Kitabı oku: «Die Zwillingsschwestern von Machecoul», sayfa 11
IV.
Der Aufstand
Eine halbe Stunde nach der Unterredung des Unterpräfecten mit Courtin suchte ein Gendarme den General auf dem Markte. Er fand ihn in vertraulichem Gespräch mit einem zerlumpten Bettler. Der Gendarme flüsterte dem General einige Worte zu und dieser eilte in den Gasthof zurück.
Der Unterpräfect erwartete ihn vor der Thür.
»Nun, wie stets?« fragte der General, als er das heitere Gesicht des Beamten sah.
»Sehr gut,« antwortete dieser. »Der Bauer ist ein sehr kluger Mensch.«
»O sie sind Alle sehr klug,« sagte der General, »der einfältigste unter ihnen würde Herrn von Talleyrand etwas aufzurathen geben. Was hat der kluge Mann gesagt?«
»Er sagt, gestern Abends sey der Graf von Bonneville, als Bauer verkleidet, in Begleitung eines Bauernknaben, den er für ein Frauenzimmer gehalten, in das Schloß Souday gegangen.«
»Und was schließen Sie daraus?«
»Es ist kaum zu bezweifeln, Herr General —«
»Heraus mit der Sprache, Herr Unterpräfect! Sie sehen ja meine Ungeduld,« sagte der General in ganz ruhigem Tone.
»Es scheint mir nicht zweifelhaft, daß der Bauernknabe – die Prinzessin ist.«
»Aber mir scheint es zweifelhaft.«
»Warum, Herr General?«
»Weil ich ebenfalls vertrauliche Mittheilung erhalten habe.«
»Freiwillige oder erzwungene?«
»Weiß man denn, wie man mit diesen Leuten daran ist? Doch lassen Sie hören – was hat Ihnen der kluge Mann gesagt?«
»Nichts hat er gesagt. Als ich Sie verließ, sprach ich mit ihm über die Haferlieferung.«
»Und was weiter?«
»Der Bauer verlangte ein Aufgeld; ich dagegen verlangte eine Quittung. Er wollte sie in einem Kramladen schreiben. Ich wollte ihn aber nicht aus den Augen lassen, ich nahm einen Bleistift aus der Brieftasche und sagte zu ihm: Ihr werdet wohl ein Stückchen Papier bei Euch haben; mein Hut kann Euch als Tisch dienen. Er zerriß einen Brief und schrieb auf die weiße Seite die Quittung. Hier ist sie, hören Sie.«
Der Unterpräfect zog den Zettel aus der Tasche und las:
»Erhalten von Herrn Jean Louis Robier die Summe von fünfzig Francs als Aufgeld für dreißig Säcke Hafer, die ich ihm am 28. dieses Monats zu liefern habe.
Den 14. Mai 1832.«
»Ich sehe hierin keine Auskunft,« setzte der Unterpräfect hinzu.
»Kehren Sie gefälligst das Papier um.«
Der Unterpräfect stutzte. Auf der Rückseite standen folgende verstümmelte Zeilen:
»– — Arquis – augenblicklich die Nachricht – welche wir erwarten – zu Beaufays am 26. Abends – Offiziere Ihrer Division – ihr vorgestellt wurden – Ihre Leute in Bereitschaft – gehorsamst —«
»Das ist ja die Ankündigung einer Schilderhebung,« sagte der Unterpräfect, »denn das Fehlende ist leicht zu ergänzen«
»Ja, sehr leicht,« setzte der General hinzu, »ich glaube fast zu leicht.«
»Sie rühmten die Schlauheit dieser Leute,« entgegnete der Beamte, »ich finde sie vielmehr ganz harmlos —«
»Hören Sie nur,« sagte der General, »als Sie sich mit dem Haferhändler entfernt hatten, redete ich einen Bettler an, der etwas blödsinnig zu seyn schien. Ich sprach von dem lieben Gott und den Heiligen, vom Buchweizen, von der Apfelernte – bedenken Sie, daß die Apfelbäume jetzt blühen – und endlich fragte ich ihn, ob er uns als Wegweiser nach Liroux dienen wolle. Ich kann nicht, antwortete der Blödsinnige grinsend. – Warum nicht? fragte ich so unbefangen wie möglich. – Weil ich Befehl habe, antwortete er, eine schöne Dame und zwei Herren, wie Sie, von Puy-Laurent nach La Flocelière zu führen.«
»Die Sache scheint verwickelt zu werden,« sagte der Beamte.
