Kitabı oku: «Ingénue»
Erstes bis Fünftes Bändchen
I
Das Palais-Royal
Will uns der Leser mit jenem Vertrauen folgen, das wir ihm seit den zwanzig Jahren, die wir ihm als Führer durch die tausend Krümmungen des Labyrinths dienen, welches wir, ein moderner Dädalos, zu erbauen unternommen, eingeflößt zu haben uns schmeicheln, so werden wir ihn in den Garten des Palais-Royal am Morgen des 24. Aug. 1788 einführen.
Ehe wir uns aber unter den Schatten der wenigen Bäume wagen, welche die Art der Speculation verschont hat, sagen wir ein Wort vom Palais-Royal.
Das Palais-Royal, – das zu der Zeit, wo wir den Vorhang von unserem ersten revolutionären Drama aufziehen, eben durch seinen neuen Eigenthümer, den Herzog von Chartres, der seit dem 18. October 1785 Herzog von Orleans geworden ist, einer bedeutenden Umwandlung unterworfen wird, – verdient in der That durch die Wichtigkeit der Scenen, welche in seinem Umkreise vorgehen sollen, daß wir die verschiedenen Phasen, die es durchlaufen hat, erzählen.
Im Jahre 1629 fing Jacques Lemercier, Architekt Seiner Eminenz des Cardinal-Herzogs von Richelieu, an auf der Stelle der Hotels Armagnac und Rambouillet das Gebäude zu errichten, das Anfangs bescheiden den Titel Hotel Richelieu annahm; sodann, da diese Macht, die sich von Tag zu Tag vergrößerte, eine ihrer würdige Wohnung bedurfte, sah man allmälig vor diesem Manne, dessen Geschick es war, alle Wände zu durchbrechen, die alte Ringmauer von Karl V. einstürzen; niederstürzend, füllte die Mauer den Graben, und die Schmeichelei konnte ebenen Fußes in das Palais-Cardinal eintreten.
Darf man den herzoglichen Archiven glauben, so hatte das Terrain allein, auf welchem sich das Meisterwerk von Jacques Lemercier erhob, beim Ankaufe achtmalhundertsechzehntausend sechshundert und achtzehn Livres gekostet, eine ungeheure Summe für jene Zeit, die jedoch sehr gering im Vergleiche mit der war, welche man für das Gebäude selbst ausgegeben; diese verheimlichte man sorgfältig, wie später Ludwig XIV. sorgfältig verheimlichte, was ihn Versailles gekostet hatte; wie dem sein mag, diese Summe trat durch eine solche Pracht an den Tag, daß der Verfasser des Cid.1 der in einer Dachkammer wohnte, vor dem Palaste des Verfassers von Mirame ausrief:
Non, l'univers entier ne peut rien voir d'égal
Aux superbes dehors du Palais-Cardinal;
Toute une ville entiére, avec pompe bâte,
Semdle d'un vieux fossé par miracle sortie,
Et nous fait présumer, à, ses superbes toits,
Que tous ses habitans sont des dieux ou des rois.2
Dieser Palast war in der That so prachtvoll mit seinem Schauspielsaale, der dreitausend Zuschauer fassen konnte; mit seinem Salon, wo man Stücke spielte, die man gewöhnlich auf dem Theater der Marais-du-Temple gab; mit seinem in Mosaik auf Goldgrund von Philipp von Champagne decorirten Gewölbe; mit seinem Museum großer Männer gemalt von Vouet, Juste d'Egmont und Paerson, ein Museum, in welchem, der Zukunft vertrauend, der Cardinal zum Voraus seinen Platz bezeichnet hatte; mit seinen antiken Statuen, welche von Rom und Florenz gekommen; mit seinen lateinischen Distichen von Bourdon componirt; mit seinen Devisen von Guise, dem königlichen Dolmetscher, ersonnen, – daß der Cardinal-Herzog, der doch bekanntlich nicht leicht erschrak, vor dieser Herrlichkeit erschrak und, um sicher zu sein, seinen Palast bis zu seinem Tode bewohnen zu können, denselben zu seinen Lebzeiten König Ludwig XII. schenkte.
Eine Folge hiervon war, daß am 4. December 1649, an welchem Tage der Cardinal-Herzog verschied, Gott bittend, er möge ihn bestrafen, wenn er im Laufe seines Lebens Etwas gethan habe, was nicht für das Beste des Staates gewesen sei, dieser Palast, in welchem er gestorben, den Namen Palais-Royal annahm, ein Name, den ihm die Revolutionen von 1793 und 1848 entrissen, um ihm die Namen Palais-Egalite und Palais-National zu geben.
