war ein Mann von fünf und zwanzig bis dreißig Jahren, der aber vierzig zu sein schien.«

»Nein; es war ein Mann von fünf und sechzig bis sechs und sechzig Jahren, was sein Alter zu sein schien.«

»Kahl.«

»Nein, im Gegentheil, mit einem Wald weißer Haare.«

»Nicht wahr, er hatte eine ungeheure Narbe an der linken Seite seines Kopfes?«

»Die Narbe habe ich nicht gesehen, aber eine große Anzahl von Runzeln.«

»Das begreife ich nicht,« versetzte Chicot.

»Nun, so sprecht,« sagte Ernauton, nachdem er einen Augenblick geschwiegen, »was wolltet Ihr von diesen Menschen, mein lieber Herr Schatten?«

Chicot wollte zugestehen, was seine Absicht war; dort plötzlich erinnerte ihn das Geheimniß der Ueberraschung von Ernauton an ein discreten Leuten theures Sprichwort, und er erwiederte:

»Ich wollte ihm einen kleinen Besuch machen, wie man dies unter Nachbarn zu thun pflegt.«

Auf diese Art log Chicot nicht und sagte er nichts.

»Mein lieber Herr,« sprach Ernauton höflich, zugleich aber beträchtlich die Oeffnung der Thüre vermindernd, die er mit der Hand hielt, »mein lieber Herr, ich bedaure, Euch keine genaue Auskunft geben zu können.«

»Ich danke, mein Herr,« sagte Chicot, »ich werde anderswo suchen.«

»Aber,« fuhr Ernauton fort, während er die Thüre immer mehr zumachte, »aber das hält mich nicht ab, mir zu dem Zufall, der mich mit Euch wieder in Berührung setz, Glück zu wünschen.«

»Du möchtest mich gern beim Teufel sehen, nicht wahr?« dachte Chicot, während er den Gruß durch einer Gruß erwiederte.

Doch da Chicot in seiner Befangenheit, trotz dieser geistigen Antwort, sich zurückzuziehen vergaß, so sagte Ernauton, von dem nur noch das Gesicht zwischen der Thüre und dem Gesimse sichtbar war:

»Auf baldiges Wiedersehen, mein Herr.«

»Nur noch einen Augenblick, Herr von Carmainges,« sprach Chicot.

»Mein Herr,« entgegnete Ernauton, »zu meinen großen Bedauern vermöchte ich nicht länger zu verweilen; ich erwarte Jemand, der gerade an diese Thüre klopfen soll, und dieser Jemand würde es mir sehr verargen, wenn ich bei seinem Empfang nicht mit aller möglichen Discretion zu Werke ginge.«

»Das genügt, mein Herr, ich begreife,« sprach Chicot; verzeiht, »daß ich Euch belästigt habe, ich entferne mich.«

»Gott befohlen, lieber Herr Schatten.«

»Gott befohlen, würdiger Herr Ernauton.«

Hiernach machte Chicot einen Schritt rückwärts und sah, wie man ihm die Thüre vor der Nase schloß.

Er horchte, um wahrzunehmen, ob der junge Mann mißtrauisch seinen Abgang belauerte, doch er hörte, daß Ernauton die Treppe hinaufstieg; Chicot konnte also ohne Unruhe in sein Haus zurückkehren, dessen Thüre er verriegelte, entschlossen, seinen Nachbar in seinen Gewohnheiten nicht zu stören, dabei denselben aber seiner eigenen Gewohnheit gemäß nicht aus dem Gesicht zu verlieren.

Chicot war in der That nicht der Mann, der über einem Vorfall entschlummerte, welcher ihm einigermaßen wichtig zu sein schien, ohne diesen Vorfall betastet, umgedreht und mit der Geduld eines ausgezeichneten Anatomikers secirt zu haben; unwillkürlich, und dies war ein Vorzug oder ein Fehler seiner Organisation, unwillkürlich bot sich jede in seinem Gehirn incrustirte Form zur Analyse durch ihre hervorspringenden Seiten, so daß die Gehirnwände des armen Chicot dadurch verwundet, zerrissen und zu einer unmittelbaren Prüfung aufgefordert wurden.

