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Kitabı oku: «Die Zwillingsschwestern von Machecoul», sayfa 5

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IX.
Salon d’or und Allegro

Wie Michel erwartet und gefürchtet hatte, war er von seiner Mutter tüchtig ausgezankt worden.

Sie hatte sich durch die Erzählung Courtin’s nicht täuschen lassen; die Kopfwunde ihres Sohnes war keine von einem Dorne geritzte Schramme.

Da sie nicht wußte, was ihren Sohn bewegen könne, die Ursache dieser Verwundung zu verbergen, und in der Ueberzeugung, daß sie die Wahrheit nicht herausbringen würde, warf sie nur von Zeit zu Zeit einen Blick auf die räthselhafte Wunde und schüttelte dabei seufzend den Kopf.

Der junge Mann fühlte sich bei Tische sehr unbehaglich; er schlug die Augen nieder und murrte kaum; aber die scharfe Beobachtung, die er von seiner Mutter zu ertragen hatte, war keineswegs die einzige Ursache seiner Befangenheit.

Zwischen seinen gesenkten Augenlidern und dem Auge seiner Mutter sah er fortwährend gleichsam zwei Schatten schweben: die Erinnerung an Bertha und an Mary.

An Bertha dachte er allerdings mit einer gewissen Ungeduld. Wer war sie denn, die Amazone die mit dem Gewehre umzugehen wußte, wie ein echter Jäger, die eine Wunde verband, wie ein Chirurg, und den widerstrebenden Patienten mit ihren zarten weißen Händen so festhielt, wie es nur Jean Oullier mit seinen derben schwieligen Fäusten vermocht hätte?

Aber wie reizend war auch Mary mit ihrem langen: blonden Haare und ihren großen blauen Augen! Wie sanft und einschmeichelnd war der Ton ihrer Stimme! Mit welcher Leichtigkeit hatte sie die Wunde berührt, das Blut abgewaschen, die Binde umgelegt!

Im Grunde war Michel gar nicht böse über seine Wunde, wenn er bedachte, daß die beiden Mädchen sonst nicht die mindeste Ursache gehabt haben würden, ihn anzureden und sich mit ihm zu beschäftigen.

Weit bedenklicher als die Wunde war freilich die Verstimmung seiner Mutter, welche ihre Zweifel und Besorgnisse nicht ganz zu verbergen vermochte. Aber der Aerger seiner Mutter konnte nicht von langer Dauer seyn; unvergänglich hingegen war der Eindruck, den der Händedruck Mary’s in seinem Herzen zurückgelassen hatte.

Er sehnte sich, wie jeder junge Mann, der mit seinen Gefühlen noch nicht im Klaren ist, nach Einsamkeit. Nach Tische benutzte er einige Augenblicke, wo seine Mutter mit einem Diener sprach, und entfernte sich, ohne ihre Worte zu beachten.

Die Worte der Baronin de La Logerie waren indeß nicht ohne Bedeutung: sie verbot ihrem Sohne, sich in die Nähe von St. Christoph zu begeben, weil daselbst, nach der Aussage des Dieners ein bösartiges Fieber ausgebrochen sey.

Sie wünschte sogar um La Logerie einen Sanitätscordon ziehen zu lassen, um den Bewohnern des Dorfes den Zutritt in das Schloß unmöglich zu machen.

Der Befehl sollte sogleich vollzogen werden, in Bezug auf ein Mädchen, welches für den fieberkranken Vater bei der Baronin um Hilfe bitten wollte.

Wäre Michel nicht so zerstreut gewesen, so würde er den Worten seiner Mutter gewiß einige Aufmerksamkeit geschenkt haben; denn der Kranke war der Pächter Tinguy, und die Botin war seine Milchschwester Rosine für die er noch immer eine große Zuneigung hatte.

Aber seine Augen waren gegen Souday gewandt, und er dachte an die reizende Mary.

Bald war er in dem einsamsten, schattigsten Theile des Parkes. Er hatte, um sein einsames Umherirren nicht auffallend zu machen, ein Buch genommen; aber er hätte nicht einmal den Titel des Buches nennen können, obschon er zu lesen schien, bis er das Ende des Parkes erreicht hatte.

Er setzte sich auf eine Bank und fing an nachzusinnen.

Woran er dachte? Die Antwort ist leicht zu geben: er dachte, wann er wohl Mary und ihre Schwester wieder sehen würde.

Der Zufall war ihm günstig gewesen, aber er hatte sie erst sechs Monate nach seiner Rückkehr gesehen. Der Zufall hatte sich also Zeit genommen; auf eine zweite Begegnung konnte der junge Baron unmöglich so lange warten.