Da wir aber zu denjenigen gehören, welche, trotz der Decrete, den Menschen ihre Titel erhalten und, trotz der Revolutionen, den Monumenten ihre Namen bewahren, so wird, wenn unsere Leser es gütigst erlauben wollen, das Palais-Royal fortwährend für sie und für uns das Palais-Royal heißen.
Ludwig XIII. erbte also das glänzende Gebäude. Ludwig XIII. war aber nur ein einen Leichnam überlebender Schatten, und wie es der Geist in Hamlet seinem Sohne macht, so winkte der Geist des Cardinals Ludwig XIII, ihm zu folgen, und Ludwig XIII., mit welchem Widerstande er sich auch bleich und zitternd an das Leben anklammerte, folgte ihm fortgezogen durch die unwiderstehliche Hand des Todes.
Dann war es der junge König Ludwig XIII. der diesen schönen Palast erbte, aus welchem ihn eines Morgens die Herren Frondeurs verjagten, weshalb er einen solchen Haß gegen denselben faßte, daß er, als er am 21. October 1652 von Saint-Germain nach Paris zurückkam, nicht mehr im Palais-Royal, sondern im Louvre abstieg, so daß dieses Gebäude, welches den großen Corneille so sehr in Verwunderung setzte, der Aufenthaltsort von Frau Henriette wurde, die das Schaffot von Whitehall zur Witwe gemacht hatte, und der Frankreich die Gastfreundschaft gab, welche England zwei Jahrhunderte später Karl X. geben sollte, die Gastfreundschaft, die zwischen Stuart und Bourbon geübt wird.
Im Jahre 1692 bildete das Palais-Royal die Mitgift von Francoise Marie von Blois, dieser matten, schläfrigen Tochter von Ludwig XIV. und Frau von Mortespan, von der uns die Prinzessin von der Pfalz, die Frau von Monsieur, ein so interessantes Portrait hinterlassen hat.
Es war der Herzog von Chartres, später Regent von Frankreich, welcher, die Backe noch geröthet von der Ohrfeige, die ihm seine Mutter gegeben, als sie seine zukünftige Verbindung mit der königlichen Bastardtochter erfahren hatte, unter dem Titel einer Apanage-Erhöhung, das Palais-Royal dem Hause Orleans als Eigenthum brachte.
Diese Monsieur und seinen von ihm aus gesetzlicher Ehe abstammenden männlichen Kindern gemachte Schenkung wurde beim Parlament am 13. März 1693 einregistrirt.
Während der zwischen der Flucht des Königs und der Schenkung des Palais-Royal an Monsieur abgelaufenen Periode waren große Veränderungen im Schlosse vorgegangen. Anna von Oesterreich hatte zur Zeit ihrer Regentschaft einen Badesaal, ein Betzimmer, eine Gallerie und über Allem dem den berufenen geheimen Gang beigefügt, von dem die Prinzessin von der Pfalz spricht, und durch welchen sich die Königin Regentin zu Herrn von Mazarin begab, und Herr von Mazarin zu ihr: »denn,« setzt die indiskrete Deutsche hinzu, »es ist heute weltbekannt, daß Herr von Mazarin, der kein Priester war, die Witwe von Ludwig XIII. geheirathet hatte.«
Diese Thatsache war noch nicht, wie die Prinzessin von der Pfalz sagte, weltbekannt, doch durch sie sollte sie sich sonderlich im Volke verbreiten.
Seltsame Laune eines Weibes und einer Königin, die einem Buckingham widersteht und einem Mazarin nachgibt!
Die von Anna von Oesterreich beigefügten Constructionen verunstalteten indessen durchaus nicht die glänzende Schöpfung des Cardinal-Herzogs.
Der Badesaal war mit Blumen und Chiffres gezeichnet auf Goldgrund verziert; die Blumen waren von Louis und die Landschaften von Belin.
Das Betzimmer war mit Gemälden geschmückt, in welchen Philipp von Champagne, Vouet, Bourdon, Stella, Lahire, Dorigny und Paerson das Leben und die Attribute der Jungfrau dargestellt hatten.
Die Gallerie endlich, die man am abgelegensten Orte des Schlosses angebracht hatte, zeichnete sich zugleich durch ihren Plafond, der von Vouet, und durch ihren Boden in eingelegter Arbeit, der von Macé war, aus.
In dieser Gallerie hatte die Königin Regentin 1650 durch Guitaut, ihren Kapitän der Garden, die Herren von Condé, von Conti und von Longueville verhaften lassen.
Der Garten enthielt damals ein Mail, eine Reitschule und zwei Bassins, von denen man das größere das Rond-d'Eau nannte: er war mit einem Wäldchen bepflanzt, das buschig und einsam genug, daß König Ludwig XIII» der Letzte der französischen Falkner, darin Elsternjagd halten konnte.