Chicot, den bis dahin der Satz in dem Briefe des Herzogs von Guise:

»Ich billige vollkommen Euren Plan in Beziehung auf die Fünf Vierzig.« beschäftigt hatte, gab diesen Satz auf, den er später gründlich zu untersuchen sich gelobte, um den neuen Gegenstand, der ihn beunruhigte, einer scharfen Prüfung zu unterwerfen.

Chicot bedachte, daß es sehr seltsam sei, Ernauton sich so als Herrn in dem geheimnißvollen Hause einnisten zu sehen, dessen Bewohner so plötzlich verschwunden waren. Um so mehr, als sich auf diese früheren Bewohner für Chicot ein Satz in dem Briefe des Herzogs von Guise, den Herzog von Anjou betreffend, beziehen konnte.

Das war ein bemerkenswerther Zufall, und Chicot hatte die Gewohnheit, an providenzielle Zufälle zu glauben.

Er entwickelte sogar in dieser Hinsicht, wenn man es von ihm verlangte, sehr geistreiche Theorien.

Die Grundlage dieser Theorien war eine Idee, welche unserer Ansicht nach jeder andern an Werth gleichkam.

Man vernehme diese Idee.

Der Zufall ist der Vorbehalt Gottes.

Der Allmächtige gibt seinen Vorbehalt nur unter wichtigen Umständen, besonders seitdem er gesehen hat, daß die Menschen scharfsichtig genug sind, um die Chancen nach der Natur und den regelmäßig organisirten Elementen zu studiren und vorherzusehen.

Gott liebt es und muß es lieben, die Combination dieser Hoffärthigen zu vereiteln, deren frühere Hoffarth er dadurch bestrafte, daß er sie ertränkte, und deren zukünftige Hoffarth er dadurch bestrafen wird, daß er sie verbrennt.

Gott liebt es also, sagen wir, oder sagte vielmehr Chicot, die Combinationen dieser Hoffärthigen mit den Elementen zu vereiteln, die ihnen unbekannt sind, und deren Dazwischentritt sie nicht vorhersehen können.

Diese Theorie enthält, wie man sieht, Scheinbeweisgründe, und kann glänzende Thesen liefern. Doch den Leser drängt es ohne Zweifel, wie Chicot, zu erfahren, was Carmainges in diesem Hause machte, und er wird uns Dank wissen, wenn wir die Entwicklung hierbei beruhen lassen.

Chicot dachte also darüber nach, daß es seltsam sei, Ernauton in diesem Hause zu sehen, wo er Remy gesehen hatte.

Er dachte, dies sei aus zwei Gründen seltsam: einmal, wegen der vollkommenen Unkenntniß, in der diese zwei Menschen von einander lebten, was voraussetzen ließ, daß hierbei ein Chicot unbekannter Vermittler im Spiele sein mußte.

Zweitens, weil dieses Haus an Ernauton verkauft worden war, der kein Geld besaß, um es zu kaufen.

