Kitabı oku: «Elim», sayfa 5
VII
Die Werbung
Tröste Dich, Indien ist unser.
Chmeinitzki.
Was der Capitän Montane dem Fabrikherrn wohl unter vier Augen zu sagen hatte?
Die Geschichte schweigt über diesen Punkt, und bis auf weiteres sind wir gezwungen uns auf Vermuthungen zu beschränken.
Nach einer Viertelstunde wurde die bis dahin hermetisch verschlossene Thür des Speisezimmers heftig aufgerissen und der Capitän, kirschroth vor Zorn und seinen Schnurrbart drehend, kam heraus, während Mynheer van Naarvaessen mit dem höflichsten Ausdruck und vielen Verbeugungen zu ihm sagte:
»Lieber Herr von Montane, die Nase ist ein großes Hindernis. Saperlot! Eine Arschine finde ich in der Ordnung; zwei Arschinen lasse ich auch noch gelten, aber dritthalb Arschinen, das ist zu viel!«
Der Capitän ging durch den Salon, ohne Frau van Naarvaessen, die mit Quentin Piquet spielte, und Jane, die mit Elim plauderte, anzureden oder auch nur anzusehen.
Aber als er die Hausthür zornig hinter sich zugeschlagen hatte, sagte er zähneknirschend:
»Ha! Monsieur Navarson – ja, ja, Monsieur Navarson, das soll Ihnen theuer zu stehen kommen!«
Einige Augenblicke nachher hörte man die Hufschläge von zwei Pferden, und der Douanier sprengte im Galopp davon.
Jane und Elim, welche dieses hastige, ungestüme Fortgehen nicht begreifen konnten, standen auf und gingen zu Mynheer van Naarvaessen, der in seinem Schreibzimmer war.
Der Fabriksherr schien gegen seine Gewohnheit sehr aufgeregt; er ging rasch im Zimmer auf und ab. Es war leicht zu bemerken, daß etwas Anßerordentliches mit ihm vorgegangen war.
Aber als er sein holdes Töchterlein sah, erheiterte sich sein Gesicht. Er nahm Jane bei der Hand und küßte sie.
»Mein liebes Herzenskind,« sagte er, »nicht wahr, Du willst deinen Vater nicht verlassen?«
»Warum fragst Du mich darum?« erwiederte Jane schüchtern.
»Ach! es ist mir eine trübe Erinnerung durch den Kopf gefahren. Ich entsinne mich, daß ich im Frühjahr die eben flügge gewordenen jungen Schwalben aus dem Neste fliegen sah. Aber die armen Thierchen konnten noch nicht recht fliegen, sie wurden von Schuljungen gefangen. Arme Jane, die Mädchen befinden sich in derselben Lage wie die jungen Schwalben.«
»Ich weiß nicht was Du meinst, Vater; aber es ist mir nie in den Sinn gekommen Dich zu verlassen.«
Jane stockte, aber sie faßte Muth und setzte hinzu:
»Versprich mir, Väterchen, mir eine Bitte zu gewähren.«
»Ich merke schon, liebes Kind, wo Du hinaus willst,« erwiederte der Fabrikherr; »Du wünschest einen Schmuck, einen Ring, ein Halsband oder etwas dergleichen zu haben. Laß doch hören, Du weißt ja, daß ich Dir nichts verweigere.«
»O! ich habe schon so viel Schmuck, daß ich von solchen Kostbarkeiten nichts mehr zu wünschen habe; aber – Du wirst doch nicht böse werden, Väterchen?«
»Ich werde böse, wenn Du mir nicht augenblicklich sagst was Du wünschest. Willst Du einen Tanzmeister? Du sollst ihn haben. Monsieur Saint-Leger, ein Schüler des berühmten Vestris, würde die Gavatte aus einem Flaschenhalse tanzen.«
»Du scherzest immer, lieber Vater. Aber ich habe im Ernst mit Dir zu reden.«
»Du – im Ernst? Nicht möglich! Ich möchte doch wissen, was Du Ernsthaftes in deinem Köpfchen haben kannst.«
»Nicht im Kopfe, Vater – im Herzen.«
Mynheer van Naarvaessen sah seine Tochter erstaunt und forschend an.
»Ja, wir – ich – Elim,« stammelte sie.