Andererseits war es keineswegs leicht, mit dem Schlosse Souday Verbindungen anzuknüpfen. Der Marquis von Souday, ein Emigrant von 1790, war dem Baron Michel von La Logerie, dessen Adel aus dem Kaiserreiche stammte, nicht sehr gewogen.

Ueberdies hatte sich Jean Oullier in der kurzen Unterredung eben nicht geneigt gezeigt, die Bekanntschaft des jungen Barons zu machen.

Bertha und Mary hatten ihm allerdings ihre Theilnahme zu erkennen gegeben; aber wie konnte er sich den Mädchen nähern? Sie ritten wohl zwei- oder dreimal wöchentlich auf die Jagd, aber nie ohne die Begleitung ihres Vaters und Jean Oulliers.

Michel nahm sich vor, alle in der Bibliothek des Schlosses befindlichen Romane zu lesen: er hoffte, aus einem derselben irgend ein sinnreiches Mittel herauszulesen, welches seine eigene Erfindungsgabe wahrscheinlich nicht entdecken würde.

Während er so nachsann, fühlte er einen leisen Schlag auf seiner Schulter. Er sah sich etwas erschrocken um.

Es war Courtin.

Das Gesicht des braven Meiers drückte eine Zufriedenheit aus, die er gar nicht zu verhehlen suchte.

»Nichts für ungut, Junker,« sagte der Meier, »ich sah Sie so still hier sitzen, und da glaubte ich, es sey Ihr Geist —«

»Jetzt aber siehst Du, Courtin, daß ich’s selbst bin.«

»Das freut mich, Monsieur Michel. Ich dachte mit einiger Unruhe, wie es zwischen Ihnen und der Frau Baronin abgelaufen ist.«

»Sie hat mir einen kleinen Verweis gegeben.«

»Ich konnte mir’s denken. Haben Sie etwas von dem Hasen gesagt?«

»O nein, ich habe mich wohl gehütet.«

»Und von den Wölfinnen?«

»Was für Wölfinnen?« fragte der junge Baron, dem es gar nicht unlieb war, das Gespräch wieder auf diesen Punkt zu lenken.

»Die Wölfinnen von Machecoul. – Ich glaube Ihnen schon gesagt zu haben, daß man die beiden Fräulein von Souday so nennt.«

»Nein, Courtin. Ich glaube, daß die Hunde von Souday und La Logerie, wie man zu sagen pflegt, nicht zusammen jagen.«

»Nun, wenn die Hunde auch nicht zusammen jagen,« erwiderte Courtin mit seiner pfiffigen Miene, die er nicht immer ganz zu verbergen vermochte, »so können Sie doch mit den Hunden von Souday jagen.«

»Was meinst Du damit?«

»Sehen Sie nur,« sagte Courtin, indem er zwei Schweißhunde, die er am Riemen führte, herbeizog.

»Was ist das?« fragte der junge Baron.

»Es ist Galon d’or und Allegro.«

»Ich habe nie etwas von Galon d’or und Allegro gehört.«

»Es sind die Hunde des Banditen Jean Oullier.«

»Warum hast Du ihm denn seine Hunde genommen?«

»Ich habe sie ihm nicht genommen, ich habe sie blos gepfändet.«

»Und mit welchem Rechte?«

»Ich habe ein doppeltes Recht dazu: erstens als Eigenthümer und zweitens als Maire.«

Courtin war Maire des Dorfes La Logerie, welches aus etwa zwanzig Häusern bestand, und er war stolz auf diese Würde.

»Erkläre mir deine Rechte, Courtin.«

»Es ist sonnenklar: als Maire pfände ich die Hunde, weil sie außer der Zeit jagen.«

»Ich habe nicht geglaubt, daß man nicht zu jeder Zeit nach Wölfen jagen darf, und da der Marquis von Souday Jägermeister ist —«

»Im Walde von Machecoul mag er nach Wölfen jagen, aber aus der Ebene muß er wegbleiben. Uebrigens,« setzte Courtin pfiffig lächelnd hinzu, »haben Sie ja gesehen, daß er keinen Wolf, sondern einen Hasen jagte, und daß dieser Hase von einer der beiden Wölfinnen erlegt wurde.«

Der junge Baron war im Begriff zu erwiedern, daß dieser Name, auf die Fräulein von Souday angewandt, ihm unangenehm sey, aber er mochte sich doch nicht so deutlich aussprechen.