»Es ist wahr,« sagte Chicot zu sich selbst, indem er; sich so bequem als möglich auf seiner Dachrinne, seinem gewöhnlichen Beobachtungsposten, installirte, »es ist wahr, der junge Mann behauptet, er werde einen Besuch bekommen, und dieser Besuch sei der einer Frau; heut zu Tage sind die Frauen reich und erlauben sich Phantasien, Ernauton ist schön jung, zierlich, Ernauton hat gefallen, man hat ihm Rendez-vous gegeben, man hat ihn dieses Haus zu kaufen beauftragt; er hat das Haus gekauft und das Rendez-vous angenommen. Ernauton,« fuhr Chicot fort, »lebt bei Hofe, es muß also eine Frau vom Hofe sein, mit der er es zu thun hat. Armer Junge, wird er sie lieben? Gott behüte ihn, er würde in den Schlund der Verderbniß fallen. Gut, lese ich ihm nicht Moral? – Doppelt unnütze und zehnfach alberne Moral. Unnütz, weil er sie nicht hört, und, wenn er sie hörte, nicht darauf achten würde. Albern, weil ich besser daran thäte, wenn ich zu Bette ginge und ein wenig an den armen Borromée dächte. In dieser Hinsicht,« fuhr Chicot fort, der wieder düster wurde, »in dieser Hinsicht habe ich Eines bemerkt: der Gewissensbiß besteht nicht und ist nur ein relatives Gefühl; es erfüllt mich in der That keine Reue, daß ich Borromée getötet habe, da mich die Unruhe, in welche mich die Lage von Carmainges versetzt, vergessen läßt, daß ich ihn getötet; und er, wenn er mich an den Tisch genagelt hätte, wie ich ihn an den Verschlag genagelt habe, würde sicherlich zu dieser Stunde nicht mehr von Gewissensbissen geplagt, als ich selbst geplagt werde.

Chicot war so weit in seinen Betrachtungen, in seinen Schlüssen, in seiner Philosophie, die ihm im Ganzen anderthalb Stunden weggenommen hatten, als er seinem Nachsinnen durch die Ankunft einer Sänfte entzogen wurde, welche von der Seite des Gasthofes zum Kühnen Ritter kam.

Diese Sänfte hielt vor der Schwelle des geheimnißvollen Hauses an.

Eine verschleierte Dame stieg aus und verschwand alsbald durch die Thüre, welche Ernauton halb geöffnet hielt.

»Armer Junge,« murmelte Chicot »ich täuschte mich nicht, er erwartete eine Frau, und hierüber will ich mich schlafen legen.«

Chicot erhob sich; doch er blieb unbeweglich stehen.

»Ich täusche mich,« sprach er, »ich werde nicht schlafen; doch ich behaupte, was ich sage: wenn ich nicht schlafe, so sind es nicht Gewissensbisse, die mich am Schlafen verhindern, es wird die Neugierde sein, was ich da sage, ist so wahr, daß ich, wenn ich an meinem Beobachtungsposten bleibe, nur mit Einem beschäftigt sein werde, damit, zu erfahren, welche von den edlen Damen den schönen Ernauton mit ihrer Liebe beehrt. Es ist also besser, wenn ich auf meinem Posten bleibe, da ich, wenn ich mich niederlegte, sicherlich wieder aufstehen würde, um dahin zurückzukehren.«

Und hiernach setzte sich Chicot wieder.

Es war ungefähr eine Stunde abgelaufen, ohne daß wir sagen könnten, ob Chicot an die unbekannte Dante oder an Borromée dachte, ob er von der Neugierde in Anspruch genommen oder von Reue erfüllt war, als er am Ende der Straße den Galopp eines Pferdes zu hören glaubte.

Es erschien in der That bald ein Reiter in seinen Mantel gehüllt.

Der Reiter hielt mitten in der Straße an und suchte sich, wie es schien, auszukennen.

Da erblickte der Reiter die Gruppe, welche die Sänfte und ihre Träger bildeten.

Er ritt gerade auf sie zu, man hörte seinen Degen an seine Sporen schlagen, und er war somit bewaffnet.

Die Träger wollten sich ihm widersetzen; doch er sprach ein paar Worte leise zu ihnen, und sie traten nicht nur ehrfurchtsvoll auf die Seite, sondern es empfing sogar einer derselben, als er abgestiegen war, aus seinen Händen die Zügel seines Pferdes.

Der Unbekannte ging auf die Thüre zu und klopfte heftig an.

