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Kitabı oku: «Die Zwillingsschwestern von Machecoul», sayfa 14

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X.
Die Baugéschlucht

Guérin, durch den erwähnten leisen Pfiff gerufen, holte Jean Oullier bald ein. Der alte Waldhüter war unschlüssig.

Die Baugéschlucht ist ein zwischen Felsen eingekeilter Morast. Auf der einen Seite führt der Weg nach Souday über eine fast senkrecht aufsteigende Höhe. Die Colonne der »Rothhosen«, wie Guérin die Soldaten nannte, mußte zuerst durch die morastige Schlucht vorrücken und dann die steile Anhöhe erklimmen.

Jean Oullier war an eine Stelle gekommen, wo der Weg über den Morast mit Pfählen und Faschinen hergestellt ist und nachher die Anhöhe hinaufführt.

»Nun, worüber denkst Du nach?« fragte Guérin.

»Ich denke,« erwiderte Jean Oullier, »daß dieser Platz vielleicht besser wäre als der Kreuzweg.«

»Du hast Recht,« sagte Guérin zumal da hier ein Wagen steht, hinter dem man sich verstecken könnte.«

Jean Oullier, der den Wagen nicht gesehen oder nicht beachtet hatte, nahm denselben in Augenschein.

Es war ein schwerer mit Holz beladener Wagen, den die Fuhrleute, wahrscheinlich von der Dunkelheit überrascht, zurückgelassen hatten, weil sie den schmalen Weg über den Morast in der Nacht für gefährlich halten mochten.

»Ich habe, einen Plan,« sagte Jean Oullier, indem er bald den Holzwagen, bald den steilen Berg betrachtete, »nur müßten unsere Leute hierherkommen.«

»Da sind sie, sagte Guérin. »Sieh nur – dort kommt Patoy – und die Brüder Gambier – und die Leute von Vieille-Vigne. Joseph ist auch dabei.«

Jean Oullier wandte sich ab, um Joseph Picaut nicht zu sehen.

Die Chouans kamen wirklich von allen Seiten, aus allen Büschen hervor.

Bald waren sie alle versammelt.

»Höret,« sagte Jean Oullier, »seitdem die Vendée angefangen hat zu kämpfen, haben ihre Söhne nie mehr Muth und festen Glauben nöthig gehabt, als heute. Wenn wir die Soldaten Louis Philipps nicht aufhalten, so ist ein großes Unglück zu fürchten, und der schwer erkämpfte Ruhm unseres Heimatlandes wird erlöschen. Ich für meine Person bin fest entschlossen, lieber meine Knochen in dieser Schlucht zu lassen, als dieser höllischen Colonne den Durchmarsch zu erlauben.«

»Wir auch!« sagten alle Stimmen.

»Das habe ich erwartet von den tapferen Männern, die mir von Montaigu folgten, um mich zu befreien, die mich gerettet haben. Vor Allem wollen wir diesen Wagen den Berg hinaufschieben.«

Die Chouans waren bereit. Es wurde sogleich Hand an’s Werk gelegt. Einige schoben an den Rädern, Andere hinten; acht bis zehn zogen an der Gabeldeichsel. So brachten sie den Wagen auf die Anhöhe, wo er dicht am Rande des Abhanges mit Steinen gestützt wurde, um das Zurückrollen zu verhüthen.

»Jetzt stellt Ihr Euch zu beiden Seiten der Schlucht auf und wenn’s Zeit ist, nämlich sobald ich »Feuer« rufe, schießet Ihr. Wenn die Soldaten, wie ich hoffe, umkehren und Euch verfolgen, so zieht Ihr Euch langsam gegen Grand-Lieu zurück, um sie von Souday wegzulocken. Wenn sie hingegen weiter marschiren, so laufen wir Alle an den Kreuzweg, um sie dort zu erwarten. Dort müssen wir Stand halten und nöthigenfalls unser Leben lassen.«

Die Chouans stellten sich zu beiden Seiten der Schlucht auf. – Jean Oullier blieb mit Guérin allein.

Er warf sich nieder und legte ein Ohr auf den Erdboden.

»Sie kommen.« sagte er nach einer kleinen Pause; sie sind auf dem Wege nach Souday, der ihnen bekannt zu seyn scheint. Aber wo konnten sie einen Führer gefunden haben? Pascal Picaut ist todt —«

»Sie werden auf dem Meierhofe einen Bauer gezwungen haben, den Weg zu zeigen.«

»Dann ist’s wieder Einer, den wir Ihnen wegblasen müssen. Und wenn sie tief im Walde von Machecoul ohne Führer umherirren, so kommt Keiner von ihnen wieder nach Montaigu.«

»Hast Du denn kein Gewehr, Jean Oullier?« fragte der Chouan.