»Ach! ja, Elim; armer Freund! Weißt Du wohl,« sagte er, sich an seinen Gast wendend, »daß wir bald scheiden müssen?«
»Eben deshalb bin ich Ihnen in Ihr Schreibzimmer gefolgt, mein verehrter Herr,« erwiederte der junge Seemann. »Ja, wir müssen entweder für immer oder für ganz kurze Zeit scheiden. Ich will mich kurz fassen, wir Beide sind ja keine Freunde von Umschweifen. Ich liebe Ihre Tochter. Jane liebt mich. Ihre Einwilligung wird uns glücklich machen. Sagen Sie Ja, ich verlasse Sie, und nach dem Kriege komme ich wieder und sage: Lieber Vater, geben Sie mir Ihre Tochter!«
»Jenny – Du willst Jenny zur Frau!« erwiederte Mynheer van Naarvaessen , drei Schritte zurücktretend. »Saperlot! Das ist klar und bündig, Elim. Aber das scheint ja eine wahre Epidemie zu sein, die wie ein Lauffeuer um sich greift. Alle Leute wollen heute heiraten – und zwar meine Jenny. Kaum habe ich den Prahler Montane abgewiesen, so kommt ein Anderer und singt das gleiche Lied.«
»Ich hoffe, Verehrtester,« sagte Elim lachend, »daß Sie mich mit dem Capitän Montane nicht ganz in eine Reihe stellen.«
»Gott soll mich bewahren! Saperlot – mein lieber Freund —«
»Mein ehrenwerther Freund, ich würde es nie gewagt haben, um die Hand Ihrer Tochter zu werben, wenn ich nicht ein gewisses Recht auf sie hätte: ihre Liebe und mein Wunsch, sie glücklich zu machen.«
»Lieber Vater, ich liebe Elim von ganzem Herzen,« sagte Jane und fiel dem alten Herrn um den Hals.
»Keine Dummheiten. Kind!« erwiederte aber Mynheer van Naarvaessen. »Zuerst sage mir, auf welcher Seite Du das Herz hast. Kinder, die mit der Puppe spielen, sagen oft: ich liebe, ohne zu wissen was sie sagen. Es wundert mich nur, woher Du den Muth bekommen hast, einem Fremden so etwas zu sagen, ohne mit deinen Eltern darüber zu reden. Du bist ja kaum sechzehn Jahre alt. Dich, Elim, will ich nicht tadeln, Du hast vollkommen Recht, ein hübsches Mädchen, das zugleich eine reiche Erbin ist, zu lieben.«
Elim machte eine Bewegung, welche andeutete, daß er etwa denselben Schmerz fühlte, als ob er verwundet worden wäre.
»Van Naarvaessen,« erwiederte er. »Sie können mir einen Theil Ihres Wohlwollens entziehen; aber Sie haben nicht das Recht mir einen Theil Ihrer Achtung zu verweigern. Ich habe in Rußland ein recht schönes Vermögen, ich erfreue mich eines guten Rufes, und ich habe nie etwas gesagt oder gethan was Sie berechtigen könnte mich für einen Speculanten zu halten. Ich brauche Ihr Vermögen nicht; ich bin reich genug, eine Familie standesmäßig zu ernähren. Geben Sie mir Ihre Tochter wie sie da steht; ich verlange nur Jane’s Liebe, die ich schon besitze; werden Sie uns Ihre Einwilligung versagen?«
»Wohl gesprochen und edel gedacht, junger Mann! Ich kenne Dich erst seit drei Wochen; ich will Dich nicht durch Zweifel beleidigen, ich glaube deinen Worten – aber bedenke, daß es sehr gewagt ist, die Hand zu bewilligen, wenn der Kopf in so großer Gefahr schwebt. Montane hat Verdacht. Es ist deine Schuld, Du konntest Dich nicht mäßigen. Er wird uns seiner Regierung anzeigen, bei der ich ohnedies schlecht angeschrieben bin. Ich selbst beabsichtige Holland baldigst zu verlassen, denn Gott weiß, wann der Krieg beendet sein wird. Und wenn er auch bald beendet wird, so fragt es sich, wann Du zurückkommen kannst. Endlich mußt Du bedenken, wie schwer es einem Vater und einer Mutter wird, sich von ihrem Kinde zu trennen.«
»Ich werde Sie alljährlich besuchen, darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Noch mehr, ich stehe ganz allein, ich bin unabhängig, ich kann bei Ihnen wohnen, wenn Sie es wünschen.«