»Bei Gott!« sprach Chicot zu sich selbst, »es war vernüftig von mir, daß ich geblieben bin! Meine Ahnungen, die mir verkündigten, es würde etwas Seltsames vorgehen, betrogen mich nicht. Das ist der Mann, armer Ernauton! Wir werden sogleich einer Ermordung beiwohnen. Doch wenn dies der Mann ist, so ist es sehr gut, daß er seine Ankunft durch ein so heftiges Klopfen verkündigt.«

Aber trotz der beamtenmäßigen Art und Weise, in der der Unbekannte geklopft hatte, zögerte man, ihm zu öffnen.

»Oeffnet!« rief der Klopfende.

»Oeffnet! öffnet!« wiederholten die Träger.

»Unleugbar,« sagte Chicot, »ist es der Mann; er hat die Träger bedroht, sie peitschen oder hängen zu lassen, und die Träger sind für ihn. Der arme Ernauton wird bei lebendigem Leibe geschunden werden. – Oho! doch nur wenn ich es dulde,« fügte Chicot bei. »Denn im Ganzen ist er mir beigestanden, und folglich muß ich ihm eintretenden Falles auch beistehen. Der Fall ist aber eingetreten, wie mir scheint, oder er wird nie mehr eintreten.«

Chicot war entschlossen und edelmüthig; überdies neugierig; er nahm seinen langen Degen von der Wand, schob ihn unter seinen Arm und stieg eiligst seine Treppe hinab.

Chicot wußte seine Thüre zu öffnen, ohne daß das geringste Geräusch entstand, was eine unerläßliche Wissenschaft für Jeden ist, der mit Nutzen horchen will.

Chicot schlüpfte unter dem Balcon hinter einen Pfeiler und wartete.

Kaum stand er hier, als sich die Thüre gegenüber auf ein Wort öffnete, das der Unbekannte durch das Schloß flüsterte; doch er blieb auf der Schwelle.

Einen Augenblick nachher erschien die Dame im Rahmen der Thüre.

Sie nahm den Arm des Cavaliers, der sie zur Sänfte zurückführte, die Thüre derselben schloß und wieder zu Pferde stieg.

»Es unterliegt keinem Zweifel, es war der Mann,« sagte Chicot, »im Ganzen ein guter Kerl von einem Mann, da er nicht ein wenig in dem Hause suchte, um meinem Freund Carmainges den Bauch aufschlitzen zu lassen.

Die Sänfte setzte sich in Bewegung, der Cavalier ritt am Schlag.

»Bei Gott!« sagte Chicot zu sich selbst, »ich muß diesen Leuten folgen, damit ich weiß, wer sie sind und wohin sie gehen; sicherlich werde ich aus meiner Entdeckung einen soliden Rath für meinen Freund Carmainges ziehen.«

Chicot folgte ihnen in der That, wobei er die Vorsicht beobachtete, im Schatten der Mauern zu bleiben und seinen Tritt in dem Geräusch der Tritte der Menschen und Pferde zu ersticken.

Das Erstaunen von Chicot war nicht gering, als er die Sänfte vor dem Gasthaus zum Kühnen Ritter anhalten sah.

Beinahe in demselben Augenblick, als ob Jemand gewacht hätte, öffnete sich die Thüre.

Immer noch verschleiert, stieg die Dame aus, trat ein und ging in das Thürmchen hinauf, dessen Fenster im ersten Stock beleuchtet waren.

Der Mann ging hinter ihr hinauf.

Dem Ganzen schritt Dame Fournichon, eine Kerze in der Hand haltend, voran.

»Das ist mir offenbar durchaus unbegreiflich,« sagte Chicot, indem er seine Arme über der Brust kreuzte.