Ueberdies hatte man dem Palais einen zur Wohnung des Herzogs von Anjou bestimmten Bau beigefügt und, um denselben zu errichten, den linken Flügel des Palastes eingerissen, der von Philipp von Champagne dem Ruhme des Cardinals geweiht worden war.
Monsieur starb an einem Schlaganfalle am 1. Juni 1701.
Es war dies der Mensch, den Ludwig XIV. am meisten auf der Welt geliebt hatte; dessen ungeachtet, als zwei Stunden nach seinem Tode Frau von Maintenon in das Zimmer ihres erhabenen Gemahls, – denn sie war auch verheirathet, – eintrat, dessen ungeachtet, sagt Saint-Simon, fand sie ihn eine kleine Opernarie zu seinem eigenen Lobe singend.
Von dieser Stunde an wurde also das Palais-Royal Eigenthum von demjenigen, welcher vierzehn Jahre später Regent von Frankreich werden sollte.
Wir wissen Alle, etwas mehr, etwas weniger, etwas besser, etwas schlechter, was in dem ernsten Bau des Cardinals vom 1. September 1715 bis zum 25. December 1723 vorging; – und seit jener Zeit vielleicht hat sich das Sprichwort verbreitet: »Die Wände haben Augen und Ohren.«
Außer den Augen und den Ohren hatten die Wände des Palais-Royal eine Sprache, und diese Sprache hat durch den Mund von Saint-Simon und durch den des Herzogs von Richelieu seltsame Dinge erzählt.
Am 25. December 1723 fühlte der Regent, der bei Frau von Phalaris saß, seine Stirne ein wenig beschwert; er neigte den Kopf auf die Schulter des kleinen schwarzen Raben, – so nannte er seine Geliebte, – stieß einen Seufzer aus und starb.
Am Tage vorher hatte Chirac, sein Arzt, den Prinzen dringend ermahnt, er möge sich zur Ader lassen; doch der Herzog hatte die Sache aus den andern Tag verschoben. Der Mensch denkt, Gott lenkt.
Mitten unter allen seinen Lustbarkeiten, so seltsam sie waren, hatte der Regent, der im Ganzen Künstler, durch seinen Architekten Oppenort einen herrlichen, als Eingang für die von Mansart errichtete Gallerie dienenden Salon bauen lassen; diese zwei Constructionen erstreckten sich bis zur Rue de Richelieu und haben dem Saale des Théatre-Francais Platz gemacht.
Dann ließ Louis, der gottesfürchtige Sohn eines sittenlosen, leichtfertigen Vaters, Louis, auf dessen Befehl für dreihunderttausend Franken Bilder von Albano und Tizian wegen der Nuditäten, die sie darstellten, verbrannt werden sollten, Louis ließ, mit Ausnahme der großen Allee des Cardinals, die er beibehielt, den Garten des Palais-Royal nach einer neuen Zeichnung pflanzen; das den Buntspechten theure buschige Gehölze verschwand; zwei schöne Grasplätze dehnten sich aus eingefaßt von Ulmen mit Kugelform, welche ein in einem Halbmonde angebrachtes und mit Gitterwerk und Statuen geschmücktes großes Bassin umgaben; dann, jenseits dieses Halbmondes, fand sich eine Kreuzpflanzung von Linden, die sich der großen Allee anschloß und eine für die Sonnenstrahlen undurchdringliche Laube bildete.
Am 4. Februar 1752 starb Louis von Orleans in der Sainte-Geneviéve-Abtei, in der er seit zehn Jahren seine Wohnung genommen hatte; es war, als hätte er sich, ein frommer Sohn, zurückgezogen, um über die Sünden seines Vaters zu beten! »Das ist ein Seliger, der viele Unglückliche zurückläßt,« sagte Maria Leszinka,3 diese andere Heilige, als sie den frühen Tod des seltsamen Fürsten erfuhr, der seinen Leib der königlichen Chirurgie-Schule vermacht hatte, damit er zum Unterrichte der Zöglinge diene.
Louis Philipp von Orleans folgte ihm als Erbe: die Berühmtheit von diesem bestand darin, daß er sich zur ersten Ehe mit der Schwester des Prinzen von Conti und zur zweiten mit Charlotte Jeanne Béraud de la Haie de Riou, Witwe des Marquis von Montesson, verheirathet hatte.
Das war überdies, – denn wir geben die ruchlose Verleugnung des Sohnes nicht zu, – das war überdies der Vater des berufenen, unter dem Namen Philipp Egalite bekannten, Herzogs von Orleans.