»Keineswegs, sie wird klarer.«
»Erklären Sie sich.«
»Die in einem Lande, wo es so schwer ist, Auskunft zu erhalten, ungerufen kommende Mittheilungen sind aller Wahrscheinlichkeit nach Fallen, in die aber ein alter Fuchs wie ich nicht geht. Die Herzogin von Berry – wenn sie wirklich hier im Lande ist – kann nicht zugleich in Souday, in Beaufays und in Puy-Laurent seyn. Was sagen Sie dazu, Herr Unterpräfect?«
»Ich glaube,« erwiderte der Beamte, sich am Ohr kratzend, »daß sie abwechselnd an den drei Orten gewesen ist. Ich würde mich um das Versteck, wo sie war oder seyn wird, gar nicht kümmern, sondern geradezu nach La Flocelière gehen, denn diesen Ort hat ja der Blödsinnige so eben genannt.«
»Sie lassen sich zu leicht von der Fährte ablenken, lieber Herr,« sagte der General, »und die einzige genaue Auskunft, die wir erhalten haben, hat der Bauer mit dem Brotkuchen gegeben.«
»Aber die Anderen?«
»Ich würde meine Generalsepauletten gegen eine Unterlieutenantsepaulette wetten, daß uns die Anderen von irgend einem Schlaukopf, der den Maire mit uns sprechen sah, auf den Hals geschickt worden sind. Wir müssen unser Augenmerk auf Souday richten, lieber Herr Unterpräfect, wir werden sonst unverrichteter Sache zurückkommen.«
»Bravo!« sagte der Beamte erfreut, »ich fürchtete einen Mißgriff gemacht zu haben, aber Ihre letzten Worte beruhigen mich.«
»Was haben Sie gethan?«
»Der Bauer – ich habe hier seinen Namen, er heißt Courtin – ist Maire eines kleines Dorfes, Namens La Logerie.«
»Ich kenne es; vor sechsunddreißig Jahren hätten wir dort Charette beinahe gefangen.«
»Der Bauer nannte nur einen Menschen, der uns als Führer dienen könnte und dessen Verhaftung rathsam sey, um seine Rückkehr ins Schloß zu verhindern.«
»Wer ist der Mann?«
»Der Intendant des Marquis, oder eigentlich sein Waldhüter. Hier ist seine Personenbeschreibung.«
Der General nahm einen Zettel und las: »Haare kurz und mit grau gemischt, Stirn glatt, klugen schwarz und lebhaft, Augenbrauen buschig, auf der Nase eine Warze, Backenbart bis unter das Kinn; Jacke, Weste und Hosen von Sammt, Kamaschen und Gürtel von Leder. Besondere Kennzeichen: Der zweite Schneidezahn links fehlt. Hat einen braunen Hühnerhund bei sich.«
»Das ist mein Haferverkäufer Zug für Zug,« setzte der General hinzu. »Terrien? Er heißt so wenig Terrien, wie ich Barrabas heiße.«
»Sie können sich bald davon überzeugen, Herr General.
« »Wie so?«
»Er wird in wenigen Minuten hier seyn.«
»Er kommt hierher?«
»Ja wohl.«
»Freiwillig?«
»Freiwillig oder gezwungen.«
»Gezwungen?«
»Ja, ich habe Befehl gegeben, ihn zu verhaften, und es muß bereits geschehen seyn.«
»Tausend Donnerwetter!« fluchte der General und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Was haben Sie da gemacht?«
»Ich glaubte, Herr General, einen so gefährlichen Menschen auf der Stelle unschädlich machen zu müssen.«
»Gefährlich! Jetzt ist er weit gefährlicher, als er vor einer Viertelstunde war.«
»Aber wenn er verhaftet ist?«
»Er hat gewiß Zeit gehabt, seinen Freunden einen Wink zu geben. Die Prinzessin wird gewarnt werden, ehe wir eine Stunde Weges von hier entfernt sind. Wir können uns noch glücklich schätzen, wenn sie uns nicht die ganze Bevölkerung auf den Leib gehetzt haben, so daß wir hier keinen Mann der Garnison entbehren können.«
»Vielleicht ist es noch Zeit,« sagte der Unterpräfect, an die Thür eilend.
»Ja, laufen Sie! Mille tonnerres! es ist nicht mehr Zeit!« Man hörte wirklich ein immer lauter werdendes dumpfes Getöse, welches bald zum furchtbaren Geschrei wurde.
Der General öffnete das Fenster.
Hundert Schritte vom Gasthofe bemerkte er die Gendarmen, welche Jean Oullier gebunden in ihrer Mitte herführten.
Die schreiende, drohende Menge strömte von allen Seiten herbei, so daß sich die Gendarmen nur langsam und mit Mühe durchdrängen konnten.
