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Kitabı oku: «Die Zwillingsschwestern von Machecoul»

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Erster Theil

I.
Der Adjutant Charette’s

Wer von Nantes nach Bourgneuf gereist ist, hat bei St. Philibert die südliche Spitze des Sees Grand-Lieu berührt und nach einer weiteren Fahrt von einer oder einer Fußwanderung von zwei Stunden die ersten Bäume des Waldes von Machecoul erreicht.

Links von dem Wege, in einer von dem Walde nur durch die Landstraße getrennten Baumgruppe wird der Reisende die Spitzen von zwei schlanken Thürmen und das graue Dach eines alten Schlosses bemerkt haben.

Dieser Edelsitz hatte mit seinem geborstenen Gemäuer, mit seinen zerbrochenen Fenstern und seinem mit Moos überwucherten Dache ein so armseliges Aussehen, daß der Besitzer gewiß von keinem Reisenden beneidet worden wäre, wenn die Lage vor dem großen herrlichen Walde von Machecoul nicht so reizend gewesen wäre.

Im Jahre 1831 war das kleine Schloß die Besitzung des Marquis von Souday, eines alten Edelmannes, dessen Namen es auch führte.

Der Marquis war der einzige Repräsentant und der letzte Erbe eines alten berühmten bretagnischen Geschlechtes; denn der See Grand-Lieu, der Wald von Machecoul und die Stadt Bourgneuf liegen in dem jetzigen Departement der Niederloire und gehörten vormals zu der Provinz Bretagne. Die Familie war einst ein großer Stamm gewesen, der seine Aeste über diese ganze Provinz ausgebreitet hatte, aber die Ahnen des Marquis hatten diese Aeste durch aristokratischen Luxus dergestalt entblättert, daß das Jahr 1789 ganz gelegen gekommen war, um den wurmstichigen Baum nicht von den Gerichtsdienern fällen zu lassen und ihm ein seines berühmten Namens würdigeres Ende zu bereiten.

Als die letzte Stunde der Bastille schlug, war der Marquis von Souday erster Page Sr. königlichen Hoheit des Grafen von Provence. Für einen sechzehnjährigen Pagen sind die folgenschwersten Ereignisse nur unbedeutende Vorfälle, und es wäre in der That zu verwundern gewesen, wenn der junge Marquis an dem üppigen Hofe des Luxembourg nicht leichtsinnig und sorglos geworden wäre.

Er war auf den Grèveplatz geschickt worden, um zu sehen, wie Favras unter der Hand des Henkers den Geist aufgeben und dadurch Sr. königlichen Hoheit die eine kleine Weile getrübte Ruhe wiedergeben würde.

Er war sogleich wieder ins Luxembourg zurückgeeilt und hatte gemeldet:

»Monseigneur, es ist geschehen!«

Und Monseigneur hatte mit seiner sanften flötenden Stimme zur Tafel gerufen.

Und man hatte soupirt, als ob ein braver Edelmann, der Sr. Hoheit das Leben geopfert, nicht soeben wie ein Dieb und Mörder gehängt worden wäre.

Dann waren die ersten düsteren Tage der Revolution gekommen: die Veröffentlichung des rothen Buches, der Rücktritt Necker’s, der Tod Mirabeau’s.

Am 22. Februar 1791 hatte eine große Menschenmenge das Luxembourg umzingelt. Es hatten sich bedenkliche Gerüchte verbreitet: der Prinz, hieß es, wolle flüchten und mit den am Rhein sich versammelnden Emigranten gemeinsame Sache machen. Aber »Monsieur« zeigte sich auf dem Balcon und gelobte feierlich, den König nicht zu verlassen.

Am 21. Juni reiste er wirklich mit dem Könige ab, vermuthlich um sein Wort nicht zu brechen.

Er verließ ihn indeß doch und zu seinem Glück, denn er erreichte mit seinem Begleiter, dem Marquis von Avaray, wohlbehalten die Grenze, während Ludwig XVI. zu Varennes verhaftet wurde.