»Fräulein Bertha hat ihn erlegt, Courtin,« sagte er, »aber ich hatte ihn zuerst angeschossen, ich bin also der Schuldige.«

»Wie meinen Sie das? Würden Sie geschossen haben, wenn ihn die Hunde nicht gejagt hätten? Die Hunde haben also die Schuld, und in meiner Eigenschaft als Maire strafe ich die Hunde, weil sie unter dem Vorwande der Wolfsjagd zu einer verbotenen Zeit einen Hasen jagten. Doch das ist noch nicht Alles: nachdem ich als Maire gestraft habe, schreite ich als Landeigenthümer ein. Wer hat den Hunden des Herrn Marquis erlaubt, auf meinem Lande zu jagen?«

»Ich glaube, Courtin, daß Du Dich irrst,« erwiderte Michel lachend, »die Hunde jagten auf meinem Grund und Boden, oder vielmehr auf dem Besitzthume meiner Mutter.«

»Das macht keinen Unterschied, Monsieur Michel; ich habe ja Ihre Ländereien gepachtet. Wir sind nicht mehr vor 1789, wo die Gutsherren das Recht hatten, mit ihren Meuten über die Kornfelder der Bauern zu jagen und Alles niederzutreten, ohne den Schaden zu ersetzen. Nein, wir schreiben jetzt 1832. Jedermann ist Herr auf seinem Eigenthum, und das Wild gehört dem, der es füttert. Der von den Hunden des Herrn Marquis gejagte Hase gehört also mir, denn er frißt das Getreide, das ich auf den Aeckern der Frau Baronin gesät habe, und ich habe den Hasen zu essen.«

Michel machte eine Bewegung, die Courtin wohl bemerkte, aber er mochte doch sein Mißfallen nicht zu erkennen geben.

»Es wundert mich nur,« sagte der junge Baron, »daß sich diese Hunde, die Dir mit so großem Widerstreben zu folgen scheinen, von Dir einholen ließen.«

»O! das hat gar keine Mühe gekostet,« erwiderte Courtin, »ich fand sie beim Speisen.«

»Beim Speisen?«

»Ja wohl. Ich hatte den Hasen in eine Hecke gesteckt, sie hatten ihn gefunden und schmausten. Sie scheinen drüben auf dem Schlosse Souday eben nicht stark gefüttert zu werden und auf eigene Faust gejagt zu haben. Sehen Sie nur, wie die Canaillen meinen Hasen zugerichtet haben.«

Courtin zog die Hinterläufe des Hasen, als hauptsächliches corpus delicti, aus seiner weiten Tasche. Kopf, Vorderläufe und der halbe Rücken waren verschwunden.

»Höre, Courtin,« sagte der junge Baron, »als Maire solltest Du die gesetzliche Ordnung doppelt respektiren.«

»Die gesetzliche Ordnung trage ich in meinem Herzen. Sie wissen ja, Monsieur Michel, daß die drei Worte: Légalité, liberté, ordre public vor meinem Hause geschrieben stehen.«

»Um so mehr Ursache habe ich Dir zu sagen, daß dein Verhalten mit der gesetzlichen Ordnung und Freiheit nicht im; Einklange steht.«

»Wie! die Hunde von Souday stören die gesetzliche Ordnung nicht, wenn sie in einer verbotenen Zeit auf meinen Feldern jagen? und ich habe nicht das Recht sie zu pfänden?«

»Nein, Courtin, sie stören nicht die gesetzliche Ordnung, sie verletzen ein Privatinteresse, und Du hast das Recht, ein Protokoll darüber aufzunehmen, aber nicht, sie zu pfänden.«

»O! das ist viel zu weitläufig; wenn man die Hunde in Ruhe lassen und blos ein Protokoll aufnehmen soll, so sind ja nicht mehr die Menschen, sondern die Hunde frei.«

»Courtin,« sagte der junge Baron mit einer gewissen Wichtigthuerei, welche jungen Leuten, die einige Bekanntschaft mit dem Gesetzbuche gemacht haben, eigen zu seyn pflegt, »Du verwechselst, wie viele Leute, Freiheit mit Unabhängigkeit. Die Unabhängigkeit ist die Freiheit der Menschen, die nicht frei sind.«

»Aber was ist denn Freiheit?«

»Freiheit, lieber Courtin, ist die Verzichtung auf persönliche Unabhängigkeit zum Nutzen Aller. Aus diesem allgemeinen Schatz von Unabhängigkeit nimmt ein ganzes Volk oder jeder einzelne Bürger seine Freiheit. Wir sind frei und nicht unabhängig.«

»O! mich kümmert das nicht,« erwiderte Courtin, »ich bin Maire und Grundeigenthümer; ich habe die beiden besten Hunde des Marquis, Galon d’or und Allegro, am Riemen, ich lasse sie nicht los; er mag sie holen, dann will ich ihn fragen, was er in den Versammlungen zu Torfou und Montaigu macht.«

»Was meinst Du?«

»O! ich weiß schon, was ich meine.«

»Aber ich weiß es nicht.«

»Das ist auch nicht nöthig, Sie sind nicht Maire.«

»Das ist wohl wahr, aber ich wohne doch hier und möchte gerne wissen, was in dieser Gegend vorgeht.«

»Das ist nicht schwer zu sehen: die Herren conspiriren.«

»Die Herren?«

»Ei ja, die Edelleute, die – doch ich schweige, obschon Sie zu jenem Adel nicht gehören.«

Michel erröthete bis über die Ohren.