»Ich habe eines, das ihnen mehr Schaden thun wird, als deine Büchse,» erwiderte der alte Vendéer lachend. »Sey nur ruhig; wenn Alles geht, wie ich hoffe, wird’s in der Baugéschlucht nicht an Gewehren fehlen.«

Jean Oullier stand wieder auf und ging auf den Holzwagen zu.

Es war Zeit. Als er stillstand und lauschte, hörte er drüben am andern Abhange die Steine herabrollen, die von den Hufen der Pferde losgemacht wurden, und er sah einige Funken, welche die Hufeisen aus den Kieseln schlugen.

Die stille Nachtluft befand sich überdies in einer gewissen Schwingung, welche das Herannahen einer bewaffneten Schaar verkündet.

»Jetzt, Guérin, geh zu den Leuten,« sagte Jean Oullier, »ich bleibe hier.«

»Warum denn?«

»Du wirst es bald sehen.«

Guérin gehorchte.

Jean Oullier kroch hinter den Holzwagen und wartete.

Kaum hatte sich Guérin bei seinen Cameraden aufgestellt, so erschienen die beiden vorausreitenden Husaren am Rande des Morastes.

Sie hielten an, als sie die Terrainschwierigkeiten sahen.

»Nur geradeaus!« rief ihnen eine laute weibliche Stimme zu.

Die beiden Husaren ritten auf dem Faschinenwege fort; sie erreichten glücklich die Anhöhe und kamen dem Holzwagen immer näher.

Als sie nur noch zwanzig Schritte von demselben entfernt waren, kroch Jean Oullier unter den Wagen und klammerte sich mit den Händen an die Vorderachse, mit den Füssen an die Gabeldeichsel. Zu dieser Stellung blieb er regungslos.

Bald kamen die beiden Husaren an den Holzwagen. Sie nahmen ihn genau in Augenschein, aber da sie nichts Verdächtiges bemerkten, so ritten sie weiter.

Die Colonne hatte nun ebenfalls den Morast erreicht. Die Witwe ging voran; dann folgte der General; hinter ihm ritten die Husaren. Zuletzt kam die Infanterie.

In dieser Ordnung bewegte sich der Zug über den Morast.

Aber als die Spitze der Colonne den Fuß des steilen Hügels erreichte, krachte es von der Höhe herab wie ein heftiger Donnerschlag, der Boden zitterte unter den Füßen der Soldaten und eine Art Lawine stürzte mit Blitzesschnelle in die Schlucht.

»Tretet auf die Seite!« rief der General mit seiner Commandostimme, welche ungeachtet des furchtbaren Getöses deutlich gehört wurde.

Er faßte die Witwe beim Arm, gab seinem Pferde die Sporen und sprengte in das Gebüsch.

Der General dachte vor Allem an seine Führerin; diese war für den Augenblick unersetzlich.

Er war mit seiner Führerin gerettet.

Aber die meisten Soldaten hatten nicht Zeit, den Befehl ihres Anführers zu vollziehen. Sie wußten nicht, welchen neuen Feind sie zu bekämpfen hatten, und wie betäubt durch das furchtbare Getöse blieben sie mitten auf dem Wege. Der Holzwagen – denn diesen hatte Jean Oullier von dem fast senkrechten Abhange hinuntergestürzt – fiel mitten unter sie wie ein ungeheures Wurfgeschoß. Einige unter der gewaltigen Last zermalmend, Andere mit den umherfliegenden Trümmern verwundend.

Während die Soldaten noch vom Schrecken betäubt waren, rief die Stimme des Generals:

»Vorwärts! Soldaten, vorwärts! Wir müssen diesen Hinterhalt so schnell als möglich verlassen!«

Aber in demselben Augenblicke Commandirte eine nicht minder starke Stimme:

»Feuer!«

Aus allen Büschen zu beiden Seiten der Schlucht krachten Schüsse und ein Kugelregen schlug in die kleine Colonne.

Die Stimme; welche Feuer kommandirte, hatte sich vor der Colonne hören lassen, die Schüsse krachten hinter ihr. Der General durchschaute das Manöver: man wollte ihn vom Wege ablocken.

»Vorwärts« rief er seinen Soldaten zu, »haltet Euch nicht mit Plänkeln auf. Vorwärts!«

Die Truppe marschirte im Sturmschritt weiter und erreichte trotz dem anhaltenden Gewehrfeuers den Gipfel des Hügels.

Während der General mit seinen Soldaten hinauf marschirte, lief Jean Oullier durch die Gebüsche in die Schlucht hinunter und befand sich wieder unter seinen Genossen.