Der junge Marquis mochte als Aristokrat vom reinsten Wasser nicht in Frankreich bleiben, wo der König doch seine treuesten Diener nicht entbehren konnte. Er wanderte ebenfalls aus, und da der achtzehnjährige Page von Niemand beachtet wurde, so kam er glücklich nach Coblenz, wo er unter die Mousquetaires trat, welche unter dem Befehle des Marquis von Montmorency wieder zu einem Corps zusammentraten. In den ersten Treffen kämpfte er tapfer, wurde vor Thionville verwundet und nach manchen Enttäuschungen sah er sich, nebst vielen Leidensgefährten, durch die Auflösung des Emigrantencorps von allen Hilfsmitteln entblößt.

Der Marquis von Souday richtete nun sein Augenmerk auf die Bretagne und Vendée, wo seit zwei Jahren gekämpft wurde. Die ersten Führer des Aufstandes waren todt. Cathelineau war bei Vannes, Lescure zu La Tremblaye, Bonchamp bei Cholet gefallen, d’Elbée war zu Noirmoutier erschossen worden.

Die sogenannte große Armee war bei Mans vernichtet worden; die Treffen von Fontenay, Saumur, Torfou, Laval und Dol waren eben so viele Niederlagen für sie gewesen; sie hatte in sechzig Treffen gesiegt, sie hatte den Streitkräften der Republik unter Biron, Rossignol, Kléber, Westermann, Marceau die Spitze geboten; sie hatte die Hilfe Englands abgelehnt und war Zeuge gewesen, wie ihre Hütten in Brand gesteckt, ihre Weiber, Kinder und Väter gemordet wurden. Cathelineau, Henri de la Rochejacquelein, Stofflet, Bonchamps, Forestier, d’Elbée, Lescure, Marigny und Talmont waren ihre Führer gewesen; sie war dem Könige treu geblieben, als die übrigen Provinzen Frankreichs von ihm abgefallen waren; sie hatte ihren Gott verehrt, als man in Paris öffentlich erklärt hatte, es gebe keinen Gott; sie hatte es endlich dahin gebracht, daß Napoleon die Vendée das Land der Riesen nannte.

Charette und la Rochejacquelein waren ziemlich allein geblieben. Charette hatte wohl noch eine Armee, la Rochejacquelein hatte keine mehr.

Während nämlich die große Armee bei Mans vernichtet wurde, hatte Charette, zum Oberbefehlshaber von Niederpoitou ernannt, mit Jolly’s Hilfe eine Armee zusammengebracht. An der Spitze dieser Armee traf ihn la Rochejacquelein, der kaum ein Dutzend Kriegsleute bei sich hatte, unweit Maulevrier.

Charette wußte wohl, daß er es mit einem Generale, nicht mit einem Soldaten zu thun hatte; er wollte im Bewußtseyn seiner Kraft den Oberbefehl nicht theilen und blieb kalt und stolz gegen la Rochejacquelein, den er nicht einmal zum Frühstück einlud.

An demselben Tage verließen achthundert Mann das Heer Charettes und gingen zu la Rochejacquelein über.

Am folgenden Tage sagte Charette zu seinem Nebenbuhler: »Ich marschire nach Mortagne; Sie werden mir folgen.«

»Bis jetzt,« erwiderte la Rochejacquelein, »war ich nicht gewohnt zu folgen, sondern Andere in meinem Gefolge zu sehen.«

Er marschirte ebenfalls ab und ließ Charette nach Gutdünken operiren.

Dem Letzteren werden wir folgen, denn er ist der Einzige, dessen tragisches Ende mit unserer Geschichte in Verbindung steht.

Ludwig XVII. war todt, und am 26. Juni 1795 wurde Ludwig XVIII. im Hauptquartier zu Belleville zum Könige ausgerufen.