Sechzehntes Kapitel
Wie Chicot in dem Briefe des Herrn Herzogs von Guise klar zu sehen anfing

Chicot glaubte irgendwo die Haltung dieses so gefälligen Cavaliers gesehen zu haben; doch sein Gedächtniß, das sich während seiner Reise nach Navarra, wo er so verschiedenartige Haltungen zu Gesicht bekommen, etwas verwirrt hatte, lieferte ihm nicht mit seiner gewöhnlichen Leichtigkeit den Namen, den er auszusprechen wünschte.

Während er im Schatten verborgen, die Augen auf das beleuchtete Fenster geheftet, sich fragte, was dieser Mann und diese Frau, nachdem sie Ernauton in dem geheimnißvollen Hause zurückgelassen, unter vier Augen im Kühnen Ritter machen dürften, sah unser würdiger Gascogner, wie sich die Thüre des Wirthshauses öffnete und in dem Lichtstreifen, der aus der Oeffnung hervordrang, Etwas wie die schwarze Silhouette eines Mönchleins erschien.

Diese Silhouette hielt einen Augenblick an, um nach demselben Fenster zu schauen, nach dem Chicot schaute.

»Oho!« murmelte er, »das scheint mir ein Jacobinerrock zu sein; läßt Meister Gorenflot in der Disciplin nach, daß er seinen Schafen zu einer solchen Stunde der Nacht und in einer solchen Entfernung von der Priorei umherzuschweifen gestattet?«

Chicot folgte mit den Augen dem Jacobiner, während er die Rue des Augustins hinabging, und ein besonderer Instinkt sagte ihm, er würde in dem Mönch den Schlüssel zu dem Räthsel finden, den er bis jetzt vergebens gesucht hatte.

Wie Chicot die Haltung des Cavaliers zu erkennen geglaubt hatte, so glaubte er bei dem Mönchlein eine gewisse Schulterbewegung, eine gewisse militärische Ungezwungenheit zu erkennen, welches nur den Stammgästen der Fechtsäle eigenthümlich sind.

»Ich will verdammt sein,« sagte er, »wenn dieses Mönchsgewand nicht dem kleinen Ungläubigen angehört, den man mir als Reisegefährten geben wollte, und der mit der Büchse dem Rappier so gut umzugehen weiß.«

Kaum war Chicot dieser Gedanke gekommen, als er, um sich von dem Werthe desselben zu überzeugen, seine Beine weit ausstreckte und in zehn Schritten den kleinen Burschen einholte, der, um rascher gehen zu können, seinen Rock an seinem mageren, nervigen Bein aufgeschlagen hatte.

Dies war übrigens keine große Schwierigkeit, insofern der kleine Mönch von Zeit zu Zeit stille stand, um zurückzuschauen, als entfernte er sich nur ungern und mit tiefem Bedauern.

Sein Blick war beständig nach den glänzenden Fenstern des Wirthshauses gerichtet, Chicot hatte nicht zehn Schritte gemacht, als er sicher war, daß er sich in seinen Vermuthungen nicht getäuscht hatte.

»Hollah! kleiner Bursche,« sagte er, »hollah, mein kleiner Jacques; hollah, mein kleiner Clement, Halt!«

Dieses letzte Wort sprach er auf eine so militärische Weise, daß der Mönch darüber bebte.

»Wer ruft mich?« fragte der junge Mann mit einem heftigen und mehr herausfordernden, als wohlwollenden Ton.

»Ich!« erwiederte Chicot, indem er sich vor dem Jacobiner hoch aufrichtete, »ich, erkennst Du mich nicht, mein Sohn?«

»Ah! Herr Robert Briquet.« rief das Mönchlein.