Die Leichenrede dieses Fürsten wurde vom Abte Maury gehalten, eine so seltsame Rede, daß der König den Druck derselben verbot.
Seit einigen Jahren hatte der Herzog von Orleans, der bald auf seinem Landgute Bagnolet, bald in seinem Schlosse Villers-Cotterets zurückgezogen lebte, seinem Sohne nicht nur den Genuß, sondern sogar das Eigenthum des Palais-Royal überlassen; da bekam dieser die Idee, das Schloß des Cardinal-Herzogs in einen großen Bazar zu verwandeln.
Es bedurfte hierzu der Ermächtigung des Königs: der König gab sie durch Patent vom 12. August 1784.
So gleichgültig er im Uebrigen war, der Herzog von Orleans erwachte bei der Kunde, sein Sohn wolle Speculant werden. Vielleicht kam ihm eine Caricatur zu Gesichte, welche zu jener Zeit erschien und den Herzog von Chartres als Lumpensammler verkleidet und Miethsleute4 suchend darstellte.
»Nehmen Sie sich in Acht,« sagte der alte Herzog, »die öffentliche Meinung wird gegen Sie sein, mein Sohn.«
»Bah!« versetzte dieser, »die öffentliche Meinung, ich würde sie für einen Thaler geben!«
Dann sich verbessernd:
»Für einen großen, wohlverstanden!«
Es gab zweierlei Arten von Thalern, die kleinen und die großen; die kleinen waren drei Livres, die großen sechs werth.
Dem zu Folge wurde zwischen dem Prinzen und seinem Baumeister Louis beschlossen, das Palais-Royal sollte nicht nur ein anderes Ansehen, sondern auch eine andere Bestimmung erhalten.
Der alte Herzog starb ein Jahr, nachdem dieser Beschluß gefaßt worden war, und als man eben die Arbeiten auszuführen begann. Man hätte glauben sollen, um nicht zu sehen, was vorgehe, verhülle der Enkel von Heinrich IV. seine Augen mit dem Steine eines Grabes.
Von da an stand den Plänen des neuen Herzogs von Orleans kein Hinderniß mehr entgegen, wenn nicht etwa jene öffentliche Meinung, mit der ihn sein Vater bedroht hatte.
Die ersten Gegner waren die Eigenthümer der Häuser, welche ans Palais-Royal gränzten, und deren Fenster auf den prächtigen Garten gingen: sie machten dem Herzog von Orleans einen Proceß, den sie verloren, und in ihre Hotels durch die neuen Erbauungen eingemauert, waren sie genöthigt, zu niedrigen Preisen zu verkaufen, oder in dunklen, ungesunden Winkeln zu wohnen.
Die anderen Gegner waren die Spaziergänger; jeder Mensch, der zehnmal in einem öffentlichen Garten spazieren gegangen ist, betrachtet diesen Garten als ihm gehörig und glaubt ein Recht der Opposition gegen jede Veränderung zu haben, die man, daran vornehmen will; die Veränderung war aber groß: die Art fällte einen nach dem andern die vom Cardinal gepflanzten herrlichen Kastanienbäume! Keine Siesta mehr unter ihren Blättern, keine Plaudereien mehr in ihrem Schatten; Alles, was blieb, war die Kreuzpflanzung von Linden, und mitten unter diesen Linden der berühmte Baum von Krakau.
Sagen wir, was dieser berühmte Baum von Krakau war, dessen Fall im Jahre 1783 beinahe einen Aufruhr, nicht minder ernst als der Fall der Freiheitsbäume im Jahre 1850, hervorgerufen hätte.
II
Der Baum von Krakau
Der Baum von Krakau war, die Einen sagen eine Linde, die Andern ein Kastanienbaum; die Archäologen sind getheilt über diese wichtige Frage.
In jedem Falle war es ein Baum viel höher, viel buschiger, viel reicher an Schatten und Kühle, als die anderen Bäume, die ihn umgaben. Zur Zeit der ersten Zerstückelung von Polen, im Jahre 1772, hielten sich die Neuigkeitskrämer und die Politiker unter diesem Baume in der freien Luft zu ihren Besprechungen auf. Der Mittelpunkt der Gruppe, welche über das Leben und den Tod dieser von Friedrich und Katharina ans Kreuz geschlagenen und von Ludwig XV. verleugneten edlen Missethäterin discutirte, war ein Abbé, der, da er Verbindungen in Krakau hatte, sich zum Verbreiter aller nach Frankreich aus dem Norden kommenden Gerüchte machte, und dieser Abbé, welcher, wie es scheint, überdies ein großer Tactiker war, ließ jeden Augenblick und bei jedem Anlaß eine Armee von dreißigtausend Mann manoeuvriren, deren Märsche und Gegenmärsche die Bewunderung der Zuhörer verursachten.