Am 15. August 1795, also weniger als zwei Monate nach dieser Erklärung, brachte ein junger Mann dem General Charette ein Schreiben von dem neuen Könige. Dieses Schreiben, von Verona 8. Juli 1795 datirt, ernannte Charette zum Oberbefehlshaber des Royalistenheeres.

Charette wollte durch denselben Boten sein Dankschreiben an den König senden, aber der junge Mann antwortete, er sei gesonnen in Frankreich zu bleiben und zu kämpfen, und sprach den Wunsch aus, daß die von ihm überbrachte Depesche zu seiner Empfehlung beim Obergeneral dienen möge.

Charette ernannte ihn sogleich zum Ordonnanzoffizier.

Der Ueberbringer des königlichen Schreibens war kein Anderer als der junge Marquis von Souday.

Als sich der Marquis entfernte, um sich von seinem anstrengenden Ritt zu erholen, bemerkte er einen jungen Bauer, der um einige Jahre älter war als er und ihn ehrerbietig begrüßte.

Er erkannte einen Pächterssohn, mit welchem er als Knabe oft auf die Jagd gegangen war und unter dessen geschickter Leitung er das edle Waidwerk erlernt hatte.

»Jean Oullier!« sagte er erstaunt, »bist Du es?«

»Ja, zu dienen, Herr Marquis,« antwortete der junge Bauer.

»Das freut mich; bist Du immer noch ein guter Jäger?«

»O ja, Herr Marquis; jetzt jagen wir freilich ein anderes Wild.«

»Nun, wenn Du willst, jagen wir dieses mit einander, wie wir das andere jagten.«

»Ich nehme es mit Vergnügen an, Herr Marquis,« antwortete Jean Oullier.

Dieser war von nun an der unzertrennliche Gefährte des Marquis von Souday; der Adjutant des Obergenerals hatte also ebenfalls seinen Adjutanten.

Jean Oullier war nicht nur ein geschickter Waidmann, sondern auch in anderer Hinsicht ein unbezahlbarer Mensch: im Lager war er zu Allem gut, und der Marquis von Souday hatte für nichts zu sorgen. In den größten Bedrängnissen fehlte es dem Marquis nie an einem Stück Brot, an einem Kruge Wasser und an einem Bündel Stroh. Und dies war in der Vendée ein Luxus, der nicht einmal dem Obergeneral immer zu Theil wurde.

Wir kommen hier sehr in Versuchung, Charette und dem jungen Marquis auf einigen abenteuerlichen Streifzügen zu folgen; aber die Geschichte ist eine verführerische Syrene und wenn man einmal so unbesonnen war, ihrem Winke zu folgen, so weiß man nicht, wohin man von ihr geführt wird.

Wir wollen daher unsere Erzählung möglichst vereinfachen und es einem Andern überlassen, den Feldzug des Grafen von Artois nach Noirmoutiers und nach Ile-Dieu zu schildern und zu erklären, wie der Prinz drei Wochen im Angesicht der französischen Küste blieb, ohne zu landen, und wie das Royalistenheer entmuthigt wurde, als es sich von denen verlassen sah, für die es seit mehr als zwei Jahren gekämpft hatte.

Charette errang nichtsdestoweniger einige Zeit später den furchtbaren Sieg bei Quatre-Chemins: es war der letzte. In seiner Armee waren Verräther. In der letzten Zeit seines Lebens konnte er keinen Schritt thun, ohne daß sein Gegner, es mochte nun Hoche oder Travot seyn, davon benachrichtigt wurde.

Von den republicanischen Truppen umringt, Tag und Nacht gehetzt, von einem Versteck zum andern verfolgt, ohne Obdach und Nahrung, hat er nur noch zweiunddreißig Mann bei sich; unter ihnen der Marquis von Souday und Jean Oullier. Am 25. März l795 meldet man ihm daß vier republikanische Colonnen gegen ihn anrücken.

»Gut,« sagte er, »wir müssen hier kämpfen und unser Leben theuer verkaufen.«

Es war zu La Prélinière in der Gemeinde St. Sulpice.