»Bravo!» sagte Guérin. »Wenn wir nur zehn Arme gehabt hatten, wie die deinigen, und einige mit Holz beladene Wagen, so wären wir jetzt von den verwünschten Rothhosen befreit!«

»Ich bin nicht so zufrieden wie Du,« erwiderte Jean Oullier, »ich hoffte, sie würden umkehren, aber ich habe mich getäuscht, sie scheinen weiter marschiren zu wollen. Geschwind also zum Kreuzwege! Dort müssen wir sie erwarten!«

»Wer behauptet denn, daß die Rothhosen weiter marschiren?« fragte eine Stimme.

Jean Oullier ging auf die Stelle zu, von welcher die Stimme herkam und erkannte Joseph Picaut.

Der Vendéer war mit der Plünderung einiger gefallenen Soldaten eifrig beschäftigt.

Der alte Waldhüter wandte sich mit Widerwillen ab.

»Höre ihn an,« sagte Guérin leise zu Jean Oullier, »er sieht in der Nacht so gut wie eine Katze und sein Rath ist nicht zu verachten.«

»Und ich behaupte,« setzte Joseph Picaut hinzu und steckte seine Beute in einen Schnappsack des er immer bei sich trug, »ich behaupte, daß die Blauem seitdem sie die Anhöhe erreicht haben, nicht von der Stelle gegangen sind. Habt Ihr denn keine Ohren? Hört Ihr denn nicht, wie sie dort oben trampeln, wie Schafe in den Hürden?«

»Wir müssen Gewißheit haben,« sagte Jean Oullier zu Guérin, denn er konnte es nicht über sich gewinnen, Joseph Picaut zu antworten.

»Du hast Recht,« erwiderte Guérin, »ich will hinauf gehen.«

Der Vendéer stieg den Abhang halb hinauf; dann warf er sich platt auf die Erde und kroch wie eine Schlange durch die Gebüsche und zwischen den Felsen hin.

So kam er nahe an den Gipfel des Hügels. Etwa dreißig Schritte vom Wege richtete er sich auf, steckte seinen Hut auf einen Zweig und schüttelte diesen.

Sogleich fiel ein Schuß und eine Kugel warf den Hut von dem Zweige herab.

»Er hat Recht,« sagte Jean Oullier, der unten in der Schlucht den Knall hörte. »Aber wie kommt es, daß sie ihren Plan aufgeben? Ob der Führer umgekommen ist?«

»Der Führer ist nicht umgekommen,« sagte Joseph Picaut.

»Hast Du ihn denn gesehen?« fragte eine Stimme, denn Jean Oullier schien entschlossen, mit Picaut sein Wort zu sprechen.

»Ja,« antwortete der Chouan.

»Und erkannt?«

»Ja.«

»Sie scheinen die Luft in der morastigen Schlucht für ungesund zu halten,« sagte Jean Oullier für sich, »hinter den Felsen haben sie unsere Kugeln nicht zu fürchten, und sie werden wahrscheinlich bis, Tagesanbruch bleiben.«

Der Vendéer schien Recht zu haben. Denn man sah auf der Höhe einige anfangs kleine Lichter schimmern und bald loderten fünf Wachtfeuer hell empor.

»Das ist sehr sonderbar, wenn der Führer noch bei ihnen ist.« sagte Jean Oullier. »Nun, möglich ist’s immer; und wenn sie ihren Entschluß ändern, so müssen sie auf jeden Fall den Kreuzweg passieren.« – Er sah, sich um und bemerkte Guérin, der eben zurückkam. »Du gehst mit deinen Leuten an den Kreuzweg. Du weißt, was Du zu thun hast, wenn sie weiter marschieren, sind sie aber entschlossen, hier oberhalb der Schlucht den Tag zu erwarten, so kannst Du sie in einer Stunde ungestört bei ihrem Feuer frieren lassen, es ist nicht nöthig sie anzugreifen.«

»Warum denn nicht?« fragte Joseph Picaut.

Als Anführer und auf einen von ihm gegebenen Befehl befragt, war Jean Oullier genöthigt zu antworten:

»Weil es Unrecht ist,« sagte er, »das Leben braver-Leute unnütz aufs Spiel zu setzen.«

»Saget nur gerade heraus, Oullier —«

»Was?« fragte der alte Waldhüter, ihm hastig ins Wort fallend.

»Saget nur: weil meine gnädige Herrschaft das Leben dieser braven Leute nicht mehr braucht. Das wäre die reine Wahrheit, Jean Oullier.«

»Wer sagt, daß Jean Oullier jemals gelogen?« fragte der alte Waldhüter, die Stirn runzelnd.