Eine Folge hiervon war, daß der Strategiker-Abbé den Beinamen der Abbé dreißigtausend Mann erhielt und der Baum, unter dem er seine geschickten Manoeuvres ausführte, der Baum von Krakau genannt wurde.
Vielleicht hatten auch, die Nachrichten, die er mit derselben Leichtigkeit verkündigte, mit welcher er seine Armee manoeuvriren ließ, dazu beigetragen, daß dieser Baum unter seiner fast ebenso gasconischen, als polnischen Benennung bekannt wurde.
Wie dem sein mag, der Baum von Krakau, der unter den im Palais-Royal vom Herzog von Orleans vorgenommenen Veränderungen stehen geblieben war, bildete fortwährend den Mittelpunkt der Zusammenkünfte, welche 1788 nicht minder zahlreich im Palais-Royal, als 1772; nur bekümmerte man sich nicht mehr um Polen unter dem Baume von Krakau, sondern um Frankreich.
Der Anblick der Menschen hatte sich auch beinahe eben so sehr verändert, als der der Oertlichkeiten.
Was besonders diese Veränderung im Anblicke der Oertlichkeiten bewerkstelligt hatte, das waren der Circus und das Lager der Tartaren, was Beides der Herzog von Orleans, begierig, Nutzen aus seinem Terrain zu ziehen, hatte bauen lassen: den Circus mitten im Garten, und das Lager der Tartaren auf der Seite, welche den Hof schloß, und die heute die Gallerie d'Orleans einnimmt.
Sagen wir zuerst, was der Circus war, in den wir in einem gegebenen Augenblicke den Leser einzuführen veranlaßt sein werden.
Das war ein ein verlängertes Parallelogramm bildendes Gebäude, das sich verlängernd die zwei reizenden Grasplätze von Louis dem Frommen verschlungen hatte und, ehe es nur vollendet, schon besetzt war, einmal von einem Lesecabinet, einem damals ganz neuen Etablissement, dessen Eigenthümer, ein Herr Girardin, durch diese Erfindung die jedem Neuerer gebührende Berühmtheit erlangt hatte; sodann von einem Clubb, den man den Club Social nannte, und der der Sammelplatz aller Philanthropen, aller Reformatoren und aller Negrophilen war; und endlich von einem Truppe Gaukler, welche zweimal im Tage, wie zur Zeit von Thespis, Vorstellungen auf improvisirten Gerüsten gaben.
Dieser Circus glich einer ungeheuren Laube, ganz bekleidet, wie er war, mit Gittern und grünem Blätterwerk. Zweiundsiebzig Säulen von dorischer Ordnung, die ihn umgaben, stachen allerdings ein wenig gegen diesen ländlichen Anblick ab, doch zu jener Zeit gab es so viel entgegengesetzte Dinge, die sich einander zu nähern und sogar mit einander zu vermengen anfingen, daß man nicht mehr auf dieses, als auf die andern, Acht gab.
Was das Lager der Tartaren betrifft, Mercier, der Verfasser des Tableau de Paris, wird uns sagen, was es war.
Man höre die Diatribe dieses zweiten Diogenes, der beinahe so cynisch und so witzig als der, welcher mit einer Laterne in der Hand am hellen Tage unter den Säulenhallen des Gartens von Akademos einen Menschen suchte:
»Die Athenienser,« sagt er, »errichteten ihren Phrynen Tempel; die unsern finden den ihren in diesem Bezirke. Dahin gehen gierige Agioteurs, welche das Seitenstück zu den hübschen Freudenmädchen bilden, dreimal täglich im Palais-Royal, und der Mund aller dieser Menschen spricht nur von Geld und von politischer Prostitution. Die Banque wird in den Kaffeehäusern gehalten, und da muß man die plötzlich durch den Verlust oder den Gewinn entstellten Gesichter sehen und studieren: Dieser geräth in Verzweiflung, Jener triumphiert. Dieser Ort ist also eine hübsche Büchse Pandoras; sie ist ciselirt, sie ist ausgearbeitet; Jedermann aber weiß, was die Büchse der durch Vulcan belebten Statue enthielt. Alle Sardanapale, alle die kleinen Lucullus wohnen im Palais-Royal in Gemächern, um welche sie der König von Assyrien und der römische Consul beneidet hätten.«
Das Lager der Tartaren, das war die Höhle der Diebe und der Winkel der Lustdirnen; – es war endlich das, was wir bis zum Jahre 1828 unter dem Namen Galerie de Bois5 gesehen haben.
Sich verändernd, hatte der Anblick der Oertlichkeiten dazu beigetragen, den Anblick der Menschen zu verändern.