Sie hatten indes von ihren Waffen noch keinen Gebrauch gemacht; aber es war keine Minute zu verlieren.
»Es ist jetzt nicht mehr zu ändern,« sagte der General, indem er schnell seinen Ueberrock ablegte und seine Uniform anzog. »Mein Pferd, mein Pferd!« rief er seinem Secretär zu. »Sie, Herr Unterpräfect, lassen Sie die Nationalgarde ausrücken – wenn’s hier eine gibt – aber es darf ohne meinen Befehl kein Gewehr gesenkt werden.«
Ein Capitän erschien.
»Sie, Herr Capitän,« fuhr der General fort, »stellen Sie Ihre Leute im Hofe auf. Meine zwanzig Reiter sollen aufsitzen. Jeder Mann erhält Lebensmittel auf zwei Tage und fünfundzwanzig Patronen. Halten Sie sich bereit, auf das erste Zeichen auszurücken.«
Der alte General, der sein ganzes Jugendfeuer wieder gefunden hatte, ging fluchend in den Hof hinunter, und ließ das Hausthor öffnen.
»Wie,« sagte der Unterpräfect, »Sie wollen den wüthenden Menschen doch nicht allein entgegentreten?«
»Allerdings. Morbleu! ich muß ja meine Leute aus der Klemme ziehen. Platz da! es ist jetzt nicht Zeit zu sentimentalen Reden.«
Sobald das Hausthor offen war, gab der General seinem Pferde die Sporen und sprengte hinaus, mitten in das Gewühl.
Das plötzliche Erscheinen des stattlichen, muthigen, alten Kriegers in der glänzenden Uniform wirkte wie ein elektrischer Schlag auf die Volksmenge. Das Schreien und Toben hörte auf, die hocherhobenen Stöcke senkten sich, die dem General zunächst stehenden Bauern nahmen die Hüte ab, die dichtgedrängten Reihen thaten sich auf, und der General konnte den Gendarmen entgegenreiten.
»Was gibts denn?« fragte er so laut, daß man’s aus dem ganzen Markte hören konnte.
»Sie bringen den Jean Oullier gebunden,« sagte eine Stimme.
»Und Jean Oullier ist ein braver Mann!« rief eine andere Stimme aus der Menge heraus.
»Man soll nur Spitzbuben und keine ehrlichen Leute verhaften,« sagte ein Dritter.
»Still!« sagte der General mit seiner dröhnenden Commandostimme. »Wenn Jean Oullier ein braver, ehrlicher Mann ist, so wird er wieder frei gelassen; wenn er einer von denen ist, die Euch betrügen und eure guten, biederen Gesinnungen mißbrauchen wollen, so wird er bestraft. Haltet Ihr es denn für ungerecht, die zu bestrafen, welche das Land wieder in so schrecklichen Unglück stürzen wollen, wie die alten Leute unter Euch schon erlebt haben?«
»Jean Oullier ist ein friedlicher Mann, der Niemand etwas zu Leide thut,« sagte eine Stimme.
»Was fehlt Euch denn?« fuhr der General fort, ohne sich um die Unterbrechung zu kümmern, »eure Religion ist ja die unserige, eure Priester stehen, wie eure Güter, unter dem Schutze der gemeinsamen Gesetze; noch nie ist euer Wohlstand so blühend gewesen.«
»Das ist wahr,« sagte ein junger Bauer.
»Hört daher nicht auf die schlechten Franzosen, welche, um ihre selbstsüchtigen Leidenschaften zu befriedigen, alle Schrecken des Bürgerkrieges auf das Land herabbeschwören wollen. Soll man Euch an die schon erduldeten Leiden und Drangsale erinnern? Soll man von der Ermordung eurer Greise, Mütter, Weiber, Kinder, von der Verwüstung eurer Felder, von dem Niederbrennen eurer Hütten sprechen?«
»Das haben die Blauen gethan!« rief eine Stimme aus der Menge.
»Nein, nicht die Blauen, fuhr der General fort, »es ist die Schuld derer, die Euch zu jenem unsinnigen Kampfe getrieben haben. Damals war der Kampf unsinnig, jetzt wäre er frevelhaft; damals gab es wenigstens einen Vorwand, der jetzt ganz fehlt.«
Dabei trieb der General sein Pferd immerfort auf die Gendarmen zu, welche ihrerseits alle Kräfte aufboten, um zu dem General zu gelangen.
Dies wurde ihnen um so eher möglich, da seine Worte einen sehr merklichen Eindruck auf einige Bauern machten. Einige schauten stumm vor sich nieder, andere theilten ihren Nachbarn ihre dem Anscheine nach beifälligen Bemerkungen mit.