»Ich sage es!« erwiderte Joseph Picaut.

Jean Oullier ballte zornig die Fäuste, aber er bezwang sich; er schien entschlossen, mit dem Galeerensträfling weder Freundschaft noch Streit zu haben.

»Ich behaupte,« fuhr Picaut fort, »daß Ihr uns nicht aus Sorge für unser Leben hindern wollt, unsern Sieg zu benutzen, sondern weil Ihr uns nur in den Kampf geschickt habt, um die Rothhosen von der Plünderung des Schlosses Souday abzuhalten.«

»Joseph Picaut,« antwortete Jean Oullier mit Ruhe, »wir tragen wohl die gleiche Cocarde, aber wir wandeln nicht dieselben Wege und haben nicht das gleiche Ziel vor Augen. Ich habe immer geglaubt, die Menschen wären Brüder, gleichviel welche Meinungen sie haben, und ich suche jedes unnütze Blutvergießen zu vermeiden. Was mein Verhältniß zu meiner Herrschaft betrifft, so habe ich Gehorsam, und Ehrerbietung stets als das erste Gesetz eines Christen betrachtet, zumal wenn der Christ ein armer Bauer ist, wie Ihr und ich. Gehorsam zumal halte ich für erste Pflicht des Soldaten. Ich weiß wohl, daß Ihr nicht so denkt. Unter anderen Verhältnissen würde ich Euch für eure Worte vielleicht züchtigen; aber in diesem Augenblicke gehöre ich nicht mir – und Ihr möget Gott dafür danken!«

»Nun, aufgeschoben ist nicht aufgehoben,« sagte Joseph Picaut höhnisch lachend. »Wenn Ihr wieder Besitzer eurer Person geworden seyd, so wißt Ihr mich zu finden, Jean Oullier – und Ihr werdet mich nicht lange suchen.«

Dann wandte er sich zu der kleinen Schaar und setzte hinzu:

»Wer unter Euch der Meinung ist, daß es thöricht sey, den Hasen auf dem Anstande zu erwarten, wenn man ihn im Lager überfallen kann, der komme mit mir!«

Er machte eine Bewegung, um sich zu entfernen.

Aber Niemand antwortete, Niemand folgte ihm.

Joseph Picaut, über das allgemeine Stillschweigen erzürnt, ging in den Wald.

Jean Oullier nahm seine Worte für Prahlerei und zuckte die Achseln.

»Jetzt geschwind,« sagte er zu den Chouans, »zum Kreuzwege! Gehet am Bache hinunter bis zum Buchengehäge und in einer Viertelstunde seyd Ihr dort!«

»Und Ihr?« fragte Guérin.

»Ich eile nach Souday,« antwortete der alte Waldhüter, »ich will sehen, ob der Sohn Michel Wort gehalten hat.«

Die kleine Schaar entfernte sich. Jean Oullier blieb allein.

Er lauschte eine kleine Weile auf das Plätschern des Baches, in welchem die Chouans fortgingen; aber bald verlor sich das Geräusch in dem Brausen der kleinen Wasserfälle, und Jean Oullier wandte den Kopf nach der Seite hin, wo die Soldaten Halt gemacht hatten.

Die Felsen, auf denen die Colonne sich gelagert hatte bildeten eine von Osten nach Westen bis gegen Souday sich erstreckende Kette. Im Osten endete sie etwa zweihundert Schritte von der Stelle, wo der oben beschriebene Austritt stattgefunden, in einem sanften Abhange, an dessen Fuße der Bach floß, welchem die Chouans gefolgt waren, um das Lager der Soldaten zu umgeben. Gegen Westen erstreckte sie sich etwa eine halbe Meilee lang und in der Nähe von Souday wurde sie höher und steiler. Auf einer Seite war ein tiefer von senkrechten Felsen gebildeter Abgrund, in welchem der Bach floß.

In diesen Abgrund war Jean Oullier vielleicht zweimal in seinem Leben hinabgestiegen, um einem von den Hunden verfolgten Eber den Weg abzuschneiden. Er hatte dabei einen schmalen, ins Gestrüpp verborgenen Pfad, den sogenannten »Ziegenweg,« benutzt.

Dieser Pfad war nur einigen Jägern bekannt. Aber sogar Jean Oullier war ihn mit so großer Mühe und Gefahr- hinabgestiegen, dass es ihm unmöglich schien, den halsbrechenden Weg in der Nacht zu benutzen.

Wenn daher der Anführer der feindlichen Colonne gegen Souday vorrücken wollte, so müßte er entweder diesen Weg nehmen, und den Chouans auf dem Kreuzwege begegnen, oder wieder umkehren und dem Laufes des Baches folgen.