»Da sagst, Courtin, daß die Edelleute conspiriren?«

»Freilich; warum sollten Sie denn sonst in der Nacht zusammenkommen? Am Tage mögen die Müßiggänger zechen und schmausen, so viel sie wollen, die Behörde hat nichts dagegen; aber Leute, die in der Nacht die Köpfe zusammenstecken, haben nichts Gutes im Sinne. Aber sie mögen sich nur in Acht nehmen, ich habe ein wachsames Auge auf sie, ich bin Maire, und wenn ich auch nicht das Recht habe, die Hunde zu pfänden, so habe ich doch das Recht, die Menschen ins Gefängniß zu schicken. Von dieser Seite kenne ich das Gesetzbuch sehr gut.«

»Und der Marquis von Souday besucht jene Versammlungen?«

»Natürlich, warum sollte er sie nicht besuchen? Ein alter Chouan, ein Adjutant Charette’s wird nicht ausbleiben. Er mag nur kommen, um seine Hunde zurückzufordern, ich schicke ihn sammt seinen Wölfinnen nach Nantes, und sie sollen sagen, warum sie sich so oft bei Nacht und Nebel in den Wäldern herumtreiben.«

»Aber,« entgegnete Michel mit einer Heftigkeit, die sehr leicht zu deuten war, »Du hast mir ja selbst gesagt, Courtin, daß die jungen Damen oft Kranke besuchen und deshalb so spät durch den Wald kommen —«

Courtin trat einen Schritt zurück und zeigte lachend mit dem Finger auf seinen jungen Gutsherrn.

»Aha!« sagte er, »jetzt habe ich Sie gefangen!«

»Mich?« sagte der junge Baron erröthend, »wobei glaubst Du mich gefangen zu haben?«

»Die Demoiselles liegen Ihnen am Herzen!«

»Mir —«

»Ja, ja, ja! Ich will’s Ihnen gar nicht verargen, im Gegenteil, obschon es Demoisellen sind, so muß ich doch gestehen, dass sie hübsch sind. Werden Sie nur nicht roth. Sie kommen ja nicht aus dem Seminar, Sie sind weder Abbé noch Diaconus, noch Vicar; Sie sind ein schmucker junger Herr – nur vorwärts, und nicht ängstlich! Die Dämchen müßten wahrhaftig keinen Geschmack haben, wenn sie keinen Gefallen an Ihnen fänden.«

»Aber, lieber Courtin,« sagte Michel, »wenn dies meine Absicht wäre, so würde ich schon darin ein großes Hindernis finden, daß ich weder den Marquis noch seine Töchter kenne. Man kann ja nicht sogleich einen Besuch machen, wenn man zwei jungen Mädchen einmal zu Pferde begegnet.«

»Aha! ich verstehe,« sagte Courtin spöttisch, »die Leute dort drüben haben vornehme Manieren, obgleich sie so arm wie die Kirchenmäuse sind, und Sie brauchen eine Gelegenheit, einen Grund, einen Vorwand. Suchen Sie nur, Monsieur Michel, Sie sind ein Gelehrter, können Latein und Griechisch, und haben obendrein das Gesetzbuch studirt. Sie werden bald etwas finden.«

Michel schüttelte den Kopf.

»Was!« sagte Courtin, »Sie haben nichts gefunden?«

»Das sage ich nicht,« erwiderte der junge Baron lebhaft.

»Aber ich sage es. Wenn man vierzig Jahre alt ist, hat man die Zeit, wo man zwanzig zählte, noch nicht vergessen.«

Michel schwieg und schlug vor dem etwas spöttischen Blick des Landmannes die Augen nieder.

»Sie haben kein Mittel gefunden,« setzte Courtin hinzu, »aber ich habe es gefunden.«

»Du!« sagte der junge Baron, rasch aufblickend; aber er lenkte ein, um seine geheimen Gedanken nicht preiszugeben. »Wer hat Dir denn gesagt, daß ich ins Schloß gehen will?«

»Hören Sie nur,« fuhr Courtin fort, als ob sein Herr gar nicht versucht hätte zu leugnen.

Michel stellte sich gleichgültig und zerstreut, hörte aber sehr aufmerksam zu.