Aber je weiter der General in dem Kreise vordrang, der die Gendarmen und ihren Gefangenen umgab, fand er die Haltung der Landleute drohender. Die zunächst stehenden waren sehr zornig; dies waren offenbar die Bandenführer, die Hauptleute von Pfarrbezirken.
Diesen gegenüber wäre alle Redekunst fruchtlos geblieben; sie waren fest entschlossen, keinen Vorstellungen Gehör zu geben, und dies auch den Andern unmöglich zu machen: sie schrien nicht, sie brüllten.
Der General erkannte das Bedenkliche der Lage; er sah die Nothwendigkeit ein, diesen Leuten durch raschen Entschluß und Körperstärke zu imponiren.
Aubin Courte-Joie war in den ersten Reihen der Meuterer; aber der Krüppel hatte seine Stelzfüße durch zwei tüchtige gesunde Beine ersetzt: er ließ sich von einem kolossalen Bettler tragen. Er saß auf den Schultern desselben und seine Stelzfüße waren mit Riemen an dem Leibe des Bettlers festgeschnallt, so daß er in dieser Stellung eben so fest saß, wie der General im Sattel.
So reichte Aubin bis an die Epaulette des Generals, gegen den er drohend seine Stimme und seine Fäuste erhob.
Der General streckte die Hand nach ihm aus, faßte ihn beim Kragen, hob ihn mit starker Faust auf, hielt ihn einige Augenblicke über der Menge schwebend und warf ihn endlich einem Gendarmen zu.
»Halte mir den Hanswurst fest,« sagte er, »er würde mir am Ende Kopfweh machen.«
Der Bettler, der sich plötzlich seines Reiters entledigt sah, schaute verwundert auf, und der General erkannte den Blödsinnigen, mit weichem er vor einer Stunde gesprochen – hatte; aber jetzt sah der Kerl so pfiffig aus, wie kaum ein anderer unter den aufständischen Bauern.
Die Menge lachte, aber diese Heiterkeit war nur von kurzer Dauer.
Aubin Courte-Joie befand sich in den Armen des Gendarmen, an dessen Seite Jean Oullier ging. Er griff verstohlen in die Tasche, machte sein Messer auf, zog es hervor, stieß es dem Gendarmen bis an’s Heft in die Brust und rief: »Es lebe Heinrich V.! Rette Dich, Jean Oullier!«
Der Bettler, der die Kraftäußerung des Generals durch eine ähnliche Heldenthat erwiedern zu wollen schien, schlüpfte behende unter das Pferd, faßte den General beim Stiefel und warf ihn mit einem kräftigen Ruck auf der andern Seite vom Pferde.
Der General und der Gendarme fielen zugleich; man hätte sie Beide für todt halten können.
Aber der General raffte sich schnell aus und schwang sich mit eben so viel Kraft als Gewandtheit wieder in den Sattel.
Dabei that er einen so kräftigen Faustschlag auf den Kopf des Bettlers, daß dieser, ohne einen Laut von sich zu geben, rücklings zu Boden sank.
Weder der Gendarme noch der Bettler standen auf, der Bettler war ohnmächtig, der Gendarme todt.
Jean Oullier, dem die Hände gebunden waren, gab dem zweiten Gendarmen einen so starken Stoß mit der Schulter, daß der Mann wankte.
Jean Oullier sprang über die Leiche des Soldaten hinweg und stürzte sich unter die Menge.
Aber der General hatte die Augen allenthalben, er bemerkte sogar was hinter ihm vorging. Er schwenkte sein Pferd, faßte Jean Oullier, zog ihn in die Höhe und legte ihn quer auf sein Pferd.
Es begann nun Steine zu regnen, und die Bauern nahmen ihre drohende Haltung wieder an.
Die Gendarmen hielten sich gut; sie umringten den General und füllten ihre Bajonnete gegen die Menge, welche nicht mehr Mann gegen Mann zu kämpfen wagte und nur mit Steinen warf.
So drangen sie bis in die Nähe des Gasthofes vor. Hier wurde die Lage des Generals und seiner Leute sehr bedenklich. Die Bauern, welche entschlossen schienen, Jean Oullier nicht in der Gewalt seiner Feinde zu lassen, wurden immer kühner mit ihren Angriffen. Schon waren einige Bajonnete mit Blut gefärbt, und doch wurde die Wuth der Meuterer immer größer.
Glücklicherweise war der General den Soldaten so nahe, daß sie seine Stimme hören konnten.
»Heraus, Grenadiere!« rief er ihnen zu.
Sogleich stürzten die Soldaten mit gefälltem Bajonnete aus dem Gasthofe und warfen die Bauern zurück. Der General konnte mit seiner Escorte in den Hof gelangen.