Aber der Bach wurde, durch den Zustrom eines andern Baches ein tiefer, brausender Bergstrom, dessen Ufer mit Gestrüpp bewachsen waren; es war also von dieser Seite keine Gefahr zu fürchten.

Jean Oullier war indeß nicht ganz ruhig, er hatte eine bange Ahnung. Er konnte kaum glauben, daß der General sein Vorhaben, nach Souday zu marschiren, so schnell aufgegeben habe.

Statt sich zu entfernen, wie er gesagt hatte, betrachtete er aufmerksam die Höhen. Er glaubte zu bemerken, daß die Wachtfeuer anfingen matter zu brennen und einen blässeren Schein auf die Felsen zu werfen.

Jean Oullier entschloß sich schnell; er eilte auf dem Wege fort, den Guérin genommen, und wandte dieselbe Taktik an, wie dieser. Er kroch bis zu den Felsenblöcken hinauf, welche die Höhe wie einen Gürtel umgeben.

Er lauschte, aber er hörte kein Geräusch.

Er richtete sich leise auf schaute durch eine Felsenspalte, und sah nichts.

Der Platz war leer; die Wachtfeuer waren dem Erlöschen nahe.

Jean Oullier kletterte auf einen Felsen und sprang auf der anderen Seite hinunter. Er befand sich auf der Stelle, wo er die Soldaten vermuthet hatte.

Die Soldaten waren verschwunden.

Er schrie laut auf vor Wuth und rief seine Genossen. Mit der Schnelligkeit eines verfolgten Damhirsches lief er längs der Felsenkette nach Souday zu.

Es war nicht mehr zu bezweifeln, der unbekannte, oder vielmehr nur Joseph Picaut bekannte Führer hatte die Soldaten auf den »Ziegenweg« geführt.

Ungeachtet der mannigfaltigen Schwierigkeiten, die er auf jedem Schritte in dem dichten Gestrüppe und in den glatten, spitzigen Felsen fand, erreichte er in zehn Minuten das Ende des Bergrückens.

Auf dem letzten Felsenvorsprunge, der das Thal beherrscht, stand er still. Er bemerkte die Soldaten, die sich gegen alle Erwartung auf den Ziegenweg gewagt hatten. Sie hatten Fackeln angezündet, und Jean Oullier sah, wie sich die Colonne langsam längs dem Abgrunde fortbewegte.

Jean Oullier faßte wüthend den Felsblock, auf den er gestiegen war, und schüttelte ihn in der eitlen Hoffnung, ihn loszureißen und auf die Soldaten hinabzustürzen. Aber die Anstrengungen dieser tollen Wuth blieben erfolglos, und ein höhnisches Gelächter antwortete den Verwünschungen, mit denen er seine fruchtlose Arbeit begleitete.

Jean Oullier sah sich um; er meinte, nur Satan könne so lachen.

Der Lacher war Joseph Picaut.

»Wer hat nun Recht, Meister Jean?« sagte dieser, aus einem Busch hervorkommend, »ich bin freilich zu spät gekommen, weil Ihr mich zu lange aufgehalten habt.«

»Mein Gott!« jammerte Jean Oullier, die Hände ringend, »wer mag sie auf den Ziegenpfad geführt haben?«

»Auf jeden Fall,« sagte Joseph Picaut, »wird die Führerin die Soldaten weder auf diesem noch auf einem anderen Wege zurück geleiten. Siehe sie nur recht an, Jean Oullier, wenn Du sie noch lebend sehen willst.«

Jean Oullier neigte sich wieder über den Rand des Felsens.

Die Soldaten hatten den Bach durchwatet und schaarten sich um den General. Mitten unter ihnen, in einer Entfernung von kaum hundert Schritten von den beiden Männern, aber durch einen Abgrund von ihnen getrennt, bemerkte man eine weibliche Gestalt, welche dem General mit dem Finger den Weg zeigte, den er nehmen müsse.

»Marianne Picaut!« sagte Jean Oullier betroffen.

Der Chouan antwortete nicht, aber er legte sein Gewehr an und zielte.

Jean Oullier sah sich um, als er den Hahn knacken hörte; er stieß den Gewehrlauf in die Höhe, als Picaut’s Finger eben den Drücker berührte.

»Elender!« sagte er, »laß ihr wenigstens Zeit, deinen Bruder zu begraben.«

Der Schuß ging in die Luft, die Kugel hatte kein Ziel.

»Da hast Du deinen Lohn!« schrie Joseph Picaut wüthend, indem er sein Gewehr beim Laufe faßte und dem Waldhüter einen Schlag mit dem Kolben auf den Kopf gab.