Was aber hauptsächlich zu dieser Metamorphose beigetragen, das war die politische Bewegung, welche um diese Zeit in Frankreich vor sich ging und von unten nach oben kommend die Gesellschaft von ihren Tiefen bis zu ihrer Oberfläche erschütterte.
In der That, man begreift, welcher Unterschied es für wahre Patrioten ist, ob sie sich mit dem Loose einer fremden Nation, oder mit den Interessen ihres Landes beschäftigen, und man wird nicht leugnen, daß die Nachrichten, welche zu dieser Stunde von Versailles kamen, viel erregender für die Pariser sein mußten, als es sechzehn Jahre früher die waren, welche von Krakau kamen.
Gleichwohl sah man noch mitten unter der politischen Aufregung, wie Schatten aus einer andern Zeit, einige von jenen heiteren Gemüthern oder einige von jenen beobachtenden Geistern umherirren, welche ihren Weg durch die reizenden Träume der Poesie oder die herben Tumulte der Kritik verfolgen.
So kann, abgesehen von der im Schatten des Baumes von Krakau gruppirten großen Menge, welche das Journal de Paris oder die I,unette philosophique et litteraire lesend die Nuvelles à la main erwartete, der Leser, der uns begleitet, in einer nach den Linden mündenden Seitenallee zwei Männer von fünfunddreißig bis sechsunddreißig Jahren bemerken, welche Beide die Uniform, der Eine der Dragoner von Noailles mit rosa Revers und rosa Kragen, der Andere der Dragoner der Königin mit weißen Revers und weißem Kragen tragen. Sind diese zwei Männer Officiere, die von Schlachten sprechen? Nein, es sind zwei Dichter, welche von Poesie sprechen, zwei Verliebte, welche von Liebe sprechen.
Sie sind übrigens reizend, was die Eleganz, und vollkommen, was den guten Ton betrifft. Das ist die Aristokratie in ihrem bezauberndsten und vollständigsten Ausdrucke; in dieser Zeit, wo der Puder von den Anglomanen, von den Americanern, kurz von den Vorgerückten ein wenig vernachlässigt zu werden anfängt, ist ihr Kopfputz äußerst sorgfältig behandelt, und um seine Harmonie nicht zu derangiren, trägt der Eine seinen Hut unter dem Arme, während ihn der Andere in der Hand hält.
»Also, mein lieber Bertin,« sagte derjenige von den Spaziergängern, welcher die Uniform der Dragoner der Königin trug, »es ist bei Ihnen fester Entschluß, Sie verlassen Frankreich und verbannen sich nach St. Domingo?«
»Sie irren sich, mein lieber Evariste: ich ziehe mich nur nach Cythera zurück.«
»Wie so?«
»Sie begreifen nicht?«
»Bei meinem Ehrenworte, nein.«
»Haben Sie mein drittes Buch der Amours gelesen?«
»Ich lese Alles, was Sie schreiben, mein lieber Kapitän?«
»Nun, dann erinnern Sie sich wohl gewisser Verse?«
»An Eucharis oder an Catilie?«
»Ach! Eucharis ist todt und ich habe meinen Tribut der Thränen und der Poesie ihrem Andenken bezahlt; ich spreche also von meinen Versen an Catilie.«
»Welche meinen Sie?«
»Diese:
Va, ne crains pas que je l'oublie,
Ce jour, ce fortune moment,
Où, peins d'amour et de folie,
Tous les deux, saus savoir comment,
Dans un rapide emportement,
Nousi fimes le teudre serment,
De nous aimer toute 1a, vie!6
»Nun?«
»Nun, ich halte meinen Schwur: ich erinnere mich . . .«
»Wie! Ihre schöne Catilie . . .?«
»Ist eine reizende Creolin von St. Domingo, , mein lieber Parny, welche vor einem Jahre nach dem Meerbusen von Mexico abgereist ist.«
»Und Sie folgen ihr nach?«
»Ich folge ihr nach und heirathe . . . Sie wissen übrigens, mein lieber Parny, ich bin, wie Sie, ein Kind des Aequators, und wenn ich nach St. Domingo gehe, werde ich glauben, ich kehre nach unserem Heimathlande, nach unserer schönen Insel Bourbon mit ihrem Azurhimmel, mit ihrer üppigen Vegetation zurück; habe ich nicht das Vaterland, so werde ich doch sein Aequivalent haben, wie man noch das Portrait hat, wenn man das Original nicht mehr besitzen kann.«
Und der junge Mann sprach mit einer Begeisterung, welche heute sehr lächerlich scheinen würde, zu jener Zeit aber sehr schicklich war, die folgenden Verse:
Toi dont 1'image en mon coeur est tracée,
Toi qui recus ma premiere pensée,
Les Premiers sons que ma bouche a formes,
Mes premiers pas sur la terre imprimes
Sous d'autres cieux cherchant un autre monde
J'ai vu tes bords s'enfuir au loin dans l'onde. . .