Er fand hier den Unterpräfecten, der ihn erwartete.
»Da ist Ihr Mann,« sagte er und warf ihm Jean Oullier wie ein Packet zu, »er ist uns theuer zu stehen gekommen. Gott gebe, daß er seinen Preis werth ist!«
In diesem Augenblicke hörte man auf dem andern Ende des Marktplatzes ein starkes Gewehrfeuer.
»Was ist das?« fragte der General lauschend.
»Vermuthlich die Nationalgarde,« antwortete der Unterpräfect, »ich habe Befehl zum Ausrücken gegeben; sie wird meinen Weisungen gemäß die Meuterer umgangen haben.«
»Und wer hat Befehl gegeben zu feuern?«
»Ich, Herr General; man mußte Sie ja aus den Händen der Meuterer erlösen —«
»Mille tonnerres! Sie sehen ja, daß ich mich selbst erlöst habe,« eiferte der alte Krieger. »Merken Sie wohl, im Bürgerkriege ist alles unnütz vergossene Blut mehr als ein Verbrechen, es ist ein arger Mißgriff.«
Eine Ordonnanz galoppirte in den Hof.
»Herr General,« sagte der Offizier, »die Aufständischen fliehen in allen Richtungen. Die Reiterei ist da, soll ich ihnen nachsetzen lassen?«
»Kein Mann soll mir von der Stelle,« sagte der General, »überlassen Sie es nur der Nationalgarde; es sind Freunde, sie werden es untereinander schon ausmachen.«
Eine zweite Gewehrsalve bewies, daß es die Bauern und die Nationalgarde »mit einander schon ausmachten«.
Dies waren die beiden Salven welche der Baron Michel in La Logerie gehört hatte.
»Jetzt,« sagte der General, »kommt es nur darauf an, diesen traurigen Tag zu benützen. Es ist nur ein uns günstiger Fall denkbar: daß dieser Mann hier,« – auf Oullier deutend – »allein in das Geheimniß eingeweiht war. Gendarme, hat er seit seiner Verhaftung mit Jemanden gesprochen?«
»Nein, Herr General, er hat nicht einmal Zeichen gegeben, denn die Hände sind ihm gebunden.«
»Hat er mit dem Kopfe genickt? Hat er ein Wort geflüstert? Bei diesen Leuten ist ein Wink, ein Laut genügend.«
»Ich habe nichts bemerkt,« sagte der Gendarme.
»Nun, dann wollen wir’s versuchen. Herr Capitän, lassen Sie Ihre Leute essen; in einer Viertelstunde brechen wir auf. Die Gendarmen werden mit Hilfe der Nationalgarde genügen, die Ruhe in der Stadt zu erhalten. Ich reite mit meiner Escorte voraus.«
Der General ging wieder in den Gasthof.
Die Soldaten rüsteten sich zum Abmarsch.
Unterdessen saß Jean Oullier, von zwei Gendarmen bewacht, im Hofe auf einem Stein. Sein Gesicht war so ruhig und gleichgültig wie gewöhnlich: er liebkoste mit seinen gebundenen Händen seinen Hund, der ihm gefolgt war und den Kopf auf die Knie seines Herrn legte und ihm von Zeit zu Zeit die Hände leckte, gleichsam um dem Gefangenen anzudeuten, daß er in seinem Unglück einen Freund habe.
Jean Oullier streichelte ihn mit einer Entenfeder, die er im Hofe aufgenommen; dann benutzte er einen Augenblick, wo er von dem Gendarmen nicht beobachtet wurde, schob dem Hunde die Feder zwischen die Zähne, gab dem klugen Thiere einen Wink, stand auf und sagte:
»Geh, Pataud!«
Der Hund entfernte sich langsam und sah sich von Zeit zu Zeit nach seinem Herrn um; endlich schlürfte er unbemerkt zur Hausthüre hinaus.
»Er wird früher ankommen als wir,« sagte Jean Oullier zu sich selbst.
Unglücklicherweise waren die Gendarmen nicht die einzigen Wächter des Gefangenen.
V.
Die Hilfsmittel Oullier‘s
In der Vendée gibt es noch sehr sehr wenig schöne Landstraßen, und diese sind erst seit dem Jahre 1832, also nach den hier erzählten Ereignissen angelegt worden.
Dieser Mangel an Landstraßen war den Insurgenten in dem großen Kriege hauptsächlich zu Statten gekommen.
Am linken Ufer der Loire gab es damals nur zwei Straßen, die von Nantes nach La Rochelle und nach Palmboeuf führten. Die erstere berührte das Städtchen Montaigu.