»Ich selbst, kleiner. Und wohin gehst Du so spät, liebes Kind?«

»In die Priorei, Herr Briquet.«

»Gut; doch woher kommst Du?«

»Ich?«

»Allerdings, kleiner Nachtschwärmer.«

Zitternd erwiederte der junge Mensch:

»Ich weiß nicht, was Ihr da sagt, Herr Briquet; Ich bin im Gegentheil in einem wichtigen Auftrag von Dom Modeste abgeschickt, und er selbst wird dies bei Euch zeugen, wenn es nöthig ist…«

»Ruhig, ruhig, mein kleiner Heiliger; wir fangen Feuer wie eine Lunte, wie es scheint.«

»Ist kein Grund dazu vorhanden, wenn man sich nennen hört, wie Ihr mich nennt?«

»Ah! siehst Du, wenn ein Gewand wie das Deinige zu einer solchen Stunde aus einer Schenke herauskommt…«

»Ich, aus einer Schenke!«

»Ei! gewiß, ist das Haus, aus dem Du kommst, nicht das zum Kühnen Ritter? Ah! Du siehst wohl, daß ich Dich ertappe.«

»Ihr habt Recht, »erwiederte Clement, »doch ich kam nicht aus einer Schenke.«

»Wie, ist das Wirthshaus zum Kühnen Ritter nicht eine Schenke?«

»Eine Schenke ist ein Haus wo man trinkt, und da ich in diesem Hause nichts getrunken habe, so ist dieses Haus für mich keine Schenke.«

»Teufel! die Unterscheidung ist fein, wenn mich nicht Alles täuscht, wirst Du eines Tags ein gewaltiger Theolog; doch wenn Du nicht in dieses Haus gingst, um zu trinken, warum gingst Du denn dahin?«

Clement antwortete nicht und Chicot konnte auf seinem Gesichte, trotz der Dunkelheit, den festen Willen, nicht ein einziges Wort mehr zu sagen, lesen.

Dieser Entschluß war unserem Freunde sehr ärgerlich, da er die Gewohnheit angenommen hatte, Alles in Erfahrung zu bringen.

Nicht als hätte Clement einen gewissen Trotz in sein Stillschweigen gelegt; er hatte im Gegentheil ganz entzückt geschienen, daß er auf eine so unerwartete Weise seinen gelehrten Professor der Fechtkunst, Meister Robert Briquet, wieder getroffen, und war in seinem Empfang so freundlich gegen ihn gewesen, als es sich nur immer von dieser herbem verschlossenen Natur erwarten ließ.

Das Gespräch hatte gänzlich aufgehört. Um es wieder anzuknüpfen, war Chicot auf dem Punkt, den Namen des Bruder Borromée auszusprechen; aber obgleich er keine Gewissensbisse hatte, oder keine zu haben glaubte, erstarb doch dieser Name auf seinen Lippen.

Der junge Mann, während er stumm blieb, schien etwas zu erwarten; er sah aus, als betrachtete er es als ein Glück, so lange als möglich in der Gegend des Wirthshauses zum Kühnen Ritter bleiben zu können.

Robert Briquet versuchte es, mit ihm von der Reise zu sprechen, die das Kind mit ihm machen zu dürfen einen Augenblick die Hoffnung gehabt hatte.

Die Augen von Jacques Clement glänzten bei den Worten Raum und Freiheit.

Robert Briquet erzählte, in den Ländern, die er durchwandert, stehe die Fechtkunst sehr in Ehren, und er fügte nachlässig bei, er habe sogar einige vortreffliche Stöße mitgebracht.

Dies hieß Jacques auf einen brennenden Boden führen. Er verlangte die Stöße kennen zu lernen, und Chicot markirte einige auf dem Arm des kleinen Bruders.

Doch alle diese Possen von Chicot erweichten die Halsstarrigkeit des kleinen Clement nicht, und während er die unbekannten Stöße, die ihm sein Freund, Meister Robert Briquet zeigte, zu pariren suchte, beobachtete er ein hartnäckiges Stillschweigen in Beziehung auf das, was er im Quartiere gethan.

Aergerlich, aber Herr über sich, beschloß Chicot, es mit der Ungerechtigkeit zu versuchen. Die Ungerechtigkeit ist eine der mächtigsten Herausforderungen, die erfunden worden sind, um die Frauen, die Kinder und die Untergeordnetem welcher Natur sie auch sein mögen, zum Sprechen zu bringen.