Que de regrets ont suivi mes adieux!
Combien de pleurs ont coulé de mes yeux!
Que J'aime encore, aprés quinze ans d'absence,
Ce Col, temoin des jeux de mon enfance!7
»Vortrefflich, mein lieber Bertin! Doch ich sage Ihnen vorher, Sie werden mit Ihrer schönen Catilie kaum dort sein, so haben Sie die Freunde, die Sie in Frankreich zurücklassen, vergessen.«
»Oho! Mein lieber Evariste, wie täuschen Sie sich!
En amitié fidéle, encor plus qu'en amour.
Tout ce qu'aima mon coeur, il l'aima plus d'un jour.8
»Wird nicht überdies, mein großer Dichter, Ihr Ruf da sein, um zu machen, daß ich an Sie denke? Wäre ich so unglücklich, Sie zu vergessen, haben nicht Ihre Elegien Flügel, wie die Schwalben und die Amoretten, und der Name einer anderen Eleonore wird mich dort schauern machen wie ein Echo von diesem schönen Paris, welches mich so gut aufgenommen, und das ich dennoch mit so großer Freude verlasse!«
»Es ist also beschlossen, mein Freund, Sie reisen ab?«
»Oh! so fest beschlossen, als nur etwas beschlossen sein kann . . . Hören Sie, mein Abschied ist schon vollendet:
Oui, c'en est fait, j'abandonne Paris;
Qu'un peuple aimable, y couronnant sa téte,
Change l'année en un long jour de féte:
Pour moi, je pars! Où sont mes matelots?
Venez, montez et sillonez les flots;
Au doux Zéphyr abandonnez la voile,
Et de Vénus interrogez l'etoile.9
»Ah! Sie wissen wohl, an wen Sie Ihr Gebet richten, mein lieber Bertin!« sagte eine dritte Stimme, sich ins Gespräch mischend; »Venus ist Ihre Jungfrau Maria!«
»Ah! Sie da, mein lieber Florian!« riefen gleichzeitig die zwei Freunde, indem sie auch zugleich ihre Hände ausstreckten, welche Florian in den seinigen drückte.
Dann fügte Parny rasch bei:
»Empfangen Sie meinen Glückwunsch zu Ihrem Eintritte in die Academie, mein Lieber.«
»Und mein Compliment zu Ihrem reizenden Hirtengedichte Estelle,« sagte Bertin.
»Bei meiner Treue!« fuhr Parny fort, »Sie haben Recht, daß Sie auf Ihre Hammel zurückkommen: wir brauchen Ihre Hirtenwelt, damit sie uns die Welt von Wölfen, in der wir leben, vergessen macht; sehen Sie, Bertin verläßt sie auch.«
»Ah! es war also kein poetischer Abschied, der Abschied, den Sie so eben von uns nahmen, mein lieber Kapitän?«
»Nein, in der That, es war ein wirklicher Abschied.«
»Und errathen Sie, nach welchem Antipoden er abreist? Nach St. Domingo, nach der Königin der Antillen. Er wird Kaffeepflanzer, Zuckerraffinirer, während wir . . . Gott weiß, ob man uns nur wird Kohl pflanzen lassen. Aber was schauen Sie denn so?«
»Ei! bei Gott! wenn ich mich nicht täusche, ist er es!« rief Florian.
»Wer, er?«
»Oh! meine Herren,« sprach der neue Academiker, »kommen Sie doch mit mir, ich habe ihm ein paar Worte zu sagen.«
»Wem?«
»Rivarol.«
»Gut! ein Streit!«
»Warum nicht?«
»Ah! Sie sind also immer noch Raufer?«
»Oh! ich habe seit drei Jahren keinen Degen angerührt.«
»Und Sie wollen sich die Hand wieder gelenk machen?«
»Dürfte ich eintretenden Falles auf Sie zählen?«
»Bei Gott!«
Die drei jungen Leute gingen in der That zum Verfasser des Petit Almanach de nos Grands hommes, wovon eben eine zweite Ausgabe erschienen war, welche noch mehr Lärm gemacht hatte, als die erste.
Rivarol saß oder lag vielmehr auf zwei Stühlen, den Rücken an einen Kastanienbaum angelehnt und dem Anscheine nach nicht sehend, was um ihn her vorging; nur von Zeit zu Zeit warf er nach rechts und nach links einen von jenen Blicken, worin die Flamme des ausgezeichneten französischen Witzes knisterte, der je existirt hat.