Zwischen diesen Hauptstraßen sind einige schlechte Nebenwege. Um auf diesen Straßen von Montaigu nach Machecoul zu gelangen, mußte man einen bedeutenden Umweg machen. Der General sah aber wohl ein, daß der Erfolg seines Unternehmens von der Schnelligkeit der Ausführung abhing. Ein Marsch auf den Hauptstraßen würde zu viel Zeit gekostet haben. Ueberdies waren diese Straßen den militärischen Operationen nicht günstiger als die Verbindungswege. An den Seiten waren tiefe und breite Gräben, Hecken und Gebüsche, welche zu einem Hinterhalte sehr geeignet waren. Der General beschloß daher, den weit kürzeren Seitenweg nach Machecoul einzuschlagen.
Das von ihm durchgeführte Cantonnirungssystem hatte die Soldaten mit den Ortsverhältnissen vertraut gemacht. Der Capitän, welcher die Infanterieabtheilung befehligte, kannte die Straße bis zu dem Flusse Boulogne. Dort sollte er einen von Courtin abgeschickten Führer finden; denn es war vorauszusehen, daß Jean Oullier sich weigern würde, als Wegweiser zu dienen.
Der General hatte übrigens seine Vorkehrungen getroffen, um nicht überrascht zu werden. Zwei Cavalleristen, mit schußfertigen Pistolen in der Hand, ritten voraus, während etwa zwölf Mann auf beiden Seiten der Colonne die Gebüsche durchsuchten.
Der General ritt an der Spitze seiner kleinen Truppe, in deren Mitte Jean Oullier, auf der Croupe eines Cavalleriepferdes sitzend, fortgeschafft wurde. Aus Vorsicht hatte man den Gefangenen dessen Hände gefesselt waren, mit einem Riemen an den Reiter festgeschnallt, und überdies wurde er von zwei rechts und links reitenden Soldaten bewacht.
Es war etwas über sechs Uhr Abends, als die kleine Schaar von Montaigu abmarschirte.
Die fünf Lieues bis zum Schlosse Souday konnten in etwa fünf Stunden zurückgelegt werden, man konnte daher etwa um elf Uhr eintreffen.
Diese Stunde schien dem General zur Ausführung seines Handstreiches sehr günstig.
Wenn Courtin die Wahrheit gesagt hatte, so mußten die Führer der Vendéer zu Souday versammelt seyn, um sich mit der Prinzessin zu berathen. Wenn sie sich noch nicht entfernt halten, so konnte man sie alle gefangen nehmen.
Eine halbe Stunde von Montaigu kniete eine zerlumpte alte Bäuerin vor einem Crucifix. Als die Soldaten näher kamen, stand sie auf und blieb an der Straße stehen, um sie vorbeimarschiren zu sehen und zugleich um ein Almosen zu bitten.
Aber die Offiziere und Soldaten marschirten vorbei, ohne die Alte zu beachten.
»Hat denn euer General die Bettlerin nicht gesehen?« fragte Jean Oullier den zu seiner Rechten reitenden Soldaten.
»Warum sagt Ihr das?«
»Weil er ihr seine Börse nicht aufgethan hat. Er möge sich nur in Acht nehmen! Wer die offene Hand zurückweist, hat die geschlossene Hand zu fürchten. Wir werden Unglück haben!«
»Wenn Du die Prophezeiung auf Dich beziehst, so kannst Du Recht haben; denn Du hast unter uns Allen am meisten zu fürchten.«
»Ja wohl, und deshalb möchte ich die Gefahr abwenden.«
»Wieso?«
»Greifet in meine Tasche und nehmet ein Stück Geld heraus.«
»Wozu das?«
»Um es der Alten zu geben; sie wird dann für uns beten.«
Der Soldat zuckte die Achseln; aber er glaubte dem Gefangenen doch seine Bitte, deren Erfüllung vielleicht großen Nutzen bringen konnte, nicht verweigern zu dürfen.
Die Truppe wandte sich rechts, um einen seitwärts führenden Hohlweg einzuschlagen. Der General hielt sein Pferd an und sah seine Soldaten vorbeimarschiren, um sich zu überzeugen, ob alle von ihm angeordneten Vorkehrungen getroffen wären. Er bemerkte, daß Jean Oullier mit seinem Nachbar sprach und sah die Bewegung des Soldaten.
»Warum erlaubst Du den Verkehr des Gefangenen mit den Vorübergehenden?« fragte er den Reiter.
Dieser erzählte dem General was vorgegangen war.
»Halt!« befahl der General, »durchsucht die Bettlerin.«
Der Befehl wurde sogleich vollzogen, aber man fand bei der Alten nur einige Geldstücke, die der General mit der größten Aufmerksamkeit betrachtete.