»Gleichviel, Kleiner,« sagte er, als ob er auf seinen ersten Gedanken zurückkäme, »gleichviel, Du bist ein ganz artiges Mönchlein; doch Du gehst in Wirthshäuser, und vollends in welche Wirthshäuser? in denjenigen, wo man schöne Frauen findet, und Du bleibst in Extase vor dem Fenster stehen, wo man ihren Schatten sehen kann; Kleiner, Kleiner, ich werde es Dom Modeste sagen.«

Der Schlag traf scharf, schärfer sogar, als es Chicot gedacht hatte, denn er vermuthete Anfangs nicht, die Wunde würde so tief werden.

Jacques wandte sich um, einer Schlange ähnlich, die man mit den Füßen tritt.

»Das ist nicht wahr,« rief er roth vor Scham und Zorn, »ich schaue nicht nach den Frauen.«

»Doch, doch!« fuhr Chicot fort, »es war im Gegentheil eine sehr schöne Frau im Kühnen Ritter, als Du heraus kamst, und Du hast Dich umgewandt, um sie noch zu sehen, und ich weiß, daß Du im Thürmchen auf sie wartetest, und ich weiß, daß Du sie gesprochen hast.«

Chicot verfuhr durch Schlüsse.

Jacques konnte nicht mehr an sich halten.

»Allerdings habe ich sie gesprochen,« rief er, »ist es eine Sünde, mit Frauen zu sprechen?

»Nein, wenn man mit ihnen nicht aus eigenem Antrieb durch eine Versuchung Satans bewogen spricht.«

»Satan hat bei allem dem nichts zu thun, und ich mußte wohl mit dieser Dame sprechen, da ich beauftragt war, ihr einen Brief zu übergeben.«

»Beauftragt von Dom Modeste?« rief Chicot.

»Ja, klagt nun bei ihm.«

Einen Augenblick betäubt und in der Finsterniß tappend, fühlte Chicot, bei diesen Worten einen Blitz die Dunkelheit seines Gehirnes durchzucken.

»Ah!« sagte er, »ich wußte das wohl.«

»Was wußtet Ihr?«

»Das, was Du mir nicht sagen wolltest.«

»Ich sage nicht einmal meine Geheimnisse, und noch viel weniger die von Andern.«

»Ja; aber mir.«

»Warum Euch?«

»Mir, der ich ein Freund von Dom Modeste bin, und dann mir…«

»Nun?«

»Mir, der ich zum Voraus Alles weiß, was Du mir sagen könntest.«

Der kleine Jacques schaute Chicot den Kopf schüttelnd und mit einem ungläubigen Lächeln an.

»Sol! ich Dir erzählen, was Du mir nicht erzählen willst?« fragte Chicot.

»Erzählt es mir,« erwiederte Jacques.

»Vor Allem,« sprach Chicot, »ist der arme Borromée …«

Das Gesicht von Jacques verdüsterte sich.

»Oh!« sagte der Knabe, »wenn ich dabei gewesen wäre…«

»Wenn Du dabei gewesen wärest?«

»So würde die Sache nicht so gegangen sei.«

»Du hättest ihn gegen die Schweizer vertheidigt, mit denen er Streit bekommen?«

»Somit wäre er nicht getödtet worden.«

»Oder ich wäre mit ihm getödtet worden.«

»Nun, Du warst nicht dabei, und der arme Teufel ist in einem abscheulichen Wirthshause gestorben, und hat sterbend den Namen von Dom Modeste ausgesprochen?«

»Ja.«

»Man hat Dom Modeste davon benachrichtigt?«

»Ein Mann erschien ganz bestürzt und machte Lärmen im Kloster.«

»Und Dom Modeste ließ seine Sänfte kommen, und eilte nach dem Füllhorn

»Woher wißt Ihr das?«

»Oh! Du kennst mich noch nicht, Kleiner; ich bin ein wenig Hexenmeister.«

Jacques wich zwei Schritte zurück.