Aber mit seinen zweiunddreißig Mann begnügte sich Charette nicht, die Republicaner zu erwarten: er zieht ihnen entgegen. Bei La Guyonnière findet er den General Valentin mit zweihundert Grenadieren und Chasseurs.

Charette findet eine gute Position und verschanzt sich. Hier wehrt er drei Stunden lang die Angriffe und das Feuer der zweihundert Republicaner ab.

Zwölf von seinen Leuten fallen. Das Heer, welches aus 24,000 Mann bestand, als der Graf von Artois auf Ile-Dieu war, ist bis auf zwanzig Mann zusammengeschmolzen.

Diese zwanzig Mann halten Stand mit ihrem General, keiner von ihnen denkt an Flucht.

Endlich nimmt der General Valentin eine Muskete und greift an der Spitze seiner noch kampffähigen hundertachtzig Mann mit dem Bajonnete an.

Bei diesem Angriffe erhält Charette eine Schußwunde am Kopf und drei Finger werden ihm abgehauen. Um seine unvermeidliche Gefangennahme zu verhüten, nimmt ein Elsässer, Namens Pfeffel, seinen Federhut, gibt ihm den seinigen und sagt zu ihm, indem er sich links wendet:

»Halten Sie sich rechts; jetzt wird man mich verfolgen.«

Die Republicaner stürzen wirklich auf ihn zu, während Charette mit seinen noch übrigen fünfzehn Mann in entgegengesetzter Richtung forteilt.

Als Charette eben den Wald La Chabotièrie erreichte, erschien die Colonne des Generals Favrot.

Es beginnt ein neuer verzweifelter Kampf, in welchem Charette den Tod sucht. Aber der Blutverlust hat ihn erschöpft; er wankt. Ein Vendéer, Namens Rassard, nimmt ihn auf die Schultern und trägt ihn in den Wald. Eine Kugel trifft ihn, er fällt. Ein Anderer, Namens Laroche-Davo, löst ihn ab, läuft fünfzig Schritte und fällt, von den feindlichen Kugeln ereilt, in den Graben, der den Wald von der Ebene trennt.

Der Marquis von Souday nimmt ihn nun auf, und während Jean Oullier mit seiner Doppelflinte die beiden am nächsten kommenden republicanischen Soldaten niederschießt, stürzt er mit seinem General und den noch übrigen sieben Mann in den Wald.

Fünfzig Schritte vom Saume des Waldes scheint Charette sich wieder zu erholen.

»Souday,« sagte er, »höre meinen letzten Befehl.«

Der junge Marquis bleibt stehen.

»Setze mich unter dieser Eiche nieder.«

Er zögerte.

»Ich bin immer noch dein General,« setzte Charette gebieterisch hinzu, »Du mußt mir gehorchen!«

Souday fügte sich und setzte den General unter der Eiche nieder.

»Jetzt höre mich an,« sagte Charette. »Der König, der mich zum Obergeneral ernannt hat, muß wissen, wie sein Obergeneral gestorben ist. Begib Dich wieder zu Sr. Majestät Ludwig XVIII. und erzähle, was Du gesehen hast. Ich will es!«

Charette sprach so ernst und feierlich, dass es dem Marquis von Souday, den der General zum ersten Male duzte, gar nicht einfiel, den Gehorsam zu verweigern.

Er lehnte seinen General an den Stamm der Eiche.

»Jetzt,« sagte Charette, »hast Du keine Minute zu verlieren. Fliehe, dort kommen die Blauen.«

Die Republicaner erschienen wirklich am Saume des Waldes.

Souday nahm die Hand, die ihm Charette reichte.

»Umarme mich,« sagte der General.

Der junge Marquis schloß ihn in seine Arme.

»Jetzt ist’s genug,« sagte der General, »fort! fort!«

Souday warf einen Blick auf Jean Oullier.

»Kommst Du?« fragte er ihn.