Es fand sich nichts Verdächtiges; aber er steckte doch die kleine Münze in die Tasche und gab der Alten dafür ein Fünffrankenstück.
Jean Oullier sah dem General mit höhnischem Lächeln zu.
»Ihr sehet, Mütterchen,« sagte er so laut, daß ihn die Bettlerin verstehen konnte: »das geringe Almosen des Gefangenen, – dieses Wort betonte er – wird Euch Glück bringen. Ihr werdet mich daher in eurem Gebete nicht vergessen.«
»Höret, Freund,« sagte der General zu dem Gefangenen, als sich die Colonne wieder in Bewegung gesetzt hatte, »künftig habt Ihr Euch an mich zu wenden, wenn Ihr Almosen geben wollt; ich werde Euch dem Gebete der beschenkten Leute empfehlen, meine Fürsprache wird Euch dort oben nicht schaden und kann Euch hienieden viel Verdruß ersparen. – Und Ihr,« rief er den Reitern zu, »vergesst künftig meine Befehle nicht; Ihr würdet Ursache haben es zu bereuen.«
Zu Vieille-Vigne wurde eine Viertelstunde Halt gemacht, um die Infanteristen ausruhen zu lassen.
Der Vendéer wurde mitten in das Carré genommen, um jeden Verkehr mit der sich herandrängenden Bevölkerung zu verhüten.
Das Pferd, welches den Gefangenen trug, hatte ein Hufeisen verloren, und vermochte seine doppelte Last kaum noch zu tragen; der General befahl daher, Jean Oullier auf das stärkste Pferd der Escorte zu setzen.
Dieses Pferd gehörte einem Reiter der Vorhut, der ungeachtet der Gefahr, die er als verlorener Posten lief, den Posten seines Cameraden sehr ungern einzunehmen schien.
Dieser Reiter war ein kleiner, kräftiger, breitschulteriger Mann, der sich durch Sanftmuth und Bescheidenheit von den meisten seiner Cameraden vortheilhaft unterschied.
Während der Vorkehrungen zu diesem Wechsel war es völlig Nacht geworden, und beim Licht der herbeigebrachten Laterne sah Jean Oullier das Gesicht des Reiters, auf dessen Pferde er weiter reiten sollte. Die Blicke der beiden neuen Reisegefährten begegneten sich, und der Gefangene bemerkte, daß der Cavallerist erröthete.
Die kleine Truppe marschirte mit verdoppelter Vorsicht weiter, denn die Gegend wurde immer waldiger und folglich zu einem Angriff geeigneter.
Die Lustigkeit der Soldaten wurde weder durch die drohende Gefahr noch durch den ermüdenden Marsch auf den schlechten Wegen getrübt. Nach kurzem Stillschweigen, welches bei dem Beginne eines Nachtmarsches einzutreten pflegt, plauderten sie wieder mit der den Franzosen eigenen Sorglosigkeit.
Nur der Husar, auf dessen Pferde Jean Oullier mit saß, blieb auffallend traurig und verstimmt.
»Sacredié! Thomas.« sagte sein rechts reitender Camerad zu ihm, »Du bist gewöhnlich nicht sehr lustig, aber heute siehst Du aus, als ob Du den Teufel zu Grabe trügest.«
»Ja wohl,« sagte der Husar zur Linken, »wenn er den Teufel nicht zu Grabe trägt, so muß er ihn hinter sich haben.«
»Du mußt Dir denken, Thomas, Du hättest eine hübsche Dirne auf der Croupe; kneipe sie in die Waden.«
»Der Tausendsasa wird schon wissen, wie man’s anfängt: bei ihm zu Lande ist es Sitte, ein Mädchen mit auf‘s Pferd zu nehmen.«
»Das ist wahr, sagte der erste Husar, »weißt Du wohl, Thomas, daß Du ein halber Chouan bist?«
»Sage lieber, daß er ein ganzer Chouan ist; er geht ja jeden Sonntag in die Messe.«
Der Husar, welcher die Zielscheibe dieser Spöttereien war, hatte nicht Zeit zu antworten. Der General befahl, hinter einander in einer Reihe zu marschieren, denn der Weg war so schmal, und die Böschung an beiden Seiten so nahe zusammen gekommen, daß zwei Husaren nicht mehr neben einander reiten konnten.
Während der kurzen Verwirrung, welche durch dieses Manöver entstand, begann Jean Oullier leise ein Bretagnerlied zu pfeifen.
Der Reiter erschrak, als er diese Melodie hörte.