»Nein, lieber Elim,« erwiederte der alte Herr kopfschüttelnd, »das Weib muß Alles verlassen und ihrem Manne folgen, so steht’s in der Bibel. Aber die Bibel sagt nicht, daß der Mann um der Frau willen sein Vaterland verlassen soll. Ich gestehe, daß Du mir sehr wohl gefällst, Elim, und wenn Du ein Holländer wärest, so würde ich Dich ohne Bedenken meinen Sohn nennen, und hättest Du keinen Dukaten in deiner Börse. Aber meine Tochter so weit fortreisen zu lassen! Sie ist noch so jung, Du bist leichtsinnig, flatterhaft – wer weiß, ob Ihr in einem halben Jahre noch an einander denket!«
»Hätten wir uns in dieser Welt nicht kennen gelernt,« entgegnete Elim mit Begeisterung, »wäre mir Jenny zum ersten Male in der andern Welt begegnet, so würde ich sagen: Dies ist das Weib meines Herzens!«
»Lieber Vater,« setzte Jane hinzu, »ich erkläre, daß ich nie eines Andern Frau werde.«
»Die Sache muß reiflich erwogen werden,« sagte Mynheer van Naarvaessen; »aus euren Worten, Kinder, spricht die Glut der Leidenschaft, die aber bald verschwindet. Ich will wohl glauben, daß eure Liebe ewig ist und daß sie weder durch die Zeit noch durch Gefahren wankend gemacht werden kann. Wir müssen scheiden, Elim. Höre mich an. Wenn Du mit den gleichen Absichten wiederkommst und Jenny in der gleichen Stimmung findest, so möge Euch Gott seinen Segen geben, ich will dem Glück meines Kindes nicht im Wege stehen. Inzwischen werdet Ihr Euch besser kennen lernen; Jenny wird heranwachsen und sich auch geistig entwickeln.«
»Können wir auf Ihr Wort zählen, Vater? Dürfen wir die Ringe wechseln?«
»Auf mein Wort kannst Du Häuser bauen,« erwiederte der Fabrikherr; »das Wechseln der Ringe hingegen finde ich sehr überflüssig. Du bist Soldat, Seemann; Du kannst im Kampfe fallen, in einem Sturm umkommen, und dann würde Jenny Witwe werden, ohne Gattin gewesen zu sein.«
»Mein werther Freund,« sagte Elim, »ich will weder einen Brauch nachahmen, noch eine Verpflichtung darauf gründen, ich betrachte es als einen Trost des Herzens. Geben Sie mir das Recht, mich als Mitglied Ihrer Familie zu betrachten; geben Sie mir das Recht, Jenny meine Braut zu nennen, Sie als Vater zu betrachten!«
Elim beugte das Knie vor dem alten Herrn.
»Sei gütig, Vater,« bat auch Jenny; »mache deine Kinder glücklich!«
»Saperlot! seid Ihr bald fertig?« sagte van Naarvaessen, indem er sich abwandte und seine thränenfeuchten Augen trocknete. »Steht auf, Kinder – tröstet Euch – küßt Euch – aber dringet nicht länger in mich, ich müßte sonst rundweg nein sagen. Mir liegt es ja ob, vernünftig , zu sein, da Ihr es nicht seid. Morgen müßt Ihr scheiden, aber beim Abschiede werdet Ihr bedenken, daß die Zukunft von Euch abhängt. – Jetzt laßt mich in Ruhe und gönnet mir Zeit, meine Gedanken zu sammeln.«
Elim glaubte zu bemerken, daß diese Einwilligung einer Weigerung sehr ähnlich war; aber was konnte er thun? Er küßte dem alten Herrn die Hand. Jenny küßte ihren Vater halb schmeichelnd, halb schmollend, und Beide entfernten sich traurig.
Unterdessen ritt der Capitän Montane zur Stadt zurück und verwünschte Alles, was er um sich sah. Er war ein sehr mittelmäßiger Reiter und wurde hoch im Sattel emporgeschleudert: eine Bewegung, welche seine üble Laune nicht wenig vermehrte. Sein Begleiter , ein Marinesoldat, ebenfalls ein geborner Gascogner, folgte ihm auf einem magern Klepper, aus einer kurzen Pfeife rauchend und über die schlechten Pferde schimpfend.
»Ein nichtswürdiges Land, Cabaret!« schimpfte der Capitän. So hieß der Marinesoldat, und den Namen »Cabaret« hatte er vermuthlich wegen seiner Vorliebe für die Wirthshäuser erhalten. »Pferde und Menschen, Wasser und Erde, Luft und Himmel, Alles ist schlecht in diesem Rebellande. Es bedürfte nur eines Winkes mit meinem Finger, um die Deiche zu durchbrechen und alle Holländer zu ersäufen.«
»Cap de Dious!« antwortete Cabaret, »ich bin ganz Ihrer Meinung, Herr Capitän.«
Und da der Capitän wieder zehn Zoll aus dem Sattel emporgeschleudert wurde, schimpfte Cabaret, der kein besserer Reiter war als sein Vorgesetzter, pflichtschuldigst auf die schlechten Pferde.