»Die Weißen deiner Art behandle ich wie Blaue!«

Trotz seiner herkulischen Kraft sank der alte Vendéer auf die Knie, aber selbst in dieser Stellung vermochte er sich nicht zu halten: er glitt den Felsen hinab, und in dem Sturze faßte er ein Büschel Heidekraut, aber nach und nach fühlte er dasselbe unter dem Gewichte seines Körpers nachgeben.

Jean Oullier war von dem Schlage betäubt, aber er hatte das Bewußtseyn noch nicht völlig verloren; er erwartete jeden Augenblick, daß die schwachen Zweige, an denen er sich über dem Abgrunde festhielt, brechen würden.

Während er über der gräßlichen Tiefe hing, hörte er einige Schüsse auf der Heide, und durch seine halbgeschlossenen Augenlider sah er Funken blitzen. Er hoffte, es sey Guérin mit den Chouans, und versuchte zu rufen, aber seine Stimme schien in der Brust festzusitzen, er vermochte keinen Laut hervorzubringen.

Nach und nach schwanden seine Kräfte, seine Finger fingen an loszulassen, und es schien ihm, als ob er durch eine unwiderstehliche Kraft in den Abgrund gezogen würde – seine Finger ließen die letzte Stütze los.

Aber in dem Augenblicke, als er sich unrettbar verloren glaubte, wurde er von nervigen Armen ergriffen und auf die Felsenplatte gezogen.

Er war gerettet!

XI.
Wo der Marquis von Souday sehr bedauert, daß Petit-Pierre kein Edelmann ist

Am Tage nach der Ankunft des Grafen von Bonneville im Schlosse Souday kam der Marquis von seiner kleinen Reise oder vielmehr von seiner Conferenz zurück.

Er war in einer sehr ärgerlichen Stimmung, als er vom Pferde stieg. Er schimpfte seine Töchter aus, die ihm nicht wenigstens bis an die Thüre entgegengekommen waren, schimpfte auf Jean Oullier, der ohne seine Erlaubniß nach Montaigu auf den Jahrmarkt gegangen war, schalt die Köchin, die ihm in Abwesenheit des Haushofmeisters den Steigbügel hielt, und statt des rechten den linken Steigriemen aus allen Kräften zog, so daß der Marquis auf der rechten Seite absteigen mußte.

Beim Eintritt in den Salon war der alte Royalist so zornig, daß Bertha und Mary nicht wußten, was sie thun sollten. Vergebens suchten sie ihren Vater durch Liebkosungen zu erheitern, er hörte nicht, und während er sich die Füße am Caminfeuer wärmte, schlug er mit der Peitsche unaufhörlich an seine hohen Stiefel wobei er sehr zu bedauern schien, daß besagte Stiefel nicht die und die Herren waren, gegen die sein Zorn hauptsächlich gerichtet war.

Der Marquis hatte schon seit einiger Zeit kein Vergnügen an der Jagd gefunden, er hatte beim Whist gegähnt, alle seine bisherigen Zerstreuungen hatten ihren Reiz verloren, der Aufenthalt zu Souday war ihm zuwider geworden. Und doch hatte er sich seit zehn Jahren nie so kräftig und beweglich und unternehmend gefühlt.

Er trat eben in den Spätsommer des Lebens, wo der Geist vor dem Erblassen einen helleren Schimmer verbreitet, wo der Körper alle seine Kräfte aufbietet, als ob er sich zu dem letzten Kampfe rüsten wollte. Der Marquis fühlte sich unbehaglich in dem kleinen Kreise seiner gewöhnlichen Beschäftigungen, er langweilte sich und meinte, die Abenteuer und Gefahren einer neuen Vendée würden zu seiner neuen Jugend vortrefflich passen, und er zweifelte durchaus nicht, daß er in dem wechselvollen Leben des Parteigängers die Genüsse wieder finden werde, an die er so oft zurückdachte.

Die Kunde von einer Erhebung wurde daher mit Freude von ihm begrüßt, und eine wie gerufen kommende politische Erschütterung dieser Art bestärkte ihn in der längst gehegten Meinung, die ganze Welt sey um seinetwillen geschaffen, und habe nur den Zweck alle Wünsche eines so ehrenwerthen Edelmannes, wie der Marquis von Souday, zu befriedigen.