»Sie sagen zu mir: Papa Courtin, Ihr habt weder als Maire, noch als Landeigenthümer das Recht, die Hunde des Marquis von Souday zu pfänden; Ihr habt Anspruch auf eine Entschädigung und wegen dieser Entschädigung werden wir uns verständigen. Hierauf antwortet der Papa Courtin. O! mit Ihnen, Monsieur Michel, rechne ich nicht, wir kennen Ihre Großmuth. Hierauf erwidern Sie: Courtin, Du gibst mir die Hunde, das Uebrige ist meine Sache. Und ich sage: Hier sind die Hunde, Monsieur Michel. Was die Entschädigung betrifft, so finden wir uns mit einem oder zwei Goldfüchsen ab; wir wollen ja nicht den Tod des Sünders! Sie schreiben dann ein kleines Billet an den Marquis und schicken ihm die Hunde durch Rousseau oder La Belette zurück. Dann kann er natürlich nicht umhin, sich bei Ihnen schönstens zu bedanken und Sie einzuladen. Noch sicherer wär’s freilich, wenn Sie ihm die Hunde selbst zurückbrächten.«

»Gut, gut, Courtin,« sagte der junge Baron, »laß mir die Hunde, ich will sie dem Marquis zurückschicken, nicht um von ihm eingeladen zu werden – denn an deinen Voraussetzungen ist kein wahres Wort, – sondern weil Nachbarn einander gefällig seyn müssen.«

»Nun, ich will nichts gesagt haben,« sagte Courtin. »Aber es bleibt doch immer wahr, die beiden Fräulein von Souday sind bildhübsch. Und was die Entschädigung betrifft —«

»Nicht mehr als billig,« unterbrach ihn der junge Baron. »Hier, nimm das für den Schaden, den Dir die Hunde auf meinem Lande gethan haben.«

Und er gab dem Bauer drei oder vier Louisd’or, die er eben bei sich hatte.

Es war ein Glück, daß er nicht mehr bei sich hatte, denn er war so erfreut über das von Courtin gefundene Mittel, daß er ihm zehnmal mehr gegeben hätte, wenn diese zehnfache Summe in seiner Tasche gewesen wäre.

Courtin warf einen Kennerblick auf die Goldstücke, die er als »Entschädigung« bekommen hatte, übergab dem jungen Baron den Koppelriemen und entfernte sich.

Aber als er einige Schritte gegangen war, sah er sich um und sagte:

»Aber binden Sie sich nicht allzu sehr an die Leute, Monsieur Michel. Sie wissen, was ich Ihnen von den Versammlungen der Herren zu Torfou und Montaigu erzählt habe, und jetzt sage ich Ihnen, daß es binnen vierzehn Tagen etwas geben wird.«

Er ging nun fort und trällerte die »Parisienne«, für deren Text und Melodie er schwärmte.

Der junge Baron blieb mit den beiden Hunden allein.

X.
Wo gezeigt wird, das man die Rechnung nicht ohne den Wirth machen soll

Der junge Baron hatte anfangs die Absicht, den Rath Courtin’s zu befolgen, nämlich die Hunde in das Schloß zurückzuschicken. Rousseau und La Belette sollten die Hunde abliefern und seine Botschaft überbringen. Es waren zwei Diener, die theils auf dem Meierhofe, theils im Schlosse verwendet wurden. Die Spitznamen, unter denen sie Courtin unseren Lesern vorgestellt, verdankte der Erste der etwas schreienden Farbe seines Haares, der Zweite der Aehnlichkeit seines Gesichts mit der Schnauze des Thieres [La belette, das Wiesel.], welches La Fontaine in einer sehr hübschen Fabel illustriert hat.

Allein bei reiferer Erwägung dachte er, der Marquis von Souday könne sich mit einem einfachen Dankschreiben begnügen, ohne ihn einzuladen.

Wenn der Marquis so handelte, so war der Zweck verfehlt, und eine so günstige Gelegenheit fand sich vielleicht nicht wieder.

Wenn er hingegen die Hunde persönlich überbrachte, so mußte der Marquis seinen Besuch annehmen: einen Nachbar, der so gefällig ist, zwei verloren geglaubte werthvolle Jagdhunde persönlich zu überbringen, läßt man nicht sechs bis sieben Kilometer machen, ohne ihm eine Erfrischung und wenn es spät ist, ein Nachtlager zu bieten.

Michel sah nach der Uhr. Es war sechs Uhr und einige Minuten.

Die Baronin speiste um vier Uhr. Der junge Baron hatte daher Zeit genug, sich in das Schloß Souday zu begeben. Aber es war ein großer Entschluß, und Entschlossenheit war eben kein hervorragender Charakterzug Michel’s.