Der Capitän ergoß seinen Zorn mehr über die Menschen als über die Pferde, obgleich er von einem der letzteren für den Augenblick viel zu leiden hatte.
»Ich will Dir meine wahre, aufrichtige Meinung sagen,« fuhr er fort. »Was sind die Holländer? Knickerige Krämer. Die Weiber sind Köchinnen, die Mädchen Milchgesichter. Keine Bildung, keine Lebensart. Ein Stück Limburger Käse ist ihnen lieber als die Liebe eines gebildeten Franzosen.«
»Vollkommen einverstanden, Herr Capitän – die verdammten Pferde!«
»Ich würde auch lieber des Teufels Witwe – wenn etwa der Teufel stirbt – in mein Schloß heimführen, als das alberne Mädchen zu meiner Frau machen. Der alte Gimpel ging wirklich in die Falle; er glaubte, es sei mir Ernst mit der Werbung um seine Tochter, und merkte nicht, daß ich ihn nur zum Besten halte.«
»Ich gestehe aufrichtig, Herr Capitän,« versetzte Cabaret, »daß mir die Sache sehr sonderbar vorkam. Als ich vor der Thür wartete, zerbrach ich mir den Kopf und dachte bei mir: Cap de Dious! was fällt dem Capitän ein, eine solche Tulpe heiraten zu wollen!«
»Und was glaubst Du, wie der alte Schurke meinen Antrag aufnahm ?« fragte der Capitän.
»Er wird Ihnen gewiß mit offenen Armen und offener Tasche um den Hals gefallen sein.«
»Ha! ha! Ha!« lachte der Capitän mit schlecht verhehltem Grimm. »Du irrst Dich, Cabaret, er hat mir einen Korb gegeben.«
»Einen Korb!l – Cap de Dious, Sie scherzen, Capitän.«
»Nein, es ist die reine Wahrheit, ich scherze nicht. Er hält sich für einen vornehmen Herrn, weil er auf Sammteppichen geht und bronzene Armleuchter auf seinem Tische hat. Aber wenn er mit seinem Tuch ganz Europa überziehen und mit seinem Golde den ganzen Zuydersee bedecken könnte, so möchte ich doch die Zierpuppe nicht. Man kann ihn zu Grunde richten,« setzte er, die Stirn in düstere Falten ziehend, hinzu, »und wenn er auch Alles hätte, was ich sagte.«
»Vollkommen einverstanden, Herr Capitän. Aber es ist nicht leicht, dem verwünschten Orangisten beizukommen.«
»O, dafür laß nur mich sorgen, Cabaret. Erstens liest er englische Zeitungen —«
»Zweitens ist er ein Jude —«
»Drittens ist er – ist er —« Der Capitän besann sich was Mynheer August van Naarvaessen drittens sein könne.
Aber obgleich er nichts fand, antwortete Cabaret pflichtschuldigst:
»Vollkommen einverstanden, Herr Capitän. – Und viertens,« setzte Cabaret hinzu, »könnte man sagen, daß er Leute im Hause hat, die —«
»Was für Leute?« fragte der Capitän Montane, als der Marinesoldat zögerte.
»Leute, die mir verdächtig sind,« ergänzte Cabaret.