»Das ist noch nicht Alles,« fuhr Chicot fort, der sich, während er sprach, durch das eigene Licht seiner Worte erleuchtete, »man fand einen Brief in der Tasche des Todten.«

»Einen Brief, so ist es.«

»Und Dom Modeste beauftragte seinen kleinen Jacques, diesen Brief an seine Adresse zu überbringen.«

»Ja.«

»Und der kleine Jacques lief auf der Stelle nach dem Hotel Guise.«

»Oh!«

»Wo er Niemand fand…«

»Guter Gott!«

»Als Herrn von Mayneville.«

»Barmherzigkeit.«

»Welcher Herr von Mayneville Jacques in das Wirthshaus zum Kühnen Ritter führte.«

»Herr Briquet! Herr Briquet!« rief Jacques, »wenn Ihr das wißt!«

»Alle Wetter, Du siehst wohl, daß ich es weiß,« rief Chicot, triumphirend, daß er dem für ihn so wichtigen Unbekannten die Umhüllung, die ihn Anfangs verbargen, abgestreift hatte.

»Ihr seht also wohl,« sagte Jacques, »Ihr seht, Herr Briquet, daß ich nicht schuldig bin.«

»Nein,« erwiederte Chicot, »Du bist weder durch eine Handlung, noch durch eine Unterlassung schuldig, wohl aber in Gedanken.«

»Ich?«

»Gewiß, Du findest die Herzogin sehr schön.«

»Ich!!«

»Und Du wendest Dich um, damit Du sie noch einmal durch die Scheiben siehst.«

»Ich!!!«

Das Mönchlein erröthete und stammelte:

»Es ist richtig, sie gleicht einer Jungfrau Maria, die zu den Häupten meiner Mutter war.«

»Oh!« murmelte Chicot, »wie viel geht für die Leute verloren, welche nicht neugierig sind.«

Dann ließ er sich von dem kleinen Clement, der nur seiner Discretion anheimgegeben war, Alles erzählen, was er selbst erzählt hatte, nur diesmal mit Einzelheiten, die er nicht wissen konnte.

»Siehst Du,« sagte Chicot, als er zu Ende war, »siehst Du, welch einen armseligen Fechtmeister Du an Bruder Borromée hattest!«

»Herr Briquet,« erwiederte der kleine Jacques, »man muß von den Todten nichts Schlimmes reden.«

»Doch gestehe Eines.«

»Was?«

»Daß Borromée weniger gut ficht, als derjenige, welcher ihn getödtet hat.«

»Das ist wahr.«

»Wohl! das war Alles, was ich Dir zu sagen hatte… Gute Nacht, mein kleiner Jacques, auf baldiges Wiedersehen, und wenn Du willst…«

»Was, Herr Briquet?«

»Nun, so werde ich Dir in Zukunft Lectionen in der Fechtkunst geben.«

»Oh! sehr gern.«

»Vorwärts, vorwärts, Kleiner, denn man erwartet Dich voll Ungeduld in der Priorei.«

»Es ist wahr; ich danke, Herr Briquet, daß Ihr mich daran erinnert.«

Und das Mönchlein verschwand, eiligst davonlaufend.

Nicht ohne Grund hatte Chicot den kleinen Jacques entlassen. Er hatte Alles von ihm herausgelockt, was er wissen wollte, und mußte noch auf einer andern Seite etwas in Erfahrung bringen.

Mit großen Schritten kehrte er daher nach seinem Hause zurück. Die Sänfte, die Träger und das Pferd waren immer noch vor der Thüre des Kühnen Ritters.

Geräuschlos erreichte er seine Rinne.

Das dem seinigen gegenüberliegende Haus war noch beleuchtet.

Von nun an hatte er nur Blicke für dieses Haus.

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