Er blieb eine Viertelstunde unschlüssig; aber in den ersten Maitagen geht die Sonne erst um acht Uhr unter, er hatte also noch anderthalb Stunden Sonnenschein. Ueberdies konnte er, ohne sich einer Unschicklichkeit schuldig zu machen, bis neun Uhr seinen Besuch aufschieben.

Freilich war vorauszusehen, daß sich die Mädchen nach einem Jagdtage frühzeitig zur Ruhe begeben würden, und um den Marquis allein zu sprechen, würde der junge Baron die sechs Kilometer nicht machen. Um Mary zu sehen, würde er hundert Meilen gemacht haben.

Er entschloß sich daher, auf der Stelle die kleine Reise anzutreten.

Erst jetzt bemerkte er, daß er keinen Hut hatte. Aber um seinen Hut zu holen, mußte er ins Schloß gehen; seine Mutter konnte ihm begegnen und ihn fragen, wohin er wollte und wem die Hunde gehörten.

Er brauchte keinen Hut; er konnte sich mit der Eile entschuldigen, der Wind konnte den Hut in eine Schlucht getrieben haben und die Hunde hätten ihm nicht erlaubt, ihm nachzulaufen. Es wäre viel unangenehmer gewesen, seiner Mutter zu begegnen.

Er machte sich also baarhaupt, mit den beiden Hunden am Riemen, auf den Weg.

Kaum hatte er einige Schritte gemacht, so sah er ein, daß er die fünfundsiebzig Minuten, auf die er gezählt hatte, nicht auf dem Wege zubringen würde. Denn sobald die Hunde merkten, welche Richtung ihr Führer einschlug, so hatte er sie nicht mehr fortzuziehen, sondern zurückzuhalten. Sie witterten den Stall; an einen kleinen Wagen gespannt, würden sie den Baron Michel in einer halben Stunde nach Souday gezogen haben. Zu Fuß konnte er den Weg in drei Viertelstunden zurücklegen.

Da er eben so ungeduldig war, wie die beiden Hunde, so setzte er sich in kurzen Trab.

Nach zwanzig Minuten kam er in den Wald von Machecoul. Anfangs war eine ziemlich steile Anhöhe zu ersteigen.

Der junge Baron fühlte auf der Höhe das Bedürfniß, sich zu verschnaufen. Die Hunde hingegen wollten rasch weiter, aber er hielt sie glücklich zurück.

Während er sich den Schweiß von der Stirn wischte und sich an der kühlen Abendluft labte, glaubte er einen Ruf zu hören. Die Hunde hörten ihn ebenfalls, begannen ein; klägliches Geheul und zogen mit erneuerter Kraft am Leitriemen.

Der Führer hatte sich ausgeruht und trabte weiter den mit aller Kraft ziehenden Hunden nach.

Er hatte noch nicht dreihundert Schritte gemacht, so hörte er denselben Ruf, aber näher und deutlicher, wieder.

Die Hunde antworteten mit einem noch kläglicheren Geheul und mit noch stärkeren Ziehen am Koppelriemen.

Der junge Baron sah wohl, daß Jemand die Hunde suchte und rief.

Nach einer Weile wiederholte sich das Rufen. Dieses Mal zogen Galon d’Or und Allegro mit solcher Gewalt, daß Michel, von ihnen fortgerissen, sehr schnell laufen mußte.

Nachdem er einige Minuten in diesem raschen Tempo gelaufen war, erschien ein Mann am Saume des Waldes, sprang über den Graben und trat dem jungen Baron in den Weg.

Es war Jean Oullier.

»Aha!« sagte er, »Sie sind’s, Monsieur Jolicoeur! Sie lenken also meine Hunde von der Wolfsfährte ab und hetzen sie auf einen Hasen! Und nun geben Sie sich sogar die Mühe, sie zusammenzukoppeln und am Riemen zu führen!«

»Ich habe die Hunde zusammengekoppelt,« erwiderte der junge Baron ganz athemlos, »um sie dem Herrn Marquis von Souday persönlich zu überbringen.«

»Ja, ja – ohne Hut und so mir nichts Dir nichts! Die Mühe können Sie sich ersparen, mein lieber Herr, ich werde die Hunde schon abliefern.«

Und ehe es der junge Baron hindern konnte, entriß ihm Oullier den Riemen und warf ihn den Hunden auf den Hals, wie man einem Pferde den Zügel auf den Hals wirft.

Die Hunde liefen nun auf das Schloß zu, Jean Oullier ihnen nach.

Alles dies war so schnell vor sich gegangen, daß die Hunde mit ihrem Treiber schon weit entfernt waren, ehe der junge Baron wieder einige Fassung gewonnen hatte.