»Wen meinst Du damit?« fragte Montane, dessen Augen vor Freude leuchteten bei dem Gedanken, daß er etwas erfahren werde, was den Tuchfabrikanten compromittiren könne. »Sprich, wer ist Dir verdächtig?«
»Vollkommen einverstanden Herr Capitän. – Vor beiläufig drei Wochen war ich mit einigen Cameraden auf Streifwacht – die verdammten Pferde!«
»Ich weiß, was Du auf Streifwacht sein nennst. Nimm Dich in Acht, Cabaret, der Kaiser kann die Plünderer nicht leiden.«
»Nun, Jeder nimmt was er kann; der Eine nimmt eine Stadt, der Andere plündert einen Koffer aus.«
»Und Du plünderst den Koffer aus, nicht wahr, Du Schlingel? Nimm Dich in Acht! sage ich Dir. Wer Städte nimmt, findet darin zuweilen eine Krone; wer aber Koffer stiehlt, findet manchmal nur einen Strick darin – doch das ist deine Sache und nicht die meinige. Jetzt sage, was für Leute meinst Du?«
»Ich war also auf Streifwacht. Da sah ich, daß sechs Männer in die Mühle des Fabrikanten gingen. Und was für Männer? wahre Banditen. Cap de Dious, ich hätte ihnen nicht auf einsamen Waldwegen begegnen mögen. – Die verdammten Pferde!«
»Und wie hast Du das gesehen?«
»Ich schaute durchs Fenster. Ich bin einmal ein neugieriger Mensch, das ist meine schwache Seite.«
»Hast Du es im Traume oder in der Wirklichkeit gesehen?«
»In der Wirklichkeit, in der allerwirklichsten Wirklichkeit, mit meinen eigenen Augen. Die Kerle waren bis an die Zähne bewaffnet – und Bärte hatten sie, daß unsere Sapeurs der alten Garde wahre Gelbschnäbel gegen sie sind. Und was für eine Sprache sie sprachen! Die Ohren klingen mir noch davon.«
»Es waren vermuthlich englische Ausreißer.«
»Die Engländer tragen keine Bärte, Capitän.«
»Das ist wahr.«
»Plötzlich bemerkte mich der Räuberhauptmann, und ohne mich anzurufen feuerte er auf mich mit einer Pistole, die so lang war wie eine Entenflinte und so weit wie eine Wallbüchse.«
»Und was thatest Du, Cabaret?«
»Cap de Dious! ich lief davon. Was hätte ich sonst auch thun sollen?«
»Und was weiter?«
»Jetzt merken Sie wohl auf, Herr Capitän; denn jetzt kommt das Beste.«
»Ich höre.«
»Während Sie heute im Speisezimmer beim Frühstück saßen, saß ich in der Küche beim Feuer, denn in diesem verwünschten Klima wird man bei lebendigem Leibe gebraten, ohne sich zu erwärmen. Da kommt der Neffe des Tuchfabrikanten in die Küche, um seine Cigarre anzuzünden. Ich schaue auf und erkenne – rathen Sie, wen, Capitän?«
»Den Neffen des Tuchfabrikanten.«
»Nein, den Räuberhauptmann.«
»Bist Du toll, Cabaret?«
»Der Teufel möge mir mit seinem Schwanz die Kehle zuschnüren, wenns nicht wahr ist.«
»Ach! lieber Cabaret, wenn Du deiner Sache ganz gewiß wärest —«
»Es ist so gewiß wahr, wie ich auf dieser Schindmähre sitze,« betheuerte der Marinesoldat. »Ueber die fünf Anderen habe ich Erkundigungen eingezogen,« fuhr Cabaret leise und geheimnißvoll fort, »sie sind in der Fabrik versteckt. Der Alte gibt sie für Mechaniker aus. Cap de Dious! Falschmünzer sinds und deshalb ist der alte Schurke so reich.«
»Ich bin doch wirklich ein Mann von großem Scharfblick Cabaret.«
»Vollkommen einverstanden, Herr Capitän; aber in wie fern?«
»Ich habe auf den ersten Blick gesehen, daß der junge Mensch ein Feind Frankreichs ist,« erwiederte Montane. »Bist Du auch deiner Sache gewiß, Cabaret?«
»Moralisch gewiß, Capitän.«
»Moralisch oder unmoralisch, das ist mir gleich, wenn Du die Wahrheit sprichst.«
»Es ist die reine Wahrheit.«
»Nun gut, morgen zeige ich den alten Spitzbuben bei der Polizei an. – Ei! Ein Hochverrath ist keine Kleinigkeit, Monsieur Navarson, – fürwahr, keine Kleinigkeit!«
Als die beiden Zollwächter die Stadt erreichten, winkte der Capitän Montane seinem Untergebenen Stillschweigen zu. Der Gascogner gehorchte; nur von Zeit zu Zeit brach er das Schweigen durch den unwilligen Ausruf : »Die verdammten Pferde!«
VIII
Der Verrat
So geht es in der Welt. Warum?
Das wird Dir Satan sagen; mich frag‘ nicht.
Am folgenden Tage gab der Oberst van Wisinen, Commandant von Vliessingen, Befehl zur Verhaftung des Tuchfabrikanten van Naarvaessen, und ein Offizier wurde mit zwölf Soldaten nach dem Landhause des Letztern beordert, um die Verhaftung vorzunehmen.
Der Zufall, der so viel Gutes und so viel Schlimmes zur Welt bringt, führte wunderbarer Weise den langen spindeldürren Quentin, der am Canal ging, mit dem Capitän Montane zusammen.