Aber er fand bei seinen politischen Glaubensgenossen eine Lauheit, die ihn auf’s Höchste erbitterte. Einige behaupteten, die öffentliche Meinung sey noch nicht reif; Andere meinten, es sey unklug etwas zu unternehmen, ehe man einen Theil der Armee für die royalistische Sache gewonnen; noch Andere schützten vor, die religiöse und politische Begeisterung sey unter den Landleuten sehr erkaltet, und es würde schwer seyn, sie in den Kampf zu führen. Der heroische Marquis konnte nicht begreifen, daß nicht ganz Frankreich schlagfertig war: ein kleiner Feldzug wäre eben ein recht angenehmer Zeitvertreib für ihn gewesen, nachdem Jean Oullier seine beste Büchse geputzt und seine Töchter ihm eine Schärpe gestickt hatten. Und nun fand er unter seinen Freunden nur Lauheit, Unschlüssigkeit, höchstens schöne Worte, nirgends raschen Entschluß, nirgends wahre Begeisterung.

Mary, welche wußte wie hoch ihr Vater die altherkömmliche Gastfreundschaft achtete, benutzte die immer ärgerlicher werdende Stimmung des würdigen Royalisten, um ihm die Ankunft des Grafen von Bonneville zu melden.

»Bonneville? Wer ist Bonneville?« murrte der Marquis. »Vermuthlich ein geschwätziger Advocat, oder ein Offizier, der seiner Wohldienerei die Epauletten zu danken hat, oder sonst ein süßes Herrchen, das mir einreden mochte, man müsse warten, bis Philipp seine Popularität abgenutzt —«

»Ich sehe, daß der Herr Marquis für eine sofortige Erhebung ist,« unterbrach ihn eine sanfte, etwas dünne Stimme.

Der Marquis sah sich um, und bemerkte einen blutjungen Menschen in Bauerntracht, der hinter ihm am Camine stand und sich ebenfalls die Füße wärmte.

Der junge Mensch war unbemerkt aus einer Seitenthür gekommen, und der Marquis, der ihm überdies den Rücken zugekehrt, hatte die Winke seiner Töchter im Eifer der Rede nicht beachtet.

Petit-Pierre, denn er war es, schien sechzehn bis achtzehn Jahre alt zu seyn, aber er war sehr zart und schmächtig für sein Alter. Sein Gesicht war blaß, und diese Blässe wurde noch auffallender durch das schwarze Lockenhaar. Aus seinen großen blauen Augen sprach Muth und Entschlossenheit, um seinen feinen Mund spielte ein geistvolles Lächeln, sein stark hervorstehendes Kinn deutete auf große Willenskraft, und die etwas gebogene Nase gab seinem Gesichte einen Adel, der mit seiner Tracht in auffallendem Widersprüche stand.

»Monsieur Petit-Pierre,« sagte Bertha, indem sie den Fremden bei der Hand nahm und ihrem Vater vorstellte.

Der Marquis machte eine tiefe Verbeugung, die der junge Bauer sehr freundlich erwiderte.

Der alte Royalist wußte nicht recht, was er von der Bauerntracht und von dem Namen Petit-Pierre denken sollte. Der große Krieg hatte ihn an die falschen Namen gewöhnt, unter denen die vornehmsten Leute ihren Stand zu verbergen pflegten, so wie an die Verkleidungen, unter denen sie sich unkenntlich zu machen suchten. Am auffallendsten aber war ihm die zarte Jugend seines Gastes.

»Meine Töchter,« sagte er, »waren gestern Abends so glücklich, Ihnen und dem Herrn Grafen von Bonneville einen kleinen Dienst zu erweisen, und ich bedaure sehr, dass ich nicht zu Hause war. Hätten mir die Herren nicht die unangenehme Arbeit zugetheilt, so würde ich die Ehre gehabt haben, Sie in meinem einsamen Hause zu empfangen. Ich hoffe aber doch, daß die kleinen Plaudertaschen eingesehen haben, daß es ihre Pflicht war, meine Stelle gehörig zu vertreten, und daß Alles, was unsere beschränkten Verhältnisse erlauben, aufgeboten worden ist, Ihnen diesen traurigen Aufenthalt erträglich zu machen.«

»Ihre Gastfreundschaft, Herr Marquis, konnte durch so liebenswürdige Wirthinnen nur gewinnen,« erwiderte Petit-Pierre.

»Hm!« sagte der Marquis, die Unterlippe aufwerfend, »in anderen Zeiten würden sie ihren Gästen wohl einige Unterhaltung bieten können. Bertha weiß einen Eber in seinem Lager aufzufinden, wie der beste Jäger, und Mary kennt alle jungen Schläge, wo sich Schnepfen aufhalten; aber abgesehen von einer gewissen Geübtheit im Whistspiele, das sie von mir gelernt haben, halte ich sie für unfähig, in einem Salon die Honneurs zu machen.«

»Ich glaube,« erwiderte Petit-Pierre, »daß wenige Hofdamen so viele Anmuth und Anstand besitzen wie Ihre Töchter, und ich versichere, daß Keine mit diesen Vorzügen so viel Edelmuth und Zartgefühl verbinde.«

»Hofdamen?« erwiderte der Marquis erstaunt und sah seinen Gast fragend an.