Er stand wohl schon zehn Minuten ganz verblüfft auf derselben Stelle und schaute den Hunden nach, da hörte er eine sanfte, freundliche Mädchenstimme:

»Mein Gott! Herr Baron, was machen Sie denn ohne Hut hier im Walde?«

Was er hier machte? Das hätte er wohl schwerlich sagen können. Er folgte in Gedanken seinen davoneilenden Hoffnungen.

Er sah sich um und erkannte seine Milchschwester, die Tochter des Pächters Tinguy.

»Aha! Du bist’s, Rosine,« sagte er.

»Wo kommst Du denn her?«

»Ach! Herr Baron!« antwortete das Mädchen weinerlich, »ich komme aus dem Schlosse La Logerie, wo mich die Frau Baronin schlecht aufgenommen hat.«

»Wieso, Rosine? Du weißt ja, daß Dir meine Mutter sehr gut ist.«

»Ja, sonst wohl, aber heute nicht.«

»Wie! Heute nicht?«

»Ja, vor einer Stunde ließ sie mir die Thüre weisen.«

»Warum hast Du nicht nach mir gefragt?»

»Ich habe nach Ihnen gefragt, Herr Baron, aber man sagte mir, Sie wären nicht zu Hause.«

»Ich komme ja eben erst vom Schlosse her, und Du, bist gewiß nicht so geschwind hierher gekommen, wie ich.«

»Das ist möglich, Herr Baron. Denn da ich von Ihrer Frau Mutter abgewiesen wurde, so kam ich auf den Gedanken, die Wölfinnen aufzusuchen, aber ich entschloß mich nicht sogleich.«

»Was willst Du denn von den Wölfinnen?«

Es kostete ihm große Ueberwindung, dieses Wort auszusprechen.

»Ich will für meinen kranken Vater um Hilfe bitten.«

»Was für eine Krankheit hat er denn.«

»Ein bösartiges Fieber, das er in den Sümpfen bekommen hat.«

»Ein bösartiges Fieber!« wiederholte Michel, »Ist es ein Zehrfieber, ein Wechselfieber oder ein Nervenfieber?«

»Das weiß ich nicht, Herr Baron.«

»Was sagt denn der Arzt dazu?«

»Der Arzt wohnt in Palluau; er nimmt fünf Francs für einen Besuch, und das können wir nicht geben.«

»Und meine Mutter hat Dir kein Geld gegeben?«

»Sie wollte mich gar nicht sehen! Ein bösartiges Fieber! sagte sie, und das Mädchen kommt hierher, während der Vater krank ist? Fort mit ihr!«

»Das ist unmöglich!«

»Ich habe es recht gut gehört, Herr Baron; sie rief es; ganz laut zum Zimmer heraus.«

»Warte, warte,« sagte der junge Baron, »ich will Dir Geld geben.«

Er durchsuchte seine Taschen. Aber er hatte Courtin Alles gegeben, was er bei sich gehabt.

»Ach Gott!« sagte er, »ich habe keinen Groschen bei mir, armes Kind. Komm mit mir ins Schloß, ich will Dir geben, was Du brauchst.«

»O nein,« erwiderte Rosine, »ich würde nicht um alles Gold der Welt wieder ins Schloß gehen. Ich gehe zu den Wölfinnen, sie sind mitleidig und werden ein armes Mädchen, das für den kranken Vater um Hilfe bittet, nicht abweisen.«

»Aber man sagt,« entgegnete der junge Baron zögernd, »man sagt, daß die Fräulein von Souday nicht reich sind.«

»Ich will sie auch nicht um Geld bitten; sie geben kein Almosen, sie thun etwas Besseres —«

»Was thun sie denn?«

»Sie gehen selbst zu den Kranken, und wenn keine Hilfe mehr ist, so trösten sie die Angehörigen.«

»Ja wohl,« sagte Michel, »wenn’s eine gewöhnliche Krankheit ist, aber bei einem gefährlichen Fieber —«

»Die lieben jungen Damen machen keinen Unterschied. Sie können sich selbst davon überzeugen, wenn Sie hier warten wollen: in zehn Minuten werden Sie mich mit einer von den beiden Schwestern zurückkommen sehen. – Auf Wiedersehen, Herr Baron! O, ich hätte nie geglaubt, daß Ihre Frau Mutter die Tochter Ihrer Amme wie eine Diebin behandeln und fortschicken würde!«

Rosine entfernte sich, ehe der junge Baron eine Antwort finden konnte.