Aber Oullier schüttelte traurig den Kopf und erwiderte: »Was soll ich drüben thun, Herr Marquis? Hier hingegen —«

»Hier! was willst Du hier thun?«

»Das will ich Ihnen sagen, Herr Marquis, wenn wir uns einmal wiedersehen.«

Er schickte seine beiden Kugeln den zwei nächsten Republicanern zu.

Die beiden Republicaner fielen.

Der Eine war ein Stabsoffizier. Die Republicaner drängten sich um ihn.

Jean Oullier und der Marquis von Souday benutzten diese kurze Frist, um tiefer in den Wald zu gehen.

In einer Entfernung von fünfzig Schritten schlüpfte Jean Oullier in einen Busch und winkte seinem Herrn ein Lebewohl zu.

Der Marquis von Souday ging weiter.

II.
Königlicher Dank

Der Marquis von Souday erreichte das Ufer der Loire und ließ sich von einem Fischer zur Landspitze von St. Gildas führen.

Eine Fregatte war in Sicht. Es war eine englische Fregatte. Für einige Louisd’or mehr führte der Fischer den Marquis bis zur Fregatte.

Er war gerettet.

Einige Tage nachher rief die Fregatte ein Kauffahrteischiff an, welches dem Canal La Manche zusteuerte.

Es war ein holländisches Schiff.

Der Marquis von Souday wünschte sich an Bord desselben zu begeben; der englische Capitän ließ ihn in der Schaluppe hinüber bringen.

Der holländische Dreimaster setzte ihn in Rotterdam ab.

Von Rotterdam begab sich der Marquis nach Blankenburg im Herzogthum Braunschweig, wo Ludwig XVIlI. damals wohnte.

Er hatte die letzten Befehle Charette’s zu vollziehen.

Ludwig XVIII. war eben bei Tische; die Stunde der Tafel war für ihn ein höchst wichtiger Theil des Tages.

Der vormalige Page mußte warten. Nach der Tafel wurde er vorgelassen.

Er erzählte die Ereignisse, die unter seinen Augen stattgefunden hatten, insbesondere die letzte Katastrophe mit solcher Beredsamkeit, daß der sonst eben nicht leicht zu rührende König ihn unterbrach:

»Genug! genug! der Chevalier de Charette war ein braver Diener, wir erkennen es an.«

Der Bote wurde entlassen. Beim Fortgehen hörte er, wie Ludwig XVIII. mit verdrießlichem Tone sagte: »Der alberne Souday erzählt mir solche Dinge nach der Tafel: er stört meine Verdauung!«

Der Marquis war empfindlich; er hatte sechs Monate sein Leben aufs Spiel gesetzt, und fand den Lohn nicht ganz angemessen.

Er hatte noch etwa hundert Louisd’or in der Tasche. Noch denselben Abend reiste er von Blankenburg ab; er begab sich über Holland nach England.

Dort begann ein neuer Abschnitt in dem Leben des Marquis von Souday. Er gehörte zu den Menschen, deren Stimmung von Umständen und äußeren Eindrücken abhängt, die stark oder schwach, muthig oder zaghaft sind, je nach den Verhältnissen, in welche der Zufall sie versetzt. Sechs Monate hatte er tapfer gekämpft in dem Kriege der Riesen, wie Napoleon den Krieg in der Vendée nannte. Er hatte die Gebüsche und das Heideland von Ober- und Niederpoitou mit seinem Blute gefärbt, er hatte nicht nur das Unglück der blutigen Kämpfe, sondern auch die mit diesem Guerillakriege verbundenen zahllosen Entbehrungen mit stoischem Gleichmuth ertragen; er hatte im Schnee übernachtet, war ohne Brot, ohne Obdach in den Wäldern der Vendée umhergeirrt, ohne eine Klage laut werden zu lassen.