Petit-Pierre erröthete lächelnd, wie ein Schauspieler, der einem wohlwollenden Publicum gegenüber stecken bleibt.

»Ich mache nur einen Vergleich, Herr Marquis,« sagte er ausweichend. »Ich spreche vom Hofe, weil Ihre Töchter vermöge ihrer Geburt daselbst ihren Platz haben.«

Der Marquis von Souday erröthete nun ebenfalls: er hatte das Incognito, in welchem sein Gast zu bleiben wünschte, fast unwillkürlich angetastet und der alte Cavalier machte sich bittere Vorwürfe über diesen Verstoß gegen die feine Sitte.

Petit-Pierre beeilte sich, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.

»Als Ihre Töchter mir die Ehre erwiesen, mich Ihnen vorzustellen, schienen Sie eine sofortige Erhebung zu wünschen.«

»Ventrebleu! Ihnen kann ich’s wohl gestehen; denn ich sehe, daß Sie Einer der Unsrigen sind.«

Petit-Pierre nickte bejahend.

»Ja, es ist meine Meinung,« fuhr der Marquis fort, »aber alle meine Vorstellungen helfen nichts, man will dem alten Edelmanne, der sich in dem furchtbaren Feuer von 1793 bis 1797 die Haut versengt hat, kein Gehör schenken. Man glaubt den Vorspiegelungen geschwätziger Adocaten, die keine Prozesse haben, und schöner parfümirter Herrchen, die sich vor der Nachtluft fürchten und kein Pulver riechen können.«

Der Marquis stieß mit dem Fuße zornig gegen die Feuerbrände, dass die Funken stoben.

»Beruhige Dich, Vater,« mahnte Mary, die ein etwas spöttisches Lächeln auf den feinen Lippen des Gastes bemerkte.

»Nein, ich will mich nicht beruhigen,« erwiderte der ergrimmte Marquis. »Alles war bereit; Jean Oullier versicherte, meine Division glühe von Begeisterung – und nun wird die Sache vom 14. Mai bis in alle Ewigkeit verschoben!«

»Nur Geduld, Herr Marquis,« sagte Petit-Pierre, »die Stunde wird schlagen.»

»Geduld! Das können Sie leicht sagen,« erwiderte der Marquis seufzend, »Sie sind jung und haben Zeit zu warten. Aber ich! wer weiß, ob mich Gott noch so lange am Leben läßt, dass ich noch das gute alte Banner wehen sehe, für welches ich so freudig gekämpft habe!«

Petit-Pierre wurde gerührt.

»Haben Sie denn nicht gehört, Herr Marquis,« fragte er, »daß der Aufstand verschoben wurde, weil man über die Ankunft der Prinzessin in Ungewißheit war?«

Diese Worte schienen den Marquis noch mehr zu erzürnen.

»Lassen Sie mich doch in Ruhe,« eiferte er, »ich kenne die alte Fabel. In den fünf Jahren, die ich in der Vendée gefochten, versprach man uns unaufhörlich den königlichen Führer, um den sich alle Getreuen schaaren sollten! Ich war unter denen, die den Grafen von Artois am 2. October an der Küste erwarteten. Wir werden im Jahre 1832 eben so wenig eine Prinzessin sehen, wie wir 1796 einen Prinzen gesehen haben. Doch dies soll mich nicht hindern, mein Leben für sie zu lassen, wie es die Pflicht eines Edelmannes ist: mit dem alten Stamme müssen die Zweige fallen!«

»Herr Marquis von Souday,« sagte Petit-Pierre sehr bewegt, »ich schwöre Ihnen, daß die Herzogin von Berry, hätte sie auch nur eine Nußschale zu ihrer Verfügung gehabt, übers Meer gekommen seyn würde, um sich unter die von Charette’s tapferer Hand getragene Fahne zu stellen; ich schwöre Ihnen, daß sie heute bereit ist, mit den Getreuen, welche die Rechte ihres Sohnes vertheidigen wollen, zu siegen oder zu sterben!«

Es war höchst auffallend, daß solche Worte, zumal mit solcher Energie gesprochen, aus dem Munde eines jungen Landmannes kamen; der Marquis von Souday sah seinen Gast daher mit großem Erstaunen an.

»Wer sind Sie denn?« fragte er, »wie können Sie, ein kaum dem Knabenalter entwachsener Jüngling, für Ihre königliche Hoheit ein so feierliches Versprechen geben?«