Ein Mann in Seemannstracht mit Fischergeräthen folgte dem Buchhalter.
Montane stand still.
Die Nase eines Zollwächters, zumal wenn sie so bedeutend entwickelt ist, wie die Nase Montane’s, ist das feinste, scharfsinnigste Werkzeug von der Welt. In alten Zeiten, wo die Civilisation noch in der Kindheit war, bediente man sich der Wünschelruthe, um Schätze zu entdecken; in unseren Tagen ist die Nase des Zollwächters an die Stelle dieses geheimnißvollen Jacobstabes getreten. Ein Douanier wittert seine Beute noch besser als der Rabe das Aas, und die Contrebande entgeht ihm nicht, wenn sie auch in dem Magen eines Gargantua steckte.
»Das ist verdächtig,« sagte der Capitän Montane. »Quentin außer dem Hause – der Fischer, der ihn begleitet, ist ein gewandter Bursch. Schon zweimal sehe ich ihn armlange Fische fangen. Für einen Fischer ist die Nase zu groß – und in seinem Schnupftuche hat er ein Packet. Was in aller Welt mag das Packet enthalten?«
Der Capitän ging rasch weiter und zog Quentin am Mantel.
Quentin hatte anfangs gethan, als ob er den Capitän nicht sehe; aber dieser zog so stark, daß er gezwungen war sich umzusehen.
»Ah! Sie sind es, Herr Montane,« sagte er lächelnd. »Es freut mich Sie zu sehen.«
»Mich auch, Monsieur Quentin.«
Der Cassier wollte weiter gehen, aber Montane war damit nicht einverstanden.
»Wohin so eilig?« fragte er.
»Immer gerade aus, wie Sie sehen,« antwortete Quentin.
»Sie haben also wenig Zeit?«
»Gar keine Zeit.«
»Aber Sie werden doch einen kleinen Imbiß mit mir nehmen?«
»Ich habe schon gefrühstückt, Herr Montane.«
»Dann trinken Sie wenigstens ein Glas Porter mit mir. Wir haben zwanzig Schritte von hier ein Gasthaus, wo vortrefflicher Porter zu haben ist.«
Jeder Mensch hat seine schwache Seite. Quentin trank gern Porter. Abgesehen von dieser Schwache war er ein exemplarischer Mensch.
»Wie, vortrefflicher Porter!« wiederholte er.
»Ja, ich hab’s gesagt, und bleibe dabei,« betheuerte der Capitän. »Ein Douanier nimmt Alles, was zwischen seine Zähne kommen soll, erst genau zwischen seinen Fingern in Augenschein.«
Quentin war schon im Begriffe, den Capitän in’s Wirthshaus zu begleiten, als ihm der von seinem Principale erhaltene Auftrag einfiel.
»Nein,« sagte er, »ich danke Ihnen Capitän. Ich habe keinen Augenblick Zeit, ich muß auf Ihre angenehme Gesellschaft verzichten.«
»Mit einer trockenen Feder kann man nicht schreiben, Herr Secretär,« entgegnete aber der Capitän. »Sie sagen, daß Sie Eile haben; aber um die Füße flink zu machen, muß man dem Magen ein gewisses Gewicht geben.«
»Ich sehe ein, daß Sie Recht haben, Capitän,« antwortete Quentin; »aber ich muß doch auf das Vergnügen Ihrer Gesellschaft verzichten.«
»Thut mir sehr leid, Monsieur Quentin. Ich wollte von Geschäftssachen mit Ihnen reden; ich gehe heute nach Flangour.«
»Die Mühe können Sie sich ersparen, Capitän. Es ist heute der Erste des Monats, und mein Principal wird den ganzen Tag in der Mühle sein.«
»So, in der Mühle!« dachte Montane. »Mich dünkt, das Goldfaß rollt von selbst in deinen Keller. – Monsieur Quentin,« sagte er dann laut zu dem Cassier, »Sie können gehen, wohin Sie wollen, auch ohne eine Flasche Bier zu bezahlen; ich habe jetzt von Ihnen erfahren, was ich wissen wollte.«
Er ließ den Mantel Quentins los und entfernte sich von ihm.