Aber in London, wo er einsam und verlassen umherirrte, verlor er den Muth; das Elend, welches ihn in der Verbannung erwartete, raubte ihm seine Fassung. Der junge Mann, der mit einer Handvoll Chouans gegen zehnfach überlegene republicanische Colonnen gekämpft hatte, wußte den Einflüsterungen der Langweile nicht zu widerstehen; er suchte überall Zerstreuungen, um die Lücke auszufüllen, die in seinem Leben entstanden war, seitdem er nicht mehr in dem rasenden Getümmel eines Vernichtungskampfes war.

Der Verbannte war zu arm, um feinere, höhere Genüsse zu wählen, und so verlor er nach und nach die cavaliermäßige Eleganz, welche die Bauernkleider nicht vermindert hatten, und mit jener äußern Eleganz verlor er den Sinn für feinere Genüsse. Da er keinen Champagner bezahlen konnte, trank er Ale und Porter, und der junge liebenswürdige Marquis, dem vielleicht manche Herzogin hold gewesen war, fand Gefallen an den bebänderten Dirnen von Haymarket und St. Giles.

Bald führten ihn die immer dringender werdenden Bedürfnisse des Lebens zu Auskunftsmitteln, die seinem Rufe schadeten. Er nahm auf Borg, was er nicht mehr bezahlen konnte, und machte Cameradschaft mit Wüstlingen geringeren Standes. Seine Unglücksgenossen zogen sich daher von ihm zurück und je mehr er sich verlassen sah, desto weiter ging er auf dem einmal betretenen schlechten Wege.

Als er dieses Leben bereits zwei Jahre geführt hatte, machte ihn der Zufall in einer Kneipe der City mit einem jungen Mädchen bekannt, welches von den in London so häufigen sittenlosen Dirnen zum ersten Male aus dem Dachstübchen hervorgeholt worden war und gezeigt wurde.

Ungeachtet der Veränderungen, die mit dem jungen Marquis vorgegangen waren, hatte er noch nicht allen Adel in seinem Benehmen verloren; die junge Arbeiterin faßte Vertrauen zu ihm, fiel ihm zu Füßen und bat ihn mit Thränen, sie dem schmachvollen Gewerbe, zu welchem man sie zwingen wollte, zu entreißen.

Eva – so hieß das Mädchen – war schön; der Marquis erbot sich, sie in Schutz zu nehmen.

Sie fiel ihm um den Hals, pries ihn als ihren Retter und sagte ihm ihre treue Liebe zu.

Der Marquis vereitelte also die schändliche Speculation, ohne daß er dabei eine gute Absicht hatte.

Eva hielt Wort. Der Marquis war ihre erste und letzte Liebe.

Die Zeit war übrigens für Beide recht günstig. Der Marquis fing an, der Hahnenkämpfe, des Biertrinkens, der Händel mit den Constabeln überdrüssig zu werden; er fand Erholung in der Liebe der schönen Eva, deren Besitz zugleich seiner Eigenliebe schmeichelte. So änderte er allmälig seine Lebensweise, und ohne gerade seinem Range gemäß zu leben, benahm er sich doch als Ehrenmann.

Er bezog mit Eva eine Dachstube in Piccadilly. Sie war eine geschickte Arbeiterin und fand Beschäftigung in einem Putzladen; er gab Fechtunterricht. Sie waren wenigstens vor Mangel geschützt und ihre gegenseitige Liebe war groß genug, um ihnen das Leben nicht nur erträglich, sondern sogar genußreich zu machen.

Die Liebe begann bald zu erkalten; aber die Gewohnheit hatte eine solche Gewalt über ihn bekommen, daß er weder die Kraft noch den Muth hatte, ein Verhältniß abzubrechen, in welchem sein zerrüttetes Gemüth einige Ruhe und Zufriedenheit gefunden hatte.

So führte der vormalige Wüstling, dessen Ahnen durch drei Jahrhunderte despotisch auf ihren Besitzungen geherrscht hatten, so führte der vormalige Genosse des »Wegelagerers« Charette zwölf Jahre lang das kärgliche traurige Leben eines armen Schreibers oder Handwerkers.