Sodann, nach diesem Blicke, der ein Factum einregistrirte oder eine Idee angab, näherte er seine zwei Hände einander und schrieb auf die Tabletten, die er in der einen hielt, ein paar Worte mit dem Bleistifte, das er in der andern hatte.
Er sah die drei Spaziergänger heranschreiten, doch, obgleich er sich denken konnte, sie kommen zu ihm, gab er sich den Anschein, als schenkte er ihnen keine Aufmerksamkeit, und fing wieder an zu schreiben.
Plötzlich warf sich indessen ein Schatten auf sein Papier: es war der der drei Freunde. Rivarol sah sich genöthigt, den Kopf zu erheben.
Florian grüßte ihn mit der größten Höflichkeit; Parny und Bertin verbeugten sich leicht.
Rivarol richtete sich auf seinem Stuhle auf, ohne seine Lage zu verändern.
»Verzeihen Sie, mein Herr, wenn ich Sie in Ihren Betrachtungen störe!« sagte Florian zu ihm; »doch ich habe eine kleine Reclamation an Sie zu machen.«
»An mich, Herr Edelmann?« versetzte Rivarol mit seiner spöttischen Miene. »Wäre es wegen des Herrn von Panthiévre, Ihres Meisters?«
»Nein, mein Herr, es betrifft mich selbst.«
»Sprechen Sie.«
»Sie hatten mir die Ehre erwiesen, meinen Namen in der ersten Ausgabe von Ihrem Kleinen Almanach unserer großen Männer aufzuführen.«
»Das ist wahr, mein Herr.«
»Wäre es unbescheiden, Sie zu fragen, mein Herr, warum Sie meinen Namen in der zweiten Ausgabe, welche so eben erschienen ist, herausgenommen haben?«
»Weil Sie zwischen der ersten und der zweiten Ausgabe das Unglück gehabt haben, zum Mitgliede der Academie ernannt zu werden, und weil, so dunkel auch ein Academiker sein mag, er doch nicht das Privilegium der Unbekannten ansprechen kann; Sie wissen aber, Herr von Florian, unser Werk ist ein philanthropisches Werk, und Ihr Platz ist reclamirt worden.«
»Von wem?«
»Von drei Personen, welche, ich muß es in Demuth gestehen, auf dieses Glück noch mehr Rechte hatten, als Sie.«
»Und wer sind diese drei Personen?«
»Drei reizende Dichter, welche der Erste ein Akrostichon, der Zweite ein Distichon und der Dritte einen Refrain gemacht haben. . . Was das Lied betrifft, – es wird uns unaufhörlich versprochen, doch da der Refrain gemacht ist, so können wir warten.«
»Und wer sind diese drei ausgezeichneten Männer?«
»Die Herren Grouber von Groubental, Fenouillot de Falbaire von Quingey und Thomas Minau von Lamistringue.«
»Wenn ich Ihnen aber Jemand empfehlen würde, Herr von Rivarol?«
»Ich müßte Sie zu meinem Bedauern zurückweisen, Herr von Florian: ich habe meine Armen.«
»Derjenige, welchen ich Ihnen empfehle, hat nur einen Viervers gemacht.«
»Das ist viel!«
»Soll ich Ihnen denselben recitiren, Herr von Rivarol?«
»Gewiß, Herr von Florian, recitiren Sie! . . . Sie sprechen so gut!«
was der äußern Herrlichkeit des Palais-Cardinal gliche;
eine ganze Stadt, mit Pracht gebaut,
scheint ans einem alten Graben durch Wunder hervorgegangen zu sein
und läßt uns nach ihren kostbaren Dächern denken,
alle ihre Einwohner seien Götter oder Könige.
den Tag, den seligen Augenblick,
wo wir, von Liebe trunken,
Beide, ohne zu wissen, wie,
uns in einer raschen Aufwallung
voll Zärtlichkeit uns unser ganzes
Leben lang zu lieben schworen.
Du, die Du meinen ersten Gedanken,
die ersten Laute, die mein Mund gebildet,
die ersten Tritte, die ich der Erde eingedrückt,
empfingst, unter einem anderen Himmel
eine andere Welt suchend, sah ich Dein
Schiff in die Ferne auf der Woge fliehen.
Welche Klagen folgten meinem Abschied!
Wie viel Thränen entflossen meinen Augen!
Wie liebe ich noch nach einer Abwesenheit
von fünfzehn Jahren dieses Col (Name eines Schlosses, das Herrn Desforges, einem reichen Pflanzer der Insel Bourbon, gehörte.),
den Zeugen der Spiele meiner Kindheit!