»Cabaret,« sagte er zu seinem würdigen Gefährten, auf Quentin zeigend, »folge dem spindeldürren Menschen dort, und gib vier oder fünf Soldaten einen Wink, sich Dir anzuschließen und ihn ebenfalls zu beobachten. Wenn er oder sein Begleiter Miene macht, ein Boot in’s Meer zu setzen, arretirt die Beiden und führt sie zu mir. Wenn Du andere Soldaten begegnest, so schicke sie zur Mühle, um ihren Cameraden nöthigenfalls beizustehen.«
»Soll geschehen, Herr Capitän,« antwortete Cabaret. »Es ist nur schade, daß nichts dabei zu verdienen ist.«
»Wer sagt Dir denn, daß nichts dabei zu verdienen sei ?«
»Ja, für die Herren Offiziere fällt immer etwas ab; das macht mir keine Sorgen.«
»Sei nur ruhig, es soll für Alle etwas abfallen,« erwiederte der Capitän, sich die Hände reibend.
Gegen Abend kam van Naarvaessen mit Elim und seiner Tochter in der Mühle an, wo sie von den Matrosen schon seit zwei Tagen erwartet wurden. Als die Nacht anbrach, waren alle Vorkehrungen zur Abreise getroffen.
Van Naarvaessen sah nach der Uhr. Es war fünf. Elim stand seufzend auf und Jane sank weinend in die Arme ihres Geliebten.
»Lebe wohl, Elim – lebe wohl für immer! Denn ich habe eine Ahnung, daß wir uns nie wieder sehen werden.«
Elim küßte ihr die Hände.
»Theuerste Jane,« sagte er, die lieben Hände mit seinen Thränen benetzend, »Gott möge mich in seinem Zorne vernichten, wenn ich nicht in Kurzem auf die eine oder die andere Art wieder hierher komme.«
»Saperlot!« sagte van Naarvaessen, indem er Elim noch einmal umarmte; »jetzt weg mit allen Klagen und Thränen! der neue Frühling wird neue Blumen bringen. Es ist wirklich merkwürdig,« setzte er mit sich selbst redend hinzu, als er zu Pferde stieg, »voriges Jahr noch konnte Jane einen Hahn von einer Henne nicht unterscheiden – und jetzt! Saperlot!«
Das Uebrige setzte er in Gedanken hinzu; da er mit sich selbst sprach, so war‘s hinreichend, daß er allein sich verstand.
Es führten zwei Wege zum Meere; der geradeste- war derselbe, den die Schiffbrüchigen genommen hatten; der andere führte in einem stumpfen Winkel nach Dendermonde. Diesen letzten Weg wählten unsere Reisenden.
Elim war in Gedanken versunken. Van Naarvaessen, der anfangs vergebens versuchte ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, sprach mit dem Führer, der eine Laterne trug.
Die fünf Matrosen folgten und sprachen leise mit einander.
»Was sollen wir zu unseren Cameraden sagen, wenn wir wieder an Bord kommen?« sagte einer von ihnen.
»Daß wir aus dem Reiche der Frösche kommen,« antwortete ein Anderer; »denn hier leben die Menschen so wie bei uns die Frösche.«
»Es ist nicht schön, das Glas zu zerbrechen, wenn man getrunken hat,« sagte ein Dritter. »Was hat Dir denn hier gefehlt? Hat’s nicht Wodka und Schinken in Hülle und Fülle gegeben? Kaum war ein Bissen verschluckt, so strecktest Du die Hand nach einem andern aus, und das erste Glas war noch nicht geleert, so war das zweite schon eingeschenkt.«
»Das ist wahr,« erwiederte der Erste , »und es wäre eine Sünde und Schande, unzufrieden zu sein. Wir sind nach Wunsch bedient worden; das Brot war so weiß wie Zucker, der Käse so groß wie Quadersteine und jeden Morgen Kaffeh zum Frühstück.«
»O! ich danke ihnen nicht sehr dafür,« setzte der Zweite hinzu; »wenn ich Schwarzbrot verlangte, so antworteten sie immer: »Nix gut!« und den Kaffeh ließen sie durch einen Strumpf laufen, gaben uns das Klare und behielten das Beste für sich. Den Käse kann ich auch nicht rühmen, er war ganz durchlöchert.«
»Jedes Land hat seine Gebräuche,« sagte der weise Jurko; »es ist nicht leicht, in fremdem Fahrwasser zu segeln. Ich für meine Person beneide den braven Mann, der da vor uns reitet, nicht um seine Speisen, unsere Schiffskost ist mir lieber.«
»Das meine ich auch,« setzte der Zweite hinzu ; »es ist recht gut, bei Jemand zu Gaste zu sein, aber im Grunde befindet man sich doch zu Hause besser.«
»Wenn nur Gott gibt, daß wir unsere Cameraden wieder sehen ,« sagten die Matrosen und gingen rasch fort.