Der Himmel hatte lange gezögert, diesen ungesetzlichen Bund zu segnen; aber endlich ging der sehnliche Wunsch der armen Eva in Erfüllung: sie beschenkte den Marquis mit Zwillingstöchtern.

Aber Eva genoß dieses ersehnten Glückes nur einige Stunden. Sie starb im Wochenbette.

Sie liebte den Marquis nach zwölf Jahren noch eben so zärtlich, wie in den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft. Aber trotzdem erkannte sie, daß Frivolität und Selbstsucht der Grundzug in dem Charakter ihres Geliebten waren. Sie schied daher mit dem doppelten Schmerz einer ewigen Trennung und der Besorgniß um die Zukunft ihrer beiden Kinder.

Dieser Verlust machte auf den Marquis von Souday einen eigenthümlichen Eindruck, den wir zu schildern versuchen, weil er den Maßstab für die Beurtheilung des Mannes gibt, der in dieser Erzählung eine wichtige Rolle zu spielen berufen ist.

Anfangs beweinte er aufrichtig den Verlust seiner Lebensgefährtin, weil er nicht umhin konnte, ihre guten Eigenschaften und das Glück, welches er ihrer Liebe verdankt, anzuerkennen. Ein hartes, von Selbstsucht verknöchertes Herz bekommt da immer eine weiche Stelle, wenn es von einem andern liebenden Herzen auf ewig getrennt wird.

Als dieser erste Schmerz beruhigt war, fühlte der Marquis eine Anwandlung von der Freude eines Schülers, der sich auf einmal seines bisherigen Zwanges entledigt sieht. Sein Name, sein Rang, seine Geburt hätten den Bruch seines Verhältnisses zu Eva nothwendig machen können: es war ihm daher nicht ganz unlieb, daß ihn die Vorsehung dieser peinlichen Sorge überhoben hatte.

Aber diese Befriedigung war nur von kurzer Dauer. Die zärtliche Eva hatte den Marquis verwöhnt, er vermißte ihre treue, liebevolle Sorge, ihr stilles, rastloses Walten, ihre sanfte melodische Stimme; der Aufenthalt in der öden Dachstube wurde ihm unerträglich.

Der Marquis sehnte sich wieder nach seiner treuen Eva, und als er sich von seinen beiden kleinen Töchtern, die er nach Yorkshire in die Kost gab, trennen mußte, überließ er sich vom Neuen seinem Schmerz.

Er war nun von Allem getrennt was ihn an die Vergangenheit erinnerte. Er wurde traurig, des Lebens überdrüssig, und da sein religiöser Glaube nicht sehr fest war, so würde er aller Wahrscheinlichkeit nach in die Themse gesprungen seyn, wenn die Katastrophe von 1814 nicht eben zur rechten Zeit eingetreten wäre, um seine düsteren Gedanken zu vertreiben.

Als der Marquis von Souday in sein Vaterland zurückgekehrt war, wandte er sich natürlich an Ludwig XVIII., dessen Mildthätigkeit er in seiner Verbannung nie in Anspruch genommen hatte. Aber der König hatte einen dreifachen Vorwand, die von dem Marquis geleisteten Dienste unbelohnt zu lassen.

Erstens die unschickliche Weise, in welcher ihm ein vormaliger Page den Tod Charette’s gemeldet und dadurch seine Verdauung gestört hatte.

Zweitens seine unziemliche und von noch unziemlicheren Worten begleitete Abreise von Blankenburg.