Aber sie hatte etwas gesagt, was ihm zu Herzen gegangen war; sie hatte gesagt: »In zehn Minuten werden Sie mich, wenn Sie warten wollen, mit einer der beiden Schwestern zurückkommen sehen.«

Er war fest entschlossen, zu warten; die auf eine Art verfehlte Gelegenheit konnte auf eine andere Art wieder eingebracht werden.

Wenn der Zufall wollte, daß Mary mit Rosine kam —.

Aber wie konnte er glauben, daß ein achtzehnjähriges Mädchen, die Tochter des Marquis von Souday um acht Uhr Abends eine Meile weit gehen würde, um einem armen fieberkranken Bauer Hilfe zu leisten?

Es war nicht wahrscheinlich, ja kaum möglich. Rosine machte die beiden Schwestern gewiß besser als sie waren, so wie Andere sie schlechter machten.

Und wie wäre es zugegangen, daß seine Mutter, die fromme, auf alle Tugenden Anspruch machende Dame, bei dieser Gelegenheit ganz anders gehandelt hätte, als die beiden Mädchen, denen man in der ganzen Gegend so viel Böses nachsagte? Wenn es wirklich so war, wie Rosine sagte, so waren ja die beiden Mädchen die wahren Seelen nach dem Herzen Gottes.

Aber er wartete gewiß vergebens.

Als er sich diesen trostlosen Gedanken seit zehn Minuten wohl zehnmal vergegenwärtigt hatte, sah er an der Biegung der Straße, wo Rosine verschwunden war, zwei Mädchengestalten erscheinen.

Ungeachtet der Dämmerung erkannte er Rosine. Die Andere war nicht zu erkennen, sie war in einen Mantel gehüllt.

Er war so befangen und aufgeregt, daß er nicht die Kraft hatte, den beiden Mädchen entgegen zu gehen; er erwartete sie.

»Nun, was habe ich Ihnen gesagt, Herr Baron?« rief, ihm Rosine zu.

»Was hast Du ihm denn gesagt?« fragte die junge Dame im Mantel.

Michel seufzte; an dem festen, entschiedenen Tone der Stimme erkannte er Bertha.

Ich habe ihm gesagt, erwiderte Rosine, »daß es mir bei Ihnen nicht so gehen würde, wie im Schlosse La Logerie – daß man mir die Thür nicht weisen würde.«

»Aber,« sagte Michel, »Du hast vielleicht dem Fräulein von Souday nicht gesagt, was für eine Krankheit dein Vater hat.«

»Nach den Symptomen,« antwortete Bertha, »scheint es ein Nervenfieber zu seyn; deshalb ist keine Minute zu verlieren. Die Krankheit erheischt schnelle Hilfe. Kommen Sie mit uns, Herr Baron?«

»Aber, mein Fräulein,« entgegnete Michel, »das Nervenfieber ist ansteckend —«

»Einige behaupten es und Andere leugnen es,« sagte Bertha gleichgültig.

»Aber das Nervenfieber ist tödtlich —«

»Ja, in vielen Fällen; aber man hat doch auch manche Beispiele von Genesung.«

Der junge Baron zog Bertha an sich.

»Sie wollen sich einer solchen Gefahr aussetzen?« fragte er.

»Allerdings.«

»Für einen Unbekannten – einen Fremden —«

»Wer für uns ein Fremder ist,« erwiderte Bertha sehr sanft, »ist für andere Menschen ein Vater, ein Bruder, ein Gatte. In dieser Welt ist kein Mensch dem andern fremd. Und steht der Kranke Ihnen nicht näher, als andere Seinesgleichen?«

»Er ist der Ehemann meiner Amme, —« sagte Michel verlegen.

»Sehen Sie wohl!« erwiderte Bertha.

»Ich erbat mich, mit Rosine in’s Schloß zu gehen; ich würde ihr Geld zu den Curkosten gegeben haben —«

»Und Du hast deine Zuflucht lieber zu uns genommen?« sagte Bertha, »das ist schön von Dir, Rosine.«

Der junge Baron war ganz beschämt. Er hatte viel von der christlichen Barmherzigkeit gehört, aber nie gesehen, und nun erschien sie ihm auf einmal in der Gestalt Bertha’s.

Er folgte den beiden Mädchen in tiefem Nachdenken.

»Wenn Sie mit uns kommen,« Herr Baron, sagte: Bertha, »so haben Sie die Güte dieses Arzneikästchen zu – tragen.«

»Der Herr Baron wird nicht mit uns kommen,« meinte Rosine, »er weiß, wie sehr seine Frau Mutter die bösartigen Fieber fürchtet.«

»Du irrst Dich, Rosine,« sagte Michel, »ich gehe mit.«

Er nahm dem Fräulein von Souday das Kästchen ab.

Eine Stunde nachher kamen alle Drei zu der von Rosinens Vater bewohnten Hütte.