Der Himmel schien diesen Wunsch anfangs zu erhören. Sie erreichten ohne Hinderniß den zum Einschiffen bestimmten Ort. Die Nacht war finster, aber windstill, die Küste schien ganz verödet.
Der Führer klatschte in die Hände.
»Hier sollte er uns erwarten,« sagte er.
»Saperlot!« sagte van Naarvaessen ungeduldig.
»Weißt Du gewiß, daß es der rechte Ort ist?« fragte Elim.
»Ganz gewiß,« antwortete der Führer.
Man ging einige Schritte an der Küste hin, aber man fand weder Fischer noch Boot.
Van Naarvaessen verlor die Geduld ; ein Wortbruch war für ihn schlimmer als ein Diebstahl.
»Saperlot!« sagte er aufgebracht, »ich werde die Schufte prügeln. Es ist eine Schande, das Geld zu nehmen und nicht pünktlich zu sein. Ich will ihnen die Hölle so heiß machen, daß meine Ducaten in ihren Taschen schmelzen sollen. Die verwünschten Trunkenbolde! ich wette, daß sie in der Schenke sitzen.«
Aber aller Aerger nutzte nichts. Die Lage Elims und seiner Matrosen wurde mit jedem Augenblicke mißlicher.
Der Fabrikherr schickte den Führer auf Elims Pferde in das zur Linken liegende Dorf, um Kundschaft einzuziehen, während er selbst sich zu der Hütte des Fischers begab.
Unterdessen blieb Elim mit seinen Matrosen zurück. Er glaubte auch nicht müßig bleiben zu dürfen. Er ging an der Küste fort, in der Erwartung, das Boot, welches sie aufnehmen sollte, irgendwo aufzufinden, oder vielleicht ein anderes zu miethen.
Als er sich der Stelle näherte, wo ihn der Sturm an’s Land geworfen hatte, bemerkte er einen weißen Gegenstand.
Er klopfte Jurko, der ihm folgte, auf die Schulter und zeigte mit der Hand auf den Gegenstand, der seine Aufmerksamkeit erregte.
»Siehst Du?« fragte er.
»Wenn ich nicht gewiß wüßte, daß unser Boot braun ist, Herr Lieutenant, so würde ich sagen, es sei aus dem Meere hervorgekrochen, wie ein Seekalb, und liege auf dem Strande. Aber es ist ein anderes.«
»Still, Kinder!« mahnte Elim, »auch dünkt, ich sehe Leute dort liegen.«
»Sie liegen nicht nur, sondern schlafen,« setzte einer der Matrosen hinzu; »ich höre sie schnarchen.«
»Und keine Schildwachen!« sagte Elim erfreut.
»Keine Schildwachen,« antworteten die Matrosen.
»Wenn das ist,« sagte Elim leise, »so wollen wir sie umzingeln und gefangen nehmen. Aber wir wollen nur im äußersten Nothfalle Blut vergießen.«
Die Matrosen trennten sich, umringten die kleine Barke und fielen über die Schläfer her. Sie wurden gebunden und geknebelt, ehe sie erwachten.
Man nahm einem von ihnen, der den Befehl zu führen schien, das Tuch vom Munde weg.
»Wer seid Ihr?« fragte Elim in deutscher Sprache.
»Wir sind holländische Zollwächter,« antwortete der Gefangene.
»Wer ist der Capitän?«
»Herr Montane.«
»Ein alter Bekannter Was machet Ihr hier?«
»Ich weiß es nicht; Vier von uns haben auf Befehl des Capitäns einen Streifzug in’s Land gemacht, und wir sind zur Bewachung des Bootes zurückgeblieben.«
»Ich danke Euch, daß Ihr es für uns in Bereitschaft gehalten habt,« sagte Elim.
»Herr Lieutenant,« sagte Jurko, »das Boot ist im Wasser und erwartet nur Sie.«
»Trage diesen Mann und die Waffen in’s Boot,« sagte Elim; »die Anderen können bleiben wo sie sind. Wenn der Capitän Montane kommt, so sind wir wahrscheinlich schon weit entfernt. – Es ist also Alles bereit, Jurko?«
»Ja, Herr Lieutenant.«
»Dann verrichtet euer Gebet und ergreifet die Ruder.«
Das Gebet war beendet, die Ruder waren aufgehoben , als Elim in der Ferne einen leisen Ruf zu hören glaubte.
»Stoi!« sagte er zu Jurko, indem er die Hand auf die Schulter des Matrosen legte.