Drittens sein anstößiges Leben während der Verbannung. Man zollte dem Muthe und der Hingebung des Marquis alles mögliche Lob, aber man gab ihm unter der Hand zu verstehen, daß er bei seinem anstößigen Vorleben auf ein öffentliches Amt nicht zählen dürfe. Der König, sagte man, sey nicht mehr unbeschränkter Gebieter; er habe die öffentliche Meinung zu berücksichtigen und sey berufen, nach einer so zügellosen, verderbten Zeit das Beispiel großer Sittenstrenge zu geben. Man gab dem Marquis zu bedenken, wie schön es von ihm seyn würde, seine früheren Verirrungen durch ein Leben voll Selbstverleugnung und strenger Pflichterfüllung zu führen. Kurz, er mußte sich mit dem Ludwigskreuz und dem Titel und Ruhegehalt eines Escadronschefs begnügen. Es blieb ihm nichts übrig, als mit diesem kärglichen, aus dem Schiffbruch geretteten Strandgut in sein Stammschloß zu ziehen.

Alle diese Enttäuschungen hielten den Marquis von Souday indeß nicht ab, im Jahre 1815 seine Pflicht zu thun: er verließ zum zweiten Male sein halbverfallenes Schloß, als Napoleon von der Insel Elba zurückkam.

Napoleon fiel zum zweiten Male, und wiederum befand sich der Marquis von Souday im Gefolge der heimkehrenden Bourbons.

Aber dieses Mal bewarb er sich nur um die unbesoldete Stelle eines Wolfsjägermeisters, und diese wurde ihm sogleich bewilligt.

Der Marquis, der in seiner Jugend keine Gelegenheit gehabt hatte, einer in seiner Familie erblichen nobeln Passion zu fröhnen, wurde nun ein leidenschaftlicher Jäger; denn in seiner ländlichen Einsamkeit fühlte er das Bedürfniß einer Zerstreuung, einer Anregung, die seine menschenfeindlichen Gedanken verscheuchte und jede Erinnerung an sein früheres Mißgeschick betäubte. Als Jägermeister hatte er das Recht, in den Staatswaldungen zu jagen, und dieser an sich unbedeutende Posten machte ihm mehr Freude, als sein Ludwigskreuz und seine Ernennung zum Escadronschef.

Der Marquis von Souday lebte bereits seit zwei Jahren in seinem kleinen Schlosse und jagte täglich mit seinen sechs Hunden, denn mehr zu halten, erlaubten ihm seine geringen Einkünfte nicht. Seine Nachbarn besuchte er nur so viel, als die Höflichkeit erforderte.

Eines Morgens, als er sich in den nördlichen Theil des Waldes von Machecoul begab, begegnete ihm eine Bäuerin, die auf jedem Arme ein drei- oder vierjähriges Kind trug.

Der Marquis von Souday erkannte die Bäuerin und erröthete.

Es war die Amme aus Yorkshire, welcher er seit drei Jahren das Kostgeld für die beiden Kinder nicht bezahlt hatte. Die brave Frau war nach London gekommen, hatte bei der französischen Gesandtschaft Erkundigungen eingezogen und in der Erwartung, dem Marquis eine große Freude zu bereiten, mit den beiden kleinen Mädchen die Reise angetreten.

Sie hatte sich in der That nicht geirrt. Die kleinen Mädchen erinnerten den Marquis so lebhaft an Eva, daß er sie mit aufrichtiger Rührung und Zärtlichkeit in seine Arme schloß, seine Doppelflinte der Engländerin zu tragen gab und zum größten Erstaunen seiner Köchin die liebliche Beute nach Hause brachte.

Das Verhör, welches er bei der Köchin zu bestehen hatte, war ihm höchst fatal. Der Marquis war erst neununddreißig Jahre alt und ging mit Heirathsgedanken um; denn er hielt es gewissermaßen für seine Pflicht, die alte berühmte Familie Souday nicht erlöschen zu lassen, und überdies hätte er die Sorge für das Hauswesen, die ihm höchst unangenehm war, gern auf eine Frau übertragen.

Die Ausführung dieses Planes wurde aber schwierig, wenn die Kinder unter seinem Dache blieben.

Er bezahlte die Engländerin reichlich und schickte sie am andern Morgen wieder fort.

In der Nacht hatte er einen Entschluß gefaßt, der ihm ein gutes Auskunftsmittel zu seyn schien.