Jean Oullier, der von dem hinter ihm reitenden Husaren in der Dunkelheit nicht so scharf beobachtet werden konnte, flüsterte dem schweigsamen Reiter in’s Ohr:
»Ich habe Dich wohl erkannt, Thomas Tinguy, eben so wie Du mich auf den ersten Blick erkannt hast.«
Der Husar seufzte und zuckte die Achseln, als ob er andeuten wollte, daß er gegen seinen Willen handle. Aber er antwortete noch nicht.«
»Thomas Tinguy,« setzte der Gefangene hinzu, »weißt Du, wohin Du den alten Freund deines Vaters führst? Zur Plünderung und Verwüstung des Schlosses Souday, dessen Besitzer von jeher die Wohlthäter deiner Familie waren.«
Thomas Tinguy seufzte wieder.
»Dein Vater ist todt,« fuhr Jean Oullier fort.
Thomas antwortete nicht, nur ein leises Wörtchen entschlüpfte seinen Lippen.
»Todt!«
»Ja, todt!« flüsterte der Waldhüter. »Und wer wachte an seinem Lager mit deiner Schwester Rosine, als der Alte seinen Geist aufgab? Die beiden Fräulein von Souday, Bertha und Mary. Du kennst sie ja. Und sie haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt, denn dein Vater ist an einem gefährlichen Fieber gestorben. Sie haben, zwei Engeln gleich, seine letzten Stunden versüßt, da sie sein Leben nicht verlängern konnten. Deine Schwester war ganz verlassen; wo ist sie jetzt? Im Schlosse Souday. Ach! Thomas, ich will lieber der arme Jean Oullier seyn, der vielleicht bald erschossen wird, als der, welcher ihn gebunden zum Tode führt!«
»Schweig, Jean,« sagte Thomas Tinguy mit bebender Stimme, »wir sind noch nicht zur Stelle – wir werden sehen.«
Während dieses leisen Gespräches zwischen dem Husaren und dem Gefangenen führte der Hohlweg, durch welchen die kleine Truppe marschirte, steil bergab zu einer Furt in der Boulogne.
Die Nacht war sehr finster, kein Stern glänzte am Himmel. Diese Finsterniß konnte dem Gelingen des Unternehmens sehr förderlich seyn, aber auch die kleine Truppe auf den wilden unbekannten Wegen in große Gefahr bringen.
Am Ufer des Flusses fand man die beiden Husaren der Vorhut, welche unschlüssig und besorgt warteten.
Sie hatten wirklich Ursache, besorgt zu seyn. Denn statt eines über Kiesel rauschenden klaren Wassers, wie man es gemeiniglich an den Furten findet, sahen sie vor sich eine dunkle, träge, zwischen den Felsenufern sich fortwälzende Flut.
Man sah sich vergebens nach allen Seiten um, der von Courtin versprochene Führer war nicht da.
Der General rief.
»Wer da?« antwortete eine Stimme am andern Ufer.
»Souday!« sagte der General.
»Dann seyd Ihr der Rechte,« rief die Stimme herüber.
»Sind wir an der Furt der Boulogne?« fragte der General.
»Ja,« war die Antwort.
»Warum ist das Wasser so hoch?«
»Es ist nach dem letzten Regen sehr gestiegen.«
»Ist das Wasser nicht zu tief?«
»Ich habe es noch nie so hoch gesehen, ich halte es nicht für rathsam —«
Die Stimme des Führers schwieg plötzlich und schien sich in einen dumpfen Klageton aufzulösen.
Dann hörte man ein Geräusch, wie wenn mehre Füße in losen Kieselsteinen umhertreten.
»Mille tonnerres!« fluchte der General, »man ermordet unsern Führer!«
Diese Behauptung schien durch einen Angstruf bestätigt zu werden.
»Jeder Husar nehme einen Grenadier hinter sich aufs Pferd!« befahl der General. »Der Capitän komme zu mir. Die beiden Lieutenants bleiben hier mit der übrigen Truppe, mit dem Gefangenen und den drei Husaren, die ihn bewachen, Vorwärts!«
In einem Augenblicke hatte jeder der siebzehn Husaren einen Grenadier hinter sich. Achtzig Grenadiere, die beiden Lieutenants, der Gefangene und drei Husaren, unter denen sich Tinguy befand, blieben am rechten Ufer der Boulogne zurück.
Der Befehl wurde mit Gedankenschnelle vollzogen, und der General, von seinen siebzehn Husaren und eben so vielen Grenadieren gefolgt, sprengte in den Fluß.
Zwanzig Schritte vom Ufer verloren die Pferde festen Fuß, aber sie fingen an zu schwimmen und erreichten glücklich das andere Ufer.